Beiträge von Duccia Vera

    Das Fest der Bona dea war vorbei. Es war ein schönes interessantes Fest gewesen. Sie hatte überraschend Verwandtschaft getroffen und mit der Überraschung zu kämpfen gehabt. Einfach, weil sie davon ausgegangen war, dass von der Familie niemand wusste, dass sie in Rom weilte. Doch die Welt war klein. Sontje starrte die Zeilen an, die auf der Rolle standen. Dagmar wollte sie noch einmal sehen... ihre Kinder würden zu diesem Treffen mitkommen. Sontje liess die Rolle auf den Tisch sinken und lehnte sich zurück. Rechtzeitig errinnerte sie sich, das ihr Schemel keine Lehne hatte und stand ruckartig auf, um zum Fenster zu gehen und sich an den Rahmen zu lehnen.


    Wieder traf sie neben Calvena und Serrana auf jemanden der Kinder hatte. Die Verantwortung für den Nachwuchs trug. Sie würde zu diesem Treffen gehen... vielleicht mochte Rufus mitkommen? Dass er sich mit Serranas Sohn Victorius nicht verstand, hatte sie mitbekommen. Rufus brauchte Freunde. Vielleicht entpuppte sich Dagmars Sohn als netter Junge? Sontje wusste, dass sie ihm niemals den besten Freund ersetzen konnte. Eben weil sie älter war. Aber was dachte sie jetzt an Rufus? Sie sollte an sich selber denken und mit den Vorbereitungen anfangen. Was wollte sie morgen anziehen? Sollte sie den Kindern eine Kleinigkeit mitbringen? Der duccische Wolf liess sie nicht los. Nachdenklich betrachtete sie das aufgestickte Emblem auf dem leichten grauen Mantel, den sie sich neulich gekauft hatte. Diesmal ohne Nero. Er war fort. Heim nach Massilia. Tränen perlten über Sontjes Wangen. Der Trennungsschmnerz war nicht ganz vorüber. Vom Liebeskummer ganz zu schweigen. Aufschluchzend warf sie sich aufs Bett und heulte sich aus.

    Sontje drückte die Tür auf und schob sich hinein in die Räumlichkeiten von Catus. "Heilsa..." begrüßte sie den Blondschopf und kam ihm lächelnd entgegen. "Sokrates tauchte trotz der Ausgangssperre bei uns auf und holte mich hier her. Du weisst gar nicht, was vorhin unten an deiner Tür los war. Die Urbaner wollten uns festnehmen, wenn wir nicht nachweisen könnten, dass du mich sehen willst." Sie blieb abrupt stehen, stemmte die Hände in die Taille und musterte Catus. "Also.. weisst du.. krank siehst du mir nicht aus. Was ist denn eigentlich los? Wegen dir in den carcer zu wandern ist bisher nicht in meinm Leben eingeplant.."

    "Da oben ist es immer kalt, Aculeo. Ich bin froh, dass ich die Pelzmäntel los geworden bin." Sie grinste verschmitzt. "Duumvir? Da ist er aber weit gekommen..." kommentierte Sontje ziemlich knapp Marsus bisherigen politischen Aufstieg. Sie beschäftigte sich nicht mit Politik, weil das Männerkram war. Die andere Nachricht dagegen war... nicht zu beschreiben. "Elva ist tot? Oh nein... nun werden deren Kinder ohne Mutter aufwachsen." Ob Dagmar/Duccia Venusia davon wusste? Seit dem Fest zu Ehren der Bona Dea hatten sie sich nicht mehr gesehen. Sontje wusste, dass ein Gespräch zwischen ihnen auf jeden Fall stattfinden würde. Sie war immer noch eine Duccia. Betrübt sah sie zu Boden und blickte Aculeo nach wenigen Minuten an. "Du sprachst von einigen.. wer ist denn noch verstorben? Lebt Albin noch, er ist derjeinge, der die Eingangstüre öffnet."

    "Ja.. ein Aurelier.. er heißt Nero Aurelis Scipio und er besitzt ein Haus am Meer. Leider hatte ich noch keine hintereinanderliegenden Tage am Stück frei gehabt, sonst wäre ich schon längst mit Nero dort gewesen und hätte das Meer zum ersten Mal sehen können. Er war dabei als ich den Decimer aus einem unglücklichen Zufall heraus kennenlernte. Wir saßen gerade in einer Taverne, als er an unserem Tisch vorbeiging und stolperte. Catus stiess sich den Kopf an einer Kante und wirkte danach sehr verwirrt. Deswegen kümmerte ich mich um ihn, zum Glück hatte Catus jemanden dabei, der sich dann darum kümmerte, dass er nach Hause gelangte. Ich konnte richtig gehend spüren wie Nero eifersüchtiger und süchtiger wurde... Ich habe ihn dann besucht.. und er fragte mich ob ich ihm Rom zeigen konnte..." Verliebt ja.. aber glücklich? Nein.. gestand sich Sontje gegenüber ein. Sie fragte zurück. "Was heißt für dich in guten Händen sein?" Aculeos Anmerkung zum Eisen liess sie aufhorchen. "Oh.. gerne.. ich werde es nutzen. Nun rück schon mit der Sprache raus, Aculeo.. was gibts Neues aus Germanien?"

    Sie lachte mit, freute sich sichtlich über seine Anwesenheit. "Nein hast du nicht gesagt. Und wenn, würde ich immer noch auf einen Brief von dir warten. Ein Lebenszeichen halt, dass alles in Ordnung ist und du gut da oben angekommen bist." Sontje überlegte was sie sagen sollte und begann mit strahlenden Augen zu erzählen. "Rufus ist ein Goldstück. Jeden Tag lernt er was Neues und stellt Tausende von Fragen. Wie heisst das? Wer ist das? Wo ist was? Wie geht das? Ich mag ihn sehr und lasse ihn kaum aus den Augen, wobei ich auch drauf achte, dass er immer selbständiger wird. Wenn er bei seiner Mutter oder seinem Vater oder bei beiden oder bei seinen Freunden weilt, versuche ich mich anderweitig zu beschäftigen. Ich habe angefangen Stoffe zu kaufen und wieder begonnen zu nähen. Außerdem habe ich jemanden sehr netten kennengelernt. Es ist ein Aurelier. Wir verstehen uns sehr gut und unternehmen viel während meiner freien Zeit. Neulich habe ich ihn den hiesigen Hausherren vorgestellt und sie waren wohl ganz zufrieden mit Nero." Sontje spürte wie sie rot wurde und holte tief Luft. Verliebt bis über beide Ohren war sie immer noch in Nero. "Dem Laden geht es gut. Manchmal ist es sehr schwierig Eisen zu bekommen, weil es im Gegensatz zum Holz sehr teuer ist. Ich habe einen weiteren jungen Mann kennengelernt und ihn durch halb Rom geführt. Er gehört zu den Decimern und ist sehr belesen, also er liest sehr viel und erzählt mir viel darüber was er liest."

    Von Diomedes gerufen staunte Sontje nicht schlecht, als ihr Besuch angekündigt wurde. "Diomedes, bringe doch bitte Getränke und einen kleinen Imbiß." Eilig legte sie nieder, was sie in der Hand hatte, strich sich die blonden Haare zurecht und eilte ihm hinterher ins Atrium, wohin der Besucher geführt worden war. "Aculeo! Du bist zurück.. ich habe deine Rückkehr jeden Tag sehnlichst erwartet.. Wie war deine Reise? Was gibt es Neues aus Mogontiacum? Hast du die Duccii getroffen? Und wen? Was haben sie gesagt?" redete sie wißbegierig und voller Fragen auf ihn ein, setzte sich auf den nächsten freien Platz.

    Nachdem die Schale eine Runde lang weitergegeben worden war und jede anwesende Frau daraus getrunken hatte fuhr Calvena mit der Zeremonie fort. Nun kam das Kleider fallen lassen dran. Bis jetzt hatte nur ihr Geliebter Nero sie nackt gesehen. Sontje liess sich von einer Sklavin aus ihrem Kleid helfen und fasste unbewusst ans linke Schlüsselbein, wo ein dicker bläulich-violett schimmernder Knutschfleck prangte. Dann kam die Sau herein, die von einer weiteren Sklavin herein geführt. Donnerwetter, was für ein fettes Tier. Sontje staunte nicht schlecht.


    Tanzen? Hatte sie richtig gehört? Sie sollte nackt um das Schwein tanzen? Peinlich berührt über diesen Aspekt, zog sie sich für ein paar Momente zurück, sah zu, wie die anderen Frauen tanzten. Erst dann reihte sich Sontje tanzend ein. Wenn man das Tanzen nennen konnte, ein Schritt vor, zwei Schritte zurück, die Arme schwangen im Takt mit. Langsam kam sie außer Atem und das immer häufigere Luftholen errinnerte sie an ihre kranken Lunge. Der Hustenreiz stieg auf. Sontje schaffte es nicht ihn zu unterdrücken und zog sich aus dem Kreis zurück, um hinter vorgehaltener Hand zu husten und zu ruhigem Atem zu kommen. Von einer Sklavin liess sie sich einen Becher Wein geben und trank ihn zur Hälfte leer. Der Wein schmeckte mit jedem Schluck immer besser und betäubte den Schmerz in der Lunge. Einzelne Huster kamen hoch. Mit entschuldigem Blick blickte sie zu den tanzenden Frauen hinüber.

    Gebannt verfolgte Sontje das Handeln des Anführers der Soldaten und verdrehte die Augen, als er nun den Herr des Hauses zu sprechen wünschte. Der war auch nicht da? Jesses.. Catus war ganz alleine in der Villa? Nun wollte der Urbaner ihn erst recht sehen und drohte abermals damit sie in den Carcer zu werfen. Sontje biss sich auf die Zunge, denn sie wollte protestieren. Ganz alleine war Catus dann doch nicht, denn wie aus dem Nichts tauchte der junge Silas plötzlich auf und bestätigte die Erkrankung ihres Freundes. Die Urbaner rückten ab. Sontje hielt die Luft an und atmete erleichtert aus. "Das.. das... war unglaublich!" brummte sie und trat endlich über die Türschwelle. "Entschuldigt den Aufwand.. ich wollte gar nicht aus dem Haus, aber da Catus krank ist, kann ich nicht anders als ihm helfen zu wollen." wandte sie aich an Ephialtes, Sokrates und Silas. "Bitte bringt mich nun zu ihm..." Sontje wandte sich Silas zu, nickte ihm anerkennend zu. "Gut gemacht.. du warst gerade rechtzeitig da."

    Sie kamen am Ziel an und mussten nur noch den Türsteher passieren. Zuerst öffnete sich das Guckloch und Sokrates begann zu sprechen. "Salve, Ephi..." grüßte Sontje und verbiss es sich die Zunge zu verknoten. Sie sagte seinen Namen nicht oft und war sich ganz sicher, dass sie sich versprechen würde. Schließlich öffnete der Ianitor die Tür zur Gänze. Sontje drehte sich auf der Türschwelle um, blickte den Wortführer des Contubernium fragend an. "Darf ich reingehen oder widerspricht euch das? Eilt Euch mit eurer Entscheidung. Ich möchte meinen besten schwer erkrankten Freund lebend wiedersehen."

    "Sokrates tut was ihm von seinem Freund aufgetragen wurde. Wenn er es nicht tut, wie steht er dann in den Augen seines Freundes da?" erwiderte Sontje, darum bemüht ihren Begleiter in Schutz zu nehmen. "Freundschaft ist mehr als ein dickes Band." brummte sie und sah zu, wie sich das Contubernium um sie herum aufstellte. "Gut." Immerhin sichere Wegbegleitung. Viel besser als irgendwelcher Pöbel, der sich ihnen raubend und mordend in den Weg stellte.

    Himmel aber auch.. sie hatte über all dem Nachdenken über Venusias Anwesenheit gar nicht bemerkt, dass die Hausherrin nun direkt neben ihr stand. Mit überraschtem Blick nahm Sontje die Schale entgegen und trank einen kleinen Schluck. Mhm, das war Wein.. ohne alles und unverdünnt. Sie schluckte und reichte die Schale weiter an.... eben jene, über die sie nachgedacht hatte. Mit ernster Miene reichte sie Dagmar die Schale und sah mit sichtlich angestrengter ernster Miene an ihr vorbei.


    Der Kreis war größer geworden. Eine weitere Person, die sie kannte, war dazu gekommen. Das Fest wurde immer interessanter und aufregender. Die Iunierin auch hier? Wie schön! Ein freundliches Lächeln und ein direkter Blick musste als stumme Begrüßung reichen. Wenn die Opferung vorbei war, konnte sie die andere Frau nach den Zwillingen fragen. Hatte sie Calvena auch von dem Besuch bei Serrana erzählt? Sontje meinte es getan zu haben... und strich die immerzu nervende blonde Strähne hinters Ohr zurück. Hoffentlich ging das Opfer und das Rumstehen vor dem Altar schnell vorüber.

    "Mein bester Freund ist tatsächlich schwer krank. Ihr könnt uns nicht aus dem Grund verhaften, dass er sich genau diesen Tag der Ausgangssperre ausgesucht hat." schimpfte Sontje. Er tut nur seine Arbeit... er tut nur seine Arbeit... er tut nur seine Arbeit... ommm.. redete Sontje sich in Gedanken gut zu, um ruhig zu bleiben.


    "Ja, klar, nicht legitim ist mir bewusst. Er ist mein bester Freund und..." ...er liegt im Todeskampf, für ihn gibt es kein Morgen. Sie verstummte und rückte unbewusst näher an Sokrates heran, als die Soldaten sie umstellten. Sokrates übernahm die Vorstellung. Es hatte keinen Sinn den Soldaten ihren Namen zu verschweigen. "Duccia Vera. Kindermädchen. Bei den Quintilliern wohnend." fügte Sontje knapp ihren römischen Namen hinzu und sprach freundlich weiter. "Ich möchte ihn wirklich gerne sehen. Zur Casa Decima Mercator auf der Westseite des Caelius Mons ist es nicht weit!"

    Sontje verdrehte die Augen über Diomedes Bedenken über ihre Fähigkeiten als Medizinerin. Es war ein Glück, dass Diomedes nichts zu den Umständen ihres ersten Zusammentreffens wusste. "Mag tatsächlich seltsam sein, aber Catus brauchte Hilfe und ich habe sie ihm angeboten." entgegnete sie entschlossen, ihn weiterhin im Unklaren zu lassen. "Ja Diomedes.. bis morgen dann." verabschiedete sie sich und liess sich von Sokrates mitziehen.


    Atemlos hörte sie sich Sokrates nächste Worte an und runzelte die Stirn. "Du hast gelogen? Es ist nicht wahr, dass es Catus schlecht geht? Mann o mann, Sokrates, du hast Schneid!" Wie süß, sie wurde von dem Blonden vermisst. Er wollte mit ihr reden. Und was, wenn das auch nicht wahr war? Sie suchte seinen Blick und sah ihm in die Augen. "Nein, Diomedes hätte mich nicht gehen lassen. Eigentlich wollte ich 24 Stunden zu Hause bleiben und abwarten was passiert. das ist mein erster Notstand in Rom. Er wurde verhängt, damit niemand unnötig zu Schaden kommt... ja, wir sollten weitergehen." meinte sie nachdenklich und setzte dazu an weiterzugehen


    Die metallisch klingenden Schritte hätte sie nicht überhören sollen. Nun standen sie einer Reihe Soldaten gegenüber. Sontje straffte die Schultern [SIZE=7]"Ouh... so schnell hatte ich die nicht in diesem Viertel erwartet."[/SIZE] ärgerte sie sich. "Mein bester Freund ist schwer krank, dem Tode nahe, wir sind auf dem Weg zu ihm, um ihm beizustehen." erwiderte sie und nickte Sokrates zu, um seine Lüge zu wiederholen.

    Mit einem dankbaren Lächeln ergriff sie seine Hand und verliess an seiner Seite die Taverne. Der Wind war immer noch sehr stark. Sontje fuhr sich mit beiden Händen durch die blonden Haare und spürte wie der Wind diese zersauste. Sie verzichtete auf die Kapuze und bedeutete Catus ihr zu folgen. "Also... Italia ist das Kernland des Imperium Romanum und mit der Urbs Aeterna das religiöse, militärische und politische Zentrum der Welt." rezitierte sie was sie bisher über die Stadt erfahren hatte. "Rom liegt im Zentrum der italischen Regio Latium am Fluss Tiber, an dessen Mündung in das Tyrrhenische Meer ihre Hafenstadt Ostia liegt. Ursprünglich gegründet auf den sieben Hügeln Capitol, Palatin, Quirinal, Aventin, Esquilin, Viminal und Caelius, hat es sich von einer bäuerlichen Siedlung zu einer Großstadt entwickelt, die über ihre alten Stadtmauern hinausgewachsen ist. mehr fällt mir gerade nicht ein. Achja, es werden beinahe jeden Tag Feiertage gefeiert und dann gibts eine ellenlange Prozession samt Opferung in Tempeln oder auf öffentlichen Plätzen. Manchmal wird dann auch kostenlos Brot oder Wein ausgegeben..." Es waren nur wenige Passanten unterwegs. Nicht allen schien der kräftige Wind zu gefallen. Sie befanden sich in einer engen Straße, nicht weit von den Märkten. Dorthin führte sie ihren netten Begleiter. Sontje holte Luft und sprach weiter. "Auf zahlreichen Märkten und Foren der Stadt werden Waren aller Art gehandelt. Die größten und neuesten Märkte sind die Trajansmärkte. Hier wird der Großteil des Handels in Rom abgewickelt und man bekommt hier fast alles, von Oliven über Wein bis hin zum Goldschmuck. Die Märkte gefallen mir am besten.. man sieht vieles und wird gesehen."

    "Wenn ich sage, dass er von den Decimern kommt, dann ist er ein Decimer. Ich weiss mit wem ich mich einlasse oder anfrende. Die Decimer sind eine genauso hoch angesehen Gens wie die deiner Herrin." raunte Sontje Diomedes zu. Der Bote der vor der Tür stand entpuppte sich als Catus Sklave. "Sokrates? Ja, ich errinnere mich an dich." sprach Sontje seinen Namen aus und nickte grüßend. Doch was er dann erzählte, liess das freundliche Lächeln aus ihrem Gesicht von dannen ziehen. "Oh, deine Nachricht klingt überhaupt nicht gut..." gab sie mit besorgter Miene zurück und nickte.


    "Es ist gut, dass du Hilfe holst, Sokrates! Das ist ein Notfall! Ich.. ich hole meine Sachen und werde mit dir kommen. Lass ihn bitte eintreten, Dio." Letzterer Satz war an Diomedes gerichtet, während sie sich noch umdrehte und die Treppe noch oben lief. In ihrem Zimmer angelangt kramte sie ihren Medizintasche hervor und hängte sich einen auf alt getrimmten schwarzen Mantel ohne Kapuze um die Schultern. Die blonden Haare verbarg sie unter einen großen Mütze und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Sie eilte die Treppe wieder hinunter. "Sei unbesorgt Diomedes. Sokrates ist ein guter Mann. Wenn ich nicht bis zur Dämmerung zurück bin, werde ich demnach bei den Decimern übernachten und morgen früh wieder hier sein." Nein nein, sie handelte richtig, sie wollte ihrem kranken Freund helfen. "Komm, Sokrates!"

    Die Wahrheit trug noch mehr Seiten? Sie wollte noicht wissen, für sie gab es nur schwarze und weisse Seiten, wobei viele sagten, dass diese Farben überhaupt keine Farben seien. "Ich habe meine Begleiter noch ein- oder zwei Mal getroffen. Seitdem nicht mehr. Ich schätze, sie sind abgereist und woanderes hingezogen. Rom ist immerhin vielvielviel größer als das Städtchen von wo wir hergekommen sind." mutmaßte Sontje schulterzuckend.


    "Oh neinnein, du bist nicht zu neugierig. Du bringst mich wieder einmal zum Nachdenken." winkte Sontje gutmütig ab und erwiderte sein Lächeln. "Mutter hat mir nie wirklich erklärt, woher sie kommt. Ich glaube, sie befürchtete einfach, dass ich lieber draußen als drinnen sein wolle. Ständig musste ich ihr bei Tätigkeiten im Haus und in der Hausführung helfen.. es gab immerzu etwas zu tun."


    Da sie schon bezahlt hatten, brauchte sie dem Wirt keine Münzen mehr vorzulegen. "Was machen wir jetzt? Ich kann dir noch einige Stellen von Rom zeigen, allerdings sind die meisten nur von draußen zu besichtigen. Oder wir haben Glück und es findet eine Theateraufführung statt."

    Sontje saß am Tisch und versuchte gerade einen Faden ins Nadelöhr einer Nadel zu friemeln. Schon wieder klopfte es. Abermals war es Calvenas Sklave Diomedes der etwas zu verkünden hatte. Besuch vor der Tür für sie? "MDC?" Während der Ausgangssperre? "Das kann nur von Marcus Decimus Catus sein. Ein junger blonder Mann, den ich neulich kennengelernt habe. Er gehört den Decimern an." Sontje erhob sich und schob sich an Diomedes vorbei. "Komm mit runter und lass ihn rein. Mannomann, das wäre was, wenn das Catus selber ist... Ich will wissen, was er zu sagen hat." sprach Sontje während sie die Treppe runterging und sich an der Türe aufstellte. Ach, sie würde am liebsten gar nicht erst darauf warten, dass Diomedes den Besucher rein liess. Doch sie musste sich mit Diomedes gut stellen. Sie hatte einen Einfall. "Mach die Luke auf..ich will hören, wer da spricht."

    Die letzten Tage hatte sie sich ihre Kleidertruhe vorgenommen, um die Kleidung durchzuschauen und nach Schäden zu sortieren. Es war nicht viel, was sie zum Ausbessern oder Säumen fand, aber immerhin machte sie etwas Beute. Damit konnte sie in Übung bleiben, was das Schneidern und Flicken betraf. Und sie hatte zu tun und konnte zugleich nachdenken. In ihrem Zimmer sitzend hockte sie auf einem gepolsterten Hocker und beugte sich über einen zu verlängernden Saum. Besonders über ihre männlichen Bekannten wollte sie nachdenken.


    Germanicus Aculeo weilte ihren Informationen nach immer noch in Germanien. Einen Brief hatte sie immer noch nicht erhalten. Ob seine Nachricht verloren gegangen war? Das konnte ja sein, es passierte häufig aus verschiedenen Gründen, dass Briefe verschollen gingen. Ob er ihre Verwandten aufgesucht und mitgeteilt hatte, dass sie nun in Rom weilte? Und Arbeit gefunden hatte? Wie die Duccii wohl reagiert hatten? Witjon war ziemlich aufgebracht gewesen, als sie ihm in Mogontiacum begegnet war und eingeschärft zu Mutter zurückzugehen. Sontje streckte den krummen Rücken und schüttelte gedankenverloren den Kopf. Nun gut, ihre Mutter hatte alles mögliche getan, um ihre drei Kinder durchzubringen. Nach Geros Tod hatte sie viel mitgeholfen, während Phelan sich für die Natur interessiert hatte. Sontje fühlte damals wie heute keine enge Bindung zu Ferun. Die Bindung hatte sie zu ihrem Zwillingsbruder Phelan gefunden, aber ihr Bruder war Vergangenheit.


    Sontjes Gedanken wanderten weiter. Was lief zwischen ihr und Nero? Was ihre Liebe zu ihm anging: Sie liebte ihn. Beim letzten Treffen war ihr der Altersunterschied zwischen ihnen bewusst geworden. Er war älter als sie, mindenstens zehn Jahre trennten sie. Er hatte eine Zwillingsschwester, die sie leider nicht kannte. Nero hatte viel von der Welt gesehen, besaß ein Häuschen am Meer und handelte mit Waren. Da er Geld verdiente, konnte er sie ausführen und zum Essen einladen. Viele gemeinsame Interessen verbanden sie und ihn. Und trotzdem.. es war eine seltsame Liebe! Ihren neuesten Bekannten, den Decimer, konnte sie nicht 'schon wieder' aufsuchen. Sie betrachtete ihn als Kumpel, als jemanden, bei dem sie sich eines Tages an seiner Schulter anlehnen oder gar ausweinen würde. Die Gespräche über Roms Geschichte oder die ehemaligen wichtigen Persönlichkeiten der Stadt waren sehr interessant. Ihre unendlichen Diskussionen. Als einziger von allen Männern wusste er von ihrer kranken Lunge.


    Irgendwann hörte Sontje eilige Schritte, die den Gang entlang liefen und vor ihrer Tür halt machten. Sie bat den Besucher nach dem Anklopfen herein und erkannte Diomedes. Was er ihr dann mitteilte verwunderte sie sehr: Calvena hatte mit Rufus das Haus verlassen und während zeitgleich eine Ausgangssperre herrschte. Ausgangssperre? Wieso? Das Kaiser war tot. Sontje liess Nadel und Faden sinken. Was betraf sie denn das? Sie sollte das Haus nicht verlassen, merkte Diomedes mit ernster Miene an und verliess ihr Zimmer. Wieder alleine legte Sontje die Arbeit nieder und trat mit verschränkrten Armen ans Fenster. Das wäre ja gelacht, wenn sie sich wegen eines toten Mannes einsperren liesse! Ob sie sich heute Nacht 'umziehen' sollte? Sie würde genau 24 Stunden abwarten.

    "Ehm.. ich stelle mir nichts vor. Ich hab nur kurz überlegt, wer morgen alles zur Cena anwesend sein wird." meinte Sontje und lächelte verlegen. Nero vernaschen... oh, wenn die Hausherrin wüsste. "Nein, es spricht nichts dagegen, wenn mein Schützling dabei ist. Ich gehe dann mal Nero eine Nachricht schreiben, damit erwegen morgen Bescheid weiss." Sie erhob sich und verliess das Büro mit heftig klopfendem Herzen, von welchem ein riesiger Haufen Steine polterte.


    Die Anfrage war in den Augen der Duccierin mehr als gut verlaufen. Sie dachte kurz nach, ob sie ihrem Geliebten doch persönlich Bescheid sagen sollte, aber da war die Pflicht gegenüber Rufus als sein Kindermädchen. Sie eilte in ihr Zimmer, schrieb ihre Nachricht und lief zusammen mit dem kleinen Zettel kurz zur Türe hinaus. Da links und rechts zwei Tabernae angesiedelt waren, wusste sie, dass sich immer wieder Kinder rumtrieben, die sich ein paar Münzen verdienen wollten. Einem schmächtigen braunhaarigen Jungen nannte sie die Adresse von Neros derzeitiger Unterkunft, eine Herberge, legte ihm ein paar Münzen in die Hand. Sontje sah ihm nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte und ging zurück zu Rufus.