Beiträge von Decima Seiana

    Es dauerte ein bisschen, bis Seneca kam, und erschöpft wie Seiana war, fielen ihr zwischendurch die Augen zu. Als die Tür aufging, blinzelte sie allerdings ihren Mann an. „Mhm“, machte sie erst mal nur leise – wohlauf, das konnte man so und so auslegen, sie fühlte sich komplett zerschlagen. Aber ja: es ging ihr gut. Auch die Hebamme machte keinen besorgten Eindruck. Das hätte auch ganz anders laufen können, sie wusste das. Sie lächelte schwach und musterte Seneca dabei, wie er sich seinen Sohn ansah. Er schien regelrecht verzückt zu sein. Vernarrt in das Kind. Sie fragte sich, wie er das machte, wie ihm das gelang, aber dann beschloss sie einfach nicht weiter darüber nachzudenken. Es war einfacher, jetzt, anders als beim ersten Kind. Sie würde Seneca einfach machen lassen und sich an ihn hängen, so wie sie es im Grunde schon bei Silana gemacht hatte, jedenfalls seit sie endlich verheiratet waren und zusammen lebten. Seneca war eindeutig derjenige von ihnen beiden, der ein besseres Händchen mit den Kindern hatte.
    Total vernarrt. Vielleicht sollte sie ihm doch nicht alles überlassen, was die Kinder anging. Er würde sie sonst komplett verziehen. „Ist er nicht“, murmelte sie, mit dem Ansatz eines Schmunzelns. „Er ist zerknautscht und verschrumpelt.“ Wie alle Neugeborenen. Aber er lebte. Ein Sohn, wie Seneca sagte. Sie wusste, dass er Silana liebte, aber ein Sohn, ein Stammhalter, das war dann doch noch mal etwas anderes. Sie tastete nach seiner Hand. „Ich liebe dich.“

    Mit einem flüchtigen Stirnrunzeln nahm Seiana wahr, wie Senecas Cousine sich verabschiedete, aber sie sagte nichts dazu. Das war einer der Punkte, an dem sie beide doch nach wie vor eher... unterschiedlich waren. Es war unhöflich, nach so kurzer Zeit und noch bevor es überhaupt Essen gegeben hatte zu verschwinden – wäre es ihre Verwandte, Seiana hätte sie kaum so einfach gehen lassen. Zu sehr war ihr das früher von ihrer Mutter eingebläut worden, zu sehr hatte sie sich das selbst in den Jahren nach deren Tod immer wieder eingebläut. Haltung bewahren, egal in welcher Lage, das war einer der wichtigsten Aspekte im Leben, hatte sie gelernt. Aber immerhin war sie inzwischen so weit, dass sie nichts mehr dazu sagte, und auch später nicht sagen würde. Das war Senecas Angelegenheit.
    Primus lächelte sie leicht zu, als der meinte es sei schön, schon Verwandtschaft in der Gegend zu haben. Sie konnte das nachvollziehen, insbesondere wenn es Verwandte waren, die man bereits kannte, auch wenn die letzte Begegnung nun schon länger zurücklag.


    „Ja...“ bestätigte Seiana mit einem leisen Lachen, was ihr Mann erzählte. Auch wenn sie nun lieber gar nicht darauf einging, wie ihre Kindheit gewesen war. Seneca hatte sie davon erzählt, freilich, dass ihre Kindheit kaum weniger wild gewesen war... aber die meisten hatten kaum bis gar kein Verständnis dafür, wenn eine Frau von so etwas sprach. Zumindest in ihren Kreisen. Und genau das war irgendwo auch das Problem, wenn man so wollte, was Silana betraf: einerseits mochte sie ihre eigenen Erfahrungen nicht missen... heute jedenfalls nicht mehr, auch wenn sie Phasen gehabt hatte, in denen sie geglaubt hatte ihr Leben wäre einfacher gewesen, wenn sie weniger Freiheiten gehabt hätte. Andererseits wusste sie sehr genau, dass irgendwann der Punkt kommen würde, an dem ihre Tochter würde lernen müssen sich zu benehmen, wie es sich einer Römerin geziemte.
    „Nach Tarraco solltest du unbedingt mal reisen, wenn sich die Gelegenheit bietet“, nickte sie dann. „Es ist lange her, seit einer von uns beiden zuletzt in Hispania war, aber es ist sicher auch heute noch eine traumhafte Provinz. Und um einiges wärmer als hier.“ Ein Schmunzeln glitt über ihr Gesicht.

    Gemeinsam mit Seneca war Seiana bereits ins Triclinium gegangen und hatte darauf gewartet, dass ihr Gast eintraf. Sie waren beide recht früh dran, sogar die Kinder waren noch mit der Amme draußen, was hieß: sie hatten ein paar Momente ganz für sich allein. Etwas, das durchaus kostbar war, weil es nicht ganz so einfach war, solche zu finden... weniger, weil jetzt das zweite Kind da war – dafür immerhin hatten sie ja eine Amme –, nein, das war auch schon vorher so gewesen. Seiana selbst war zwar lange nicht mehr so aktiv wie in früheren Jahren noch, aber Seneca war nun mal Praefectus, was seine Zeit stark einschränkte. Seiana hatte Momente, in denen sie tatsächlich in Betracht zog, in die dafür vorgesehene Unterkunft des Praefectus im Castell der Ala zu ziehen – einfach weil sie dann wenigstens ein bisschen mehr Zeit miteinander würden haben können. Die Vorteile eines eigenen Landguts waren allerdings ebenso unbestreitbar, weshalb sie dann doch in der Regel von diesem Gedanken wieder abkam, noch bevor sie überhaupt mit Seneca darüber sprach.


    Obwohl sie hatten warten müssen, kam der Gast für ihren Geschmack viel zu früh. Wobei man fairerweise sagen musste, dass die Amme Silana noch vorher hereinschickte, bevor sie Lucius ins Bett brachte, und schon ab dem Moment war es mit der Zweisamkeit vorbei. „Salve, Gaius“, lächelte Seiana den jungen Mann an, der mehr oder weniger ein Neffe für sie war. Er war immer schon freundlich und wohlerzogen gewesen, hatte sich stets zu benehmen gewusst, und das hatte er offenbar auch beibehalten. Sie erwiderte seine Umarmung. „Mich freut es genauso. Es ist viel zu lange her... aber einfach mal so nach Rom reisen, um die Verwandten zu besuchen, lässt sich leider nicht so einfach einrichten.“ Während sie mit Gaius sprach, traf auch Senecas Cousine ein. Mit ihr hatte sie recht wenig zu tun gehabt bislang, und das obwohl sie unter einem Dach wohnten... aber Seiana war noch zurückgezogener geworden als sie ohnehin schon immer gewesen war in den vergangenen Jahren, und bevor sie sich wirklich dazu hatte bringen können, mit dem Mädchen etwas mehr Verbindung aufzubauen, war Senecas Cousine für eine Zeitlang wieder weggegangen. In diesem Moment, als sie Gaius mit Blick zur Tür umarmte und daher Caerellia eintreten sah, konnte sie allerdings nicht umhin zu erkennen, dass das Mädchen irgendwie... dünner geworden zu sein schien. Was wohl kein Wunder war angesichts des Verlusts, den sie erlitten hatte, aber dennoch... gerade weil Seiana aus eigener Erfahrung wusste, wie so etwas war für ein junges Mädchen, keimte so etwas wie Sorge in ihr auf. Vielleicht sollte sie später Seneca darauf ansprechen. Oder halt.. vielleicht doch lieber Caerellia selbst. Nicht dass sie am besten dafür geeignet war, derartige Gespräche zu führen, aber sie wusste nicht, ob ihr Eindruck wirklich richtig war – und auch falls er es doch war: vielleicht war es dem Mädchen nicht recht, wenn ihr Cousin miteinbezogen wurde. Seiana selbst jedenfalls wäre es an ihrer Stelle so gegangen.


    Sie wartete, bis Gaius alle begrüßt hatte, und machte dann eine einladende Geste. „Setzen wir uns doch. Wie lange bist du denn schon hier, Gaius?“ fügte sie gleich noch eine Frage an, während sie den Bediensteten ein Zeichen gab, dass sie die ersten Getränke und Vorspeisen bringen sollten.

    Nachdem sie einmal entschieden hatten, die Adoption in die Wege zu leiten, wollten sie das auch so bald wie möglich erledigen – umso mehr, da sie für Silana klare Familienverhältnisse schaffen wollten, bevor das Kind auf die Welt kam. Was hieß, dass das eine der seltenen Gelegenheiten war, die Seiana nun, wo die Geburt nicht mehr allzu fern war, ihr Heim doch noch mal verließ.
    Sie grüßte den Legat ebenfalls, als sie sein Büro betraten, hielt sich aber im Übrigen zurück und überließ zunächst ihrem Mann und seinem Patron das Reden. Sie nickte allerdings, als der Duccius sie ansprach. „Ich habe darüber mit ihr gesprochen.“ Sie lächelte Silana flüchtig zu. Das Mädchen mochte noch einige Jahre haben, bis sie die bulla ablegen würde, aber dennoch war sie alt genug um begreifen zu können, was hier vor sich ging.


    Nachdem Seneca als erster seine Einwilligung erklärt hatte, richteten sich die Augen auf Silana, die davon erst mal ein wenig eingeschüchtert da stand, sich dann aber einen Ruck gab und sagte: „Ja.“ Und nach einem weiteren Moment, als ihr offenbar klar wurde dass das womöglich nicht ausreichend war: „Also. Ich will adoptiert werden.“ Eine ihrer kleinen Hände schob sich in Senecas.

    Gerade noch hatte sie darüber nachgedacht, dass sie erleichtert war, dass Massa zumindest einen neutralen Standpunkt einnahm, was die Streitigkeiten innerhalb der Familie betraf – aber als er sie umarmte zur Begrüßung, konnte Seiana nicht leugnen, dass sie nicht nur erleichtert war, sondern ihr ein Stein vom Herzen fiel. Genug, dass sie zur Abwechslung nicht mal ein Augenverdrehen für Senecas Schmeichelei übrig hatte, was sie sonst immer mindestens auf Lager hatte, wenn er mit derartigen Komplimenten anfing.
    Sie erwiderte die Umarmung, so kurz sie auch ausfallen mochte, und ihr Lächeln wurde noch etwas offener. „Na, wenn ein Holzsplitter das Schlimmste war, muss die Reise ja wirklich sehr ereignslos gewesen sein. Den Göttern sei Dank dafür.“ Seiana setzte sich ebenfalls in einen der Sessel, als ihr Cousin wieder Platz nahm, froh darüber, nicht allzu lange stehen zu müssen – es war im Grunde das erste Mal seit der Geburt, dass sie ihre Gemächer für längere Zeit verließ, und ein leichter Schwindel war nie fern, wenn sie aufrecht stand. Kein Grund herauszufordern, dass er schlimmer wurde. „Danke“, erwiderte sie auf die Gratulation hin, „und ja, es geht ihm gut.“ Noch war der Junge erst ein paar Tage alt – nicht einmal neun, nicht einmal genug, um schon vom Vater offiziell aufgehoben zu werden und einen Namen zu bekommen –, und Seiana wollte nichts verschreien, aber jeder weitere Tag vergrößerte die Chancen, dass das Kind auch weiterhin überleben würde. „Erschöpft, nach wie vor. Aber auch gut.“ Sie reichte Seneca eine Hand und drückte die seine kurz. „So bald es mir wieder gut geht, müssen wir Iuno ein Dankopfer darbringen dafür. Und was Germanien angeht... Was soll ich sagen? Die meiste Zeit ist es kalt hier, und ich habe nicht das Gefühl, dass man sich daran je gewöhnen würde. Und mit Rom ist Mogontiacum freilich nicht zu vergleichen. Aber die Menschen sind freundlich, und das Leben ist...“ Sie überlegte einen Moment und entschied sich dann für: „ruhiger. Auf angenehme Art ruhiger.“ Als sie jünger gewesen war, wäre es ihr wohl zu ruhig gewesen, aber inzwischen hatte sie eine Phase in ihrem Leben erreicht, in der ihr das gut tat. In der sie die Aufregung und die Anstrenungen und die Intrigen Roms gar nicht mehr haben wollte.

    Selbst als die Hebamme Seneca aus dem Raum geworfen hatte, dauerte es noch. Allerdings wurden die Wehen nun häufiger – und heftiger. Was Seianas Wunsch danach, dass es schneller gehen sollte, nur verstärkte, ihr allerdings bald keine Ruhe mehr ließ sich darüber hinaus Gedanken zu machen. Dennoch: so viele Sorgen sie sich vorab gemacht hatte – jetzt, während der Geburt, hatte sie das Gefühl es wäre... einfacher als das letzte Mal. Schon allein weil die ganze Situation eine andere war. Sie war nicht allein, nur mit einer Hebamme und zwei, drei Sklaven. Sie war nicht irgendwo in einer kleinen Wohnung und versteckte sich. Es tobte kein Bürgerkrieg, in dem Seneca kämpfte... Stattdessen war sie in ihrem Heim, umgeben von fast schon zu viel Menschen, die sich um sie kümmerten, und sie wusste, dass Seneca nicht nur sicher, sondern ganz in der Nähe war. All das trug so viel dazu bei, dass sie sich wohler fühlte – entspannter war, trotz der Angst, die sie natürlich hatte, auch wenn sie das nicht zugeben wollte. In den sehr frühen Morgenstunden – fast noch Nacht, eigentlich – war es schließlich so weit: das Kind wurde geboren. Ein Sohn, wie die Hebamme ihr mitteilte. Müde schloss Seiana für Momente die Augen, während wie bereits die ganze Zeit schon die Hebamme und die Helferinnen mit ruhiger Hand weiter ihre Arbeit machten, das Kind wuschen und sich um Seiana kümmerten. Als die Hebamme es ihr dann an die Brust legte für die erste Milch, öffnete sie die Augen wieder, aber erst, als der Junge fertig und auch die Nachgeburt gekommen war, erst als auch sonst Mutter, Kind und der Raum ordentlich wieder hergerichtet waren – wenn auch nichts über den Umstand hinweg täuschen konnte, dass hier eine Geburt stattgefunden hatte, sowohl Seiana unfassbar erschöpfter Anblick als auch der Geruch waren Indiz genug dafür – wurde der Vater gerufen.

    Seiana bekam nur halb mit, wie Seneca mit ihrer Tochter hinausging. Sie stand einfach nur verkrampft da und wartete, bis die Wehe vorbei war. Die Abstände waren noch verhältnismäßig groß, die Hebamme hatte erst vor kurzem ein weiteres Mal nach ihr gesehen und nur das gleiche wiederholt: es würde dauern. Wie lange, konnte auch sie nicht sagen. Flüchtig sah sie nach draußen, als sich ihr Körper ein weiteres Mal entspannte, wo es mittlerweile schon dunkel geworden war, und in dem Moment kam Seneca wieder herein. Sie drehte sich um und lehnte sich leicht an den Tisch. „Es würde besser gehen, wenn es schon vorbei wäre.“ Sie merkte selbst, dass sie ein wenig zickig klang, und seufzte. „Entschuldige. Im Moment eigentlich ganz gut. Das Warten geht mir nur auf die Nerven.“ Das Warten, und die Schwangerschaft, und die Wehen, die momentan einfach noch nicht zulegen wollten, jedenfalls nicht in dem Tempo, in dem sie es gerne hätte. Sie wollte es hinter sich haben. So oder so.


    Allerdings dauerte es noch weiterhin. Seneca leistete ihr Gesellschaft. Obwohl Seiana ihm versichert hatte, dass er das nicht müsste, bestand er dennoch darauf zu bleiben. Und sie... nun, auch wenn es zumindest einem Teil von ihr lieber gewesen wäre, wenn er sie nicht so erleben würde, brachte sie es trotdzem nicht über sich, ihn wegzuschicken. Es half ihr, dass er da war, jedenfalls so lange er seine eigene Aufregung im Griff hatte. Und nachdem erst mal klar war, dass die Sache sich noch etwas hinziehen würde, beruhigte er sich zusehends. Erst als irgendwann mitten in der Nacht die Abstände zwischen den Wehen sich immer mehr verkürzten, änderte sich das wieder... aber als das so weit war, übernahm ohnehin die Hebamme das Kommando – und schickte ziemlich resolut den werdenden Vater vor die Tür. Wenn es erst mal wirklich losging, hatten Männer nichts dabei zu suchen.

    Es dauerte ein kleines bisschen, bis auch Seiana im Triclinium auftauchte. Die Geburt war vier Tage her, und anstrengend wie sie gewesen war, verbrachte Seiana derzeit noch recht viel Zeit im Bett... was hieß, dass sie sich jetzt erst ein wenig herrichten musste, bevor sie Besuch empfangen konnte – selbst wenn es Verwandtenbesuch war. Sie war immer noch recht blass, dagegen konnte sie wenig tun, und sich zu bewegen war nicht unbedingt das Angenehmste, aber ansonsten ging es ihr verhältnismäßig gut. „Appius“, lächelte sie leicht, als sie sich näherte. Sie hatte von Seneca schon erfahren, dass er ihn vor einigen Tagen in der Ala besucht hatte und kommen würde, sobald die erste Eingewöhnungszeit als Tribun vorüber war und er es in der Legio ein wenig ruhiger hatte. Seneca hatte ihr auch schon erzählt, was Massa ihm gesagt hatte – dass er kein Problem mit ihrer Ehe hatte. Sein Brief hatte das schon vermuten lassen, oder zumindest dass er nicht vorhatte das zu thematisieren, aber dennoch war Seiana sehr erleichtert darüber. „Wie schön, dass du es geschafft hast. Hattest du eine gute Reise hierher?“

    Die Sklaven verdrehten nur die Augen – wohlweislich so, dass der Hausherr es nicht sehen konnte –, und gingen weiter ihrer Arbeit nach. Die Hebamme hatte alles im Griff, dafür brauchte es keinen werdenden Vater, der wie ein aufgescheuchtes Huhn angestürmt kam und meinte sich einmischen zu müssen in Dinge, von denen andere mehr Ahnung hatten als er.
    Seiana unterdessen sah tatsächlich ein wenig überrascht auf, als Seneca hereinplatzte. Und, gelinde gesagt, einen Hauch Panik mit sich brachte, auf den sie nur zu leicht reagierte. Sie hatte ja selbst Angst. Vor den Schmerzen. Davor dass etwas schief ging. Und davor dass sie nichts tun konnte außer abzuwarten und es geschehen zu lassen. Ihr Körper machte gerade was er wollte, sie konnte die Wehen weder aufhalten noch beschleunigen, und das raubte ihr selbst die Illusion von Kontrolle.
    Kurz gesagt: sie hatte eigentlich nicht den Nerv, sich jetzt auch noch um Seneca zu kümmern. Sie hatte genug damit zu tun, sich selbst abzulenken. Seiana atmete tief durch. „Alles in Ordnung“, murmelte sie, und verkniff sich das noch. Zum Glück, denn im nächsten Augenblick sah sie Silana hinter ihm hervorlugen, die offenbar ihren Aufpassern entkommen war. Warum konnte das Kind in solchen Momenten nicht einfach tun, was sie ihr sagte? „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst in deinem Zimmer warten?“ fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wenn ihr helfen wollt, dann macht keinen Wirbel. Die Hebamme hat gesagt, dass es noch eine ganze Weile dauern kann.“ Und bis es so weit war, sollte sie lieber keine Kraft dafür verschwenden sich aufzuregen. Oder aufregen zu lassen. Am liebsten hätte sie Seneca das gesagt, und auch, dass es besser wäre wenn er ging, sollte er nicht in der Lage sein seine eigene Aufregung zurückzustecken und einfach... einfach für sie da zu sein. Aber auch das verkniff sie sich angesichts der Anwesenheit ihrer Tochter. Stattdessen wandte sie sich nur wieder den Schriftrollen zu – das hieß, sie wollte es, aber in dem Moment ließ eine weitere Wehe ihren Bauch verkrampfen, und ihre Finger krampften sich flüchtig in die Tischplatte, während sie angespannt da stand und mit angehaltenem Atem darauf wartete, dass es vorüber ging.

    Es war Nachmittag, als Seiana bemerkte, dass es losging. Zunächst waren es nur leichte Krämpfe, die ihren Bauch durchzogen – leichte, ähnlich der Art, wie auch die Vorwehen gewesen waren, die in den vergangenen Wochen gekommen waren. Aber diesmal hörten sie nicht wieder auf, und spätestens als die Fruchtblase platzte, war eindeutig, was kommen würde. Ein Teil von ihr freute sich, dass es endlich so weit war, dass die Schwangerschaft endlich ein Ende fand... aber der größere Teil hatte Angst, auch wenn sie das nicht zugeben wollte. Sie hatte nicht die besten Erinnerungen an Silanas Geburt – umso mehr, weil diese auch nicht unter normalen Umständen stattgefunden hatte. Sie war nicht erpicht auf die Schmerzen, die damit einher gingen. Und sie wusste nur zu genau, welches Risiko bestand. Sie war gerne gut informiert und dachte in aller Regel rational, und normalerweise half ihr das, bei ihren Betrieben, bei ihren Tätigkeiten. In diesem Fall half es ihr gar nicht, sondern verstärkte ihre Sorge eher. Aber sie konnte nichts daran ändern, weder am Risiko, das bestand, noch daran dass die Geburt nun begonnen hatte – was noch so ein Punkt war, der sie störte: sie hatte gern die Kontrolle. Vor allem, wenn es um sie selbst ging. Schwangerschaft und Geburt... da gab es wenig, was sie beherrschen konnte. Sie wurde mehr oder weniger fremdbestimmt, bis hin zu dem Punkt, dass sie noch nicht mal beeinflussen konnte wann die Geburt anfing und wie lange sie dauerte, und sie konnte das einfach nicht leiden. Aber: es war nun mal wie es war. Und so ließ Seiana die Hebamme rufen und schickte einen Boten los, der Seneca Bescheid geben sollte.
    Als die Hebamme kam und sie untersuchte, war deren erste Einschätzung – leider: das dauert noch eine Weile. Und so versuchte Seiana sich abzulenken und war gerade dabei, in ihren Gemächern eine Neuordnung ihrer Schriftrollen vorzunehmen, als Seneca hereinkam.

    „Bitte was?“ fragte Seiana nach, zuerst ein wenig verwundert, weil sie nicht ganz begriff was Seneca meinte. Dann wölbte sich eine ihrer Augenbrauen leicht nach oben. „Ich rede auch von Freundinnen. Was glaubst du, was Elena für mich war?“ Dem Namen nach Leibsklavin, aber tatsächlich die beste Freundin, die sie je gehabt hatte. Auch wenn sie schon seit Jahren nur noch schriflichen Kontakt mit ihr hatte... und selbst mittlerweile nur noch sporadisch war. Zu der ersten Augenbraue gesellte sich die zweite. „Und du weißt genau, wie ich aufgewachsen bin. Von der mächtigen Gens habe ich als Kind wenig gemerkt.“ Ihre Mutter war streng gewesen und hatte ihre Kinder so erzogen, dass sie der Gens Decima gerecht werden würden – aber gleichzeitig hatte sie immer versucht, alles allein zu schaffen, und nur wenig Hilfe angenommen. Schon allein, weil ihr Mann, Seianas Vater, letztlich nur ein einfacher Soldat gewesen war.
    Dann war auch auf ihrem Gesicht ein Hauch von Schalk zu sehen. „Augusta...“ murrte sie gespielt. „Wenn du das ernst meinen würdest, würdest du mir nicht immer widersprechen...“


    Was einen möglichen Lehrer anging... ja, alt genug war Silana, um sich darüber Gedanken zu machen. „Die Frau des Helvetius? Das ist eine Duccia, richig?“ fragte Seiana nach, war sich aber recht sicher. „Wenn du für sie schon eine Empfehlung hast, gerne, lass uns mit ihr reden. Vielleicht würde sie Esquilina und Silana auch zusammen unterrichten, wenn sich das einrichten lässt.“
    Sie griff nach seiner Hand, als er ihr über die Wange strich, und hielt sie für einen Moment fest. Endlich wird das alles normal, echote es in ihrem Kopf. Seneca lächelte dabei, aber sie musste ein Seufzen unterdrücken. Es hätte anders laufen sollen, eigentlich. Von Anfang an. Aber daran konnten sie nichts mehr ändern. Sie zog seine Hand zu ihren Lippen und küsste sie leicht. „Danke dir“, murmelte sie.

    Seiana legte ihren Kopf leicht zur Seite und musterte ihn nachdenklich. „Ja... aber die Mädchen ständig hin und her zu bringen ist auf Dauer auch keine Lösung.“ Auch wenn Seiana durchaus dafür war, dass ihre Tochter Esquilina öfter sah, war es viel zu umständlich – und auch gefährlich – sie ständig durch die Gegend zu schicken. „Das einfachste wäre, wenn wir ein paar Bedienstete anstellen, die Kinder im passenden Alter haben.“ Derzeit war das bei ihnen nicht der Fall, und da sie außerhalb von Mogontiacum lebten und es nicht wirklich Nachbarn gab, hatte Silana tatsächlich nicht wirklich Spielkameraden. Sie hätte das bedenken sollen bei der Auswahl der Amme für das Ungeborene... aber dafür war es zu spät, sie würde nicht jetzt, so kurz vor der Geburt, noch nach einer anderen suchen. Aber den ein oder anderen neuen Bediensteten konnten sie durchaus anstellen. „Sie ist im richtigen Alter, um einen Lehrer zu bekommen, das ja. Aber ich denke du hast Recht – sie sollte jemanden in ihrem Alter haben.“
    Was die Adoption anging, wollte sich in Seiana immer noch etwas dagegen wehren... sie hatte immer noch die Befürchtung, dass jemand Verdacht schöpfen könnte, dass die Adoption mehr war als nur das. Aber sie wusste, dass das irrational war. Es war mittlerweile nun wirklich genug Zeit vergangen... und Silana würde es gut tun. Seneca würde es gut tun. Also nickte sie. „Dann machen wir das.“ Ein vorsichtiges Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

    Als Seneca etwas unbedarft, jedenfalls klang es für sie so, nachfragte, konnte sich Seiana trotz der eher getrübten Stimmung ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Künstlerische Integrität“, wiederholte sie. „Wenn sie wirklich die Kunst über alles stellen. Viele tun aber auch nur so... genau bei denen musst du aber aufpassen, weil sie erst recht beleidigt sind, wenn du das in Frage stellst.“ Sie schüttelte den Kopf, als Seneca fragte ob sie sich nicht lieber hinlegen wollte. „Zu lange liegen ist auch nichts.“ Dann musste sie nur am nächsten Morgen früher aus dem Bett. Es war fast egal, welche Haltung sie einnahm, auf Dauer war keine mehr ideal.
    „Das würde ich nicht sagen“, erwiderte sie langsam, und meinte das auch so. „Du musst wissen, wo für dich die Grenze ist.“


    Als es um ihre Tochter ging, wurde Seiana still. Er machte sich also Sorgen um sie. Und von dem was er sagte... Seiana sah zur Seite. „Ich war früher nicht so“, murmelte sie leise. Silana kam nicht nach ihrer Mutter. Als Kind war Seiana noch anders gewesen... sicher, immer schon irgendwie überlegter, das ja. Aber das hatte sie eingesetzt, um die Nachbarskinder zu übertrumpfen. Ihren kleinen Bruder zu verteidigen. Ihre Tochter schlug also nicht so sehr nach ihr, sondern nahm sie sich höchstens zum Vorbild, die Frau, zu der sie geworden war, die Frau, die sie jeden Tag erlebte. „Wenn dann... richtet sie sich nach dem heute.“ Was nichts anderes hieß als: dass ihre Tochter so in sich gekehrt war, lag an ihr. War ihre Schuld. Aber sie selbst sah sich nicht wirklich in der Lage, ihr etwas anderes vorzuleben. Was Silana fehlte, war eine Freundin... eine wie sie selbst über lange Jahre hinweg in Elena gehabt hatte. Eine Leibsklavin, die mit ihr aufgewachsen war, und die für Seiana nie wirklich Sklavin gewesen war, auch wenn die Rollen natürlich klar verteilt gewesen waren. Eine, die sich im Gegensatz zu Seiana ihre fröhliche und unkoventionelle Art all die Jahre hatte bewahren können, und die ihr stets geholfen hatte.
    Und dann war da noch der Status. Seneca hatte Recht: Silana war inzwischen alt genug, um das zu begreifen. „Das ist nicht dein Fehler, Aulus. Es hat ein Grund, dass wir so lange damit warten.“ Zumindest Seiana hatte nie das Risiko eingehen wollen, dass jemand misstrauisch wurde, wenn sie diesen Schritt zu schnell gegangen wären. Aber mittlerweile... war eigentlich genug Zeit vergangen. Selbst für sie, die so vorsichtig war, und für die weit mehr auf dem Spiel stand als für ihn. „Aber wir könnten das nun wirklich langsam angehen, denke ich.“

    Seiana unterdrückte ein neuerliches Seufzen. Einfach das andere Extrem zu nehmen war doch auch keine Lösung, fand sie. Dass Seneca das nur gesagt hatte um die Situation aufzulockern, fiel ihr in diesem Moment nicht wirklich auf. „Natürlich solltest du ein Auge darauf haben. Nach wie vor gilt: wenn dir das Risiko zu groß ist, solltest du Konsequenzen ziehen. Aber du musst halt abwägen, für wie groß du das Risiko wirklich hältst. Ich finde...“ Sie zögerte einen Augenblick und formulierte ihre Ansicht dann ein bisschen zurückhaltender, als sie es zuvor getan hatte. „Mir erscheint das Risiko einfach nicht groß genug, um das Theaterstück abzusagen. Aber das ist nur meine Meinung.“
    Sie war ein wenig erleichtert, als sie wieder saß, was ihr einmal mehr verdeutlichte, wie eingeschränkt sie derzeit war. Wie sehr ihr die Schwangerschaft auf die Nerven ging. „Dann nutz das“, erwiderte sie. „Zumindest um den Respekt einzufordern, den du verdienst. Die meisten Menschen haben irgendetwas, woran man sie packen kann, da machen Künstler keine Ausnahme. Du musst nur herausfinden was es ist. Bei manchen ist es das Geld. Bei manchen ihre künstlerische Integrität.“ Sie veränderte noch mal ihre Sitzhaltung und rückte ein Kissen in ihrem Rücken zurecht, damit sie mehr Stütze dort hatte – allein schon das Kreuzweh, dass man bekam... so sehr sie die Geburt fürchtete, sie konnte es wirklich nicht erwarten, bis es endlich vorbei war. „Ich werde bei den Proben nicht anwesend sein können, aber wenn Menelaos das Stück fertig hat, kannst du mir eine Abschrift zum Lesen geben. Dann kann ich zumindest darauf auch ein Auge werfen. Und wir können gemeinsam schauen, welche Dinge auf jeden Fall geändert werden sollten.“
    Als Seneca sich dann dafür entschuldigte, womit er in dieses Gespräch – diesen Streit – eingestiegen war, sah Seiana zur Seite und presste die Lippen aufeinander. Sie machte sich selbst immer wieder mal zu viele Gedanken um genau dieses Thema, wusste selbst zu genau, dass er nicht Unrecht gehabt hatte, als dass sie sich nun hätte freuen können, dass er sich für seine Worte entschuldigte. „Machst du dir wirklich Sorgen um sie?“ fragte sie leise.

    Es ging gar nicht um den Inhalt? Seiana starrte ihren Mann an, als er das sagte. Wo war dann überhaupt das Problem, wenn es ihm nicht um den Inhalt ging? Wenn er sich Sorgen machte, dass es zu Unruhen kommen könnte deswegen, ging es ihm natürlich um den Inhalt! Nicht nur, offenbar, aber zumindest auch. Sie sagte dazu aber im Moment nichts, weil Seneca schon weiter sprach, und es spätestens jetzt offensichtlich wurde, was ihm zusätzlich noch auf dem Herzen lag. Menelaos ging also ungebührlich mit ihm um. Obwohl Seiana sauer auf ihn war, glaubte sie ihm trotzdem, dass es tatsächlich so war, wie er beschrieb, und dass er sich das nicht nur einbildete. Warum er sich das allerdings gefallen ließ, war ihr ein Rätsel. Aber das war wohl wieder einfach er. Er war mittlerweile Praefectus Alae – und dennoch nach wie vor der Mann, den sie kennen gelernt hatte. Der zwar seinen Soldaten gegenüber entsprechend auftreten mochte, wie es nötig war, der aber sonst zurückhaltend und freundlich war.
    Sie unterdrückte ein Seufzen, als Seneca sie nun fragte, was er tun sollte. Sie war gerade nicht sonderlich erpicht darauf, ihm nun zu helfen, nicht nach den unschönen Dingen, die er ihr – noch dazu grundlos, wie sie meinte – an den Kopf geworfen hatte. Sie hatte auch keine Lust sich hinzusetzen, einfach nur, weil er es war, der ihr das gesagt hatte. Aber das war nur Trotz, sie wusste es, und sie wusste, dass er Recht hatte. Also setzte sie sich wieder hin, ein wenig mühsam. „Ich weiß auch nicht, was du tun sollst. Mit Entlassung kannst du ihm nur drohen, wenn du es im Fall des Falles auch durchziehen würdest. Aber das ist das beste Druckmittel, das du hast, von daher... nutz es wenigstens dafür, dass er sich anständig benimmt dir gegenüber. Darauf wird er sich zumindest leichter einlassen als darauf, sein Stück zu ändern.“ Sie könnte vielleicht auch noch mit ihm reden und versuchen auf ihn einzuwirken... aber das sagte sie nicht laut. Sie glaubte nicht, dass Seneca das wollen würde. Es hatte zu sehr den Beigeschmack davon, dass er seine Frau vorschickte, um den ihm zustehenden Respekt einzufordern. Keiner machte das gern. Kein Mann jedenfalls, und zumindest in dieser Hinsicht war Seiana ganz genauso und konnte das daher sehr gut nachvollziehen. „Ansonsten... gängel ihn. Lass dir die einzelnen Schritte seiner Arbeit vorlegen, lass dir beschreiben was in dem Stück vorkommt und wie er vorhat es zu inszenieren. Wenn er etwas gegen Soldaten hat, solltest du das auch, am Ende hast du sonst keine Unruhen von den Barbaren zu befürchten, sondern von deinen eigenen Milites, weil sie zu schlecht wegkommen.“

    „Ach“, machte Seiana. „Dein Blick hat also die richtige Trübung, ja? Und bei mir sind es nur Umgarnereien eines griechischen Künstlers, auf dessen Worte ich reinfalle? Das ist das einzige, was hier absurd ist!“ Sie schnaubte, ein ziemlich undamenhaftes Geräusch, das eher selten von ihr zu hören war. „Wenn es dir zu riskant ist, dann zieh die Konsequenzen. Sag Menelaos, dass das Stück so nicht stattfinden kann und wird, und er es entweder ändern muss oder gehen kann! Ich kann dir nur jetzt schon sagen: dann wird er gehen. Glaubst du wirklich, dass das Risiko so groß ist, um das in Kauf zu nehmen?“ Sie fand die Argumentation lächerlich. Ja, es gab ein Risiko, und ja, sie konnte verstehen, dass Seneca das minimieren wollte. Aber wenn er gar keins eingehen wollte, durfte er so was halt nicht tun. Dann dürfte er eigentlich herzlich wenig tun, außer mit seinen Männern ständig zu patroullieren.
    Seiana stemmte eine Hand in die Hüfte, um ihren Rücken etwas abzustützen, und sah ihren Mann an. „Tut er das wirklich? Dich für einen Dummkopf halten?“ Dann natürlich konnte sie verstehen, dass er gereizt war. So was ließ sie sich auch nicht gern gefallen. Genauer gesagt ließ sie es sich gar nicht gefallen, wenn sie den Eindruck hatte jemand würde sie wie einen Dummkopf behandeln. „Solche Menschen sind einfach ein eigener Schlag. Du musst nur wissen, wie du sie zu nehmen hast.“ Seiana seufzte. „Was willst du jetzt tun?“

    „Das klingt aber irgendwie nicht so“, entgegnete Seiana. Wenn sie anderer Meinung sein durfte, warum war es dann ein Problem, dass sie das auch gesagt hatte?
    Bei Senecas nächsten Worten stockte sie allerdings kurz. Behandelte Menelaos ihn wie einen Narren? Das war ihr so noch nie aufgefallen – allerdings hatte sie auch noch nie wirklich mitbekommen, wie der Grieche mit ihrem Mann umging. Aber das wurde zweitrangig, als Seneca weiter sprach. „Bitte was?“ machte sie schon wieder, diesmal noch fassungsloser, und jetzt war der Moment gekommen, wo sie sich mühsam aus dem Sessel stemmte, weil sie es nicht mehr aushielt sich nicht zu bewegen. „Oh nein. Oh nein! Du weißt, was ich von Komplimenten halte, und dass ich mich von so was nicht einwickeln lasse! Und du schiebst das jetzt auch nicht auf die Schwangerschaft! Ich bin einfach anderer Meinung, das hat damit nicht das Geringste zu tun!“ Was fiel Männern eigentlich immer ein? Warum fanden sie immer irgendwelche Ausreden, wenn Frauen ihnen nicht zustimmten, anstatt einfach mal zu akzeptieren, dass sie anderer Meinung waren? „Verhindert einen klaren Blick, von wegen! Wenn mein Blick dadurch getrübt ist, ist es deiner genauso, durch die Unruhen, die du erlebt hast!“
    Seiana war ein paar Schritte hin und her gegangen, blieb aber nun in der Mitte des Raums stehen. „Ich weiß, wie viel du schon investierst hast. Genau deswegen will ich verhindern, dass Menelaos jetzt noch abspringt. Aber davon mal abgesehen: ich glaube nicht, dass es Probleme machen wird, nicht nach dem was er beschrieben hat! Sag ihm halt noch mal, dass er strikt darauf zu achten hat, dass die Probleme nicht überzeichnet werden und das Ende auch wirklich versöhnlich ist! Er wird dich schon nicht auflaufen lassen, warum sollte er das tun?“

    „Du willst doch nicht etwa behaupten, dass hier ein zweiter Arminius lebt! Das war vor über hundert Jahren!“ entgegnete Seiana durch zusammengepresste Zähne hinaus. Natürlich war ihr Arminius ein Begriff. Und natürlich wusste sie, dass nicht alle hier so römisch waren und dachten, wie sie sich nach außen hin geben mochten. Trotzdem war sie Überzeugung, dass ein Stück, wie Menelaos es vorgestellt hatte – wenn es denn ein versöhnliches Ende hatte – eher Gutes bewirken konnte. Und dass er ihr nun vorwarf, nicht auf sie zählen zu können... das saß. Sie hatte sich mit ihrem Bruder zerstritten wegen ihm. Sie war ihm nach Germanien gefolgt. Sie bemühte sich wirklich, die Frau zu sein, die jemand wie er verdient hatte. Aber das hier... das hatte damit doch nichts zu tun. Aber er warf es ihr trotzdem vor, und das obwohl sie nur fand, dass er es mit seinen Bedenken schlicht übertrieb. Aber zusätzlich war offenbar noch sein Ego angekratzt, und das war etwas, was sie nun gar nicht nachvollziehen konnte. „Die... bitte was? Was redest du da für einen Blödsinn?“ fauchte sie zurück. Wie ernst ihm das war, wie nahe ihm das ging, bemerkte sie in diesem Moment nicht wirklich. „Was sollen Lucia und Menelaos schon denken? Darf ich nicht mehr anderer Meinung sein als du was ein Theaterstück angeht? Davon abgesehen kenne ich diesen Typ Mensch! Menelaos würde hinwerfen, wenn er seine Ideen nicht umsetzen kann wie er möchte, fällt dir das nicht auf?“