Beiträge von Marcus Achilleos

    Ich richtete mich wieder auf, als der Strategos mich ansprach.


    "Mein Führungsstil hat mich durch vier Schlachten gebracht," meinte ich trocken.


    "Echion ist nicht ganz ohne Potential, sonst hätte ich ihn dazu gebracht, um seine Entlassung zu bitten. Was die Gefangenen anbetrifft, ich habe da schon eine Idee, wie man alle Informationen aus ihnen heraus bekommt. Allerdings setzt das voraus, dass beide alles wissen und man einen... naja... irreversibel schädigen kann. Dabei werden sie nicht einen Kratzer abbekommen."


    Ich verzog keine Miene.


    "Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass es zwar einige Menschen gibt, die auch unter den schlimmsten Schmerzen nichts preisgeben, aber wenn sie sehen, dass man sie in den Wahnsinn treiben und ihr Hirn in Gemüse verwandeln kann, fangen sie an zu reden. Niemand will als sabberndes Wrack enden."

    Ich schüttelte leicht den Kopf, obei ich verlegen lächelte.


    "Das ist wohl deutlich übertrieben. Ich habe eine kleine Schule für die Kinder der Nachbarschaft aufgebaut. Vielleicht wird daraus einmal eine Akademie, aber noch habe ich nicht einen einzigen Schüler, dem ich mein gesamtes Wissen beibringen könnte. Da ich sehr genau wählen werde, welche Menschen diese besondere Ehre erhalten, wird es auch so schnell keinen geben. Die Schule halte ich aber für wichtig. Ich gebe den Kindern die Chance auf ein besseres Leben. Gleichzeitig bringe ich ihnen bei, mit wenig zufrieden zu sein und sich in die irdische Ordnung einzufügen."

    Ich war erst vor Kurzem zu meiner Schicht im Gefängnis angekommen und betrachtete mit vor der Brust verschränkten Armen die Übungen. Der Tag war heute ziemlich heiß, wesentlich heißer als noch der vorangegangene Tag. Das hinderte mich aber nicht daran, im schwarzen Gewand in der Sonne zu stehen. Ich war nicht wirklich zufrieden mit der heutigen Leistung der Männer, aber ich war gewillt, ihnen das heiße Wetter zu Gute zu halten. Irgendwann meldete mir jemand, dass sich der Strategos dem Gefängnis näherte und fast da sei.


    "Übung abbrechen! In Zweierreihe vor dem Gefängnis antreten! Waffen bereit zur Parade! Laufschritt!"


    Ich selbts nahm mich vom Laufschritt auch nicht aus und wenig später, gerade noch rechtzeitig, standen alle die abkömmlich waren, in Zweierreihe vor dem Gefängnis. Ich stellte mich vor die Mitte der Formation.


    "Präsentiert die Waffen!"


    Dann drehte ich mich um und sah zum Strategos. Als er auf zehn Schritte heran war verbeugte ich mich und verharrte so, bis er mich ansprechen würde. So hatte ich es in Han gelernt.

    "Gerne," antwortete ich und verschränkte meine Arme wieder hinter meinem Rücken. Während ich neben Ioshua herging, überlegte ich mir kurz, ob ich direkt auf den Punkt kommen sollte oder lieber erst diplomatisches, aber belangloses, Gerede bevorzugen sollte.


    "Du hast eine wirklich schöne Villa. Sie erinnert mich ein wenig an Parthien. Ich habe da fast ein Jahr lang für einen Kaufmann in Seleucia gearbeitet, der hatte ein ähnlich eingerichtetes Domizil. Wobei deine Villa prachtvoller und nach meinem Geschmack auch schöner eingerichtet ist."

    Ich nickte kurz.


    "In Ch'in ist es sehr wichtig, das Gesicht zu wahren. Insbesondere in der Öffentlichkeit. Und, ganz ehrlich, du warst kurz davor mich in Verlegenheit zu bringen. Das konnte ich nicht zulassen. Wehtun wollte ich dir dabei aber nicht. Dass ich es trotzdem getan habe, ist nicht entschuldbar. Das zeigt nämlich, dass ich mich selbst nicht im Griff hatte. Selbstbeherrschung ist auch sehr wichtig in Ch'in, vor allem für einen Beamten und Gelehrten wie ich es war. Dann kommt auch noch hinzu, dass vor fünf Jahren meine Frau bei der Geburt meines Sohnes gestorben ist. Mein Sohn starb kurz darauf. Seitdem lebe ich enthaltsam. Du hast mich diesbezüglich ebenfalls provoziert. Das ist zwar keine Entschuldigung, aber eine Erklärung. Ich lebe enthaltsam, bis ich der Meinung bin, dass es an der Zeit ist, das zu ändern."


    Ich redete ganz ruhig und objektiv. Keine Gefühlsregung war zu bemerken.


    "Außerdem bin ich mir nicht sicher, wie die philosophischen Lehren des Ostens genau zu deuten sind. Allerdings wächst meine Überzeugung, dass die Aufhebung der Gegensätze das höchste Ziel ist. Die Gegensätze bedingen einander. Kein Vergnügen bedeutet auch kein Leiden. So lange ich mir nicht sicher bin, werde ich meine Einstellung zum Vergnügen auch nicht ändern. Ich weiß, dass sich das unendlich hart gegen mich selbst anhören muss, das ist es vielleicht auch. Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, aber ich erwarte, dass du das akzeptierst."

    Nachdem der Altar so weit komplett war, hatte ich etwas Weihrauch organisiert. Hier, wo meine Ahnen mir nahe waren, konnte ich ihnen gedenken. Das letzte Mal war das in meinem Haus in Han geschehen.


    Ich entzündete den Weihrauch vor dem Altar und verbeugte mich dreimal. Dann setzte ich mich auf meine Knie und begann zu meditieren. Was wohl mein Vater in meiner Situation getan hätte? Wäre er zufrieden mit mir? Hätte ich seinen Segen für diese Akademie? Ich verharrte eine ganze Weile in tiefer innerer Versenkung, bevor ich mich wieder erhob, dreimal tief verbeugte und den Ahnentempel wieder verließ. Der Weihrauch war inzwischen vollständig verbrannt.


    Der Ahnentempel ist ein fensterloser Raum, der nur durch das Licht von Öllampen erleuchtet ist. Wenn man den Raum durch die Tür betritt, sieht man direkt auf den einfachen hölzernen Altar. Auf diesem Altar sind auf Holz gemalte Kalligraphien der Namen der Ahnen des Marcus Achilleos angebracht - so weit er deren Namen kannte. Die Kalligraphien sind in chinesischen Schriftzeichen verfasst, darunter stehen die Namen noch einmal in Attisch.

    Der Rest der Tagschicht verlief ohne weitere Zwischenfälle. Echion kam irgendwann vom iatreion zurück, mit einem Arm in einer Schlinge ruhig gestellt. Seine Schulter war wohl etwas gezerrt. Ich befreite ihn daher für die nächsten beiden Tage von schwerer Arbeit, allerdings würde er den Übungen zumindest zusehen müssen. Schließlich konnte man auch durch zusehen lernen.


    Die Nachtschicht verlief ähnlich wie die Tagschicht, nur dass dort niemand vorlaut war und andererseits auch niemand herausragenden Ehrgeiz zeigte. Dafür waren die Übungen im Schein der Fackeln anspruchsvoller und hatten etwas Mystisches an sich. Zum Sonnenaufgang war dann wieder Wachwechsel. Für mich hieß das, dass ich einige Stunden frei haben würde. Ich würde zuerst zur Baustelle meiner Akademie gehen und danach etwas Schlaf in meinem zimmer im Museion versuchen zu finden.

    Auch wenn es schon lange dunkel war, würde mich die Wache sicher nicht weiter behelligen, da ich erstens das Königsviertel verließ und zweitens in Begleitung von Iunia Urgulania und ihrem Sklaven war. Am Tor angekommen, drehte ich mich zu Urgulania um und lächelte sie an.


    "Danke, dass du mich noch persönlich bis zum Tor begleitet hast. Es waren wirklich interessante Diskussionen die wir hatten."


    Ich verbeugte mich wie üblich.


    "Bis zum nächsten Diskussionsabend."

    "Ich werde dir dann eine Nachricht zukommen lassen. Doch nun ist es an der Zeit, zum Tor zu gehen."


    Ich hätte es sicher auch noch Stunden hier ausgehalten, aber es brachte sicher nichts, völlig übermüdet beim Strategos zu erscheinen.

    "Das mag schon sein. Wir werden uns auf jeden Fall wieder begegnen. Schon allein, um wieder zu diskutieren. Jedenfalls habe ich schon seit mindestens einem Jahr keine solch scharfsinnige Diskussion wie heute mehr gehabt. Dafür möchte ich dir noch einmal ganz herzlich danken. Es war eine große Freude, mit dir zu diskutieren."


    Das war keine Höflichkeitsfloskel, sondern ganz genau so gemeint, wie ich es gesagt hatte. Und das merkte man mir auch an meiner ganzen Gestik an, auch wenn die Gesichtszüge bei den Lichtverhältnissen nicht ganz deutlich zu erkennen waren.

    Wenn man einmal davon absah, dass ich zumindest den einen oder anderen Barbaren, dem ich in der Schlacht begegnet war ganz sicher kein zweites Mal begegnen würde - jedenfalls nicht im Leben - war an ihrer Aussage durchaus etwas dran.


    "Ich denke, das trifft vor allem dann zu, wenn man in der gleichen Stadt lebt? Ausgenommen vielleicht Rom, da sollen ja eine Million Menschen leben."

    Das Innere der Villa erinnerte mich an Parthien. Sehr schön eingerichtet, fast schon wie aus einem Traum. Ich ging zu dem Springbrunnen und betrachtete das Spiel der Wellen, wobei ich die Arme hinter meinem Rücken verschränkt hatte.

    In der vollständigen Kleidung eines Jìnshì, also mit Seidengewand, Stoffmütze und Schwert, war ich nach dessen Brief zu seiner Villa gegangen. Dort angekommen, klopfte ich an die Tür und wartete, dass mir geöffnet würde.