Beiträge von Penelope Bantotakis

    “Oh, nein, fang du nicht auch noch damit an.“
    Beinahe resignierend nahm Inhapy einmal ihre Hände hoch, als wolle sie die Götter anflehen. Ánthimos bekam auch gleich die Erklärung für ihre Geste.
    “Neuerdings ist hier in Rhakotis schon ein verrückter Grieche, der alle Eltern überreden will, die Kinder zu ihm zu schicken, damit sie lesen lernen. Ich meine, sind die jetzt alle verrückt geworden? Natürlich würde ich ihm meine Kinder schicken, aber die großen müssen arbeiten. Hatnofer geht bei mir in die Lehre, Hay und Bay arbeiten beim Ziegelmachen. Wer kann sich so einen Blödsinn schon erlauben? Zum Lesen lernen…“
    Inhapy hatte da wohl herzlich wenig Verständnis dafür. Natürlich war es für das ein oder andere Kind die Möglichkeit, mehr aus seinem Leben zu machen. Aber welche Familie konnte es sich schon leisten, auf eine Arbeitskraft zu verzichten? Erst recht bei den Ägyptern, die auch wenn sie lesen konnten selten so gute Arbeit bekamen wie ihre griechischen Mitbürger. Die Kinder, die jetzt bei diesem seltsamen Griechen waren, stammten also ausnahmslos aus Familien, denen es ohnehin schon besser ging als den meisten. Wer wirklich arm war, konnte es sich nicht erlauben, ein arbeitsfähiges Kind nicht arbeiten zu schicken.
    “Ich musste in meinem ganzen Leben noch nichts lesen. Alles, was ich wissen muss, ist hier drin“, und bei diesen Worten tippte sie sich gegen den Kopf, “und ich muss nicht erst irgendwo nachschauen, weil ich es vergessen hätte. Wenn man etwas kann, kann man es auch ohne es zu lesen. Und wenn du von mir lernen willst, dann musst du es auch auswendig lernen, ohne vorher nachschauen zu müssen.“
    Inhapy war der festen Überzeugung, dass die Griechen nur deshalb alles im Museion aufschrieben, weil sie es sonst gleich wieder vergessen würden. Daher hielt sie auch nicht so viel davon. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Ánthimos streng.
    “Na gut, versuchen können wir es ja mal.“

    Jetzt hatte Ánthimos es geschafft. Inhapy saß einen Moment sprachlos da und schaute ihn an. Und Inhapy war nie sprachlos und wusste sonst immer etwas zu sagen. Bis sie sich gefangen hatte, dauerte es einen Moment.
    “Du willst Hebamme werden? Aber du… du bist ein Mann! Männer verstehen nichts von den Vorgängen… also…“
    Verwirrt schüttelte Inhapy den Kopf und stand auf. Sie ging die paar Stufen der Treppe hinunter und lief auf der sandigen Straße ein wenig auf und ab. Sie musste das kurz überlegen.
    “Ich werde dir nichts über die Geheimnisse bei der Geburt erzählen. Du bist ein Mann!“
    Sie drehte sich und stapfte wieder in die andere Richtung.
    “Höchstens, was so grob passiert, aber denk gar nicht dran, bei einer Geburt ins Zimmer zu wollen. Männer haben da nichts zu suchen.“
    Und wieder Richtungswechsel, diesmal wieder auf Anthi zu.
    “Bei den Kräutern kenn ich nur die ägyptische Medizin, nicht was die Griechen im Museion machen.“
    Und wieder auf dem Absatz kehrt und weitermarschiert.
    “Natürlich könnte ich dir das beibringen, aber das wird dir im Mueion wohl nicht viel nützen dann. Die machen das meiste doch etwas anders.“
    Und wieder auf ihn zu.
    “Ich meine, die versuchen immer hinter den Sinn und Zweck des Ganzen zu kommen und alles haarklein aufzuspalten. Und ich kann nicht mal lesen, um das ganze aufzuschreiben.“
    Jetzt blieb Inhapy vor Ánthimos stehen und sah ihn streng an.
    “Was ich mache, ist sehr altes Wissen. Über Generationen erlernt und weitergegeben. Das lernt man nicht einfach eben mal so schnell. Also, wenn du das willst, muss es dir damit auch wirklich ernst sein, weil ich hab nicht so viel Zeit, als dass ich die sinnlos verschwenden möchte.“
    Wenn Anthi das wollte, konnte sie ihm die Heilpflanzen beibringen. Auch wenn er ein Mann war. Und noch schlimmer, ein Grieche. Aber dann musste es ihm wirklich ernst sein und nicht nur eine spontane Idee, denn Inhapy hatte Männern gegenüber nur eine begrenzte Geduld.

    Inhapy schaute ein bisschen verwirrt zu Anthi, offenbar überraschte sie der Themenwechsel doch ein wenig.
    “Vom Museion? Nunja, die haben schon sehr gute Ärzte dort, heißt ja nicht umsonst, dass es die besten der Welt wären. Also, wenn man sich was bricht oder sich schwer verletzt, sind die sicher die richtige Adresse.
    Aber wenn du überlegst, mit Penelope eher dahin zu gehen als zu mir, vergiss es lieber gleich wieder. Von Frauen haben die da absolut keine Ahnung, und von Geburt noch viel weniger! Und ich würde nie zulassen, dass einer dieser Männer ihr irgendwelche Flausen in den Kopf setzt!“

    Inhapy hatte die Frageintention natürlich falsch verstanden, und daher war ihr Ton bei den letzten Sätzen wieder ihr gewohnter Befehlston, mit dem sie auch gut und gerne eine ganze Legion herumkommandieren hätte können.

    “Bring sie am besten her. Eines meiner Kinder ist auf jeden Fall da, um sie in Sicherheit zu bringen. Aber ich kann nie sagen, ob ich da bin. Die Babys fragen mich nicht vorher, ob sie auf die Welt kommen dürfen, die kommen, wann sie wollen. Dann muss ich los.“
    So war es das einfachste, und Neferu wäre in Sicherheit.

    Inhapy sah sich ein wenig übertrieben um, und deutete dann mit den Händen unbestimmt auf die Umgebung hier.
    “Es ist in Rhakotis. In einer der nicht ganz so guten Ecken. Beim ersten Mal bin ich ja auch durch die alte Tür gekommen ohne Probleme, aber da war es nur ein Holzschloss. Wenn du mit deinem Krach die Nachbarn nicht störst, glaub ich nicht, dass sich irgendwer für dich großartig interessiert. Das Haus liegt fast eingeschlossen zwischen den Nachbarhäusern.

    Die Haustür ging auf und ein Mann zwischen 30 und 40 schaute kurz heraus. Er betrachtete Anthi kurz skeptisch und wandte sich dann an seine Frau. Auf ägyptisch natürlich, hatte er ja auch keine Ahnung, dass der Grieche ihn verstand und waren seine Worte ohnehin für seine Frau bestimmt. Abgesehen davon sprach Amosis nicht so gut griechisch und so gut wie gar kein Latein.
    “Ich bin mit den Kleinen ein wenig im Hof spielen. Hay und Bay haben irgendwoher einen Ball aufgetrieben.“
    Er lächelte zu seiner Frau herunter, und sie lächelte kurz sanft zurück, bekam dann aber gleich wieder diesen herumscheuchenden Gesichtsausdruck.
    “Schau auch gleich, ob das Feuer richtig brennt, und das Gemüse kannst du auch gleich aufsetzen. Wenn du schon mal im Hof bist.“
    Ihr Mann bekam kurz einen klagenden Gesichtsausdruck, senkte dann aber beim strengen Blick seiner Frau gleich den Kopf. Als sie sich wieder wegdrehte und zu Ánthimos, schaute Amosis auch hoch und schenkte Anthi ein Zwinkern. Der durfte ruhig wissen, dass er nicht so sehr litt, aber seine Frau liebte es eben, ihn herumzuscheuchen, noch viel mehr, wenn sie glaubte, sie müsse ihn scheuchen.


    Inhapy indes bekam das gar nicht mehr mit und redete wieder mit Anthi, als ihr Mann die Türe schloss.
    “Ja, das Haus hat nur sehr kleine Fenster, wo man nicht rauskommt. Die Hintertür hat er zugemauert, dieser verrückte, und an der Vordertür gibt’s nun ein Schloss mit Eisenbeschlägen. Und die Tür ist verdammt dick. Ich hab’s versucht, durchzukommen, aber ich hab sie nicht auf gekriegt. Und ich kenn seine Nachbarn nicht so gut und weiß nicht, wo die stehen. Vermutlich halten sie sich raus, aber wer weiß das schon so genau?“

    “Ja, er arbeitet am Hafen, hilft beim Verladen der Schiffe und bei den Lagern. Aber er steht erst spät auf, meistens ist er am frühen Nachmittag dort und kommt irgendwann vor Einbruch der Dunkelheit dann heim.“
    Inhapy hatte seine Frau ja so auch das letzte Mal von ihm weggeholt. Aber nun hatte sein Haus eine neue Türe. Eine sehr stabile.

    So ein großer, starker Kerl, und er schien von Inhapy richtig eingeschüchtert zu sein. Zumindest kam er ihr so vor, wie er im Moment dastand und sie um Rat fragte. Inhapy musste leicht grinsen und schüttelte den Kopf.
    “Hast du nicht gemeint, dir würde schon was einfallen? Nein, sie darf das Haus nicht verlassen, die arme. Sie und das Kind sind da nun schon seit drei Wochen eingesperrt. Aber glaub mir, wenn du ihr sagst, du bringst sie weg und in Sicherheit, wird sie wohl keine Sekunde zögern und mit dir mitkommen.“

    Inhapy sah ihn einen Moment verwirrt an, dann hatte sie ihren üblichen, skeptisch-überlegenen Blick wiedergefunden und sah Ánthimos an wie einen ihrer Jungs, wenn er was angestellt hatte.
    “Ach, sei nicht albern.“
    Sie setzte sich bequem auf die Stufen ihres Hauses und deutete Anthi mit einer Hand, er solle sich ebenfalls hinsetzen. Auswahl hatte er da genug. Außer den Stufen gab es auch noch eine kleine Mauer, die wohl in besseren Zeiten mal eine Gartenmauer hätte werden sollen und auch etwas, das wohl einmal eine richtige Sitzbank war.
    Inhapy selber hatte mit ein paar schnellen Handgriffen ihre Haare wieder soweit gerichtet, dass es ordentlich aussah. Dabei begann sie shcon ganz von alleine, zu erzählen.
    “Ich habe mich umgehört und wüsste einen Ort, wo Neferu bleiben kann. Eine Cousine meines Mannes hat auch vor zwei Monaten ein Kind bekommen, aber sie hat zu wenig Milch. Sie und ihr Mann würden Neferu als Amme wohl nehmen. Jetzt müsste man sie nur noch aus dem Haus holen.“

    Einen Moment lang schaute Hay noch skeptisch drein, und dann machte er das, was wohl jedes Kind in dem Alter tat.
    “Maaaamaaa? Ist für diiiich.“
    Und schwupps war er auch schon im Inneren des Hauses verschwunden, auf der Suche nach etwas essbarem. Das Haus war ja nicht so groß, als dass man die Kinderstimme hätte überhören können, und so musste Ánthimos auch nicht lange warten, bis die Hebamme an die Tür kam. Inhapy war wohl ein klein wenig abgelenkt, denn sie lächelte Anthi entgegen ihrer sonst so forschen und fordernden Art grade ziemlich glücklich einen Moment an, bis sie ihn richtig begrüßte.
    “Ánthimos? Ach, ja, du wolltest ja heute vorbeikommen, ich hab dich irgendwie schon ganz vergessen. War eine ziemlich hektische Woche, kann ich dir sagen.“
    Ihr Haar war heute offen und ein wenig wild. Und auch ihre Kleidung war nicht ganz so akkurat wie sonst, sondern sah ein wenig bequemer aus – was sie auch war. Offenbar hatte sie wirklich mit ihm heute nicht gerechnet.
    Sie kam zu ihm vor die Türe – wie gesagt, so groß war ihr Haus nicht und aus irgendeinem Grund war ihr das vor der Türe im Moment wohl lieber. Dann fasste sie sich gegen den Kopf, wie man es zu tun pflegte, wenn einem plötzlich wieder etwas einfiel, was man total vergessen hatte.
    “Achja, wegen meiner Freundin wolltest du ja noch mal vorbeischauen. Heute bin ich wohl ein wenig durch den Wind.“

    Heute war dieser eine Tag in der Woche, an dem Inhapys Mann und die ältesten Söhne nicht arbeiten waren. Manchmal hatte es auch Vorteile, wenn man für einen jüdischen Ziegelmacher arbeitete, so bekam man wenigstens immer einen tag in der Woche sicher frei. Also öffnete auch nicht Inhapy selber die Türe, sondern einer ihrer Zwillingsjungs. Mit seinen elf Jahren kam sich Hay schon richtig groß vor, und für sein Alter waren er und sein Bruder auch hoch gewachsen. Wäre er Mitglied einer reichen Familie und hätte die Zeit gehabt, aus ihm hätte man sicher einen herrlichen Krieger oder Sportler formen können. Aber so war er doch ein wenig schlaksig, durch die Arbeit braungebrannt und kräftig, aber eher hager als muskulös. Trotzdem ging er Ánthimos nur bis knapp über den Bauchnabel, als er die Türe öffnete.
    Er sah hoch und schaute dabei so skeptisch, wie es Elfjährige nun mal zu tun pflegten, wenn sie überrascht waren. Offenbar traute er der ganzen Sache nicht wirklich, war aber auch gleichzeitig zu neugierig, um unfreundlich zu sein. Also stand er nur da und schaute hoch.
    “Jaaaa?“

    Einen Moment schaute Penelope skeptisch zu ihrem Mann hoch, dann grinste sie ihn frech an.
    “Ich seh schon, kleine Mädchen erwecken in dir jetzt Vatergefühle.“
    Schelmisch strahlte sie ihn an und musste dann lachen. Ein wenig necken musste da sein, denn es war ja wirklich fast so. Seit Anthi wusste, dass sie schwanger war, bekam er immer so einen weichen Gesichtsausdruck, wenn er spielende Kinder sah. Vor allem, wenn es Mädchen waren, seitdem Inhapy ihnen gesagt hatte, dass sie wohl auch ein Mädchen erwarteten.
    Doch dann wurde Penelope auch wieder ernster und dachte noch einen Moment an Axilla. Das Mädchen war vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als Penelope, und trotzdem war das eine ganze Welt zwischen ihnen. Auch ihr kam Axilla eher wie ein Kind vor denn wie eine Frau. Woran genau das lag, wusste sie nicht, vielleicht an ihrer Art, die ein wenig unaufmerksam manchmal schien.
    “Nun, wenn sie vor unserer Tür dann eines Tages steht, weiß ich bescheid. Aber ich glaube auch, du solltest besser nicht mit Urgulania reden und dich raushalten. Das könnte seltsam aussehen, und du müsstest erklären, wieso die die Rhomäerin überhaupt kennst. Vielleicht wirklich einfach mal abwarten. Ich meine, sie ist ja nicht mit uns verwandt.“
    Auch wenn Timos in der einen Nacht wohl den Geräuschen nach einiges unternommen hatte, das zu ändern. Aber das war ja nun auch vorbei.

    Ein klein bisschen überrascht war Penelope schon, dass Ánthimos ihr gegenüber so unverblümt sagte, dass er den Tod wählen würde, wenn ihr und dem Kind etwas geschehen würde. Er war ihr starker Fels, ihr Beschützer, und in diesem Moment wirkte er so verletzbar. Es war sehr merkwürdig, und Pelo wusste einen Moment nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie sah ihn nur nachdenklich an und versuchte, sich darüber klar zu werden, ob sie sich davon geschmeichelt oder doch eher schockiert fühlen sollte. Ihre Hand wanderte dabei unbewusst zu ihrem Bauch und fuhr sanft darüber.
    “Und auf diesen Hinweis hin ist sie dann weggerannt und hat sogar ihre Tunika vergessen?“
    So, wie Anthi erzählte, war das ganze doch recht sachlich. Zwar sehr traurig, aber doch recht sachlich. Da konnte sie die Reaktion der Rhomäerin nicht wirklich verstehen. Aber andererseits, wer verstand schon die Rhomäer?

    Womit hatte sie nur so einen lieben Mann verdient? Penelope blieb stehen und zog sein Gesicht ein wenig zu sich runter und küsste ihn ganz sanft und glücklich. “Ich liebe dich.“ Und dann küsste sie ihn noch einmal, ein bisschen leidenschaftlicher. Bevor dieser Spaziergang aber noch endete wie so manch anderer ihrer Spaziergänge löste sie sich wieder von ihm und kuschelte sich im Gehen ganz leicht an ihn.
    Jetzt konnte sie auch normal das Gespräch weiterführen, denn ihr Mitleid überwog nun wieder ihre Eifersucht. Ihr Mann wusste einfach, was er tun musste, damit sie sich rundum wohl und glücklich fühlte.
    “Du meinst, Axilla hat Probleme mit der Familie? Aber nicht wegen Timos? Ja, das Mädchen hat auch bei uns ein paar seltsame Andeutungen gemacht, dass sie niemand vermissen würde oder so. Genau erinnere ich mich nicht mehr, was sie gesagt hat, es klang nur… traurig.“

    “Ach, es ist nichts. Du kannst ja nichts dafür, wenn ich… eifersüchtig bin. Ich will es ja auch gar nicht sein, ich meine, du siehst nun mal gut aus. Da ist es natürlich, wenn andere Frauen auch schauen, nicht?“
    Und noch war sie rank und schlank und konnte ihm alles geben, was er brauchte, und das gerne. Sie sollte sich für den Moment nicht so viele Gedanken machen. Es sollte sie nicht stören, solange er mit einer anderen Frau kein Kind zeugte, und das würde er ihr nicht antun. Er liebte sie, so wie sie ihn liebte. Nein, das würde er ihr nicht antun.
    “Ich muss mich wohl nur erst noch daran gewöhnen.“

    Penelope versuchte wirklich, nicht eifersüchtig zu sein. Sie bemühte sich wirklich sehr redlich darum. Natürlich war ihr Mann beim Training nackt und da konnten ihn viele Frauen bestimmt sehen. Und wenn er bei den olympischen Spielen antrat, würden ihn bestimmt noch viel mehr Frauen begehrlich anschauen. Bestimmt auch viele, die um einiges hübscher waren als Penelope, da machte sie sich gar nichts vor. Und sie war ja auch nicht dumm und wusste, dass Ánthimos auch schon vor ihr Frauen hatte. Und sie wusste, dass die Vorstellung fast schon illusorisch war, von einem Mann zu verlangen, seiner Frau ebenso treu zu sein, wie sie ihm zu sein hatte. Zumindest war sie es so gelehrt worden, auch wenn Inhapy beispielsweise etwas ganz anderes sagte.
    Aber es jetzt doch so wieder vor Augen geführt zu bekommen war halt etwas anderes als dieses ominöse Wissen im Hinterkopf, wenn sie sich selbst damit beruhigte, dass er ja ohnehin nur sie liebte. Sie glaubte ihm nach wie vor, dass er sie liebte und sich auch schon auf das gemeinsame Kind freute. Und doch waren seine Worte wie ein kleiner Stich in ihre Seele. Sie musste daran denken, wie sie aussehen würde, wenn das Kind in ihr wuchs. Und wenn es frisch auf der Welt war, war sie wohl körperlich auch nicht imstande, ihm all das zu geben, was er brauchte. Bislang hatte sie sich geweigert, darüber nachzudenken, aber so wie er das jetzt gesagt hatte… Angebote hatte er dann sicher genug.
    Penelope sagte nichts, sondern verfiel in betrübtes Schweigen. Sie wollte so etwas gar nicht denken, aber im Moment drängten sich diese Gedanken ihr einfach auf. Und die ließen sie verstummen, denn sie wollte ihrem Mann da keine Vorwürfe machen. Und es war ja nicht sein Fehler, dass sie ihre Eifersucht so schlecht im Griff hatte.

    Penelope lächelte leicht. Nun war eigentlich alles geklärt und sie waren sonst soweit fertig. Das mit dem Fest konnten sie auch während der ersten Unterrichtsstunde dann besprechen, das klang nun nicht so, als wäre das schon diese Woche und dementsprechend dringlich. Sie wollte den Gymnasiarchos sicher nicht hinauskomplimentieren, das traute sie sich gar nicht, aber eigentlich gab es nichts weiter zu besprechen. Und da stand immer noch Ánthimos mit diesem wunderschönen Blumenstrauß. Daher fragte sie einfach so charmant und neutral wie möglich.
    “Gibt es sonst noch etwas von deiner Seite, Gymnasiarchos?“

    Oh, ja, da freute sich Penelope schon darauf, ihr dann die Tunika wiederzugeben. Höchstwahrscheinlich war sie grade sehr ungerecht, aber wenn man gerade eifersüchtig war, dann waren Frauen nicht für ihre Logik unbedingt berühmt. Und auch Penelope bildete da keine Ausnahme.
    “Und du?“
    Wenn Ánthimos schon so direkt war und gleich aufs Nacktsein so zu sprechen kam, dann konnte sie ja auch mal ganz direkt sein und fragen.

    Penelope interessierte sich eigentlich weniger für die Technik beim Diskuswerfen, aber ihr Mann hatte den Wink wohl eher weniger verstanden. Sie wollte jetzt nicht allzu direkt nachfragen, also versuchte sie es noch einmal etwas dezenter.
    “Und Axilla hat richtig trainiert? Also nicht in diesen rhomäischen Tuniken, sondern… richtig?“
    Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass die Frau nackt durchs Gymnasion gerannt sein sollte. Wobei… so gut kannte sie Axilla ja auch nicht, und was sie gehört hatte von Ánthimos… Vorstellen konnte sie es sich schon… und es gefiel ihr nicht.

    Axilla war gelaufen? Im Gymnasion? Penelope fiel irgendwie gerade siedend heiß ein, dass Läufer üblicherweise nackt waren, und das passte ihr gerade so gar nicht. Und auch, dass Anthimos wohl nackt trainiert hatte, passte ihr noch viel weniger. Sie musste sich schwer beherrschen, um jetzt nichts zu sagen, daher sagte sie erst einmal eine ganze Weile gar nichts.
    “Und du hast auch trainiert, während sie trainiert hat?“
    Irgendwie brannte diese Frage jetzt doch sehr auf ihrer Seele, und sie konnte einfach nicht umhin, ihn danach zu fragen. Es ging einfach nicht, sie wollte Gewissheit haben.