„Immer noch da“, grinste der. Seiana warf ihm einen scharfen Blick zu – und machte dann eine auffordernde Kopfbewegung. „Informier die Lectrix. Und dann versuch was rauszufinden.“ Ohne ein weiteres Wort sprang der Mann auf und verschwand. Und Seiana machte nahtlos weiter. „Decrius und Trebius, seht zu, dass ihr nach Misenum kommt und dort in Erfahrung bringt, was passiert ist. Denkt daran, dass ich einen Verwandten bei der Classis habe... vielleicht weiß der was. Siculus und Marcius, ab nach Mantua. Ich will wissen, wenn sich bei der Legio I was tut. Und reitet getrennt voneinander, falls einer aufgehalten wird!“ Natürlich würden die vier nicht so blöd sein und an den Toren zugeben, dass sie Stadtrömer waren, sondern selbstverständlich aus besagten Städten stammen und nur das Weite suchen wollen, nachdem in Rom jetzt alles auf dem Kopf stand... aber man wusste ja nie. „Columnus und Salonia: Kaiserliche Kanzlei, Forum, Märkte – klappert alles ab. Schnappt Gerüchte auf. Kommt mit den Urbanern ins Gespräch, wenn möglich – versucht es mit den Ausrufern des Notstands, die sind vielleicht eher gewillt, zu reden, bevor sie euch heimschicken. Nehmt noch ein paar mit und verteilt euch. Geht aber kein Risiko ein. Wenn die Urbaner euch weghaben wollen, verschwindet, bevor ihr Ärger kriegt. Seid brav, gebt vor auf dem Heimweg von der Arbeit zu sein. Und macht woanders weiter. Vibienus, zur Castra Praetoria. Der Praefectus Urbi wird dich kaum empfangen, aber lass ihm die Nachricht überbringen, dass die Acta jede Mitteilung veröffentlicht, die er hat. Und vielleicht lässt sich bei der Gelegenheit auch was rausfinden.“ Und hier machte Seiana eine kleine Pause, ging das Gesagte im Kopf durch und überlegte, ob sie etwas vergessen hatte.
Hatte sie tatsächlich. Vibienus machte sie darauf aufmerksam. „Was ist mit deinem... dem Praefectus Praetorio?“
Ja. Was war mit dem. Seiana presste die Lippen aufeinander, während sie überlegte, was sie mit dem tun sollte. Sicher eine gute Quelle... nur was sie sich bei weitem nicht sicher, ob sie von ihm irgendwas erfahren würde. Sie wusste noch zu genau, was er ihr über die Reise ihres Bruders verraten hatte – nämlich nichts. Und Faustus selbst war nicht hier, den sie irgendwie hätte versuchen können abzufangen und auszufragen... was schwierig genug werden dürfte, bei dem was gerade los war, ganz davon abgesehen, dass Seiana sich auch bei ihrem Bruder ganz und gar nicht sicher war, ob der ihr etwas verraten würde, was er eigentlich nicht sagen durfte... enges Verhältnis hin oder her. „Ja, zu ihm muss auch jemand“, antwortete sie nach einem Moment. Blieb nur noch die Frage offen, wen sie schicken sollte. Nachdenklich rieb sie sich über ihr Kinn, während sie überlegte, was wohl besser war – im Sinne von: wer mehr Erfolg haben würde. Ein Acta-Mitarbeiter oder einer ihrer Sklaven? Sie zögerte einen Moment... dann entschied sie, dass einer ihrer Sklaven wohl mehr Chancen haben würde, vom Terentius tatsächlich empfangen zu werden. „Álvarez wird dich begleiten, Vibienus.“
„Was ist, wenn uns die Urbaner aufhalten?“
Seiana zögerte kurz, dann antwortete sie: „Sagt ihnen, wer ihr seid und wo ihr hin wollt. Wenn sie euch trotzdem zurück schicken: bittet sie, die Botschaft zu überbringen.“
Und dann... wartete sie. Wartete. Und wartete. Entgegen ihrer üblichen Angewohnheit blieb sie im Redaktionsraum, gemeinsam mit dem Rest, den sie nicht losgeschickt hatte... und der sich auch nicht verabschiedet hatte. Sie kannte ihre Leute, sie wusste, wen sie für was einsetzen konnte... und so verwunderte es sie auch nicht bei denen, die nach und nach zu ihr kamen und sie fragten oder darum baten, gehen zu können. Angesichts der Ungewissheit... Ausgangssperre... es waren hauptsächlich freie Mitarbeiter, keine Subauctores, die es heute in die Acta verschlagen hatte und die verschwanden, und schließlich war Seiana fast allein, nur ihr zweiter Leibwächter hielt sich noch wie ein Schatten im Hintergrund auf, und zwei weitere Subauctores waren da. Hin und wieder führten sie eine leise Unterhaltung, stellten Mutmaßungen an – was passiert war. Wer schuld war. Wie es weiter ging. Aber im Großen und Ganzen hing jeder seinen eigenen Gedanken nach, während sie warteten.
Wer allerdings als erstes eintraf, war nicht etwa einer ihrer Leute, sondern jemand völlig anderes. Ion brachte einen Mann in Classis-Uniform herein, und noch bevor Ion, der Türhüter, den Mann ankündigen konnte, stand Seiana stirnrunzelnd auf und betrachtete den Mann. „Salve, Nauta... was willst du?“