“Vergil? Streng blickten Pisos Augen, weiteten sich beständig, während seine Stirne sich zu Falten drückte und seine rechte Augenbraue emporwanderte. Welch typisch flavischer Gesichtsausdruck, geradezu ein Gemälde wert, nein, ein Relief in Stein, sodass niemand je vergessen würde, wofür die Gens Flavia stand! Für emporgezogene Augenbrauen. Dies konnte diese gens so gut wie keine andere.
Piso bemerkte, wie der Sklave zurückschritt, als er sich ihm näherte, und fühlte es. Dominanz. Ein berauschendes Gefühl. Der Sklave merkte, der vor ihm, der war größer als er. Besser als er. Er war derjenige, der hier was zu sagen hatte. Nicht Phaeneas, Piso. Es war ein gutes Gefühl, doch der Flavier scheute davor zurück, dem Sklaven zu sehr auf die Pelle zu rücken. Er wollte schließlich nicht dieses putzige Kerlchen verjagen.
Halthalthalt. Putzig? Wer hatte da putzig gesagt? Neinneinnein. Sicher nicht. Nein.
Er konzentrierte sich auf Vergil, doch zuvor schaute er Phaeneas tadelnd an.
“Über Literatur nichts zu wissen ist ein Defizit, und es wäre dir wohl angestanden, früher dich darum zu bemühen. Aber ich werde es dir erklären, auch wenn es mir nicht frommt; denn schließlich ist die Erziehung des Menschengeschlechtes eine feine Sache.“ Piso glaubte das, was er sagte. Er sah sich tatsächlich buschstäblcih als Oberlehrer der Menschheit. Und nun konnte er dies raushängen lassen, vor einem Sklaven, das machte ja nichts, niemand würde ihm böse sein derenthalben. Vielleicht nicht einmal der Sklave.
“Vergil! Jene Koriphäe der Kunst, der Literatur, der Schriftstellerei!“
Er machte eine ausbreitende Handbewegung, fast so, als wollte er den Markt damit anzeigen und bedeuten: alles meins! Alles gehört mir! Und nun, das stimmte wohl. Hier ist man Römer, hier lebt sich’s fein. Sofern man halt Römer ist, und so.
“Was schrieb er außer der Aeneis? Wo soll ich anfangen? Ach, chronologisch am Besten!“ Er nickte grave.
“Schon früh begann er zu dichten, doch sein erstes wichtiges Werk waren die Eklogen. Sind zehn Gedichte. Eine wahre Lust, ich zitiere dir mal aus dem ersten.“
Er hüstelte und verstellte die Stimme. Für Meliboes nahm er eine tiefe, für Tityrus eine hohe an. Zuerst kam Meliboeus.
“Tityre“, rezitierte Piso mit tiefer Stimme. “ tu patulae recubans sub tegmine fagi silvestrem tenui musam meditaris avena; nos patriae finis et dulcia linquimus arva. Nos patriam fugimus: tu, Tityre, lentus in umbra ormosam resonare doces Amaryllida silvas.
Dann kam die höhere Stimme für Tityrus, und Piso kniff die Augen zu, als er jauchzte: ”O Meliboee, deus nobis haec otia fecit. Namque erit ille mihi semper deus, illius aram saepe tener nostris ab ovilibus imbuet agnus. Ille meas errare boves, ut cernis, et ipsum ludere, quae vellem, calamo permisit agresti.”*
Er schloss mit einem Grinsen. “Wunderschön, nicht wahr? Sowas haben sie bei euch daheim in Bithynien nicht, oder?“ Er nickte, wie um sich selber zu versichern, dass dies nicht der Fall war. “Und das war nur ein Vorgeschmack? Willst du mehr hören?“ Aus forschenden grauen Augen blickte er auf den Bithynier.
Doch vorerst schien Pergamon interessanter. Piso runzelte die Stirn. Er war also noch nie dort gewesen und wollte nun über eine Stadt hören, die nicht einmal in Bithynia war, aber nicht allzu weit weg davon? Piso seufzte, und dann nickte er, schließlich hörte er sich gerne reden.
“Pergamon, oh Pergamon. Wenn ich daran zurückdenke. Oh ja, Pergamon. Die Haupstadt des Pergaments. Einstmals eine große, stolze, unabhängige Stadt. Gepflastert von den Statuen von Kriegshelden, die einst Giganten wie Antiochos den Dritten in den Staub wurfen. Du kennst doch Antiochos den Dritten, oder?“ Der Selekudienkönig mit dem tragischen Schicksal hatte es Piso angetan.
“Wenn man durch die Straßen geht, merkt man ihn stets, den Duft der Gerbereien, wo Pergament hergestellt wird. Ja, ich weiß, der Geruch von Pisse, aber er wirkt eigentlich ganz lieblich, wenn man sich nicht vorstellt, woher er stammt. Blökende Maultiere, die durch die Straßen schreiten, die eng und verwinkelt sind, und sich auf einmal auftun, um einen Blick auf einen Tempel zu geben. Einem griechischen Gott geweiht, freilich. Marktstände mit kreischenden Marktweibern, Sklavenhändlern, Halunken, die sich Krämer nennen und dir was andrehen wollen... tja. Im grunde genommen gar nciht so verschieden von Rom, um ehrlich zu sein. Aber, mir fällt jezt gerade ein, ich habe ein Paar kennen gelernt, aus Nicaea. Das ist eine Stadt in Bithynien, ich glaube, entweder die zweit- oder drittgrößte nach Nicodemia. Sie liegt an einem schönen See, inmitten der Landschaft Anatoliens. Der See ist nicht weit entfernt vom Marmarameer, aber ich glaube, er hat gar keine Verbindung dorthin. Wie dem auch sei. Hässliche Leute, der Mann hatte eine Hakennase und die Frau einen Buckel. Aber das tut nichts zur Sache. Er hieß... ähm... ich glaube, Glaukos. Ja, Glaukos. Und die Frau, deren Name war Olympias. Ja, Olympias, ganz genau. Wir unterhielten uns sogar über Bithynien. Sie haben mir gesagt, die Christenplage vor allem in Nikodemia sei mittlerweile unerträglich. Die Bithynier beißen an wie die Fische bei dieser komischen Sekte. Und außerdem... hmm... genau. Die Gegend ist bekannt für seinen schönen Marmor. Und für sein Holz. Vor allem Pinien. Wenn man, zumindest um Pergamon, am land war, hat es gerochen nach Pinien. Ja, wenn du einen Eindruck davon erhalten willst, wie es bei euch in Anatolien am Land riecht, kauf dir Pinienholz. Und sonst? Hmm... wüsste gar nicht mehr.“
Er kratzte sich am Kopf, um sich dann Phaeneas‘ nächster Postulation zuzuwenden.
“Dunkelheit? Dunkelheit ästhetisch? Das musst du mir erklären. In der Dunkelheit sieht man doch nichts. Nur schwarz. Nur die Farbe schwarz. Sicherlich nicht die schlechteste Farbe. Aber ist es nicht ein wenig eintönig? Sollte nicht für Ästhetik das Motto Varietas Delectat, Verschiedentlichkeit erfreut, gelten?“
Er legte seinen Kopf schief und blickte Phaeneas, begierig nach einer Antwort, an.
Sim-Off:*auf deutsch:
Meliboeus
Tityrus, unter dem Dach der gebreiteten Buche gelagert;
Sinnst du, ein ländliches Lied zarthalmigem Rohr zu entlocken.
Wir, aus der Väter Bezirk und liebem Gefilde vertrieben,
Fliehen das Heimatland: Du lehrest gemächlich im Schatten
Tönen des Hains Nachhall Amaryllis', der Lieblichen, Namen..
Tityrus
O Meliboeus, ein Gott hat so uns Muße gewähret.
Denn stets wird er ein Gott mir sein: aus unseren Hürden
Wird oft seinen Altar ein Lamm mit Blute besprengen.
Jener vergönnt mir die Rinder umher, du siehst es, zu weiden.
Auch mir selber, nach Lust auf ländlichem Rohre zu spielen.