Als Durmius Verus sah, wie sehr sich die vier über Longinus‘ Aussage freuten, musste er sich wieder ins Gedächtnis rufen, dass er hie und da schon seine Arbeit vermisste. Natürlich genoss er seinen Ruhestand, soch er erinnerte sich mit großer Andacht an seine Arbeit zurück. Er hatte sie wirklich gerne gemacht, und sorgfältig. Ein wenig Wehmut verspürte er darüber, dass er es nie geschafft hatte, Pontifex Minor zu werden. Doch man konnte nicht alles haben, und er war noch nie sonderlich ambitioniert gewesen. Der Dienst an den Göttern war immer das gewesen, was ihm am meisten Freude bereitet hatte.
Und aus diesem Grund war er nun hier, um die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen – nur wegen Calvena und Serrana, die ihm seine letzten beiden Schülerinnen, und in vielerlei Hinsicht die liebsten von allen gewesen waren.
Er würde diese Opfer an Iuno gründlich machen. Natürlich würden es zwei sein, schließlich ging es hierbei ja um zwei Hochzeiten. Was natürlich außergewöhnlich war, aber gut, er wollte keine Fragen der Tradition aufwerfen, er war ja erstens kein Priester mehr, der über den Pax Deorum zu wachen hatte, und zweitens mochte er Serrana und Calvena zu gerne, als dass er etwas gesagt hätte. Sie selber hatten vermutlich schon genug deswegen an den Kopf geworfen bekommen. Er brummte, als er sich vergewissert hatte, dass alles bereit war, und warf sich einen Togazipfel übers bärtige Haupt.
“Möge dieses Wasser alle Unreinheit von meinem Körper waschen wie das Verwandeln von Blei in Gold. Reinige den Verstand. Reinige das Fleisch. Reinige den Geist. So ist es“, intonierte er leise, als er sich aus einem rituellen Waschbecken, welches die Bediensteten der Casa ihm zur Verfügung gestellt hatten, heraus rituell wusch.
Anschließend wandte er sich der Statue der Iuno zu, welche knapp daneben stand. Es war eine schöne und doch kompakte Statue, die das Triclinium zierte. Noch an diesem Tag mussten ein paar Sklaven, wohl unter der Anweisung der ansässigen Familie, diese Statue hierher geschleppt haben. Woher, das entzog sich den Kenntnissen des alten Durmiers, doch er wusste, dass man Götterstatuen in dieser Stadt immer wieder sehr gut habhaft werden konnte. Er mochte das Gesicht, welches die Bildhauer der Iuno verliehen hatten – weise, mütterlich, hübsch. Der Größten aller Göttinnen durchaus würdig.
Schon bevor Verus eingetroffen war, hatten die Sklaven der Casa Iunia Opfergaben bereit gelegt. Verus wusste zudem zwei Lämmer im Atrium stehen, eines für die quintilisch-germanicische Hochzeit, eines für die iunisch-germanicische.
Die Opfergaben zu Füßen, sich von den Gästen umringt wissend, nahm er noch weiteres Weihrauch und warf es in die Glut, somit dampfenden und ichten Rauch verursachend.
Verus streckte sich durch, sowie dies seinem alten Körper noch möglich war, und erhob seine Hände.
“Ehrwürdige Mutter Iuno, nimm die Opfer an, die ich dir darbringe. Möge dir dieser Wein gefallen. Möge dir dieses Obst, diese Kekse, diese Blumen gefallen. Mögen dir die Statuetten gefallen. Sie seien die Deinen.“
Er bückte sich und platzierte die Göttergaben vorne, vor der Statue der Iuno, in der Reihenfolge, wie er sie aufgezählt hatte. Dann wandte er sich nach rechts.
Der alte Durmier nickte seinen Leuten zu. Es waren vier Popae, ein Victimarius, und zwei Flötenspieler, die gerne auf diese Hochzeit gekommen waren, mit der Auflage, dass sie etwas vom Festessen mitschnabulieren konnten, zumindest vom schmackhaften Fleisch der Lämmer, dessen man als schlecht verdienender Priestergehilfe ja nur selten habhaft wurde.
Eine kleine symbolische Prozession begann vom Triclinium ins Atrium. Verus war sich sicher, die Leute hier wussten genug von der Religio Romana, dass sie sich anschließen würden. Die Flötenspieler begannen zu dudeln, die Popae reihten sich würdevoll um den alten Priester auf, der Victimarius schritt voraus.
Im Atrium angekommen – es waren ja nur ein paar Schritte – rief einer der Popae “Favete linguis!“ Die Flötenspieler wurden lauter und energischer.
Die Popae bildeten eine Art Spalier für den alten Durmier, der zwischen sie durchschritt und sich vorm aufgebauten Altar mit den zwei Lämmern hinstellte.
Er hatte vorher eine Münze geworfen, um zu entscheiden, für wen er zuerst opfern würde. Kopf war Calvena, Zahl war Serrana. Es war Kopf geworden. Also würde Calvena zuerst drankommen.
Er wischte sich zuerst noch die Hände mit dem mallum latum ab, bevor er es an den Popa, der es ihm ausgehändigt hatte, zurückgab. Dann erhob er die Hände. “Iuno Pronuba! Wenn es recht ist, dir zu opfern, dann sei dir dieses Lamm geweiht, weiblich und weiß, wie es dir gebührt!“ Dann wurde ihm wieder eine Schüssel voller Wasser gereicht, an der er seine Hände abwischte und sie hernach mit dem Mallum Latum abtrocknete. Einer der Popae beugte sich hinunter und salbte das Tier mit mola salsa ein. Der Victimarius gab Verus das Messer, sodass er es von hinten nach vorne ziehen konnte, und es wieder dem Manne zurückgab.
Wieder erhob er die Hände. “Iuno Pronuba! Du, die die Ehen segnest, und schon viele Ehen gesegnet hast! Ich, Durmius Verus, rufe dich an! Ich opfere dir zu Ehren dieses Lamm. Dafür bitte ich dich: halte deine Hände über die Ehe des Lucius Quintilius Valerian und der Germanica Calvena! Lass die Ehe fruchtbar sein zu deinem größeren Ruhm und den Roms!“ Er schnaubte aus, drehte sich nach rechts, erbrachte noch schnell ein kleines Trankopfer aus einem kleinen verzierten Becher, den ihm ein Popa hinhielt, und trat dann einen Schritt zurück. Er wollte ja nicht mit Opferblut beplitschelt werden.
“Agone?“, fragte der Victimarius.
”Age!”
Der Victimarius fuhr mit seiner Klinge in den Hals des Lämmchens. Einer der Popae fing das Blut auf, und der Victimarius schnitt den Bauch des Opfertieres auf. Er trennte die Eingeweide fachmännisch heraus und legte sie auf ein silbernes Tablett. Er hob es hoch und übergab es Verus. Dieser überprüfte es kritisch. Was würde er sehen?
AFP