Wäre Flavus hier, wäre Flava wohl nicht so unsicher, als sie plötzlich im Mittelpunkt des Interesses stand. So aber fragte sie sich, wo ihr Bruderherz nur war, und das lenkte sie ein wenig ab. Natürlich nicht genug, um nicht sofort angemessen zu reagieren, lediglich das Gefühl war ein wenig seltsam dabei.
„Es ist, wie du sagst, Rom ist sehr groß. Würde ich allein auf die Straßen gehen, würde ich mich vermutlich verlaufen. Aber hier im Haus sind alle so freundlich und zuvorkommend, ich bin mir sicher, es wird nicht lange dauern, bis ich mich hier ebenso sicher zurechtfinde wie in Britannia.
Mein Bruder ist da von den Göttern mit einer besseren Orientierung gesegnet worden.“
Sie musste leicht schmunzeln. Ihre Gaben waren wirklich sehr unterschiedlich aufgeteilt worden. Fast so, als wären sie zusammen ein Mensch, nur aufgeteilt in zwei Körpern. Schon öfter kam Flava dieser Gedanke, aber nun war nicht unbedingt der Zeitpunkt für solch eine philosophische Fragestellung.
Stattdessen wollte sie lieber, wenn sie schon mal Meridius’ Aufmerksamkeit hatte, ihn gleich um den Gefallen bitten, der ihr noch auf dem Herzen lag. Und noch war das Tischgespräch nahe genug an der bevorstehenden Reise, so dass es ihr jetzt passend erschien.
„Meridius, darf ich dich noch um einen Gefallen bitten? Ich habe für Vater einen Brief geschrieben, und würde dich gerne bitten, ihn mitzunehmen. Ich dachte mir, wenn er gerettet ist, möchte er vielleicht etwas Persönliches von seinen Kindern in Händen halten. Und da die Rückreise wohl einige Zeit dauern wird, dachte ich, ich schreib ihm ein paar Zeilen, damit er seine Kinder schon einmal etwas kennen lernen kann.“
Flava hatte absichtlich nicht irgendeine Möglichkeitsform in ihren Worten verwendet. Die Götter hatten die Opfer angenommen, und Meridius würde ihren Vater sicher finden und heimbringen. Flava wollte da kein „falls“ gelten lassen, also würde sie auch nicht so sprechen.
„Natürlich nur, wenn diese Idee nicht zu abwegig ist.“
Flavus war von ihrem Einfall ja nicht so überzeugt gewesen. Und Flava wollte auch nicht den Eindruck einer romantischen Träumerin erwecken.