Beiträge von Publius Matinius Agrippa

    Die Dämmerung schleicht sich durch die fein gewebten Vorhänge. Der Tag stirbt langsam – wie so vieles in diesen Zeiten. In der Mitte des prachtvoll ausgestatteten Speisezimmers liegt Agrippa auf seinem Speisesofa. Seine Toga ist locker geschlungen, ein alter Mann in einem Raum voller Erinnerungen. Die Wände erzählen Geschichten von Triumphzügen und Seeschlachten – von Zeiten, als die Welt noch jung schien.


    Ein goldener Becher ruht in seiner Hand, gefüllt mit schwerem Falerner, jahrzehntealt und dunkel wie Blut. Auf dem Tisch vor ihm: gebratene Wachteln, Feigen in Honig, Käse aus Kampanien, Oliven, Datteln – eine Auswahl, wie sie nur einem Mann seines Standes zusteht.


    Agrippa hebt den Blick und lächelt. In der Ecke, im Schatten des Raumes, meint er eine vertraute Gestalt zu sehen. Schlank, hager, das Haar grau und die Augen wach – so, wie er ihn in Erinnerung trägt.


    „Anton…“ murmelt Agrippa, den Blick noch immer ins Halbdunkel gerichtet. „Du bist spät dran, wie immer.“


    Er lacht leise, ein raues, kehliges Geräusch, das mehr Melancholie als Freude trägt.


    „Ich hoffe, sie geben dir dort, wo du jetzt bist, auch etwas Ordentliches zu trinken. Oder ist der Nektar der Götter am Ende doch nur dünner Traubensaft?“


    Agrippa hebt den Becher, schwenkt den Wein langsam, bevor er trinkt.


    „Weisst du noch, wie wir jung waren? Immer zu zweit, immer mit leeren Bechern und vollem Appetit. Kein Fest war sicher vor uns. Kein Fass vor Mitternacht leer. Und jetzt…“


    Er greift nach einer Feige, taucht sie in Honig, kaut langsam.


    „Jetzt esse ich allein. Trinke allein. Und rede… nun ja, mit dir. Obwohl du seit Jahren tot bist.“


    Kurzes Schweigen. Das Knacken einer Olivenhaut zwischen den Zähnen. Das Knistern des Feuers in der Wandnische.


    „Du hast das große Los gezogen, Anton. Sanft entschlafen, in deinem Garten, umgeben von deinen Kindern. Kein Schwert, kein Gift, keine Intrige. Altersschwäche, sagt man. Als wäre es eine Tugend, friedlich zu vergehen.“


    Er nippt wieder am Wein, diesmal länger, nachdenklicher.


    „Ich frage mich oft, ob ich den Genuss verlernt habe. Nicht das Essen – das ist gut, sehr gut sogar. Und der Wein? Stark, süss, mit einem Nachhall von Aprikose und Holz. Aber der Geschmack… er ist nicht mehr derselbe. Als würden meine Sinne alles durch einen Schleier wahrnehmen.“


    Er lässt den Becher sinken.


    „Früher war Genuss wie ein Sturm. Heftig, berauschend. Heute ist er wie ein Windhauch – kaum spürbar, schnell verweht. Oder liegt es daran, dass du nicht mehr da bist, um mit mir anzustoßen?“


    Agrippa greift nach einem Stück Lamm, bricht es mit den Fingern, kaut langsam, schweigend. Dann wieder:


    „Du hast einmal gesagt: Der wahre Genuss liegt nicht im Übermass, sondern in der Gesellschaft. Ich habe damals gelacht, dich verspottet. Und jetzt… jetzt verstehe ich dich endlich.“


    Er schaut in die dunkle Ecke, wo der Schatten seines Freundes verweilt.


    „Vielleicht ist das der Preis des Alters: Der Gaumen bleibt, aber die Freude schwindet. Der Tisch ist gedeckt, aber der Platz neben dir bleibt leer.“


    Langsam erhebt er den Becher ein letztes Mal an diesem Abend.


    „Auf dich, alter Freund. Und auf all die Mahlzeiten, die wir nie mehr teilen werden.“


    Er trinkt. Lange. Dann sinkt er zurück in die Kissen. Die Schatten im Raum werden länger, stiller.

    "Hoffen wir das dein Geschlecht weiter gedeiht und deine Söhne und Enkel der Familie weiterhin Ehre bereitet."


    Agrippa stütze sich auf seinen Stock.


    "Es war mir eine Freude mit dir zu sprechen und ich hoffe, wir können es irgendwann bei einem Becher Wein fortsetzten."

    Es war eines der höchsten Ämter, welches ein ehemaliger Konsular inne haben konnte.


    "Mein Imperator, dieses Amt ehrt mich sehr und ich nehme die Berufung mit Freuden an. Ich werde mich den jungen Politiker annehmen, ich hoffe es hat auch einige vielversprechende Plebejer dabei."


    "Eine Aufgabe ist auch die Finanzaufsicht über die Städte, meiner Erfahrung nach, ist es dennoch am Besten direkt vor Ort die Bücher zu betrachten. Vor einem Senator hat die Stadtverwaltung mehr Respekt als vor einen einfachen Beamten."

    "Ja, hoffen wir nicht alle auf ein langes Leben? Damit wir die Karrieren unserer Kinder mitverfolgen können und Stolz auf sie sein können."


    Er musste an seinen erstgeborenen Sohn Agrippa Minor denken, er war ein liebes Kind, viel zu sanft für diese Welt.


    "Wie alt ist dein Sohn? Falls die Frage nicht zu persönlich ist. Ich habe leider einige meiner Kinder überlebt, ein Vater sollte seine Kinder nicht überleben. Es fühlt sich unnatürlich an. Aber es war der Wille der Götter."

    Agrippa nimmt sich einen Becher Wasser. In seiner Jugend wäre es der Weinbecher gewesen, aber mit dem Alter wurde er massvoller.


    "Ich habe mich entschlossen, mich wieder aktiver den Belangen des Senates zu widmen. Der Senat ist neben dir eine wichtige Institution. Falls du meine Dienst in Rom oder Italien benötigst würde ich dir zur Verfügung stehen."


    Er nippt an seinem Becher, seine Kehle war etwas trocken.


    "Ich habe über mehrere Jahre erfolgreich eine Provinz verwaltet. Ich könnte dir in der Verwaltung nützlich sein."

    "Ich danke dir für deine Worte. Es ist auch mir eine Freude, dir ausserhalb des Senats zu begegnen. Ich kannte deinen Vater nur flüchtig, wenn ich mich richtig erinnere, war ich zu jener Zeit in Spanien als dein Vater Volkstribun war."


    Er blickt zu den zu den Büsten.


    "Ich kannte Sie alle und ausser Anton waren sie alle jünger, ich muss wohl Fortuna danken, dass ich heute lebendig in diesen Hallen wandeln darf. Ich finde es sehr lobenswert, dass du und deine Kollegen euch ums Ulpianum und die Geehrten kümmert."


    "Anton war ein Grosser, aber wie es vor ihm Persönlichkeiten gab, wir es auch nach ihm Persönlichkeiten geben. Sein Sohn Aulus war ein guter Mann, aber er war nicht Anton und ist daran zerbrochen."

    "Ich grüsse dich, Imperator Tiberius Aquilius Severus Augustus, ich habe das Leben in Spanien genossen. Soweit ist alles in Ordnung, auch wenn ich mich mittlerweile ans dritte Bein gewöhnt habe.", dabei erhob er seinen Gehstock. "Ich hoffe, dir geht es auch gut?"


    Er setzte sich.


    "Ich danke dir, früher hätte mir Stehen nichts ausgemacht, aber heute bin immer froh, wenn ein Stuhl in der Nähe ist. Der Kopf ist immer noch jung aber der Körper hat gelebt."

    Er drehte sich zu Florus um.


    "Ich grüsse dich Praetor Urbanus Florus. Kümmerst du dich um die Büste deines Vaters? Ich bin zum ersten Mal im Ulpianum, ich hätte nicht gedacht, dass ich die Fertigstellung erlebe, ich kann mich an etliche Verzögerungen erinnern. Es gefällt mir. Ich war bei Cicero Octavius Anton, vielleicht kannst du dich an ihn erinnern? Er war mein Schwager und ein sehr enger Freund ..."

    Auf seinen Stock gestützt und mit einem Sklaven als Hilfe betritt Agrippa das Ulpianum. Es hat lange gedauert bis es zur Verwirklichung des Gebäudes kam. Er konnte sich an die Diskussionen im Senat erinnern. Die Einweihung und die Aufnahme seines Freundes Anton verpasste er. Er genoss seine Zeit auf den Ländereien nahe Tarraco. Er bleibt bei der Tafel und der Büste seines Freundes stehen. Das stand es Cicero Octavius Anton Censorius. Ein ehemaliger Censor. Von denen gab in unserer Generation es nur zwei und Agrippa war der zweite. :D


    "Alter Freund, geliebter Schwager und Bruder, ich grüsse dich. Die Büste ist sehr detailgenau, es ist fast so, also ob du vor mir stehst. Nun gut, einige der Falten wurde weggelassen."


    Der Sklave klappte einen Klappstuhl auf und Agrippa setzte sich darauf. Er konnte nicht mehr lange stehen.


    "Das Alter hat mich eingeholt. Ich würde sehr gerne mit dir einen Becher Wein trinken und über die Vergangenheit sinnieren. Ich hoffe du bist im Elysium glücklich und hast wieder zu meiner Schwester gefunden. Ich bin heute noch davon überzeugt, dass dir mein Vater eine viel zu hohe Mitgift bezahlt hat." Er musste lächeln. "... meine Schwester war es wert. Durch diese Hochzeit habe ich einen Freund und Bruder gewonnen. Vielen von unseren alten Weggefährten sind nicht mehr. Ich kenne kaum noch jemand im Senat. Die alten sind tot oder fort. Man berichtet mit auch vom Tod deines geliebten Neffen Victors. Ich war nicht in Rom und habe es erst vor kurzem vernommen. Es tut mir leid."


    Er erhob sich mit Hilfe des Skalven und stütze sich wieder auf den Stock. Der Sklaven klappte den Stuhl wieder zusammen.


    "Es ist an der Zeit sich zu Verabschieden. Ich hoffe wir werden uns irgendwann im Elysium wiedersehen und einige Becher Wein trinken. Aber du musst den Caecuber noch nicht kühlen. Es wird noch etwas dauern. Auf wiedersehen, alter Freund!"

    "Werter Consul, ich danke euch für die Ausführungen. Es gefällt mir nicht, aber ich kann damit leben, ich werde der Änderung des Codex zustimmen."


    Er überlegte ob, er seine weitere Gedanken aussprechen sollte und entschied sich aber dagegen. Sollte eine Senator unwürdig sein, war es nicht Sache des Senates darüber zu entscheiden. Wir richten nicht über unseresgleichen. Diese Entscheidung obliegt dem Imperator.

    Er studierte den Gesetzesänderung und erhob sich.


    "4 und 5 finden meine Zustimmung. Bei 6, der letzte Zusatz ... sofern diese noch nicht in den Senat aufgenommen wurden. Verstehe ich richtig, der Ausschluss ist nur für Nichtsenatoren möglich? Senatoren können nicht ausgeschlossen werden? Oder gibt es für Senatoren eine andere Regelung? Ich bitte die Nachfrage zu entschuldigen, ich bin kein Jurist sondern nur ein einfacher Bauer."

    Agrippa auf seinen Stock gestützt verfolgte die Ernennung der neuen Magistrate aus der Ferne. Er blickte zu Florus als dieser seinen Eid schwor. Er konnte sich an den Vater erinnern. Er hatte dieselben Gesichtszüge. Es kam im vor wie aus einem anderen Leben, als er damals die Eide schwor. Seine Praetur absolvierte er mit Adria, es war eine freundschaftliche Zusammenarbeit. Lebte sie noch? War sie nicht mit Aelius Quarto verheiratet? Dem Bruder des Imperators Valerianus. Er war sich nicht mehr sicher. Er blickte zu den anderen Senatoren. Viele neue Gesichter und keine alten, die er kannte. Bei einigem war offensichtlich, aus welcher Gens sie stammten. Inzestuöses patrizisches Pack, schlimmer als die Ptolemäer und jeder andere östliche Bettlerkönig. Lebten noch viele Senatoren, welche während seiner Praetur im Senat aktiv waren? Einige sicher, aber sein geliebter Schwager Cicero Octavius Anton nicht mehr. Er ist schon lange Tod. Der Verlust schmerzte ihn noch heute. Nach all den Jahren. Wurde er nicht im Ulpianum geehrt? Er beschloss die Büste seines Freundes zu besuchen.

    Auf seinem Stock gestützt erhob sich Agrippa


    "Ich sehe im Antrag des Consuls keine Schande. Im Gegenteil. Der Helvetier hat sich wählen lassen und das Amt nie angetreten. Er ist ins freiwillige Exil gegangen. Er wurde nicht verurteilt. Intrigen, Verleumdungen und Hetzjagden. Kennen wir es nicht alle? Wir alle sind Opfer und wir alle sind Täter, es geht darum unsere Interessen durchzusetzen, es geht um viel. Macht und Geld. Leben und Tod. Durch unsere Feinde gewinnen wir an Stärke. Die Schande liegt nicht darin, den Helvetier zu bestrafen, nein, die Schande liegt darin, dass wir es bei den anderen nicht taten."


    Er machte seine Pause und blickt zum ersten Consul.


    "Ich schlage daher eine Anpassung des Antrages vor. Tiberius Helvetius Faustus wird bis auf weiteres aus dem Cursus Honorum ausgeschlossen. Er hat sich nach seiner Rückkehr nach Rom bei den Consuln zu melden, er erhält eine Anhörung vor dem Senat. Der Senat wird entscheiden, ob er seine Wählbarkeit und Ehre zurückerhält. Des Weiteren schlage ich vor, dass der Ausschluss aus dem Cursus Honorum in Zukunft auf jeden Magistrat angewendet wird, welcher seine Pflichten grob vernachlässigt. Es soll keine Ausnahme mehr sein, sondern die Regel."


    "In meine Augen gibt es nur einen Grund das Amt nicht anzutreten und dies ist der Tod!"


    Agrippa setzte sich wieder.