hortus et peristylium

  • Ich beobachtete Faustus dabei, wie er sich nun selbst seinen Wein einschenkte. Eigentlich wäre es ja Muckels Aufgabe gewesen, doch auf mein anhaltendes Maulen konnte er sich zu späterer Stunde einstellen. Im Moment war meine Aufmerksamkeit bei meinem Cousin, der gerade einige recht treffende Worte über Ovid verlor, der meines Erachtens tatsächlich pure Poesie war und über dem man einiges vergessen konnte. Nicht umsonst hatte ich ihn zu meiner Lektüre erkoren. Auch wenn er bisweilen vielleicht so schwergängig war wie ein festgefahrenes Wagenrad. Warum genau ich mir gerade diesen Elegiker auserkoren hatte wusste ich selbst nicht genau, doch wahrscheinlich lockte mich eben gerade das harte Ringen um Liebe und Sinnesfreuden. Letzteres war ja schließlich auch das, was mich stets trefflich vom Ernst des Lebens fern hielt.


    Ich räusperte mich flüchtig, während Faustus nun lächelte. “Ja, streben, bekommen und verlieren... wie das Leben nun mal ist,“ brachte ich dann heraus und wischte noch einmal über den auf dem Tisch liegenden Papyrus. “Das lehrt Demut!“ Im Anschluss an mein Fazit seufzte ich ein wenig, doch Faustus war noch nicht am Ende seiner Fragen.


    Sah ich so aus, wie jemand der unterstützt werden musste? Bestimmt musste es so sein, denn welcher Mann der bei Verstand war isolierte sich schon vom Rest der Welt und stürzte sich Hals über Kopf über in eine Karaffe Wein und einen Dichter wie Ovid? Meine Geschäfte? Ich horchte auf. Im ersten Moment fühlte ich mich peinlich berührt, dass Faustus mich unterstützen wollte, doch letzten Endes identifizierte ich diese Offerte wohl als das was sie war: Ein freundliches Angebot. Ich nickte eifrig und seufzte neuerlich, während sich meine Lippen ein wenig zusammen pressten. Die nächste Frage ergab sich wohl wie von selbst. Es war eine Frage, die ich mir ja eigentlich schon die ganze Zeit selbst gestellt hatte. Immer und immer wieder. Des Nachts, des Tags und überhaupt. Sogar im Balneum – nackt und bloß – verfolgte sie mich und raubte mir die von der Natur zur Verfügung gestellte Grundentspannung, welche mir eigentlich zu Eigen war.


    “Nun ja...,“ begann ich ein wenig unschlüssig. “Ich habe gerade mit meiner Sklavin Nelia … also ich habe sie frisch erworben... und eben Muckel hier...,“ Ich deutete noch einmal auf Nepomuk, “...die Feststellung gemacht, dass es um meine Tonstrina nicht wirklich gut bestellt ist. Du kannst es dir nicht vorstellen. Sie ist ein finsteres, von Ratten und haarigen Gehilfen heimgesuchtes Loch, in das kaum Sonnenlicht fällt! Einige Kunden wollten mich verklagen.“


    Ich blicke Faustus entgegen und musste im nächsten Moment feststellen, dass ich eigentlich gar nicht derartig offen hatte sein wollen. Immerhin klagte ich selten bis gar nicht, doch ich schob es einfach mal auf den schlechten Einfluss von Ovid und den Wein. Und dass mir Massa bei seinem letzten Besuch schon ein wenig Geld hatte zukommen lassen, das sagte ich besser mal nicht.


    “Aber ich will nicht...also ich meine, ich will nicht jammern... das wird alles schon. Ich lasse den Laden renovieren und dann... wird das!“ Ich nickte mir selber zu. “Gut... in der Lignarius Decima bin ich noch nicht gewesen... die.. ist … auch... also...“ Was sollte das alles? Ich saß schließlich nicht im Garten, um meinem Cousin das Herz auszuschütten, obwohl es nun doch recht schnell so aussah, als würde ich nicht drum herum kommen. “Und meine Zukunft?“ Ich schnaufte ein Lachen heraus. “Weiß du, ich wollte immer zu den Legionen. Immer. Und dann kam dieser plötzliche Unfall. Mein Geist wäre so willig, aber mein Fleisch ist...“ Ich machte mit den Händen eine Andeutung hin auf auf mein Knie, “...zertrümmert, wenn man so will. Und über den Rest habe ich immer wieder sinniert.“ Ein wenig verloren schaute ich nun meinem Cousin entgegen.


    Ich konnte nichts dagegen tun, doch allein der Gedanke an eine Zukunft wühlte mich auf.


    “Eine senatorische Laufbahn? Vielleicht bin ich beredsam, doch ich sehe mich nicht vor einer Auswahl feiner Männer stehen und Reden schwingen. Politik ist nicht meine Welt. Ich könnte des Nachts nicht mehr in den Schlaf finden und mir Löcher in den Magen ärgern. Nein, nein, ich würde schon eher....“ Während ich redete versuchte ich meine Gedanken mit wedelnden Handbewegungen ein wenig zu befeuern, “..schon eher etwas Ruhigeres haben wollen. Manchmal denke ich an die Verwaltung, manchmal an die Religion.“ Recht unvermittelt schenkte ich mir noch einen guten Schuss Wein in meinen Becher und führte ihn an die Lippen. “Aber vielleicht bin ich auch nur ein hoffnungsloser Fall von einem Schwärmer, der sich für nichts anderes eignet als auf eine Bank zu sitzen und eben einen guten Schluck zu trinken.“ Zugegeben, das war fatalistisch und der Beginn einer wahren Elegie ohne Liebe und Leidenschaft, doch meines Erachtens kam es der Wahrheit recht nah.

  • "Oh je." entfuhr es mir bestürzt, als er mir die schrecklichen Zustände in der Tonstrina schilderte. Ich würde Rhea gleich nachher anweisen, ihm aus der Truhe im Tablinum eine ordentliche Unterstützung auszuzahlen.
    "Renovieren ist das eine. Du solltest aber auch die haarigen Gehilfen gegen adrette austauschen, und einen fähigen Sklaven oder Freigelassenen als Geschäftsführer einsetzen, der sie alle auf Trab hält. Damit der Laden nicht gleich wieder so verkommt." riet ich ihm in all meiner Weisheit.


    Die Frage nach seinen Plänen schien einen noch wunderen Punkt getroffen zu haben. Betroffen folgte mein Blick seinem Deuten auf das Knie, dann den lebhaften Händen, fixierte sich zuletzt auf seiner weich melancholisch sich vorwölbenden Unterlippe. Ich runzelte die Stirn und widersprach ihm schroff:
    "Blödsinn. Larmoyanter Blödsinn, Cousin Casca. Auch mit deinem invaliden Knie bist du ein Decimer, gebildet, eloquent, mit Stil und einer der mächtigsten Familien des Reiches im Rücken. Und wenn du erst einmal deinen Allerwertesten hoch bekommst, kannst auch du alles erreichen, kannst dir Rang und Namen machen wie es einem Decimer gebührt. "
    Nebenbei ließ ich heimlich meine Syrinx unter einer Torsionsgeschütz-Prototyp-Skizze verschwinden, denn es passte so irgendwie gar nicht, ihm diesen strengen Vortrag zu halten, während ich eine Panflöte in der Hand hielt.
    "Dass es dich nicht in den Senat zieht ist verständlich. Dieses Gremium ist doch nur noch ein verstaubtes Souvenir der Republik, und entscheidet schon längst nichts bedeutsames mehr. Die Macht liegt allein beim Princeps, und dem Stand der seine Herrschaft direkt stützt – dem Ritterstand! - gehört die Zukunft. Verwaltung oder Cultus deorum sagst du? Gut, in beiden Bereichen kannst du dir Verdienste erarbeiten. Als nächstes wählst du dir dann einen passenden Patron, und zu gegebener Zeit kannst du dann mit Unterstützung der Familie auf die Ritterwürde hoffen. Und wenn du erst mal Ritter geworden bist, dann steht dir sowieso alles offen. Also, was soll es sein?"
    Mein Cousin hatte schon lange genug gezaudert, ich würde ihm jetzt einen heilsamen Schubs verpassen.
    "Die kaiserliche Kanzlei? Der Procurator a Libellis ist ein Klient von Livianus. Durch ihn können wir dich gewiss dort unterbringen. Da kannst du als Scriba beginnen und von der Pike auf lernen. Die Nähe zum Kaiser kann deiner Laufbahn sehr zuträglich sein.
    Oder die kaiserliche Finanzabteilung? Unser Cousin Varenus ist der Primicerius dort und kann dich dort einführen.
    Wenn du aber im Cultus Deorum dienen willst... und ich muß sagen, ich glaube dass du und deine Beredsamkeit dort sehr gut aufgehoben wären... dann geh morgen früh zur Salutatio des Pontifex Flavius Gracchus. Ich werde dich mit einem Empfehlungsschreiben versehen, und auch wenn er selbst keine Zeit für einen Discipulus haben sollte, wird er dir sicher einen guten Mentor verschaffen."

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  • Ja, mein Cousin hatte bestimmt recht mit seinen Vorschlägen zur weiteren Handhabung der Tonstrina. Mit Grausen dachte ich an Ulcus und Quix, obwohl letzterer mit ein wenig mehr Pflege durchaus ansehnliche menschliche Zügen bekommen könnte. Beim grauseligen Ulcus jedoch war Hopfen und Malz verloren und er würde sich wohl am besten als Torwächter vor dem Hades eignen. Mich schauerte immer, wenn er mit vor dem inneren Augen entgegen trat. Etwas Sauberes musste her, etwas Ansehnliches und Gepflegtes, mit einem Händchen für die Kundschaft. Natürlich auch mit einem Auge für die neuste Mode der Metropole. Wahrscheinlich würde ich mich doch noch einmal auf den Sklavenmarkt begeben müssen, oder eben einen passenden Angestellten suchen. Nur woher nehmen und nicht stehlen? All diese Gedanken allerdings waren nun nicht mehr im Fokus, denn immerhin war das Gespräch schnell auf meine Zukunft gekommen. Ein Thema, bei dem ich mich allein gelassen, immer nur im Kreis drehen konnte, wie ein Hund der fanatisch seine eigene Rute jagte.


    Immerhin hatte mir Faustus recht vehement widersprochen, als ich meinte zu nicht mehr als zu einem Schwärmer zu taugen. Vielleicht war gerade diese raue Ansprache, mit der er mich nun bedachte, etwas, was ich unbedingt brauchte. Doch einige von seinen Aussagen schafften es sogar mir zu schmeicheln. Ein Decimer war ich, gebildet und mit Stil? Ich konnte ihm in ersten Moment überhaupt nichts entgegnen, denn meine Selbstwahrnehmung sagte mir grausamer Weise jeden Tag etwas anderes. Ich linste verstohlen zu Muckel hinüber. Gut, so weit man meinen Sklaven als Mittel zur Erkenntnis bezeichnen konnte.


    “Hm... ja... ja...“, gab ich bestätigend von mir, als Faustus sich über der Senat ausließ. Ein weiteres “Ja,“ folgte, als er nun noch einmal die Frage die Cultus oder Verwaltung aufwarf.


    Ein bisschen verspannt krallte ich meine Finger um den Becher. Cultus, Verwaltung, Cultus, Verwaltung, wieder Cultus und wieder... der Hund bellte frenetisch und schnappte neuerlich nach seinem Schwanz. Was sollte es sein? Ich hob meinen Kopf und schaute meinem Cousin entgegen. Kaiserliche Kanzlei. Das klang im Grunde genommen recht gut, nur verband ich mit 'kaiserlich' immer auch noch ein wenig die Wirrnisse, die eine Horde Wildgewordener lautstark 'Fleeeisch' vor der Villa krakeelen ließen. Aber das war ja nun vorbei und so wie es sich anhörte, standen die Türen nach allen Seiten hin offen. Ob über Livianus, Varenus oder über den flavischen Pontifex Gracchus. Aton. Ich musste unwillkürlich grinsen, auch wenn dies objektiv gesehen eine denkbar schlechte Situation für ein Grinsen war. Vielleicht beseitigte ich es deshalb mit einem neuerlichen Schluck aus dem Becher, ehe ich nach Worten suchte.


    “Es ehrt mich sehr, dass du einen sprachgewandten Mann in mir siehst und nicht nur ein Anhängsel aus Attika,“ kam es mir zuerst in den Sinn. “Einen Mann mit Stil aus der Familie der Decimer...“ Tatsächlich trafen diese Worte auf mein Gemüt wie ein herrlich warmer Sommerregen. Ich zog ein wenig voluminös Luft in meine Lungen und ließ sie nur langsam wieder aus. Es war eine leichte Ergriffenheit, die mich nun heimsuchte, doch es ging um mehr als Reaktionen auf eine empfundene Schmeichelei, ermahnte ich mich selbst. Faustus hatte hier alle Wege treffend und unkompliziert entblättert. Ich brauchte nur noch mit dem Finger auf eine der Optionen tippen und sagen: Ich wähle diese! “Ich kann mich einfach nicht entscheiden,“ erklärte ich dann zu meinem eigenen Frust noch einmal, ehe mich nun dazu durchrang alles noch einmal zu durchdenken. “Vielleicht hast du ja Recht, dass mit der Weg in den Cultus Deorum besser liegt, da ich bei genauerer Betrachtung nicht glaube, dass ich meine Tage einzig und allein in irgendeinem Offizium verbringen möchte. Ich brauche immer etwas Praktisches um die Hand. Etwas, was meines Erachtens auch mit Sinn erfüllt ist.“ Ich deutete auf meinen Papyrus. “Als ich meinte, ich sei ein Schwärmer war das nicht einfach nur so dahin gesagt. Ich liebe große Worte und große Gesten und ich fürchte, in der kaiserlichen Kanzlei oder gar bei den Finanzen werde ich diese nicht finden. Es sei denn bei den Empfängern von Schuldscheinen.“ Ich schmunzelte unter meinen Worten ein wenig müde. “Es ist so schwierig, aber ich glaube... ja, ja, ich glaube, mein Herz ist mehr den Göttern zugeneigt. Nur möchte ich auch nicht aus naiven Annahmen heraus einem schnell gewählten Weg folgen. Wahrscheinlich tue ich mich deshalb so schwer... Aber... alles Hadern wird nichts nützen,“ seufzte ich schlussendlich hervor. “Die Salutatio des Pontifex ist morgen früh, sagst du?“ Ich nickte. “Dann werde ich mich dort einreihen und auf das Beste hoffen.“ Mit einem Empfehlungsschreiben dürfte es auch gar nicht so schwer sein. Darüber hinaus war Flavius Gracchus ein Mann, der mir nicht gänzlich fremd war. Immerhin hatte er mir in seinem Hause ein Obdach geboten, nachdem wir gemeinsam aus dem Pferdestall hatten fliehen müssen.

  • "Tu das. Aber Bona Dea, Casca! Es geht hier nicht um eine Herzensangelegenheit, sondern darum wo du dem Reich am besten dienen und deiner Familie Ehre machen kannst!" rückte ich meinem verträumten Cousin energisch den Kopf zurecht. Es war ja nun nicht so, dass ich ihn nicht irgendwie auch verstanden hätte. Aber gerade darum, gerade weil diese Weichheit, die ich auch einmal besessen hatte, mir sub aquila ausgetrieben worden war, wollte ich ihm solche Flausen nicht durchgehen lassen. Wirklich ein Jammer, dass Casca nicht zum Rekruten taugte – der Schliff dort hätte auch ihn ganz fix aus den Wolken runter ins wahre Leben purzeln lassen.


    "Nepomuk, bring uns bitte etwas Obst. Pfirsiche, wenn welche da sind." wies ich seinen Sklaven an. Und fuhr, sobald er entschwunden war, mit der Lebenslektion fort:
    "Das Herz ist ein schlechter Ratgeber, Cousin Casca. Rate mal, wohin mein Herz in meiner schwärmerischen Adoleszenz so feurig hinstrebte" Mit einer flüchtigen Kopfbewegung zu seinem Ovid verriet ich es ihm: "Unter uns gesprochen, Casca: Ich wollte unbedingt Poet werden, damals. Ich sah mich schon emporgehoben, wie Bellerophon auf des Pegasus Rücken, im Wahren und Klaren nach dem Wesen der Schönheit jagen, sah mich Verse schmieden, die selbst Steine zum Weinen bringen würden. - Naja." Mit einem spöttischen Auflachen setzte ich meinen Becher an die Lippen und trank einen guten Schluck. "Ich bin heilfroh, dass ich nicht dieser 'Neigung meines Herzens' gefolgt bin, sondern etwas vernünftiges getan habe, sonst wäre ich heute nämlich nur ein schlechter Poet unter tausenden. So habe ich mein wahres Können entdeckt, Rom an vielen Fronten wacker verteidigt, habe die Höhen der Militia Equestris erklommen, weiter als ich es mir je hätte erträumen können." (Meine allerkühnsten Träume waren immer gewesen: Kommandant einer Ala miliaria, wie Onkel Magnus.) "Und nebenbei verdiene ich ein Heidengeld."
    (Gefallen war ich zwar auch, tief, aber das tat jetzt nichts zu Sache.)
    "Lange Rede, kurzer Sinn: Lass das seufzen, lass das viele denken, mach einfach.-"
    Und wenn ich gerade schon mal dabei war...
    "Und was deinen Leibsklaven angeht: du mußt die Zügel straffer halten. Wenn man euch beide sieht, dann fällt gleich auf, dass nicht du es bist, der den Ton angibt. Sklaven brauchen Führung. Sonst schwingen sie sich nämlich auf und übernehmen diese Rolle selbst, ohne böse Absicht, vielleicht sogar, weil sie glauben uns beschützen zu müssen - aber so kommt alles durcheinander. Sklaven sind, auch wenn es immer wieder schwer fällt sich das klar zu machen, keine Freunde. Auch wenn das manchmal so scheint, auch wenn es verlockend ist sie so zu betrachten. Sie können gar keine echten Freunde für uns sein, denn sie sind in jeder Hinsicht abhängig von uns. Ich sage nicht, dass du deine Sklaven schlecht behandeln sollst, nein, aber gib ihnen klare Anweisungen, sorge dafür, dass diese auch befolgt werden, belohne gelegentlich, bestrafe wenn nötig, bestehe darauf dass sie dir den gebührenden Respekt erweisen, indem sie sich korrekt verhalten."

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  • Ja, es tat doch wohl, mir einmal derartig das Herz zu erleichtern und obendrein endlich einen – mit den eigenen Lippen geformten – Entschluss zu fassen. Beinahe hätte ich meinen eigenen Worten entlastet hinterher geseufzt, doch schon im nächsten Moment sollte sich gefühlsmäßig der Boden einen Spalt auftun. Es war genau der Moment, in welchem Faustus sehr deutliche Worte bezüglich Herzensangelegenheiten sprach, die konträr zu Dienst und Familienehre standen. Und da war er wieder, der leichte Schock beim Verspüren eines innerlichen Drucks, der sich plötzlich löste und eine Welle der Erschütterung durch mich hindurch trieb. Unwillkürlich hatte sich meine Hand noch fester um den Becher gekrampft. Richtig, ja, ich war nicht auf der Welt um irgendwelchen Neigungen nach zu gehen, die ich meinte zu verspüren, doch der Trotz der sich augenblicklich ob dieser energischen Ansprache einstellen wollte sagte mir, dass tief empfundene Neigungen doch sehr wohl eine Rolle spielten, wenn man denn auch wirklich gut sein wollte in dem was man zu tun gedachte. Wie oft hatte ich diese Diskussion mit Vater? Tausend Mal. Und es war immer wieder Mutter, die mich danach auffing und mir mit samtenen Worten nach dem Munde redete. Immerhin war ich ihr heiß geliebtes Nesthäkchen und obendrein noch eines mit einem gebrochen Flügel. Ich mühte mich, meine Miene ausdruckslos zu halten und atmete ein paar Mal – hoffentlich unauffällig – kräftig durch. Mit langen Blicken verfolgte ich, wie Muckel sich nun widerstandslos aufmachte, um ein wenig Obst aufzutreiben und schnaufte ein nichtssagendes “Hm...“ hervor.


    Doch Faustus hatte noch lange nicht geendet und er erzählte, welchen Weg er sich in seiner eigenen Jugend für sich ausgedacht hatte. Natürlich tat er dies, um mir zu berichten wie witzlos und nichtig jugendliche Zukunftsträumereien waren. Ich lauschte stumm und noch immer aufgewühlt seinen Worten. Besonders als er Bellerphon erwähnte, der am Ende seiner Laufbahn vom geflügelten Pferd herunter stürzte und für den Rest seines Lebens ein verteufelt armer Krüppel war, dem nichts mehr als Einsamkeit blieb. In meiner Kindheit habe ich diese Geschichte ungern gehört, denn immerhin verdankte ich einem ähnlichen Vorkommnis mein eigenes Knieleiden, welches mich an der Erfüllung meines eigentlichen Traumes hinderte. Und dass er nun erzählte, dass er sein wahres Können in der Verteidigung Roms und bei der Militaria Equestris gefunden hatte, machte es irgendwie auch nicht wirklich besser für mich. Genau das war in arglosen Kindertagen auch mein Traum gewesen. Ich sah mich auf feurigen Rössern mit einem hoch erhobenen Gladius in der Hand. Ich spielte mit meinen Freunden Triumphzüge durch, die untermalt waren durch imitiertes Tröten und Geschepper mit allerlei Küchenuntensilien und natürlich hatte ich Massa beneidet. Mehr als das! Nein, diese Ansprache traf mich wirklich schlimm. Überhaupt mochte ich es gar nicht, zurecht gewiesen zu werden, denn ich hatte immer mein Möglichstes getan! Ich war ein strebsamer, fleißiger Schüler, der stets an den Lippen der Lehrer hing und ich schlug meine eigenen Schlachten in Athen unter den Fittichen von Xantokles, dem senilen Meister der Rhetorik. Gut, Rhetorik war auch nicht immer meine Stärke, aber immerhin war ich immer bemüht gewesen auf diesem Gebiet ebenfalls wacker zu sein und das auch immer unter der Fahne der Decimer.


    Und nun sollte ich das Seufzen und Denken lassen. Ich brachte es zu einem Nicken und einem konsternierten Gesichtsausdruck, mit dem ich Faustus nun entgegen schaute.


    Doch auch die – in meinen Augen – nächste Rüge folgte schon auf dem Fuße. Es ging um Muckel, den ich zugegebenermaßen fast so sanft behandelte wie meine Figurensammlung. Faustus meinte nun, dass Sklaven niemals die Freunde ihres Besitzers seien können und dass alles durcheinander geraten würde, wenn man die Zügel schleifen ließ. Neuerlich erfasste mich eine Welle des Widerwillens gegen diese Worte. Muckel war vieles! Mein Gedächtnis, mein mahnendes Gewissen, meine rechte Hand, meine linke Hand, mein verlässlicher Begleiter, meine Stütze beim Laufen, mein Laufbursche, mein Wecker, mein Barbier, mein Mundschenk und in letzter Zeit war er sogar mein einziger Gesprächspartner. Ja, das alles mochte er sein, aber eines war er gewiss nicht: Mein Freund! Nein, so hatte ich ihn noch nie betrachtet! Etwas angebittert kräuselten sich meine Lippen. Das allerdings war nicht unbedingt Faustus Worten geschuldet. Es stimmte ja, Muckel hatte wirklich keinen Respekt, doch so weit ich mich erinnern konnte, war das immer schon so gewesen. Ich besaß ihn nun seit so vielen Jahren, seit meiner Kindheit, und vieles hatte sich einfach schleichend und ohne großartige Zur-Kenntnisnahme meinerseits entwickelt. Gut, vielleicht war ich auch zu Nelia zu weich. Von Anfang an, doch sie hatte sich einfach so leise in mein Herz geschlichen wie ein verzagtes, hilfloses Katzenjunges. Dabei war sie keines! Bei Leibe nicht! Und da waren wir wieder bei meinen Herzensangelegenheiten.


    “Hm...,“, stieß ich wieder hervor. “Ich...ahm..ja...“ Mit noch immer verspannten Fingern hob ich meinen Becher und trank einen guten Schluck. Geräuschvoll setzte ich das Trinkgefäß dann wieder auf der Tischplatte ab und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund. Meine Blicke richteten sich – an Faustus weit vorbei - in die rot-violette Pracht des Lavendelbusches zu unserer Rechten. Was bei der großen Mutter sollte ich jetzt nur erwidern? So ging es mir immer bei solchen Gesprächen und mit Grauen erinnerte ich mich noch an das Gespräch mit Seiana, bei welchem sie mir die Betriebe überantwortet hatte. Ich war vollkommen betrunken gewesen und mit Wein besudelt. Eine wahrhaft peinliche Vorstellung war das gewesen. “Ja...ich...,“ sagte ich dann leise vor mich hin, ehe ich mich von der Pracht der Blüten los riss. All meiner aufgewühlten Gefühle zum Trotz wisperte mir eine innere Stimme zu, dass ja im Grunde alles richtig war, was Faustus gesagt hatte. Hatte ich mich nicht zuvor noch in den Raum geworfen, ich sei nicht mehr als ein nutzloser Schwärmer? Warum sollte es mich nun wundern, wenn die Antwort in Form eines aufrüttelnden Fußtrittes kam? Aber so ganz konnte ich es auch nicht auf sich beruhen lassen.


    “Ich weiß, dass ich manchmal zu weich bin, mit mir und mit Muckel. Auch mit Nelia“, brachte ich wacker heraus. “Aber ich werde mich bemühen das zu ändern! Und wie gesagt, ich wollte auch immer zu den Legionen,“ griff das irgendwie schon von Faustus scheinbar abgehakte Thema noch einmal auf. “Das wäre mein Lebenstraum gewesen. Zum Wohle Roms und der Familia. Aber das... Schicksal wollte es nun einmal anders mit mir haben, doch leider hat es mir nicht verraten, an was es dabei genau gedacht hat.“ Zugegeben. Ich klang zunächst noch ein wenig bitter, doch das sollte sich legen, während ich weiter sprach. “...Also was bleibt sind nun einmal die Eingebungen... nein, viel eher die Tendenzen des Herzens um wenigstens zu erspüren, in welche Richtung es nun gehen soll. Wie soll ein Mensch denn auf einem Gebiet zu Ehren gelangen, wenn er genau weiß, dass ihm seine Aufgaben nicht das klitze kleinste Bisschen entgegen kommen? Ein solcher Mensch kann nur scheitern, wenn er die Kraft für sein tagtägliches Tun aus nichts weiter als bloßem Pflichtgefühl ziehen muss. Es wäre, als ob man Wasser aus einem mehr und mehr versiegenden Brunnen schöpft. Was bleibt wäre dann trockener Boden, der nur noch wenig zur Ehre gereicht, da auf ihm rein gar nichts mehr wachsen will.“ Ich ertappte mich dabei, wie ich beim Sprechen auf die Tischplatte starrte. Dabei gewahrte ich die Panflöte die noch ein wenig unter der Schrift, die Faustus mitgebracht hatte hervor lugte. “Hast du aufgehört an die kleinen Fantasien und Lockungen des Herzen zu glauben, die einem Menschen immer wieder neue Möglichkeiten aufzeigen und ihn weiter und weiter treiben? Ich meine... es muss doch... auch Leidenschaften geben.“

  • Eine ordentliche Standpauke hatte ich meinem jungen Cousin da gehalten, und zwischendurch sah er mächtig niedergeschlagen aus. Aber, bei den Gräbern unserer heldenhaften Ahnen, einer mußte es ja machen. Und er mußte da jetzt durch. Harte Worte war es, ja, aber auch: wahre Worte.
    Ich nickte bestärkend, als er gelobte strenger zu sein. Und wieder sprach er von den Legionen.
    "Ach Casca. Das mag jetzt kein wirklicher Trost für dich sein, aber... es könnte doch genauso gut sein, dass das Schicksal es auf seine Weise nicht nur schlecht damit gemeint hat, denn, nun ja, ein Haufen Soldaten fallen auf dem Schlachtfeld, krepieren an der Ruhr, oder kommen mit einem Bein weniger nach hause" gab ich, etwas überfordert von seiner Invalidität, zu bedenken. "Wenn ich nicht mehrfach ein verdammtes, unverschämtes Glück gehabt hätte, und gute Kameraden... wie Massa... und mein Freund Sparsus, früher... dann wäre ich auch nicht wiederkommen." Leidig sah ich auf meinen zerklüftet zernarbten rechten Arm, aber immerhin hatte ich ihn noch und konnte ich ihn auch wieder fast wie früher benutzen.
    ...Hätte ich das von Massa jetzt nicht sagen sollen? Ich wußte ja wie quälend es war, fortwährend im Schatten größerer Helden zu stehen. Da war es schon wieder, das Mitgefühl, dass sich bei Cascas treuherzig-träumerischem Blick so raffiniert verstohlen an mich heranpirschte. Dabei wollte ich doch streng mit ihm sein! Und zwar: Zu seinem eigenen Besten.


    "Kleine Fantasien und Lockungen des Herzens haben im Dienst an Rom nichts verloren, Cousin Sturschädel" wiedersprach ich ihm vehement, "Es sei denn das erhebende Gefühl, dich als dienendes Glied in ein Ganzes einzufügen, dass sehr viel größer, und sehr viel edler und epochaler ist, als ein einzelnes Individuum es je sein könnte: Roma Aeterna!"
    Denn das war es, auch wenn im schmutzigen Tagesgeschäft schleimige Opportunisten sich tummelten wie die Schnecken auf dem Salat – die Idee unseres ewigen Rom strahlte und würde immer strahlen.
    "Also hör auf zu... so zu dramatisieren, und hör auf in dich hineinzulauschen, sonst hältst du irgendwann noch das Grummeln deines Magens für eine Stimme göttlicher Eingebung!"
    Ich? Wieso ich?
    "Wirke ich etwa wie ein leidenschaftsloser, ausgetrockneter Brunnen?" fragte ich spöttisch zurück. "Aber das tut hier nichts zur Sache. - Hier geht es darum, dass du, mein lieber Cousin, morgen beim ersten Hahnenschrei aufstehst, dir was ordentliches anziehst, pünktlich auf der Salutatio des Senators erscheinst. Und Pontifex ist er, oberster Pontifex ist er sogar. Dann stellst du dich höflich vor, gibst ihm den Brief, den ich dir gleich schreibe, wirst Discipulus im Cultus deorum, und bekommst dein Leben in den Griff! Verstanden?"
    Ich schwang die Beine von der Kline und erhob mich, für einen effektvollen Abgang mit diesen schönen Worten, bevor ihm wieder neue Ausreden einfielen...

  • Ein wenig hoffnungsvoll hatte ich nach meinen Worten nun doch noch meinem Cousin entgegen geschaut. Dabei wusste ich auch nicht so recht, worauf sich diese Hoffnung beziehen sollte. Vielleicht darauf, dass er so reagieren würde wie Mutter? Nachgiebig, meine Äußerungen bejahend und abnickend? Nein, er würde mich nicht an der Schulter fassen, mit mir ein paar Schritte gehen und mir milde, aufbauende Worte entgegen bringen, die mein Gemüt besänftigten, selbst wenn er nun tatsächlich nickte. Dies allerdings bezog sich auf meine Einsichtigkeit mit der zukünftigen Behandlung der Sklaven. Aber es folgte auch ein kleiner Trost als er meinte, dass mein Schicksal vielleicht doch kein Schlechtes wäre, da viele Soldaten auf den Schlachtfeldern zurück blieben, an Krankheiten starben oder gar ihr Bein komplett einbüßten. Dies alles war in meinen Kindheitsträumen natürlich niemals ein Thema gewesen und ich musste mir vor mir selbst gestehen, dass es dies bis zum heutigen Tag nicht war. Blutige Schlachten wurden doch immer nur woanders geschlagen, weshalb es mir Probleme bereitete, sie mir vor dem inneren Auge in aller Tiefe und Abscheulichkeit auszumalen. Als die lynchwütige Masse in die Casa Decima hatte einfallen wollen, war es doch schon so weit gewesen. Und was hatte ich getan? Auf jeden Fall hatte ich nicht heldenmütig das Schwert in die Höhe gereckt, sondern ich lag bebend und zitternd mit der Nase auf dem harten Boden meiner ureigenen Realität und hatte mich an meine Caesarfigurette geklammert. Ich war halt kein Massa, kein Sparsus und auch kein Serapio. Mein Blick fiel unvermittelt auf seinen Schwertarm. Vielleicht war es ja in aller Bitterkeit der Selbsterkenntnis auch wirklich gut so. Ich schnaubte mir meine Anspannung von der Seele, die sich nun wenigstens ein bisschen lösen wollte, obwohl Faustus mir nun heftig widersprach.


    Die kleinen Verlockungen waren eben nichts, was sich der Dienstbeflissenheit in den Weg stellen sollte. Das wären so wohl auch Vaters Worte gewesen. Das dienende Glied in einer Kette, die sich schwer und fest um ein leidenschaftlich klopfendes Herz schloss. Bis es verkümmert, dachte ich neuerlich renitent und seufzte nun doch vernehmlich und schwer, doch ich sollte ja nun aufhören zu dramatisieren und in mich hinein zu lauschen, als schon die spöttische Frage von Faustus an mich gerichtet wurde, ob er denn aussähe wie ein ausgetrockneter Brunnen. Ich schüttelte schwach den Kopf und wollte gerade etwas erwidern, als er meinte, es würde nichts zur Sache tun. Also schwieg ich und lauschte weiter, bis mein Cousin sich erhob. Offenbar hatte er alles gesagt, was er mit mitzuteilen hatte und an dem ich gewiss noch eine Weile zu knabbern haben würde. “Ja... verstanden, ich krieg's in den Griff“ nuschelte ich dann – mich geschlagen fühlend - vor mich hin, ehe ich mich räusperte und lauter und wesentlich deutlicher sprach. “Ich meine ja...natürlich. Ich werde dem großen Ganzen gewiss dienlich werden und pünktlich sein...“ Ich schnappte noch einmal tief nach Luft. “...ein wahrer Decimer, mit den Zügeln fest in den Händen.“ Natürlich auch wohl gekleidet und adrett. Ich nickte Faustus mit leicht zu Fäusten geballten Händen zu, während ich mich noch an einem Lächeln versuchte, welches allerdings scheiterte als mit bewusst wurde, wie nahe ich nun dem nächsten Schritt in meinem Leben war. Morgen schon! Ganz früh! Beim obersten Pontifex! Ein wenig Unruhe mischte sich nun doch noch einmal unter mein eh schon bewegtes Innenleben. “Was genau wirst du denn schreiben? Ich meine... was genau soll ich ihm denn sagen?“

  • Na also, er hatte es endlich gefressen. Ich erwiderte bestätigend sein Nicken, sicher dass die ganze Sache sich in Wohlgefallen auflösen würde, sobald Casca erst mal im Tempeldienst stand. Wer so viele wohlgesetzte Worte voll Drama und Pathos allein schon um seine eigene Befindlichkeit machen konnte, der würde mit Sicherheit auch höchst dramatische Opferungen hinlegen, ja, stehende Ovationen von den Tempelbesuchern erhalten.
    Mein effektvoller Abgang litt allerdings ein wenig, denn ich hatte vor lauter decimisch-dynamischem Schwung meine Sachen auf der Kline liegen lassen, musste mich nun also noch mal umdrehen und sie einsammeln.
    "Dass du ein brauchbarer Bursche bist, und in den Cultus Deorum eintreten willst." antwortete ich knapp auf seine erste Frage. Und auf seine zweite: "Dito."
    Meine Unterlagen, die ich wohl doch besser in Ruhe in der Bibliothek studieren sollte, sowie meine Syrinx vor der Brust in den verschränkten Armen haltend, fixierte ich ihn noch einmal, und wieder war es dieser hilflose Charme des Träumers, so bestürzt sich der harten Welt zu stellen, der mich dann doch noch etwas milder hinzufügen ließ:
    "Und wenn du erst mal ein paar Opfer selbstständig geleitet haben wirst, und es zum Aedituus geschafft haben wirst, du selbst einem Tempel vorstehst, die Menschen sich um Rat an dich wenden und du mit deinen wohlklingenden Anrufungen ihren Hoffnungen die Wege öffnest zwischen den irdischen und den überirdischen Gefilden - dann, Casca, dann kommt ein Tag, da setzen wir beide uns wieder zusammen, hier im Garten, trinken ein Glas in aller Ruhe und blicken lächelnd auf heute zurück."


    Ich ging zum Haus zurück, der Tag war noch immer so strahlend schön, aber ich nach diesem Gespräch nun doch ein wenig erschöpft. Casca gegenüber zu stehen, das war beinahe wie in einen Spiegel in die ferne Vergangenheit zu sehen. Und ich fragte mich: Wirkte ich etwa tatsächlich wie ein versiegter Brunnen? Leidenschaftslos, ausgetrocknet, ausgedörrt? Von irgendwo... ich vermag nicht zu sagen woher... drang ein Wispern in meinen Geist..."Auserzählt?" Ich erschrak, auch wenn ich den Sinn dieses Wortes nicht verstand, ein grauenvolles Nichts wehte mich daraus an.
    Schaudernd brach ich mir, im Vorübergehen an der Jasminhecke, einen blumigen Zweig ab. Ich roch daran, und ließ den süßen Duft meine Seele betören, die Larven und Lemuren vertreiben. Verstohlen horchte ich in mich hinein: Flosculus? Bist du da irgendwo? Keine Antwort.


    In meinem Officium stellte ich den Zweig in eine Vase und schrieb den Brief. Es war befremdlich, sehr befremdlich, auf diese Weise an Manius zu schreiben. Aber es mußte natürlich ganz unverfänglich sein, falls jemand anderes den Brief zu sehen bekam.



    Geschätzter Freund, ich sende meinen Cousin Cnaeus Decimus Casca zu Dir, und empfehle ihn deiner wohlwollenden Aufmerksamkeit. Casca ist ein redseliger mitteilsamer wortgewandter junger Mann von grüblerischem spintisierendem tiefgründigem Wesen, Scharfsinn und Integrität.
    Mein Cousin hat den Willen, seine Talente in den Dienst des Cultus Deorum zu stellen. Ich unterstütze dies, und bitte Dich, ihm diese Türe zu öffnen. Suche einen guten und strengen Lehrmeister für ihn aus, damit er tüchtig lernt und seiner Familie Ehre macht. Ich danke Dir.



    Und nochmal in schön. Ich versiegelte das Schreiben und ließ es Casca durch Timaia überbringen.



    Gardetribun Faustus Decimus Serapio grüßt Senator und Pontifex pro magistro Manius Flavius Gracchus


    Geschätzter Freund, ich sende meinen Cousin Cnaeus Decimus Casca zu Dir, und empfehle ihn Deiner wohlwollenden Aufmerksamkeit. Casca ist ein wortgewandter junger Mann von tiefgründigem Wesen, Scharfsinn und Integrität. Mein Cousin hat den Willen, seine Talente in den Dienst des Cultus Deorum zu stellen.
    Ich unterstütze dies, und bitte Dich, ihm diese Türe zu öffnen. Suche einen guten und strengen Lehrmeister für ihn aus, damit er tüchtig lernt und seiner Familie Ehre macht. Ich danke Dir.


    Vale bene
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  • Zwei Gespräche, jedes auf seine Art anstrengend, schon allein dadurch, dass sie zuvor so nervös gewesen war. Seiana fühlte sich merkwürdig ausgelaugt, als sie Faustus' Zimmer verließ... und sie wusste auch nicht recht wohin oder was tun. Letzten Endes gelangte sie schließlich in den Garten, und da sie das Gefühl hatte, die frische Luft tat ihr gut, blieb sie, ging langsam zu einer Sitzgruppe, die sich weiter hinten befand. Dort allerdings saß bereits jemand – und Seiana blieb stehen, einen Moment unschlüssig. Sie wollte nicht zurück ins Haus. Allerdings wollte sie auch nicht unbedingt Gesellschaft.
    Sie zögerte einen Augenblick zu lange. Aelia Vespa saß dort, konnte sie nun erkennen, und diese sah hoch, gerade in dem Moment, in dem Seiana sich umdrehen und unbemerkt wieder gehen wollte. Was jetzt natürlich nicht mehr ging, jedenfalls nicht ohne wenigstens kurz etwas zu sagen. „Verzeih bitte, ich wollte dich nicht stören. Ich wollte nur... etwas aus dem Haus heraus.“ Sie war immer noch ein bisschen durch den Wind, sie merkte es, auch daran, dass ihr die Wahrheit über die Lippen kam, statt einfachem, höflichem, nichtssagendem Geplänkel.

  • Vespa hatte sich mit einer Stickarbeit hinaus in den Garten gesetzt. Sie wollte nicht in den Räumen sitzen und dort vor sich hinbrüten. So hat sie sich die versteckte Sitzgruppe ausgesucht um etwas Ruhe zu haben. Während sie etwas Gedanken verloren vor sich hinstickte, bemerkte sie anfangs die Anwesenheit der weiteren Person gar nicht. Doch irgendwie erregte etwas dann doch ihre Aufmerksamkeit und Vespa sah auf. Seiana stand ihr gegenüber. Sie legte die Stickarbeit zur Seite und lächelte Seiana an.


    "Du störst mich nicht. Leiste mir doch einfach Gesellschaft. Du musst wegen mir nicht zurück ins Haus gehen. Setz dich zu mir und nimm dir auch gern etwas vom Obstsaft. Wenn du nur einfach deine Ruhe haben willst, ist das auch für mich in Ordnung. Dann sticke ich weiter und wenn du reden möchtest, dann bin ich auch für dich da."


    Sie hatte bereits mitgekommen, dass etwas im Argen lag, aber sie wollte Seiana damit nicht überfahren. Diese musste allein damit herauskommen und Vespa würde ihr zuhören wenn Seiana eine Zuhörerin benötigte.

  • Ohne auch nur ein weiteres Wort zu sprechen schaute ich Faustus dabei zu, wie er seine Schrift und seine Syrinx einsammelte, während er mir eine knappe, wenn auch einleuchtende Antwort gab. Ganz pragmatisch eigentlich. Aber brauchbar? War ich das wirklich? Tief in meinem Inneren gärte noch immer meine Auflehnung gegen die Dinge, die er mir gesagt hatte, doch das alles sollte den Kopf doch nicht erschüttern. Wahrscheinlich war es ja wirklich so, dass ich nach einiger Zeit mit einem Lächeln auf diesen Moment zurück blicken konnte, gemeinsam mit ihm. Aedituus. Es klang so verdammt weit weg von meinem jetzigen Leben, doch es würde mir bestimmt gefallen Wege zu öffnen, hin zu den überirdischen Gefilden, die nur Götter wirklich kannten. Einen weisen Rat erteilen. Ich! Bilder keimten mir auf. Ansehnliche Bilder, die Mutter bestimmt stolz machen würden. Und natürlich Vater, die Decimer im Allgemeinen. Sie waren einfach plötzlich da und erfüllten mich mit Zuversicht. “Ja...lächelnd bei einem Wein und frohen Mutes!“, kam es aus mir heraus. Doch es sollte schon morgen sein, dass ich einen ersten sehr ernsthaften Schritt in Richtung dieser Zukunft setzen sollte? Gedankenverloren und nach einem letzten Nicken zum Abschied, hatte ich meinem Cousin hinterher gesehen.


    Ich hatte gar nicht bemerkt, wie viel Zeit verstrichen war, weil ich so beschäftigt gefunden hatte, auf die Tischplatte vor mir zu starren. Irgendwie hatte sich ein recht klammes Gefühl in meinen Magen geschlichen, wo es auch sogleich einen festen Knoten des Unwohlseins bilden wollte. Und in meinem Kopf? Dort hallte noch immer das Echo dieses Gespärchs nach. Muckel kam wieder. Ich hörte es an seinen raschelnden Schritte auf dem Gras und an dem leichten 'Tock', dem Geräusch, mit dem er die Schale mit den Pfirsichen auf den Tisch stellte.


    „Wo ist denn dein Cousin?“ Er schaute sich suchend um.


    „Och Muckel!“ Ich seufzte schwer - ein weiteres Mal.


    “„Was denn?“


    „Ich denke nach...“


    „Worüber?“


    „Über ein Indiviuum...nein...mein individuelles Selbst, das allein für sich niemals epochal und edel werden kann... und dass... Leidenschaften niemals ein Köder für ein leicht zu entzückendes Herz sein sollten...dass ich immer nur ein serviles Element in einem großen Getriebe sein soll... und dabei ein Heidengeld verdiene...irgendwann...“ Zugegeben, ein Heidengeld verdienen war doch auch immer ein großer Köder und es hörte sich nicht einmal schlecht an. Im Gegenteil.


    „Äh ja... Wie viel hast du getrunken?“ Muckel beugte sich über den Tisch und schaute prüfend in meinen Becher.


    „Hm?“ Ich schreckte aus meinen Gedanken auf. “Offenbar nicht genug,“ entkam es mir ergeben, ehe ich mich erhob. Muckel gab ich nur ein Zeichen, dass er mir folgen sollte, ehe ich mich auf den Weg in mein Cubiculum begab.

  • Seiana atmete leise, aber tief ein, während sie überlegte. Sie wollte nicht zurück ins Haus, und auch nicht in jenen Teil des Gartens zurück, der gut einsehbar war von dort. Das war ja das Charmante an dieser Ecke: dass sie abgeschieden war. „Ich danke dir“, antwortete sie also schließlich und setzte sich zu der Aelia. Reden, hatte diese gesagt. Seiana rieb sich flüchtig die Stirn. So wie ihre Worte formuliert waren, klang es so, als wüsste Vespa, dass etwas los war. War ihr das so leicht anzusehen, fragte Seiana sich einen Moment lang, aber sie spürte ja selbst, dass sie durch den Wind war. Es gab nur wenige Menschen, wenige Situationen, die diesen Effekt so stark auf sie hatten, dass sie es nicht verbergen konnte – aber Faustus gehörte dazu.
    Trotzdem konnte sie nicht so einfach von den Schwierigkeiten anfangen. Sie brachte es nicht über sich. Sie stellte ihre Gefühle normalerweise nicht zur Schau, und es fiel ihr selbst mit engen Vertrauen schwer sie zu teilen... und obwohl sie die Aelia nun schon recht lange kannte, noch aus ihrer Zeit mit Aelius Archias, waren sie doch nicht unbedingt enge Vertraute. Aber wenn sie schon hier war, wollte sie auch nicht einfach nur schweigend da sitzen, und es gab ja ein Thema, über das sie Vespa sowieso selbst hätte informieren wollen. „Nun, eine Sache gibt es, weswegen ich ohnehin mit dir reden wollte. Ich werde bald heiraten... deinem Mann und meinem Bruder habe ich es schon erzählt, den Rest der Familie werde ich noch informieren.“

  • Da Seiana nun doch reden wollte, legte die Aelia das Stickwerk zur Seite. Es war doch eine wirklich tolle Nachricht und so verstand sie nicht warum es im Hause so ein eigenartiges Klima gab. Es war schwer gewesen es zu greifen. Vielleicht fiel es auch nur deswegen auf, weil sie vorhin hatte zwei Sklaven tuscheln hören und als sie den Gang entlang geschritten war, waren diese beiden erschrocken dem plötzlichen Schweigen verfallen und aufgeschreckt auseinander gestoben. So etwas taten sie sonst nicht. Das war ihr eigenartig vorgekommen.


    "Oh, Seiana. Das freut mich wirklich für dich. Ich möchte dir herzlich zu diesem Schritt gratulieren. Kenne ich denn deinen zukünftigen Ehegatten? Marcus hat es bestimmt gut aufgenommen und auch Serapio wird sich doch für dich gefreut haben. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dich unterstützen oder ich dir helfen kann, dann scheue dich nicht es mir zu sagen. Darauf sollten wir anstoßen."


    Sie winkte einen Sklaven herbei, der ihnen einen verdünnten Wein bringen sollte. Solch Nachrichten waren ein Grund zur Freude und so hatte Seiana erst jetzt die Gelegenheit die Fragen in Ruhe zu beantworten. Denn Vespa hatte für einen Augenblick ohne Punkt und Komme gesprochen.

  • Seiana lächelte, wenn auch ein wenig müde, als Vespa ihr gratulierte. „Vielen Dank“, erwiderte sie erst einmal, als die Aelia geendet hatte, und wenigstens für einen Moment wirkte sie auch beinahe so, wie eine glückliche Braut wirken sollte. „Sein Name ist Aulus Iunius Seneca, er ist Tribunus Angusticlavius bei der I. Mein Onkel hat sich gefreut darüber, auch weil er ein Verwandter eines seiner Klienten ist. Mein Bruder... dagegen weniger. Er ist nicht begeistert von meiner Wahl.“ Sie nahm den Becher mit verdünntem Wein an, den ein Sklave ihr nun reichte, machte aber keine Anstalten mit Vespa anzustoßen, und auch jener Moment, in dem sie einfach unbeschwert, zufrieden, ja: beinahe glücklich gewirkt hatte, war vorbei. Das Gespräch mit Faustus lag ihr noch zu sehr im Magen, insbesondere weil sie nun davon selbst angefangen hatte. „Aber vielen Dank für dein Angebot zu helfen. Die Hochzeit soll allerdings auf dem Landgut in den Albaner Bergen stattfinden, hatten Seneca und ich uns gedacht, und ich werde die Bediensteten dort beauftragen, sich um die Organisation zu kümmern. Es kommt also hoffentlich nicht dazu, dass ich dabei Hilfe benötige. Allerdings bräuchte ich eine Pronuba.“ Seiana musterte Vespa. „Ich weiß, du bist nicht in erster Ehe verheiratet, aber das wird auch nicht meine erste Ehe sein. Wir würden daher ohnehin auf die ein oder andere Tradition verzichten, vor allem weil wir eine etwas kleinere Feier möchten. Würdest du also meine Pronuba sein?“

  • Vespa sah Seiana einen Moment nachdenklich an. Es war nicht immer einfach die richtige Wahl zu treffen und schon gar nicht für eine selbstständige Frau, die am Ende noch die Wünsche der Familie berücksichtigen sollte, aber deren Herz schon einen Wahl getroffen hatte.


    "Das tut mir sehr leid, dass Serapio deine Entscheidung nicht gut heißt. Doch manchmal sollte eine Frau auch einfach auf ihr Herz hören und wenn dein Onkel die Wahl für gut befunden hat, dann soll es so sein. Brüder oder Vätern scheint der Mann der Schwester oder Tochter doch selten gut genug zu sein."


    Die Aelia versuchte sich in einem Lächeln, dem ein überraschtes Gesicht folgte als sie die Bitte der Decima vernahm.


    "Das werde ich sehr gern für dich machen. Ich möchte mich dafür bedanken, dass du an mich gedacht hast. Wenn ich sonst noch etwas für dich tun kann, dann lass es mich wissen."


    Dann dachte sie noch mal über das Gesagte nach.


    "Das heißt, dass auch die Familie deines Mannes gleich in den Albanar Bergen anwesend sein wird. Ich hoffe doch sehr, dass sie daran keinen Anstoß findet. Manchmal haben sich Familien ein wenig auch wenn es eben nicht mehr die erste Ehe ist und einige Bräuche sich etwas überholt haben."

  • Seiana bemühte sich um ein Lächeln, als Vespa zwar bedauerte, wie ihr Bruder zu der Sache stand, es selbst aber offenbar verstand. Tatsächlich hatte ihr Bruder nicht immer etwas gegen die Männer, die sie aussuchte. Den Terentius hatte er für eine großartige Wahl gehalten. Bis er erfahren hatte, wie die Ehe zustande gekommen war... Trotzdem sagte sie: „Da hast du wahrscheinlich recht.“


    Dass sie sie darum bat, ihre Pronuba zu sein, überraschte Vespa sichtlich, aber sie nahm an, und Seiana hoffte zumindest, dass sie es nicht nur aus Höflichkeit tat. „Hab du vielen Dank, dass du das übernimmst.“ Sie lächelte, und jetzt stieß sie endlich leicht mit der Aelia an und trank einen Schluck. „Es wäre wahrscheinlich gut, wenn wir gemeinsam den Ablauf der Feier durchgehen könnten, wenn dieser steht. Wie schon gesagt wollen mein Verlobter und ich auf ein paar Dinge verzichten. Ein weiteres Paar Augen tut da sicher gut um zu prüfen, wie sehr wir abweichen können.“


    Ihre Miene wurde wieder ernster, als Vespa nach Senecas Familie fragte. „Nun... um ehrlich zu sein, mit seiner Familie steht es ähnlich wie mit der meinen. Es gibt eine Verwandte, die nicht einverstanden ist mit der Verbindung. Aber was die Bräuche angeht, dürfte es so keine Problem geben, denke ich.“

  • "Ich werde gern mit dir gemeinsam schauen was notwendig sein wird und was wir vielleicht noch weglassen könnten. Wenn dein Verlobter und du euch über den Ablauf klar seid, komme einfach und wir schauen es uns noch mal an. Ich helfe dir gern dabei. auch bei Marcus und mir haben wir auf das ein oder andere verzichtet. Wenn es nicht die erste Ehe ist..."


    Den Satz ließ sie unvollendet, da sie ja schon vorher etwas dazu gesagt hatte. Das musste sie ja an dieser Stelle nicht wiederholen. Nachdem sie dann mit Seiana angestoßen hatte und ebenfalls etwas getrunken hatte, stellte sie ihr Glas zur Seite und bedachte Seiana mit einem langen Blick und musterte diese kurz.


    "Warum ist diese Verwandte gegen diese Feier? Hat sie denn irgendeinen Grund das nicht gut heißen zu können? Ich meine, du bist eine gute Partie. Dein Verlobter und auch dessen Familie kann sich doch glücklich schätzen, dass ihr beiden heiratet."


    Nach einer kurzen Pause fiel ihr auf, dass sie vielleicht ein wenig zu ehrlich gewesen sein könnte und es an dieser Stelle vielleicht nicht richtig gewesen war.


    "Also wenn du davon erzählen möchtest und es tut mir leid, falls ich die falschen Worte dafür gefunden habe. Manchmal übermannt mich der Drang die Wahrheit zu sagen, gerade in der Familie, sehr."


    Sie wollte Seiana nicht durch ihre ehrliche Meinung einschüchtern. Wobei sie aus früheren Zusammentreffen wusste, dass Seiana nicht so einfach einzuschüchtern war.

  • Seiana lächelte leicht und nickte, durchaus dankbar dafür, dass Vespa so bereitwillig helfen wollte. Sie tat sich schwer damit, um Unterstützung zu bitten – sie war es seit Jahren so sehr gewohnt, alles irgendwie alleine zu regeln... da war es sehr angenehm, dass die Aelia so unkompliziert war und kein großes Aufhebens darum machte.


    Beim nächsten Thema verging Seiana das Lächeln allerdings. Warum war die Iunia so sehr gegen sie? Sie wusste es nicht. Es war eskaliert, und sie wusste auch wann – aber sie wusste nicht wieso es in jenem Moment eskaliert war. Wieso die Iunia auf sie losgegangen wie eine Furie, kaum dass sie von Seneca und ihr erfahren hatte.
    Seiana deutete ein leichtes Kopfschütteln an, als Vespa sich im nächsten Moment entschuldigte für ihre offenen Worte. „Nein, kein Grund sich zu entschuldigen.“ Sie machte eine Pause. Überlegte. Wägte ab. Sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. Ob sie überhaupt etwas sagen sollte. Aber es einfach so stehen lassen konnte sie auch nicht, war ihr klar. „Es geht um Iunia Axilla. Du erinnerst dich sicher, dass wir eine Vorgeschichte haben, sie und ich.“ Immerhin war Archias ein Verwandter Vespas gewesen. Dennoch umriss Seiana besagte Vorgeschichte noch einmal kurz, erzählte, wie es damals zur Auflösung der Verlobung zwischen ihr und dem Aelier gekommen war, wie lange er sie betrogen hatte, bis sie schließlich gemerkt hatte was vor sich ging, erzählte auch, dass sie keine Entschuldigung hatte annehmen wollen, dass sie einfach gar nichts mehr hatte zu tun haben wollen, weder mit ihm noch mit ihr. „Wir hatten dann trotzdem wieder miteinander zu tun. Ihre Arbeit als freiwillige Mitarbeiterin für die Acta war gut, und als ich zur Auctrix ernannt wurde, wollte ich nicht, dass die Acta aufgrund von persönlichen Differenzen darauf verzichten muss. Also habe ich sie gefördert. Erst zur Subauctrix, dann zur Lectrix gemacht. Privat hatte ich weiter nichts mit ihr zu tun, in der Acta habe ich darauf geachtet, immer neutral und fair zu sein. Das Verhältnis hat sich sogar etwas verbessert, eine Zeitlang... zumindest habe ich das geglaubt. Allerdings war das ein Irrtum, wie sich heraus gestellt hat. Sie kann mich nicht ausstehen, so viel ist klar. Ich weiß noch nicht, wie sie reagiert hat, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie von der Hochzeit angetan sein wird.“ Natürlich ließ sie außen vor, dass Seneca und sie schon lange eine Affäre hatten. Es sprach nicht für sie beide, das wusste sie, selbst wenn es den ein oder die andere geben mochte, die das verstehen konnten. Davon abgesehen allerdings fand sie, dass das in der Sache kein wesentliches Detail war. Es war der Anlass gewesen, warum die Iunia schließlich ihre Maske abgelegt hatte ihr gegenüber. Aber so wie sie sich ihr gegenüber benommen hatte, wie sie sie angegiftet und ihr grundlos Dinge unterstellt hatte, war zumindest für Seiana klar: es konnte nicht der eigentliche Grund gewesen sein. Da hatte weit mehr dahinter gesteckt als Sorge um ihren Vetter oder moralische Ereiferung – zu der die Iunia gar kein Recht hatte, auch wenn sie sich in dem Gespräch mit Seiana damals – wenn man das überhaupt Gespräch nennen konnte – noch so sehr als ehrbare Frau aufgespielt hatte.

  • Das Poblem schien ein größeres zu sein. Jedenfalls ließ das Verhalten der Decima darauf schließen und es schien alles andere als angenehm zu sein. Sie gab ihrer Gesprächspartnerin die Zeit, die diese benötigte um das in Worte zu fassen was sie ihr anvertrauen wollte. Vespa nickte als Seiana das Problem zwischen sich und der Iunia ansprach. Ja, das war eine unrühmliche Geschichte gewesen und Vespa hatte nicht verstehen können wie ihr Verwandter so etwas hatte tun können. Es hatte für einiges Aufsehen gesorgt. Vespa folgte den Ausführungen bis zum Ende aufmerksam ehe sie das Wort an Seiana richtete.


    "Es war wirklich sehr großzügig von dir das so zu sehen. Es hätte genug Menschen in Roma gegeben, die über diese persönlichen Differenzen nicht hinweggesehen hätten. Hat sie dir denn in der ganzen Zeit bei der Acta nur etwas vorgespielt? Ich meine, ihr habt doch einige Jahre zusammengearbeitet. Dann müsste sie ja eine hervorragende Schauspielerin sein, wenn sie einfach so tun kann als sei nichts. Man könnte ja meinen, dass sie deine Gutmütigkeit ausgenutzt hat."


    Es folgte eine kurze Pause, in der sie mit sich rang ob sie die Frage stellen sollte, die ihr an dieser Stelle schon so sehr auf der Zunge lag, dass sie sie eigentlich hätte stellen müssen. Aber sie war keine Frage, die man mal so eben einfach stellte. Erneut glitt ihr Blick durch den Teil des Gartens und überprüfte ob es vielleicht ungebetene Zuhörer gab. Doch die beiden Frauen waren wirklich unter sich, kein fremdes Ohr würde also zu hören bekommen was hier besprochen wurde.


    "Weißt du wie lange dich mein Verwandter mit dieser Iunia schon betrogen hatte ehe die Verlobung gelöst worden war?"


    Vespa wusste nicht was man von so einer Person halten sollte. Natürlich wurde in Roma viel falsch gespielt. Das war das Problem einer Stadt, in der Macht viel bedeutete und Freundschaft nur so lange wichtig war, wie sie einem nutzte und schnell vergessen war, wenn sie unbequem wurde. Vespa hatte da auch schon das ein oder andere erlebt. Mehr als ihr lieb war und am eigenen Leib. Dennoch war das für sie nicht nachzuvollziehen. Das diese Frau erst so tat als sei es in Ordnung und nun so ganz anders reagierte.


    "Das tut mir sehr leid für dich. Es schmerzt immer wenn es ein Familienmitglied gibt, das einer Verbindung gegenüber skeptisch ist oder sie sogar ganz und gar ablehnt, aber dass es nun in jeder Familie eine solche Person gibt. Eine sehr unschöne Sache und darum ist es noch schöner, dass ihr eurem Herz folgt und diese Verbindung weiterhin wollt. Wenn sie so leidgeprüft beginnt, dann können die Götter doch nichts anderes beabsichtigen als sie positiv gedeihen zu lassen."


    Vespa wollte gern Hoffnung machen und sie wünschte den Beiden wirklich alles erdenklich gute.


    "Gibt es irgendwas was du mir in dieser Sache noch sagen möchtest falls ich irgendwie damit in Kontakt kommen sollte. Dann weiß ich wie ich zu reagieren habe. Man weiß ja nie was für Wellen das schlagen kann wenn du schon jetzt befürchtest, dass es unschön ausgehen könnte."


    Vespa war gern vorbereitet und man konnte sich so auch eine Strategie zurechtlegen und wurde nicht einfach passiv in eine Ecke gedrängt. Sie gehörte nun zu dieser Familie und diese Familie zu ihr. Natürlich würde sie hier sehen was sie für die Familienmitglieder tun konnte.

  • Seianas Blick ging in den Garten hinein, aber sie sah das Grün der Pflanzen nicht wirklich. Stattdessen ging ihr Blick ins Leere, während sie daran zurückdachte, was gewesen war. „Ich weiß es nicht“, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu Vespa. Sie wusste nicht, ob die Iunia ihr etwas vorgespielt hatte oder nicht. Eigentlich besaß sie eine recht gute Menschenkenntnis, oder zumindest glaubte sie das – ihre Arbeit bei der Acta hatte das auch irgendwie erfordert. Aber in dem Fall konnte sie es wirklich nicht sagen. Eine Zeitlang hatte sie geglaubt, dass es nicht gespielt war, aber im Rückblick betrachtet, nach dem, was seitdem passiert war, ging sie davon aus dass sie ihr Eindruck da einfach getäuscht hatte. Warum das so war, konnte sie nur mutmaßen. Vielleicht gab sie ihr die Schuld daran, dass ihr erster Mann sich vom Tarpeischen Felsen gestürzt hatte. „Ich weiß es nicht“, wiederholte sie dann, diesmal an die Aelia gerichtet, und jetzt sah sie sie auch wieder an. „Ich habe aber auch darauf geachtet, dass unser Verhältnis professionell bleibt. Privat hatte ich seit damals so gut wie nicht mit ihr zu tun.“


    Bei der nächsten Frage spannte Seiana kurz ihre Kiefermuskeln an, als sie die Zähne leicht aufeinander presste. Sie hatte mit der Sache abgeschlossen, eigentlich, oder glaubte es zumindest – aber daran zurückzudenken fiel ihr trotzdem immer noch nicht leicht. Der Aelius bedeutete ihr nichts mehr, aber wie lange sie sich hatte betrügen lassen, wie lange sie sich blind gestellt und Erklärungen für die Anzeichen gefunden hatte, nur weil sie die Wahrheit nicht hatte sehen wollen, das war selbst so lange Zeit danach noch etwas, das stach. Hauptsächlich, weil sie sich selbst die Schuld dafür gab, nicht schon früher die Augen aufgemacht zu haben. „Wochen“, erwiderte sie. „Zwei, drei Monate vielleicht. Es ging schon in Aegyptus los, so ehrlich war er immerhin zu mir, als ich endlich dahinter gekommen bin.“ Danach verzog sie ganz leicht das Gesicht. „Nein, schön ist das wirklich nicht, aber leider kommt es auch nicht wirklich überraschend. Vor allem nicht bei Senecas Cousine.“


    Bei Vespas nächsten Worten hielt Seiana dann für einen Augenblick inne. Sie mochte die Aelia. Es tat ihr gut, mit ihr so reden zu können, und es freute sie ehrlich, dass sie zugesagt hatte ihre Pronuba zu sein. Einem Teil von ihr widerstrebte der Gedanke daher, der sich ihr nun regelrecht aufdrängte. Andererseits war diese Gelegenheit zu gut – zu gut, um eventuellen Gerüchten bereits jetzt vorzubauen, die möglicherweise in Umlauf geraten könnten über Seneca und sie. Zu gut, um sie nicht zu nutzen. Wie Vespa zuvor ließ nun auch Seiana einen Blick durch den Garten schweifen, um sich zu vergewissern, dass sie nach wie vor alleine waren und ihnen niemand lauschte. „Sie bezichtigt mich, Affären gehabt zu haben. Auch während meiner ersten Ehe.“ Es fiel ihr schwer, das zu sagen, nicht nur weil das in Bezug auf Seneca stimmte und weil sie selbstverständlich nicht vorhatte, das zuzugeben, ganz im Gegenteil, obwohl sie Vespa eigentlich nicht anlügen wollte – sondern auch, weil sich das Rad mit jedem Mal Aussprechen weiterdrehte, obwohl Seiana es am liebsten einfach nur angehalten hätte. Trotzdem fuhr sie fort. „Zumindest hat sie das mir bereits vorgeworfen, und ich gehe davon aus, dass sie das auch Seneca gesagt hat, um ihn von einer Ehe mit mir abzuhalten. Falls du derartige Gerüchte in Zukunft hören solltest über mich, wäre ich dir sehr dankbar, wenn du dem entgegen treten könntest.“

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