Beiträge von Charis

    Im Nachhinein tat es Charis schon wieder leid, ihn so angefahren zu haben. Sie wollte ihn nicht verletzen und sie glaubte ihm seine Beteuerungen, er habe den ganzen Schlamassel nicht absichtlich veranstaltet.
    "Es heißt absichtlich!", verbesserte sie ihn und ihr Blick hatte weitaus an Strenge verloren. "Es tut mir leid. Ich wollte nicht so aufbrausend zu dir sein. Und ja, ich glaube dir, daß du es nicht absichtlich gemacht hast." Jetzt konnte sich Charis sogar schon zu einem zarten Lächeln hinreißen lassen. "Es ist nur so, es gab immer schon Männer, die glaubten, sie könnten mich auf eine so plumpe Art und Weise beeindrucken. Und ich dachte, du versuchst das auch. Außerdem hat es mir nicht gefallen, daß sie mich als Prämie für dich ausgesetzt hat, wenn du deine Aufgabe gut erfüllst. Aber wenn sie es befiehlt, dann muß ich mich fügen."
    Phraates wirkte so betrübt, nicht nur ihres Tones wegen auch wegen der Tatsache, daß er nun kein freier Mann mehr war. Charis hatte die Freiheit niemals kennen gelernt und gerade deshalb konnte sie sich in etwas vorstellen, welch ein Verlust dies für den Parther darstellen musste. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Schulter. "Komm, laß uns weiter gehen. Ich muß bald wieder zu ihr. Du weißt schon, wegen ihrer Frisur und dem ganzen Hochzeitsschnickschnack." Sie grinste kurz und lief dann weiter, bis sie die Tür zu einem kleinen Kämmerchen erreichten, in dem die Putzutensilien verstaut waren. "Hier drinnen, ist alles, was du brauchst. Komm mit!" Sie öffnete die Tür und trat ein.

    Charis ging zielstrebig voran. Sie hatte noch viel zu tun an diesem Abend vor der Hochzeit. Am wenigsten war sie nun auf zusätzliche Aufgaben erpicht, die ihr der neue Sklave einbrachte. Deshalb reagierte sie eher abweisend auf Phraates Entschuldigung und brachte ihm nichtsentgegen. Es war schon schlimm genug, daß Celerina sie als Prämie für den Sklaven in Aussicht gestellt hatte, falls er seinen Auftrag gut ausführte.
    "Bei den Aureliern ist es ähnlich wie hier. Wir werden dort in einem großen herrschaftlichen Haus dienen. Auch dort gibt es eine Sklavenunterkunft und wenn du gut arbeitest, bekommst du auch reichlich zu essen. Natürlich gibt mehr als genug Arbeit für uns." Sie verschwieg ihm die Tatsache, daß die Aurelier etwas gutmütiger mit ihren Sklaven verfuhren, als dies bei den Flaviern der Fall war und daß auch das servitriciuum etwas freundlicher war, als jenes in der flavischen Villa.
    "Sag mal, machst du das absichtlich? Ich meine deine Mißgeschicke, die du ständig auf Lager hast. Willst du damit etwas ausdrücken oder weshalb machst du das?", fragte sie ihn, als sie plötzlichstehen geblieben war und ihn kritisch beäugte. Sie wollte ihm deutlich machen, wie wenig sie von seiner Masche begeistert war, falls dies seine Masche war, um ihr Herz zu gewinnen.

    Charis hatte sich die größte Mühe gegeben, sich nichts anmerken zu lassen, während sie ihrer Herrin das Haar frisierte. Sie verdrängte einfach den Gedanken, dem Parther zu Willen sein zu müssen, falls der seine Aufgabe gut erledigte. Bis es so weit war, floß noch viel Wasser den Tiber hinunter!
    Andererseits belustigte sie das tollpatschige Verhalten des Parthers so sehr, daß sich gelegentlich ihre Lippen zu einem Grinsen verzogen. Natürlich sorgte sie dafür, daß weder der Parther noch ihre Herrin dies sahen.
    Als aber Phraates nun gehen wollte und Celerina ihn zurückbeorderte, sah sie kurz auf. Er hatte wohl geglaubt, er könne sich vor dem Saubermachen drücken. Celerina aber wies ihn in seine Schranken. Natürlich hatte er wider eine passende Antwort parat. Die Herrin seufzte laut und wies Charis an, in ihrer Arbeit innezuhalten und mit dem Parther einen Wischmopp zu holen. Sicher dachte sie, es wäre gut, wenn er wüsste, wo dessen Platz ist, weil er ihn mit großer Wahrscheinlichkeit öfters brauchte.
    "Komm mit!" Charis forderte Phraates leicht entnervt auf, mit ihr zu kommen und verließ das Zimmer ihrer Herrin.

    Natürlich hatte Charis von Alexander dem Großen gehört, ihrem berühmten Landsmann, der vor einigen Jahrhunderten ihrem Land großen Ruhm und Ehre gebracht hatte und ein riesiges Reich gegründet hatte. Ein bißschen war sie auch stolz darauf gewesen und es ehrte sie, wie bewundernd Phraates darüber sprach. Aber das alles konnte nicht davon hinwegtäuschen, zu welchem Stand sie gehörte. Noch ehe sie etwas darauf erwidern konnte, hörte sie Diomedes´ Rufen und sah sich nach dem Griechen um, der schon etwa voraus gegangen war.
    Sie konnte den würzigen Geruch nun auch wahrnehmen und sah erwartungsvoll zu dem Parther hinüber, in dem urplötzlich etwas Merkwürdiges vorging. Sein ganzes Auftreten erinnerte sie stark an einen Jagdhund, der die Witterung nach Beute aufgenommen hatte. Einem Jagdhund gleich pirschte er dann auch los. Charis sah ihm erst noch belustigt hinterher, begann aber dann zu schalten, als ihr bewußt wurde, der Parther könne ja auch die flucht ergreifen. Wie vom Blitz getroffen, rannte sie ihm hinterher, Diomedos noch zurufend, er solle ihr nachrennen.
    Der Parther rannte, was das Zeug hielt und hinterließ eine Spur von Chaos, schimpf und Schande. Etliche Passanten, der er angerempelt hatte, standen noch immer schimpfend da, ihm üble Schimpfworte hinterher brüllend, während Charis ebenfalls an ihnen vorbei musste.
    Diomedes, der nun beileibe nicht mehr der Jüngste war, ging irgendwann die Puste aus. Nach Luft schnappend blieb er irgendwo stehen, um sich auszuruhen. Charis hingegen war flinker gewesen. sie blieb dem Parther auf der Spur, denn sie konnte es sich lebhaft vorstellen, was geschah, wenn sie ohne Phraates zurückkehrte.
    Mit Entsetzten mußte sie miterleben, wie der Parther selbst vor einem Marktstand nicht Halt machte. Er sprang auf den Stand hinauf, lief über das Gemüse hinweg und hinterließ so ein Bild der Vernichtung. Charis wählte den indirekten Weg, um den Stand herum. Zwar verlor sie so kostbare Zeit, doch wider erwarten blieb der Parther bei einem Stand stehen. Charis war außer Atem. Es dauerte etwas, bis sie sprechen konnte. Derweil stieg die Zornesröte in ihrem Gesicht aus. "Was bei allen Göttern fällt dir ein? Bist du wahnsinnig geworden? Wie konntest du nur?" Vor lauter Zorn hatte sie nichts von dem intensiven Gewürzduft mitbekommen, der vom Stand vor ihr kam.

    Charis´ Aufmerksamkeit war noch zu sehr auf das aurelische Interieur gerichtet, um Sivs Grinsen hätte wahrnehmen können. Sie hatte ja auch nicht ahnen können, daß sie durch ihre bloße Anwesenheit besondere Gefühle in Siv geweckt hatte, von denen sie im Moment absolut gar nichts ahnen konnte.
    Erst als die Germanin auf Charis´ Fragen zu antworten begann, konnte sie eine Spur dessen erahnen, was die Germanin in ihrer Anwesenheit plagen mußte. Charis jedoch ging vorerst nicht darauf ein. Sie war noch keine Stunde in ihrem neuen Heim, da wollte sie es sich nicht gleich mit sämtlichen Sklaven verscherzen.
    Die Makedonierin nickte, Corvinus Leibsklavin war Siv also! Das klang fast sowie eine Drohung. Sie spürte allerdings auch, wie sich die Germanin aber noch rechtzeitig zurücknahm, um es nicht offensichtlich werden zu lassen, daß es Eifersucht war, die sie trieb.
    Doch dann rückte sie noch mit ihren übrigen Aufgaben heraus. Dabei fiel Charis auf, daß auch der Garten und die Pflege der Pflanzen zu ihrem Aufgabenbereich gehörten. "Ach ja wirklich?" fragte sie entzückt. "Mit Pflanzen kenne ich mich auch gut aus. Darum habe ich mich früher auch gekümmert." Sie lächelte freundlich zu der Germanin und wollte ihr schon den Vorschlag machen, sich den Garten in Zukunft aufzuteilen, wenn der Herr damit einverstanden war. Sie ließ jedoch davon ab und hüllte sich in Schweigen.

    Die Tatsache, daß ihr alter Herr eine Pferdezucht betrieben hatte, machte aus Charis noch lange keine Expertin für den Umgang mit Pferden. Stets hatte sie Respekt vor den majestätischen Tieren gehabt und hatte sich nicht getraut, ihnen näher zu kommen als dies unbedingt notwendig war.
    "Leider nein. Mit den Pferden hatte ich nichts zu tun, Herr.", antwortete sie bedauernd.
    Der Aurelier ließ sich die letzten Bissen des Apfels munden und ließ sich dann ein feuchtes Tuch reichen, nachdem er nur noch das Apfelgehäuse übrig gelassen hatte. Das war für Charis das Signal, auch mit dem Essen aufzuhören. Sie schluckte den noch in ihrem Mund befindlichen Bissen hinunter, während er ihr Anweisungen hinsichtlich der bevorstehenden Saturnalientage gab, die sie mit einem Nicken kommentierte.
    Offenbar wollte er sein Mahl beenden. Er erhob sich und sie sah an ihm hoch. Schon wollte sie es ihm gleichtun, da erinnerte er sie an die Pflanzkübel. "Ja, natürlich.", antwortete sie nun mit ihrem leeren Mund.
    Ein wenig überrascht über sein Angebot, noch sitzen bleiben zu können, behielt sie vorerst ihren Platz und sah ihm noch nach. Er hatte alles gesagt, was er ihr mitzuteilen hatte. Als er außer Sichtweite war, griff sie noch einmal zu und genoß das Fleisch mit solch einer Lust. Unweigerlich holten sie seine Worte bezüglich ihrer besonderen Aufgabe bei ihrer zukünftigen Herrin wieder ein. Als Spion hatte sie sich noch nie zuvor nützlich gemacht. Nein, sie hatte keine Ahnung, was man mit Spionen machte, wenn diese enttarnt worden waren. Was würde es auch schon machen, wenn sie ab und an aus dem Nähkästchen plauderte?
    Charis leckte mit großer Wonne ihre Finger ab und verließ das triclinium.

    Phraates hatte genau verstanden, was sie ihm sagen wollte. Das war auch gut so, denn sie hielt ihn für einen netten Kerl. Zwar hatte Charis noch nicht viel Zeit gehabt, ihn besser kennenzulernen. Aber was noch nicht war, konnte ja noch werden. "Gut, wenn du so denkst! Früher oder später würden sie dich sowieso wiedereinfangen." Charis war schon einige Male Zeugin dessen gewesen, wenn geflüchtete Sklaven wieder zu ihren Herrn zurückgebracht worden waren. Nicht immer hatten sie mir der Gnade ihrer Herren rechnen können. Einige hatten ihren Freiheitswillen mit ihrem Leben bezahlen müssen.
    Natürlich wollte auch Phraates sie näher kennenlernen. Deshalb verwunderte es sie gar nicht, als er begann, sie auszufragen. "Ich bin in Thessalien aufgewachsen. Meine Eltern waren beides Makedonen. Und sie waren beide auch schon Sklaven. Ich bin also schon immer Sklavin gewesen. Die Freiheit kenne ich nicht. Das macht aber auch nichts." Charis hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, frei zu sein. Sie war bisher auch so gut zurechtgekommen. Niemals hatte sie sich um die grundlegenden Dinge wie Essen und Wohnen Sorgen machen müssen. Wenn sie gut arbeitete, dann hatte sie auch ein gutes Leben zu erwarten.
    Vor ihnen taten sich die ersten Gewürzstände auf. Der Duft von verschiedenen Kräutern und Gewürzen hing kraftvoll in der Luft. Jetzt war Phraates an der Reihe, die Gewürze seines Landes zu finden.

    Zitat

    Original von Phraates


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    "HAHAHAAAA.. der war gut!" sagte Diomedes, auch wenn er nicht wirklich den Witz des Parthers verstanden hatte. Wenn Tessi, so wurde Phraates mittlerweile innerhalb der flavischen Sklavenschaft genannt, etwas warm geworden war, dann konnte er eine richtige Stimmungskanone sein. Aber auch durch seine unfreiwillige Komik und seine Mißgeschicke, die ihm ständig widerfuhren, machten ihn zu einem abendfüllenden Entertainer.
    Aus unerfindlichen Gründen hielt plötzlich der Tross der Braut an. Charis, die Leibsklavin der Herrin, lief zu ihrer Sänfte. Von Diomedes Standpunkt aus, war nicht zu ersehen, was bei Celerina vor sich ging. Als Charis dann auch noch in einem sehr scharfen Ton mit der Herrin zu sprechen begann und sich daraufhin der Tross wieder in Gang setzte, stutzte der Leibwächter nicht schlecht.
    "Was.. Was machst du denn da, Jungelchen?", rief er dem Parther noch nach, als der zur Sänfte hin trat, neben der Charis her lief.


    "Was meinst du?", fragte sie erstaunt. Die Sklavin errötete vor Scham, als sie verstand, was Phraates meinte. "Oh nein, tu das lieber nicht! Die Herrin hat mir befohlen, so mit ihr zu sprechen. Sie hat nämlich Angst, weißt du. Furchtbare Angst sogar und wenn du ihr jetzt sagt, sie sei eine Kuh, dann hat sie nicht nur Angst, sie wird dann auch furchtbar zornig." Wenn sie allerdings zornig würde, dann könnte sie vielleicht ihre Angst schlicht und ergreifend vergessen. Womöglich war 'Tessis' Idee gar nicht so abwegig.

    Charis trat ein. Ihre neue Herrin war nicht die erste Braut, die sie für die bevorstehende Hochzeit vorbereitete. Sie wuße, was zu tun war und worauf es ankam. Bereits den ganzen Tag, den sie mit ihrer Herrin verbracht hatte, spürte sie die Nervosität, die ihr anhaftete. Dabei wunderte sie sich, denn wie sie gehört hatte, war dies Celerinas zweite Ehe, die alles andere als Glücklich verlaufen sein sollte.
    Bereits am Morgen hatte sie die Kosmetik für die Herrin ausgewählt. Die Auswahl des Schmuckes hatte sich Celerina vorbehalten.
    Charis erster Blick fiel auf die tunica recta ihrer Herrin, die sie eigenhändig gewebt hatte. Solche Fertigkeiten hatte sie Celerina gar nicht zugetraut. In den letzten Tagen hatte sie sie noch beobachten können, mit welcher Sorgfalt sie vorgegangen war, darauf bedacht, keinen Fehler zu machen. Man sagte, es sei ein schlechtes Ohmen für die Ehe, wenn die tunica recta nicht ordentlich gewebt war.
    "Bist du bereit, Herrin?" fragte Charis. Die Herrin saß vor ihrer Kommode, lediglich mit einem Umhang aus dünnem, sehr dünnem Stoff bekleidet. Ihre Haare trug sie offen und um sie Herum schwebte ein Hauch von Mandelöl.
    Celerina antwortete nicht, sie saß einfach nur da und betrachtete sich im Spiegel. Glücklicherweise waren die blauen Flecke, jene sichtbaren Überreste ihrer Entführung, schon seit einigen Wochen restlos verschwunden. Doch selbst Charis, die ihre Herrin vor der Entführung nicht gekannt hatte, bemerkte, daß die seelischen Wunden noch lange nicht verheilt waren.
    "Herrin? Bist du bereit, Herrin?", wiederholte sie ihre Frage und wartete.

    Für Charis war dies auch die erste große Einkaufstour in Rom. Von der Stadt hatte sie lediglich den Sklavenmarkt gesehen. Aber wo sich die Läden und Märkte befanden, mußte sie auch erst noch herausfinden. Von daher war es gar nicht schlecht, von einem ortskundigen Sklaven begleitet zu werden, der dazu noch jede Menge Eindruck schund, aufgrund seines Äußeren. Allerdings hatte es auch nicht lange gedauert, bis Charis auf die aufdringlichen Blicke des Sklaven aufmerksam geworden war. Nun ja, Diomedes war ein netter Kerl, aber das war es dann auch schon. Mehr als eine freundschaftliche Beziehung strebte sie nicht an.
    Phraates, der neue Sklave, kam ihr immer noch etwas verloren vor in der großen Stadt. Er konnte ihr richtig Leid tun. Für ihn mußte es wirklich schlimm sein, plötzlich mit der Tatsache konfrontiert zu werden, Sklave zu sein. Womöglich für immer. Umso mehr hatte es Charis gewundert, wie freigiebig sie ihm gegenüber war. Er war noch keinen Tag in der Villa und schon hatte Celerina ihm vertraut und ihm erlaubt, mit zum einkaufen zu gehen. Ob das nicht zu gefährlich war? Schließlich war doch erst einer ihrer Sklaven geflohen! Aber das sollte Charis nicht weiter kümmern.
    "Ja, richtig! Wir sollen diese parthischen Gewürze besorgen und Kleider für Phraates. Ach ja und die Herrin möchte, dass wir auch noch bei Janpau L’Gautis vorbeischauen, wegen ihrer Kosmetik." Damit durfte wohl Diomedes Frage beantwortet sein.
    Während sie neben dem Neuen herlief und ihn von der Seite musterte, kamen ihr doch Bedenken. Was hatte sich die Herrin nur dabei gedacht? Wollte sie Charis prüfen? Und Diomedes war nur dabei, damit er den Sklaven notfalls aufhalten konnte, wenn er fliehen wollte?
    Damit es nicht erst soweit kam, ging sie auf Nummer sicher. "Eins noch Phraates! Dies ist auch für mich mein erster Einkauf in Rom und ich möchte keinen Ärger mit der Herrin bekommen. Ich hoffe, du siehst das genau so. Also bitte, versuche nicht abzuhauen!" Sie bedachte ihn mit einem sehr ernsthaften Blick, der unmissverständlich war.

    Sie wollte bereits zurück zu ihrer Herrin gehen, warf der neue Sklave noch etwas ein. Offenbar konnte er nicht glauben, was Charis vermutete. "Ja, das glaube ich. Sonst hätte sie es wohl kaum zusammen mit dir gespeist." Diese Ehre war Charis bislang nicht zuteil geworden. Sie empfand aber deshalb auch keinen Neid.
    "Meinst du, sie macht sich Gedanken darüber, wo und wie wir schlafen? Glaubst du, sie hat jemals ihren Fuß in die Sklavenunterkünfte gesetzt? Ganz bestimmt nicht! Glaube mir, wenn ich dir sage, wir haben es hier weitaus besser getroffen, als so mancher andere Sklave. Hier gibt es wenigstens keine Ratten!" Charis konnte davon ein Liedchen singen. Sie hatte schon so einiges in ihrem Sklavenleben erlebt. "Geh jetzt schlafen! Die Nacht ist kurz und der Tag morgen wird anstrengend werden!" Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging.

    Die Herrin sah etwas skeptisch drein, als der neue Sklave meinte, er wüßte schon, wo er zu nächtigen hätte, dann aber nicht wußte, durch welche Tür er gehen sollte. Ein Blick ihrer Herrin genügte Charis, um zu wissen, was sie zu tun hatte.
    "Komm, ich zeige dir den Weg!" Zusammen mit dem Parther verließ sie Celerinas Räumlichkeiten.
    Draußen auf dem Flur holte sie erst einmal tief Luft. Sie selbst war auch noch nicht sehr lange im Dienste ihrer neuen Herrin, doch hatte sie schon vom ersten Moment an gewußt, daß es mit Celerina nicht immer einfach werden würde. Heute allerdings schien sie gute Laune zu haben, was zweifelsohne an dem neuen Sklaven liegen mußte.
    Der Parther konnte ihr schon ein wenig Leid tun. Wie Charis mitbekommen hatte, war er erst seit kurzem Sklave. Für jemanden, der die Freiheit kannte, mußte diese Umstellung gewaltig sein.
    Charis ging voran. Die beiden Sklaven näherten sich unablässig den Sklavenunterkünften. "So, da vorne. Die linke Tür. Das ist die Sklavenunterkunft für die männlichen Sklaven." Sie wies mit ihrem Zeigefinger darauf. Charis selbst hatte das Glück, in der Kammer ihrer Vorgängerin schlafen zu dürfen, die direkt neben Celerinas cubiculum lag. Zum ersten mal in ihrem Sklavenleben, genoß sie die Vorteile einer Leibsklavin.
    "Ich glaube, sie mag dich.", fügte sie noch an, bevor sie wieder gehen wollte. Hätte Celerina ihn sonst bei sich essen lassen?

    Das Fleisch war einfach zu köstlich und zudem hatte es für Charis Seltenheitscharakter. Sie konnte sich kaum daran erinnern, etwas derart gutes jemals gegessen zu haben. Jede einzelne Faser des Fleisches wollte in vollen Zügen genossen werden. So saß sie kauend da und wirkte fast abwesend, bis eine Frage sieaufmerken ließ. In ihrem Leben hatte sie nie etwas anderes erfahren, als Sklavin zu sein. Ihre Mutter war es und ihr Vater und auch sie. "Ja Herr. So wie meine Mutter und mein Vater. Ich bin in Thessalien aufgewachsen, auf einem Landgut bei der Stadt Larisa. Mein damaliger Herr hatte Pferde gezüchtet. Die Gegend um Larisa ist bekannt für ihre guten Pferde. Als ich zehn oder elf war, bin ich an einen seiner Geschäftspartner verkauft worden." Daran erinnerte sie sich nur sehr ungern, denn von diesem Tag an war sie auf sich allein gestellt. Die Eltern hatte sie zurücklassen müssen. Sie schwieg wieder, einerseits um nicht zu gesprächig zu wirken, andererseits litt sie noch immer unter der Trennung und dem Wissen, ihre Eltern niemals mehr wieder zu sehen. Doch nichts ließ darauf schließen, wenn man sie ansah, was wirklich in ihr vorging.

    Charis kehrte mit einem vollbeladenen Tablett in das cubiculum ihrer neuen Herrin zurück. In der Küche hatte sie sich beraten lassen, was Celerina alles mochte und was nicht. Dementsprechend hatte sie einige Speisen zusammenstellen lassen, wie zum Beispiel, gebratenes, mageres Fleisch, Oliven, gefüllte Eier und frisches Brot, um nur einiges zu nennen. Außerdem hatte sie noch einen zweiten Teller dabei.


    Während sie über dem Korridor zum Cubiculum schritt, fragte sie sich, ob es für Corvinus wissenswert war, wie die Herrin mit ihrem neuen Sklaven umging. Sie hatte sie noch nicht richtig kennenlernen können, denn sie war erst seit kurzer Zeit in der villa Flavia. Allerdings hattesie so einiges an Tratsch über sie auffangen können. Was davon wahr war, konnte sie nicht genau sagen. Manches klang einfach sehr verwegen und unglaubwürdig. Vielleicht ging sie ja immer so mit neuen Sklaven um. Auch zu ihr war sie freundlich gewesen.
    Sie verschwendete keinen Gedanken mehr daran und trat ins Zimmer ihrer Herrin ein. Dort lud sie das Tablett auf einem kleinen Tischchen, nahe bei der Kline ab. Dann zog sie sich wieder in den Hintergrund zurück und beobachtete schweigend.

    Charis fehlte es in diesem Moment einfach an Weitblick, um wirklich ahnen zu können, worauf sie sich einließ. Zwei Herren gleichzeitig zu dienen, verlangte entweder eine ordentliche Portion Kaltschnäuzigkeit oder bedurfte einfach vollkommener Schauspiellunst. Über beides verfügte Charis nicht. Auch wenn sie es nicht wusste, über kurz oder lang würde sie an dieser Aufgabe zerbrechen. Davon allerdings noch nichts ahnend, folgte sie nun den Ausführungen ihres Noch-Herren.


    Die Hochzeit war schon in wenigen Wochen, überlegte sie. Also war sie nicht allzu lange getrennt, von der Villa und ihren Bewohnern. Celerina hieß ihre zukünftige Herrin und auch sie war also eine Freundin der Pflanzen und des Gartens. Wenigstens bestand eine kleine Verbindung zwischen ihr und der Neuen Herrin.
    Charis nickte artig, bei dem Vorschlag, Celerina ein Geschenk zu besorgen. Es sollte am besten etwas sein, was mit Blumen zu tun hatte. Darüber machte sie sich jetzt aber noch keine Sorgen, mit der nötigen Summe würde sie schon fündig werden. Genauso verhielt es sich auch mit den Kübeln für die Pflanzen. Die Aussicht, eine Aufgabe zu bekommen, in der sie ihre Vorliebe mit einbringen konnte, lenkte sie geschwind wieder von dem bitteren Beigeschmack ihres bevorstehenden Spitzeldiensts ab. Charis nickte eifrig. "Ich werde tun, was du wünschst!"


    Das Fleisch des Hähnchens hatte so gut geschmeckt. Sie hatte es schon längst hinunter geschluckt. Natürlich hatte sie nicht zu hoffen gewagt, noch einmal zugreifen zu dürfen. Als sie es jedoch angeboten bekam, zögerte sie nicht und nahm sich noch etwas.

    Welch eine Pracht überall! Sie kam aus dem Staunen kaum heraus und nickte nur ehrfürchtig, als Siv das bestätigte, was sie eh schon wußte, dies war das Atrium. In einem so riesigen Haus musste es duzende, nein hunderte von Sklaven geben, genauso wie in den großen feinen Villen in Athen, die sie allerdings immer nur von außen gesehen hatte. Sie hätte sich niemals träumen lassen, selbst einmal in einer solchen Villa unterzukommen.


    Der maiordomus besprach sich noch mit einem anderen Sklaven, ehe er sich richtig Charis´ Frage widmen konnte. Seine Antwort klang freundlich und auch das Lächeln dabei, deutete daraufhin, daß er es ehrlich meinte, mit dem was er sagte. "Ich werde bestimmt keinen Ärger machen!", antwortete sie darauf. Das entsprach auch nicht ihrem Naturell. Sie nickte Brix noch zu, als dieser sich verabschiedete und sah ihm noch kurz nach, bis Siv das Wort wieder ergriff. Sie bestätigte nur nochmals, was er gesagt hatte. Dadurch gewann Charis noch etwas mehr an Sicherheit und sie war nun auch überzeugt, an einem guten Ort gelandet zu sein. Also hatten sie ihre Sinna am Morgen auf dem Sklavenmarkt nicht getäusch.
    Eines interessierte sie aber nun doch! "Siv, was sind deine Aufgaben im Haus?"

    Ob Charis Hunger hatte? Oh, ja Charis hatte Hunger! Und wie! Bereits beim Eintreten hatte der Duft des gebratenen Hühnchens ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Aber war es nicht zu vermessen, sich nun ein Stück von dem Fleisch zu nehmen? Scheu sah sie wieder auf und nickte leicht. Als er sie schließlich noch ermunterte zuzugreifen, nahm sie sich ein kleines Stück Fleisch und steckte es in den Mund.
    Welch ein Fest für jede einzelne Geschmacksknospe! Genießerisch schloß sie die Augen und traute sich gar nicht das Stück zu kauen oder gar hinunterzuschlucken. Etwas vergleichbar Gutes hatte sie schon sehr lange nicht mehr bekommen! Es war wie im Traum und genau dahin wähnte sie sich sogar.
    Erst die Bemerkung ihres Herrn, ließ sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Sie zerkaute das Fleisch und schluckte es unter. Der maiordomus hatte offenbar nur Gutes über sie berichtet. Sie hatte ihm aber auch keinen Anlaß zu Klage gegeben. "Danke sehr!", antwortete sie schüchtern.


    Ihre Augen begannen sich etwas zu weiten, als er ihr eine Bitte unterbreitete. Er befahl nicht, er bat! Nun, was er bat, war mehr als außergewöhnlich und mit allem hätte sie wohl gerechnet, wofür ihr Herr sie einsetzten wollte, doch damit hatte er sie anfangs sprachlos gemacht. Auch die kurze Umschreibung der schicksalhaften Begebenheiten um seine Verlobte, ließen sie nicht kalt. Ihm lag wohl sehr viel um das Wohlergehen seiner zukünftigen Frau, was ihn noch um einiges sympathischer machte.
    Doch zugegebenermaßen war sie auch ein wenig enttäuscht, nicht ihm selbst dienen zu dürfen. Aber wenn es sein Wunsch war und er sie auch noch so freundlich darum bat, konnte sie schwerlich ablehnen. Wenn sie allerdings genauer darüber nachdachte, machte dieser Wunsch sie zu seiner Spionin. Diese Tatsache versetzte ihr einen kleinen Stich, denn sie war bisher nie die in Ränkespiele ihrer Herrschaften hineingezogen worden. Andererseits, wenn sie ihm so dienen konnte, würde sie es tun. Ihr blieb auch gar keine andere Möglichkeit.
    "Ja, Herr, das kann ich für dich tun." Wieder zuckte ein Lächeln um ihren Mund.

    Charis folgte der Einladung und nahm Platz. Aus ihren Augenwinkeln heraus beobachtete sie den Herrn, wagte es aber nicht, ihn direkt anzustarren.
    "Ja, Herr, das habe ich, danke!", antwortete sie scheu mit leicht bebender Stimme. Einleben war vielleicht zu viel gesagt, Charis hatte sich in den vier Tagen ein erstes grobes Bild von der Villa und ihren Bewohnern machen können. Mit den Namen der unzähligen Sklaven kam sie noch nicht so zurecht und verwechselte gerne einige von ihnen. Wenigstens verlief sie sich nicht mehr so häufig, wie sie es am ersten Tag getan hatte.
    Der Herr war so unglaublich nett, sie konnte es fast gar nicht glauben. Er sprach so freundlich mit ihr, hatte sie gebeten, sich zu setzten und nun entschuldigte er sich sogar bei ihr! Das war weitaus mehr, als sie überhaupt erwartet hätte. Sie errötete daraufhin. Zum ersten Mal hob sie leicht ihren Blick und sah ihn mit ihren zarten Augen direkt an. Ein leichtes Lächeln schiegte sich um ihre Lippen. Sie fühlte sich regelrecht geschmeichelt. "Aber das macht doch nichts, Herr!"
    Von der bevorstehenden Hochzeit hatte sie bereits gerüchteweise gehört und daß man die Braut erst für irrtümlich tot gehalten hatte. Charis jedoch vermied darauf einzugehen, da sie nichts Stichhaltiges darüber wusste.

    Die letzten vier Tage hatte Charis vergeblich darauf warten müssen, ihren neuen Herrn wiederzusehen und ihn kennenlernen zu dürfen. Nur Siv und Brix hatten sie mehr oder weniger eingewiesen und ihr gesagt, was sie zu tun hatte. Sie nahm es gelassen. Was hätte sie auch sonst tun können. Dieswar ein großes Haus und der dem es gehörte, trug eine mächtige Verantwortung. Daß dabei nur wenig Zeit für eine neue Sklavin blieb, war mehr als verständlich. Und trotzdem erwischte sich Charis immer wieder dabei, wie sie darüber nachsann, wie es wäre, ihn wieder zu treffen.
    Dann am Abend des vierten Tages, zu der Zeit, in der die Herrschaften die cena einnahmen, rief man sie. Sie hatte kaum noch Zeit, ihre Tunika glatt zu streichen und ihr Haar wieder in Ordnung zu bringen.
    Ein Sklave, den sie nicht kannte, nahm sie mit und brachte sie ins triclinium. Es roch köstlich nach gebratenem Hühnchen, einer Delikatesse, die sie in ihrem bisherigen Leben nur sehr selten hatte kosten dürfen.
    Auf der mittleren Kline, gänzlich allein, saß der Mann, der sie vor einigen Tagen auf dem Sklavenmarkt gekauft hatte.
    Sie fühlte sich mit einem Mal angespannt, aber auch erfreut darüber, daß ihr Herr endlich Zeit für sie gefunden hatte.
    "Salve, Herr!" , sprach sie und blieb mit gesenktem Blick vor ihm stehen.

    Charis war erst seit kurzer Zeit eine Bewohnerin der Villa. Vieles war ihr noch fremd gewesen. Nicht aber die Saturnalien! Sie hatte sich schon auf die freien Tage gefreut und erwartete mit großer Spannung den Abend der Cena.
    Vor lauter Freude darauf, hatte sie die Zeit darüber vergessen. Fast eine Stunde hatte sie mit ihrem Haar gekämpft und sich eine annehmbare Frisur gezaubert. Eine besondere Tunika hatte sie nicht besessen. So zog sie es vor, ihre Schönheit durch etwas anderes zur Geltung kommen zu lassen. Draußen im Garten hatte sie eine Helleborus gefunden. Mit diesem Gewächs verband sie einige recht schmerzliche Erinnerungen an ihre Vergangenheit. Ihrem alten Herrn, der an der an der Epilepsie litt, hatte sie des Öfteren eine Medizin aus dem Saft der Helleborus brauen müssen. Zwar nannte man diejenigen, die an dieser schrecklichen Krankheit litten, Lieblinge der Götter, doch tauschen hätte sie mit ihnen nicht wollen!
    Trotz des bitteren Beigeschmacks, der durch ihre Erinnerungen genährt wurde, mochte sie diese schöne Pflanze, die selbst im tiefsten Winter blühte. Drei der schönen weißen Blüten steckte sie in ihr blondes Haar. Die einfache weiße Tunika, die sie darauf trug, ließen sie beinahe einer Lichtgestalt gleichen.
    Sie riskierte einen letzten Blick in den Spiegel und befand es als zufriedenstellend, was sie darin erblickt. Dann eilte sie schnellen Schrittes zur Cena.
    "Io Saturnalia!" rief sie fröhlich aus, als sie leicht verspätet das Triclinuim betrat.