Seiana konzentrierte sich auf ihre Schreibarbeit. Sie hatte dreimal angesetzt inzwischen, und sie hatte jedes Mal neu angefangen. Die Tatsache, dass sie den Papyrus nicht einfach beiseite legte, sondern zerknüllte, sagte genug aus über ihre innere Verfassung derzeit, fast mehr noch als die Tatsache, dass sie überhaupt neu anfangen müsste. Nach dem zweiten Mal hatte sie sich eine Wachstafel herangezogen. So… befriedigend das Zerknüllen des Materials für diesen einen winzigen Moment auch war, Papyrus war zu teuer, um ihn derart zu verschwenden. Sie ignorierte Elena, wie sie die Scherben beiseite räumte, schrieb weiter, kratzte die Worte aus und schrieb erneut. Sie fand einfach keine Worte, die richtig klangen. Es ging schon mit der Anrede los. Aber schließlich, irgendwann, hatte sie einen Entwurf fertig, mit dem sie wenigstens leben konnte. Keine Emotionen waren in dem Brief zu merken, und genau das war es, was sie wollte. Caius sollte nicht merken, was in ihr vorging. Noch lieber wäre es ihr gewesen, wenn sie ein wenig höfliche Lockerheit hätte hineinbringen können in die Worte, einen oberflächlichen Konversationston, aber das schaffte sie nicht. So sehr sie es versucht hatte, sie schaffte es nicht. Für einen Augenblick seufzte sie lautlos und strich sich müde über die Augen. Und dabei hatte sie erst einen Brief geschrieben. Weitere standen ihr bevor. Lucilla musste sie schreiben, in jedem Fall. Und Faustus… Seine Abreise nach Ägypten stand kurz bevor, er war bereits in Ostia. Sie würde ihm nichts sagen, beschloss sie. Sie würde warten, bis er abgereist war, und ihm dann auch einen Brief schreiben. Einen, den sie ebenso emotionslos halten – oder es zumindest versuchen – würde wie alle anderen.
Sie ließ ihre Hand wieder sinken, zog nun erneut einen Papyrus zu sich und machte sich daran, den Entwurf abzuschreiben, als die Tür aufging. Sie bemerkte es nicht, ganz im Gegensatz zu Elena, die aufsah – bevor die Sklavin allerdings auf den Besucher aufmerksam machen konnte, übernahm der es selbst. Seiana sah hoch, überrascht, darüber dass überhaupt jemand hier war, und darüber dass derjenige nicht einmal geklopft hatte. Sie warf Elena einen kurzen Blick unter gerunzelter Stirn zu, fast als wäre es deren Schuld, aber sie sagte nichts zu ihr, sondern bedeutete ihr nur mit einem Kopfnicken, zu gehen. „Flavus. Setz dich doch.“ Ihr Lächeln war so gefroren, wie sie sich innerlich fühlte, als sie auf die Sitzgruppe am Fenster wies. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich zu sammeln, sich darauf vorzubereiten, mit jemandem zu reden dem sie nichts zeigen wollte. Und gerade im Augenblick, nach diesem Brief, hätte sie Zeit bitter nötig gehabt, Zeit um eine Maske aufzusetzen, die auch das bittere Eis verbarg. Sie musterte ihren Cousin kurz. Sie hatte ihn ein paar Mal getroffen, seit sie wieder hier war, aber wirklich viel Gelegenheit, miteinander zu reden, hatte sich nicht ergeben, weshalb sie ihn kaum kannte. Sie wusste nur, dass er der Sohn Livianus’ war, von dem er lange nichts gewusst hatte. „Verzeih mir, wenn mein Ausbruch dich gestört hat“, wich sie seiner Frage aus. „Manchmal fehlt einfach die nötige Selbstbeherrschung.“