Beiträge von Decima Seiana

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    Nachdem Crios Axilla endlich hergeschafft hatte, brachte er sie ohne Umschweife durch den Hauptraum, durch die Tür in den hinteren Teil und dort in einen der Behandlungsräume, wo er sie vorsichtig auf eine Liege legte. Sie hatte das Bewusstsein verloren – und sie verlor nach wie vor Blut. Crios knirschte mit den Zähnen und wünschte sich, Iaret wäre hier. Er hätte besser gewusst, was zu tun war, hätte gewusst ob er die Blutung stoppen oder erst einmal der Natur ihren Lauf lassen sollte… Dass das Kind nun noch eine Chance hatte, glaubte Crios nicht. Und es musste abgehen, wenn es nicht den Körper der Mutter vergiften sollte. Aber zu viel Blut durfte Axilla auch nicht verlieren…


    Für einen Augenblick verschwand er im Nebenraum und holte Kräuter, Zutaten, kam dann so schnell wie möglich wieder zurück zu seiner Patientin, flößte ihr zunächst Opium ein, bevor er mit flinken Fingern weiteres zusammenmischte und zu den Göttern betete, das richtige Verhältnis zu treffen. Der Abgang musste unterstützt werden, aber die Blutung durfte dabei nicht zu stark werden. Langsam führte er ein Stück Stoff ein, getränkt mit der Flüssigkeit, nutzte allerdings kein festgedrehtes. Danach entzündete er Kohlebecken, damit der Raum warm war, zog ihr die Tunika aus, wusch sie vorsichtig und hüllte ihren Oberkörper in eine Decke ein. Und wartete. Das war das Schlimmste. Das Warten.




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    Crios war sich nicht ganz sicher, ob er nun richtig reagiert hatte. Ging es der Iunia nun gerade schlechter oder besser? Aber sie fing bereits wieder an zu sprechen, und Crios schob erst mal den Gedanken fort, ob er nun gerade das Richtige sagte oder nicht. Wieder spielten seine Finger mit dem Stylus. „Nun… es wäre ganz gut, wenn du auch nachts jemanden hättest, zu dem du gehen könntest. Gerade dann scheint es ja am schlimmsten zu sein.“ Allerdings konnte er verstehen, dass sie nicht unbedingt zu Axilla wollte. Nachdem sie die fehlgeschlagene Abtreibung mitbekommen hatte, weckte der Anblick der anderen Iunia sicher unangenehme Erinnerungen. „Heiraten wirst du?“ Crios lächelte flüchtig. „Dann herzlichen Glückwunsch.“ Einen Augenblick schwieg er, ließ den Stylus hin und her wippen und kritzelte dann etwas. Und beschloss dann, offen zu sagen, was er dachte – auch wenn die Iunia genau das ausgeschlossen hatte gerade eben. „Kann es nicht doch sein, dass es daran liegt, dass die Albträume so massiv werden in letzter Zeit? Versteh mich nicht falsch, ich will nicht an deiner Freude zweifeln darüber. Aber… eine Hochzeit bedeutet doch letztlich, dass bald eine Schwangerschaft auf dich zukommen wird. Vorausgesetzt es läuft wie geplant.“ Frauen, verheiratete Frauen, hatten nun mal vorrangig diese Aufgabe: Kinder zu gebären. Erben für den Ehemann. „Hast du dir darüber schon mal Gedanken gemacht? Dass du vielleicht Angst davor hast, was passiert, wenn du schwanger bist?“


    Bei Serranas nächsten Worten runzelte Crios leicht die Stirn. „Du solltest dir wirklich jemanden suchen, der dir nachts helfen kann. Wenn deine jetzige Sklavin nicht geeignet ist, dann versuch eine andere zu finden, die deine Vertraute werden kann. Und schreib auf, an was du dich erinnerst. Die positiven Dinge, meine ich. Vielleicht erinnerst du dich noch an mehr dann, und der Vorteil daran ist, dass du es nachts dann einfach lesen kannst und nicht abhängig bist davon, wie groß deine Angst ist. Einen Trank mische ich dir gerne, gerade für die erste Zeit kann er dir helfen. Aber längerfristig… solltest du versuchen, deine Angst irgendwie zu bekämpfen.“




    „Gelöst“, wiederholte Seiana. „Die Verlobung ist gelöst. Die Hochzeit findet nicht statt.“ Sie wusste, dass es nicht nötig war, das zu sagen. Dass Livianus nicht das gemeint hatte mit seiner Frage. Aber sie hatte das Gefühl, es sagen zu müssen. Es verlieh dem Ganzen mehr… Realität. Sie presste die Lippen aufeinander und sah auf den Boden, bevor sie ihren Blick wieder hob und dem ihres Onkels begegnete. „Ich… er… wird wohl eine andere heiraten“, brachte sie dann hervor.

    Seiana hätte am liebsten aufgeschrieen, als sie sein Naja hörte. Naja. Und das in diesem Tonfall. Es gab kein Naja in diesem Fall, nicht in ihren Augen. Und dann sprach er weiter. Er beendete den Satz nicht. Aber Seiana wusste dennoch, was er sagen sollte. Es war oft genug Thema gewesen zwischen ihnen, nicht weil sie es immer wieder auf den Tisch gebracht hätte, sondern er. Und sein Standpunkt, seine Meinung, war deutlich geworden in den verschiedenen Diskussionen. Sie wusste, was er sagen wollte. Sie hatte auch schon vorher gewusst, dass er so dachte. Aber dass er es ihr gegenüber tatsächlich so aussprechen, so formulieren würde, hätte sie nicht gedacht, nicht erwartet, und es traf sie zutiefst, dass er es tat. Sie hatte immer geglaubt, er hätte Verständnis für ihre Haltung. Jedenfalls hatte er das immer behauptet. Dass er ihr jetzt so in den Rücken fiel, ihr einen derartigen Tiefschlag verpasste, das… traf sie mehr als die Tatsache an sich, dass er sie betrogen hatte. Dafür hatte sie ja noch bis zu einem gewissen Grad Verständnis. Sie hätte sich gewünscht, es wäre keine Römerin gewesen, sondern eine Lupa oder Sklavin, und natürlich hätte sie sich vor allem anderen gewünscht, es wäre bei einer simplen Affäre geblieben, bei der Caius sich einfach holte, was er augenscheinlich brauchte und von ihr – noch! – nicht bekam, aber sie hätte Verständnis dafür gehabt, haben können, eben weil sie sich weigerte, ihm das zu geben. Und sie waren nun einmal lange verlobt gewesen. Aber sie hatte geglaubt, er umgekehrt hätte für sie dasselbe Verständnis, und vor allem hatte sie geglaubt, Caius würde deswegen nicht die Verlobung über den Haufen schmeißen, nur er weil er eine andere Römerin getroffen hatte, die die Beine für ihn breit machte. Dass er ihr das nun auch noch vorhielt…


    Sie wurde bleich, bleicher noch als ohnehin schon, als das Eis mit einem Knirschen und Knarren sich noch ein weiteres Stück empor türmte und die Landschaft in ihrem Inneren noch zerklüfteter werden ließ. Zerklüftet und unwegsam von nah. Eisig, glatt und schimmern von fern. „Zufall“, wiederholte sie leise. „Dann war es sicher auch Zufall, dass du mehrmals den Vorzug ihrer vor der Hochzeit gespreizten Beine genossen hast.“ Seiana war wirklich verletzt durch die halb ausgesprochene Bemerkung von gerade. Und wieder war da der Teil in ihr erwacht, der sich fragte, ob es nicht vielleicht doch ihre Schuld war… der unsichere Teil in ihr, der sie für so wenig wert hielt, der ihr beständig zu sagen schien, dass sie anders sein müsste, anders… anders. „Was für ein Glück, dass wir noch nicht verheiratet waren, nicht wahr? Eine Verlobung aufzulösen ist so viel einfacher als eine Scheidung einzureichen.“ Irgendwo meldete sich in ihr der Impuls, etwas an die Wand zu werfen, aber Seiana musste sich nicht einmal Mühe geben, sich zu beherrschen. Das Eis in ihr tat diese Arbeit für sie. „Es ist aber nicht dein Laden. Wenn du das ändern möchtest, bitte. Wenn nicht, ist es nicht deine Angelegenheit.“ Sie neigte sich ein wenig nach vorn, als sie das sagte, bereute das aber, als Caius’ nächste Worte kamen. „Ja. Es ist passiert. Dennoch würde ich es vorziehen, wenn sie sich in Zukunft eine andere Taberna sucht.“

    Seiana lächelte der jungen Frau zu. „Nun, ich habe vor, dass es gemütlich wird. Das hier allerdings…“ Sie machte eine leichte Handbewegung, die den Verkaufsraum umschloss, „… ist weder akkurat noch gemütlich. Und es sollte wenigstens eines von beiden sein.“ Eher akkurat als gemütlich… auch wenn Seiana zuvor noch das Gegenteil gesagt hatte. Natürlich sollte die Atmosphäre zum Lesen einladen, das wusste sie schon, weil das die Menschen eher dazu animieren würde, dann auch tatsächlich etwas zu kaufen – was der Sinn eines Ladens war –, aber sie selbst fand, dass eine gewisse Ordentlichkeit einfach auch gegeben sein sollte.


    Ihre Worte, dass sie den Laden aus Alexandria hierher verlegte, schienen irgendetwas in der Jüngeren auszulösen. Seiana meinte Neugier aufblitzen zu sehen, und noch etwas anderes, und für einen Augenblick fragte sie sich, wie alt die andere wohl war. Und wo die Zeit geblieben war… Nicht dass sie selbst furchtbar alt wäre, aber sie war doch älter, und wo war sie heute? Nicht dort, wo sie hätte sein sollen. Sie verdrängte die Gedanken, die sie ohnehin hinter ihrer üblichen, höflichen Maske verborgen hatte. „Doch, einige Abschriften habe ich durchaus.“ Sie wandte sich den Kisten zu, suchte kurz nach der richtigen und bedeutete dann dem Sklaven mit einem Wink, sie zu öffnen und den Inhalt auf einem Tisch zu platzieren, so dass man ihn gut besichtigen konnte. Während er sich dem widmete, wandte sie sich wieder an ihren Gast. „Aurelia Narcissa, ja? Bist du verwandt mit Aurelius Corvinus?“

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    Noch bevor Crios dazu kam, sich die beiden am Boden eingehender anzusehen, fasste ihn schon jemand an der Schulter und drehte ihn herum. Dass die Männer hin waren, wie der andere es formulierte, war im Grunde nicht sonderlich überraschend, weil es doch recht eindeutig war, wie sie da lagen – allerdings fragte Crios sich, warum dann überhaupt nach einem Medicus gerufen worden war. Der Mann neben ihm sprach aber schon weiter, und noch während er auf die Iunia hinwies, die er immer noch hielt, bemerkte Crios die unnatürliche Bleiche, die ihr Gesicht überzog, und schließlich das Blut, das ihren Schoß zu färben begann, langsam, aber unaufhaltsam.


    Crios weigerte sich, sich darüber Gedanken zu machen, was das heißen mochte. Er wandte sich Axilla zu und fühlte kurz ihren Puls, während er ihr mit der anderen Hand über das Gesicht strich. „Axilla. Hey, hörst du mich?“ Crios presste die Zähne aufeinander und versuchte in Bruchteilen von Momenten abzuwägen, was besser war: die Iunia hier – wenigstens vorerst – zu behandeln, oder sie gleich in die Taberna zu bringen. Er entschied sich für letzteres. Er hatte ein paar Kräuter dabei gegen die Schmerzen, aber keine starken, und er brauchte ohnehin Wasser, um sie anzumischen. Wenn er darauf warten musste, dass ihm das irgendjemand brachte, konnte er sie auch gleich wegbringen. „Ich kann hier wenig machen. Ich bring sie in die Taberna, das ist erst mal das Beste. Kennst du sie?“ fügte er dann noch an, als ihm aufging, dass er gar nicht wusste, ob der Mann, den er unwillkürlich angesprochen hatte, zu der Iunia gehörte oder nur zufällig hier vorne stand und sie gehalten hatte.




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    Es war Crios, der auf die Rufe nach einem Medicus schließlich aufmerksam wurde. Er hatte sich ein paar Straßen weiter entfernt befunden, auf dem Rückweg von einem Hausbesuch, als jemand an ihm vorbei gelaufen war und nach einem Medicus gerufen hatte. Als er denjenigen angehalten hatte, hatte der ihm nicht einmal sagen können, was genau los war, nur dass irgendetwas los war und dass jemand nach einem Medicus brüllte. Immer den Rufen nach, bitteschön, bittegleich, aber man selbst würde sich nun aus dem Staub machen, denn das hier sei ja schließlich die Subura, da sei der Ort, an dem ein Medicus gebraucht werde, doch selten zuträglich für die eigene Gesundheit. Crios machte sich nicht die Mühe, dem Kerl hinterher zu starren. Immerhin hatte der noch den Anstand besessen, nach jemandem zu suchen, den er schicken konnte. Und trotzdem kam er nicht umhin, sich innerlich aufzuregen über diese… Gleichgültigkeit. Ein paar Dinge hatte auch er schon erlebt, aber er war noch lange nicht abgestumpft genug, um sich über so etwas nicht aufzuregen – was auch ein wenig in seiner Natur begründet lag. So sehr er sich über manche Dinge auch aufregen konnte, er war ein Mensch, der in den Tag hinein lebte und sich nicht allzu viele Gedanken machte. Und auch diesen Kerl und sein Verhalten, das Crios in diesem Augenblick unverständlich und unmöglich fand, würde er bald wieder vergessen haben. Vielleicht am Abend Iaret davon erzählen, das ja – aber selbst dann würde es schon mehr eine Anekdote sein, über die er mehr würde lachen können als sich aufzuregen.


    Crios brauchte ein wenig, bis er durch das Gewirr an Straßen und Menschen schließlich in die richtige Gasse einbog, aber als er sie erreicht hatte, wusste er sofort, dass sie es war. Die Ansammlung an Menschen, durch die er sich hier drängen musste, und die andauernden lauten Rufe nach einem Medicus, die sich durch die Menge nach hinten fortpflanzten, sprachen für sich. Er drängte sich durch, bis er schließlich im Zentrum des Auflaufs angekommen war – und erstarrte erst mal, als er sah, wer sich dort befand. Sein Mund öffnete sich in einem lautlosen O. Die Iunia. Die Iunia? Gehalten von einem Fremden. Dann wanderte Crios’ Blick auf den Boden, und seine Augen weiteten sich, als er Leander erkannte. Er sah den Fleck nicht, der sich auf Axillas Kleid gebildet hatte, sah sie gar nicht lange genug an, um das zu entdecken. Mit Leander in einer Blutlache auf dem Boden und neben ihm einen zweiten Mann, ebenfalls blutüberströmt, schien ihm die Sache klar zu sein, warum ein Medicus gerufen worden war. Vielleicht steckte in einem von den beiden ja noch Leben, vielleicht konnte er irgendetwas tun, auch wenn die Wunden, die er sehen konnte, und die Menge an Blut so ziemlich das Gegenteil aussagten, und so überwand Crios die letzte Distanz und ließ sich neben Leander auf die Knie sinken, ohne auf das Blut zu achten, das an den Rändern seiner Tunika leckte und sie rot zu färben begann.




    Er wollte das Thema einfach nicht ruhen lassen. Seiana schloss die Augen und wünschte sich, ihr Kopfweh würde besser werden, aber gerade schien es eher noch zuzunehmen, ein dumpfes Pochen, das ihr das Denken schwer machte. Und dass Caius nun auch noch angefangen hatte, mit dem Bein zu wippen, machte es ihr noch unmöglicher, sich zu konzentrieren. „Kannst du damit aufhören?“ fuhr sie ihn mit einer Kopfbewegung zu seinem Bein hin entnervt und fügte dann noch hinzu: „Bitte.“ Und dann schwieg sie erst mal. Es gefiel ihr nicht, nicht zu wissen was sie sagen sollte. Aber sie wusste es einfach nicht. Sie wusste nicht, warum er unbedingt mit ihr befreundet sein wollte. Und was sie betraf… Sie wusste, dass sie ihn mochte. Gemocht hatte. Natürlich, immerhin hatte sie ihn heiraten wollen! Aber eine Freundschaft war etwas völlig anderes, und Freunde… Seiana wusste nicht, was Freunde taten. Sie hatte nicht wirklich Freunde. Sie hatte Bekannte, gute Bekannte, Verwandte… und zum Bekanntenkreis zählte Caius auch weiterhin, das ohne Frage, daran konnte sie ohnehin nichts ändern. Aber befreundet sein? Nach allem, was passiert war, was er getan hatte? Verletzter Stolz regte sich erneut in ihr. Er hatte sie abgeschoben. Hatte eine andere ihr vorgezogen. Wäre diese andere wenigstens tatsächlich besser als sie gewesen, Seiana hätte es noch irgendwie verstehen können. Eine Patrizierin. Oder die Tochter eines Senators. Die noch dazu repräsentativer war als sie, und die keinen Bruder hatte, der sich mit Caius prügelte. Aber er hatte ihr Axilla vorgezogen, deren Familie ihre glanzvollen Zeiten schon längst hinter sich gelassen hatte, und die auch selbst weit weniger zu bieten als Seiana. Und das begriff sie einfach nicht. „Was ich denke, ja?“ Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort, das zeigte allein schon der bittere Tonfall, der sich nun hineinschlich. „Du betrügst mich, lässt mich sitzen, heiratest eine andere und willst trotzdem, dass ich dir die Stange halte?“ Sie wünschte sich, er hätte nicht nachgebohrt, wünschte sich, er hätte das Thema einfach auf sich beruhen lassen. Am besten wäre natürlich gewesen, sie wäre in der Lage, einfach nur Ja zu sagen. Ja, natürlich können wir befreundet sein. Und dabei ein Lächeln aufzusetzen, das so überzeugend wie falsch war. Aber dazu fühlte sie sich im Moment einfach nicht imstande. Caius hätte warten müssen, bevor er sie damit überfiel, hätte einfach noch warten müssen…


    Das nächste Thema war nicht unbedingt einfacher, aber doch insofern besser, als dass es Seiana etwas gab, worauf sie anstelle dieser leidigen Freundschaftsfrage konzentrieren konnte. Und das funktionierte wenigstens für Augenblicke sehr gut, weil die Informationen, die Caius ihr gab, sie doch etwas kalt erwischten. „Er… Moment. Axilla wurde in meiner Taberna behandelt?“ Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Die Seekrankheit, die einfach nicht hatte verschwinden wollen… Und sie hatte ihr auch noch angeboten, sich in ihrer Taberna Rat zu holen. Dass Axilla allerdings derart frech, derart unverfroren sein würde, sich in ihrer Taberna, von ihren Angestellten behandeln zu lassen, weil sie von ihrem Verlobten schwanger war, das hätte auch Seiana nicht gedacht. Ihr Kopf dröhnte, während plötzlich Wut in ihr zu pulsieren begann. „Sie lässt sich von meinem Verlobten schwängern und geht dann in meine Taberna?“ Sie starrte Caius an, und ohne es zu merken, ballten sich ihre Hände zu Fäusten, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Es dauerte Augenblicke, bis sie sich wieder so weit unter Kontrolle hatte, dass sie ihrer Stimme traute. Als sie dann das Wort ergriff, war ihr Tonfall kühl, um nicht zu sagen eisig. „Nun, ich bedaure, dass ihr nicht den Eindruck hattet, gut behandelt worden zu sein. Aber ich fürchte, es ist mein Eindruck, der maßgebend ist.“ Auf die Diskussion, was die Taberna an sich anging und mögliche nachträgliche Zahlungen ihrerseits an Caius ließ sie sich nicht weiter ein. Sie würde nicht mit ihm darüber streiten. Wenn er nicht nachgeben wollte, würde sie ihm einfach in den nächsten Tagen einen Beutel mit Sesterzen vorbeischicken, die den ungefähren Wert der Taberna darstellten zum Zeitpunkt, als sie sie übernommen hatte. Sie wollte ihm einfach nichts schuldig sein – aber dass er das nicht begriff, zeigten seine Worte deutlich. Und sie meinte ihn zu gut zu kennen, um zu hoffen, dass sie ihn umstimmen oder auch nur dazu bringen könnte, sie zu verstehen – und nachzugeben. Was seine Eltern anging allerdings fühlte sie sich bemüßigt, ihren Wunsch noch einmal zu bekräftigen. „Ja, das will ich. Es gehört sich einfach.“

    „Ich danke dir.“ Seiana lächelte dem Senator zu und schenkte auch dem Sklavevn ein – wenn auch weit flüchtigeres – Lächeln. Sie wartete, bis er verschwunden war, dann wandte sie sich wieder dem Ehepaar vor ihr zu. Die leichte Berührung, die die beiden austauschten, war ihr nicht entgangen, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr das einen Stich versetzte. Caius’ Geständnis kam ihr unwillkürlich in den Sinn. Sie fragte sich, ob diese so offen gezeigte Innigkeit zwischen den beiden ihr gegenüber echt war oder nur gespielt. Sie fragte sich, wie die Ehe zwischen Caius und ihr werden würde, nach dem, was er ihr gesagt hatte…


    Sie war dankbar für die kleine Ablenkung. „In zwei Wochen klingt gut.“ Sie hatte ihre Termine nicht genau im Kopf, aber sie wusste, dass das meiste davon flexibel war – vieles hing mit ihren Betrieben und ihren Studien zusammen, und das waren häufig ohnehin Dinge, bei denen es keine allzu große Rolle spielte, wann genau sie sie erledigte, solange sie nur rechtzeitig fertig wurde. Sie würde ein Treffen zu dem jetzt vereinbarten Zeitpunkt einfach möglich machen. „Ganz wie du möchtest, Tiberia. Wir können uns gerne in der Casa meiner Familie treffen, wenn du sie einmal sehen möchtest. Ich weiß nicht, ob du bereits einmal dort warst.“ Bei der nächsten Frage der Tiberia glitt ein – zum ersten Mal ehrliches – Lächeln über Seianas Züge. Dass Frauen sich einen Patron suchten, war vielleicht nicht allzu üblich, aber dennoch jederzeit möglich. Dennoch war sie erneut auf der Hut. Sie hatte nicht vergessen, wem sie gegenüber saß – zwei Patriziern, einem Senator. Sie wusste nicht, wie traditionell die beiden eingestellt waren. Dass sie tatsächlich auf eigenen Beinen hatte stehen, ihr eigenes Geld verdienen und unabhängig sein wollen, war vielleicht nicht so gut zu erwähnen, jedenfalls nicht in der Deutlichkeit. Andererseits klang es auch wenig vorteilhaft, wenn sie sagte, dass sie sich nur hatte ausprobieren wollen… „Nun, als ich aus Tarraco hierher nach Rom kam, war es mir ein Bedürfnis, selbst etwas aufzubauen. Sicherlich hätte meine Familie mich jederzeit unterstützen können, und das hat sie auch, aber etwas Eigenes… hat einfach eine andere Qualität. Dazu gehörte für mich auch, selbst das nötige Startkapital zu organisieren. Und da ich Aurelius Corvinus bereits von der Acta kannte, lag es nahe, mich an ihn zu wenden und ihn zu fragen, ob er sich vorstellen könnte, mein Patron zu werden.“

    „Der cursus iuris steht bei mir auch noch auf meiner Liste. Aber ich denke, damit werde ich mir vorerst noch ein wenig Zeit lassen.“ Seiana erwiderte Corvinus’ Schmunzeln mit einem leichten Lächeln. „Es freut mich, dass die Schriften deinen Geschmack getroffen haben. Ich habe versucht, eine einigermaßen ausgewogene Mischung zusammenzustellen.“ Eine Mischung aus ernsthaften Themen, aber auch aus leichterer Kost, die eher dem Amüsement diente. Wie es schien, hatte sie damit richtig gelegen, jedenfalls mit der Abhandlung, die ihr Patron gerade erwähnt hatte.


    „Nun, gerade der Verwalter meiner Töpferei ist auch sehr zuverlässig. Dennoch…“ Diesmal hatte ihr Lächeln etwas Entschuldigendes. „Ich entscheide gerne selbst. Und im Gegensatz zu dir kann ich mir die Zeit, die dies kostet, ja auch leisten.“ Hatte sie doch kein Amt, keine Aufgabe, die sie derart in Anspruch nahm, und als Frau würde sie das wohl auch niemals haben. Selbst als Ehefrau und Mutter konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie das so sehr beanspruchen würde, dass sie ihren eigenen Interessen und ihren Geschäften nicht mehr würde nachkommen können. „Ja, nur den Buchhandel. Die Töpferei habe ich ja hier gekauft, und der Hauptstandort ist stets hier in Rom geblieben, auch wenn ich in Alexandria einen Teil der Waren begonnen habe zu verkaufen. Und die Taberna Medica…“ Seiana stockte kurz, bevor sie sich zwang weiterzusprechen. Die Taberna war von Caius gewesen, und das war einfach nach wie vor ein empfindliches Thema. „… habe ich erst nach meiner Rückkehr nach Rom erhalten, das heißt, sie ist ebenfalls bereits hier gemeldet.“

    Freunde. Er schien das ernst zu meinen. Aber Seiana konnte nicht wirklich etwas damit anfangen, nicht in Bezug auf ihn, nicht so, nicht… Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Sie waren verlobt gewesen, bei den Göttern! Seiana war darauf eingestellt gewesen, ihr Leben mit ihm zu verbringen – was er nun einfach so über den Haufen geworfen hatte. Man konnte nach so etwas nicht einfach so… Freunde sein. Sie verstand ja sogar, dass er das irgendwie konnte, aber wie stellte er sich das denn bitte bei ihr vor, wie stellte er sich vor, dass sie das können sollte? Seiana zweifelte in diesem Augenblick ein wenig an Caius’ Geisteszustand. Oder war sie es, die so falsch lag? Oder begriff er tatsächlich nicht, was er ihr mit der Auflösung der Verlobung angetan hatte, wie sehr er sie damit getroffen hatte, und das auf weit mehr als nur einer Ebene? Himmel, er hatte damit ausgedrückt, dass er eine Iunia für besser, für geeigneter hielt als seine Ehefrau als eine Decima. Er hatte damit ausgedrückt, dass er Axilla für besser und geeigneter hielt als sie. Oder war es genau das? Wollte er, dass sie Freunde waren, damit er dennoch die Vorteile nutzen konnte, die eine Verbindung zu ihr und ihrer Gens hatte? Es wollte nicht in Seianas Kopf, dass Caius tatsächlich einfach nur befreundet sein wollte mit ihr. Dass er sie nach wie vor einfach nur gern hatte. Denn wenn er sie genug mochte, um mit ihr befreundet sein zu wollen: warum hätte er dann die Verlobung lösen sollen? Was wäre eine bessere Voraussetzung für eine Ehe gewesen als das – eine Verbindung, die beiden Familien Vorteile brachte und bei der die Partner sich noch dazu mochten?


    Sie drehte sich im Kreis, und sie wusste es, und die Kopfschmerzen machten es nicht besser. Also zog sie es vor, zu dem Thema Freunde nichts mehr zu sagen. Beim nächsten Thema allerdings runzelte sie leicht die Stirn. „Crios? Was ist mit Crios? Ich habe bisher einen recht guten Eindruck von ihm, muss ich sagen. Wieso weißt du überhaupt etwas von den Angestellten?“ Für einen Moment sah sie ihn fragend an, dann verschloss sich ihr Gesicht – und ihr Inneres. „Und ich will die Taberna nicht geschenkt von dir“, sagte sie nachdrücklich. Und verschloss sich gleich noch ein kleines bisschen mehr. „Es geht nicht darum, was ich mir geben will. Es geht darum, was sich gehört. Wenn du nicht möchtest, dass ich ihnen schreibe, respektiere ich das, aber dann bitte ich dich, ihnen meine Entschuldigung zu übermitteln. Und mein Angebot, einen Teil der Kosten zu tragen für diese Feier.“

    Seiana verzog ihre Lippen kurz zu einem Lächeln, und ihre Gesichtszüge nahmen die vertraute Form auch an, spiegelten aber nichts wider, was es ehrlich hätte wirken lassen können. Sie war müde, sowohl körperlich als auch geistig, und sie… fühlte sich kalt. Innerlich kalt. Sie schaffte es einfach nicht, das Lächeln überzeugend wirken zu lassen, und obwohl sie es dennoch versuchte, obwohl sie es wollte – innerhalb der engsten Familie konnte sie es wenigstens akzeptieren und zulassen, wenn es ihr nicht gelang. Livianus kannte sie, seit sie klein war, er hatte ihre Mutter und deren Kinder immer unterstützt, seit ihr Vater gestorben war. Selbst wenn sie in den letzten Jahren wenig Kontakt gehabt hatten – wen außer Faustus und vielleicht noch Lucilla hatte sie denn noch, der sie so gut kannte, dem sie sich anvertrauen könnte?


    Und dennoch: als sie nun eintrat und sich setzte, wusste sie nicht, wie sie anfangen sollte. Es war nicht wirklich ihre Schuld, aber trotzdem fühlte es sich an wie ihr persönliches Versagen. Dazu kam, dass sie Caius so verteidigt hatte, vor Faustus vor allem, aber auch in jenem Gespräch vor Livianus. Und jetzt musste sie eingestehen, dass Faustus Recht gehabt hatte. Wie sonst sollte sie denn erklären, dass Caius die Verlobung gelöst hatte? „Wir… haben uns doch neulich unterhalten. Über meine Verlobung, meine ich.“ Seiana atmete leise, aber dennoch tief ein. „Das ist nun hinfällig. Sie wurde gelöst.“

    „Danke.“ Das Wort kam nur leise über ihre Lippen, aber Seiana meinte es um nichts weniger ernst. Dass ihr Patron ihr keine Vorwürfe machte, dass er Verständnis zeigte, dass er ihr sogar sagte, sie solle sich keine Gedanken machen – Seiana hatte nicht geahnt, dass sie diese Worte gebraucht hatte, bis sie sie nun hörte. Und es tat ihr gut, dass sie kein Mitleid sah in seiner Miene, seinen Augen. Überraschung, Erstaunen, Unglauben – aber kein Mitleid. Sie lächelte leicht. „Du bist mein Patron. Ich möchte nicht, dass irgendwelche Fragen offen bleiben. Oder Zweifel.“ Sie wollte nicht, dass etwas derartiges ihr Verhältnis zu ihrem Patron trübte. Davon abgesehen standen die Chancen, dass sie bei ihm nur dieses eine Mal davon reden musste, umso besser, je ehrlicher sie jetzt war.


    Dass Corvinus das Thema dann wechselte, dafür war sie allerdings noch dankbarer. Es hieß, dass er keine Fragen mehr hatte, und es hieß, dass sie das Schwierigste hinter sich hatte. „Nun…“ Jetzt endlich nahm sie den Becher zur Hand und trank einen Schluck von dem Wasser. „Ich habe Studien an der Schola begonnen, diesen widme ich mich derzeit sehr intensiv. Hauptsächlich Wirtschaft, im Augenblick, aber ich plane, mich noch mit weiteren Wissenschaften zu beschäftigen. Und über meine Geschäfte kann ich mich auch nicht beklagen.“ Sie verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln. „Diesbezüglich möchte ich aber auch mit dir reden – ich habe in Alexandria begonnen, mich im Buchhandel zu versuchen, wie du ja weißt. Als ich dann hierher zurückkam, habe ich zunächst alles so belassen, aber ich habe bereits festgestellt, dass der Vertrieb doch etwas schwierig zu betreuen ist von Rom aus. Zumal ich Wert darauf lege, die Verwaltungsarbeit auch wirklich zu kontrollieren und die Entscheidungsprozesse selbst bestimmen zu können. Dafür ist es notwendig, jederzeit eingreifen zu können.“ Die Hauptarbeit ließ Seiana natürlich erledigen, aber das hinderte sie nicht daran, selbst sehr gewissenhaft nachzukontrollieren. Und was Entscheidungen anging, hatten ihre Angestellten so gut wie keine Freiheiten, da kannte sie nichts. Sie war die Einzige, die bestimmte was geschah in oder mit ihren Betrieben. „Ich würde diesen Betrieb also gerne nach Rom verlegen.“

    Nein, ein Trost war es nicht für sie. Nicht wirklich. Auch wenn es einen Teil in ihr gab, der doch wenigstens etwas wie… Erleichterung verspürte, dass ihr Patron so dachte. Dass er kein Wort darüber verlor, was sie wohl getan haben mochte. Dass sie ungeeignet war, und aufgrund ihres Alters wohl immer ungeeigneter werden würde. Nur sein zurückhaltender Ton schien darauf hinzudeuten, dass er keineswegs begeistert war. Nur von was – ob von der Nachricht an sich oder doch von ihr – wusste sie nicht zu sagen, und das verunsicherte sie ein wenig. Als die Sprache auf ihre Verwandten kam, lenkte sie erneut ihren Blick kurz zum Becher, musterte die spiegelnde Wasseroberfläche, in der sich kleine Lichtreflexe brachen. „Nein. Werden sie nicht.“ Ihr Onkel wusste es bereits. Faustus musste sie noch schreiben. Sie hatte es aufgeschoben bis jetzt. Und der Rest… Seiana unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht sollte sie im Atrium einen Aushang machen, wo jeder vorbei kommen würde, das wäre wohl noch am einfachsten.


    Als Seiana jedoch den Grund ausführte und Corvinus sofort auf die Iunia kam, war sie doch ein wenig überrascht. Es war nicht sonderlich schwer, diese Schlussfolgerung zu ziehen, aber trotzdem… hätte sie nicht damit gerechnet. Und noch weniger hätte sie mit dem Erstaunen gerechnet, die der Aurelier so deutlich kundtat. Sie wusste nicht, ob ihr gefiel, dass er die Iunia ansprach. Aber sie konnte nicht leugnen, dass ihr gefiel, was er sagte. Wie er es sagte. Es war wie Balsam für sie. Es zeigte, dass sie Recht hatte zu denken, dass es unverständlich war, dass Caius ihr eine Iunia vorgezogen hatte, und noch dazu Axilla. Dass sie Recht hatte, wenn sie sich in ihrem Stolz verletzt fühlte. „Ja“, bestätigte sie zunächst nur schlicht, bevor sie weiter sprach. „Er…“ Sie zögerte. Sie wusste nicht, wie viel sie sagen sollte. Corvinus war ihr Patron und hatte als solcher das Recht, gewisse Dinge zu erfahren, mehr als es beispielsweise Aurelius Ursus und seine Frau hatten, zumindest was sie betraf. Andererseits… fiel es ihr einfach nicht leicht. Sie presste kurz die Lippen aufeinander. „Iunia Axilla ist der Grund, sowohl für die Auflösung als auch für den Eklat während der Feier. Er… war offenbar eifersüchtig auf ihren Begleiter. Ich verrate dir damit kein Geheimnis, ich gehe davon aus, dass die Hochzeit bald stattfinden wird.“ Immerhin war die Iunia schwanger. Sie konnte es sich nicht leisten, allzu lange zu warten. „Ich… als ich kam, um mich zu entschuldigen, habe ich deinem Neffen und seiner Frau gesagt, dass Aelius Archias die Iunia unter seine Fittiche genommen hat.“ Es brachte nichts, um diese Sache herumzureden. Wenn Aurelius Ursus seinem Onkel alles von dem Gespräch berichtet hatte, wusste ihr Patron ohnehin davon, und selbst wenn nicht, bestand die Gefahr dass es doch noch irgendwann thematisiert wurde. „Ich wusste an jenem Tag bereits von… von der Art seines Verhältnisses zu der Iunia. Ich habe es nach dem Vorfall bei der Feier erfahren. Allerdings wusste ich noch nichts von seinem Entschluss, die Verlobung zu lösen, und da schien es mir… sowohl das Einfachste wie auch das Beste zu sein, einen Teil der Wahrheit zu verschweigen.“

    Seiana folgte Flavus’ Weg mit ihren Blicken, bevor sie Papyrus und Wachstafel bedeckte, so dass der Entwurf und die angefangene Übertragung auf Papyrus nicht mehr zu lesen waren. Anschließend kam sie ebenfalls zu ihm und gestikulierte kurz zu den Kannen Wein und Wasser, die neben einigen Bechern auf dem Tisch standen. „Möchtest du etwas?“ Sie setzte sich, während sie sprach, und schenkte ihm dann das Gewünschte ein, bevor sie sich selbst einen Becher Wasser eingoss. Sie sehnte sich nach dem Wein, nach der – wenn auch vorübergehenden – Linderung, die der Alkohol zu versprechen schien, aber damit würde sie warten, bis sie allein war. Und es spät genug war, dass sie nicht mehr gestört werden würde. Sie presste kurz die Lippen aufeinander, als sie die Worte ihres Cousins dann hörte. Worte, die nur allzu deutlich machten, wie wenig sie sich zuvor unter Kontrolle gehabt hatte. Nicht zu überhören. Glück dass wir allein sind. Tobsuchtsanfall. Sie konnte nur hoffen, dass Flavus das für sich behielt. Dass die Sklaven tratschen würden, war schon schlimm genug, wenn Flavus jedoch etwas herumerzählen würde… Seiana musterte ihn und verzog ihre Lippen erneut ein wenig, diesmal jedoch auf eine Art, die selbst mit gutem Willen nicht als Lächeln zu bezeichnen war, auch wenn ihre Mundwinkel ein winziges Stück nach oben wanderten.


    „Ich muss gestehen, das ist eine Eigenschaft deines Vaters, die ich an ihm bewundere. Es ist leichter, mit Problemen umzugehen, wenn man sich unter Kontrolle hat. Und es macht weniger angreifbar.“ Sie wusste nicht so recht, warum sie den letzten Satz gesagt hatte. Vielleicht, weil sie sich im Augenblick selbst so… angreifbar fühlte. So verwundbar. Sie wollte davon nichts zeigen, und sie spürte, wie das Eis in ihrem Inneren ihr dabei half. Unnahbar und gefühlskalt, sagte Flavus. Es klang negativ. Aber für Seiana war es das nicht im Geringsten. Es war ihr egal, wie sie auf andere wirkte, solange es ihr nur half nicht zu zeigen, was tatsächlich in ihr vorging. Der Riss in der Eisschicht, die ihre Seelenlandschaft bedeckte, war bei weitem noch nicht geschlossen. Sie dankte den Göttern dafür, dass vorhin, als Caius noch da gewesen war, das Eis mehr oder weniger dicht gewesen war. Nichts hinaus gelassen hatte. Nicht auszudenken, wenn sie zugelassen hätte, dass er sie weiter im Arm gehalten hätte. Dass er sie getröstet hätte. Dass sie gar angefangen hätte zu weinen, vor ihm. Nach dem, was er ihr nur Augenblicke zuvor gesagt hatte! „Ich denke, zumindest der iberische Teil unserer Familie kann von sich behaupten, mit einem guten Anteil Temperament ausgestattet worden zu sein. Auch wenn manche von uns lernen, es zu zügeln, besser als andere.“

    Seiana öffnete den Mund, aber es dauerte einen Moment, bis tatsächlich etwas herauskam. „… Freunde?“ Sie sprach das Wort aus, als ob es ihr nicht wirklich etwas sagen würde. Als ob sie nicht wüsste, was es hieß. Und Tatsache war, dass sie in diesem Moment wirklich nichts anfangen konnte mit diesem Begriff. Sie wusste nicht, was Caius sich vorstellte. Was für Freunde sie beide sein konnten, nach dem, was passiert war. Sie wünschte sich, ihr Kopf wäre etwas klarer, würde nur ein bisschen weniger weh tun. „Wir… was für Freunde? Was…“ Zu viel mehr außer dieser leisen Zwischenfrage kam Seiana allerdings nicht, da Caius beinahe ohne Pause weitersprach. Und jetzt hielt er den Brief hoch. Und fing an zu diskutieren über das, was sie geschrieben hatte. Was sie vorgeschlagen hatte. „Entschuldige, ich…“ Seiana wandte sich ab, ging zu einer Sitzgruppe und ließ sich nieder, und nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, den Kopf in die Hände zu legen. „Setz dich, wenn du magst. Von was für einem Scharlatan redest du?“ Sie trank einen großen Schluck Wasser. Es ging einfach nicht anders, sie hatte den ganzen Tag schon unglaublichen Durst. Und wenigstens vorübergehend brachte das kühle Nass, das ihre Kehle hinunterrann, so etwas wie Linderung. „Hör zu.“ Sie vermied es, seinen Namen zu nennen, wieder in diese Falle zu tappen. „Das… war doch ein Verlobungsgeschenk. Und das gibt man zurück, wenn die Verlobung gelöst wurde. So einfach ist das. Ich… möchte einfach… dass da alles geregelt ist. Wie es sich gehört.“ Und es gehörte sich nicht, dass sie ein Geschenk dieser Größenordnung, diesen Werts behielt. Und davon ganz abgesehen: sie wollte ihm nichts schuldig sein. Nichts.

    Seiana nickte nur und fragte nicht weiter nach, was ihren Patron aufgehalten haben könnte – sie war immerhin ohne Termin gekommen, sie war auch darauf gefasst gewesen, dass keiner Zeit gehabt und sie erneut hätte kommen oder länger warten müssen. Es war gut gewesen, dass das Ehepaar Zeit gehabt hatte, und Corvinus hatte ihr ja einen Termin angeboten. Was sich in mehrfacher Hinsicht nun bewährte, musste sie so doch nicht noch ein weiteres Mal kommen. „Aufgelöst“, bestätigte Seiana, und sie konnte nicht ganz verhindern, dass ihre Stimme müde klang. Sie sah die Überraschung, die sich auf seinem Gesicht breit machte, hörte sie in seinen Worten, seinem Tonfall. Und sie wusste, dass es das sein würde, was sie zu erwarten hatte in den nächsten Tagen und Wochen. Überraschung, und, schlimmer noch, Mitleid. „In…“ Sie zögerte kurz. Letztlich war es in beiderseitigem Einverständnis gewesen – sie hatte ja zugestimmt. Wenn sie auf der Verlobung bestanden hätte, Caius hätte… hätte er sich dann an sein Wort gehalten? Ja. Die lautlose Stimme war leise, aber dennoch konnte Seiana in diesem Moment nicht anders, als sie zu hören, obwohl sie gerne eine andere Antwort gehabt hätte. Caius hätte sich wohl an sein Wort gehalten. Aber was für eine Ehe wäre das dann geworden? Wenn er einer anderen so sehr verfallen war… die Gründe dafür spielten doch keine Rolle, ob er die Iunia nun wirklich liebte, ob es nur der Sex war, ob es das Kind war oder ob sie sonst irgendwelche Fäden gezogen hatte, die ihn ihr hatten verfallen lassen. Seiana hatte nicht großartig die Wahl gehabt, als seine Entscheidung zu akzeptieren und zuzustimmen.


    „Ja“, antwortete sie also. „Es ging von ihm aus, aber ich habe zugestimmt.“ Bei einem anderen hätte sie nun wohl erneut ein höfliches Lächeln aufgesetzt, das zeigen sollte, das daran nichts besonderes war – aber bei ihrem Patron fand Seiana das nicht sonderlich angebracht. In gewisser Hinsicht konnte sie ihm gegenüber fast ehrlicher sein als gegenüber ihrer Familie, gegenüber Faustus, weil sie befürchtete von ihrem Bruder nur gesagt zu bekommen, dass er Recht gehabt hatte. Wenn sie von Aurelius Corvinus Tadel bekam, dann würde dieser anderer Art sein, da war sie sich sicher. Neutraler. Sachlicher. Dennoch wich sie seinem Blick für einen Moment aus, als die nächste Frage kam. „Nein.“ Dass sie mit Caius nicht das Bett geteilt hatte, war nach wie vor nichts, was sie tatsächlich als ihren Fehler sah – vielleicht hätte sie Caius halten können, hätte sie das getan. Aber hätte sie es getan, sie wäre damit nicht klar gekommen. Mit dem Ehrverlust, den das bedeutet hätte, für sie – selbst wenn nur sie und Caius davon gewusst hätten. Sie hätte es gewusst, hätte es immer gewusst. Am liebsten hätte sie nun geschwiegen, und wäre Corvinus nicht ihr Patron, sie hätte auch geschwiegen. So allerdings sah sie sich gezwungen, noch mehr hinzuzufügen. Auch wenn es ihr schwer fiel, darüber zu reden. „Er… hat sich für eine andere entschieden. Damit hängt auch der Vorfall auf jener Hochzeit zusammen – ich fürchte, ich habe deinem Neffen und seiner Frau Gründe für das Verhalten meines… ehemaligen Verlobten genannt, die nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass ich vor drei Tagen selbst noch nicht… wirklich im Bilde war.“

    Seiana folgte dem Sklaven und wartete, während er sie ankündigte, um nach der entsprechenden Aufforderung das Officium zu betreten. „Salve, Aurelius Corvinus“, grüßte sie zurück, mit einem Lächeln, das ein wenig ehrlicher war als sonst dieser Tage – was nichts anderes hieß als dass es nicht zur Gänze aufgesetzt war. Sie nahm die angebotene Hand und nahm dann Platz, als Corvinus sie dazu einlud, nur um gleich darauf angedeutet den Kopf zu schütteln. „Wasser ist ausreichend, danke.“ Sie sah ruhig dabei zu, wie er das Gewünschte einschenkte und den Becher dann hinstellte, nahm ihn aber nicht. Sie wusste nicht so Recht, wie sie nun anfangen sollte. Das, weswegen sie vor drei Tagen hier gewesen war, war im Grunde schon wieder hinfällig angesichts der Neuigkeiten, die sie jetzt zu sagen hatte. Sie wollte es eigentlich nicht. Seiana wollte nicht erzählen, welche Wendung ihr Leben gerade nahm, wie sie letztlich – in ihren Augen – gescheitert war an etwas, was sonst nahezu jede Römerin schaffte, und das in einem angemessenen Alter. Im Gegensatz zu ihr. Aber eine Wahl hatte sie auch nicht wirklich. Nicht nur, dass es nicht lange dauern würde, bis es bekannt wurde, es war einfach ihre Pflicht, den wichtigsten Menschen in ihrem Leben davon selbst zu erzählen, und ihr Patron gehörte dazu. Sie wagte sich gar nicht vorzustellen was wäre, wenn er von anderen davon erfuhr.


    Sie sah auf, als er sich setzte und sie ansprach, und zum ersten Mal seit der Begrüßung selbst begegnete sie wieder seinem Blick. „Ja, das gibt es.“ Sie stockte kurz, und ihr Blick wanderte für einen Moment zu dem Becher mit Wasser, der sich ihr wie eine willkommene Ablenkung zu präsentieren schien, eine Möglichkeit, Aufschub zu bekommen. Aber es brachte nichts. Jeglicher Aufschub würde ohnehin nur temporär sein. Und sie würde nicht damit beginnen, sich etwas zum Festhalten zu suchen. Sie sah ihren Patron wieder an. „Ich hoffe, dir wurde ausgerichtet, warum ich vor einigen Tagen hier gewesen bin. Ich wollte mich entschuldigen für das, was auf der Hochzeitsfeier deines Neffen passiert ist – bei ihm und seiner Angetrauten, aber selbstverständlich auch bei dir.“ Seiana war heilfroh darum, dass sie sich die Worte zuvor zurecht gelegt hatte. Es gab so viele Stolperfallen in diesem einen Satz, so erschien es ihr zumindest, die größte die, dass sie vermied, Caius zu nennen. „Verzeih mir aber, wenn ich diese Entschuldigung erst einmal nach hinten stelle. Etwas anderes hat sich ergeben, das wichtiger ist – meine Verlobung ist aufgelöst.“