Nach einigen Wochen des Unterrichts, in denen die Kinder gute Fortschritte gemacht hatten, während ich im Gegenzug von ihnen ein paar Worte in Ägyptisch gelernt hatte, stand auf einmal ein junger Mann in meinem Hof.
[Blockierte Grafik: http://www-public.rz.uni-duesseldorf.de/~anfun001/Stratocles.jpg]
Ich musterte ihnen einen Moment, dann ging ich auf ihn zu, während die Kinder weiter Buchstaben in den Staub malten.
"Chaire. Kann ich dir weiterhelfen?"
Der Mann sah mich fragend an. "Bist du Marcus Achilleos?"
Ich nickte. "Der bin ich."
"Ich bin Stratocles, Sohn des Leophanes. Man sagt, dass du die Philosophien des fernen Ostens unterrichten kannst. Stimmt das?"
"Schon möglich. Warum fragst du?"
"Ich will von dir lernen. Lass mich dein Schüler werden."
Ich sah ihn eine Weile an, während aufrecht vor mir stand. Dann sagte ich ruhig und emotionslos "Wenn, dann würde ich dir beibringen, was mir beigebracht wurde, und zwar so, wie es mir beigebracht wurde. Die Sitten des Ostens würdest du mir gegenüber annehmen, deinen Stolz unter Kontrolle halten und alles tun, was ich dir auftrage. Du würdest weder lügen, noch stehlen, noch sonst irgend etwas tun, was gegen meinen Kodex verstoßen würde. Du würdest hier wohnen, in einfachen Verhältnissen. Deine Ausbildung würde Jahre dauern und während dieser Zeit könnte ich dich jederzeit als meinen Schüler verstoßen. Bist du wirklich Willens, dir das anzutun? Denn ich verspreche dir, dass es eine sehr harte Zeit für dich würde!"
Stratocles schluckte und dachte einen Moment lang nach, bevor er schließlich nickte. "Ich will diese Zeit durchstehen!"
Meine Augen verengten sich. "Dann lerne erst einmal, dich angemessen zu verhalten! Man verbeugt sich gegenüber seinem Shifu! Shifu, so wirst du mich nennen! Shifu ist die Anrede eines Lehrmeisters. Nur als Erklärung. Aber noch hast du die Möglichkeit, zu gehen. Wenn du Ruhm suchst, dann verschwinde! Wenn du dir einen Vorteil erhoffst, dann verschwinde! Wenn du reich werden willst, dann verschwinde! Wenn du aber die kosmische Harmonie mehren willst, dann bleibe, und ich werde dir zeigen, wie man den Himmel und die Erde in Harmonie bringt. Entscheide dich jetzt, ob du das wirklich willst. Willst du dein Selbst hintan stellen? Bist du bereit, deine Person aufzugeben? Wenn ja, dann verbeuge dich dreimal und sage jedes Mal "Ja, Shifu!". Wenn nicht, dann verschwinde!"
Die Kinder sahen zu uns herüber, erstaunt über dieses Schauspiel. Ich sah in den Augen des jungen Mannes kurz Zorn aufflammen. Ich wusste, dass es für ihn, einen freien Griechen, eine Demütigung war, sich hier, vor den Augen der Kinder, vor mir zu verbeugen. Es widerstrebte ihm. Ich wartete nur darauf, dass er sich umdrehen würde und gehen.
Zu meinem Erstaunen tat er es nicht. Statt dessen verbeugte er sich tief vor mir. "Ja, Shifu!" Und er wiederholte es noch zweimal.
Als er mich wieder ansah, lächelte ich ihn kurz an. "Dann sei es so. Ich nehme dich als meinen Schüler auf. Aber sei gewarnt, bei der geringsten Verfehlung werde ich dich hart bestrafen oder verstoßen. Denn ich bin nicht gütig. Und Gnade kenne ich auch nicht."
Danach zeigte ich ihm seine Unterkunft. Eine kleine Zelle von vielleicht sechs Quadratmetern, mit ein paar Schilfmatten als Bett. Ich erlaubte ihm, sie nach seinem Geschmack einzurichten und trug ihm danach auf, mich beim Unterricht der Kinder zu unterstützen. Danach durfte er seine Sachen holen, was er auch tat.