Beiträge von Decima Seiana

    Das Haus war groß, und so prunkvoll eingerichtet, wie man es erwarten konnte von einer Familie wie dieser.


    Merkwürdigerweise war es das, was ihr durch den Sinn ging, als sie am noch sehr frühen Morgen durch die Gänge hastete auf dem Weg zum Ausgang. Prunkvoll. Angemessen. Nicht übertrieben. Der Reichtum wurde zur Schau gestellt, auf eine Art, die sich, je nach Geschmack, mal mehr, mal weniger dicht an der Grenze zur Aufdringlichkeit bewegen mochte – sie aber nie wirklich überschritt.
    Flüchtig streifte ihr Blick im Vorbeigehen Gemälde, Büsten, Mosaike. Symbole für das, wie diese Familie sich zeigen wollte. Geld, Einfluss, Macht. Kombiniert mit Geschmack, oder vielleicht auch nur den richtigen Beratern.
    Irgendwo hinter ihr war ein Geräusch zu hören, und hastig wandte sie im Gehen den Kopf, warf einen gehetzten Blick über ihre Schulter zurück. Sie wollte von niemandem aufgehalten werden. Sie wollte nicht einmal von jemandem gesehen werden. Von niemandem, nicht in diesem Moment. So schön diese Villa war, wollte sie doch keinen Augenblick länger als unbedingt nötig hier verweilen. Nicht mehr.


    Und dabei hatte es im Grunde gut angefangen. Sie hatte eine Einladung erhalten, zu einem Gastmahl für den gestrigen Abend. Sicinius hatte sie eingeladen, in ihrer Funktion als Auctrix, und nachdem der Senator einer ihrer Unterstützer war und zudem regelmäßig spendete, war es sozusagen ein Pflichttermin gewesen. So ungewohnt es für sie zu Anfang ihrer Amtszeit noch gewesen sein mochte, ohne männliche Begleitung derartigen Einladungen zu folgen, hatte sie sich inzwischen daran gewöhnt. Natürlich gab es solche und solche Einladungen – es gab freilich die, bei denen es Gerede geben könnte. Aber als Auctrix gab es eben auch jene, bei denen es keinerlei Problem darstellte, wenn sie allein hinging, die keinen Anlass zu Tratsch gaben. Eine solche war die Einladung zu der gestrigen Feier gewesen. Einige Freunde und Geschäftspartner hatte der Senator eingeladen, die Dame des Hauses hatte die Gästeliste noch ein wenig umgeschrieben und ergänzt sowie den Abend organisiert. Die kleine Feier war so exquisit gewesen wie die Einrichtung der Villa. Seiana hatte den Abend sogar ein wenig genossen, obwohl es für sie mehr lästige Pflicht denn Vergnügen war, als Auctrix auch gewissen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen zu müssen. Im Grunde sogar mehr als ihr Vorgänger, der viele der wichtigen Persönlichkeiten häufig genug ohnehin getroffen hatte, im Senat, in einem der Collegien, bei privaten Besprechungen. Als Frau standen ihr diese Kommunikationswege nicht offen, was es zu einer Notwendigkeit werden ließ, andere Mittel und Wege zu nutzen. Abende wie dieser gehörten dazu. Nirgends war es leichter so zwanglos Kontakte zu pflegen wie auf einer dieser Feiern. Kontakte, die sie brauchte, weswegen sie immer häufiger in den sauren Apfel gebissen und sich durchgerungen hatte, Einladungen wie dieser zu folgen.
    Und dieser Abend hatte sich durchaus positiv hervorgetan. Luxuriöse, aber geschmackvolle Einrichtung, die gerade jetzt die vorherrschenden Eindrücke in ihren Gedanken ausmachten und ein Anker waren für sie. Für ihre Beherrschung. Luxuriöse, aber geschmackvolle Einrichtung, die den Rahmen vorgab für eine Abendgesellschaft, die sich ganz diesem Stil anpasste. Einige Gäste, mit denen es sich gut unterhalten ließ, insbesondere dem Gastgeber, der ihr durchaus tatsächlich sympathisch war und als solches ein angenehmer Gesprächspartner.


    Alte Kontakte gepflegt. Neue geknüpft. Alles in allem ein gelungener Abend. Bis, ja, bis sie hatte gehen wollen.


    Sim-Off:

    Reserviert

    Seiana warf Axilla mit undurchdringlicher Miene einen kurzen Blick von der Seite zu. Die Iunia zeigte, wie scharf ihre Zunge wirklich sein konnte – einer der Gründe, warum Seiana sich schließlich dazu gezwungen hatte, die Vergangenheit ruhen zu lassen und Axilla nicht nur zur Acta zu holen, sondern ihr in gewissem Sinn eine herausgehobene Stellung zu geben. Momente wie dieser waren aber auch einer der Gründe, warum Seiana es dann doch nicht schaffte, die Vergangenheit komplett ruhen zu lassen. So unschuldig, fast schon naiv Axilla die meiste Zeit wirkte, in Momenten wie diesen zeigte sie, dass da noch deutlich mehr war in ihrem hübschen Kopf. Und dass sie es einzusetzen wusste. Warum also nicht auch damals, bei Caius... Seiana zwang sich, diesen Gedanken beiseite zu schieben. Es spielte keine Rolle mehr. Caius hatte gewählt, so einfach war das, und heute war er ohnehin nicht mehr am Leben. Und wenigstens die Schmach war ihr dadurch erspart geblieben, die es bedeutete, wenn der Mann vom Tarpejischen Felsen sprang.


    Der kurze Moment verging, ohne dass Seiana die geringste Gefühlsregung anzusehen war. Sie sah die Iunia noch nicht einmal deutlich länger an als üblich gewesen wäre. Stattdessen wandte sie im Anschluss ihren Blick wieder der Aurelia zu, als diese antwortete, die Miene so undurchschaubar wie stets. „Ist nicht gerade das ein Zeichen unserer Gesellschaft, dass wir selbst tätig werden, wenn Unrecht geschehen ist? Dass die Bürger ein solches selbst anzeigen und Gerechtigkeit einfordern? Natürlich sind auch jene bedauernswert, die dem Mob zum Opfer fielen. Aber auch hier gilt: es sind in erster Linie die niederen Schichten, die darunter zu leiden hatten, nicht Angehörige unserer Schicht, die sich Leibwächter leisten können und Villen als Rückzugsort ihr eigen nennen, und das in Gegenden, in denen der Mob kaum je sein Unwesen treibt.“ Als die Aurelia dann etwas sagte, was im Grunde ihr ein Argument lieferte, ließ Seiana ein vages Lächeln über ihre Züge gleiten. „Du sagst es. In den Tagen nach dem Vorfall ist von Seiten des Staates – und der Elite eben jenes Staates, Familien wie den unseren – nichts erfolgt. Keine Reaktion. Weshalb die Verantwortung für das Treiben des Pöbels in erster Linie eben dort zu suchen ist. Wir wissen doch, wie Menschen reagieren, wenn sie Angst haben. Und die, die an Roms Spitze stehen, haben eine Verantwortung für diese Menschen.“ Sie lehnte sich ein wenig zurück und nippte an ihrem Wein, und ihr Lächeln verstärkte sich, als die Frage der Aurelia nach den Recherchen der Acta erklang. „Sicher hat die Acta recherchiert. Zu gegebener Zeit wird auch wieder darüber berichtet werden. Für den Moment ist jedoch das wichtigste, eine mahnende Stimme zu sein an all jene, die dazu beitragen können, den Frieden mit den Göttern wieder herzustellen, dass dies bald geschieht.“

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    „Raghnall!“ Ein lauter Ruf hallte durch die mit zwielichtig noch ziemlich vorteilhaft beschriebene Taverne und begrüßte den Genannten, als der eben jene betrat. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er sich einen Krug griff und einen tiefen Schluck von dem Gebräu nahm. Er hatte allen Grund zu feiern – nicht dass das eine zwingende Voraussetzung für ihn gewesen wäre für einen Abend wie diesen, aber dennoch: er hatte allen Grund zu feiern. Nachdem die Decima ihn von dem Buchladen weggeholt hatte, hatte er ja fast schon befürchtet sie würde sich diesmal etwas für ihn einfallen lassen, bei dem er sich nicht mehr gar so einfach hätte herauswinden können. Zwar hatte sie ihn zunächst einfach nur wieder in der Casa arbeiten lassen, aber er hatte gespürt, dass das nur eine Übergangsphase war, dass sie unentschieden war, was sie nun genau mit ihm anfangen sollte. Und dann war da dieser Tag gewesen, an dem er es mal wieder zu weit getrieben hatte. Für einen Augenblick hatte er da tatsächlich geglaubt gehabt, dass sie nun endgültig die Schnauze voll von ihm hatte. Aber er hatte – mal wieder – unterschätzt, wie viel ihr dann offenbar doch an ihm lag. Oder besser: wie viel ihr an ihrer Familie lag, ihrer Mutter, ihrem jüngeren Bruder, und mit beiden war auch Raghnall unweigerlich verknüpft. Und zwar positiv. Der Gallier wusste, dass es das gewesen war, was ihm den Hals gerettet hatte, das und die Tatsache, dass er loyal war, wenn es darauf ankam. Irgendetwas musste man der Herrschaft halt bieten, sonst hatte man als Sklave nichts zu lachen. Aber wenn man es richtig anstellte, konnte man sich so ein ziemlich sorgenfreies Leben sichern. Natürlich musste er schuften. Aber hey, es fehlte ihm an nichts – er hatte eine gute Unterkunft, gutes Essen, deutlich besser als die meisten Bewohner dieser Stadt, und Abende wie dieser waren auch kein Problem, solange er nicht übertrieb. Natürlich hatte er sich nach jenem Tag erst zurückgehalten. Aber: die Decima hatte seine Schulden bezahlt, wie auch früher schon das ein oder andere Mal. Und sie drückte weiterhin ein Auge zu, oder besser gesagt beide – weil sie irgendwie an ihm hing, an dem, was er für sie repräsentierte. Was wollte er noch mehr?
    Richtig. Ins Bett mit ihr. Und sogar das konnte er sich nun auf die Fahnen schreiben. Nicht dass er wirklich wüsste, was sie so plötzlich dazu gebracht hatte – er tippte auf einen jener inzwischen so selten gewordenen Temperamentsausbrüche, die sogar ihr die Beherrschung raubten –, aber es war ihm auch ziemlich egal warum. Ebenso egal war ihm, dass er keine Ahnung hatte, wie das noch weiter gehen würde. Wofür die Decima ihn in Zukunft wirklich einzusetzen gedachte, war ihm im Moment noch genauso unklar wie in den letzten Wochen – aber: darum scherte er sich im Moment nicht. Denn Fakt war: er war mit sich und seinem Leben derzeit ziemlich zufrieden.


    „Du bist doch sicher auf ein Spiel aus“, feixte einer der Männer an dem Tisch, an dem er sich niederließ, und der Gallier grinste zurück – so heruntergekommen die Taverne auch sein mochte, aber hier scherte es keinen, ob Glücksspiel verboten war oder nicht, und Kontrollen waren nicht zu fürchten – auch wenn die Wachsamkeit nie ganz nachließ.
    Bevor er dem Mann allerdings antworten konnte, fiel ihm ein anderer ins Wort: „Spiel? Er hat doch noch Schulden vom letzten Mal!“
    Raghnall grinste womöglich noch ein wenig breiter, aber der Ausdruck seiner Augen wurde undurchsichtig. „Wie lieb von dir, Hegetor, dass du dir Sorgen um mich machst. Völlig unnötig – aber trotzdem so was von lieb. Deine Mutter wär sicher stolz auf dich.“
    Gelächter brandete auf, während Hegetor ihn kurz missmutig anblitzte, aber was Raghnall bezweckt hatte, hatte er erreicht: es fragte keiner mehr nach dem letzten Mal. Es ging die Meute nichts an, wie er es geschafft hatte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Die meisten hier wussten noch nicht mal, dass er Sklave war, und die meisten interessierte es wohl auch nicht wirklich. Aber es gab immer den ein oder anderen, der versuchte etwas zu finden, woraus er einem einen Strick drehen konnte, und so war Raghnall bei aller Risikofreudigkeit, die er beim Spiel an den Tag legte, doch sehr vorsichtig, was er über sich selbst preis gab. Oder über seine Herrin. So ambivalent die Besitzerin-Sklave-Beziehung zwischen ihnen auch sein mochte, beeinflusst von Geschehnissen einer gemeinsamen Vergangenheit, die die Decima ganz offenbar immer noch sentimental machten, was ihn betraf, so gab es doch einen ganz handfesten Grund, warum sie ihn nach wie vor behielt – nicht nur ganz allgemein im Haus, sondern bei sich, als persönlichen Sklaven – und warum sie ihm traute: weil sie ihm trauen konnte. Raghnall war loyal, daran gab es keinen Zweifel.


    In Feierlaune griff er nach den Würfeln. „Also. Wie war das mit dem Spiel?“


    Sim-Off:

    Reserviert





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Seiana nickte leicht, während Roxane sprach. Wort gehalten hatte sie in der Tat, mehr noch, sie hatte mehr als einen Artikel abgeliefert. Und sie war eine Schreiberin von dem Format, die die Acta gebrauchen konnte. „Fast von selbst?“ wiederholte Seiana und lächelte erneut, diesmal nicht ganz so höflich reserviert wie zuvor – aber undurchschaubar. „Die Formulierung ist interessant.“ Das Lächeln verstärkte sich ein wenig und wurde hintergründig, aber Seiana verzichtete auf eine weitere Diskussion darüber. „In jedem Fall klingt es danach, als hättest du Freude am Schreiben. Bei deinem letzten Besuch warst du dir allerdings noch unsicher, ob du für einen Posten als Subauctrix geeignet bist. Hast du deine Meinung in der Zwischenzeit geändert?“


    Natürlich hätte sie das Ganze anders formulieren können. Sie hätte eine positive Sichtweise wählen können, hätte darauf hinweisen können, dass Roxanes Artikel ein gewisses schreiberisches Können bewiesen, hätte sagen können, dass sie es der Peregrina zutraute. Dass sie sie als Subauctrix wollte. Aber Seiana hielt nicht viel davon, ihren Mitarbeitern freundlich zuzureden. Sie hatte genug zu tun, sie konnte nicht auch noch den Kummerkasten für die Acta-Schreiber spielen. Wenn ein Subauctor darauf angewiesen war, Mut zugesprochen zu bekommen, um gute Leistung zu liefern, dann war er in ihren Augen nicht sonderlich geeignet. Natürlich motivierte sie ihre Mitarbeiter – aber sie hatte ihre eigene Art. Und diese hatte wenig damit zu tun, ihre Leute zu hegen und zu pflegen. Seiana war eher der Auffassung, dass sie sie förderte, indem sie sie forderte. Wer sich seine Motivation und sein Selbstvertrauen auf andere Art holen musste, konnte das tun, aber von ihr konnte das niemand erwarten. Entsprechend verhielt sie sich nun. Wichtig war Seiana zu wissen, dass Roxane es sich selbst zutraute, als Subauctrix tätig zu sein.

    Im Tablinum angekommen stand schon eine Sklavin bereit, die dem Consular etwas zu trinken anbot, während der Botenjunge sich flugs wieder auf den Weg machte, um Mattiacus Bescheid zu geben.

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    Wie üblich öffnete der alte Ianitor der Gens Decima die Tür. Dieses Mal musste er gar nicht lange fragen, wie er helfen konnte, denn kaum hatte er gegrüßt, verkündete einer der Sklaven vor ihm auch schon, wer da war und wen er zu sprechen wünschte. Marcus neigte leicht den Kopf, während er flüchtig überlegte. Einen Termin hatte der Tiberius nicht, so weit er wusste – in jedem Fall war er nicht darüber informiert worden, was er als Ianitor aber für gewöhnlich wurde. Der Herr war allerdings im Haus, und der Rang des Mannes vor ihm ließ die Notwendigkeit einer vorherigen Terminabsprache wohl obsolet werden. Einen Consular schickte man nicht einfach so wieder weg. Und man ließ ihn auch nicht vor der Tür warten, während der Herr gefragt wurde, ob er denn Zeit hätte – was Marcus bei so ziemlich jedem anderen gemacht hätte, der ohne Termin gekommen wäre. Folglich bedeutete er den Gästen also, dass sie eintreten sollten. „Der Junge wird euch ins Tablinum führen“, sprach er dabei, und besagter Sklavenjunge stand auch schon bereit für diese Aufgabe. „Wenn der ehrenwerte Consular sich dort bitte einen Moment gedulden würde, bis dem Herrn Bescheid gegeben worden ist.“





    IANITOR - GENS DECIMA

    Es hatte ein wenig länger gedauert, als Seiana erwartet hatte – aber schließlich bekam sie die Meldung, dass Roxane gekommen war. Sie beendete noch die Arbeit, an der sie gerade saß, dann ließ die Frau zu sich hereinbitten. „Roxane. Salve“, grüßte sie sie und bedeutete ihr mit einer Handbewegung sich zu setzen, bevor sie ihr etwas zu trinken anbot. „Hab dank für die Artikel, die du abgeliefert hast.“ Seiana lächelte knapp. Dass sie bereits veröffentlicht worden waren, bemerkte sie nicht extra. Sie ging davon aus, dass Roxane das bereits wusste. Einen Augenblick musterte sie die Frau schweigend, bevor sie unvermittelt fragte: „Wie war das Schreiben für dich?“

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    Raghnall war ein Spieler. Und er war ein guter Spieler – er holte sich seine Informationen, er konnte seine Gegner einschätzen, und er kannte in der Regel seine Chancen und Risiken. Aber er war nichtsdestotrotz ein Spieler. Und er liebte es zu spielen. Er war sich bewusst über Risiken, aber nur allzu häufige waren sie ihm egal – weil er das Spiel zu sehr liebte, die Ungewissheit, den Nervenkitzel, und, ja, gerade das Risiko. Ohne Risiko war es langweilig.
    Und als die Decima ihm nun so offen Avancen machte – nun, Avancen war wohl das falsche Wort, denn das implizierte eigentlich ein gewisses Maß an Verführung; und die Decima konnte wohl viel, aber verführerisch zu sein war nicht ihre Stärke – als sie ihm also nun recht eindeutig zeigte, was sie wollte, da wusste Raghnall um die Risiken, die das mit sich brachte. Es war immer riskant für einen Sklaven, wenn die Herrin so ankam. Und das Sicherste wäre vermutlich, in seiner Situation jedenfalls, zu gehen, trotz der Stimmung, in der sie gerade war. In der kam eine Ablehnung ganz sicher nicht gut bei ihr, war aber vermutlich trotzdem die klügere Variante, alles in allem und so, wie er sie kannte. Dazu kam, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wo das hinführen würde, nicht bei dieser Frau, die bisher noch nie irgendwelche Anstalten in dieser Richtung gemacht hatte, weder bei ihm noch bei sonst einem Sklaven, nicht so weit er wusste jedenfalls. Eine Frau, die sich bislang in seinen Augen durch Distanziertheit und Selbstbeherrschung hervorgetan hatte, aber ganz sicher nicht durch die Auslebung von Leidenschaften. Wenn er nicht noch von früher wüsste, dass sie durchaus leidenschaftlich sein konnte, von diversen Temperamentsausbrüchen, die sie früher noch nicht so gut zu kontrollieren gewusst hatte wie heute – und heute war ein perfektes Beispiel für ihre Selbstbeherrschung, denn dass sie gerade richtig in Fahrt war, war deutlich zu merken, dafür kannte er sie nun lange genug, und dennoch blieb sie alles in allem erstaunlich beherrscht –, dann hätte er vermutlich daran gezweifelt, ob sie überhaupt dazu in der Lage war.
    Nein, er wusste ganz sicher nicht, worauf das hier hinauslaufen würde, wenn er sich darauf einließ. Und genau das war es, was ihn reizte. So sehr, dass die Entscheidung schon gefallen war, bevor er überhaupt bewusst darüber nachdenken müsste.
    Und davon abgesehen: er war ein Mann. Und er müsste lügen, wollte er behaupten, er hätte sich noch nie vorgestellt, wie die Decima im Bett wohl sein mochte – wie sie wohl mit ihm im Bett sein mochte. Er wäre bescheuert, würde er sich das nun so einfach durch die Finger gehen lassen, was sie ihm urplötzlich freiwillig – und nach allem was er über sie wusste zumindest derzeit ziemlich exklusiv – anbot.


    Der Moment, den Raghnall dann doch brauchte um zu überlegen, dauerte alles in allem höchstens einen Lidschlag lang. Dass er noch ein wenig länger nicht reagierte und Seiana einfach nur ansah, lag nicht daran dass er noch hätte überlegen müssen – da gab es für ihn nichts zu überlegen –, sondern daran, dass er sie taxieren wollte, feststellen, ob sie das tatsächlich ernst meinte, vor allem aber daran, dass er das tat, was er am besten konnte und am meisten liebte: er spielte. Reizte den Moment aus, bis er glaubte, dass sie drauf und dran war entweder tatsächlich noch einen Wutausbruch zu kriegen oder einen Rückzieher zu machen – nur um dann mit einer schnellen Fußbewegung die nur halb offene Tür hinter sich endgültig zuknallen zu lassen, einen Schritt auf sie zuzumachen, sie an sich zu ziehen und nun seine Lippen auf die ihren zu pressen. Sie war es gewesen, die den Stein ins Rollen gebracht hatte – und mehr brauchte er nicht, um ihn in Bewegung zu halten.





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Es war einer dieser Tage. Einer von jenen, an denen man schon beim Aufwachen spürte, dass es wohl besser wäre einfach im Bett liegen zu bleiben. An denen man wusste, dass es zu viel sein würde – ganz gleich was die Götter einem an diesem Tag entgegen werfen würden. Es war einer der seltenen Tage, an denen sogar Seiana sich in der Früh gewünscht hatte, sie könnte sich die Muße erlauben, einfach ein wenig länger liegen zu bleiben, sich auszuruhen, sich zu entspannen. Und den Rest des Tags in genau derselben Manier zu verbringen, nicht zwingend im Bett, aber zwingend mit Dingen, die ihr gefielen. Ein ausgedehntes Bad nehmen. Sich anschließend massieren lassen. In Ruhe lesen. Die ganzen letzten Wochen waren schon so stressig gewesen. Gut, Stress gehörte zu ihrem Alltag mittlerweile so sehr dazu wie der beinahe tägliche Weg zum Acta-Gebäude, oder der abendliche Kurzbericht über ihre Betriebe, den sie stets vorbereiten ließ und auf den sie nur in Ausnahmefällen verzichtete. Aber die letzten Wochen waren... nun, fast schon abartig gewesen, selbst für ihre Verhältnisse. Sie hatte Raghnall von der römischen Niederlassung ihres Buchladens inzwischen herausgeholt, hatte bisher allerdings noch keinen adäquaten Ersatz gefunden, weshalb die Geschäfte dort mehr oder weniger auf Eis lagen derzeit. Sowohl der Taberna medica als auch der Töpferei machte der Winter zu schaffen, weil Lieferungen sich verzögerten oder gar ausblieben aufgrund des Winters. Und der Fernhandel war derzeit nahezu ganz zum Erliegen gekommen. Dazu kam die Arbeit in der Acta, die ihr vor allem deshalb viel abverlangte, weil sie sich viel abverlangte, weil sie schlecht im Delegieren war, und weil sie gerne alles selbst kontrollierte. Sie konnte gar nicht alles kontrollieren – aber sie tat ihr Bestes. Und in letzter Zeit wurde es einfach... etwas viel.


    An diesem Tag hatte sie das Gefühl, dass es tatsächlich überhand nahm. Sie hatte sich aufgerafft, in der Früh, hatte den Wunsch einfach mal Pause zu machen rigoros beiseite geschoben und war aufgestanden, hatte sich an die Arbeit gemacht, wie jeden Tag. Hatte sich zuerst um den decimischen Haushalt gekümmert, das, was in ihren Händen lag. Hatte sich damit beschäftigt, was sie in Hinblick auf ihre Betriebe unternehmen könnte, vor allem was den Buchladen betraf, aber auch die anderen. Neue Lieferanten, andere Lieferwege, Ersatzwaren – irgendetwas, womit sie die Lieferengpässe überbrücken könnte, die sie mittlerweile um den Schlaf brachten. Und dann hatte sie sich auf den Weg zur Acta gemacht, wo ein Stapel an Arbeit auf sie wartete, ein Stapel, der im Lauf des Tages selten wirklich geringer zu werden schien, weil immer etwas neues dazu kam. Berichte von Mitarbeitern, Zusammenfassungen von Recherchen, Vorschläge für neue Beiträge und noch nicht gelesene Artikel, aber auch hier galt es, ein Auge auf den Betrieb zu haben, der im Hintergrund ablief und der dafür sorgte, dass die Subauctoren arbeiten konnten – dazu die Anfragen, die zu bearbeiten waren, und die Kontaktpflege, die Seiana so wenig lag und die sie dennoch mittlerweile mustergültig absolvierte, weil sie sich dazu zwang, mit Spendern, Informanten, Einflussnehmern gleichermaßen. Und dann war sie nach Hause gekommen, ein wenig früher als sonst, weil sie einen Termin mit dem Iulius hatte, der Livianus in Germanien geschrieben hatte, um sich über sie zu beschweren. Und dieses Gespräch hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Seiana brodelte innerlich vor Wut. Sie hatte das Bedürfnis, irgendetwas gegen die Wand zu schmettern, und kämpfte dagegen an. Sie sehnte sich danach, sich abzureagieren, und rang zugleich doch um ihre Selbstbeherrschung. Und je verbissener sie sich selbst bekriegte, desto größer wurde der Drang, loszulassen. Sich gehen zu lassen.


    Als sie ihre Räume betrat, war sie so weit, dass ihr ihre Wut deutlich anzusehen war, jedenfalls für die Menschen, die sie kannten. Und dieses Bedürfnis, irgendetwas zu tun, wurde nicht geringer, im Gegenteil. Ruhelos strich sie durch den Raum. Im Grunde hatte sie noch zu tun, aber im Moment hatte sie beim besten Willen nicht die nötige Beherrschung dafür, um sich nun einfach hinzusetzen und zu arbeiten. Und in diesem Moment kam Raghnall herein. Wie so häufig ohne überhaupt zu klopfen, öffnete er einfach die Tür, und als Seiana das Geräusch hörte, wirbelte sie herum und blitzte ihn wütend an. Und dann, plötzlich, fiel irgendetwas in ihrem Kopf an einen anderen Platz und gab den gedanklichen Blick frei auf etwas, was sie in der vergangenen Zeit lieber verdrängt hatte, als sich damit zu beschäftigen. Sei anders, hallte es in ihr. Löse dich. Sie musste nicht überlegen, um die Stimme zu identifizieren. Auch wenn sie es vorgezogen hatte, über jene Nacht nicht allzu intensiv nachzudenken, änderte das doch nichts daran, dass dieses Erlebnis für sie... nun, intensiv genug gewesen war, dass sie es auch nicht wirklich komplett verdrängen konnte. Die wenigen Male, an denen sie sich erlaubt hatte darüber nachzudenken, hatte sie sich auch eingestehen müssen, dass sie das wieder wollte. Sie hatte nur nicht wirklich eine Idee gehabt, wie sie das anstellen sollte, und dazu kam die Tatsache, dass ihr Verstand ihr nach wie vor einhämmerte, dass sie es nicht tun sollte, dass schon dieses eine Mal ein Fehler gewesen war. Jetzt allerdings, in diesem Moment, wo eine der größten Barrieren in ihrem Inneren, die sie aufgebaut hatte um sich selbst zu kontrollieren, ohnehin gerade nahezu komplett eingerissen war, hatte ihr Verstand nicht mehr den Einfluss, den er normalerweise hatte. Es war gleichgültig, ob es ein Fehler gewesen war – es war einer gewesen, den sie bereits gemacht hatte. Was sprach nun also dagegen, ihn zu wiederholen? Es ist das einzige, was dich den Dingen dieser Welt wirklich entrücken kann. Der Duccier hatte Recht gehabt mit dem, was er gesagt hatte. Er hatte verdammt noch mal Recht gehabt, und genau das – was er ihr bei ihrem Treffen versprochen und gleich darauf auch eingehalten hatte – war es, was sie jetzt wieder wollte. Den Dingen der Welt entrückt sein. Und Raghnall schien genau der Richtige zu sein. Sie kannte ihn lange genug um zu wissen, dass er, auf seine Art, vertrauenswürdig war, den Decimern und ihr loyal. Zugleich war es gerade seine Art, die ihn so... richtig machte. Sie wollte keinen gehorsamen Sklaven, der tat, was sie befahl. Sie wollte einen Mann, der das gleiche wollte. Sie brauchte einen Mann, der das gleiche wollte – und ab einem gewissen Punkt das Zepter in die Hand nahm, weil immer noch galt, dass sie nicht sonderlich viel Erfahrung hatte. Raghnall, davon ging sie aus, würde ihr das geben, was sie wollte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass er später kein großes Aufhebens darum machen würde. Weit wahrscheinlicher war es, dass er einfach unverschämt zufrieden und von sich eingenommen sein würde. Und damit konnte sie umgehen, ganz im Gegensatz zu einem Verhalten, das unterwürfig, anbiedernd oder unsicher gewesen wäre.


    Raghnall kam also in den Raum hinein. Seiana starrte ihn für einen Augenblick nur an. Zuerst nur wütend, über den Tag, über den Termin gerade, über Raghnalls Unverfrorenheit. Dann jedoch änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Er verlor nicht an Heftigkeit, nicht einmal wirklich an Wut, aber es gesellte sich Entschlossenheit dazu – und bevor Raghnall hätte deuten können, welcher Art diese Entschlossenheit war, kam Seiana auf ihn zu und küsste ihn, mit derselben Heftigkeit und Entschlossenheit, die zuvor auf ihrem Gesicht zu lesen gewesen war. Einige Momente später allerdings löste sie sich wieder von ihm, trat einen Schritt zurück, noch einen weiteren. Sie sagte kein Wort, das musste sie auch nicht, ihr Blick war Aufforderung genug. Sie wollte, dass er kam, freiwillig.

    Der Iulier rührte sich nicht, und die Sklaven kamen weiter auf ihn zu – sie blieben erst dicht vor ihm stehen, als Seiana ihnen einen Wink gab, weil sie noch etwas sagen wollte. „Ich habe dich eingeladen, um dich zu ersuchen, in Zukunft mit mir persönlich zu sprechen, bevor du weitere Eskalationsstufen angehst“, korrigierte Seiana den Iulius – und sie wusste nicht mehr, zum wievielten Mal sie das nun schon sagte. Aber vielleicht nutzte die stete Wiederholung ja doch irgendwann etwas. Was allerdings nun das weitere Gespräch betraf, hatte sie keine Ahnung, was der Iulius von ihr wollte – er war seinen Standpunkt ja dennoch losgeworden. Der Artikel selbst allerdings – der noch nicht einmal ein richtiger Artikel gewesen war, sondern lediglich eine Kurzmeldung unter vielen! –, besagte Meldung also war vor inzwischen über einem halben Jahr erschienen. Wäre der Iulius gleich bei ihr erschienen, hätten sie womöglich noch weiter diskutieren können, aber nun, nachdem kaum noch jemand an diese Meldung dachte, sah Seiana keinen Sinn in einer weiterführenden Debatte. Ganz davon abgesehen, dass die Einschaltung von Livianus in ihren Augen bereits eine Eskalationsstufe war, die zeigte, dass der Iulius nicht auf klärendes Gespräch mit ihr aus gewesen war – sondern versucht hatte, ihr auf diesem Weg die Kandare anlegen zu lassen. Und dieser Eindruck hatte sich nur bestätigt, nachdem der Iulius nun quasi von Anfang an mehr oder weniger direkt auf eine Klage angespielt hatte. „Deinen Standpunkt dargestellt hast du dennoch, was ich dir auch keineswegs absprechen möchte – auch wenn es nicht nötig war, denn mein Onkel hat mir deinen Standpunkt bereits vermittelt. Dass du allerdings von Beginn dieses Gesprächs an konsequent und immer direkter mit einer Klage gedroht hast, ist für mich nicht akzeptabel, Iulius. Ich wiederhole mich nur ungern – und ich werde mich kein weiteres Mal wiederholen –, aber ich führe kein Gespräch fort, in dem ich bedroht werde. Du kannst gehen.“ Die Sklaven setzten sich wieder in Bewegung. Sie waren decimische Sklaven, und ihre Herrin hatte eine klare Anweisung erteilt. Diesmal würden sie den Iulier, keineswegs grob, aber dennoch sehr bestimmt, in Richtung der Tür drängen.

    Das kühle Lächeln blieb auf ihren Lippen, als der Iulius sich nun doch noch dafür entschied, ihr ausführlicher seine Beschwerde zu schildern, nachdem sie keine Anstalten gemacht hatte nachzufragen. „Du wirst sicher verstehen, dass ich kaum in allen Teilen des Imperiums zugleich sein kann.“ Als Leiterin der Acta musste sie sich auf ihre Quellen verlassen können, so einfach war das. Sie konnte nicht überall sein. Erwiesen sich die Quellen als nicht vertrauenswürdig, wurden sie nicht mehr herangezogen, aber ohne ging es nicht. Allerdings: sie wollte hier nicht mit dem Iulius in allen Einzelheiten ausdiskutieren, was dieser während seiner Amtszeit getan hatte oder nicht. Sie könnte ihm sagen, dass vier Monate für Ermittlungen in ihren Augen etwas viel waren. Sie könnte ihn auch fragen, was er gegen die Darstellung hatte, dass er als Quästor Classis Schiffe bekommen hatte – war es nicht peinlicher einzugestehen, dass einem in dieser Funktion keines anvertraut worden war? Sie hatte diesen Artikel gelesen und nach allem, was sie wusste, für glaubwürdig genug erachtet, um ihn zu veröffentlichen. Was sie allerdings kommentieren wollte, war die Thematik des Praefectus Aegypti. „Und dir ist nicht in den Sinn gekommen, dass du als Gesandter des Senats in einer kaiserlichen Provinz womöglich zu Recht auf ein gewisses Misstrauen stößt? Oder dass der Praefectus Aegypti in der Hierarchie so weit über dir steht, dass du ihm gegenüber deine Zunge im Zaum halten solltest, ganz gleich was er zu dir sagt?“ Immerhin war der Iulius zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Senator gewesen, geschweige denn in sonst einer Position, in der er sich gegenüber dem Terentier – der in Ägypten der Stellvertreter des Kaisers war! – hätte aufspielen dürfen. „Oder hättest du beim Praefectus Urbi oder dem Kaiser persönlich etwa genauso reagiert wie beim Praefectus Aegypti?“


    Dann allerdings beging der Iulier einen Fehler – und gleich darauf noch einen zweiten. Mit seiner Empfehlung implizierte er, in ihren Ohren jedenfalls, dass sie unfähig war. Und mit dem Kommentar zum Codex Iuridicialis tat er genau das, was er gleich darauf behauptete nicht tun zu wollen: er drohte ihr. Erst recht in Anbetracht der Tatsache, dass er bereits vorhin von einer Klage gesprochen hatte. Wer würde diese Wiederholung dann nicht als Drohung verstehen? Zumal sie ihn erst vor wenigen Momenten darauf hingewiesen hatte, dass es mehr Wege gab als der Kontakt zu ihren Verwandten oder der Weg vor Gericht? Nein. Der erneute, und diesmal explizite Hinweis auf eine Klage war definitiv eine Drohung. Und damit war der Moment gekommen, in dem Seiana wütend wurde. Sie ließ sich nicht drohen.


    Es geschah selten, dass sie so heftige Gefühle wie Wut empfand, nicht, weil sie tatsächlich so emotionslos gewesen wäre, wie sie häufig wirkte, sondern weil sie gelernt hatte, sich zu kontrollieren. Jahrelanges Üben, um das Ideal zu erreichen, das ihre Mutter ihr seit frühester Kindheit gepredigt und vorgelebt hatte, hatte seine Wirkung nicht verfehlt, und inzwischen war Seiana ein Mensch, der Emotionen so tief in sich verschloss, dass sie nur selten die Oberfläche erreichten. Und selbst dann, wenn sie es taten, brodelten sie häufig nur dicht darunter. Zu einem wirklichen Gefühlsausbruch hatte sie sich lange nicht mehr hinreißen lassen, für ihre Verhältnisse kam es schon einem Ausbruch gleich, wenn sie ungewollt ihre Stimme ein wenig erhob. Seiana beherrschte sich ausgezeichnet – so auch jetzt, in diesem Moment, der nun zu den wenigen gezählt werden konnte, in denen es begann in ihr zu brodeln. Konträr zu dem, wie es in ihrem Inneren aussah, wurde ihre Miene noch kühler. „Du hast anscheinend nicht begriffen, was ich vorhin gesagt habe, Iulius. Oder du hast mir nicht zugehört. Ich habe dir nicht abgeraten, derlei Dinge in der Familie zu halten, ich habe dir geraten, dich an mich zu wenden und solcherlei mit mir direkt zu klären. Da Beschwerden, die die Acta betreffen, als Auctrix mich betreffen, wäre der direkte, persönliche Weg also definitiv der schnellste gewesen, wenn er für dich schon sonst keine Vorteile zu haben scheint. Und verzeih mir“, ihr eisiger Tonfall machte deutlich, dass sie diese Worte ganz sicher nicht wörtlich meinte, „aber ein Hinweis auf den Codex Iuridicialis sehe ich nicht als gut gemeinten Rat, sondern tatsächlich als Drohung. Unter diesen Umständen ist unser Gespräch nun beendet. Vale, Iulius.“ Die Sklaven mussten nicht erst herbei gewunken werden, es reichten die Worte, die sie ausgesprochen hatte, um sie herbeieilen zu lassen, um den Iulius zur Tür zu begleiten.

    Seianas Miene blieb unbewegt, aber innerlich fragte sie sich, ob der Iulius sie tatsächlich nicht verstand, oder ob er sie nicht verstehen wollte. Was für einen Sinn machte es in ihrem Fall, sich an einen männlichen Verwandten zu wenden, wenn doch sie diejenige war, die die Verantwortung für die Acta trug? Die die Entscheidungen traf? Die vom Senat auf diese Position berufen worden war? Allerdings kam sie zu dem Schluss, dass es wohl gleichgültig war, aus welche Gründe ihn dazu bewegt haben mochten, einen ihrer männlichen Verwandten vorzuziehen. „Nun, selbst dies vorausgesetzt wäre es sinnvoller gewesen, sich an jenen meiner Verwandten zu wenden, der in Rom ist. Mattiacus ist ebenso wie Livianus mein Onkel.“ Nur das Mattiacus kein Legat war.


    Der Iulier schien kein gesteigertes Interesse an einer weiterführenden Diskussion zu haben, wie sie seinen folgenden Worten entnahm – was Seiana einerseits überraschte, andererseits allerdings nicht Unrecht war. Sie hatte im Grunde damit gerechnet, dass er nun die Gelegenheit nutzte, seine Beschwerde noch einmal bei ihr vorzubringen. Wenn er jedoch hierfür keinen Grund sah, sondern sich damit zufrieden gab, seinen Klagen bei Livianus eingebracht zu haben und zu wissen, dass dieser die Beschwerde an sie weiter geleitet hatte, dann würde sie den Iulier nun nicht weiter aufhalten.„In der Tat, Iulius, darum möchte ich dich bitten. Es hätte unter anderem den Vorteil, dass ich sofort von derlei Unstimmigkeiten erfahre und nicht erst Wochen später – was sicherlich auch für den Beschwerdeführer nicht unangenehm ist.“ Ein kühles Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen. „Von meiner Seite aus wäre das alles. Falls du nichts mehr zu sagen hast, will ich dich nicht weiter aufhalten. Ein Senator wie du hat sicherlich eine Vielzahl an wichtigen Terminen.“

    „Ja, das sehe ich genauso wie du. Eigentlich müssten sie jedes Interesse an einer schnellen Reaktion haben.“ Vielleicht war auch das der Grund, warum sich auch der Vescularier zurückhielt. Das Zögern würde kaum ihm angelastet werden, sondern den Kollegien. „Ich hoffe jedenfalls, dass sich hier bald etwas tut.“


    Seiana nippte an ihrem Weingemisch und zog dann andeutungsweise eine Augenbraue hoch. Der Quintilius hatte den Praefectus Urbi beleidigt? „Tatsächlich?“ Für einen Moment klang sie ehrlich überrascht, bevor ihre Selbstbeherrschung wieder die Kontrolle übernehmen. Aus ihren nächsten Worten klang – bewusst – vorsichtige Neugier. „Darf ich fragen, wie du ihn beleidigt hast?“

    „Nein, Iulius“, entgegnete Seiana, und sowohl ihre Stimme als auch ihre Miene war so kalt wie das Eis in den Bergen. „Ich habe in dieser Hinsicht keinerlei Präferenzen, welchen Weg du einschlägst. Aber nachdem du mich fragst, will ich es dir erklären: im Gegensatz zu dir sehe ich deutlich mehr Möglichkeiten Kritik anzubringen oder einen Konflikt zu lösen, als sich bei einem einflussreichen Verwandten zu beschweren oder vor Gericht zu gehen. Natürlich ist es dir erlaubt, dich an Livianus zu wenden, aber ich hätte es für klüger von dir gehalten, hättest du direkt mit mir kommuniziert, anstatt dich bei meinem Onkel auszujammern – der zwar über eine Legion, aber weder über mich noch über das, was die Subauctoren schreiben oder die Acta veröffentlicht, irgendeine Befehlsgewalt hat. Zumal du nicht, wie du behauptest, aus diesem Haus beschimpft wurdest, sondern ein Artikel in der Acta über deine Arbeit veröffentlicht wurde – die schon über ganz andere Männer und Familien in dieser Art veröffentlicht hat, unter anderem über meine eigene. Meinst du also nicht auch, es wäre besser gewesen, mit mir zu reden anstatt mit Livianus?“

    Der Iulier war offenbar nicht daran interessiert, sich zunächst mit höflichem Geplänkel ein wenig auszutauschen. Seiana konnte das allerdings nur Recht sein, beherrschte sie diese Kunst zwar inzwischen recht gut, zog es aber dennoch vor, darauf zu verzichten, wenn möglich. Dass er sie allerdings nur begrüßte und sonst gar nichts sagte, wunderte sie dann doch etwas – immerhin hatte er doch ihrem Onkel geschrieben und sich über sie beschwert. Genau das hatte sie in ihrem Brief an den Iulius auch angesprochen. Hatte er etwa erwartet, dass Livianus ihr nichts davon schreiben würde? Oder dass sie dann nicht darauf reagieren würde? Sie hatte durchaus damit gerechnet, dass er die Gelegenheit nutzen und sich gleich Luft machen würde.


    „Nun, du weißt, weswegen ich dich um ein Treffen gebeten habe, Iulius. Du hast meinem Onkel geschrieben und dich bei ihm über mich beschwert – was er mir auch mitgeteilt hat. Was mich an der Sache allerdings sehr... irritiert hat ist, dass du mit dieser Beschwerde nicht zu mir persönlich gekommen bist, sondern stattdessen meinem Onkel schreibst.“ War ihr Tonfall vorher noch freundlich gewesen, wurde er nun schärfer. „Im Grunde möchte ich dich nur darum ersuchen, in Zukunft derlei Dinge gleich mit mir persönlich zu besprechen. So sehr ich meiner Familie verpflichtet bin, so wenig kann ich Kritik oder Beschwerden, die die Acta oder mich in meiner Funktion als Auctrix betreffen, über meinen Onkel abhandeln. Das verstehst du sicher.“

    Als die Aurelia zu sprechen begann, veränderte sich Seianas Lächeln, verlor das Mitgefühl und gewann stattdessen dezent an Freundlichkeit – das eine genauso wenig tatsächlich empfunden wie das andere, aber nichtsdestotrotz: es wirkte völlig glaubwürdig. Gerade weil Seiana den Bogen nicht überspannte, sondern dennoch zurückhaltend und kühl blieb, wie es schlicht ihre Art war, gab es nichts an ihrer Mimik, was einen Rückschluss auf ihre Gedanken hätte zulassen können. Diese allerdings waren nicht ganz so freundlich geprägt. Der Plebs also? In ihren Augen gab es einen feinen Unterschied zwischen dem Plebs und dem Pöbel. Beides in einen Topf zu werfen zeugte nun entweder davon, dass die Aurelia – höflich ausgedrückt – nicht nachdachte über das, was sie von sich gab, oder aber: dass sie bewusst beleidigen wollte. Und Seiana war sich in diesem Moment nicht ganz sicher, was es sein mochte.


    Was jenen Tag im Hain der Diana anging, verzichtete Seiana auf eine Reaktion. Sie war nicht dabei gewesen, aber einer ihrer Mitarbeiter – und sie hatte in der Zwischenzeit mit einigen Leuten gesprochen, die dort gewesen waren. Und wie es stets war bei derartigen Ereignissen: man sprach mit zehn Menschen und hatte am Ende mindestens fünfzehn Varianten dessen, was angeblich geschehen war. Gesichert erschien ihr bisher nur, dass tatsächlich Flavia Celerina in irgendeinem Zusammenhang mit den Ereignissen stand. Ob allerdings, wie Prisca ihre Überzeugung kundtat, tatsächlich nur ein sogenannter Irrer gewesen war, bezweifelte Seiana jedoch. Das Gespräch unterdessen stockte nicht, und Axillas Kommentar zeigte, dass auch sie nicht begeistert gewesen war von dem, was die Aurelia über den Plebs gesagt hatte. Und sie wies sie mit einer ebenso schlichten wie wahren Bemerkung in die Schranken. Die Reaktion darauf veranlasste Seiana allerdings nun doch dazu, wieder etwas zu sagen. So zwiespältig sie die Iunia immer noch sah, sie war eine ihrer Mitarbeiterinnen. „Nun, ich denke doch, als Subauctrix ist es angebracht, Bescheid zu wissen über alle Familien, die das Potential haben, Roms Schicksal mitzugestalten. Auch wenn die Geschichte gezeigt hat, dass nur wenige dieses Potential entfalten.“ Mit welchen Konsequenzen auch immer, sei es nun im positiven oder im negativen Sinn. Man sah es ja gerade wieder an ihrem Onkel: er hatte zu offen gezeigt, was er vom Praefectus Urbi hielt, und war in der Provinz gelandet, als Legat, das ja, aber dennoch: weit weg von Rom. „Der Plebs – wir ebenso wie das namenlose Volk – ist Rom, Aurelia. Sicher wird es auf den Straßen reichlich unangenehm, wenn der Pöbel daran erinnert, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Sie haben ein Recht darauf, den oder die Schuldigen präsentiert zu bekommen, immerhin war es zu einem großen Teil ihresgleichen, die an jenem Tag umgekommen sind. Sie haben ein Recht darauf, dass die pax deorum wiederhergestellt wird – von eben jenen Familien, die sich einen Namen gemacht haben, gleich wer welchen Anteil Schuld an der Störung hat. Einen glänzenden Namen zu tragen bedeutet in erster Linie nicht Privileg, sondern Verantwortung.“

    Im Tablinum angekommen, offerierte ein Sklave verschiedene Getränke – Wein, pur und verdünnt, Wasser, Saft – und servierte das Gewünschte, während der Sklavenjunge bereits davon geeilt war, um der Herrin Bescheid zu geben.


    Kurze Zeit später betrat Seiana das Atrium. Der Iulier war ihrer Einladung – oder vielmehr Aufforderung, was es in ihren Augen eher gewesen war – also in der Tat gefolgt und war gekommen. Als sie den Brief geschrieben hatte, hatte sie Zweifel gehegt, ob er wirklich kommen würde – und nicht etwa sie aufforderte, zu ihm in die Casa Iulia zu kommen, wenn sie etwas zu besprechen hätte. Andererseits war er es ja gewesen, der ihrem Onkel geschrieben hatte. „Salve, Iulius.“ Auf ihren Lippen lag ein höfliches, neutrales Lächeln, das nichts von ihren Gedanken verriet, während sie auf ihren Gast zukam und ihn begrüßte. „Ich freue mich, dass du kommen konntest.“

    [Blockierte Grafik: http://img169.imageshack.us/im…3/sklaveianitorfr0rt1.jpg]


    Marcus öffnete die Tür, als es klopfte, und musterte die Besucher vor der Tür. „Salve“, wandte er sich an den klopfenden Sklaven. „Dein Herr ist Iulius Centho, nehme ich an?“ Es war nicht schwer, das zu erraten, bekam er als Ianitor doch nicht nur Bescheid über die anstehenden Termine – und damit die Gäste, die kommen würden –, sondern hatte er die Ankündigung dieses speziellen Termins doch selbst entgegen genommen. Er wartete die Bestätigung des Sklaven ab, dann nickte er und öffnete einladend die Tür. „Bitte tretet doch ein.“ Ein Sklavenjunge brachte die Gäste ins Tablinum.





    IANITOR - GENS DECIMA

    Entschuldigung an dieser Stelle an alle, die im Moment auf mich warten - ich war die letzten Tage ziemlich eingespannt, und das wird mindestens die nächsten beiden auch noch so bleiben. Zum Wochenende hin sollte es besser werden :)