Trotz mehrmaligen Klopfen hatte sie die Tür nicht geöffnet. Denn ihr Mann hatte ihr dies verboten. Eigentlich sollte sie sich auch auf dem Zwischenboden bei ihrer Familie verstecken. Doch sie hatte sich dagegen entschieden. Falls doch Fremde in die Hütte kommen sollten, wäre es so vielleicht besser. Deshalb hatte sie sich auf die Bank gesetzt. Ihre greise Mutter und ihre Schwiegermutter, die sich trotz ihrer durch die Kälte schmerzenden Glieder auch auf den Zwischenboden begeben hatten, würden schon dafür sorgen, das die Kinder still blieben. Besorgt dachte sie noch mal nach, ob sie auch alle ihrer wenigen wertvollen Gegenstände den beiden Alten gegeben hatte. Die alten Frauen sollten diese „Schätze“ an ihren Körpern verstecken. Was wollten die Römer hier? Sie hatte von den Vorgängen in Macomers Dorf gehört. Stark beunruhigt betete sie zu den Göttern, dass sie nicht das selbe Schicksal erleiden mussten.
Als plötzlich die Tür von außen geöffnet wurde, starrte sie erschrocken in gleißendes Tageslicht. Sie sah die Umrisse von drei Männern in der Türöffnung stehen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, während die Männer ihre Hütte betraten. Einer der drei trat mit einer beschwichtigten Handgeste auf sie zu und sagte mit einem üblen Akzent:
„Heila, Weib! Wirr sind Legionärre aus Moogaantiaacum. Keine Aangst. Wirr koomen in guterr Aabsicht. Und aals Zeichen unserres guten Willens schenke ich dirr dieses Brroot.“
Verwirrt starrte sie abwechselnd das Stück Brot und den Römer an. Meinte er das ernst? Oder war das nur eine Finte in einem grausamen Spiel? Schließlich nahm sie widerwillig das Brot. Wäre ihr Mann hiergewesen, hätte sie sich das nicht getraut. Aber sie dachte an ihre Kinder. Ihre Vorräte gingen zur Neige und der ungewöhnlich harte Winter wollte nicht weichen. Und dieses Brot gab ihren Kleinen Nahrung für ein bis zwei Tage. Beschämt nahm sie das Stück, versteckte es zwischen ihren Kleidern und sah den Soldaten trotzig an.
„Wirr sind aauf der Jaagd nach Baanditen, die hierr in der Gegend ihrr Unwesen trreiben. Weißt du etwaas überr die Baanditen?“ fragte der Soldat. Grimmig schaute sie ihn an. War das Brot also doch nicht umsonst gewesen.
„Nein. Ich weiß nicht mehr als die anderen. Höchstwahrscheinlich sind es ehemalige Bauern, die die schlechte Ernte des letzten Jahres und der lange harte Winter dazu gezwungen haben!“, antwortete sie. Und die römischen Steuern und die Soldaten, dachte sie.
„Sind in letzterr Zeit Frremde im Doorrf gewesen? Oder ist dirr irrgendetwaas aaufgefaallen?“ fragte der Soldat. In der Tat war ihr in letzter Zeit aufgefallen, dass sich die Männer des Dorfes öfter als sonst zu gemeinsamen Besprechungen trafen. Aber das brauchte der Römer nicht zu wissen.
„Nein, Fremde sind mir in letzter Zeit nicht aufgefallen. Es ist Winter und da sind Besuche eher selten.“
Der Soldat starrte sie einen Augenblick an. Er war scheinbar unschlüssig, ob er sich mit ihren Antworten zufriedengeben sollte. Schließlich zuckte er mit den Achseln.
„Wo ist eigentlich derr Rrest deinerr Faamilie?“. Die Frage kam so plötzlich, dass sie für einen winzigen Moment ihre Vorsicht vergaß und Richtung Zwischenboden sah.