Beiträge von Penelope Bantotakis

    "Ich kann es ja mal versuchen…"
    Irgendwie wurden sie schon wieder langsamer. Und langsamer. Und noch langsamer. Und schließlich standen sie schon wieder und schauten sich schon wieder in die Augen. Penelope fühlte sich plötzlich ganz schwindelig und hatte schon Angst, sie könnte umkippen. Fühlte sich so ein Hitzschlag an? Ihr war auch ganz warm, und ihr Herz schlug so schnell. Aber sie konnte sich irgendwie nicht abwenden. Sie wusste, sie sollte, achwas, sie musste eigentlich wieder auf die Straße schauen und weiter gehen. Aber irgendwie war es plötzlich… egal.

    Wenn man in einer großen Stadt wohnte und kein Geld für eine Sänfte oder ein sonstiges Gefährt hatte, musste man wohl laufen. Und da ihre Speisekammer selten prall gefüllt war hatte Penelope auch keine Chance, Speck anzusetzen.
    Nein, eigentlich weniger. Ich würde das hierher laufen auch nicht unbedingt als Sport sehen. Wobei… ich kann schon ziemlich schnell rennen.
    Ein paar Mal hatte sie es unter Beweis stellen müssen, aber das musste Ánthimos jetzt nicht wissen.
    Ich weiß nicht, ob ich für irgendeinen Sport Begabung hätte, ich hab es noch nie getestet. Das Üben mit der Kithara braucht halt seine Zeit. Vielleicht hast du ja einen Tipp für mich?
    Wieder lächelte sie ihn an. Sie mochte seine Augen einfach und sah gern hinein.

    "Ich geh jeden zweiten oder dritten Tag hin und spiel etwas Flöte. Ich glaube ja, dass es Pan gefällt. Also pass auf, dass ich dir den Weg hoch nicht davonlaufe und dann oben auf dich warte, wie du nach Atem ringend hinterherkommst."
    Jetzt lachte auch Penelope wieder. Ánthimos hatte so eine ansteckend fröhliche Art. Sie musste richtig aufpassen, ihn nicht die ganze Zeit anzulächeln. Nicht, dass er noch auf falsche Gedanken kam. Oder auf die richtigen. Aber sie fing schon wieder damit an, mehr auf ihn als auf die Straße zu schauen.
    Damit das Schweigen nicht zu groß wurde, griff sie wieder ein Thema von vorhin auf.
    "Und Lyros findet die Gelehrten im Museion komisch? Inwiefern?"
    Sie selbst hatte sich ja auch schon mal überlegt, beim Museion anzufragen, ob dort nicht eine Kitharistin für Unterricht oder etwas ähnliches gebraucht werden könnte. Aber sie hatte sich dann doch nicht getraut.

    Das klang ja fast so, als hätte er sich in sie verliebt? Ihr Großvater würde Penelope den Hintern versohlen, wenn sie ihm das erzählte. Falls sie ihm etwas davon erzählte.
    Unterbewusst kam Penelope wieder noch ein Stück näher und legte ihren Kopf träumerisch leicht schief, so dass sie fast damit seine Schulter berührte. Aber nur fast.
    "Pläne weniger. Es sind eher Träume, Hoffnungen. Ich habe nie etwas anderes gelernt als Musik zu machen. Ich möchte gerne meine eigene Musik komponieren und spielen. Und ich würde sie dann auch gerne anderen beibringen. Damit Geld zu verdienen, dass es für ein schönes Haus reicht, und vielleicht…"
    Verlegen brach sie ab und als sie bemerkte, wie nahe sie ihm schon wieder war, rückte sie auch wieder ein wenig von ihm ab. Sie konnte jetzt kaum den Satz beenden mit „und vielleicht eine Familie gründen“. Irgendwie wäre ihr das jetzt peinlich.
    Zwischen den Häusern hindurch hatte man gerade einen perfekten Blick auf den künstlichen Pinienzapfenhügel, auf dem das Paneion stand. Diese Ablenkung kam ihr geradezu wie gerufen.
    "Schau, dort der Hügel. Da ist unser Ziel. Ist aber noch ein gutes Stück bis wir da sind. Ich hoffe, du bist noch einigermaßen fit."
    Der letzte Satz war ein bisschen neckisch und sie zwinkerte Ánthimos verschmitzt zu.

    Er kam noch ein Stückchen näher, und das Herzklopfen kam auch wieder. Penelope richtete eisern ihre Aufmerksamkeit auf die Straße. Aber bei seinen Worten musste sie doch zu ihm hochschauen. Sie sah seinen Blick, und wieder blieben ihre Augen einen Moment an seinen haften, ehe sie ihn wieder lösen konnte. Ein Kribbeln auf den Wangen verriet ihr, dass diese sich weiter gerötet haben mussten.
    "Du darfst mir nicht solche Komplimente machen", meinte Penelope schließlich ganz verlegen.

    "Nein, ich halte dich nicht für komisch und verschroben."
    Sie schaute wieder in seine Augen, und lächelte ihn an, ehe sie den Blick wieder senkte.
    "Ich hoffe, du hältst mich auch nicht für seltsam und komisch."
    Sie bemühte sich, ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen und ging eine Weile einfach so neben ihm her, ohne sich einzuhaken. Aber irgendwie fühlte sich das falsch an, so dass sie nach einer Weile wieder seinen Arm ergriff. Noch einmal schaute sie prüfend und lächelnd zu ihm hinauf, ob es ihm recht war. Sie wollte nicht zu aufdringlich sein.

    In den letzten Jahren hatte ihr Selbstbewusstsein so gelitten, dass es ihr gar nicht aufgefallen war, dass sie ihr Licht so unter den Scheffel stellte. Es tat ihr richtig gut, was Ánthimos da sagte, und so bedachte sie ihn trotz ihrer guten Vorsätze noch einmal mit einem liebevollen Blick.
    Als er sich dann plötzlich von ihr löste, fühlte es sich ganz komisch an. Irgendwie kalt, auch wenn dieses Wort angesichts der ägyptischen Sonne lächerlich klang. Auf den Pflastersteinen konnte man zur Mittagszeit wahrscheinlich Spiegeleier braten. Aber irgendwie fehlte ihr seine Wärme an ihrem Arm.
    Als er dann mit einem frischen Laib Brot zurückkam und ihn ihr reichte, wusste Penelope nicht, was sie sagen sollte. Sie schaute nur auf das Brot und merkte, wie sich ein dicker Kloß in ihrem Hals bildete, der sie keinen Ton herauskriegen ließ. Sie hatte ja gehofft, von Lyros ein bisschen altes Brot mit nach Hause nehmen zu dürfen, ganz wie ein Bettler, und nun ging Ánthimos los, und kaufte ihr, einfach so, einen frischen Laib. Kein altbackenes, hartes Ding, nein, richtiges, frisches Brot. Obwohl sie eigentlich nicht am Wasser gebaut war, merkte sie, dass ihr beinahe die Tränen aufstiegen. So schlicht und ergreifend nett war schon ewig niemand mehr zu ihr gewesen.
    Sie nahm das Brot und schaute einen Moment wie gebannt darauf, um sich zu fangen. Sie wollte nicht, dass Ánthimos es bemerkte.
    "Danke."
    Für mehr Worte war ihre Stimme nicht sicher genug. Sie hätte gerne noch viel mehr gesagt, aber im Moment ging es nicht so wirklich. Und sie konnte ihm kaum sagen, dass sie das so wahnsinnig süß von ihm fand und dass schon lange niemand so nett gewesen war.
    "Das wird schon komisch aussehen, ich mit einem Laib Brot und du mit einer Kithara beim Heiligtum des Pan."
    Pan war ja kein Gott der Bäcker, und die Kithara war Apollos Musikinstrument.

    "Das kann ich mir vorstellen."
    Wenn Penelope auch gerade schwer damit am kämpfen war, es sich besser nicht vorzustellen. Sie hatte eine extrem gute und bildliche Vorstellungskraft, und sich Ánthimos nackt vorzustellen sollte sie im Moment lieber bleiben lassen. Gleich ein anderer Gedanke kam hinterher: Wenn er als Modell halb nackt war, erwartete er das dann auch von ihr, wenn sie ihm Modell stand? Ihre Ohren glühten wieder. Sie hatte nicht unbedingt ein Problem damit, nackt zu sein, sie hatte auch schon einmal im Gymnasion trainiert. Aber irgendwie war die Vorstellung, vor Ánthimos nackt zu sein, ein wenig anders.
    "Also, ich würde dich bestimmt wählen. Ich meine, wenn ich die Ephebia bestanden habe."
    Penelope wunderte sich über sich selbst, was sie für dummes Zeug gerade daherredete. Sie musste sich wirklich wieder mehr konzentrieren.
    "Ich hoffe ja, dass ich vorhin Lyros überzeugt habe mit dem Spiel. Es wäre schön, endlich richtige Arbeit zu haben und nicht herumziehen zu müssen wie ein Bettler."

    Gerade, als sie hoch schaute, schaute er auch wieder runter und Penelope fühlte sich so schrecklich ertappt. Schnell schaute sie wieder auf die Straße, während sie ihren Weg zum Paneion fortsetzten. Ansonsten war sie eigentlich sehr redegewandt, schon allein wegen ihren Auftritten. Aber im Moment fiel ihr absolut nichts ein, was sie Ánthimos sagen könnte.
    Sie überlegte, ob sie vielleicht lieber wieder seinen Arm loslassen sollte. Der Moment eben wäre vermutlich nur halb so peinlich gewesen, wären sie einander nicht so verdammt nahe gewesen. Aber es war unheimlich schwer, den Arm loszulassen. Der Widerwille war so groß, dass sie sich doch lieber bei ihm eingehakt ließ.
    Das Schweigen war ihr peinlich. Aber alle Fragen, die ihr einfielen, konnte sie ihm unmöglich stellen. Auch wenn sie sie gerade interessiert hätten, aber sie wollte nicht zu neugierig sein.
    "Und hast du sonst noch Pläne hier in Alexandria? Also, außer der Arbeit als Schreiber und die Olympiade?"

    Penelopes Herz fing plötzlich wie wild an zu schlagen. Auch waren sie irgendwie erst langsamer geworden und standen jetzt ganz. Sie wollte etwas sagen, aber ihr fiel nichts ein. Sie schaute einfach, und er schaute, und sie beide schauten, und ihr Herz schlug wie verrückt. Er hatte so schöne, braune Augen.
    Ganz erschrocken richtete sich ihr Blick plötzlich wie gebannt auf ihre Füße. Was dachte sie sich nur dabei, ihn so anzuschauen, noch dazu mitten auf der Straße und am helllichten Tag? Ihre Ohren glühten.
    "Tut mir leid, ich träume schon wieder", meinte sie mit starr auf den Boden gerichteten Blick. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie ihn eben so angeschaut hatte. Was er jetzt nur von ihr dachte?
    "Ähm, zum Paneion, richtig? Da, ähm, ja, da müssen wir umdrehen."
    Erst jetzt hob sich ihr Blick wieder schüchtern und mit kurzen, kleinen Blicken aus den Augenwinkeln versuchte sie, zu erkennen, was er nun dachte.

    Sie sah ihn noch ein bisschen fragend an, dann widmete sie sich der Straße. Penelope war sich immer noch nicht sicher, was denn nun wirklich seine Absichten waren, aber sie würde ganz bestimmt nicht danach fragen und sich selbst verraten.
    Nun, das Museion ist gleich da vorne die Straße rein. Das kaum übersehbare da vorne. Und zum Paneion geht es wieder zurück, wo wir grade langgelaufen sind. Ich bin wohl eine schlechte Stadtführerin.
    Jetzt musste Penelope ein wenig lachen. Es fing schon an, sie gingen im Kreis. Sie hätte den Weg wirklich etwas besser Planen können. Mit einem undeutbaren Blick sah sie zu Ánthimos hoch, und diesmal blieben ihre Augen etwas länger wieder auf ihm. Sie mochte sein Gesicht. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie er dieses Schlagen lassen konnte.

    Penelope musterte Ánthimos kurz aus den Augenwinkeln. Wo immer sie ihn hinführte, wenn sie da waren, wollte er es gar nicht sehen. So langsam beschlich sie das Gefühl, dass es ihm mehr um das Spazierengehen mit ihr ging als darum, die Gebäude zu sehen. Und eine weitere Frage kam auf: War das hier eine Verabredung? Penelope fühlte sich mit einem mal etwas unsicher und nervös. Sie konnte sich ja nicht einfach mit einem Fremden verabreden. Schlimm genug, dass sie sich bei ihm einhakte und es ihr auch noch gefiel.
    Sie versuchte, ganz sachlich an die Sache heranzugehen. Ánthimos war ein junger, gebildeter, gutaussehender Grieche. Im Moment war sie so mittellos wie er. Also, selbst wenn es eine Verabredung war, konnte doch eigentlich nichts dagegen sprechen? Sie gingen ja nur spazieren, oder?
    Irgendwie gelang ihr das mit dem „sachlich bleiben“ nicht so ganz bei ihren Überlegungen. Vor allem nicht, wenn sie zu ihm herüberschaute. Die Vorstellung schmeichelte ihr, dass sie ihm gefallen könnte.
    "Wenn wir überall nur vorbeigehen, dann siehst du ja gar nichts von Alexandria. Und wird Harmonia dir nicht schwer, wenn wir bis heute Abend spazieren gehen?"
    Nicht, dass sie etwas dagegen hätte, heute den ganzen Tag an seinem Arm zu verbringen und einfach nur zu spazieren. Aber sie wusste, wie schwer Harmonia mit der Zeit werden konnte. Und nicht, dass er am Abend eine gezerrte Schulter hatte. Er war es bestimmt nicht gewohnt, ein Bündel so über der Schulter zu tragen. Und da machte sie sich Sorgen um ihn.
    "Wir könnten natürlich – wenn du magst – auch zum Paneion gehen. Von da kann ich dir die ganze Stadt zeigen und wir können uns ein wenig ins Gras setzen."
    Eigentlich hatte sie sowieso vor, nach dem Museion mit ihm dahin zu gehen. Nach Apollo war Pan ihr der liebste der Götter, und sein Heiligtum war wirklich wunderschön.

    Penelope hakte sich gerne wieder bei ihm ein und lachte ihn an.
    "Keine Sorge, ich werde nichts verraten. Sonst kann ich ja in vier Jahren gar nicht damit angeben, mit dem Gewinner eines Olivenzweigs spazieren gewesen zu sein."
    Sie merkte, wie sie immer länger zu ihm schaute und immer weniger auf die Straße. Wenn sie so weiter machte, liefen sie wirklich noch irgendwo dagegen, oder ständig im Kreis und am Museion vorbei. Penelope räusperte sich kurz und richtete ihr Augenmerk wieder mehr auf die Straße.
    "Willst du das Museion auch von innen sehen? Die Bibliothek ist wirklich beeindruckend. Die größte, die es gibt."
    Es war zwar noch ein paar Straßen, bis sie zum Eingang kamen, aber es lenkte Penelope davon ab, ständig zu Ánthimos herüberzuschauen.

    Eigentlich dachte sie bei dem Lied mehr an die Vögel als an Ánthimos, so dass sie jetzt ein wenig überrascht war. Und seine Worte brachten sie – schon wieder – in Verlegenheit. Er konnte sie doch nicht in aller Öffentlichkeit in die Arme nehmen und hochheben? Gleich würden ihre Ohren noch zu leuchten anfangen, wenn er so weiter redete. Wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben war Penelope vollkommen sprachlos, während sie ihn verliebt anschaute. Es dauerte einen Moment, bis sie sich gefangen hatte, und versuchte sich auch in die Komik zu retten und zu scherzen.
    "Wenn ich dir das jetzt verrate, ist es doch dann keine Überraschung mehr."
    Und in Anlehnung an seinen vorherigen Kommentar zwickte sie ihn einmal leicht an die kitzelige Stelle oberhalb der Hüften, wo das Zwerchfell saß und die meisten Menschen zu lustigen Hüpfern animierte. Wirklich ein Lied über ihn zu schreiben, das würde schwerer sein. Aber sie wollte es versuchen. Allein bei der Vorstellung fing ihr Herz an zu pochen.

    "Es kam was dazwischen."
    Und dieses was dauerte nun schon fast vier Jahre und hatte ihr nicht sehr viel Zeit gelassen. Sie hatte aber keinen Zweifel daran, die Prüfung zu bestehen, denn sie war fit sowohl an Körper als auch an Geist. „Aber das war etwas, was ich demnächst nachholen will. Ich kam nur noch nicht dazu.
    Irgendwie fand sie die Vorstellung lustig, sie und Ánthimos könnten die Prüfung zur selben Zeit machen. Aber vermutlich würde sie dann durchfallen, weil sie zu abgelenkt wäre. Sie sollte sich wirklich nicht zu sehr ihren Tagträumen hingeben. Auch wenn das im Moment etwas schwerer war.


    Zwei Vögel jagten einander im Tiefflug und flogen dabei fast gegen die beiden Spaziergänger. Wild zwitschernd und tirilierend erhoben sie sich gerade noch rechtzeitig, um über die Dächer davon zu fliegen. Es war ein sehr seltsames Bild, und plötzlich musste Penelope grinsen.
    "Ich glaube, ich träume grade schon wieder ein bisschen. Mal schauen, wenn ich noch ein wenig weiter träume, bekommst du noch dein Bild auf der Kithara."
    Ja, ihre Idee gefiel ihr. Jetzt musste sie sie nur behalten, ihre Melodie für Ánthimos. Voller Vorfreude strich sie ihm noch einmal über den Arm und ging wieder etwas beschwingter mit ihm dahin.

    "Ach, es ist nicht das Haus, was ich vermisse."
    Penelope vermisste vielmehr das Leben, wie es früher war. Sie war so gerne mit auf den Festen, bei denen Großvater spielte. Nicht wegen der Feste an sich, sondern wegen der Leute, die da waren. Sie beobachtete immer heimlich das Publikum, während ihr Großvater spielte, sah in ihre glänzenden, gerührten Augen, lauschte der Stille, die sich über alle Gespräche senkte, damit man ihm zuhören konnte. Damals gab es einige, die in geradezu ehrfürchtigem Staunen einfach nur gelauscht haben. Und diese Achtung ihrem Großvater gegenüber, die vermisste sie. Heute hatte er noch nicht einmal selber Achtung vor sich.
    Sie merkte, dass sie sich in ihrer wehmütigen Erinnerung fast schon an ihn geschmiegt hatte, und ganz entschuldigend guckend rückte sie wieder ein ganz klein wenig von ihm ab. Ihre Schultern berührten sich trotzdem noch.
    "Entschuldige, manchmal träume ich, obwohl ich wach bin.
    Oh, das hab ich ganz vergessen, das wollte ich dich eigentlich beim Gymnasion schon fragen. Haben deine Brüder und du schon die Ephebia gemacht? Ansonsten kannst du dich im Gymnasion dafür anmelden, damit ihr hier Bürgerrecht bekommt. Als Grieche hat man es diesbezüglich etwas besser als als Ägypter oder Nubier oder was hier sonst noch so rumläuft.
    "
    Eigentlich war das mehr eine Ausflucht, aber ihr fiel sonst kein anderes Thema ein, was nicht so schwermütig wäre.

    Penelope sagte zu den ersten beiden Themen nichts. Zum Schiffbruch sagte sie nichts, weil sie nicht tiefer in der Wunde rühren wollte, und zum Opium sagte sie nichts, weil es sie so wütend und traurig machte, und sie Ánthimos das von Philolaos nicht gestehen wollte. Zumindest nicht jetzt. Es war einfach kein passender Zeitpunkt, und sie kannten sich zu kurz.
    Er stolperte kurz beinahe, fing sich aber sogleich wieder, und irgendwie war er wieder dichter bei ihr. Penelope streichelte kurz über seinen Arm in einer vertraulichen Geste mit der eingehakten Hand.
    "Ja, schon ein großer Zufall. Vor allem, dass wir uns getroffen haben. Wäre mir nicht heute morgen das Brot ausgegangen, wäre ich vermutlich gar nicht zu Lyros gegangen. Aber ich bin froh, dass es passiert ist."
    Sie sah wieder kurz zu ihm hoch, bis sie wieder das Glühen auf den Wangen spürte und ihr Gesicht abwandte. Ihr Blick fiel auf eine wohlbekannte Straße, und ganz leise musste sie seufzen. Entschuldigend blickte sie kurz zu Ánthimos wieder, der natürlich nicht den Grund für ihre Sehnsucht kannte.
    "Da hinten habe ich früher gewohnt. Aber das ist lange her. Ich habe gehört, das Haus gehört nun einem Kaufmann."

    Dass er so still wurde, verunsicherte Penelope. Hatte sie etwas falsches gesagt? Bei seiner Erzählung dann hörte sie sich schweigend alles an und rückte ein wenig von ihm ab. Sie fand es irgendwie unpassend, bei diesen Worten so mit ihm zu „kuscheln“, und auch die anderen Gefühle schienen ihr plötzlich schrecklich unpassend. Eltern gestorben, alles verloren, ihr kam das so schrecklich bekannt vor. Sie hoffte, dass Ánthimos aber ansonsten ein besseres Schicksal erwartete als sie selbst es erfahren hatte.
    Sie überlegte einen Moment, ob sie ihn nicht besser ganz loslassen sollte, damit er seine Privatsphäre wieder hatte. Hier auf den Nebenstraßen war nicht so viel los, als dass sie ihn verlieren könnte, und auch sonst gab es eigentlich keinen Grund, sich bei ihm einzuhaken. Aber irgendwie glaubte sie, dass ihm die Berührung ganz gut tat. Also ließ sie seine Hand bei ihm eingehakt.
    "Es gibt keine guten Opiumträume", meinte Penelope leise, aber aus ihrer Stimme war herauszuhören, wie wenig sie von dem Zeug hielt. Eigentlich hatte sie ihre Worte gut unter Kontrolle, aber gerade, wenn es um Opium ging, war der Impuls, wütend zu sein, einfach manchmal größer als die Vernunft. Da reichte manchmal schon nur das Wort. Sie hasste dieses Zeug manchmal, war es doch mit Schuld am Verfall des Großvaters. Wenn er Opium genommen hatte, träumte und schlief er nur und alles war ihm egal. Es war, als wäre er ein Geist. Und Penelope hasste es, wenn er so war, aber mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden. Mit 13 Jahren war es da noch schwerer gewesen, aber nun war sie älter und selbständiger.
    Während ihre Erinnerungen hoch kamen, war sie wohl sehr leise gewesen, deshalb räusperte sie sich einmal kurz und sah entschuldigend zu Ánthimos hoch.


    "Es tut mir leid. Meine Äußerung eben, und auch die Frage vorhin. Ich wollte dich nicht traurig stimmen. Kann ich es irgendwie wieder gut machen?"

    Seine Erklärung war zwar etwas seltsam, aber im Moment wollte Penelope ihm sowieso einfach glauben. Von daher machte sie sich mit ihm auf den Weg, weiter weg von der Hauptstraße, im schön gemütlichen Bogen zum Museion.


    "In Memphis ist wohl nicht so viel los wie hier?"
    Penelope war noch nie dort, aber sie hatte schon oft genug gehört, wie groß Alexandria war im Vergleich zu anderen Städten. Und die meisten Städte waren auch nicht so durchgeplant. Hier musste man nur wissen, wie man zur Meson Pedion kam, und schon konnte man überall wieder hinfinden. Alle großen Straßen waren perfekt parallel und rechtwinklig zueinander, so dass man sich fast gar nicht wirklich verlaufen konnte. Oder zumindest kein Alexandriner, Besucher schafften es trotzdem immer wieder, an den unmöglichsten Orten aufzutauchen.
    "Wie kommt es, dass es dich und deine Brüder hierher verschlagen hat? Ein bisschen die große Welt kennen lernen? Oder welches Glück hat uns zufällig aufeinander treffen lassen?"
    Jetzt hatten sie so viel über sie gesprochen, jetzt wollte Penelope auch ein wenig von ihm noch erfahren. Also fragte sie einfach und dachte sich nichts böses dabei.

    "Sicher?"
    Fragend schaute sie zu ihm hoch, dann zum Eingang, dann wieder zu ihm. Erst konnte er es kaum erwarten, hierher zu kommen, erzählte ihr von seinem Traum, bei der Olympiade teilzunehmen, und jetzt wollte er nicht hinein, weil sie sich langweilen könnte? Penelope überlegte kurz, ob es vielleicht etwas mit ihrer vorlauten Äußerung vorhin zu tun hatte und er sich einfach genierte. Sie hoffte nicht, sie wollte ihn ja nicht in Verlegenheit bringen. Oder zumindest nicht auf diese Weise.
    Aber andererseits hatte sie nichts dagegen, noch ein wenig Zeit an seinem Arm zu verbringen. Von daher fragte sie nicht noch ein weiteres Mal nach, sondern tat ganz unbekümmert. In Wahrheit war sie irgendwie froh, aber das konnte sie ihm ja nicht zeigen. Immerhin kannten sie sich kaum.
    "Hm, auf der Hauptstraße geht es schneller, aber da ist mir zuviel los im Moment. Stört es dich, wenn wir hinten rum gehen? Da ist weniger Verkehr?" Und weniger neugierige Blicke und einfach mehr Weg an deinem Arm, fügte sie in Gedanken hinzu.
    Gleichzeitig überlegte sie schon, wo sie danach mit ihm hingehen sollte. Die Agora schien ihn auch nicht so zu interessieren mit dem Tychaion und dem ganzen, sonst hätte er sicher danach gefragt. Immerhin lag die gleich gegenüber. Aber da fiel ihr ein wirklich hübsches Plätzchen ein, zu dem sie auch immer gerne ging. Und das beste: Es war ein etwas weiterer Weg dahin.