Beiträge von Marcus Achilleos

    Ich zuckte mit den Schultern. "Ich denke darüber nach. Wobei, ganz ehrlich, wenn mich jemand wirklich unbedingt umbringen will, dann kann ich ihn eh nicht aufhalten. Und dann will ich es auch nicht. So sehr hänge ich nicht an meinem Leben. Ich sollte eher mal darüber nachdenken, die Reise anzutreten, die ich schon seit einem halben Jahr geplant habe. Nach Tarraco und dann weiter nach Rom. Etwas über meine Verwandten herausfinden. Auch für diese Reise habe ich die Rüstung anfertigen lassen."

    Ich wusste nicht, warum, doch ich hatte das Gefühl, eine Nacht außerhalb Alexandrias verbringen zu müssen. Irgendwo, wo ich allein mit meinen Gedanken war. Rüstung und Schwert würden mich vor den Gefahren schützen. Ein Schlauch mit Wasser würde meinen Durst stillen. Obwohl das vermutlich kaum nötig sein würde. Der Himmel war wolkenverhangen und es würde sicher bald regnen. Die Sonne würde auch bald untergehen und von See her kam ein frischer Wind. Um möglichst viel Raum zwischen mich und die Stadt zu bringen, hatte ich mir ein Pferd gemietet. So ritt ich auf das Tor zu und grüßte kurz die Wachen, bevor ich die Zügel locker ließ und aus der Stadt ritt.

    Ich nickte. "Gut. Ich habe eine Art Schuppenrüstung, die von innen mit einem reißfesten Stoff versehen werden müsste - Seide. Darüber hinaus sind die Ränder mit Seide zu umfassen. Dann brauche ich eine Hose aus feinem schwarzen Stoff und ein Gewand so ähnlich wie jenes, das ich gerade trage, aus dem gleichen Stoff. Hinzu kommt noch eine Art Tunika mit langen Ärmeln, die einen Kragen besitzt. Der soll versteift sein, so dass er dafür sorgt, dass die Rüstung nicht am Hals scheuert. Passend zum Rest. Hinzu kommen noch Schuhe aus Stoff, die ebenfalls aus dem gleichen Stoff bestehen sollen. Ist das im Rahmen der Fähigkeiten dieser Schneiderei?"

    "Ich werde mich schon wehren können. Und wenn nicht..." Ich zuckte mit den Schultern. "Werde ich im Moment meines Todes den Glauben der Inder annehmen und dann wiedergeboren. So leicht wird man mich nicht los." Ich grinste schelmisch. "Nein, im Ernst, ich weiß schon, mich zu verteidigen. So schnell wie im Moment habe ich noch nie mein Schwert ziehen können. Einsetzen kann ich es ziemlich gut. Sie werden es wohl nicht wagen, mich anzugreifen. Wer entschlossen und stets kampfbereit ist, wird oft in Ruhe gelassen. Wer will schon sein Leben riskieren bei einem Mord?"

    Ich lehnte mich zurück. "Meinetwegen sollen sie mich angreifen. Ich wurde nur verwundet, weil ich aus der Übung war. Das bin ich jetzt nicht mehr. Außerdem fällt nur den wenigsten die Rüstung auf. Wer mich angreift, wird seinen Kopf neben seinem Körper wiederfinden. Die letzten haben Marcus Achilleos angegriffen, einen seltsamen Fremden. Die nächsten Angreifer werden es mit Zixi De zu tun haben, einem Wesen ohne Gnade." In meinen Augen war kurz etwas Eisiges, Erbarmungsloses.


    "Bisher ist es allerdings bei Drohbriefen geblieben. Ich kann dir leider keine zeigen, weil sie viel zu gut zum Feuer machen geeignet sind. Übrigens scheinst du meine Macht zu überschätzen."

    "Ich wünsche eine Spezialanfertigung. Mehrere Teile, exakt nach meinen Wünschen. Bin ich hier richtig dafür?" fragte ich erhobenen Hauptes. Der Tonfall meiner Stimme war höflich, und hatte doch eine gewisse Strenge. Das war die Reaktion auf den mürrischen Unterton der Stimme des Bediensteten.

    Seltsam gewandet wie immer, mit dem Schwert am Gürtel baumelnd, kam ich bei der Schneiderei an. Wenn jemand meinen Auftrag ausführen konnte, dann der Schneider dieses Geschäfts. Ich betrat den Verkaufsraum, sah mich aber nicht um, sondern blieb mitten drin stehen und wartete, dass mich ein Bediensteter ansprechen würde.

    Da es keine Fragen gab, fuhr ich fort. "Dann kommen wir jetzt zur Definition des Horizonts. Der Horizont ist jene tangentiale Ebene, die den Punkt auf der Oberfläche der ideal kugelförmigen Erde berührt, an dem der Beobachter steht. Der Horizont teilt den Himmel in zwei gleich große Hälften. Nun dreht sich aber die Himmelssphäre in 24 horae einmal um ihre Achse. Das führt dazu, dass es durch den Horizont drei Arten von Sternen gibt, die wir beobachten: Sterne, die nie untergehen. Die sehen wir prinzipiell die vollen 24 horae lang, auch wenn sie tagsüber von der Sonne überstrahlt werden. Dann gibt es natürlich das Gegenteil: Sterne, die niemals aufgehen. Und noch den Teil dazwischen: Sterne, die auf- und untergehen. Wenn wir den Sternenhimmel genau kennen, dann genügt es, diesen zu beobachten und herauszufinden, welche auf- und untergehen und welche man sieht, und schon weiß man, auf welchem Breitengrad man sich befindet. Ist man beispielsweise am Äquator, so gehen alle Sterne auf und unter.
    Tagsüber kann man es sich noch leichter machen: Der Schatten, den ein Stab mittags wirft, hängt direkt mit dem Winkel der Sonneneinstrahlung zusammen. Dieser Winkel zur Senkrechten des Horizonts ist exakt der Breitengrad. Einfacher geht es also wirklich nicht."

    "Nun, allzu viel gibt es leider nicht zu berichten. Matrinius hat natürlich auch mitbekommen, dass sich das Verhältnis zwischen polis und Legion verschlechtert hat. Das zehrt an seinen Nerven, und wohl auch an den Nerven etlicher anderer Soldaten. In der Hinsicht, dass sie den früheren Zustand, als alles harmonischer war, gerne wieder hätten. Oder sogar noch etwas mehr Harmonie. Problematisch ist allerdings, dass die Offiziere sofort Soldaten rügen, die etwas entsprechendes sagen."


    Dass er mir noch bezüglich meiner Akademie ins Gewissen geredet hatte, unterließ ich. Es war nicht wichtig und außerdem meine persönliche Angelegenheit.


    "Übrigens habe ich nicht vor, weiterhin aktiv nach Informationen zu suchen. Wenn ich etwas mitbekomme, dann wirst du es erfahren. Zahlen brauchst du dafür aber nichts. Ich möchte vermeiden, zwischen die Fronten zu geraten. Das könnte der Akademie schaden. Und das möchte ich vermeiden. Ich bin mir sicher, dass du das verstehst."

    "Ah, chaire, Thimótheos," grüßte ich den neuen Strategos, während ich den Ring der Stadtwache von meinem Finger zog und auf den Tisch legte. "Es gibt mehr als einen Grund. Zunächst einmal wurde ich nicht von der Stadtwache, sondern direkt vom Strategos bezahlt. Da Cleonymus nicht mehr Strategos ist, wäre es falsch, das weiterhin von ihm zu verlangen. Das ist aber ein eher unbedeutender Grund. Deshalb komme ich gleich zum wichtigsten Grund: Ich besitze nicht das Vertrauen der Bürger, also würde es dem Ansehen der Stadtwache schaden, mich weiter zu beschäftigen. Außerdem habe ich meine Aufgaben für das Museion und, vor allem, meine Akademie, zu sehr vernachlässigt."


    Ich wartete auf eine Reaktion bzw. darauf, dass ich gehen konnte.

    Da ich noch Offizier der Stadtwache war, konnte ich mit meinem Schwert am Gürtel den Raum betreten. Meine Rüstung war gut unter dem äußeren gewand vesrteckt. Ich ging also direkt zum neuen Schreiber. "Chaire. Ich bin als Offizier der Stadwache hier. Ich gedenke, den Dienst zu quittieren."

    Ich sah Cleonymus einen Moment lang perplex an. "Ähh... was? Achso, nein, ich bin gut bewaffnet und gerüstet. Es ist nur so, seit einige Leute versuchen, mich umzubringen, habe ich lieber eine Sicherung zu viel. Außerdem schreckt das ab."


    Ich setzte mich. "Nein, eigentlich bin ich hier, weil mich Matrinius neulich besucht hat."

    "Ich soll dir auch noch sagen, dass Marcus dich für einen der ehrenhaftesten Männer der ganzen Polis hält. Und... und... das ist der Grund für seine Entscheidung." Nefirtiri dachte kurz nach. "Keine Ahnung, was er damit meint."


    Dann gab sie ihm den Brief aus Papier:




    Werter Ànthimos,


    ich freue mich für Dich und Penelope, dass Ihr heiratet. Die Einladung muss ich leider ablehnen, die Gründe werde ich Dir bei Gelegenheit in einem anderen Brief genauer darlegen. Dieser Brief dient einem anderen Zweck:


    Ich wünsche Dir und Deiner künftigen Frau alles Gute. Möge Euer Weg Glück verheißen und Euch viele liebe, gesunde Kinder bringen, die Euch stets so gut behandeln wie Ihr sie zweifelsfrei behandeln werdet. Möge Euer Haus prachtvoll sein und es Euch an nichts mangeln. Mögen die Götter Euch und Eure Nachkommen segnen und stets beschützen.



    Ich hatte beschlossen, Cleonymus einen Besuch abzustatten und ihm zur Wahl zu gratulieren. Ganz nebenbei konnte ich ihm dann auch berichten, was ich bislang herausgefunden hatte. Wobei es nicht wirklich viel war.


    Ich war zwar äußerlich in meine üblichen schwarzen Gewänder gekleidet, allerdings trug ich unter meinem äußeren Gewand die Rüstung. Es war für den Laien wohl nicht erkennbar, doch Cleonymus war kein Laie. An meinem Gürtel hing offen erkennbar mein Schwert. So wagte es zumindest niemand, mich anzugreifen. Meinen Gang hatte ich auch verändert. Statt nachdenklich zu sein, ging ich stolz und aufmerksam durch die Straßen. Fast so, wie zu meiner Zeit in der Ferne.


    So kam ich schließlich am neuen Arbeitsort des einstigen Strategos an.


    "Chaire Cleonymus. Lass mich dir erstmal zu deiner Wahl gratulieren. Ich hoffe, ich störe nicht?"

    Das Mädchen sah ihn selbstbewusst an. "Bist du Ànthimos Bantotakis? Ich habe nämlich einen Brief für Ànthimos Bantotakis." Dabei sprach sie den griechischen Namen fehlerfrei aus. "Ich bin Nefirtiri."

    "Nun, vielleicht gibt es ja gar keine falschen Wege? Was, wenn auch jeder Fehler zu neuer Erkenntnis führt? Ich weiß es zwar nicht, ob dem so ist, aber man sollte jeder Situation etwas Gutes abgewinnen." Ich grinste kurz. Dann öffnete ich die Tür zum Tempel und ging hinein.


    Nur wenige Öllampen tauchten den Raum in ein diffuses Licht. In der Luft hing der Geruch von Weihrauch. Gegenüber der Tür war ein hölzerner Altar erkennbar, ebenso wie an den Seitenwänden. Die seitlichen Altäre waren aber nicht so hoch wie der Hauptaltar.


    Auf dem Hauptaltar gab es keine Statue, aber eine große Tafel aus edlem Holz, auf der in goldener Schrift große chinesische Schriftzeichen waren. Flankiet wurde er von zwei kleineren Altären, auf denen je vier hölzerne Tafeln mit silbernen chinesischen Zeichen standen.


    Der Altar an der südlichen Wand beherbergte drei Tafeln mit silbernen Zeichen, der nördliche um die zwanzig kleine Tafeln mit nur weißen Schriftzeichen.


    Ich ging bis in die Mitte des Raumes, dann verneigte ich mich tief vor dem Hauptaltar, dann wesentlich weniger tief vor den flankierenden Tafeln. Danach wandte ich mich zum südlichen Altar und verneigte mich, danach vor dem nördlichen. Schließlich wandte ich mich an Nikolaos. "Im Osten habe ich gelernt, dass es niemals schadet, vor Göttern und Ahnen Demut zu zeigen. Es mag nicht gerade die Sitte unserer Vorfahren sein, aber ich habe mir diese frede Sitte zu eigen gemacht. Sie zügelt meinen Stolz, deshalb befinde ich sie für gut für mich."

    Nefirtiri klopfte an die Tür. Während sie darauf wartete, dass geöffnet würde, betrachtete das achtjährige ägyptische Mädchen den Brief, den sie überbringen sollte. Sie wusste, was da drin stand, auch wenn sie nicht verstand, warum ihr Lehrer das geschrieben hatte. Mit dem, was sie noch sagen sollte, konnte sie auch nichts anfangen. Im Moment interessierte sie auch das Material des Briefes viel mehr. Es war weder Papyrus noch Pergament. Es fühlte sich auch irgendwie komisch an.

    Nachdem mir die Einladung gebracht wurde, las ich sie mir durch und dachte nach. Eine Antwort auf den letzten Brief hatte ich noch nicht geschrieben. Ich schob es auf, um meine Worte genau zu überdenken. Doch nun musste ich ja antworten. Ich nahm also ein Blatt Papier - noch hatte ich welches - und Tusche, und begann zu schreiben.


    Als ich die unmittelbare Antwort fertig geschrieben hatte, gab ich sie Nefirtiri. Sie würde sie Ànthimos übergeben. Vorher sagte ich ihr noch etwas, das sie dem Griechen sagen sollte.

    "Ich werde dich auf jeden Fall besuchen." Freundlich lächelte ich, und es war ein ehrliches Lächeln.


    "Übrigens habe ich auch einen kleinen Athene-Schrein an einer Straßenecke errichten lassen. In Rhakotis. Vielleicht bringt das ja etwas Frieden und Weisheit für dieses Viertel. Zumindest ich ringe ihr regelmäßig Opfer dar."


    Langsam ging ich die Stufen zur Meditationshalle hinauf. Als wir in der Halle standen, die außer den Sitzkissen am Boden nur noch eine große chinesische Kalligraphie an der Wand beherbergte, deutete ich auf genau jene. "Ich habe diese Kalligraphie selbst gemalt. Das Zeichen heißt Tianxia und es bedeutet, alle unter dem Himmel in Harmonie zu bringen. Das habe ich mir als Ziel gesteckt. Natürlich werde ich es nie erreichen, aber das ist ja gerade der Sinn dahinter. Der Weg ist das Ziel. Möchtest du etwas hier verweilen oder soll ich dir erst den Tempel zeigen? Oder meine recht leere Bibliothek?" Bei der letzten Frage hatte ich ein scherzendes Lächeln auf meinen Lippen.