Beiträge von Iunia Axilla

    Offenbar hatte Axilla weniger Glück, oder die ganze Sache mit den Amuletten war weitaus komplizierter, als sie es sich vorgestellt hätte. Narmer hatte zwar jede Menge da, da sie aber nicht mit der Sprache rausrücken wollte, was für ein Fluch genau es war, gestaltete sich die Suche etwas schwierig, und von den vorgeschlagenen Mittelchen war keines dabei, das Axilla auch nur als annähernd ihrem Problem entsprechend gefunden hätte. Vielleicht aber gab es auch gar kein Amulett gegen das verlieben? Konnte ja sein, dass dagegen wirklich kein Kraut gewachsen war. Und wenn es dagegen nichts gab, dann sicher auch nicht dagegen, dass diejenigen dann von ihr weggingen. Das war aber auch ein Plutokreis!


    Nach also zwei sehr erfolglosen Stunden des Suchens und der Vorschläge seitens eines immer unleidlicher werdenden Narmers schüttelte Axilla schließlich den Kopf und verabschiedete sich wieder. Natürlich nicht, ohne vorher mindestens noch hundertmal zu beteuern, wie leid es ihr tat, seine Zeit gestohlen zu haben.

    Der Wald war hell und freundlich, die Blätter waren vom hellen Grün des Frühlings und Sonne brach hier und dort durch die Zweige. Überall war Leben im Wald, Vögel sangen in den Ästen, und überall huschte etwas durchs Unterholz, aber nicht bedrohlich, nur neugierig.
    Axilla saß auf einem Ast, gelehnt an einen großen Baum. Es war ihr Baum, das wusste sie. Ihr Halt, ihre Stärke, ihr Schutz. Ihr Leben. Sie trug eine ganz kurze Tunika, aber es störte nicht weiter. So konnte sie mehr von der rauen Rinde ihres Baumes fühlen. In ihrem Haar war eine Krone aus Laub. Aber auch das war nichts, worüber sie sich wunderte. Nicht einmal, dass ihre Haut einen goldgrünen Schimmer hatte wunderte Axilla. Schließlich musste das bei einer Dryade alles so sein. Und hier bei ihrem Baum in ihrem Wald fühlte sie sich sicher und geborgen, denn nichts konnte ihr hier gefährlich werden. Nicht, solange sie bei ihrem Baum war.
    Sie schloss leicht die Augen und hörte den Vögeln in den anderen Bäumen zu, lauschte dem entfernten Lachen der anderen Dryaden, die hier ihre Bäume hatten. Auch ihnen konnte nichts passieren bei ihren Bäumen.
    Sie döste und lauschte und genoss die warme Sonne auf ihrer Haut, als sie etwas hörte. Ein Knacken im Unterholz, nicht weit von ihr, mehr als das Rascheln der kleinen, dahinhuschenden Tiere. Sie sah neugierig hinunter, und sah einen Centauren. Er hatte eine lange, blonde Mähne und falbenfarbenes Fell. Er suchte wohl etwas, denn er irrte im Kreis herum, immer wieder an ihrem Baum vorbei. Sie beobachtete ihn eine Weile, und rief dann hinunter.
    “Was machst du da unten?“
    “Ich suche den Weg zum Palast“, klang es zurück. Er schaute hoch. Seine Augen waren grün, aber nicht ganz. Es war, wie wenn man von hier nach oben ins Blätterdach schaute, irgendwo zwischen dem hellen grün des Laubes und dem hellen Blaus des Himmels dahinter. Anders als ihre Augen, die mehr von dem satten Grün des Waldbodens hatten, wie das Moos an den Bäumen oder die feinblättrigen Pflanzen des Unterholzes.
    Axilla legte den Kopf schief und besah sich den Eindringling in ihren Wald.
    “Der ist da hinten“, zeigte sie mit ihrem Arm. Der Centaure folgte mit dem Blick der Bewegung und tänzelte leicht auf dem Waldboden, wie ein aufgeregtes Füllen. Axilla musste leicht lachen, es sah so witzig aus.
    “Komm, bring mich hin. Du darfst auch auf mir reiten“, versprach der Centaur plötzlich und lachte sie zurück an. Er sah zu ihr hoch, so fröhlich und jung. Er streckte ihr die Arme entgegen, als wolle er sie auffangen.
    Axilla schaute hinunter, hielt sich mit einer Hand an der Rinde ihres Baumes fest. Sie blickte den Weg entlang, er war so dunkel und weit. Sie wollte nicht von ihrem Baum weg.
    “Ich will nicht von meinem Baum weg.“
    Sie wollte wirklich nicht von ihrem Baum weg. Sie hatte Angst, ihn zu verlassen, Angst, ihn zu verlieren.
    “Es ist doch nicht weit, und wir kommen ja auch wieder zurück. Bitte, hilf mir.“
    Axilla schaute sich den Centauren eine Weile genau an. Er schaute nur freundlich und ehrlich zu ihr zurück, lächelte sie an. Ganz vorsichtig stieg sie den Baum runter. Der Waldboden fühlte sich seltsam an unter ihren Füßen, so kühl und fest. Anders als die Äste oben im Baum. Ihre Hand blieb an der Rinde, sie ging nicht vom Baum weg.
    “Ich will meinen Baum nicht verlassen. Wenn ich gehe, wird er weg sein, wenn ich wiederkomme. Ich will nicht, dass er stirbt.“
    Der lächelnde Centaur sah sie seltsam an, und schüttelte dann leicht den Kopf.
    “Dann komm ich dich besuchen, bei deinem Baum.“



    Axilla wachte auf. Es war kurz vor Morgengrauen. Ihre Schenkel spannten noch ein wenig vom gestrigen Ausritt mit Rufus. Verwirrt lag sie einen Moment einfach da und fühlte hinter sich, ob dort nun Rinde oder ihr Bett waren. Aber es war das mit Leinen bespannte, weiche Heu und Stroh. Und auch war weit und breit kein Centaure.
    Es war zu früh zum aufstehen, aber Axilla war wach. Einschlafen war undenkbar. Sie starrte also einfach vor sich hin und hoch an die Decke, beobachtete, wie die Schatten zurückwichen, erst zu hellem grau wurden, bis die Sonne aufging und alles in weißgoldenes Licht tauchte. Es war ein sehr seltsames Gefühl, dieser neue Tag.

    Als Archias so kurz auf ihre Beina schaute und sie auf die Gefahr eines sonnenbrandes hinwies,, schaute Axilla ebenfalls ein wenig verlegen auf ihre nackten Waden. Natürlich bestand die Gefahr, aber mit einer langen Tunika konnte sie nicht vernünftig reiten. Und diese Röhren, die Archias anhatte, sowas befand sich nicht in ihrer Kleiderauswahl.
    “Hmm, vielleicht kommen wir ja noch an einem Händler vorbei, wo ich mir solche Röhren kaufen kann? Sonst muss ich mit dem Risiko wohl leben. Aber das geht schon, ich bin da auch nicht so empfindlich. Aber ich werd aufpassen, versprochen.“
    Was sollte sie auch sonst machen, außer es versprechen? Wenn sie Sonnenbrand bekommen würde, würde sie Sonnenbrand bekommen. Da konnte sie nicht viel dran ändern. Aber sie wollte so unbedingt mit und hatte im Moment ein wenig Angst, Archias könnte sie wieder heimschicken, weil sie keine passende Reisekleidung hatte.
    Doch sie setzten sich auch schon in Bewegung, und Axilla genoss das Gefühl des Reitens. Das Pferd unter ihr hatte zwar wenig Temperament, es lief viel mehr gemütlich einfach dahin mit einem sehr weichen Gang, aber das störte sie nicht. Für so eine weite Strecke wäre das vermutlich ohnehin besser als ein feuriger Renner, der seine ganze Kraft auf den ersten paar Meilen schon verausgabte und dann zusammenbrach, oder als ein störrisches Tier, das eher rückwärts als vorwärts lief.
    Archias lenkte sein Pferd direkt neben sie und beugte sich leicht zu ihr herüber. Axilla drehte ihm neugierig ihr Ohr zu, als er anfing zu flüstern. Ganz aufgeregt über die Neuigkeiten schaute sie ihn dann strahlend an. Ihr Kopf ruckte kurz, um sich Seiana noch einmal anzuschauen. Dass die beiden sich vor Urzeiten mal auf dem Markt getroffen hatten, hatte sie bei den ganzen anderen Dingen, die dazwischen passiert waren, schon vollkommen vergessen. In Alexandria hatte sie einfach zu viele Menschen getroffen, und so eindringlich war das Erlebnis mit der Decima nicht gewesen, als dass sie es auf ewig in ihrem Gedächtnis behalten hätte. Aber jetzt im Moment nahm sie sie als Archias’ Verlobte wahr, und dann strahlte sie den Aelier an und flüsterte ihm ebenfalls zurück.
    “Oh, erzählst du mir davon? Hat es ihr gefallen? Hat sie gemerkt, dass ich es geschrieben habe? Und wann hast du es ihr vorgetragen?“
    Axilla fühlte sich ganz aufgeregt. Das Gedicht hatte sie beinahe auch schon vergessen, obwohl es das erste richtige war, das sie geschrieben hatte. Und jetzt war sie natürlich aus mehreren Gründen neugierig, was Seiana dazu gesagt hatte.

    Was genau Axilla dazu trieb, wieder in diesen Laden zu gehen, wusste sie wahrscheinlich nicht einmal selbst so genau. Seit dem einen Tag, den sie mit Timos verbracht hatte, hatte sie diesen Laden nicht mehr betreten. Sie hatte auch kein Bedürfnis danach gehabt, denn noch immer verschwamm das meiste eben jenes Tages wie im Nebel, wenn sie sich daran zu erinnern versuchte.
    Aber jetzt stand sie hier, betrat den dunklen Verkaufsraum leise, und sah sich um. Wirklich verändert hatte sich nichts. Da waren noch immer die seltsam geschnitzten Holzmasken an der hinteren Wand, daneben jede Menge Götterstatuetten. Und noch immer gab es hier jede Menge Amulette gegen verschiedene Zauber. Sogar der getrocknete Frosch, über den sie sich mit Timos so amüsiert hatte, war noch da. Auf ihrer Unterlippe herumkauend ging sie die Reihe mit Amuletten entlang und sah sich alles neugierig an. Sie hatte eigentlich keine Ahnung, was genau sie brauchte, und was genau sie eigentlich wollte. Vielleicht gab es ja auch gar nichts, was gegen diesen Fluch half? Und wollte sie ihn wirklich so loswerden? Immerhin gab es dafür eigentlich keinen zwingenden Grund, im Moment gab es ja ohnehin niemanden, den dieser Fluch treffen könnte. Was also machte sie hier?


    Axilla war schon versucht, einfach wieder zu gehen. Aber das wäre feige gewesen, und sie war ja schließlich nicht feige. Man konnte ihr vieles vorwerfen, aber gekniffen hatte sie noch nie. Also nahm sie sich auch dieses Mal ein Herz und ging zu dem Ägypter hinter der Theke.
    “Chaire“, begrüßte sie ihn freundlich. “Ich suche ein Amulett gegen Flüche. Hast du so etwas?“ Fragen war ja bekanntermaßen kostenlos.

    Dann waren Axillas Hände frei und sie rutschte ein kleines bisschen auf Helios zurück. Zu weit ging es nicht, das Tier hatte nicht so einen langen Rücken, aber doch so, dass sie sich nicht mehr so unmittelbar berührten.
    “Gut, versprochen“, meinte sie etwas unsicher und biss sich auf die Unterlippe. Sie war grade sehr froh, dass er sie nicht sehen konnte, denn sie wusste, dass sie ihr Gesicht und vor allem ihre Augen grade nicht vollkommen unter Kontrolle hatte. Sie atmete einmal durch, nicht zu tief und nicht zu laut, damit Rufus es nicht mitbekam. Kurz zögerte sie, dann legte sie ihre Hände mit einer fließenden Bewegung, als wäre nichts gewesen, an seine Seiten. Ganz brav und ohne auch nur den Anschein eines Kitzelversuchs zu machen hielt sie sich einfach nur fest, allerdings nur so viel, wie sie musste.
    “Wir sollten dann vielleicht wirklich zurückreiten, sonst komm ich noch wirklich zu spät.“

    Im ersten Moment wehrte Axilla sich noch scherzhaft, als Rufus anfing zu sprechen, dann wurde ihr Lachen etwas nervös und sie hörte mit ihrem spielerischen wehren auf und saß ganz still. Sie erinnerte sich an ihre Worte im Bad zu Siilanus, kurz bevor sie etwas getan hatten, was sie nicht hätten tun sollen. Wäre diese Situation nicht gewesen, wäre sie vermutlich ewig nur jugendlich in ihn verliebt gewesen, aber nachdem das passiert war, war ihr Leben endgültig im Chaos versunken.
    Bis gerade eben war Rufus mehr ein geschlechtsloses Neutrum gewesen, ein Freund eben, wenn auch ein männlicher, aber dieser Satz ließ ihn Axilla zum ersten Mal als Mann wahrnehmen. Sie bemerkte, wie wenig sie doch im Grunde anhatte, wie ihre Schenkel an seinen Beinen lagen, sie ihre Brust gegen seinen Rücken eben gedrückt wurde, weil er sie so festhielt. Sie fühlte, wie stark seine Hände waren, und wie sanft er sie trotzdem hielt, ohne ihr wehzutun, aber ohne dass sie entkommen konnte.
    Ihr wurde ganz mulmig.
    “Ähm…“ Sie rückte leicht von ihm ab, um ihn weniger zu berühren. Vielleicht sollte sie lieber zurücklaufen. So weit war es ja nicht. Sie musste nur irgendwie diese Situation möglichst wenig peinlich auflösen, ohne das Rufus etwas merkte. Der konnte ja nicht wissen, was sie getan hatte. Er wusste auch nicht, wie sie war, wie schlecht und untugendhaft. Sie machte das, was sie die meiste Zeit hatte, und verbarg ihre wahren Gefühle hinter ihrer Maske von Jugendlichkeit. Sie hoffte nur, dass sie ihren Körper so gut wie immer unter Kontrolle hatte, die unmittelbare Nähe machte das doch etwas schwerer als gewöhnlich, wo sie nur auf ihre Mimik und ihre Stimme achten musste.
    “Naja, ich bin nur ein armer kleiner Scriba, und wie du schon sagtest, niemand da, der mein Lösegeld zahlt. Ich… ich könnte dir versprechen, nicht zu singen, wenn du mich loslässt. Denn ich singe ganz schrecklich und schief. Wirklich furchtbar. Aber wenn du mich loslässt, erspare ich es dir.“
    Etwas blöderes war ihr nun auch nicht eingefallen, aber wenigstens war ihr bei all den Erinnerungen an Silanus etwas eingefallen.

    “Ob ich mich traue?“ War das eine Herausforderung? Ein diebisches Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht, auch wenn Rufus das nicht sehen konnte. Kurz darauf kitzelte sie ihn wieder kurz, zog ihre Arme aber noch rechtzeitig zurück, ehe er sie zu fassen bekam. “Ich trau mich alles! Es gibt kein Ziel, das nicht erreicht werden kann durch einen Mutigen, der es versucht.“ Auch das hatte ihr Vater gerne gesagt, und in diesem Moment konnte sie es sagen, ohne das wirklich ehrliche Lächeln zu verlieren. Vor lauter Übermut startete sie noch eine Attacke, aber diesmal war Rufus schnell genug und bekam ihre Hände zu fassen. Axilla quietschte einmal überrascht und hoch und versuchte, sich aus seinem Griff zu lösen, aber er war stärker als sie. Das Arme Pferd unter ihnen, das die Eskapaden seiner Reiter mitmachen musste.
    “Und jetzt?“ fragte sie herausfordernd und überlegte schon, wie sie aus dieser Situation wieder freikäme, ohne dass sie beide vom Pferd fielen.

    “Ragina?“ So einen Namen hatte Axilla noch nie gehört. War das wirklich ein Mädchenname? Klang fast wie Regina, Königin. Vielleicht hatte er sich vor Lachen auch nur verplappert. “Ja, wie eine Königin würdest du wohl aussehen, wie Cleopatra wahrscheinlich. Die soll sich ja auch ganz viel angemalt haben, hab ich gelesen. Wir können es ja mal testen. Ein Kleid von mir kriegst du zwar keines, die wären dir sowieso alle viel zu klein und zu kurz, aber anmalen kann ich dich ja. Dann holen wir ein wenig kräftige Schminke, dann können wir ja testen.“
    Oh, es war herrlich, so mit ihm herumzualbern. Und weil er gemeint hatte, er würde Rache nehmen, das aber, wenn sie so ritten, ohnehin nicht konnte, da er sich ja nicht umdrehen konnte, nahm Axilla das als Einladung. Hätte er sie nicht so herausgefordert, wäre die empfindliche Stelle zwischen den Rippen und der Hüfte nun vielleicht sicher gewesen. Aber so war das ja fast schon eine Aufforderung, also giekste sie ihn frech noch mal, nur um zu sehen, wie seine Rache wohl aussehen mochte.

    Eigentlich war es schon beinahe pervers, dass in der Provinz, die das Getreide für ganz Rom lieferte, es dennoch hungernde Menschen gab. Irgendwie ergab das für Axilla keinen Sinn, aber selten ergab für sie etwas Sinn, was die Götter so bestimmt hatten. Das ihre Eltern tot waren ergab ja auch keinen Sinn, warum sollte es also der Hunger der Menschen von Rhakotis?
    Doch zum Glück brachte Rufus sie schnell auf andere Gedanken, indem er über die Schminke der Griechen fachsimpelte.
    “Ja, ich finde das auch lustig. Ich meine, bei der Hochzeit von Anthimos und Penelope – also, das sind zwei andere Griechen, bei denen ich eingeladen war – da hatte Nikolaos auch ganz viel Schminke drauf. Ich meine, eigentlich sollte ich ja froh sein, so ist mein Betrieb hier in Alexandria wenigstens gesichert. Aber es sieht schon arg albern aus.“
    Jetzt musste Axilla doch ein wenig lachen, und albern wie sie war, kitzelte sie dabei leicht Rufus, damit er mitlachte. Aber nur kurz und ganz leicht, schließlich wollte sie ja nicht, dass das Pferd noch einen Satz machte.
    “Leander – also, das ist mein Sklave – versucht mich auch immer zu überreden, ich soll doch mal ein wenig was probieren, um die Augen mit dem schwarzen Kohlestift und so, aber ich mag das gar nicht. Ich bin auhc eigentlich viel zu dunkel schon für eine feine, römische Dame. In Rom würden sie mich wohl auslachen. Schau mal, mein Arm gegen deinen! Ich bin richtig braun schon.“
    Sie strechte ihren Arm direkt neben seinem aus, so dass sie sich mit der verbliebenen Hand etwas mehr an ihm festhalten musste, um die Bewegungen des Pferdes auszugleichen. Ihre Haut hatte einen sanften Bronzeton, während seine richtig hell noch war. In Rom würden sie sicher alle für eine Feldarbeiterin oder ähnliches halten, wenn sie dort so herumlief.

    Axilla spähte auf das Wasser, in der Hoffnung, doch noch etwas aufregendes zu entdecken. Sie wollte doch, dass es für Rufus auch so ein schönes Erlebnis war wie für sie, aber so wäre es ihm doch sicher langweilig. Es war ja ganz und gar unaufregend im Grunde, nur ein wenig am See entlang reiten, gemächlich und ruhig. Nunja, aber für sie war es zumindest schön gewesen, auch ohne Hippodingens.
    “Ja, in Rhakotis wohnen ganz viele arme Leute. Und du kennst das dann ja sicher, da sollte man besser nicht unbewacht hingehen. Armut macht verzweifelt.“ Das hatte ihr Vater ihr einmal gesagt, als sie ihn gefragt hatte, warum es so viele Aufstände im römischen Reich gab. Er meinte, die Ärmsten würden immer am ehesten aufstehen, denn Armut machte verzweifelt. Deshalb würden die meisten Aufstände auch von den Römern so leicht geschlagen werden können, denn schlechte Bewaffnung, schlechte Ausbildung und Hunger führten einen Soldaten selten zum Sieg.
    “Und wie Nikolaos ist? Öhm… naja… also… er ist…. Öhm….“ Ja, was konnte sie über ihn sagen? Sie wollte ja nicht irgendwas erfinden oder schmeicheln, aber sie wollte auch nicht, dass Rufus es falsch verstand. Sie war Nikolaos ja sehr dankbar, dass er sie eingestellt hatte. Und Urgulania hatte er auch geholfen, Eutheniarche damals zu werden. “Also, er ist… Grieche. Naja, ich meine, ich mag ihn, aber die Griechen sind anders als die Römer. Also, ich meine jetzt nicht schlechter. Also, obwohl die Römer ja das Imperium beherrschen. Nein, ich meine… also… wie sagt man das?“
    Sie würde so gerne frei von der Seele einfach drauf losreden, aber sie wollte ja nicht, dass Rufus es falsch verstand. Sie hatte keine Ahnung, wie römisch er nun eingestellt war und wie sehr es ihn kränken würde, wenn sie sagte, dass es ihr im Grunde egal war, ob einer Römer oder Grieche oder sonst was war. Sie mochte eine Person, oder mochte sie eben nicht, ob das nun ein Sklave oder ein Senator war, das spielte alles nur eine untergeordnete Rolle für sie.
    “Also, er ist schon streng, und auch sehr genau, aber er ist auch immer nett und höflich zu mir. Und er hat mir ja die Arbeit gegeben, obwohl ich eine Frau bin, und nichtmal Griechin, und auch kein attisch kann. Und obwohl ich einfach nur so bei ihm an dem Tag vorbeigekommen bin, also ohne mich vorher herzurichten und so. Ich schätze ihn wohl. Doch…ja.“

    Ich finde, die Eröffnung einer neuen Provinz würde nur die Spielerschaft etwas mehr auseinanderziehen. Prinzipiell fände ich Britannia zwar auch interessant, allerdings nicht so interessant, dass ich dafür einen meiner drei ID's entsagen würde. Und ich denke, so wird es auch einigen, gerade den - ich sag mal - Vielschreibern gehen. Wenn man viel mit seinen Charakteren geschrieben hat, gibt man die auch nicht einfach so auf, nur weil es da zufällig eine neue Provinz gibt.


    Allerdings fände ich Griechenland aus Frauensicht absolut furchtbar, muss ich sagen. Im Gegensatz zum ägyptisch durchdrungenen Alexandria (bei den Ägyptern herrschte ja größtenteils Gleichberechtigung, was auf die Griechen dann doch recht zügig wenigstens teilweise abgefärbt hat), ist in Griechenland die Frau auch um 100 nach Christus im Regelfall dekoratives Accessoire eines Hauses, was möglichst in eben selbigen bleiben sollte. Natürlich kann man auch mit seinen Chars immer Ausnahmen konstruieren, warum eben jener noch nicht mit 12 oder 13 verheiratet wurde etc. etc. (angesichts des gespielten Durchschnittsalters der unverheirateten Damen hier wird ja auch schon konstruiert), aber die Regel einer peregrinen Frau wäre dort doch eine andere. Und beim bisherig schon auftretenden Frauenmangel fänd ich das, wenns realistisch sein soll, doch eher kontraproduktiv.
    Außer man macht da ne reine Männer/Karriereprovinz draus, oder es gibt nur römische Frauen...


    Naja, wie dem auch sei, ich find die ganze Diskussion sowieso etwas müßig. Ich bin froh, dass sich durch die Schließung Hispanias die Spielerschaft an weniger Orten konzentriert. Und nur wegen einem SimOn-Posten für einen Senator würde ich keine Provinz eröffnen, die dann tot vor sich dahinvegetiert und nur ab und an durch eine ABM belebt wird, dann aber sofort wieder ins Koma fällt. Da müsste schon der Elan der Spielerschaft da sein, dass die unbedingt noch Provinz XY haben wollen. Und davon spür ich momentan eigentlich eher weniger.

    “Ohja, das kann ich verstehen. Ich mag das auch nicht, wenn mir überall immer jemand hinfolgt. Ich meine, da kommt man sich vor, als wär man noch ein kleines Kind! Ich meine, jetzt sind wir zwei doch auch allein, ohne Aufsicht, und wir leben noch?“
    Das eine andere Aufsicht vielleicht schicklich gewesen wäre, um andere Möglichkeiten ihres Beisammenseins auszuschließen, auf die Idee kam Axilla nichtmal.
    “Gut, für Nikolaos musste ich jetzt auch schon einmal nach Rhakotis, einen Brief wegbringen. Da war ich um die Sklaven gar nicht undankbar, da ist es ja doch etwas gefährlicher. Aber ins Brucheion oder zur Arbeit geh ich immer ohne Leibwächter. Ich mein, wird schon nichts passieren, bei so vielen Menschen um mich rum, oder?“
    Dass diese Einstellung auch sehr leichtsinnig sein konnte, auch auf diese Idee kam axilla nicht. Und dabei sollte sie es eigentlich nach der Sache mit Timos eigentlich besser wissen. Sie war da einfach zu vertrauensselig und hatte das Selbstvertrauen der Jugend, als wäre man unsterblich. Zumindest in dieser Beziehung hatte Axilla noch nie Angst gehabt.


    Schade, dass sie kein Hippodingsda gesehen hatten, aber sie sollten wirklich umkehren. Axilla überlegte einen Moment, ob sie einfach um Rufus herumklettern sollte. Sie wollte schon immer mal testen, ob das ging. Aber dann würden sie am Ende noch beide vom Pferd fallen, und für ganz verrückt musste er sie ja auch nicht halten. Also ließ sie Helios anhalten und schwang ein Bein über seinen Hals. Eigentlich sollte man so ja nicht absteigen, aber Rufus saß ja hinter ihr, so dass sie nicht nach hinten absteigen konnte. So ließ sie sich einfach an der Schulter des Pferdes entlang freihändig nach unten rutschen und federte leicht am Boden ab. Axilla wuschelte Amala noch einmal durch die Haare, während Rufus nach vorne wieder rückte, um ihr anschließend mit der Hand wieder hinter ihm hochzuhelfen.
    Ein bisschen wehmütig war Axilla ja schon, das reiten hatte Spaß gemacht, auch wenn es langsam gewesen war und nicht so wild, wie sie gerne gewollt hätte. Aber dennoch war es schön gewesen.
    Sie rückte wieder dicht hinter Rufus und hielt sich leicht an seiner Seite fest, ähnlich wie er es bei ihr getan hatte. Sie hoffte, er hatte dabei nicht ähnlich absurde Gedankengänge wie sie sie anfangs gehabt hatte. Sie hielt sich ja nur an ihm fest, ebenso wie er sich nur an ihr festgehalten hatte.
    “Gut, wir können, ich hab Halt.“

    “Gut, dann kommst du zu mir. Müssen wir nur noch ausmachen, wann…“
    Der letzte Satz klang irgendwo zwischen verlegen und überlegend. Darüber hatte sie bei ihrer Einladung gar nicht nachgedacht, wie sie heute über so vieles, was sie gesagt hatte, eher weniger nachgedacht hatte.
    Die Frage mit den Wachstafeln aber brachte sie sowieso auf andere Gedanken. Sie überlegte kurz, ob einer der anderen Scribae was gesagt hatte, erinnerte sich aber nicht an ein Gespräch über Wachstafeln.
    “So genau weiß ich das noch gar nicht. Im Sommer hab ich für Nikolaos noch gar nicht gearbeitet. Das wird dieses Jahr mein erster Sommer, wo ich arbeite. Aber mittags arbeitet dann sowieso keiner, da ist es viel zu heiß dazu. Aber vielleicht machen die ägyptischen Bienen auch ein viel härteres Wachs, weil die kennen die Hitze hier ja schon, und deren Bienenstöcke dürfen ja auch nicht schmelzen?“
    Ja, das klang durchaus logisch, fand sie. Die Bienen würden schon wissen, wie sie das Wachs machen mussten, denn die bauten daraus ja auch ihre Stöcke. Und wenn es mittags wirklich heiß wurde, suchte sich jeder sowieso nur noch ein kühles Fleckchen. Sogar die Bienen.

    “Ach, so genau nimmt das hier keiner mit dem Arbeiten. Nur nachmittags ist Nikolaos halt auch oft noch mal da, da sollte ich als sein Scriba nach der Mittagshitze auch da sein. Heute hat er zwar nicht explizit gesagt, dass er kommt, aber da lauf ich lieber einmal öfter. Bevor er da ist und was braucht und ich nicht da bin.“
    Zu dieser Zeit gab es zwar keine richtige Mittagshitze, aber es war schon ordentlich warm, wenn die Sonne schien. Zur Zeit war es ja mehr bewölkt, da wurde es nicht ganz so heiß.
    “Weißt du, manchmal glaub ich sowieso, dass die Zeit in Alexandria anders vergeht. Ich bin jetzt fast ein Jahr hier. Eigentlich ja nicht so lange, oder? Und trotzdem kenn ich das alles in der Stadt schon sehr gut und kann auch schon viel besser griechisch. Am Anfang konnte ich nur ionisch, da hat mich die Hälfte der Leute gar nicht verstanden. Ich meine, das ist ja nur ein kleiner Teil vom Koine, und richtiges attisch kann ich immer noch nicht. Aber trotzdem kann ich das griechisch jetzt schon sehr gut.
    Und auf der anderen Seite ist es fast, als wär ich erst gestern hier angekommen. Als wär es erst ganz kurz her seit… seit ich aus Tarraco weg bin“

    Puh, gerade noch gefangen. Ihre Stimme war fast wehmütig geworden, aber die letzten sechs Worte waren dann noch sehr schnell und sehr exakt hinterhergeflogen, als sie es noch rechtzeitig bemerkt hatte. Die Parentalia waren einfach noch nicht lange genug vorbei, das musste es sein.
    “Aber das mit dem Park können wir gerne einmal machen. Können uns ja verabreden. Ähm, also, ich meine, um da hinzugehen, einen Termin. Damit wir auch beide Zeit haben. Und von Alexander wollte ich dir ja auch noch erzählen. Da möchte ich dich dann gerne einladen, wenn du magst. Also, bei uns daheim. Oder in der Regia, wie du magst. Also, da kann ich dich dann natürlich nicht einladen, da müsstest du dann mich einladen.“
    Sie sollte wirklich bald arbeiten gehen, solange noch ein bisschen Restvernunft für den heutigen Tag übrig war. Hoffentlich würde Nikolaos heute nicht wieder solche Anspielungen machen wie bei ihrem letzten Treffen mit Rufus, denn heute würde sie sicher rot werden.

    Verdammt, er hatte es gehört. Nungut, jetzt war es ohnehin zu spät, und zum Glück lenkte der Tierpark ihn gleich ab.
    “Das ist…. Hmmm…. Also da auf der Anlage sind Käfige, wo Tiere drin sind. Also, nicht immer sind da Tiere drin, und auch nicht alle Tiere, aber die hatten da vor vier Wochen mal eine Giraffe da! Die war vielleicht riesig! Aber meistens haben sie nur irgendwelche Vögel in den Käfigen sitzen, und einmal hab ich da auch einen Löwen gesehen. Ist auf jeden Fall sehr spannend da.“
    Natürlich wären diese Tiere in freier Wildbahn noch viel interessanter und abenteuerlicher zu sehen gewesen, aber so war das auch schon etwas. Axilla hatte zwar schon gehört, dass grade in Rom auch viele Tiere den Leuten vorgeführt wurden, aber sie fand es hier trotzdem etwas ganz außergewöhnliches. Irgendwo taten ihr die wilden Tiere auch leid, weil sie so wenig Platz hatten, aber andererseits waren es ja nur Tiere. Einige von ihnen wurden geopfert, andere gegessen. Warum sollte man versuchen, Tiere möglichst großzügig zu halten oder auch gar nicht zu halten, wo es den Menschen in ihrem Schicksal auch nicht besser erging? In erster Linie waren Tiere Nutztiere und keine Freunde. Und egal, wie sehr Axilla ein Tier gemocht hätte, hätte sie es dennoch in Zeiten der Not auch geschlachtet und gegessen. Auch wenn es ihrer gens so gut ging, dass das wohl nie auf die Probe gestellt werden musste.
    “Aber die werden soweit ich weiß gefüttert. Also, wenn mal was da ist, was ein anderes Tier sonst fressen würde. Und die haben jedes einen eigenen Käfig. Wir können ja uns das mal anschauen. Ähm, also, nicht jetzt, ich muss nachher wieder arbeiten, glaub ich. Und ich wollt dir ja auch noch was über Alexander noch erzählen, und du hast ja sicher auch viel zu tun hier bei deiner Cousine und so. Aber so irgendwann mal, vielleicht…“
    Da war es wieder, ihr Talent, sich selbst irgendwohin einzuladen. Dabei hatte sie Rufus ja gar nicht gefragt, ob er das überhaupt wollte. Aber zum Glück konnte sie noch rechtzeitig zurückrudern, so dass er nun alle Möglichkeiten hatte, dem auszuweichen, wenn er nicht wollte.

    Nunja, ob sie wirklich so fähig war, würde sich erst noch zeigen müssen. Bislang hatte sie eigentlich nur Briefe geschrieben und Listen kopiert, das war nicht wirklich schwer. Wenn scriba sein nichts weiter bedeutete, war sie wohl wie jeder andere, der lesen und schreiben konnte, dafür gut geeignet. Doch ehe Axilla sich in diese Gedanken weiter verstricken konnte, verblüffte sie Cleonymos so sehr, dass sie sich an ihrem Saft verschluckte und erstmal kurz husten musste. Verwirrt blinzelte sie ihn an.
    “Öhm… ich bin ein Mädchen?“
    Axilla wusste zwar, dass das hier ein wenig anders war als zuhause, aber nichts desto trotz war sie eine Frau, und römische Frauen trieben keinen Sport und schwitzten dabei in der Sonne. Das gehörte sich nicht. Und erst recht nicht, wie so manches griechisches Mädchen dabei nackt zu trainieren, das gehörte sich ganz besonders nicht. Von daher stellte sich die Frage nach ihrer Sportlichkeit eigentlich gar nicht. Selbst wenn sie sportlich war – und das war sie ja – konnte sie das ja nicht zeigen. Aber vielleicht wusste Cleonymus das auch gar nicht, immerhin war er kein Römer.
    “Weißt du, römische Mädchen sollen sowas nicht machen. Also, zumindest nicht so… also, wie die griechischen Mädchen das vielleicht machen. Du weißt schon…“

    “Wegen dem Essen? Nein, da hat er nichts gesagt.“
    Dass Nikolaos ein wenig komische Andeutungen gemacht hatte, als wolle er herausfinden, ob Axilla was für Rufus empfinde, das sagte sie nicht. Das war ihr schon peinlich genug, dass ihr Arbeitgeber das auch nur gedacht haben konnte. Da würde es Rufus sicher noch peinlicher sein, und wenn er wüsste, dass ihr Spaziergang wohl diesen Eindruck erweckt hatte, könnte er sich zu irgendwas genötigt sehen, was Axilla gar nicht wollte. Sie wollte nur einen Freund wieder haben, einen richtigen Freund, und niemanden, der sie behandelte, wie es eben angemessen war und was die anderen von einem erwarteten.
    Bevor sie noch zu sehr darüber nachdachte, war sie froh, dass Rufus selbst auch gleich weitererzählte. So kam sie nicht in Verlegenheit, sich vielleicht doch noch zu verplappern.
    “Also, ich finde Mathematik eigentlich ziemlich langweilig. Mit Geld geht das ja noch, aber Iason wollte mir dauernd irgendwelche komischen Sachen beibringen, die kein Mensch jemals braucht. Flächen berechnen, oder komische Formen, wie viel die umspannen, und eben das mit den Dreiecken, da war er ganz wild drauf. Vor allem die rechtwinkligen. Angeblich sei das ja sehr wichtig, aber ich musste in dem Jahr, wo ich jetzt in Ägypten wohne, noch nie ein Dreieck ausrechnen. So wichtig kann das also nicht sein.“
    Nicht, dass sie sich Aufgaben gesucht hätte, wo sie auch nur in die Nähe von Dreiecken gekommen wäre. Axilla konnte zwar durchaus auch gut Kopfrechnen, gerade wenn es um Geld ging, aber schon aus Prinzip tat sie es alles andere als gerne. Also vermied sie es, wo es sich vermeiden ließ.


    Bei der Frage nach dem Paneion stoppte Axilla Helios und ließ das Pferd sich drehen, so dass sie zur Stadt schauen konnten. Sie zeigte mit der rechten Hand auf den Hügel, den man schon von hier aus sehen konnte, wie er sich über die restliche Stadt doch deutlich erhob. So aus der Ferne war noch deutlicher, dass diese Erhebung künstlich geschaffen war, schmiegte sich der Rest der Stadt doch relativ platt an den Strand dahinter.
    “Da, auf dem Hügel steht das Paneion. Die ganze Anlage da rund herum gehört mit dazu. Da gibt es sogar einen Tierpark! Und ein paar Feuerspucker sind da abends, und einmal hab ich jemanden gesehen, der für eine Schlange auf einer Flöte Musik gemacht hat. Sah gefährlich aus.
    Eigentlich ist es ein Heiligtum für Bacchus und Faunus, aber alle sagen immer nur Paneion, als sei es nur für Faunus. Naja, auf jeden Fall hat man von dort einen guten Blick über die Stadt. Und da hat es auch einige Bäume, die da gepflanzt sind. Kein richtiger Wald, und klettern kann man da auch nicht, aber da sind ein paar. Die einzigen, die ich in der Stadt gesehen hab so richtig.“

    Hatte sie das mit dem Klettern grade gesagt? Verdammt! Naja, hoffentlich hatte er es überhört, ging ja im restlichen Redefluss doch unter.
    “Da musst du unbedingt mal hochgehen und runterschauen. Ist richtig schön da. Bei uns zuhause hatten wir einen kleinen Hain, der auch Faunus geweiht war. Oder zumindest hat Vater das gesagt, als wir hingeritten sind. Aber da gab es Virae querquetulanae, ganz sicher. Auch wenn ich sie nicht gesehen hab.“
    Axilla hielt besser denMund, sie plapperte schon viel zu viel. Also war sie lieber still und lenkte das Pferd wieder weiter am See entlang. Heute war sie aber auch redselig!

    Mit so einer Einladung hatte Axilla jetzt nicht gerechnet. Das Arme Pferd wurde unter ihr schon ganz unruhig, weil seine Reiterin immer wieder fast auf ihm herumhüpfte und rumrutschte und es mit diesen widersprüchlichen Befehlen dann nicht wirklich etwas anfangen konnte. Es selbst witterte keine Gefahr, aber warum war dann das Menschlein auf seinem Rücken so nervös? Die Ohren fingen an, zu spielen und zu lauschen, als sich Axillas Unbeständigkeit auf das Tier übertrug.
    “Ähm, ja, unsere Köchin will auch immer, dass ich mehr esse. Aber bei Nikolaos konnt ich gar nichts essen, da war ich noch viel zu aufgedreht.“
    Über die Eigenarten ihrer Verdauung wollte Rufus bestimmt eigentlich gar nichts wissen. Warum band sie ihm nicht gleich auf die Nase, dass sie auch manchmal tagelang nichts aß, nur weil ihre Gefühle mal wieder wild durcheinanderpurzelten und ihr so den Appetit raubten? Sie hatte wirklich ein Gespür für unpassende Themen, und Rufus nahm die auch noch alle auf. Wahrscheinlich war sie wirklich eine unmögliche Person und die Frau des Statthalters konnte sie daher mit gutem Grund nicht leiden.
    “Ähm, die Pyramiden? Dreieckig. Aber wie genau das aussehen soll, weiß ich auch nicht. Iason hat mir da was beibringen wollen, irgendwas mit rechten Winkeln und auch Dreiecken, aber ich hab’s vergessen. Weißt du, er kam ja aus Milet, genau wie dieser Mathematiker namens Thales. Ich glaube, da hat er sich deshalb was drauf eingebildet und deshalb so sehr darauf beharrt, dass ich das lerne. Ich weiß nur noch, dass „der Winkel im Halbkreis ein rechter“ ist, aber frag mich bloß nicht, was das bedeutet.“
    Das war jetzt zwar ein weiter Exkurs gewesen zu der einfachen Sache, dass Axilla nur wusste, dass die Pyramiden dreieckig waren, aber sie war ein wenig nervös und verfiel daher wieder ins plappern. Sie wollte doch, dass Rufus einen guten Eindruck von ihr hatte! Wenn sie nur ein bisschen weniger wie sie sein könnte… so schwer konnte das doch nicht sein, alle anderen schafften das doch auch! Sie hatte wohl wirklich den Geist eines Eichhörnchens.
    “Warst du schon auf dem Paneion?“
    Das war für jeden, der Axillas Gedankengang von Eichhörnchen zu Baumbewohnern, von da zu Dryaden und weiter zu Faunus, weiter zu seinem griechischen Namen Pan und weiter nach einer passenden Frage nicht kannte, wohl ein sehr plötzlicher Themenumschwung, aber dieser eine war für Axilla vollkommen logisch. Zumindest in ihrer eigenen, kleinen Welt.

    Da Axilla weder wirklich Ahnung von Politik noch von Musik und den damit verbundenen Ehren hatte, konnte sie nicht wirklich beurteilen, ob die Verbindung hier wirklich so bedeutend war. Was für sie eher bedeutend war, auch wenn es vollkommen der Vernunft widersprach und von jedem gebildeten Menschen wohl als Wahnvorstellung verschrieb wäre, war die Tatsache, dass die beiden sich wirklich liebten. Sie selbst hatte mit diesem großen, alles verzehrenden und wahnsinnig machendem Gefühl ja auch schon Bekanntschaft gemacht und wusste, wie schön das auch sein konnte. Und wenn es für Penelope und Anthimos gut war, dann gönnte sie ihnen beiden dieses Gefühl von Herzen.
    Außerdem waren so Schriftsteller wie Sallust oder Catull nicht ganz unschuldig, dass Axillas jugendliche Sicht dahingehend etwas romantifiziert war…


    “Ja, ich vergess manchmal, dass die beiden vor gar nicht so langer Zeit noch Scriba waren. Dabei war Timos ja sogar der von Urgulania. Aber die Zeit hier in Aegyptus vergeht sowieso irgendwie anders. Ich bin noch nicht einmal ein Jahr hier, wusstest du das? Mir kommt es manchmal viel länger vor, und dann wieder, als wär ich erst gestern angekommen.“
    Axilla plapperte einfach fröhlich vor sich hin, ohne groß darüber nachzudenken. Jetzt, wo Urgulania weg war, fühlte sie sich nicht mehr ganz so beobachtet, und auch wenn sie die Cousine liebte und wirklich aufrichtig verehrte, war sie so einfach natürlicher, wenn sie nicht darüber nachdenken musste, ob ihr Verhalten auch einer Iunia angemessen war.
    “Und dabei bin ich jetzt ja auch schon selber Scriba. Ich hätte nie gedacht, dass jemand eine Frau einstellt.“

    Von der Skepsis ihres Mitreiters gegenüber dem Wasser und der darin lauernden Gefahr bemerkte Axilla gar nichts. Sie schaute zwar auch auf das Wasser, aber eher voller Hoffnung, etwas zu entdecken. Doch leider entdeckte sie absolut gar nichts, der See lag völlig still vor ihnen, nur der Wind strich darüber, so dass es ein paar kleine Wellen gab.


    “Ja, ich vermisse die Wälder hier auch“ Axillas Stimme klang richtig wehmütig und traurig, als sie das im ersten, unüberlegten Moment leise ausstieß, und sogleich biss sie sich auf die vorlaute Zunge, die mal wieder zuviel preisgab. Schnell besser diese Peinlichkeit überspielen. Was hatte er gleich noch gesagt? Achja, richtig, Schnee.
    “Das muss wirklich wunderschön sein, soviel weißer Schnee. Das kann ich mir gar nicht vorstellen, wie das sein muss. Vor allem hier nicht, wo es hier so warm ist. Aber das würd ich schon gerne mal sehen, so richtig viel Schnee, so richtig hoch und weiß und glitzernd.“
    Nein, das war auch nicht wirklich viel besser, das klang ja schon fast so, als wolle sie unbedingt verreisen. Oder sich selbst irgendwohin einladen. Der zweite Biss auf die vorschnelle Zunge.
    “Ähm, also, ich meine theoretisch. Vielleicht mal viel später, wenn ich die Pyramiden dann auch gesehen habe oder so.“