• Seiana bedeutete dem Sklaven mit einem Wink, der Iunia das Gewünschte zu geben, während sie es mit der gleichen Handbewegung ablehnte, selbst etwas zu nehmen. Ihr Herz klopfte in ihrer Brust stetig und ruhig, als sie in sich hinein horchte. Unter einer Eisschicht, aber es war da, schlug, sandte seinen Rhythmus beständig in ihren Körper hinein. Keine Unruhe. Keine Aufregung. Seianas Blick lag auf Axilla, und unwillkürlich dachte sie an den Kuss, den die Iunia ihr gegeben hatte. Es schien wie eine Ewigkeit her zu sein. Sie schien sich nicht einmal mehr richtig erinnern zu können. Und dann tauchte ein weiteres Bild auf vor ihrem inneren Auge, ein Bild, wie Axilla sich an Caius schmiegte, wie er sie streichelte, wie sie wohlige Laute von sich gab… während alle zusehen konnten. Schlampe, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf, während ihr Blick unbewegt blieb. Seiana wusste noch, wie sie sie empfangen hatte, als Axilla eigentlich zu Livianus wollte und dieser nicht hier gewesen war. Wusste noch, wie sie ihr angeboten hatte, ihr bei der Suche nach einem geeigneten Mann behilflich zu sein. Sie hätte nie gedacht, dass sie ihr auf diese Art behilflich sein würde. Dass Axilla sich auf ihrer Suche nach einem Ehemann Seianas Verlobten aussuchen würde.


    „Sicher“, antwortete sie. Dass die Iunia ihrem Blick auswich, bemerkte sie, aber sie konnte es nicht so ganz einordnen. Schlechtes Gewissen, vermutete sie. Natürlich. Sie ist mehr. Mehr. Das Mädchen vor ihr, das so unsicher und nervös wirkte, schien ihr nicht mehr zu sein. Nicht mehr als sie. Ganz sicher nicht mehr als eine Decima. Seiana sah sie an, und die Eisschicht in ihrem Inneren begann plötzlich zu wachsen, nicht weil Seiana es nicht verhindern konnte, sondern weil sie es wollte. „Wie kann ich dir behilflich sein?“ wiederholte sie, beinahe schon unnatürlich ruhig.

  • Irgendwie wäre es Axilla lieber gewesen, Seiana hätte sie angebrüllt, wie sie es wagen könne, nach allem, was sie ihr angetan hatte, hierher zu kommen. Was sie sich einbilde, wer sie sei. Wie sie hier stehen könne und mit ihr reden wolle. Dass sie sich zum Orcus scheren solle und nie, nie wieder hier auftauchen solle. Damit hätte Axilla umgehen können, darauf war sie vorbereitet. Aber da kam nichts. Seiana war ganz ruhig und schaute sie an, als wäre nichts. Und diese Ruhe machte Axilla nervös.
    Sie nahm einen Schluck Wasser, um Zeit zu schinden, und suchte dann einen Moment nach Worten. Ihr Mund öffnete sich ein paar Mal, schloss sich dann aber auch gleich wieder, weil ihr das, was sie sagen wollte, dann doch doof vorkam. So dauerte es eine ganze Weile, in der sie die Geduld der Decima strapazierte, ehe sie doch ihren Mut zusammennahm und einfach anfing, zu reden.
    “Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Für alles. Also, ich meine... ich hab das nicht geplant. Ich meine, das zwischen Caius und mir, das hat sich einfach ergeben und... also, ich wollte dir damit nicht weh tun. Und ich wollte auch nicht, dass das hier jetzt passiert. Ich wollte... also, ich meine, ich wollte nicht, dass du denkst, dass wir das mit böser Absicht gemacht haben.“
    Axilla sah nicht eine Sekunde auf, während sie sprach. Sie starrte mehr ins nichts vor sich hin, während sich ihre Rechte an den Becher klammerte, während sich die Linke leicht auf ihren Bauch legte. Sie fühlte sich sehr, sehr unwohl im Moment, das alles zu sagen. Aber sie musste es sagen, sonst fand sie bestimmt nie wieder Schlaf.
    “Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt hasst deswegen. Es ist dein Recht. Es war nicht richtig, was ich dir angetan hab, auch wenn es nicht mit Absicht war. Ich wollte nur... ich weiß auch nicht...“ Axilla war sich nicht wirklich sicher, was sie hier bewirken wollte. Vermutlich nur ihr eigenes Gewissen beruhigen, damit niemand sagen konnte, sie hätte nicht versucht, sich auszusöhnen.
    Axilla stand da, den Blick stetig gesenkt, und wartete darauf, dass nun vielleicht endlich die befreiende Schimpftirade über sie einhergehen würde. Danach würde sie sich besser fühlen können und auch dürfen.

  • Es dauerte. Und dauerte. Aber Seiana wartete geduldig, ohne ein Wort zu sagen. Sie hatte ein zweites Mal dieselbe Frage gestellt. Ihretwegen konnten sie auch hier stehen bleiben und sich anschweigen, bis sie sich irgendwann verabschieden würden. Ein paar Mal öffnete sich der Mund der Iunia, aber es kam nichts hervor, und Seiana wartete nur weiter, sah sie an und sagte nichts. Tat nichts. Nichts, was es Axilla hätte leichter machen können. Denn, warum die Iunia hier war, war Seiana klar. Es gehörte nicht viel dazu, sich das zu denken. Aber sie tat ihr nicht leid, und sie hatte auch kein schlechtes Gewissen, weil sie ihr nicht half. Sie hatte der Iunia schon genug geholfen. Nein, Seiana hatte in diesem Augenblick nur bedingt – was hieß so gut wie gar nicht – ein schlechtes Gefühl dabei, die Iunia zappeln zu lassen. Und auch, als sie endlich anfing zu sprechen, ließ sie sie reden. Sie ließ sie einfach reden, sagte nichts, reagierte nicht, und als ob das eine Art Zeichen sei, redete Axilla dafür nur umso mehr, sagte immer mehr. Rechtfertigte immer mehr. Und ließ dabei doch kein Wort verlautbaren, das in Seianas Augen tatsächlich eine Rechtfertigung gewesen wäre. Sie hatte ihr den Verlobten weggenommen, hatte ihn ihr ausgespannt. So einfach war das.


    „Nun“, sagte sie schließlich. „Dann hast du gesagt, was du sagen wolltest, Iunia.“ Seiana sagte nichts davon, dass sie sie hasste. Aber sie sagte auch nichts davon, dass sie die Entschuldigung annahm. Nicht einmal davon etwas, dass sie ihr glaubte – dass sie ihr nicht hatte weh tun wollen, dass es keine Absicht gewesen war, dass es einfach passiert war. Was sie, nebenbei bemerkt, nicht tat, aber sie sagte einfach gar nichts dazu. Seiana beließ es bei diesem einen Kommentar, dass Axilla gesagt hatte, was sie hatte sagen wollen. „Gibt es sonst noch etwas, weswegen du gekommen bist?“

  • Da kam... nichts. So absolut gar ncihts. Seiana stand einfach nur da und hörte sich alles an. Man hätte sie mit einer Statue vertauschen können, in etwas die selben Regungen wären dabei herausgekommen. Da kam nichts, weder Schimpfworte noch irgendwelche Attacken. Einfach nur... nichts. Und dieses nichts war fast noch erschreckender als jeder Angriff gewesen wäre. Irgendwie fröstelte Axilla, während sie auf eine Reaktion wartete.
    Und als diese dann endlich kam, fröstelte sie noch viel mehr. Das war's? Kein 'Ich hasse dich', kein 'du Schlampe hast mir den Verlobten ausgespannt' noch nicht einmal ein 'scher dich zum Orcus'? Gar nichts? Dass Seiana ihr nicht gleich vergeben würde, hatte Axilla ja schon angenommen, aber das so gar keine Reaktion kam, das verunsicherte sie jetzt doch.
    “Ähm, nein. Ich wollte nur, dass du das weißt. Und mich entschuldigen.“ Verlegen kratzte sich Axilla am Unterarm und schwieg. Vielleicht wollte Seiana sie ja wenigstens hinauswerfen? Diese Genugtuung wollte sie der Decima nicht nehmen. Und vor allem wollte sie sich selbst nicht um die Möglichkeit bringen, durch eine, wenngleich kleine, Strafe ihr eigenes Gewissen zu entlasten.

  • Seiana regte sich auch weiterhin kaum. Äußerlich scheinbar ungerührt hörte sie zu, wie Axilla reagierte auf das Spärliche, was sie ihr hingeworfen hatte. Sie wusste ohnehin nicht so recht, was die Iunia hier tatsächlich wollte. Seiana bezweifelte, dass es ihr tatsächlich darum ging, sich zu entschuldigen. Entweder wollte sie nur ihr eigenes Gewissen erleichtern und sich – nachträglich! – quasi Seianas Erlaubnis und Segen einholen für das, was sie abgezogen hatte, oder sie wollte sich, wenigstens insgeheim, lustig machen über sie. Und Seiana war nicht gewillt, ihr eines dieser beiden Dinge auch nur ansatzweise zu gewähren.


    „Nachdem du es gesagt hast, weiß ich es jetzt.“ Sogar ein kühles Lächeln schaffte es auf ihre Lippen. Immer noch kein Wort davon, dass sie die Entschuldigung akzeptierte. Es wäre gelogen gewesen, und Seiana hatte nicht vor, Axilla anzulügen. Sie hatte es gar nicht nötig. Sie war eine Decima. „Übrigens, ich hoffe du siehst es mir nach, dass ich nun doch nicht mit meinem Patron über deine Angelegenheit spreche. Es hat sich ja augenscheinlich erledigt. Kann ich davon ausgehen, dass du nun doch nicht im Frühjahr nach Alexandria zurückkehren wirst?“ Ihr Lächeln blieb ebenso kühl wie ihre Stimme es war. Seiana wollte keine Konversation anfangen, weil sie höflich sein wollte – nein, sie bemerkte die kleinen Zeichen der Verlegenheit und des Unwohlseins, die Axilla zeigte, und sie reagierte darauf. Sie wollte es der Iunia nicht leicht machen. Das Eis in ihrem Inneren ließ es nicht zu. Zugleich wäre es aber auch niemals in Frage gekommen, dass sie ihr offen die Meinung sagte, dass sie sie herunterputzte oder ähnliches. Es hätte Schwäche gezeigt. Und es wäre unhöflich gewesen. Es sollte keiner von ihr behaupten können, dass sie nicht wusste, was sich gehörte. Dass sie sich benommen hätte wie eine Furie. Oder dass sie sie hinausgeworfen hätte, kaum dass sie einen Schritt über die Schwelle gemacht und ihr Sprüchlein aufgesagt hatte. Wenn Axilla später über diesen Besuch sprach, sollte sie sagen können, dass sie mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt worden war. Seiana wollte nicht, dass Axilla einen Grund hatte, ihr einen Vorwurf zu machen, und sei es nur den Vorwurf mangelnder Gastfreundschaft. Was hinter der Fassade steckte, war etwas völlig anderes, und Axilla konnte darüber mutmaßen, was sie wollte, war es doch keine herzliche Höflichkeit, die Seiana ausstrahlte, sondern eine kalte. Das Eis begann sich um sie zu legen wie ein Kokon… Aber Seiana hatte nicht vor, ihr etwas zu liefern, worüber sie sich tatsächlich beschweren konnte. Nichts, was Hand und Fuß gehabt hätte. Mit einer leichten Handbewegung bedeutete sie dem Sklaven an der Tür, sich zu nähern. „Kann ich dir noch etwas anbieten? Eine Kleinigkeit zu essen?“

  • Seiana war so höflich, dass es Axilla Angst machte. Sie sah nur unsicher immer wieder vom Fußboden in die eiskalten Augen der Decima auf, nur um sofort den Blick wieder zu senken. Aber da war nicht wirklich Wut, auch wenn Axilla sich sicher war, dass Seiana sauer war. Archias hatte ihr von seinem Treffen mit Seiana erzählt, wenngleich nur kurz, und auch da gemeint, sie sei sehr kühl gewesen. Aber Axilla hatte keine Ahnung, dass sie so kühl sein konnte.
    Leider tat sie ihr nicht den Gefallen, sie rauszuwerfen und damit ihr gewissen zu entlassen. Nein, im Gegenteil, sie trieb die Konversation weiter, was Axillas Gewissensbisse ins unermessliche steigerte. Wie schützend legte sie eine Hand unbewusst wieder auf ihren Bauch, als könne sie damit das Leben vor dieser Kälte im Raum schützen.
    “Nein, das Gespräch ist wohl nicht mehr notwendig. Ich möchte dir dennoch dafür danken, dass du das machen wolltest. Ich.. ich hab damals jedes Wort ehrlich gemeint, Seiana.“ Dass Axilla wieder auf die durchaus freundlichere Art des Ansprechens mit dem Cognomen gewechselt hatte, machte sie weder berechnend noch bewusst. Ihr war das ganze nur so unangenehm, und die Kälte, die von Seiana ausging, ängstigte sie. Mit ein wenig Vertrautheit da ein wenig Wärme hineinzubringen, wenngleich sie es unterbewusst tat, war ihre Art, damit umzugehen.
    “Und ich werde wohl hier bleiben. Ich meine... jetzt gibt es ja auch keinen Grund mehr. Wenn wir verheiratet sind, muss ich es ja auch nicht verbergen...“
    Dass Seiana nichts von der Schwangerschaft wusste, wusste Axilla nicht. Sie nahm es eigentlich an, dass Archias ihr das auch gesagt hatte. Und selbst wenn nicht, soweit dachte Axilla jetzt nicht, als dass sie es verbarg. Immerhin gab es nun dazu wirklich keinen Grund mehr, denn sie würde den Vater des Kindes ja heiraten. Das würde zwar öffentlich machen, dass sie schon vor der Hochzeit mit ihm das Bett geteilt hatte, aber das war nun wirklich kein Weltuntergang mehr. Vielleicht etwas unorthodox, aber sicher bei weitem nicht so schändlich, wo eine Hochzeit doch meistens eher eine Formalität war – und obendrein schnell verändert dank eines sehr flexiblen Scheidungsrechtes.


    Die frage nach etwas zu Essen aber war es, die Axilla gänzlich aus dem Gleichgewicht brachte. Sie hatte ja nichtmal ihr Wasser angerührt, sondern den Becher nur in Händen gehalten. Gänzlich verwirrt schaute sie doch nochmal richtig auf, nur um sich nach einem Blick in Seianas Augen zu wünschen, es nicht getan zu haben. “Nein, danke. Ich bin nicht hungrig.“
    Axilla stand noch einen zittrigen Moment einfach da, dann ging ein Beben durch ihren Körper und sie ging auf die Decima zu. “Seiana, es tut mir wirklich leid. Wirklich! Ich wollte das alles nicht! Ich meine... er hat dich wirklich geliebt, und ich wollte mich da nie dazwischendrängen. Wirklich nicht! Ich hätte mir von Herzen gewünscht, dass ihr beide glücklich werdet. Es tut mir wirklich so sehr leid. Aber ich liebe ihn. Ich wollte das nicht, ganz sicher wollte ich das nicht. Bitte. Seiana.“ Axilla wusste nicht, was sie denn sonst noch sagen sollte. Aber ihr Gewissen zerriss sie beinahe und beharrte darauf, dass sie noch nicht alles versucht hatte, was in ihrer Macht stand.

  • Fast konnte man Seianas Blick interessiert nennen. Auf kühle Art interessiert. Sie tat alles, um nicht zu zeigen, wie sie sich innerlich fühlte. Ein Gespräch mit Corvinus würde also nicht mehr nötig sein, genauso wenig wie die Rückreise nach Alexandria. Das von Axilla bestätigt zu hören, von ihr zu hören, dass Caius sich tatsächlich für sie entschieden hatte, mit allen Konsequenzen und einer baldigen Hochzeit offenbar, einer Hochzeit, die ihre hätte sein sollen, versetzte ihr nur noch einen weiteren Stoß. Die vertrautere Anrede, die Versicherung, sie hätte alles ehrlich gemeint, half da nichts. Drang nicht vor. Das Eis in Seiana ließ nur das zu, was es verstärkte. Und sprach Axilla davon, dass es etwas zu verbergen gab. Was zu verbergen? Dass sie und Caius zusammen waren, dass sie offensichtlich mit schöner Regelmäßigkeit im Bett landeten, dass sie sich so sehr begehrten, dass sie noch nicht einmal bei einem Anlass wie dem Essen mit Bekannten die Finger voneinander lassen konnten? Nicht einmal dann, als sie, Seiana, eigentlich noch die Verlobte Caius’ gewesen war? „Nein“, lächelte sie kühl. „Etwas zu verbergen gibt es jetzt nun wahrhaftig nichts mehr.“ Auch wenn es Seiana lieber war, wenn nicht unbedingt die Runde machte, dass sie betrogen worden war. Oder wie lange das schon so ging – noch dazu ohne dass sie etwas gemerkt hatte. Falls es bekannt wurde, und falls sie jemand darauf ansprach, könnte sie verbreiten, sie hätte davon gewusst… und hätte es stillschweigend akzeptiert, wie so viele Frauen. Immerhin ging es bei einer Ehe um andere Dinge. Nur die Tatsache, dass Caius ihr dann doch die andere vorgezogen hatte, das war etwas, was sie nicht würde so darstellen können, dass es positiv für sie wirkte. Ganz sicher nicht. Es würde immer so wirken, dass sie ihn nicht hatte halten können. Dass das, was sie zu bieten hatte, nicht genug gewesen war für ihn. Und dass sie nicht gemerkt hatte, dass seine Affäre zu einer tatsächlich Gefahr wurde für ihre Verlobung. Vielleicht war es da sogar besser, die Wahrheit zu verbreiten – dass sie tatsächlich nichts gewusst hatte, bis zum Schluss…


    Das Angebot mit dem Essen lehnte die Iunia ab, und etwas anderes hatte Seiana nicht wirklich erwartet. Was allerdings dann kam, erwischte sie unvorbereitet. Sie hatte nicht gedacht, dass ein erneuter Schwall von Worten kam. Eine hervorgesprudelte Erklärung, Verteidigung, Entschuldigung. Seiana wollte das gar nicht hören. Sie wollte nicht hören, was für Gründe Axilla gehabt hatte, oder Caius. Sie wollte nicht hören, dass sie sich liebten. Und sie wollte erst recht nicht hören, dass Caius angeblich sie geliebt hatte. Und sie glaubte ihr auch nicht. Sie glaubte ihr nicht, dass sie sich nicht hatte dazwischen drängen wollen, denn warum hatte sie es sonst getan? Sie glaubte ihr nicht, dass sie sich gewünscht hätte, dass Seiana und Caius miteinander glücklich hätten werden können… denn warum sonst hatte sie genau das verhindert. Hatte die Chance auf genau das zerstört, indem sie sich an Caius herangemacht hatte, immer und immer wieder. Warum hatte Caius in den letzten Wochen nur noch so wenig Zeit für sie gehabt? Jetzt war Seiana das sonnenklar. Natürlich hatte er keine Zeit gehabt, weil er sie mit ihr verbracht hatte. Mit dem Mädchen, das vor ihr stand. So betrachtet war es wohl auch selbstverständlich, dass er ihr seine Geschäfte anvertraut hatte. Sie musterte Axilla, wie sie auf sie zukam, rührte sich selbst nicht vom Fleck. Und als die Iunia fertig war mit ihrem Schwall, neigte sie sich leicht nach vorn, zu ihr hin. „Leid tut es dir also? Ich wüsste nicht, warum. Es gibt doch keinen Grund, warum es dir leid tun könnte.“ Das noch vor keinen Grund schwang so deutlich in ihren Worten und ihrem kühlen Lächeln mit, als hätte sie es gesagt, aber Seiana hütete sich, es laut auszusprechen. Sie würde der Iunia nicht explizit drohen, würde ihr nicht explizit sagen, dass Seiana alles andere tat als ihr zu verzeihen. Nein. Sie blieb höflich. „Es muss schwer sein, Dinge zu tun, die man eigentlich nicht tun will. Das zu vereiteln, was man sich doch eigentlich… wie hast du gesagt? Von Herzen wünscht. Ich habe damit offen gestanden keine Erfahrung, ich handle danach, was die Ehre – meine und die meiner Familie – mir gebietet.“ Die Iunia hatte keine Ahnung. Hätte sie auch nur einen Funken Ehre im Leib, sie hätte sich nicht dazwischen gedrängt. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie schwer das für dich gewesen sein muss.“

  • Bei jedem einzelnen Wort von Seiana wurde Axilla noch ein wenig kleiner. Sie war so ja schon nicht die größte oder kräftigste, aber im Moment versank sie fast zwischen den Fugen der steinernen Bodenplatten, oder sie würde es gerne tun. In ihr schien sich alles zu verkrampfen, und sie schaffte es nicht, Seianas Blick auch nur eine Sekunde standzuhalten.
    Ehre... ja, vermutlich hatten sie recht, sie alle. Crios und Serrana und auch sie, dass sie ehrlos gehandelt hatte. Dass sie schlicht und ergreifend ihre Gelüste hätte unter Kontrolle haben müssen, dass sie sich nicht hätte darauf einlassen dürfen, weder in Alexandria, noch hier in Rom. Sie hätte sich einfach beherrschen müssen und ignorieren müssen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Und erst recht hätte sie ihn nach Alexandria nie verführen sollen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
    Nun, im Grunde war die Antwort ganz einfach darauf: gar nichts. Sie hatte sich einsam gefühlt und verloren, und sie wollte Halt, Nähe und ein wenig Wärme erfahren. Und er war nunmal der einzige Mann, dem sie so bedingungslos traute, dass sie das von ihm einfordern wollte. Oder nein, nicht einfordern, sich so schwach und verletzlich zeigen und ihn einfach darum bitten. War sie deswegen jetzt wirklich ein schlechter Mensch? Wenn so viele das sagten, vielleicht stimmte es ja doch? Aber... sie hatte es ja nicht böse gemeint. Sie hatte nur nicht nachgedacht. Und schwanger geworden war sie ja schon in Alexandria! Da hatte sie nur nicht nein gesagt. Und... naja, ganz unschuldig war sie ja nicht. Und sie würde auch nicht sagen, dass es ihr nicht gefallen hätte, denn das hatte es. Sogar sehr. Archias und sie passten körperlich gut zusammen.


    “Ich wollte das wirklich nicht, Seiana“, versuchte Axilla es noch ein letztes Mail, auch wenn sie keine Hoffnung sah, die Decima zu überzeugen. Aber wenigstens einen versuch wollte sie noch unternehmen, einen allerletzten. Vielleicht.. ja, vielleicht, wenn sie wusste, was sie versucht hatte, dass sie dann nicht mehr so kalt zu ihr war? “Ich hab wirklich versucht, es nicht so weit kommen zu lassen. Ich hab ja sogar versucht, es abzutreiben, anstatt es ihm gleich zu sagen. Dass es nicht funktioniert hat... ich weiß nicht, ob das Pech oder Schicksal ist. Aber ich hätte selbst jetzt nicht zwischen euch gestanden, das schwöre ich. Es ist nur... ich kann nicht anders, als so zu fühlen. Und er fühlt das auch für mich.“ Glaubte sie zumindest. Er hatte es gesagt, und Axilla hatte keinen Grund, daran zu zweifeln. Auch wenn sie immernoch einen kleinen Zweifel fühlte, ob er vielleicht nur deshalb sie heiraten wollte, weil sie sein Kind trug. “Ich wollte dir wirklich nicht weh tun. Wirklich nicht. Und er auch nicht.“

  • Seiana bemerkte, wie Axilla zu schrumpfen schien, wie sie immer kleiner wurde, innerlich. Und einem Teil von ihr gefiel das. Gefiel es zu sehen, dass sie so auf ihre Worte reagierte. Einem hässlichen Teil von ihr, der durch Bitterkeit und Eis nur genährt wurde. Sie hatte genug von Axilla gehört und gesehen, um im Grunde ihres Herzens zu wissen, dass sie sie traf mit der Unterstellung, sie hätte keine Ehre. Aber Seiana konnte auch nicht anders. Und ob es die Iunia traf oder nicht, Seiana dachte auch tatsächlich so: sie hatte keine Ehre. Nicht wenn sie es fertig brachte, etwas derartiges zu tun. Dass sie darunter litt, zeigte nur, dass sie kein abgebrühter Mensch war, aber es änderte nichts daran, dass es falsch und ehrlos und hinterhältig gewesen war, was sie getan hatte. Sie hatte einen Mann gesucht, und sie war mit Caius ins Bett gesprungen. Für einen winzigen Moment kräuselten sich Seianas Lippen bitterspöttisch. Sie liebte ihn. Genau.


    Und dann sprach Axilla wieder. Und was sie sagte, ließ das Eis in Seianas Innerem von einem Moment zum anderen schier explosionsartig sich ausbreiten. Alles schien sich zu überziehen mit eisigen Splittern, glitzernden Kristallen, die alles dämpften, als sie begriff. Begriff. Axilla… war… schwanger? Seiana starrte sie einfach nur an, und obwohl ein Teil ihrer Selbst verzweifelte darum bemüht war, eben nicht zu zeigen, dass sie das nicht gewusst hatte, nicht zu zeigen, wie sehr sie das überraschte, konnte sie doch nicht verhindern, dass, auch wenn ihre Miene wie gefroren war, allein durch ihre Sprachlosigkeit klar wurde, dass sie ahnungslos gewesen war. „Was?“ wisperte sie. Schwanger? Sie war… Seiana wusste in diesem Moment nicht, was sie denken sollte. Axilla war schwanger. Und angeblich hatte sie versucht, es abzutreiben. Ohne es Caius zu sagen. Aber es hatte nicht geklappt. Sie war immer noch schwanger. Schwanger mit Caius’ Kind. Hatte Caius sich deswegen für sie entschieden? Seiana wusste, wie sehr er Kinder wollte. War das der Grund gewesen? Hatte er davon gewusst, bevor er sich gegen Seiana entschieden hatte? Oder war es am Ende doch nur der Sex, den Axilla ihm so bereitwillig gewährte, ungeachtet der Tatsache, dass er mit einer anderen verlobt gewesen war? Spielte es überhaupt eine Rolle, für ihre Situation jetzt? Ein Kind. Axilla trug Caius’ Kind, und wenn die Götter auf ihrer Seite waren, würde es heranreifen und geboren werden und von seinem Vater angenommen werden können, was es zu einem richtigen, echten Kind machen würde. Und die beiden zu einer Familie. Aber Seiana wurde in diesem Moment noch klarer, warum Axilla so verzweifelt auf der Suche nach einem Mann gewesen war. Vielleicht war auch gar nicht Caius der Vater, Seiana traute es Axilla durchaus zu, mit mehr als nur einem ins Bett gesprungen zu sein, nachdem sie generell auf derartige Dinge keinen Wert zu legen schien, aber als sie gemerkt hatte, dass sie schwanger war, und dass die Abtreibung fehlgeschlagen war, war offenbar sogar ihr klar geworden, dass sie einen Ehemann brauchte. Und sie hatte sich den genommen, den sie am leichtesten, am schnellsten hatte kriegen können. Aber: sie könne ja nicht anders, als so zu fühlen. Genau.


    „Ein bisschen zu spät, um sich darüber Gedanken zu machen, findest du nicht?“ Seianas Stimme war nun fast eisig, aber nicht klirrend, nicht schneidend, sondern eher dumpf. Dass sie mit diesem Satz mehr oder weniger eingestand, dass die beiden ihr tatsächlich weh getan hatten, fiel ihr gar nicht auf.

  • Als Seiana so schweigsam reagierte und dann schließlich mit einem einzelnen 'Was?' reagierte, stand Axilla einen Moment lang nur verwirrt da und schaute auf. Was hatte sie falsches gesagt? Hatte Archias ihr das nicht erzählt? Sie schaute kurz doch forschend auf, bemerkte die Verwirrung und Kälte in Seianas Augen, die allzu schnell wieder dieser unheimlichen Strenge wich, die Axilla zwang, den Blick doch wieder zu senken. Hatte sie es denn wirklich nicht gewusst?
    Schützend legte Axilla eine Hand über den Bauch, blieb aber auf dem Fleck stehen, als Seiana sich doch nochmal rührte und sie fragte, ob diese Gedanken nicht etwas spät kamen. So sehr Axilla auch gerne fliehen wollte, mehr Abstand zwischen sich und diese abweisende Frau bringen wollte, hinaus fliehen wollte in den sich ankündigenden Frühling, das Leben und die Wärme, sie rührte sich keinen digitus von der Stelle. Eine Iunia wich nicht zurück, egal, was geschehen war. Wer zurückwich, gab auf und brachte die Disziplin aller um sich herum in Gefahr, hatte ihr Vater ihr immer eingebläut. Und so stand auch sie da und ertrug die Übelkeit und die Unruhe, die Feindseligkeit und die Anklage, ohne sich der Rettung in der Flucht hinzugeben, so sehr sie sich das auch wünschte.
    “Ja, ich weiß. Und es tut mir so unendlich leid. Ich wollte dir das nur sagen, mehr nicht.“ Axilla wusste nicht, was sie sonst noch sagen konnte. Sie wusste sonst nichts mehr, und ihr Kopf fühlte sich noch leerer an als normalerweise ohnehin schon. Sie wollte nur noch gehen und das Gespräch und die ganze Situation hinter sich lassen. Es war alles so viel, und ihr Gewissen war nicht wirklich besser geworden. Eher noch schlimmer, da Seiana das mit dem Kind wohl nicht gewusst hatte und es ihr wohl noch zusätzlich einen Stich versetzt hatte.

  • Seiana verharrte, wie sie war. Noch immer wusste sie nicht so recht, was sie mit diesem neuen Wissen nun anfangen sollte. Nur eines schien sonnenklar zu sein: dass Axilla einen Mann, einen Ehemann, gebraucht hatte, und dass sie dafür gesorgt hatte, einen zu bekommen. Und wenn Caius tatsächlich der Vater ihres Kindes war, dann – sich das einzugestehen, darum kam Seiana nicht herum – war es bis zu einem gewissen Grad sogar gerechtfertigt, dass Axilla sich ihn geholt hatte. Dass sie dafür gesorgt hatte, dass er gerade stand dafür, dass er sie geschwängert hatte. Auch wenn sie diejenige war, die darunter zu leiden hatte, die er im Gegenzug dafür sitzen ließ, obwohl sie nicht das Geringste dafür konnte. Hätte sie doch mit Caius schlafen sollen? Ihn so an sich binden sollen? Sie hatte doch gewusst, wie wichtig ihm das war, er hatte sie oft genug deswegen gefragt – in der letzten Zeit, in Rom, noch mehr als in Ägypten. Was für sich genommen schon wieder ironisch war, denn in Alexandria hätte es durchaus die ein oder andere Situation gegeben, in der sie vielleicht nachgegeben hätte, wenn er es tatsächlich darauf angelegt hätte. In Alexandria war es anders gewesen. In Rom war das nicht mehr in Frage gekommen – vielleicht, wenn sie in Alexandria bereits intim geworden wären… aber nicht so. Nur, sie konnte nicht leugnen, dass sie gewusst hatte, wie wichtig es ihm gewesen war. Dass ihm nachzugeben eine Möglichkeit gewesen wäre, ihn noch mehr an sich zu binden. Aber sie hatte nicht geglaubt, dass das nötig war, hatte einfach nicht daran gedacht, dass sie so etwas hätte tun müssen. Dass er von seinem Versprechen zurücktreten, die Verlobung auflösen, sie sitzen lassen würde.


    Hätte Seiana in diesem Moment die Distanz zu sich und der Situation aufbauen können, die sie sich eigentlich wünschte und im Grunde von sich erwartete, hätte sie der Iunia vielleicht sogar Respekt gezollt dafür, wie sie da stand und nicht zurückwich, obwohl ihr anzusehen war, wie schwer ihr das fiel, wie unwohl sie sich fühlte. Aber Seiana fehlte diese Distanz. Sie schaffte es nicht, sie aufzubauen. „Dann hast du ja gesagt, was du sagen wolltest, Iunia.“ Die gleichen Worte wie vorhin. Seiana wählte sie nicht bewusst so, aber sie wusste auch nichts anderes zu sagen. Es gab nichts zu sagen. Sie konnte Axilla nicht verzeihen. Sie konnte ihr nicht einmal glauben, dass sie es ernst meinte. Man nahm einer anderen Frau nicht einfach so den Verlobten weg, schon gar nicht dann, wenn bereits der Hochzeitstermin stand. So etwas passierte nicht einfach so. Davon war Seiana überzeugt. Und Bitterkeit, gepaart mit Eiseskälte, nahm von ihrem Inneren Besitz.

  • Es war nicht so, als ob Axilla wirklich erwartet hätte, hier und heute Vergebung zu erhalten. So genau wusste sie selbst nicht, was sie erwartet hatte, aber das wusste sie bei den meisten Dingen, die sie tat, nicht. Diese geschahen eher aus dem Gefühl heraus, dass sie getan werden sollten, dass es richtig war, sie zu tun, weil keiner sonst sie tun konnte, oder zumindest nicht so tun konnte, wie sie. Dass es schlicht eine Notwendigkeit war, sie zu tun, um die Ordnung der Dinge wiederherzustellen oder zumindest das gröbste Chaos abzuwenden.
    Auch, wenn man es nicht glauben mochte, Axilla hatte eigentlich ein sehr feines Gespür für Gerechtigkeit und Ehre. Und es war zutiefst ungerecht, dass Seiana nun litt und sie glücklich war – zumindest im Rahmen ihrer Möglichkeiten, eben selbiges zu sein. Sie wusste, dass es nicht ehrenhaft war, was sie getan hatte, selbst wenn sie sich weigerte, sich das auch wirklich so einzugestehen. Tief in ihr wusste sie es, das hätte ihr weder Serrana noch Seiana sagen müssen. Daher nahm sie das ganze hier auch nicht leicht und litt jetzt für etwas, das sie nicht ändern konnte. Und eigentlich auch nicht wollte. Denn auch das wusste sie: sie liebte Archias. Auch wenn sie höllisch Angst davor hatte, dieses Gefühl zuzulassen, wenn sie beinahe Panik verspürte, sie könne ihn wirklich lieben, und er würde dann wie jeder andere, der ihr wirklich wichtig war, gehen oder sterben. Axilla spielte immer die Oberflächliche, die nichts wirklich ernst nahm, sogar vor sich selbst, weil sie diese Angst ständig mit sich herumtrug und eine Lüge da barmherziger zu ertragen war als diese Furcht. Und doch wusste sie, dass sie für Archias so tief fühlte, auch wenn sie sich dagegen gewehrt hatte. Es nicht zulassen wollte, bis er es ihr gesagt hatte – wenngleich in einem etwas unorthodoxen Moment.
    Hin und hergerissen zwischen Schuldgefühlen und gleichzeitig dem Wissen, es eigentlich so gewollt zu haben, tief in ihr drinnen, stand Axilla da und ließ die Worte der Decima über sich ergehen. Sie bemerkte wieder die förmliche Anrede mit ihrem nomen gentile und schluckte einmal mit gesenktem Blick. Ja, sie hatte wohl alles gesagt, was sie hatte sagen wollen. “Ja, das habe ich. Ich danke dir für deine Zeit, dass du mich empfangen hast. Wenn du erlaubst, werde ich dann wieder gehen.“ Es gab nichts mehr, was sie noch hätte sagen können. Wenn ihr Gewissen sich damit nicht zufrieden gab, dann wusste sie auch nicht, was sie noch hätte tun sollen.

  • Seiana sah Axilla weiterhin an. Einfach nur an. Sie konnte nicht gegen das Gefühl in ihrem Inneren ankämpfen. Sie wollte es auch nicht. Wo die Bitterkeit brannte, wo verletzter Stolz und verletzte Gefühle loderten, da brachte das Eis Ruhe. Keinen Frieden, aber Ruhe. Löschte die Bitterkeit nicht, aber kühlte sie, so sehr, dass sie zwar da war, aber nicht mehr schmerzte. Dass sie zwar da war, aber nicht mehr behinderte, sondern wenn überhaupt ihr klares Denken nur stützte. Dass das Eis sich mit dieser Bitterkeit Stück für Stück genauso durchzog wie mit ihrem Stolz und ihren Gefühlen, die einen empfindlichen Schlag erhalten hatten, dass es sich dadurch nur ausbreitete und verstärkte, spielte eine untergeordnete Rolle. Es half. Das war alles, was zählte. Half ihr, die Fassung zu bewahren. Und sie brauchte ihre Fassung. Gerade jetzt, wo sie keine Ahnung hatte, wie es weiter gehen sollte mit ihr und ihrem Leben, als nach wie vor unverheiratete Frau, die nicht einmal die Aussicht auf eine baldige Hochzeit hatte. Und so versuchte Seiana nicht einmal, das Eis in sich zu bekämpfen, sondern hieß es willkommen.


    Reglos starrte sie die Iunia an. Ob die Tatsache, dass sie sie so förmlich anredete, die andere traf, konnte sie nicht genau erkennen. Das war jedoch ausnahmsweise nicht geboren aus dem Wunsch heraus, Axilla zu treffen, sie klein zu sehen, sondern lag Seiana einfach im Wesen. Sie konnte Axilla nicht so vertraut anreden, es ging nicht, nicht nach dem was passiert war – genauso wenig wie sie es noch fertig brachte, Caius so zu nennen, obwohl ihr alles andere auch irgendwie falsch vorkam und sie es deswegen bei ihrem Gespräch vorgezogen hatte, ihn gar nicht beim Namen zu nennen. Mit einem angedeuteten Nicken quittierte sie den Dank, den die Iunia ihr für ihre Zeit aussprach, und neigte ihren Kopf ein weiteres Mal, ein wenig deutlicher diesmal, als Axilla darum bat gehen zu können. Sie wünschte sich, sie könnte Genugtuung empfinden dabei, dass Axilla tatsächlich bat, sie um Erlaubnis fragte. Aber das tat sie nicht. Nicht einmal der hässliche Teil in ihr regte sich in diesem Moment. Axilla würde gehen. Und sie würde zu Caius gehen. Würde Zeit mit ihm verbringen, wie die ganzen letzten Wochen schon. Zeit, die sie ihr gestohlen hatte. Zeit, die vielleicht hätte helfen können, dass Caius und sie es schafften. Zeit, die sie nicht gehabt hatten, weil Caius sie lieber mit Axilla verbracht hatte… Alles war so eisig, so gefroren, dass Seiana es noch nicht einmal mehr schaffte, eine höfliche Floskel zu formulieren. „Dann geh“, brachte sie nur noch über die Lippen, und sie wartete schweigend, bis Axilla gegangen war.

  • Eine ganze Weile passierte nichts, und Seiana starrte sie einfach nur weiter an. Sagte keinen Ton, rührte sich noch nicht einmal. Da war einfach absolut nichts. Axilla war sich nichtmal sicher, ob sie blinzelte, allerdings konnte sie auch nicht lange genug aufblicken, um das wirklich zu übrprüfen. Also stand sie selber nur da, immer wieder vorsichtig aufblinzelnd, aber ansonsten wie festgefroren, und wartete auf Seianas Reaktion. Sie würde letztendlich auch ohne Erlaubnis gehen, denn die Decima würde sie wohl kaum mit Gewalt hier festzuhalten versuchen. Aber ganz so weit kam es nicht, denn gerade, als Axilla Luft holen wollte, um ihren Abschied zu verkünden, entließ Seiana sie dann doch knapp und eisig.
    Kurz blickte Axilla nochmal auf, suchte in Seianas Blick. Gerne hätte sie sie einfach nur einmal kurz berührt, ihr gerne ihre Gefühle für einen Moment übertragen, damit sie wusste, wie ehrlich sie das gesagte gemeint hatte. Axilla war nicht gut mit Worten, das wusste sie selber. Sie redete, wenn sie schweigen sollte, und wenn sie reden sollte, fehlten ihr die passenden Worte. Berührungen waren da einfacher, damit war Axilla besser. Aber sie glaubte kaum, dass Seiana so eine Vertraulichkeit zugelassen hätte. Erst recht nicht von Axilla, und schon dreimal nicht zu diesem Zeitpunkt. Also versuchte Axilla nur, alles Bedauern, das sie verspürte, in diesen einen, abschließenden Blick zu legen. “Vale“, erklang noch ein kurzer Abschiedsgruß, und ein wenig zögerlich ging Axilla aus dem Atrium. Leander kam ihr im Vestibul entgegen, und gemeinsam verließen sie die Casa Decima. Vermutlich würde Axilla sie so schnell nicht wieder betreten dürfen. Aber wenigstens hatte sie gesagt, was sie zu sagen gehabt hatte, mehr konnte ihr Gewissen von ihr nicht verlangen.

  • Sim-Off:

    T´schuldigung, erst übersehen und dann wenig Zeit gehabt! :( ;)


    Dass nun Castors Ansprechpartner nicht da sein sollte, stürzte den Griechen in eine scheinbar tiefe Krise. Auf dem Weg zum atrium versuchte er auf die Schnelle zu improvisieren. Nun ja, mit älteren Damen, wie meiner Mutter zum Beispiel hatte er ja seine Erfahrungen. Und keine Frage, ich stellte, mir Duccia Venusia tatsächlich als ältere Dame vor, denn eine Matrona war doch nicht mehr ganz frisch. Oder irrte ich mich da? :D
    Im Gegensatz zu Castor war ich ganz entspannt. Ich schaute mich beim Vorbeigehen um und freute mich, endlich jemanden hier in Rom kennenzulernen, der zu meiner Familie gehörte. Und worauf ich mich am meisten freute, war, dass ich spätestens in einigen Tagen den guten Castor los war. Wenn der endlich auf der Rückreise nach Hispania war, dann fing mein neues Leben an. Es war schon ganz schön nervig, wenn man ständig überwacht und ermahnt wurde.


    Im atrium erwartete besagte Duccia Venusia uns bereits. Donnerwetter, soo alt war die ja gar nicht! ;) Glücklicherweise tat ich mein Erstaunen nicht vorlaut kund. Das wäre wieder superpeinlich für Castor gewesen.


    "Salve, domina! Ich danke dir, dass du uns empfängst. Dies ist Decima Amaesia, die Tochter des Marcus Decimus Nepos, der leider schon von uns gegangen ist. Und ich bin der bescheidene Sklave ihrer Mutter, domina Saenia Rufina." Castor hatte sich vor der Matrona tief verbeugt und hatte wie immer die richtigen Worte gefunden. Wobei ich bescheiden etwas für übertrieben hielt und grinsen musste.
    Noch stand ich direkt hinter dem Sklaven, doch dann trat er zur Seite, so dass ich nun direkt Venusia gegenüber stand. "Äh, Salve", rief ich unbekümmert. Den Götter sei Dank, winkte ich nicht noch dazu.

  • "Salve und herzlich Wilkommen in Roma und im Hause der Familie. Mir wurde gesagt, dass ihr eigentlich eine andere Person sprechen wolltet. Ich hoffe, dass ich euch auch helfen kann. "
    Freundlich begrüßte sie die beiden Neuankömmlinge. Die tiefe Verbeugung des Sklavens beachtete sie nicht weiter. Für sie war es gänzlich unnötig, dass ein Sklave solch Gebärden an den Tag legte, aber jeder sah dies anders und so war sie dazu übergegangen Dinge einfach zu ignorieren, wenn sie ihr nicht ganz passten.
    "Mein Beileid Amaesia. Es tut mir sehr leid für dich."
    Dann ging sie zwei Schritte in Richtung der Sitzecke, schickte einen Sklaven los für beide Gäste etwas zu Trinken zu besorgen und bot der jungen Frau einen Platz an.
    "Bitte nimm doch Platz und gestatte mir gleich meine erste Frage."
    Eine Antwort wartete Venusia nicht ab und gleich nachdem sie saß, fragte sie auch schon.
    "Hat deine Mutter dich aus einem bestimmten Grund hier nach Roma geschickt oder war es dein Wunsch in diese Stadt zu kommen?"
    Venusia musste ja schließlich wissen was man von ihnen hier verlangte und sich
    gegebenenfalls Gedanken machen wie sie den Anforderungen gerecht werden konnten.

  • Meine Augen glänzen wie am Saturnalientag. Das war ja alles so aufregend! Und dann die Freundlichkeit, mit der ich willkommen geheißen wurde! Das übertraf all meine Erwartungen. Ich setzte mich auf einen der Stühle, meine Augen aber streiften weiterhin durchs ganze atrium, um jede Kleinigkeit zu entdecken.
    Die Freude aber wich sofort, als Venusia ihr mir ihr Beileid bekundete. Meine Schüchternheit trat wieder zu Tage. Hilfesuchend schaute ich zu Castor, der ein wenig abseits stehengeblieben war. Was sagte man darauf? Eigentlich hatte ich meinen Vater ja erst im letzten Abschnitt seines Lebens kennengelernt. Ich war ja auch traurig gewesen, als er gestorben war und hatte auch einige Tränen verdrückt, als sein Leichnam den Flammen übergeben wurde, aber tief innen drin war das für mich nicht wirklich ein schmerzlicher Verlust. Dafür hatte ich ihn einfach nicht gut genug gekannt.


    Die Matrona sprach weiter und fragte logischerweise, weshalb ich nach Roma gekommen war. Ich war schon drauf und dran auf ihre Frage zu antworten. "Ähm äh…" Klar, damit würde ich im Leben keinen Blumentopf bei einem Rhetorik-Wettbewerb gewinnen. Aber bevor ich richtig loslegen konnte, pirschte Castor aus der Versenkung nach vorne und übernahm das Antwortgeben für mich.
    "Domina, mit Verlaub. Domina Saenia Rufina, die Mutter der jungen Amaesia hat mir ein Schreiben mitgegeben. Wenn du erlaubst?" Castor begann hektisch in seiner Tasche herumzukramen. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Es war doch immer das gleiche mit diesen Taschen! Das, was man suchte, befand sich immer ganz unten, so dass man es kaum zu fassen bekam. Endlich zog er es mit einem erleichterten prusten heraus und übergab es der Duccia.



    Salve Decimus Mattiacus!


    Seit dem allzu frühen Dahinscheiden deines lieben Bruders, meines geliebten Gatten vor einigen Monaten, habe ich mich mit dem Gedanken getragen, meine Tochter Amaesia, deine Nichte nach Rom zu schicken. Amaesia ist ein liebreizendes Mädchen, welches dir sicher viel Freude bereiten wird. Sie hat eine gute Erziehung genossen und besitzt gute Umgangsformen. Für sie ist es an der Zeit, endlich auch ihre Familie in Rom kennenzulernen. Außerdem hat sie dort weitaus bessere Bildungschancen und eine vorteilhaftere Aussicht auf eine gute Heirat, als in der hispanischen Provinz. Daher bitte ich dich, sie unter deine Fittiche zu nehmen.
    Zu ihrer Unterstützung stelle ich ihr Castor, den altgedienten Sklaven ihres Vaters an ihre Seite. Er hat die letzten Monate als ihr Lehrer fungiert und hat ein wachsames Auge auf sie. Deshalb wäre es nur von Vorteil, wenn er sie auch weiterhin unterweisen könnte.
    Ich hoffe, dir mit meiner Bitte nicht allzu sehr zur Last zu fallen.


    Mögen die Götter stets über dich wachen.


    Vale
    Saenia Rufinia


    Der gute Castor hatte eine genaue Vorstellung davon, was in diesem Brief stand. Den genauen Wortlaut jedoch kannte er nicht.

  • Venusia las den Brief genau nachdem er ihr überreicht wurde. Dann ließ sie ihn sinken und den Blick über ihre neue Verwandte und den Sklaven schweifen. Sie wollte doch eigentlich bald nach Misenum zu ihrem Mann zurück und es gab immer mehr, das sie hier hielt. Das war ja nicht zu fassen. Sie würde Primus noch einen Brief schicken müssen. Doch erst einmal zurück zum jetzigen "Problem".
    "Dem Wunsch deiner Mutter kann natürlich entsprochen werden. Auch soll dein treuer Begleiter hier ein Heim finden und dich weiterhin unterrichten. An was für eine Ausbildung und Bildung habt ihr den gedacht?"
    Ihr Blick ging nun zu Castor. Dieser schien hier in diesem Punkt das sagen zu haben. Zumindestens wenn sie ihre Beobachtungen in der kurzen Zeit nicht täuschten.

  • Sim-Off:

    So die andere sache is schon aus der Welt da hab ich was verbuckselt aber der Tot der Iulia Severa is ja auch ein Grund :D.



    Nach dem er ins Atrium geführt wurde sah er sich kurz um. Sehr schön dachte er bei sich das Atrium brauchte sich durchaus nicht verstecken. Er ging ein Stück auf und ab wehrend er auf den Senator wartet.

  • Wie mich dieser Castor nervte! Ständig musste er sich als mein großer Beschützer aufspielen und selbst jetzt, wo es eigentlich nichts mehr zu beschützen gab, hörte er nicht auf. Ich zählte schon die Minuten, bis er endlich wieder aus meinem Leben verschwand. Morgen, spätestens aber Übermorgen...äh...
    "Wie Wie bitte? bitte?", echote es fast zeitgleich aus zwei Mündern, meinem und Castors. Wir hatten ja beileibe nicht viel gemeinsam, Castor und ich. Und dafür war ich auch den Göttern unendlich dankbar. Doch genau jetzt hatten wir mehr gemein, als uns lieb sein mochte. Ungläubig schauten wir beide zu der Matrona, deren Kommentar noch unheilschwanger in unserem Gehörgang widerhallte. Auch unsere beider Gesichter hatten sich reichlich deformiert. Augen und Münder waren noch des Schreckens wegen aufgerissen. Abscheu spiegelte sich in ihnen wider. Das konnte doch nicht der Ernst meiner Mutter sein! Wie konnte sie nur zu so etwas fähig sein?
    Castor dachte wohl das gleiche. All seine Träume von einer geruhsamen Heimreise und einem noch geruhsameren Lebensabend waren mit einem Mal geplatzt, wie eine Seifenblase. War echt blöd, Sklave zu sein!


    Wenn ich gewollt hätte, wäre ich nun schadenfroh gewesen. Aber ersten wollte ich nicht und zweitens hatte ich auch gar keinen Grund dafür, denn mit Castor im Schlepptau, würde das Leben in Rom ganz schön hart werden. Da wurde es endlich Zeit, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, nachdem mir meine Mutter eine solche Bürde aufgehalst hatte!
    Na bitte, Castor hatte schon die Matrona für sich gewonnen. Sie sah ihn an, als sie fragte, was aus mir werden sollte. Dabei ging es doch um mich und nicht um Castor! So Amaesia, jetzt bist du am Drücker! Trau dich und mach was drauß!
    "Ja, also äh, ich würde gerne..." Weiter kam ich leider nicht, denn Castor hatte wieder zur Sprache zurück gefunden und da Venusia ihn nun angesprochen hatte, glaubte er auch, antworten zu müssen.
    "Die domina wünscht sich, dass ihre Tochter in Rom einen guten Ehemann findet. Das ist ihr Hauptanliegen!" Castors Worte klangen gefasst, aber man spürte deutlich seine Enttäuschung. Nicht nur ich war in jederlei Hinsicht reingelegt worden, auch er.
    Meine Mutter hatte mich also nur zum Heiraten nach Rom geschickt! Na prima, das konnte ja noch richtig lustig werden!

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