Prinzipiell war ich gar nicht davon abgeneigt, einen Verwandten, den ich noch nicht richtig kannte, besser kennen zu lernen und gerade dann, wenn es sich um einen so scheinbar netten handelte. Doch der gute Piso hatte mich nun doch in einer sehr eklatanten und heiklen Situation erwischt, in der ich mich nicht besonders wohl fühlte. Die schmalztriefende Schrift hinter meinem Rücken, brannte wie Feuer. Doch nur ein kleines Missgeschick, seitens meines Verwandten ließ mich das, wenigstens für eine kurze Zeit, vergessen machen. In der Großzügigkeit seines Bewegungsradius hatte er doch tatsächlich eine der wertvollen Schriftrollen zu Fall gebracht. Ich hatte gar kein Verständnis dafür, wenn man auf diese Weise mit Büchern umging. Wenn ich eines Tages, so die Götter es wollten, Kinder haben würde, dann war dies eine der ersten Lektionen, die sie erlernen würden- den korrekten Umgang mit Büchern!
Ein wenig von oben herab, mit einem leicht schockierten Ausdruck und der leicht nach oben gehenden Augenbraue sah ich ihn an und schwieg vorerst. Aus irgendeinem Grund war der musculus frontalis in unserer Familie besonders stark ausgeprägt. Wahrscheinlich lag das daran, da wir immer wieder mit Verblüffungen konfrontiert wurden, auch wenn wir das gar nicht wollten und oftmals auch gut darauf verzichtet hätten, wenn das möglich gewesen wäre. So wie auch jetzt, als der Gute sein Wissen um Ovids Schriften zum Besten geben wollte. Ich liebte Ovid und hatte schon sehr viel, um nicht zu sagen, fast alles gelesen! Natürlich hatte ich auch die ars amatoria nicht außer Acht gelassen. Der Grund, weshalb ich nun diesen seichten Schund hinter meinem Rücken versteckte, hatte ganz andere Gründe!
"Ach ja? Was ist denn mit Ovids ars amatoria?", fragte ich abschätzig, während mein Augenhebermuskel noch immer seinen Dienst versah und er das edle Stück aufhob.
Die Art wie er lächelte, gefiel mir nicht. Sie war so arrogant. Nun, zweifelsohne war er ein Patrizier, ein flavischer auch noch dazu und dann konnte man gelegentlich ein wenig zur Arroganz neigen, davon schloß auch ich mich nicht aus. Doch die Tatsache, dass dieser arrogante Blick mir nun galt, machte ihn keineswegs sympathisch!
"So ist es!", bestätigte ich seine Annahme und ließ keinen Zweifel aufkommen, wie sehr mir seine Art missfiel.
"Tatsächlich? So, hat man das?", meinte ich einsilbig weiter. Im Augenblick hatte ich nicht das Bedürfnis, mich auf eine größere Unterhaltung mit diesem Subjekt einzulassen. Alleine schon, um kein falsches Bild von mir und meinem literarischen Anspruch aufkommen zu lassen, wollte ich nur noch diese Lokalität sofort verlassen.
"Syrien?" fragte ich und zwar so, als würde alleine schon dieses Wort einen Ekel bei mir hervorrufen. "Nun ja, es gibt eine besondere Abteilung für geographische Abhandlungen, bezüglich einiger Provinzen. Am besten lässt du dich da von unserem hochgeschätzten Bibliothekar beraten." Ich deutete leicht mit meiner freien Hand auf einen schmalen Gang der fast am Ende des Raumes lag. In dieser Kante lagen auch einige ganz interessante Werke, unter anderem über Ägypten.