Beiträge von Bashir

    "Es stimmt mich traurig, zu sehen, wie groß Dein Hunger ist", sagte Bashir mitleidig, während die letzten Speisen im Mund seines Landsmannes verschwanden. "Edle Kleidung macht nicht satt. Als ich Dich zuerst sah, beneidete ich Dich. Doch jetzt weiß ich, daß es mir so viel besser geht als Dir. Wie schade, daß ich so weit weg lebe, ich hätte Dir gewiß häufiger etwas zu essen besorgen können." Wieder hatte er einen Grund, den Göttern zu danken für den guten Herrn, den er hatte. Sein Leben war doch wirklich nicht schlecht!


    Als Phraates dann absagte, zuckte Bashir traurig mit den Schultern. "Sehr schade. Demnach werden sich unsere Wege nun trennen müssen, nicht wahr? Es war mir eine Ehre, Dich kennenlernen zu dürfen. Und ich bin sicher, daß wir uns nicht zum letzten Mal begegnet sind!" Es war schwer, den Abschied einzuläuten, aber Bashir sah ein, daß da kein Weg dran vorbeiging.

    Daß der Angreifer im Fallen seine Waffe verlor, konnte Bashir nicht sehen. Er hoffte es einfach nur. Sein eigener Schwung war noch zu groß, er war gezwungen, sich weiter abzurollen, bevor er wieder auf die Füße kommen konnte. Doch gelernt war gelernt und so stand der Sklave sehr schnell wieder auf seinen Füßen. In der Zwischenzeit hatte Rusticus sich den Burschen vorgenommen und ihre Blicke trafen sich. "Herrr, bist Du in Orrdnung? Was ist überrhaupt passierrt?" Er wußte ja gar nicht, wie es zu dieser Auseinandersetzung gekommen war. Hektor war nur wenige Schritte weitergelaufen, nachdem sein Reiter von seinem Rücken gesprungen war. Das Tier war darauf abgerichtet, dann gleich stehenzubleiben und zu seinem Herrn zurückzukehren. Dementsprechend brauchte Bashir nun nur noch seine Hand auszustrecken, um die Zügel zu ergreifen.

    Ah, der junge Herr wollte also etwas zu trinken haben. Bashir schaute nur kurz zu seinem Herrn, der aber keine weiteren Wünsche hinzufügte, sondern nur nickte. Bashir holte also Becher, Wasser und Wein und folgte den beiden ins Peristylum. "Soll ich vielleicht auch einen kleinen Imbiß bringen, Herr? Oder wollt ihr bis zur Cena warten?", fragte Bashir höflich während einer Gesprächspause, nachdem er die Becher nach den Wünschen der Herren gefüllt hatte.

    Mit Vergnügen beobachtete Bashir, wie Phraates hungrig zuschlug. Er selbst nahm kaum etwas, der Anblick des Hungers seines Landsmannes ließ seinen eigenen Appetit nahezu ersterben. Er hatte jeden Tag gutes Essen. Heute sollte Phraates sich einmal richtig satt essen. "Dann laß es Dir schmecken, mein Freund." Er wartete geduldig, bis Phraates seinen Hunger gestillt hatte. Erst danach fragte er nochmal nach. "Magst Du mir noch ein bißchen was von Rom zeigen? Oder mußt Du zu Deiner Herrin zurück?"

    Bashir war sich sicher, daß ihm schon etwas einfallen würde, was er mit dem Turban anfangen konnte. Nachdem er den Stoff sicher verstaut hatte, war er wieder voller Tatendrang. "Ja, ich sprach von lukanischen Würsten. Sie sind würzig und lecker. Komm, Du sollst sie sofort kosten!" Viel Geld konnte er nicht erübrigen, aber für einen kleinen Imbiß reichte es auf jeden Fall. Sie fanden ohne große Probleme einen Stand, der alles führte, was das Herz begehrte. Bashir erstand gegrillte Würste, Brot, Käse, Oliven und einige Trauben. Dann suchten sie sich einen schattigen Platz, wo sie in Ruhe speisen konnten. Er selbst hatte ja durchaus auch schon wieder Hunger. "Ich hoffe, es schmeckt Dir. Die römische Küche ist gar nicht so übel, finde ich."

    Nimm Hektor. Bashir war sich einen Moment lang nicht sicher, ob er sich vielleicht verhört hatte. Doch es gab keinen Zweifel mehr, als der junge Herr an das andere Pferd herantrat. "Danke, Herrr!" Strahlend vor Freude schwang sich Bashir auf den Rücken des braven Tieres und schon ging es los. Das Tempo war eher gemächlich und war ein wenig langweilig. Auch Hektor zeigte mit dem Spiel seiner Ohren, daß er Lust hatte, zu laufen. Und fast schien es, als ob Rusticus Gedanken lesen könnte. Er hielt an für eine Pause und nachdem Bashir ihm einen kleinen Imbiß bereitgestellt hatte, schwang er sich wieder in den Sattel, um ziellos über eine weitläufige Wiese zu reiten. Er ließ Hektor weit ausgreifen und laufen, wie er wollte. Herrlich war es, sich den Wind so um die Nase wehen zu lassen. Auch dem Tier machte es Spaß, das war deutlich zu spüren. Nach einer Weile zügelte der Sklave das brave Tier. Pfirsichbäume waren hier angepflanzt und die Früchte sahen reif und saftig aus. Ein paar davon pflückte er, nachdem er sich vergewissert hatte, daß niemand in der Nähe war. Er verstaute sie in den Satteltaschen, dann lenkte er Hektor zurück zum Rastplatz des jungen Herrn.


    Ein leichter Trab brachte sie zügig über die Wiese zurück. Nichts ahnend von der Gefahr, in der Rusticus schwebte, hatte es Bashir nicht sonderlich eilig. Auch als der Karren ins Blickfeld kam, dachte Bashir noch nicht an Gefahr. Doch dann erblickte er die zwei Gestalten und ihre Bewegungen verrieten eindeutig, was sich dort abspielte. Der Sklave zögerte keine Sekunde. Er trieb Hektor zu höchster Geschwindigkeit an, gallopierte auf die beiden Männer zu. Noch während er sich näherte, sprang er ein wenig hoch, um auf dem Sattel zu knien. So hatte er einen sichereren Absprung. Dann sprang er zielsicher ab, um den Mann, der Rusticus unübersehbar mit einer Klinge bedrohte, hart zu Boden zu werfen.

    Dieser ganze Marsch war für Bashir ausgesprochen spannend. Hatte er doch noch nie römische Legionäre in so großer Menge so geordnet und friedlich erleben können. Seine Erfahrungen mit ihnen war ganz anderer Art. Und im Castellum in Mogontiacum war es im Vergleich dann eher gemütlich zugegangen. Zumindest aus seiner Sicht. Jetzt ging es an den Lagerbau und es war unglaublich, wie die Männer Hand in Hand arbeiteten, um innerhalb kürzester Zeit ein befestigtes Lager zu errichten. Harte Arbeit war das und Bashir war nicht undankbar dafür, daß er sich um Hektor kümmern durfte. "Ja, Herr", bestätigte er sofort die Anweisung seines Herrn und nahm Hektor beim Zügel.


    Während er das Tier versorgte, beobachtete Bashir mit Erstaunen, wie schnell alles ging. Und wie präzise alle arbeiteten. So langsam dämmerte ihm, warum die Römer so schwer zu besiegen waren.

    Die Begrüßung zwischen Vater und Sohn war sehr herzlich, wie Bashir erleichtert bemerkte. Für einen Moment war ihm doch etwas flau im Magen gewesen, da sein Herr erst so zornig darauf reagiert hatte, daß Bashir jemanden mitgebracht hatte. Nun schienen Vater und Sohn miteinander beschäftigt. Der Sklave zog sich lächelnd ein wenig zurück, um nicht zu stören, und wartete einfach ab, ob sein Herr noch Aufträge für ihn hatte oder nicht.

    Viel Erwiderung kam ja nicht auf Bashirs Erzählung hin. Der Sklave war ein wenig enttäuschst, daß Rusticus so gar nichts im Gegenzug erzählte. Aber natürlich hatte er als Sklave auch nicht den geringsten Anspruch darauf, etwas über den jungen Herrn zu erfahren. Das war ihm auch klar gewesen. Aber es schmerzte doch, so deutlich vorgeführt zu bekommen, wo man stand. Als sie am Gasthaus ankamen, kümmerte sich Bashir erst einmal um Hektor. Zum Glück war Rusticus müde, so daß an ihn keine weiteren Ansprüche gestellt wurden und auch er früh schlafen gehen konnte.


    Am Morgen war der Sklave früh auf den Beinen. Nach einem kurzen, einfachen Frühstück machte er sich sogleich daran, die Pferde fertig zu machen. Während der junge Herr beim Frühstück saß, packte er die Sachen und verstaute sie sicher auf den Pferden, füllte die Wasserschläuche auf und ließ sich in der Küche ein paar Lebensmittel für unterwegs einpacken. Schließlich stand er abreisebereit vor dem Gasthaus und wartete nur noch auf den jungen Herrn.

    Bashir nickte überzeugt. Warum sollte sein Herr ihm Briefe verwehren? Ihm fiel zumindest kein Grund dafür ein. "Ich werde ihn einfach fragen. Etwas schlimmeres als nein kann er ja kaum sagen. Ja, vielleicht wird er mißtrauisch. Aber andererseits... Wenn ich so offen damit umgehe, wird er kaum annehmen, daß ich etwas verbotenes vorhabe." Außerdem war noch die Frage, ob Phraates je auch nur die geringste Chance erhielt, zu fliehen. Bashir war davon noch ganz und gar nicht überzeugt. Aber niemals würde er das aussprechen und Phraates damit seine Hoffnung nehmen.


    "Ja, dann schreib mir, sobald Du eine Möglichkeit hast, Briefe zu empfangen. Ich werde Dir dann gewiß schreiben. Irgendwie geht es doch immer. Selbst wenn mein Herr mir die Erlaubnis verweigern sollte. Es dauert vielleicht eine Weile, aber ich werde es möglich machen." Hoffentlich versprach er jetzt nicht etwas, was er nicht halten konnte.


    "Hab Dank für den Turban. Ich weiß noch nicht, was ich damit anfange, aber es fällt mir schon etwas ein." Freudestrahlend faltete Bashir den beschädigten Stoff zusammen und steckte ihn schließlich ein. "Sag, kennst Du Dich in Rom aus? Ich habe nur wenige Stunden, mir etwas anzusehen. Was würdest Du mir empfehlen? Hast Du vielleicht sogar ein wenig Zeit? Ach, warte, ich habe ein wenig Geld. Wie wäre es mit lukanischen Würsten? Wenn das Essen, das Du bekommst, so schlecht ist, dann bist Du gewiß hungrig."

    Bashir nickte. "Ich denke schon. Er hat mir auch einen Briefwechsel mit einem jungen Legionär erlaubt, mit dem ich mich in Germanien angefreundet habe. Er hatte ein Problem mit Pferden und ich half ihm, es zu überwinden. Und er ist sehr gebildet, er wollte mir einiges beibringen. Ich werde meinen Herrn einfach fragen. Doch... wohin soll ich die Briefe schicken, wenn Du keine empfangen darfst? Gibt es jemanden, der sie für Dich entgegennehmen kann?" Das war ein Problem, wie sollte Bashir Phraates schrieben, wenn seine Herrschaft so etwas nicht erlaubte? Und vor allem würden sie seine Briefe sicher lesen wollen. Das machte die Sache doppelt schwierig. Immerhin hatten sie ja schon verbotene Dinge vor. Die Flucht eines Sklaven zu planen, war ein schweres Verbrechen, dessen war sich Bashir durchaus bewußt. Trotzdem konnte er einen Landsmann auf keinen Fall im Stich lassen.


    "Du hast mehrere Turbane?" Nicht nur unendliches Staunen konnte der Stimme entnommen werden, sondern auch unverholener Neid. Er hatte also nur eine Sorge: Wie er den angebrannten Stoff entsorgen konnte? "Wie... wie wäre es, wenn Du mir diesen Turban überläßt? Vielleicht kann ich die intakten Stoffstücke noch verwenden? Solch edle Stoffe erhalte ich nicht, auch wenn ich genug Kleidung erhalte. Aber sie ist eben zweckmäßig und nicht derartig edel. Mein Herr selbst kleidet sich nicht in solch edle Stoffe."

    Bashir blickte zu Boden. Sollte er sagen, daß er auch mit einem gesunden Bein nicht fliehen wollen würde? Im Haus seines Vaters war er eingesperrter als bei dem Artorier. Und er wollte auf keinen Fall wieder in den Krieg ziehen müssen. Was unvermeidbar wäre, würde er gesund heimkehren. Nein, besser, er sagte es nicht. Phraates war so patriotisch, so ehrenhaft. Bashir würde sich fühlen, als würde er ihn beschmutzen. "Wenn ich ihm erzähle, daß ich einen Landsmann in Rom getroffen habe und wir uns schreiben, ich glaube, dann wird er gar nicht zu genau nachfragen. Umschreibe eben verbotene Dinge, für den Fall, daß es doch mal jemand liest, der es kann. Ich werde Dich schon verstehen, ich kenne ja Deine Wünsche." Bashir hatte keine Bedenken wegen des Briefwechsels.


    "Nein, nicht mal durch geschicktes Wickeln sind sie zu verbergen. Meinst Du, Deiner Herrin wird es überhaupt auffallen? Wieviel weiß sie über unsere traditionelle Kleidung? Wenn Du den Turban einfach erstmal wegläßt, bis Dir etwas eingefallen ist, wie Du ihn ersetzen kannst?"

    Bashir nickte und schaute schon wieder verlegen drein. Phraates hatte ihn vollkommen durchschaut. Gut, das war vielleicht auch nicht schwer nach der Lobeshymne über seinen Herrn. Es war Phraates wirklich hoch anzurechnen, daß er Bashir deswegen nicht auslachte. So manch anderer hätte das sicherlich getan. "Ja, das ist alles wahr. Ich habe hier ein gutes Leben. Besser als in der Heimat. Als Soldat war ich nie glücklich. Bei Dir ist das etwas anderes. Dich zieht so vieles zurück in die Heimat. Du gehörst dorthin. Und ich bin sicher, eines Tages schaffst Du es." Bashir fiel es leicht, daran zu glauben. Denn Phraates kam ihm unglaublich willensstark und entschlossen vor.


    "Versiegle die Wachstafeln, dann wird sie niemand lesen. Ich kann nicht sicher sagen, ob jemand bei der Prima unsere Schrift lesen kann. Sie gehörten zu den Truppen, die gegen uns kämpften. Vielleicht gibt es unter ihnen welche, die darin geschult wurden. Aber niemand wird private Post öffnen, die für den Haushalt des Tribuns ist. Und mein Herr kann die Schrift ganz sicher nicht lesen. Auch keiner der Sklaven im Haus. Es wird schon klappen." Vor allem, wenn Phraates vorsichtig formulierte. Aber daran würde er sicher auch von selbst denken.


    Der Turban. Ja, der Turban. Bashir kniete sich gleichzeitig nach unten, um den Stoff aufzuheben. "Wie schade um das kostbare Gewebe. Das Feuer hat es übel zugerichtet. Den Schmutz könnte man ja rauswaschen, aber die Brandflecken sind schon ziemlich groß."

    "Das ist, als würde man jemanden hinuntertreten, nur um selbst größer auszusehen. Das ist kein echter Stolz, das ist falscher Stolz. Gefährlich und ohne Ehre. Solchen Menschen kann man niemals trauen." Flavius. Ein Name, den Bashir sich sehr gut merkte.


    "Mein Herr ist ein guter Mensch. Er würde so etwas nie tun, einen Menschen in ein Schlammloch stecken. Er läßt sich natürlich auch nicht auf der Nase herumtanzen. Aber... das hat auch noch niemand versucht. Ich habe nie gesehen, daß er einen seiner Sklaven schlägt. Er schenkt mir Vertrauen. Er hat mir schon mehrere Bitten erfüllt. So darf ich sein Pferd pflegen. Und er hat mir erlaubt, Rom anzusehen. Er hat mir mehr als genug Geld für die Reise gegeben. Und ich darf sein Pferd reiten. Also das, was er sonst selbst reitet. Und das ist ein gutes Pferd! Ich hätte fliehen können. Gleich über die Berge. Aber er hat nicht einen Augenblick geglaubt, daß ich das tun würde. Und damit hat er Recht. Ich habe ein bequemes Schlaflager. Ich bekomme gutes Essen. Und die Arbeit, die ich verrichten muß, ist weder schwer noch entehrend. Er ist kein Drecksrömer. Er ist ein Mann, den ich gerne Freund nennen würde, wäre ich ein freier Mann." Erst als er ausgesprochen hatte, merkte Bashir, daß er etwas sehr schwärmerisch klingen mußte. Aber gerade im Vergleich zu Phraates Erzählungen war all das nur zu wahr.


    "Ja, ich kann lesen und schreiben. Sowohl die pahlawische Schrift als auch die lateinische. Mein Vater hat darauf sehr viel Wert gelegt. Nicht viele in unserem Ort konnten lesen und schreiben. Und Latein sprechen und lesen und schreiben. Es hat meinen Vater auch viel Geld gekostet, daß seine Söhne es lernen durften." Und der Lehrer war ein strenger alter Mann gewesen. Daß ein Schüler nicht lernte, das gab es bei ihm nicht.

    "Absolute Macht über Sklaven zu haben, ist doch nicht weiter schwer", sagte Bashir leise und schüttelte wieder betrübt den Kopf. Unter was für unwürdigen Verhältnissen mußte Phraates leben! "Wie armselig, diese Macht derartig auszunutzen! Besitzen sie denn gar keinen Stolz?" Konnten sie sich gar nicht vorstellen, daß sie in der gleichen Lage sein könnten, hätten sie in Parthien gekämpft und verloren?


    Bashir nickte. "Ja, ich habe es auch erst vorhin erfahren. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Herr davon weiß, daß sein Sohn ihn aufsuchen will. Aber er wird kaum etwas dagegen haben." Seine Augen wurden wieder einmal groß vor Erstaunen. Dieser Phraates kam wirklich auf die absonderlichsten Ideen! Pferde und Schwerter stehlen und fliehen? Sie würden keine Meile weit kommen, soviel war klar. Außerdem spürte Bashir in seinem Inneren immer deutlich, daß er wirklich nicht fliehen wollte.


    Heimweh... Ja, Heimweh, das kannte er gut. Als er sah, wie tief das Heimweh Phraates schmerzte, legte er einen Arm um ihn. "Wenn das Dein tiefster, Dein innerster Wunsch ist, dann wirst Du unsere Heimat wiedersehen. Dann wirst Du den Wind schmecken, der so merkwürdig anders ist als hier. Und die kostbare Erde unter Deinen Füßen spüren. Habe Geduld. Und nutze jede Gelegenheit. Die Götter helfen dem, der mutig ist, willensstark und es versteht, ihnen zu danken. Solltest Du eines Tages fliehen. Und solltest Du es bis Mantua schaffen, so versuche, mir eine Nachricht zu schicken. Ich versorge Dich dann mit allem Nötigen. Mein Herr heißt Servius Artorius Raetinus. Er ist Tribun bei der Legio I. Phraates... ich wünschte, ich könnte Dir jetzt und sofort helfen."

    Betreten starrte Bashir auf seine Fußspitzen, als sein Herr ihn anfuhr. Er war sich gar keiner Schuld bewußt. War denn der Sohn des Herrn am Ende gar nicht sein Sohn? War er einem Betrüger aufgesessen? Bashir öffnete den Mund. "Herrr... err hat gesagt, err sei Dein Sohn", wagte er leise und unsicher einzuwenden. Doch der Herr hatte seinen Sohn bereits bemerkt. Eine merkwürdige Situation. Und zutiefst verwirrend für den Sklaven, der stumm abwartete, was als nächstes geschah.

    "Solch grausame Menschen sollten auf keinen Fall so viel Macht inne haben!" Bashir schüttelte sich vor Entsetzen. Was solche Leute alles zerstören konnten. Bisher hatte sich Bashir über diese Dinge noch gar keine Gedanken gemacht. Hier bemerkte man wohl, wer derjenige mit der besseren Bildung war. Phraates war eindeutig dazu erzogen, zu herrschen. Er behielt den Überblick über das Ganze. Bashir hingegen war schon froh, wenn er genug zu essen, einen ordentlichen Schlafplatz und gute Kleidung hatte. Und nicht zu harte Arbeit.


    "Gewitzt mögen sie sein. Aber ein tiefes Verhältnis zu Pferden haben sie nicht. Bestimmt gibt es Ausnahmen. Einige wenige, die diese Gabe haben. Aber die meisten sitzen zu Pferd wie Getreidesäcke." Ihm taten dann immer die Pferde leid. Sicher, die Legionsreitere in Germanien war gut gewesen. Aber das lag wohl an dem Terentier, der auf jeden Fall ein 'Pferdemensch' war. Eine jener Ausnahmen eben. "Die Praetorianerkavallerie? Die Schwarzen? Ja, die waren beeindruckend." Bashir erinnerte sich nicht gerne an sie. Sie waren wie ein finsterer Sturm gewesen.


    "Fliehen? Ich soll fliehen?" Entsetzen klang aus Bashirs Stimme. "Auf dem Rückweg werde ich nicht allein sein. Der Sohn meines Herrn wird mich begleiten. Und außerdem... ich möchte doch gar nicht fliehen. Du hast allen Grund, es zu wollen. Aber ich? Ich habe ein gutes Leben. Und wäre in der Heimat nicht willkommen. Nein. Nein, ich möchte nicht fliehen. Wenn Du es eines Tages wagen solltest, dann werde ich Dir gerne behilflich sein. Du hast die Freiheit verdient. Aber mit mir ist das etwas anderes."

    Natürlich nickte Bashir zu Phraates Worten. Ja, von solchen Leuten hielt ein kluger Mann sich besser fern, da hatte er völlig Recht. Aber was er dann sagte, ließ Bashirs Augen größer werden. "Sie haben mal die Kaiser gestellt? Wirklich? Was ist passiert? Warum sind sie jetzt nicht mehr Kaiser? Warum leben sie noch?" Ein kluger Machthaber schaltete doch schließlich seine gefährlichsten Konkurrenten aus. Und eigentlich hielt Bashir den Kaiser nicht für dumm. Das konnte er nicht sein, wenn er ein derart riesiges Reich regierte.


    Dann mußte er lachen. "Ja, das war in Germanien. Und das ist wirklich weit entfernt. Sehr weit im Norden. Aber dort waren freundliche Römer. Dort gab es sogar einen Römer, der ein wahres Gespür für Pferde hat. Und davon habe ich vorher noch nie gehört. Die laufen doch lieber zu Fuß." Zumindest hatte er bisher den Eindruck, daß sie mit Pferden nicht so erschreckend viel anfangen konnten, wenn es nicht gerade um Wagenrennen ging.


    "Nein, ich lebe nicht in Rom. Mein Herr ist Offizier bei der Legio I in Mantua. Und Mantua liegt in Norditalia. Aber fliehen? Aus einem Militärlager dürfte das sehr schwer sein. Und wie ich schon sagte: Es gibt keinen Ort, an den ich gehen könnte. Mir geht es gut, wo ich bin. Warum meinst Du, daß es dort oben leichter wäre?" Entflohene Sklaven schafften es nur selten in die Freiheit. Die meisten wurden gefangen und zu ihren Besitzern zurückgebracht. Oder getötet.

    So gelobt zu werden, war Bashir überhaupt nicht gewöhnt. Schon gar nicht aus seinem früheren Leben. Die Verlegenheit darüber war ihm deutlich anzusehen. "Das tut mir wirklich leid, daß Du es so schlecht getroffen hast. So vornehme Leute sollten es nicht nötig haben, ihre Sklaven so schlecht zu behandeln. Die Flavier... Ich werde mir den Namen merken und mich vorsehen, wenn sie mir begegnen sollten. Schrecklich, so etwas." Keine Sklaven verkaufen, um nicht arm zu wirken? Was war das denn für eine Denkweise? Bashir konnte es einfach nicht begreifen.


    "Ich weiß nicht, wieviele ich getötet habe. Nicht bei jedem Pfeil konnte ich nachverfolgen, ob er auch durchgedrungen ist. Eigentlich möchte ich es auch nicht wissen. Ich habe schon einige Römer kennengelernt, die freundlich waren. Und die das Bedürfnis hatten, mir zu helfen. Ich kann nicht ein ganzes Volk hassen, weil es schlechte Anführer hat." Er schüttelte entschieden den Kopf und atmete tief durch. Dann blickte er Phraates direkt in die Augen. Und sah den unübersehbaren feuchten Glanz. "Was ist Dein Traum? Zurückkehren in die Heimat? Und dann? Du sagtest, Deine Familie sei verarmt? Wie willst Du das ändern?" Es war ehrliches Interesse, denn es tat sehr gut zu hören, wie jemand anderer für ihn an seinen Traum glaubte. Eines Tages. Ja, vielleicht. Vielleicht würde er eines Tages tun können, wofür er geboren war.

    Es schauderte Bashir sichtlich, als er hörte, wie grauenvoll es im Haushalt der Flavier zuging. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es war, mit solchen Ängsten leben zu müssen. "Ja, ich war bis jetzt in kleinen Haushalten. Unser Herr kennt jeden von uns. Er spricht mit uns und wir dürfen auch Bitten äußern. Sie werden sogar gewährt, wenn man es damit nicht übertreibt. Oh, Phraates, es tut mir so leid, daß Du es so schlecht getroffen hast. Soll ich meinen Herrn mal fragen, ob er nicht einen guten Mann wie Dich gebrauchen kann?" Es kam ihm fast wie ein Verbrechen vor, den Landsmann mit solch einem schrecklichen Schicksal zurückzulassen. Ihm selbst ging es so gut. Seit der Händler ihn verkauft hatte, hatte er keine Peitsche mehr zu spüren bekommen.


    "Ich war ja stolz, ein Bogenschütze zu sein. Ich war auch gar nicht schlecht mit dem Bogen und als Reiter bin ich wirklich gut. Aber als es ans Töten ging... Ich habe meine Pflicht getan, aber da war nichts von Ehre, nichts von Stolz. Es war nur schmutzig und blutig und da waren nur Söhne und Väter und Ehemänner, die auf entsetzliche Weise starben oder töteten und damit ihre Seelen verletzten. Das Geschrei, der Lärm, ich vergesse nie, wie der Blick in den Augen der Sterbenden brach. Ich bin schon nicht gerne Soldat geworden, mein Vater wollte es, weil er einer war und sein Vater und dessen Vater davor. Ich wußte immer, meine Bestimmung sind die Pferde. Ich kenne sie. Ich weiß, was sie brauchen. Immer. Ich wollte gute Pferde züchten. Die besten." Bashir hatte Tränen in den Augen stehen, während er sprach. Er versuchte gar nicht erst, seine Gefühle zu verbergen. Nie wieder wollte er als Soldat kämpfen müssen. "Mein Vater will einen Soldaten, keinen Krüppel. Nein, dort brauche ich nie wieder aufzutauchen." Selbst wenn er jemals wieder freikommen würde, nein, dort würde er kein Zuhause mehr finden.