Beiträge von Marcus Decimus Flavus

    Marcus war beeindruckt. Zum ersten Mal sah er den kaiserlichen Palast, ein monumentales und prunkvolles Bauwerk, dass sich vor dem jungen Mann aus der umliegenden Hauptstadt erhob. Er blieb einen Moment stehen und starrte ehrfurchtsvoll auf den marmornen Kolossalbau, ehe er sich wieder in Bewegung setzte und in Richtung Palasteingang schritt. Für den heutigen Besuch im Palast hatte er sich die beste Tunika angezogen. Nun war nur noch zu hoffen, dass er auch Eingelassen und nicht bereits am Eingang von einer übereifrigen Wache abgewimmelt wurde. Noch während er seine Gedanken ordnete und sich auf das hoffentlich stattfindende Gespräch vorbereitete kam er am Tor an und wandte sich einer der Wachen zu.


    "Salve! Mein Name ist Marcus Decimus Flavus und ich möchte um eine Audienz beim Magister Domus Augusti"


    Wie war doch gleich sein Name? Er hatte extra versucht in sich einzubläuen. Ahja… Er sprach den Namen zwar zögernd, aber hoffentlich richtig aus.


    "Aelius Quarto ansuchen."


    Erwartungsvoll und mit hochgezogener Augenbraue musterte er den Prätorianer.

    Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihr Bett weicher und angenehmer war, als sein eigenes. Das er durch diesen Sprung in ihr Bett alles durcheinander gebracht hatte, kümmerte Marcus sehr wenig. Sein Blick haftete weiter an die Decke des Raumes, während er mit seiner Schwester sprach.


    "Ach bitte! Du willst doch nicht wirklich warten. Dein Wunsch war es schon immer Priesterin zu werden und nun bist du endlich hier in Rom, wo du mit deiner Ausbildung beginnen könntest. Wer weiß wie lange es dauert bis wir ihn sehen oder von ihn hören."


    Das auch der Fall eintreten konnte, dass sie nie wieder von ihn sehen oder hören konnte, ließ Marcus erstmals außen vor. Schließlich wollte er seine Schwestern nicht unnötig beunruhigen. Aber auf unbestimmte Zeit zu warten und hier Tag ein Tag aus herumzusitzen war auch keine Lösung für den jungen Decimer.


    "Morgen gehen wir uns erkundigen. Ich begleite dich wenn du möchtest und du hast mein Einverständnis wenn du unbedingt eines brauchst."


    Beim letzten Satz musste er verschmitzt grinsen. Er wusste genau, dass seine Schwester sehr viel Wert darauf legte immer alles richtig zu machen und genau aus diesem Grund ließ er keine Gelegenheit ungenutzt, sie damit aufzuziehen.

    Mit einem leichten Kopfnicken bedankte sich Marcus für die freundlichen Willkommensworte des Senators und nahm auf einer freien Kline neben seiner Schwester Platz, die ihn auch sofort leise aber bestimmend wegen seines Zuspätkommen rügte. Bevor er etwas erwidern konnte, wurde er jedoch schon wieder von Meridius angesprochen. So blieb ihm nur ein kurzer Moment ihr einen entschuldigenden Blick zuzuwerfen, ehe er sich Meridius zuwandte. Seine Mine verzog sich nicht und auch seine Stimme brachte die folgenden Sätze ziemlich monoton und gleichgültig, aber auch äußerst respektvoll hervor.


    "Nun mein Zimmer ist soweit eingerichtet. Ich nehme an meine Schwester hat sich bereits für deine Gastfreundschaft bedankt Senator. Ich möchte mich ihr da selbstverständlich anschließen.


    Zum Einleben hat die Zeit jedoch noch nicht gereicht. Ich denke das wird noch einige Wochen dauern. Ich habe mich in Britannia sehr wohl gefühlt und muss mich erst an die neue Umgebung und vor allem an den Lärm und die Gerüche der Großstadt gewöhnen. Aber ich bin ein sehr anpassungsfähiger Mensch und werde mich bestimmt bald eingewöhnt haben."

    Etwas verspätet, aber dennoch, traf auch Marcus im Triclinium ein. Er hatte eine einfach weiße Tunika an, die bereits ein wenig alt, aber durchaus bequem wirkte – was sie auch war. Auch wenn es sich um Abschiedsessen für den Senator handelte, hatte der junge Decima beschlossen, sich nicht sonderlich dafür herzurichten. Als er den Raum betrat sah er in die kleine Runde der Anwesenden und nickte ihnen zu.


    "Salvete!"


    Dann viel sein Blick auf die freie Kline neben seiner Schwester, auf die er auch sofort zusteuerte und sich langsam niederließ. Dabei warf er Flava einen kurzen Blick und ein kleines Lächeln zu. Sie wirkte sehr glücklich im Kreis der Familie – ganz anders, als dies bei ihm der Fall war.

    Flavas Briefe an die Großeltern waren immer extrem fröhlich geschrieben und vor allem voll gestopft mit ausführlichen Erzählungen über Nichtigkeiten. Darauf hatte Marcus nun kein besonderes Verlangen. Hundertmal zu lesen wie schön es hier ist und wie aufregend die Reise war und wie gern Flava die Großeltern hatte….. Nein Danke! Und sie wussten ohnehin das Marcus diese Grüße nicht persönlich ausrichten ließ. Dazu kannten sie ihn einfach zu gut. Er schüttelte daher verneinend den Kopf.


    "Nein danke! Du wirst ihnen schon alles Notwendige geschrieben haben."


    Er folgte ihr zwar mit seinen Augen in Richtung Tisch und sah direkt auf den Brief, machte aber keine Anstallten sich darüber zu beugen und ihn zu lesen. Statt dessen ging er in Richtung Bett und ließ sich mit ausgebreiteten Armen wie ein nasser Sack nach hinten fallen.


    "Hast du dir schon Gedanken gemacht wie es jetzt weitergeht? Wollen wir hier nun wirklich die ganze Zeit auf die Rückkehr des Alten warten? Wer weiß wann das sein wird"


    Ob es überhaupt jemals sein würde, verkniff er sich dabei.

    Die Stimme die aus dem Inneren des Raumes kannte Marcus nur all zu gut und konnte daher sofort darauf schließen, dass es sich um das richtige Zimmer handelte. Er öffnete die Türe und trat ein. Seine Schwester schenkte ihm sofort ein Lächeln, dem er einfach nicht widerstehen konnte und daher seine Mundwinkel ebenfalls langsam nach oben wanderten, auch wenn er über diese neue Situation nicht ganz so Glücklich war wie sie.


    "Ja, das Zimmer ist in Ordnung. Nichts besonderes, aber in Ordnung. Und du? Was machst du gerade?"

    Die Sklaven hatten während des Gesprächs mit Meridius bereits das Gepäck der beiden Geschwister auf ihre zugewiesenen Zimmer gebracht. Marcus hatte lediglich kontrolliert ob alles vorhanden war, und öffnete die Truhen. Das musste für den Anfang reichen. Er war sich immer noch nicht ganz sicher, ob seine Schwester tatsächlich hier in Rom bleiben wollte und beschloss daher, vorerst aus den Truhen zu leben. Nachdem er sein neues Zimmer bezogen hatte, wollte er sofort nach seiner Schwester sehen. Das Haus war ziemlich groß, wesentlich größer als das Haus seiner Großeltern in Britannia und hatte unzählige Räume und Gänge. Es war gar nicht so einfach sich auf Anhieb zu Recht zu finden doch zum Glück lang das Flavas Zimmer nur wenige Schritte den Gang hinunter. Nachdem er weder Sklaven, noch Flavas Kisten vor der Türe sah, ging er davon aus, dass auch sie bereits ihr Cubiculum bezogen hatte. Vermutlich war sie gerade damit beschäftigt alles sorgsam einzuräumen. Flava war in dieser Hinsicht sehr selbstständig. Am liebsten kümmerte sie sich selbst um solche Dinge, als es von Haussklaven erledigen zu lassen. Anders als Marcus – er ließ alles was nur möglich war von Sklaven erledigen. Er blieb einen kurzen Moment vor der Türe stehen und lauschte. Es war nichts von drinnen zu hören. Langsam hob er seine Hand, ballte sie zu einer Faust und klopfte zaghaft an. War das auch wirklich das richtige Cubiculum?

    In aller Ruhe und ohne merkliche Reaktion vernahm Marcus die Schilderung seines Verwandten. Das Schicksal des Alten traf ihn nicht besonders, allerdings das Entsetzen und die Traurigkeit die sich im Gesicht seiner Schwester ausbreiteten machten auch Marcus etwas zu schaffen. Als sie seine Hand nahm drückte er sie etwas fester, um ihr damit still etwas Halt zu vermitteln, bis sie ihn von selbst wieder los ließ. Für ihn war damit die Sache besprochen. Die Reise war umsonst und weder Flava noch er würden ihren Vater so schnell kennen lernen. Das Geschwisterpaar konnte sich also wieder auf die heimreise Vorbereiten und vielleicht auch in Meridius einen Sponsor finden, der Ihnen ein wenig Geld für alle damit verbundenen Kosten leihen konnte.


    Marcus mahlte sich schon vor seinem Geistigen Auge aus, dass er bald wieder britannischen Boden unter seinen Füßen hatte bis Meridius plötzlich anbot, dass die beiden hier in Rom bleiben konnten, bis er den Alten gefunden hatte. In diesem Moment wusste der junge Mann sofort, dass seine Schwester bestimmt Feuer und Flamme für diese neue Möglichkeit war. Noch ehe er etwas dazu sagen konnte antwortete sie und sagte Meridius dankbar zu. Der Blick den Flava danach mit Marcus austauschte sagte mehr als tausend Worte. Er sollte es ja nicht wagen dagegen zu sprechen. So beugte er sich dem Wunsch seiner Schwester und versuchte die positiven Seiten dieser neuen Fügung zu sehen. Er war ein junger und gebildeter Mann aus dem Ordo Senatorius, den hier in Rom alle Möglichkeiten offen standen. Auch seine Schwester hatte hier wesentlich mehr Möglichkeiten ihrem Wunsch zum Dienst an den Göttern nachzugehen. Er nickte dem Senator daher dankend zu.


    „Ich schließe mich da meiner Schwester an. Es wäre uns eine Freunde und auch eine Ehre hier in Rom zu bleiben und unter dem Dach unserer Familie zu leben.“


    Den Glückwünschen seiner Schwester schloss er sich jedoch nicht an. Wenn es nach ihm ginge, konnte der Alte verrotten wo auch immer er sein mochte, wenn das nicht schon längst geschehen war.

    Der eindringliche Blick seiner Zwillingsschwester schien Marcus tatsächlich wieder zurück in die Realität zu holen. Er hatte bisher alles nur still verfolgt und selbst als seine Schwester die beiden vorgestellt hatte, nur mit einem schlichten Kopfnicken gegrüßt. Er brauchte einige Zeit um seine Gedanken zu ordnen, die seit ihrer Ankunft, wie wild durch seinen Geist schwirrten. Nur zu gut wusste er, wen er hier vor sich hatte. Maximus Decimus Meridius – Senator, Feldherr und Triumphator. Einer der einflussreichsten und bekanntesten Männer Roms. Auch wenn Marcus es nicht öffentlich zugegeben hätte, beschäftigte er sich bereits seit einiger Zeit ausführlich mit der Geschichte seiner Familie – sowohl dem Zweig der Decimer als auch der Didier. Und ein Name wie Decimus Meridius, war ohnehin im ganzen Römischen Reich bekannt. Da musste man nicht lange überlegen. Seine Geschichten waren bereits Legenden von denen selbst in Britannien so manches Theaterstück oder Gedicht über seine siegreichen Schlachten erzählte. Für Marcus war er jedoch nur ein weiterer dieser großen Namen neben den seines Vaters, mit denen sich die Decimer brüsten konnten. Doch bestimmt war auch bei diesem großen Mann nicht alles Gold was glänzte. Sollte Meridius selbst Kinder haben, was seinem Alter entsprechend höchst wahrscheinlich war, so war davon auszugehen, dass er seine Familie ebenso vernachlässigt und für seine Karriere im Stich gelassen hatte wie Flavas und Marcus Vater es getan hatte. Das machte diesen Mann nicht unbedingt sympathischer.


    Der junge Mann hatte beim hereinkommen genau die Reaktionen des Senators auf seine Schwester beobachtet und war sich sicher, dass allein das Aussehen seiner Zwillingsschwester die Aussagen der beiden legitimierte. Lediglich die Anspielung auf den stolzen Blick des Vaters ließ in ihm kurz Wut aufkommen. Er wollte nichts mit seinem Vater gemein haben, überhaupt nichts – nicht einmal den Blick! Doch der Senator wechselte sofort wieder das Thema und ließ die Erregung des jungen Mannes ebenso schnell verebben, wie sie aufgekommen war. Nachdem er abgewartet hatte, bis seine Schwester saß, nahm Marcus ebenfalls auf der Kline neben ihr Platz und folgte weiter dem Gespräch der beiden. Er hasste es, wenn man all zu lange um das eigentliche Thema herumredete oder unnötige Begrüßungsfloskeln austauschte. Was war nun mit dem Alten für den sie diese lange Reise auf sich genommen hatten? Wo war er und warum sprach Meridius es nicht sofort an oder ließ ihn zumindest benachrichtigen? Rom würde bestimmt nicht gleich zusammenstürzen, wenn man ihn aus einer Senatssitzung holte oder er einen seiner wichtigen Posten verlassen musste, den er gerade für den Kaiser und das Volk von Rom ausübte. Andererseits – wer sagte, dass er wirklich in Rom war? Vielleicht hatte ihn der Kaiser ja als Statthalter oder Legat einer Legion in eine der Provinzen geschickt. Flava wäre bestimmt maßlos enttäuscht über eine solche Nachricht und würde vermutlich sofort weiterreisen wollen. Marcus entlockte dieser Gedanke ein leises Seufzen. Dann konzentrierte er sich jedoch wieder auf das Gespräch der beiden. Es ging immer noch um die Großeltern und ihre Mutter. Langsam aber sicher platzte Marcus der Kragen. Er versuchte dennoch Haltung zu waren und unterbrach das Gespräch mit einer recht monotonen und trockenen Frage.


    „Wir sind eigentlich hier um den Al…..“ Marcus schluckte das Wort gerade noch rechtzeitig hinunter und sprach schnell weiter „unseren Vater zu treffen? Wo ist er?“ Den Nachsatz unterstrich er mit einem fragenden und durchdringenden Blick, der auch einige Kälte ausstrahlte.

    Marcus musterte verwundert den Mann, der ihnen die Türe öffnete. Es war dem Anschein nach irgendein alter Haussklave, der nicht gerade einen besonders freundlichen oder Willkommen heißenden Eindruck auf den jungen Mann machte. Er grüßte nicht einmal, was ihn am meisten entsetzte. Wäre er sein Sklave gewesen, hätte Marcus ihn für eine solche Verfehlung auspeitschen lassen oder selbst ausgepeitscht. Ein Sklave hatte seiner Auffassung nach einen Römer mit der größten Ehrerbietung zu begegnen – egal ob er ihn kannte oder nicht. Erst als seine Schwester ihn einen kleinen Schubs gab, machte er seinen Mund auf und begann zu sprechen – ebenfalls ohne zu grüßen.


    „Wir möchten Senator Decimus Livianus sprechen."

    Marcus war noch etwas außer Atem als er an seine Schwester herantrat, die bereits minutenlang vor der Eingangstüre der Casa Decima stand und sie anstarrte. Er konnte ihr auf den ersten Blick ansehen, dass ihre wochenlange Vorfreude auf den Senator und dessen Verwandten mittlerweile in Unsicherheit und vielleicht auch ein wenig Angst umgeschlagen war. Anders als er selbst, hatte sich Flava so viele Gedanken darüber gemacht und sich so oft ihren Kopf darüber zerbrochen wie denn das Wiedersehen werden könnte und ob sich der Alte darüber freuen würde, dass sie nun bestimmt fürchterliche Angst vor einer Enttäuschung hatte. Er selbst hatte keine Angst davor. Sollte der Alte oder einer seiner Verwandten ungut zu ihm oder seiner Schwester werden, würde Marcus Flava schnappen und sie wieder zurück nach Britannia bringen. Sollten diese verdammten Decimer doch machen was sie wollten. Er legte kurz seine Hand auf Flavas Oberarm und ließ seinen Daumen über den Stoff ihres Kleides streichen. Sie hatte sich wirklich fein herausgeputzt. Ihr Haar war zu einer matronenhaften Frisur hochgesteckt und sie hatte eines ihrer feinsten Kleider angezogen, die sie die ganze Reise über für diesen Moment aufgespart hatte. Marcus wollte keinesfalls das seine Schwester nun nach dieser langen und teilweise außerordentlich beschwerlichen Überfahrt nach Rom enttäuscht wurde. Er nickte ihr aufmunternd zu, als sie ihn fragte, ob er nun anklopfe wollte und trat dann an die Türe heran.


    KLOPF KLOPF

    Als Flava die beiden mit den Kindern eines Bettlers verglich, schweifte Marcus Blick kurz zu dem Fuhrmann, der auch nicht gerade einen sehr wohlhabenden Eindruck machte. Sah er denn nach dieser langen Reise wirklich schon so aus wie dieser Mann? Unsicher sah er an sich herunter. Natürlich hatte seine Tunika den einen oder anderen Fleck davongetragen, doch wie ein Bettler sah er deswegen nicht aus. Er sah wieder zu seiner Schwester und seufzte. Es war ohnehin zwecklos sich nun mit ihr über dieses Thema zu streiten. Für ihre Verhältnisse sprach sie sehr ruhig und besonnen, was wohl auf die Anwesenheit dieses Phillipos zurückzuführen war. Vor Fremden spielte sie gerne die vornehme römische Dame, wenn nicht gerade ihre jugendliche, geschwätzige Art wie vorhin zum Vorschein trat. Ihre Erziehung vergas sie jedoch nur in den seltensten Fällen und so auch diesmal nicht. Würde er nun zu ihr sagen, dass sie direkt zum Anwesen der Decimer fahren, hätte sie im das vermutlich niemals mehr verziehen. Marcus war es vollkommen egal wie er seinen Vater oder seinen bisher unbekannten Verwandten gegenübertrat. Umso dreckiger er aussah, umso mehr sollte sich der Vater dafür schämen. Doch Frauen sahen das anders. Flava wollte für ihren Vater hübsch sein und ihn als brave, anständige und vollkommen römische junge Dame gegenübertreten. Er zuckte daher nur mit den Schultern und sagte Phillipos, dass er noch vor einer Therme halt machen sollte. Bestimmt würde er für diese Sonderpause auch eine Sonderpauschale verlangen.

    Marcus wurde erst auf das vor ihnen auftauchende Rom aufmerksam, als seine Zwillingsschwester ihn und den Fuhrmann darauf hinwies. Bis dahin hatte er krampfhaft in die restliche Umgebung gestarrt und versucht Flavas Geschwätzigkeit zu ignorieren. Natürlich war er anfangs auch zu dem Fremden freundlich, bis er zugestimmt hatte die beiden mit seinem Karren nach Rom zu bringen, doch ansonsten war ihm dieser Mensch völlig gleichgültig. Er konnte daher auch das große Interesse seiner Schwester an dem Privatleben dieses bis dahin völlig Unbekannten in keinster Weise nachvollziehen. Wichtig war ihm, dass er endlich nach Rom kam und sich dort ausruhen konnte. In seinen Gedanken äffte er seine Schwester sogar nach. Verzeih meiner Jugend? Flava würde im Alter bestimmt ebenso geschwätzig bleiben, wie sie es jetzt und eigentlich schon seit sie reden konnte gewesen war. Verständnislos schüttelte er den Kopf und war froh, dass dieser Phillipus – oder wie er hieß – bestätigte, dass die Stadt vor ihnen tatsächlich Rom war. Er wandte sich an seine Schwester.


    „Willst du nun wirklich in die Therme Flava? Oder können wir gleich nach dem Anwesen der Decimer suchen?"

    Marcus ließ lediglich ein lautes Seufzen vernehmen als seine Schwester den Fremden so überschwänglich begrüßte und sofort losschnatterte. Von wegen Großzügigkeit ging ihm durch den Kopf. Es war keine Wohltätigkeitstat die dieser Mann hier leistete, sondern er bekam in Rom den vorhin ausverhandelten Lohn für diese Mühen. Und der ließ den Geldbeutel der beiden fast zur Gänze schrumpfen. Marcus sagte jedoch nichts zu seiner Schwester bzw. sah es nicht notwendig an, hier nun irgendetwas richtig zu stellen. Stattdessen zeigte er dem Mann die Kisten um die es ging und die beiden begannen damit den Wagen aufzuladen.


    Ein leicht verärgertes „Ja ja!“ bekam Flava als Antwort auf die Frage nach ihrem Bad zurück. Nicht nur das die Kisten schwer genug waren und es Marcus ordentlich viel Kraft kostete, sie gemeinsam mit dem Fuhrmann auf den Wagen zu hieven, hatte seine Schwester immer noch nichts anderes im Kopf als ihr Bad. Es war doch wesentlich wichtiger endlich nach Rom zu kommen – egal ob gewaschen oder ungewaschen. Der junge Decimer schüttelte den Kopf und stieg dann nach seiner Schwester selbst auf den Wagen. Während das Gepäck hinten auf der Ladefläche verstaut war, saßen die drei Personen vorne auf dem Bock. Der Mann, der das Geschwisterpaar netterweise mit nach Rom nahm, war ebenfalls aufgestiegen und ließ kurz die Zügel schnalzen, was seine Pferde sofort zum losgehen antrieb. Langsam und ratternd fuhr der Wagen los in Richtung Rom.

    Flava hatte vollkommen Recht. Entweder sie trieben binnen kürzester Zeit eine Mitreisegelegenheit nach Rom auf, oder sie musste die Nacht über hier in Ostia verbringen. Die zweite Vorstellung behagte Marcus überhaupt nicht, da er eben noch gesehen hatte, wie wenig Sesterzen den beiden für die restliche Reise zur Verfügung stand. Eine Unterkunft ging sich da nur noch schwer aus und wenn doch, dann eine, in der er seine Schwester bestimmt nicht übernachten lassen wollte. Suchend sah er sich kurz um und wandte sich dann wieder an Flava.


    „Warte hier kurz und schau auf unser Gepäck. Ich werde mich einmal umhören.“


    Er nickte ihr zu und verschwand dann im Trubel der Menschenmassen. Marcus bahnte sich seinen Weg in Richtung der Händler, die am Rand des Piers ihre Stände aufgebaut hatten und dort ihre Waren anboten. Hier musste es doch irgendjemand geben, der vielleicht heute noch nach Rom fuhr oder gerade neue Waren angeliefert und daher einen leeren Wagen für die Rückreise zur Verfügung hatte. Viel zahlen konnten die beiden freilich nicht, aber Marcus hoffte, dass er trotzdem jemanden finden würde, der ihnen dabei half heute noch nach Rom zu kommen. Er sprach mit einigen Händlern, die ihm nicht weiterhelfen konnte oder wollten, bis er schließlich an einer Ecke einen Karren sah, vor dem ein Pferd gespannt war und dessen Besitzer sich anscheinend gerade bereits machen wollte, um weiterzufahren. Er quetschte sich durch die Menschenmenge und lief zu dem Fuhrwerk, dessen Fahrer gerade sein Pferd antreiben wollte. Erst als Marcus ihm zurief, zügelte er wieder sein Pferd und sah den jungen Mann verwundert an. Marcus erklärte ihm die verzwickte Situation des Geschwisterpärchens und appelierte an seine Hilfsbereitschaft, ihn und seine Schwester mit nach Rom zu nehmen. Der Fuhrmann willigte ein und folgte Marcus zurück zu seiner Schwester.


    „Flava!“ rief er schon von weitem. „Hier bin ich wieder! Dieser nette Mann hier hat einen Pferdekarren und nimmt und mit nach Rom.“

    Damit hatte Flava wohl Recht. Doch wie das ganze Gepäck von Bord schaffen? Marcus sah etwas hilflos über die drei Kisten hinweg und ließ seinen Blick schließlich über das Deck schweifen. Dann zog er einen kleinen Lederbeutel aus dem Ärmel seiner Tunika hervor und winkte einige Seeleute herbei, die sich nicht lange bitten ließen. Sie sahen den Lederbeutel und wussten genau, dass es hier etwas abzustauben gab. Während Marcus einige Münzen in seine Hand zählte und sich darüber Gedanken machte, ob das Geld noch für den letzten Abschnitt ihrer Reise ausreichen würde, machten sich die Männer bereits ohne groß auf Anweisungen zu warten daran, die Kisten vom Schiff zu tragen und am Pier direkt vor der Planke wieder aufzustapeln. Marcus gab seiner Schwester ein Zeichen und schlenderte den Matrosen hinterher, um sie unten angekommen, für die kleine Gefälligkeit zu entlohnen. Etwas mürrisch, dass es nicht gerade viel Trinkgeld war, nahmen sie es raunend entgegen und gingen zurück auf das Schiff. Nun standen die beiden Geschwister da – am Hafen von Ostia. Fast wirkten sie etwas hilflos und verlassen zwischen dem ganzen Trubel der um diese Tageszeit am Kai herrschte. Matrosen entluden ihre Schiffe, Händler boten bereits hier ihre Waren feil und so manch zwielichtige Gestallt lungerte zwischen den Kisten und aufgestapelten Säcken herum. Marcus seufzte und sah zu seiner Schwester.


    „Und nun?“


    Er sprach mehr mit sich selbst als mit ihr. Mit den Kisten kamen sie nicht weit und so mussten sie zuerst eine Möglichkeit finden, ihre Reisekisten nach Rom zu transportieren. Es würde sich bestimmt ein Händler oder Fuhrmann finden, der mit einem leeren Karren Richtung Rom fuhr und die beiden mitnehmen konnte. Doch zuerst einmal musste der gute Mann gefunden und vorallem bezahlt werden.

    Frauenprobleme! Marcus roch verstohlen und unauffällig an seinen Axeln als seine Schwester den Wunsch nach einem Bad ansprach. Er konnte an sich nichts Auffälliges riechen. Natürlich roch er anders als nach dem täglichen Bad daheim in Britannia, aber das er stank, konnte er nicht bestätigen.


    „Hmm...... ich habe keine Ahnung, aber wenn nicht, dann werden wir spätestens in Rom die Möglichkeit haben in eine Therme zu gehen. Ich habe gehört das es dort die größten und schönsten Thermen des ganzen Reiches gibt.“


    Danach ließ er seinen Blick über ihr Gepäck schweifen. Auch er hatte das Gefühl, dass alles bereits ordnungsgemäß verstaut war. Zumindest seine Sachen. Er war schließlich wesentlich genügsamer als Flava und grübelte darüber nach, wann er das letzte Mal überhaupt seine Tunika gewechselt hatte. Hier und da lagen noch einige Kleidungsstücke oder Gegenstände herum, die recht schnell in einer der Kisten verstaut war. Problematischer würde es schon werden, diese Gepäcksstücke nach Rom zu bringen. Vermutlich mussten sie sich Gepäckträger suchen oder jemanden, der einen Karren hatte. Doch dazu musste Marcus zuerst nachzählen, ob sich das Geld dafür ausging. So kurz vor ihrem Ziel, war auch der Geldbeutel ziemlich geschrumpft.


    „Also ich denke das ich fertig bin. Das Schiff kann anlegen.“

    Dann rammen wir ihm ein Messer in die Brust und verschwinden wieder dachte sich Marcus, der diesen Satz natürlich nie vor seiner Schwester ausgesprochen hätte. Stattdessen suchte er nach Worten die Flava wieder etwas beruhigten und ihr die Angst vor dem Zusammentreffen nahmen.


    „Das wird bestimmt nicht passieren Flava. Also hab keine Angst davor. Wer könnte dich nicht wollen.“


    Er lächelte bei seinen letzten Worten und strich seiner Zwillingsschwester eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die der Wind kurz zuvor dort hin geweht hatte. Danach legte er auch den zweiten Arm um sie und drückte sie fest an sich, um ihr Wärme und Geborgenheit zu vermitteln. Als er wieder von ihr abließ, sah er auf und beobachtete kurz das Treiben auf dem Schiffsdeck. Bei den vielen Zwischenstopps auf ihrer langen Reise hatte Marcus oft gesehen, wie die Matrosen das Schiff auf das Einlaufen in den Hafen vorbereiteten und so wie es aussah, war es bald soweit.


    „Ich denke wir sollten uns schön langsam vorbereiten. Das Schiff wird wohl demnächst einlaufen.“