Beiträge von Titus Decimus Vestinus

    Nachdem erst centurio Iulius Licinus das Wort ergriffen und dabei so laut geschrien hatte, dass auch wir legionarii, die etwas weiter hinten geblieben waren, verstanden hatten, was er den verängstigten Bauern mitteilte, ritt auch der tribunus nach vorn. Anscheinend war er nicht geneigt, die ängstliche Zurückhaltung der Menschen noch länger zu ertragen.


    Aber was sollte man in so einer Situation auch tun? Während ich dastand und darauf wartete, dass etwas geschah, versuchte ich, mir vorzustellen, was ich tun würde, wenn ich dieser Bauer wäre, Frau und Kinder hätte oder ein Bürger der Stadt wäre, die nun so verlassen dalag. Würde auch ich mich dem Heer entgegenstellen oder zumindest dem kleinen Teil, der dieses große Heer repräsentierte?
    Was mich zusätzlich beunruhigte, war die Tatsache, dass wir auf diese Bauern angewiesen waren. Wir hatten zwar Geld, um etwas zu kaufen, aber hatte Geld allein in Zeiten wie diesen Überzeugungskraft genug?

    Schon nach wenigen Minuten in der Stadt verstand ich, was diejenigen meinten, die sagten, die Stadt sei wie ausgestorben. Nur hier und da huschten ein paar Leute unruhig umher, ansonsten war es ruhig. Zu ruhig für einen Frühlingstag wie diesen.
    Während des Marsches durch die Stadt schaute ich immer wieder nach links und rechts und versuchte, mir einen Eindruck zu verschaffen, damit ich den Kameraden, die nicht mitgekommen war, am Ende wenigstens etwas zu erzählen hatte. Aber viel zu berichten gab es wohl nicht, außer dass hier kaum jemand war. Nur an einer Ecke stand ein kleiner Junge, der uns interessiert anglotzte, als wir ein Stück entfernt an ihm vorüberzogen. Das war aber auch das Spannendste. Bisher zumindest.

    Also hatte ich recht gehabt. Er war alles andere als glücklich darüber, nicht mehr bei den Reitern zu sein.
    "Eine Fügung der Götter." wiederholte ich und schmunzelte. "So habe ich es noch gar nicht gesehen. Ich hab eher an einen Zufall gedacht." Aber wer war ich schon, um zu wissen, wer von uns beiden richtig lag. "Auf jeden Fall freue ich mich, dass du da bist."


    Da wir noch immer drinnen standen, schlug ich erneut vor, hinauszugehen und unser Gespräch dort fortzusetzen.

    Noch wusste ich nicht genau, was in der Stadt eigentlich los war, denn bisher war ich verschont geblieben. Verschont davon, das Lager zu verlassen und nach Mantua zu gehen, das derzeit für die verrücktesten Gerüchte sorgte. Noch gestern Abend hatte irgendjemand gesagt, dass die gesamte Stadtbevölkerung inzwischen tot sei, warum auch immer und sich dann auf die Latrine verzogen. Sah ziemlich schlecht aus, der Kerl, aber wahrscheinlich hatte er nur Angst.
    Unbegründet, wie mir schien, denn heute Morgen erwachte er völlig gesund und war zudem noch glücklich, da ihn das Los oder was auch immer entschieden hatte, wer heute nach Mantua musste, anders als mich, nicht getroffen hatte.


    Es war noch ziemlich früh und im Gegensatz zu den Glücklichen, die sitzen durften, hatte ich einen Stehplatz erwischt. Dennoch wirkte ich nicht unglücklicher als der Rest meiner Kameraden.

    "Ähm .. ja .. ehm .. hehe." antwortete ich etwas verlegen auf seine Frage. "Ja, du liegst richtig, ich wollte auch zur Reiterei. Ursprünglich. Aber meine Pläne haben sich geändert. In Wahrheit war ich wohl einfach nicht so ambitioniert wie du." Ich überlegte, ob das vielleicht etwas zu lasch klang und um nicht den Eindruck zu erwecken, dass mir mein Fortkommen völlig egal sei, fügte ich erklärenderweise noch ein bisschen mehr hinzu. "Ich liebe Pferde einfach nicht so wie du. Das tust du doch noch, oder? Deshalb war die Reiterei wohl doch nicht so ganz das richtige für mich. Habe ich während der Ausbildung gemerkt. Deshalb bin ich jetzt noch Legionär und wie gesagt, zufrieden damit. Ich bin gern Stoppelhopser." fügte ich hinzu, wobei ich meinem Bruder grinsend die Zunge rausstreckte. Aber dass es bei der Reiterei kein Fortkommen gab, war mir neu. Vermutlich, weil ich zu wenig Kontakt zu ihr hatte bzw. gar keinen.
    Man sollte meinen, dass man, wenn man zu einem Lager gehört, irgendwann einmal Kontakt zu allen hat, aber das war nicht der Fall. Zumindest nicht bei mir. Meine Stubenkameraden kannte ich und auch die, die in der Nähe wohnten, aber die anderen waren mir fremd.


    "Du wirkst sehr ernst." sagte ich, als ich meinen Gedankengang beendet hatte. "Nicht sehr zufrieden. Oder bilde ich mir das ein? Bist du enttäuscht, nicht mehr bei den Reitern zu sein?" Sicherlich, sagte ich mir, wartete aber, was mein Bruder dazu zu sagen hatte, bevor ich meinen Verdacht laut äußerte.

    "Ja. Immer noch hier!" antwortete ich. Ach was! Ich schrie es fast, so groß war meine Freude. "Und zufrieden damit .... meistens." setze ich mich mit einem Grinsen hinzu. Ob er mein Stapfen gehört hatte? Er war immerhin mein Bruder und wusste sicher, was es zu bedeuten hatte, wenn ich trampelnderweise Türen aufschlug.


    Aber was machte er nun hier? Er wollte reden, hatte er gesagt. Natürlich, gern! "Ja." sagte ich, nachdem ich meine Stimme wieder etwas gedrosselt hatte und er im Gegenzug mit dem Schütteln meiner Person fertig war. "Dann lass uns mal ein ruhiges Plätzchen suchen, obwohl, wie du siehst, es hier auch gerade ziemlich ruhig ist. Aber du willst sicher nach draußen, oder? Es ist ja doch ein bisschen miefig hier drin."
    Ich kratzte mich am Hinterkopf, was ich immer tat, wenn ich überlegte oder noch etwas unschlüssig war. Dann fiel mir ein, was ich beim Hereinkommen gesehen hatte. "Sag mal. War das eigentlich Legionärsausstattung, die du da eben in den Schrank verfrachtet hast? Obwohl .. äh .. sag mir erstmal, wo du hinwillst, dann reden wir in Ruhe weiter." Wahrscheinlich hatte ich wieder irgendeine Entwicklung nicht mitbekomen. War mein Bruder wieder Legionär? Ich dachte, er liebte Pferde.

    Für gewöhnlich waren die Baracken zu dieser Tageszeit wie ausgestorben, deshalb freute ich mich darauf, wenigstens einmal ein paar Minuten allein zu sein. Ruhe konnte man immer gebrauchen, vor allem dann, wenn die Kameraden so nervig waren, wie heute, aber vielleicht lag es auch daran, dass ich einfach schlechte Laune hatte. Warum, wusste ich allerdings auch nicht, war wohl einfach ein blöder Tag.


    Da ich niemanden erwartete und auch weit und breit niemand zu sehen war, entschied ich mich, wenigstens hier meiner Laune ihren Lauf zu lassen und stapfte wenig elegant auf die Tür meines contuberniums zu, die ich dann auch schwungvoll aufstieß.
    Doch kaum hatte ich den Raum betreten, blieb ich wie angewurzelt stehen, denn innendrin stand jemand und dieser Jemand war mein Bruder.
    "Celsus!" rief ich, hoch überrascht. "Meine Güte, welche Freude, dich zu sehen! Kommst du, um mich zu besuchen oder wie darf ich mir deine Anwesenheit erklären?"
    Es freute mich wirklich, ihn zu erblicken, denn seitdem er seinen Weg bei den Reitern fortgesetzt hatte, hatte ich ihn nicht mehr gesehen.

    Anscheinend hatte der decurio seine eigenen Schlüsse aus den in regelmäßigen Abständen zu Boden fallenden Ausrüstungsgegenständen gezogen. Jedenfalls befahl er uns, die Übungen einzustellen und uns in einer Reihe aufzustellen. Ich verstand nicht recht, warum er die Übung beendete, denn obwohl ich selbst langsam müde wurde, übertrug ich dieses eigene unbewusste Gefühl nicht unmittelbar auf meine Kameraden, sondern glaubte nach wie vor, dass die Fehler auf mangelnde Konzentration zurückzuführen waren.
    Kaum standen wir, stellte er uns eine Frage, auf die wir alle zunächst mit Schweigen antworteten. Dann jedoch kamen hier und da einige Anmerkungen, aber kaum in ganzen Sätzen. Schleuder und Wurfspeer waren da zu vernehmen. Ein anderer tippte auf den Bogen als Hauptwaffe der Reiterei. Ich selbst sagte nichts, denn auch ich wusste nicht viel mehr, vielleicht sogar weniger.

    Ein neuer Tag brach an und sogleich fühlte ich, dass ich mich dem nicht entziehen konnte. Der anbrechende Krach war Grund genug selbst den faulsten unter den Kameraden aus dem Bett zu ziehen. Dennoch gab es einige Langschläfer unter uns, die nur deshalb ständigen Strafen entgingen, weil sie andere Kameraden hatten, die sie regelmäßg wachrüttelten.

    "Hey, hey, hey!" hörte ich es rufen. "Wach auf! Du wirst es nicht glauben, aber wir müssen heute ausnahmsweise mal früh aufstehen." Unsanft fiel mein eben noch friedlich schnarchender Nebenmann aus dem Bett und bedankte sich schlaftrunken bei seinem Wohltäter, dann hob er seinen Kopf, der, wie gut jeden zweiten Morgen, beim Sturz auf die Bretter geknallt war und schlurfte seiner Ausrüstung entgegen.


    Fünf Minuten später standen wir vor der Tür. Alle .. und blickten erwartungsvoll in die Augen unseres centurio, denn wir spürten den Hauch des Besonderen in der Luft.

    Anscheinend schienen wir den Decurio dieses Mal zufrieden gestellt zu haben. Zumindest gab es keine Tadel mehr und so lief der Rest der Übung relativ ruhig ab.


    Wenig später standen wir erneut den uns vertrauten Pfählen gegenüber und wieder rannten die Knechte von rechts nach links und waren damit beschäftigt, die abgefallen Strohsäcke flink zu befestigen.


    Ich hielt mein Holzschwert fest in der Hand und den Schild erhoben. Damals, als ich meine Ausbildung zum euqes begann, bekam ich noch Muskelkater von den ungewohnten Haltungen. Ich war nicht gewöhnt, Schild und Schwert zu halten, während ich auf einem Pferd saß, doch mit der Zeit hatte sich eine Routine eingestellt, die mir diese Prozedur erleichterte. Zufrieden stellte ich fest, dass sich auch nach längerer Krankheit nicht wirklich etwas zum Schlechteren gewendet hatte und dass ich mich schon nach einigen Stunden wieder daran gewöhnt hatte. Vermutlich war es auch eine Sache der Technik. Die alte Topform jedoch hatte ich noch nicht wieder erlangt und wahrscheinlich würde mich das auch noch einige Woche kosten.


    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass ein Kamerad sein Schild verloren hatte und einem anderen blieb das Holzschwert im Strohsack stecken. Arme Typen, dachte ich, vermutlich würden sie Ärger bekommen. Ein Scheppern in meiner Nähe verriet mir, dass auch mein Nebenmann wohl noch Probleme mit dem Schild hatte.

    Zitat

    Original von Marcus Iulius Licinus
    "Verdammt noch mal, was war das denn? Bei wem habt ihr eure Grundausbildung gemacht?! Oder seit ihr alle Patriziersöhnchen, die sich darum gedrückt haben?!"


    Ich ja, hörte ich einen neben mir zu seinem Kameraden flüstern, der daraufhin schelmisch grinste.
    Den beiden schien die Rüge ja nichts auszumachen, aber ich hatte schon während meiner Grudnausbildung gemerkt, dass die Legion für einige nur wie ein lustiges Kriegsspiel wirken musste. Meist für die, die ohne Probleme wieder nach Hause konnten und vom Geld ihrer reichen Eltern leben konnten. Einen hatte ich sogar kennengelernt, der nur darauf wartete, dass sein alter Herr das zeitliche segte. Wenige Wochen später war er auch weg.


    Die meisten jedoch wirkten beschämt oder betroffen und ritten in Ausgangsposition zurück, um es noch einmal zu versuchen. Ich hielt mein Tempo und kam damit gut aus, denn nun passten sich auch die ganz schnellen und die ganz langsamen der Mitte an. Ein paar Zentimeter Unterschied gab es trotzdem noch, denn hier und da setzte einer in einem unachtsamen Moment die Hufe seines Pferdes einen halben Schritt zu weit nach vorn.

    Nachdem die Übung beendet war, hatten wir binnen kürzester Zeit wieder Aufstellung aufgenommen und bekamen neue Befehle.


    Erneut teilten wir uns in zwei Gruppen und ritten in entgegengesetzten Richtungen davon. Ich überblickte die Gruppe der mir fremden Gesichter und versuchte, den Kameraden ausfindig zu machen, mit dem ich schon zu Beginn des Tages geübt hatte, doch diesmal war er an der anderen Seite der Reihe und wir würden uns wohl nicht begegnen. Es sei denn, das Pferd ging mit ihm durch.


    Ich hob mein Holzschwert und drehte es kurz in meiner Hand, um es von allen Seiten zu betrachten und es mir noch vertrauter zu machen. Irgendwie ein Tick, denn ich auch immer mit dem Löffel vollführte, wenn ich Suppe aß.


    Dann ritten wir los und ich konzentrierte mich. Ich war etwa in der Mitte der Reihe und legte eine moderate Geschwindigkeit an den Tag. Überhaupt teilten sich die Reihen momentan in drei Lager. Die Schnellen, die auf Befehl sofort lospreschten und mit Eifer auf ihren "Gegner" zuritten, die langsamen, die mit dem Pferd noch etwas Probleme hatten und deshalb langsamer ritten, um die Kontrolle zu behalten und den Ablauf nicht zu behindern und dann solche wie mich, die in normaler Geschwindigkeit ritten, sich auf das Tier konzentrierten und den Fokus auf den Gegner lenkten, sobald er schon fast in Reichweite war. Ich hob mein Schwert, als ich mein Gegenüber sah und hieb mit mittlerer Stärke zu, fest genug, damit er etwas spürte und kraftlos genug, um ihn nicht zu verletzen, denn letztendlich war er doch mein Kamerad und das hier nur eine Übung.
    Hier und da konnte ich Ächzen hören, denn manche gaben beim Schlag oder der Abwehr einen Laut von sich. So wie die Ringer, damals, beim Turnier in Mantua.

    In den nächsten Minuten glich der campus einem Marktplatz, auf dem unzählige Individuen beständig hin und her wuselten. Es waren die Knechte, die Unruhe in die sonst beschaulichen und geordneten Reihen der legionarii brachten, denn jedes Mal, wenn einer der Soldaten einen der Säcke vom Pfahl geholt hatte, musst der Knecht sich schleunigst daran machen, diesen wieder zu befestigen, damit der Ablauf reibungslos funktionieren konnte.


    Jemand, der der Anführer der Schar von Männern zu sein schien, schrie von Zeit zu Zeit Anweisungen über die Köpfe der ihm augenscheinlich Untergebenen hinweg. "He, du da! Mach mal ein bisschen schneller." "Richtig aufhängen habe ich gesagt." "Du, beweg dich, wenn du nicht willst, dass sie dir den Kopf gleich mit runterholen!"


    Ich ließ mich davon nicht beeindrucken und folgte akribisch meinem Ablauf. Dabei legte ich, wie in der Übung zuvor, äußerste Sorgfalt und Konzentration an den Tag und außerdem achtete ich darauf, mich ordentlich auf dem Pferd zu halten. Mit Freude konnte ich nach einiger Zeit feststellen, dass es mir von Minute zu Minute besser gelang und ich wieder sicherer wurde. Dennoch konnte ich mich nicht des Gedankens erwehren, dass mich jemand mit Adleraugen beobachtete.

    Es kam mir vor wie drei Jahre, seitdem ich den campus das letzte Mal betreten hatte. Doch es waren nur drei Monate gewesen, drei lange Monate im valetudinarium, in denen ich jeden Tag gezählt hatte. Und das alles nur, weil ich in der Therme ausgerutscht war. Der medicus hatte zwar gesagt, dass ich froh sein konnte, mir nicht das Genick gebrochen zu haben, aber das war für mich keine Entschuldigung. Schließlich lebte ich noch und so hatte ich auch Gelegenheit genug, mich selbst und meine Lage zu bedauern.


    Ich wusste, dass die anderen mit jedem Tag weiter vorankamen. Sicher waren meine Kameraden inzwischen fertig ausgebildete equi und nur ich trat noch auf der Stelle. Aber es hätte schlimmer kommen können. Eine Woche bevor ich aus diesem stinkenden Lazarett entlassen wurde, teilte man mir mit, dass eine neue Reitergruppe inzwischen an der Stelle angelangt war, an der ich meine Ausbildung hatte beenden müssen und so fügte ich mich in die neuen Reihen und führte fort, was ich nicht zu Ende hatte bringen können.


    Der Tag war schon etwas fortgeschritten und mein Hinterteil schmerzte vom stundenlangen Sitzen. Doch Müdigkeit war noch nicht gefragt, deshalb biss ich die Zähne zusammen und befolgte akribisch jeden Befehl des erfahrenen decurio.
    Mit Konzentration ritt ich meinem Kameraden entgegen und versuchte, sein Schild mit meinem Schwert zu treffen. Mit der flachen Seite, wie befohlen. Es tat gut, diese Bewegung, denn es war kalt draußen. Kälter als sonst, wie mir schien, aber wahrscheinlich lag es nur daran, dass ich in den Wochen, die ich im Warmen lag, verweichlicht war und mich erst einmal wieder an echte Temperaturen außerhalb meiner behaglichen vier Wände gewöhnen musste.
    Wir sprachen kein Wort während dieser Übung, denn sie erforderte äußerste Konzentration. Ich wollte mein Gegenüber fordern, ohne ihn vom Pferd zu stoßen oder ihn anderweitig verletzen und natürlich wollte ich auch den Tieren der Legion kein Leid zufügen.