Zuerst kam - gerade noch pünktlich - der Tempelvorsteher, den Orestes mit einem freundlichen "Salve, Aeditus Messius Iuvenalis!" begrüßte. Beide bemühten sich die verbleibende Wartezeit mit einer belanglosen Konversation zu füllen. Schließlich kam auch der tiberische Pontifex. "Salve, Pontifex Tiberius Durus! Ich bin bereit!"
Orestes übernahm nun die Initiative und begab sich in das innere des Tempels der kapitolinischen Trias. Inmitten des Raumes vor der Cella des besten und größten Iovis war der foculus aufgebaut. Neben dem Foculus zwei Stelen mit den Kohlebecken für den Weihrauch, eine dritte direkt davor. Die verschiedenen Opferdiener standen bereit. Orestes hatte dafür gesorgt, dass einige Musiker anwesend waren - nicht zuviele - um nicht übermäßig zu erscheinen - aber auch nicht zu wenige, schließlich würde er im wichtigsten Tempel Roms dem wichtigsten Gott opfern. Beim Eintreten wusch er sich gründlich die Hände und Arme - es wäre nicht die letzte Reinigung, aber er vollführte sie dennoch andächtig. O Iove Capitoline! O Pater Urbis. O Beschützer Roms. Sei nun bei mir, wenn ich mich anschicke Dir ein Opfer darzubringen., flüsterte er dabei, O Iuno Königinr, O Minerva Weisheit, die Ihr würdig seid angebetet und verherrlicht zu werden, die Ihr hier in diesem Tempel die Kultgenossenschaft bildet, seid Rom und mir gnädig..
Am foculus angekommen sah er, dass seine Bitten beziehungsweise Anweisungen ausgeführt worden waren. Einige Ministri hielten die Gaben für das Voropfer bereit. Nach langem Überlegen hatte sich Orestes für einen Kuchen und einen guten roten Wein entschieden. Das Opfer würde nun beginnen, so dass Orestes den Zipfel seiner schneeweißen Toga über den Kopf zog, um die Rituale toga velata zu vollziehen. Die Musiker nahmen dies als Zeichen zum beginnen und sie spielten die vertrauten Weisen, die im Hintergrund so vieler Opfer gespielt worden waren.
Zuerst winkte er den Knaben, der den Weihrauch in einem edlen Gefäß aufbewahrte, herbei und sprach, während er den Weihrauch zuerst in das mittlere Becken legte: "O Iove Optime Maxime, der Du die Stadt Deiner Diener immer bewahrt hast, beschütze sie auch heute." Dann ging er zum Becken, das in der Richtung der Cella Iunonis stand mit den Worten: "O Iuno Regina, Kultgenossin und Mutter, Dir sei die Ehre erwiesen mit aufsteigenden Rauch." Er achtete gar nicht auf den Rauch, der sich wundervoll in die Luft erhob und der den Raum in den mystischen Duft hüllte, der dem incens zu eigen war. Seine Aufmerksamkeit war vielmehr darauf gerichtet, dass er die Riten erfüllte, dass er die Gebet richtig aussprach und die Drehung nach rechts nicht vergaß. So legte er auch Weihrauch in das dritte Becken - das in Richtung der Cella Minervae stand: "O Minerva, die Du huldvoll und weise den Staat lenkst - Dir sei Ehre und Ruhm"
Nach diesem Weihrauchopfer wendete er sich dem Foculus zu. Die Ministri brachten den Kuchen und den Wein - letzteren schon in der Patera. Orestes nahm den Kuchen entgegen und erhob ihn:
"O Iove Optime Maxime! Nimm diesen Kuchen entgegen als Gabe für Deine Stadt und den ganzen Erdkreis!"
Er legte ihn auf den Foculus. Danach nahm er auch den Wein und sprach
"O Iove Optime Maxime! Nimm auch diesen Wein und sei uns gnädig. Rom, dem Kaiser und mir Deinem geringen Diener!".
Den Wein goß er in die auf dem Foculus bereiteten Schalen, den ersten Tropfen aber auf den Boden. Jetzt erhob er die Hände zum Himmel und sprach:
O Iove Capitoline! Herrscher der Himmel! Herrscher über die ganze Erde! Du hast gewollt, dass Deine Stadt Rom herrsche über so viele Stämme und Nationen - dafür danke ich Dir. Ich bitte Dich nimm mein Opfer gnädig an und lass es zum Heil werden für unseren Imperator Caesar Augustus Gaius Ulpius Aelianus Valerianus! Erhalte ihn uns als gütigen und gerechten Herrscher! Lass ihn Dein Werkzeug sein um Roms Kraft und Ehre zu mehren!
O Iove, Vater der Götter! Nimm dieses geringe Opfer an zu Deiner Ehre und lass es wirksam sein für Rom und das ganze Reich! Erhalte uns den Frieden und lasse uns unsere Grenzen ausweiten bis an die Enden der Erde!
O Iove Optime Maxime! Du bist wirklich der größte und beste! Höre auf das Flehen Deines geringen Dieners und nimm diese Opfergabe an! Bewahre Rom vor aller Not und erhalte uns unseren Kaiser ad multos annos."
Dieses Gebet beendete Orestes und wenn die Flötentöne ihn nicht bei der Sache gehalten hätten, wäre er vielleicht überrascht gewesen über den würdigen Tonfall seiner Stimme. Aber er bemerkte dies nicht, sondern drehte sich nach rechts um das Gebet und somit das Voropfer abzuschließen.
Er machte sich auf den Weg nach draußen, wo das Opfer des Widders sein sollte. Er versuchte den Blick seiner Prüfer zu erhaschen - ohne allerdings dabei aus der heiligen Konzentration herauszufallen.