Jede Erinnerung an Corvinus und die Geschehnisse im Hain der Diana, welche die Pax Deorum störten, war eine Üble. Es war merklich unangenehm, mit der Wahrheit im Hinterkopf hier zu stehen, inmitten des blutlechzenden, schaulustigen Pöbels der Kreuzigung beiwohnen zu müssen. Noch schlimmer war es, dass sie nun eine Wahrheit hatten, die nie ans Tageslicht gelangen durfte, ein düsteres Kapitel in der Familiengeschichte - diese Art von Kapitel, die sich in keinem Buch gut machte. Dreckig und schändlich. So erbärmlich, dass man es am liebesten unter den Teppich gekehrt hätte, ohne dass irgendeiner jemals davon etwas mitbekommen würde. Dies funktionierte aber nicht, die Ausmaße waren zu groß, zu weit verbreitet hatte sich die diese lange, leidige Geschichte. Am liebsten wäre er fortgegangen, doch da sein Gesicht nun als amtierender Ädil und Senator Roms immer bekannter wurde und weil es ja um diesen Frevel ging, an dem Corvinus und sein Weib beteiligt waren, konnte er sich nicht leisten, hier zu fehlen. Er musste wenigstens den Anschein erwecken, als wäre er mit Interesse hier und um die Pax Deorum wieder herzustellen. Mehr noch musste er den Anschein wecken, von den Hintergründen nichts zu wissen, doch das war das geringere Problem.
Er stand nun hier, dicht umringt von einigen Sklaven und Leibwächtern, welche die ganzen Taschendiebe und die stinkenden Bettler von ihm fernhielten. Im Grunde hatte er nichts gegen Kreuzigungen. Der da vorne war vermutlich ein Verbrecher, wahrscheinlich Mörder oder Vergewaltiger. Tod war wohl eine gerechte Strafe. Aber er wusste, diese Sache war nur inszeniert, ein riesiges Schauspiel, dass sie zur Zufriedenheit und zur Beschwichtigung des gemeinen Pöbels organisiert hatten. Aber die Leute waren zufrieden, denn sie wollten ja diese üble Gestalt, diesen Missetäter und sein Blut sein. Sie würden das volle Programm sehen - gequälte Schreie, das eben angesprochene Blut, die Aufstellung des Kreuzes mit allgemeiner Erniedrigung durch den Pöbel. Kein allzu schöner Tod, dachte sich Avianus. Vor allem langsam.
Avianus hörte mehr oder weniger gebannt den Worten vorne zu, bevor laute Fanfaren seine Ohren zum klingeln brachten. Kurz darauf wurde an die Richter abgegeben. Warum eigentlich Richter - sie wussten doch eh alle, welches Urteil dem Schuldigen blüte?