Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Senator et Pontifex A Flavius Piso Imperatori Caesari Augusto salute dicit.


    Ich schreibe dir bezüglich der anstehenden Captio der Tiberia Caerellia. Wir, das Collegium Pontificium, haben, wie es die Tradition ist, aus den in Fragen kommenden Kandidatinnen für das frei gewordene Amt die Geeignetste herausgesucht. Die Captio wird am Morgen des ANTE DIEM XVII KAL AUG DCCCLXI A.U.C. (16.7.2011/108 n.Chr.) im Tempel der capitolinischen Trias in Misenum vollzogen werden. Hiermit bitte ich dich, dass du in deiner Funktion als Pontifex Maximus die Captio oben genannter Jungfrau vollziehst, sodass die Anzahl der Vestalinnen in Rom wieder komplett ist.


    Piso wartete noch die Abschiedszeremonien und –rituale, welche in der Gens Tiberia üblich zu sein schienen, ab, und nachdem die Erzählung nun hiermit solchermaßen abgekürzt wurde, nickte er der kleinen Tiberia zu. Ein nettes Lächeln erschien auf seinen Lippen, als er sprach.
    Nun denn, Tiberia. Komm mit mir. Draußen steht meine Sänfte. Du wirst mit ihr, zusammen mit mir, bis nach Ostia reisen. Dann geht es mit dem Schiff weiter nach Misenum. Ich hoffe, dir wird nicht sehkrank.“
    Er zwinkerte der Kleinen zu, bevor er ihr den Weg in die Sänfte zeigte, wodurch nun das Abenteuer seinen Anfang fand.

    Lange waren sie gereist, die beiden. Zuerst mit der Sänfte nach Ostia, wo Piso die Sklaven hieß, anzuhalten und sie aussteigen zu lassen. Der Ort, wo die kleine Karawane halt gemacht hatte, war direkt am Hafen, und Piso lotste Caerellia über den belebten Hafen, welcher eine seltsam orientalische Atmosphäre hatte. Händler priesen ihre Waren an (welche überproportional viele Gewürze beinhalteten), Redner krakelten über diverse komische Kulte, stark geschminkte Prostituierte wollten sich an Piso ranmachen. Der Flavier schaffte es, diese komische Welt hinter sich zu lassen und das Schiff zu erreichen.
    Er hatte kein eigenes Schiff (auch wenn er sich eine Anschaffung schon lange überlegt hatte), sondern ließ sich zusammen mit der baldigen Vestalin auf einem Handelsschiff mitführen. Es dauerte ein paar Tage, eintönige Tage am Bord eines eintönigen Schiffes, bis endlich Misenum erreicht war.
    Piso hatte Misenum schon lange nicht mehr gesehen. Das letzte Mal hatte er es gesehen, als er damals von Verus eingeladen worden war. Ach, der gute Verus. Irgendwann hatte er das Gerücht gehört, der Decimer sei gestorben, doch das glaubte Piso nicht recht. Er würde sich halt wieder abgesetzt haben, in die Weiten Germaniens.
    Er ging voraus, als es daran ging, aus dem Schiff zu steigen. Mit einem Winken bedeutete er Caerellia zu folgen. Den Wink wandelte er ab in eine Geste, mittels derer er nach links zeigte.
    “Schau, Tiberia, schau dir das mal an. Das ist eine Trireme der Flotte des Kaisers.“
    Tatsächlich stand dort ein gewaltiges Schiff. Es war so, dass das Schiff des Flaviers und der Tiberierin am Rand des Handelshafens von Misenum, direkt bei der Abzäunung zum Militärhafen angelegt hatte.
    Kurz blickte er auf das Schiff, erinnerte sich an die guten alten Zeiten, und wandte sich dann wieder an Tiberia.
    “Wir suchen nun unsere Unterkunft auf. Und morgen, ja, morgen gehen wir zum Tempel der capitolinischen Trias hier in Misenum. Dort wird die Captio vollzogen werden.“
    Während Piso das Mädchen weitergeleitete zu ihrer Taverne, dachte er schon mit Vorfreude auf die religiöse Angelegenheit morgen.

    Der Tempel war auf Befehl des Delegaten des Pontifex pro Magistro, also quasi des Stellvertreterstellvertreters Flavius Piso, bereit gemacht worden für die anstehende Captio. Sklaven hatten den Marmorboden blitzblank gescheuert, die Aeditui waren angetreten, und hoffentlich traf der Kaiser auch bald ein.
    Streng und mahnend blickten die Trias, Iuppiter, Iuno und Minerva, hinab auf die kläglichen Sterblichen, und Piso dachte sich, als er in die strengen Gesichter sah, dass diese wohl sicher von der Tatsache rührten, dass der Kaiser es nicht geschafft hatte, sich von Rom aus nach Misenum aufzumachen.
    Er stellte sich neben die Priester des Tempels hin. Dieses Mal war keine Vestalin hier, anders als bei anderen Okkassionen, wo eine Vestalin hier “ gefangen genommen“ wurde durch den Pontifex Maximus. Piso agierte hier quasi als Ersatzobervestalin. Den leicht effeminierten Pontifex machte es nichts aus, in den Schuhen einer Frau zu stecken, hatte er doch gerne in seiner Kindheit die Kleider seiner Stiefmütter angezogen (vordergründig, weil er sie ärgern wollte).
    So galt es nun, gemeinsam mit der kleinen Tiberia auf den Kaiser zu warten.

    Die Abwesenheit hat sich durch eher stressiges RL hinausgezögert... und nun kommt gleich wieder meine nächste Abmeldung, gleich für eine ganze Woche. Ich schaue mal, wieviel Ausstehendes ich noch abarbeiten kann.

    Häh? Wieso wurden auf einmal Priscas Augen so groß? Normalerweise hätte Piso sie jetzt gefragt, ob alles in Ordnung wäre, aber sein Zustand war eher noch ein katatonischer solcher. Irgendwie waren die ganzen Implikationen der ganzen Sache noch nicht recht in sein Hirn durchgesickert, und erst nach und nach fluteten Bilder, Vorstellungen, Erwartungen sein Hirn.
    Die Bilder von dreckigen Windeln. Von durchwachten Nächten, in denen der Schlaf sich nicht einstellte wegen des unablässigen Kindergebrülles. Vom ersten Mal, dass der oder die Kleine Papa sagen würde. Von den Unsummen, die Piso in die Bildung des Kindes investieren würde. Von dem Augenblick, da das Kind, wenn es ein Sohn werden würde, Senator werden würde, und von dem Auggenblick, da das Kind, wenn es eine Tochter werden würde, ihre Hochzeit feiern würde.
    All dies raste nun vor seinem inneren Augen vorbei, während seine äußeren Augen feucht wurden, insbesondere, als Prisca ihm versprach, es würde ein Sohn werden. Ein Sohn. Ein Sohn, der in seine Fußstapfen treten würde.
    Ein Sohn.
    “Egal, was es wird, Sohn oder Tochter... ich würde mich freuen. Unglaublich freuen.“ Er lächelte seine Frau breit und liebevoll an.
    Dann zuckte sein Kopf zurück. Um ehrlich zu sein, das passte ihm rein gar nichts ins Konzept, was Prisca da vorschlug. Er sollte seinen Mund darüber halten, sich ausschweigen? Das hatte er nicht vor, zumindest nicht unbedingt.
    Aber er nickte. Wenn auch wiederwillig.
    “Gut. Gut, gut. Ich werde still schweigen, wenn du es willst.“ Es war ja schon wahr. Wenn dies eine Falschmeldung war, dann würde Piso sich ordentlich blamieren. Er würde nicht nur sich, sondern vor allem Prisca blamieren. Und das zu tun lag ihm fern. Ja, er verstand ihre Motivation. Tja, es sah so aus, als würde er sich zur Feier ganz alleine im gut bestückten Weinkeller der Flavier ansaufen müssen. Tja, dann, prosit.
    “Nein, nein, nein!“, versicherte er ihr, nachdem sie ihn wegen der ehelichen Pflichten gefragt hatte. Eheliche Pflichten, hmm, das konnte man relativ weit auslegen. Piso entschloss sich, dass sie insbesondere eine Definition damit gemeint hatte, und der Flavier war mehr als nur bereit, seiner Frau in der Hinsicht entgegen zu kommen.
    Also erwiderte er ihren Kuss genussvoll, und als er sie fest umarmte und mit seiner die ihre Zunge suchte, dachte er daran, dass er es doch ziemlich gut getroffen hatte. Das hätte man doch kaum gedacht. Der Weg hierher war verdammt holprig gewesen, aber nun war er hier. Und das war auch gut so. Die Versuchung, sich jetzt auf den Lorbeeren auszuruhen, war verdammt riesig.

    Piso nickte, als Durus ihm versicherte, ihm ginge es gut. Ob es wirklich so war? Weiter kommentieren tat er das nicht.
    Dann kam auch schon Caerellia, und Piso lächelte, als er sie sah. Sie war ein wirklich nettes Mädchen. Später, wenn sie größer war, würde sie eine strahlende Schönheit werden, und die Männer Roms würden sich im Bett in den Schlaf weinen ob der Aussicht, dass sie niemals körperliche Gratifikation von ihr erfahren dürften.
    “Salve, Tiberia.“ Seine Stimme klang fröhlich und entspannt, innerlich musste er sich sagen, er freute sich auf Misenum. Er war schon eine Weile nicht mehr dort gewesen.
    “Du bist nicht zu spät. Keine Sorge. Nichts rennt dir davon. Lass dir Zeit, schließlich ist dies dein letzter Tag, da du in dieser Villa lebst.“
    Natürlich würde die Kleine ihre Familie wieder besuchen können. Aber bis dahin würde doch wieder ein wenig Zeit vergehen. Zuerst käme die Reise nach Misenum, dann die Einweisung ins Atrium Vestae... Zeit würde vergehen. Ja, Zeit. Zeit, die Piso froh war, nicht in einem Konvent verbringen zu müssen.

    Etwaige Irrungen und Wirrungen konnte man hoffentlich entschuldigen angesichts der Tatsache, dass der Ritus sehr, sehr altbacken war und sehr verwirrend. Doch am Ende brachten die Arvalbrüder die Feierlichkeit doch noch gut hinter sich, und nachdem diverse Ähren durch die Hand gestrichen worden waren und die Gesänge der Arvalbrüder verklungen waren.
    Piso, der Magister, geleitete die Arvalbrüder zu einem etwas abgelegenen Teil des Tempels, wo schon Klinen aufgebaut waren. Er suchte, die (Wieder-)Wahl des Magisters, welche nun anstand, als eine informelle Sache zu gestalten, wo auch Wein ausgeschenkt wurde. Diverse Sklaven standen schon bereit, den Arvalbrüdern einzuschenken.
    Piso erhob sein Wort zu einer Rede.
    “Werte Mitbrüder, wir haben uns hier versammelt, um festzustellen, wer von uns in der Zukunft die Arvalbrüder als Magister anführen soll. Nach alter Tradition soll der amtierende Magister wieder gewählt, oder ein neuer Magister gewählt werden.“
    Er blickte in die Runde.
    “Ich, werte Brüder, habe mich dazu entschlossen, dass ich nur noch bis zum Ende dieser Feierlichkeiten als Magister amtieren möchte. Liebe Brüder, nehmt das nicht als Faulheit oder Pflichtvergessenheit auf. Aber ich fühle mich nicht mehr imstande, dieses Amt gebührend auszuführen. Ich bin nun verheiratet, bin Senator, bin Pontifex, und all diese Pflichten beschäftigen mich sehr, und es wäre geradezu ein Frevel wider die Götter, würde ich dieses Amt nicht an jemanden übergeben, der dieses Amt in Zukunft besser ausführen kann als ich.“
    Er atmete tief aus, nachdem er das Geständnis abgelieftert hatte. Er war damals in die Arvalbruderschaft gekommen wie die Mutter zum Kinde, und um ehrlich zu sein, fand er es mittlerweile eher eine Bürde. Die ganze altmodische Angelegenheit befriedigte nicht seine ästhetischen Anforderungen; es war etwas für alte Männer (auch im Körper von jüngeren). Das sagte er natürlich nicht laut. Aber er dachte es sich, und die Gedanken waren frei.

    Als Piso dachte, nun kam gar nichts mehr, nun hatte man ihn vergessen, wurde er eines anderen belehrt. Den Kopf, den kannte er doch!
    “Consular Tiberius, salve!“
    Er lächelte breit und erhob sich aus lauter Respekt für jenen eminenten Staatsmann.
    “Ich freue mich, dich wieder zu sehen. Ich hoffe doch, deinem Bein geht es wieder besser?“, fragte Piso mit ehrlichem Mitgefühl. So ein wehes Bein musste eine scheußliche Sache sein.
    Er kratzte sich am Kopf, und blickte sich um.
    “Eine Ehre, zweifellos. Sie wird es sicher gut haben bei den Vestalinnen.“
    Piso versuchte, sich die Gesichter der Schwestern ins Gedächtnis zu rufen. Da war dieses eine lange Elend, die vergaß man nicht so schnell... und dann die Obervestalin, diese... Pomposia? Und die Uralte. Irgendeine Patrizierin. Mit wüsten Zähnen. Igitt. Und die, die immer so gedankenverloren oder übermüdet schien, und die Piso irgendwie scharf fand. Nun ja. Sicher nicht schöner als seine Frau, nein, nein.
    Die unausgesprochene Frage war nun, wo war die angekündigte Jungfrau?

    “Vergil? Streng blickten Pisos Augen, weiteten sich beständig, während seine Stirne sich zu Falten drückte und seine rechte Augenbraue emporwanderte. Welch typisch flavischer Gesichtsausdruck, geradezu ein Gemälde wert, nein, ein Relief in Stein, sodass niemand je vergessen würde, wofür die Gens Flavia stand! Für emporgezogene Augenbrauen. Dies konnte diese gens so gut wie keine andere.
    Piso bemerkte, wie der Sklave zurückschritt, als er sich ihm näherte, und fühlte es. Dominanz. Ein berauschendes Gefühl. Der Sklave merkte, der vor ihm, der war größer als er. Besser als er. Er war derjenige, der hier was zu sagen hatte. Nicht Phaeneas, Piso. Es war ein gutes Gefühl, doch der Flavier scheute davor zurück, dem Sklaven zu sehr auf die Pelle zu rücken. Er wollte schließlich nicht dieses putzige Kerlchen verjagen.
    Halthalthalt. Putzig? Wer hatte da putzig gesagt? Neinneinnein. Sicher nicht. Nein.
    Er konzentrierte sich auf Vergil, doch zuvor schaute er Phaeneas tadelnd an.
    “Über Literatur nichts zu wissen ist ein Defizit, und es wäre dir wohl angestanden, früher dich darum zu bemühen. Aber ich werde es dir erklären, auch wenn es mir nicht frommt; denn schließlich ist die Erziehung des Menschengeschlechtes eine feine Sache.“ Piso glaubte das, was er sagte. Er sah sich tatsächlich buschstäblcih als Oberlehrer der Menschheit. Und nun konnte er dies raushängen lassen, vor einem Sklaven, das machte ja nichts, niemand würde ihm böse sein derenthalben. Vielleicht nicht einmal der Sklave.
    “Vergil! Jene Koriphäe der Kunst, der Literatur, der Schriftstellerei!“
    Er machte eine ausbreitende Handbewegung, fast so, als wollte er den Markt damit anzeigen und bedeuten: alles meins! Alles gehört mir! Und nun, das stimmte wohl. Hier ist man Römer, hier lebt sich’s fein. Sofern man halt Römer ist, und so.
    “Was schrieb er außer der Aeneis? Wo soll ich anfangen? Ach, chronologisch am Besten!“ Er nickte grave.
    “Schon früh begann er zu dichten, doch sein erstes wichtiges Werk waren die Eklogen. Sind zehn Gedichte. Eine wahre Lust, ich zitiere dir mal aus dem ersten.“
    Er hüstelte und verstellte die Stimme. Für Meliboes nahm er eine tiefe, für Tityrus eine hohe an. Zuerst kam Meliboeus.
    “Tityre“, rezitierte Piso mit tiefer Stimme. “ tu patulae recubans sub tegmine fagi silvestrem tenui musam meditaris avena; nos patriae finis et dulcia linquimus arva. Nos patriam fugimus: tu, Tityre, lentus in umbra ormosam resonare doces Amaryllida silvas.
    Dann kam die höhere Stimme für Tityrus, und Piso kniff die Augen zu, als er jauchzte: ”O Meliboee, deus nobis haec otia fecit. Namque erit ille mihi semper deus, illius aram saepe tener nostris ab ovilibus imbuet agnus. Ille meas errare boves, ut cernis, et ipsum ludere, quae vellem, calamo permisit agresti.”*
    Er schloss mit einem Grinsen. “Wunderschön, nicht wahr? Sowas haben sie bei euch daheim in Bithynien nicht, oder?“ Er nickte, wie um sich selber zu versichern, dass dies nicht der Fall war. “Und das war nur ein Vorgeschmack? Willst du mehr hören?“ Aus forschenden grauen Augen blickte er auf den Bithynier.
    Doch vorerst schien Pergamon interessanter. Piso runzelte die Stirn. Er war also noch nie dort gewesen und wollte nun über eine Stadt hören, die nicht einmal in Bithynia war, aber nicht allzu weit weg davon? Piso seufzte, und dann nickte er, schließlich hörte er sich gerne reden.
    “Pergamon, oh Pergamon. Wenn ich daran zurückdenke. Oh ja, Pergamon. Die Haupstadt des Pergaments. Einstmals eine große, stolze, unabhängige Stadt. Gepflastert von den Statuen von Kriegshelden, die einst Giganten wie Antiochos den Dritten in den Staub wurfen. Du kennst doch Antiochos den Dritten, oder?“ Der Selekudienkönig mit dem tragischen Schicksal hatte es Piso angetan.
    “Wenn man durch die Straßen geht, merkt man ihn stets, den Duft der Gerbereien, wo Pergament hergestellt wird. Ja, ich weiß, der Geruch von Pisse, aber er wirkt eigentlich ganz lieblich, wenn man sich nicht vorstellt, woher er stammt. Blökende Maultiere, die durch die Straßen schreiten, die eng und verwinkelt sind, und sich auf einmal auftun, um einen Blick auf einen Tempel zu geben. Einem griechischen Gott geweiht, freilich. Marktstände mit kreischenden Marktweibern, Sklavenhändlern, Halunken, die sich Krämer nennen und dir was andrehen wollen... tja. Im grunde genommen gar nciht so verschieden von Rom, um ehrlich zu sein. Aber, mir fällt jezt gerade ein, ich habe ein Paar kennen gelernt, aus Nicaea. Das ist eine Stadt in Bithynien, ich glaube, entweder die zweit- oder drittgrößte nach Nicodemia. Sie liegt an einem schönen See, inmitten der Landschaft Anatoliens. Der See ist nicht weit entfernt vom Marmarameer, aber ich glaube, er hat gar keine Verbindung dorthin. Wie dem auch sei. Hässliche Leute, der Mann hatte eine Hakennase und die Frau einen Buckel. Aber das tut nichts zur Sache. Er hieß... ähm... ich glaube, Glaukos. Ja, Glaukos. Und die Frau, deren Name war Olympias. Ja, Olympias, ganz genau. Wir unterhielten uns sogar über Bithynien. Sie haben mir gesagt, die Christenplage vor allem in Nikodemia sei mittlerweile unerträglich. Die Bithynier beißen an wie die Fische bei dieser komischen Sekte. Und außerdem... hmm... genau. Die Gegend ist bekannt für seinen schönen Marmor. Und für sein Holz. Vor allem Pinien. Wenn man, zumindest um Pergamon, am land war, hat es gerochen nach Pinien. Ja, wenn du einen Eindruck davon erhalten willst, wie es bei euch in Anatolien am Land riecht, kauf dir Pinienholz. Und sonst? Hmm... wüsste gar nicht mehr.“
    Er kratzte sich am Kopf, um sich dann Phaeneas‘ nächster Postulation zuzuwenden.
    “Dunkelheit? Dunkelheit ästhetisch? Das musst du mir erklären. In der Dunkelheit sieht man doch nichts. Nur schwarz. Nur die Farbe schwarz. Sicherlich nicht die schlechteste Farbe. Aber ist es nicht ein wenig eintönig? Sollte nicht für Ästhetik das Motto Varietas Delectat, Verschiedentlichkeit erfreut, gelten?“
    Er legte seinen Kopf schief und blickte Phaeneas, begierig nach einer Antwort, an.


    Sim-Off:

    *auf deutsch:


    Meliboeus
    Tityrus, unter dem Dach der gebreiteten Buche gelagert;
    Sinnst du, ein ländliches Lied zarthalmigem Rohr zu entlocken.
    Wir, aus der Väter Bezirk und liebem Gefilde vertrieben,
    Fliehen das Heimatland: Du lehrest gemächlich im Schatten
    Tönen des Hains Nachhall Amaryllis', der Lieblichen, Namen..
    Tityrus
    O Meliboeus, ein Gott hat so uns Muße gewähret.
    Denn stets wird er ein Gott mir sein: aus unseren Hürden
    Wird oft seinen Altar ein Lamm mit Blute besprengen.
    Jener vergönnt mir die Rinder umher, du siehst es, zu weiden.
    Auch mir selber, nach Lust auf ländlichem Rohre zu spielen.

    Unfroh stocherte der Flavier gedankenverloren mit einem zuvor aufgehobenen Stock am Boden herum. Staub, Dreck. Soviel. Es war unglaublich, wieviel Dreck da am Boden war. So war es halt. Es staubte, wenn es trocken warf, und wenn es geregnet hatte, dann spritzte es. Wie dem auch sei, man wurde dreckig. Diese Tatsache war geradezu erschreckend. Man dachte sich, Rom hätte dem Rest der Welt die Pax Romana gebracht, die Zivilisation, die Kultur, alles Mögliche. Und so. Aber nicht einmal den eigenen Boden konnte man sauber halten. Natürlich bezog sich das auf die verschmutzten Straßen, wo die Sklaven ihre Herren in Sänften herumtrugen, eine elende Existenz fristend am Abgrund. Wenn Rom wirklich so toll wäre, hätte man doch sicher schon einen Weg gefunden, die Straßen reinzukriegen. Und sogar die Gärten! Hier war Erde. Nun gut, es war nicht überraschend, in einem Garten Erde anzufinden. Aber konnte man nicht Erde erfinden, die nicht staubte oder matschte? Wenn man das nicht konnte, dann war doch aller Fortschritt umsonst. Dann konnte man den den Hasen geben.
    Piso grummelte etwas Unverständliches, voll des Gefühles, dass all dies hier verschwendete Zeit war. All das hier. Erde betrachtete er, während er vielleicht über einem Gedicht hocken sollte, oder aber an einem gesetzesvorschlag. Oder über ein Opfer präsidieren sollte. Nein, all das hier war doch vergeudet, vergeudet.
    Er blickte auf, sah drüben einen Sklaven rumstehen. Er schien rumzugaffen. Ein Neuer wohl; Piso kannte ihn nicht.
    Der Senator, angetan in einer leichten Sommertunika, die nichts von seinem Stand verriet, und seine geliebten Sandalen tragend, räusperte sich.
    “He, du da! Komm mal her.“
    Er holte tief Luft, blickte dann zur Erde, blickte dann zum Sklaven, wieder zur Erde, wieder zum Sklaven.
    “Sage mir eines, und zwar wirklich nur eines. Ja, die Antwort hätte ich gerne. Und zwar auf folgende Frage.“
    Er blickte den Sklaven an, wie ein Uhu auf ein unbekanntes Objekt blickte. Ohne Zweifel, die Frage würde nun Tiefgang besitzen. Großen philosophischen Wert. Unheimliche Höhen an Intellekt...
    “Was bist denn du für einer?“
    ...oder auch nicht.

    “Sehr, sehr, sehr gut!“ Der ältere Flavier der beiden freute sich wie ein Honigkuchenpferd, als Minimus die richtige Antwort gab. Vielleicht war er doch kein so schlechter Lehrer, wie er schon zwischenzeitlich gedacht hatte? Oder aber war das nur Glück?
    “Das stimmt ganz genau. Eine Ehe cum manu bedeutet mit väterlicher Hausgewalt. Die Frau hat dann zu ihrem Mann ein Verhältnis... nun, wie eine mit ihrem Vater verheiratete Tochter.“ Urks! Der Gedanke war grausig. Gut, dass es nur noch so wenige cum-manu-Ehen gab. “Das bedeutet auch, dass die Frau den Gentilnamen ihres Mannes annimmt. Und sie erbt wie seine Tochter. Eine Frau, die sine manu geheiratet hat, behält ihren Gentilnamen und untersteht ihrem Ehemann... hmm, halt als Frau ihrem Mann. Aber der Mann hat nicht die Gewalt über sie.“
    Er hüstelte, bevor er weiterlekturierte.
    “Gut, das hast du jetzt eh verstanden, oder? Also, kommen wir auf die Arten der Ehe zurück. Wie du siehst, kann man ohne und mit der Hand heiraten. Aber man kann sich auch aussuchen, auf welche Art und Weise man heiraten will. Es gibt die Ehe per usum, dann gibt es die Confarreatio und die Coemptio. Sagen dir die etwas?“
    Er musste gar nicht so neugierig dreinschauen, wie er es tat. Schließlich hatten schon vorher die Erwähnung dieser Wörter bei seinem Neffen Verwunderung hervorgerufen.

    Die Amme kam nicht sofort, und Piso wollte sich schon daran machen, etwas sauer deswegen zu sein, als Nigrina dann doch Einsehen zeigte und zur Amme hinnickte. Diese kam artig zu ihnen gezuckelt und senkte ihre Arme, um den kleinen Lucius auf Augenhöhe mit Piso zu bringen. Dieser war begeistert.
    “Oh, ohhhh! Wie goldig! Wie putzig! Wie hinreißend!“, süßelte er, als ginge es darum, alle Tenorrekorde zu sprengen. Selbstverständlich konnte man ihm bei seiner Stimmverstellung anhören, dass er ein miserbaler Tenor war, und wohl besser daran tun würde, sich beim Singen auf den Bariton zu verlegen, oder am Besten gar nicht erst damit anzufangen. Pisos auf hoch getrimmte Stimme steigerte sich in eine spitze Schrilligkeit, welche in der Mitte des Satzes jäh absackte, wobei sich die Stimmlage anhorchte wie eine alte, rostige Trompete.
    “Eigutzigutzigutz! Butzbutzbutz! Ist das der tleine Lupfius? Hmm? Ist das der tleine Lupfius?“ Er streckte seine Hand hin aus zu ihm und suchte ihn zu kitzeln. “Killekillekille!“ Er beugte sich vor. “Ich bin dein Onkel Aulus! Du süßer kleiner Wicht!“ Es war hier, da das Absacken begann. “Bist du nicht herzig, bist du nicht ein herziger kleiner Wicht!“
    Er drehte sich wieder zu Nigrina, mit einem bescheuerten Grinsen, welches Männer von seinem Schlage wohl nur haben konnten, wenn sie entweder verliebt waren, über etwas unbeschreiblich Ästhetisches gestolpert waren und sich an dessen Anblick ergötzten, oder ein kleines Kind sahen.
    “Du musst so vernarrt in ihn sein, Nigrina, so vernarrt!“, deklarierte er, obwohl er eigentlich im Wissen über seine emotional ein wenig... spröde Schwester das besser wissen sollte. “Er schaut dir echt ähnlich... er hat wirklich deine Nase! Eigutzigutzi...“ Letzteres war nicht mehr an Nigrina gerichtet, sondern an den Kleinen, welcher wieder eine Befingerungseinheit von Piso bekam. Dann endlich ließ er wirklich von ihm ab. Im Moment war eher aus seinem Gedächtnis gefegt, wer der Vater war. Nein, Piso dachte nur daran, dass er jetzt Onkel war, und zwar nicht nur zweiten Grades, sondern wirklicher, direkter Onkel. Nun fein, Nigrina war seine Halbschwester. Nicht seine Vollschwester, wie die arme, arme, arme Vera, an welche Piso sich regelmäßig mit Wehmut zurückerinnerte, mit dem dumpfen Gefühl, dass mit ihrem Tod in ihm ganz tief drinnen was zerbrochen war.
    Den Gedanken an Vera suchte er aus seinem Hirn zu streichen, als er zu Nigrina hinrückte. “Ach, Nigrina. Ich bin wirklich stolz auf dich.“ Er sprach jetzt endlich wieder in seiner normalen Stimme und blickte Nigrina direkt in die Augen, hoffend, aus ihnen irgendwas herauslesen zu können. Piso hatte zwar noch nie ein Kind auf die Welt gebracht, aber komplett deppert war er nicht: er wusste, dass so eine Kindergeburt eine ziemlich schmerzhafte Sache war für die Mutter. Es gingen ja regelmäßig die Frauen daran zugrunde. Dass bei Nigrina das nicht der Fall war, stimmte ihn froh. Trotz all ihrer Differenzen hätte ihm ihr Tod das Herz gebrochen, vielleicht nicht mal sonderlich weniger, als dies bei Vera der Fall gewesen war. Doch den Gedanken ließ er unausgesprochen.
    “Wie geht es dir jetzt?“ Nein, Nigrina hatte ihn wahrlich nicht besucht direkt nach der Geburt ihres Sohnes, aber fein, Piso hatte zu der Zeit auch eine Grippe gehabt, deshalb verschwendete er keinen weiteren Gedanken darüber, musste er doch annehmen, dass Nigrina das auch mitbekommen hatte.
    “Dein Ehemann behandelt dich wohl gut?“ Bitte, sag nein! Dann hätte Piso eine gültige Ausrede, einen Schlägertrupp auf ihn zu hetzen. Natürlich wäre das keine Lösung für irgendetwas, aber bei Piso trieb das Gefühl bei ihm, schlecht behandelt zu sein, seltsame Blüten. Irgendwie hatte er aber das Gefühl, Nigrina würde ja sagen und seine heroisch-stupiden Pläne damit zunichte machen.

    Piso bemerkte keinesfalls, dass seine Frau Bedenken hatte bei dieser Idee. Er selber hatte das Bild schon ganz, ganz deutlich vor sich. So würde es aussehen. Nur zu dumm, dass man seine Idee dereinst klauen würde, und eine genau so aussehende Statue in Britannia installiert werden würde, nur um Jahrhunderte später ausgegraben zu werden und, im römischen Museum eines kleinen Ortes in Northumberland ausgestellt, ein Muss für jeden Touristen, die den Hadrianswall begutachten wollte, sein würde.
    Der Flavier strahlte, als Prisca das Projekt als geradezu bombastisch beschrieb. Bombastik war schön; fast so wichtig und gut wie Ästhetik. Das eine beinhaltete oft das andere; klein, aber fein mochte Piso irgendwie nicht gefallen. Nein, wenn es schon was geben sollte, dann sollte es schön groß und überkanditelt sein. Sonst war es doch die Arbeit nicht wert.
    Prisca schlug Patraios als den Handwerker vor, der dies machen sollte, und Piso nickte. Er kannte den Typen nicht so recht, aber beim Barte Iuppiters, wenn er so gut war, wie Prisca es behauptete, so sollte er es denn machen!
    “Gut, dann lass Patraios dran. Er wird das sicherlich so hinbekommen, wie ich es mir vorstelle! Herzlichen Dank, dass du ihn mir zur Verfügung stellst!“
    Er grinste und nickte, wie um sich selbst zu bestätigen. Das würde sicher eine nette Sache werden. Der Grieche würde das sicherlich hinbekommen... hoffte der Flavier mal.
    Doch dann kam Prisca auf etwas anderes zu sprechen, auf das, was sie ihrem mann mitteilen wollte. Piso saß wie auf Nadeln. Ja, wieso sagte sie es ihm denn nicht? Vor allem, wenn es nichts so Wichtiges war?
    Und dann platzte Prisca damit heraus, mit leider Stimme.
    Zuerst mal geschah gar nix. Piso blickte nur Prisca an, als ob er noch immer auf die Nachricht warten würde.
    Dann schlich sich eine leichte Röte auf seine Wangen. Anschließend klappte sein Unterkiefer hinunter.
    “Oaah.“ Was Besseres, was Intelligenteres brachte er nicht raus? Wohl nicht. Er schluckte, und holte tief Atem. Dann griff er zu den Händen seiner Frau und drückte sie.
    “Du bist... wirklich... in der Hoffnung?“ Seine Worte waren gestammelt. Er schluckte abermals. Dann breitete sich ein Lächeln über seine Gesichtszüge aus.
    “Prisca... Prisca! Ich werde Papa! Und du wirst Mama! Das ist so wundervoll... so...“ Er unterbrach sich, war er doch der Tatsache bewusst, dass, wenn er weiterreden würde, nichts als gehaltloser Quatsch mehr herauskommen würde.

    Piso nickte grave. “Selbstredend, selbstredend. Die römische Bürgerschaft ist eine Zier für jeden Menschen, und eine Ehre für alle, die es sich durch ihrer Hände Arbeit erwirtschaftet haben.“ Der Flavier wusste sehr wohl, wie beliebt die römische Bürgerschaft war. Es war nicht schwer, zu sehen, was der Grund dafür war. Natürlich der hübsche Gentilname. Sextus, sagen wir einmal, Minucius Cafo, das gab schon viel mehr her als einfach nur Sextus Cafo, ein Name, der einfach nur schrie: ich bin ein ungewaschener Provinzler. Mit einem Gentilnamen war man dabei, bei den Römern. Man konnte Ritter, gar Senator werden mit so einem Gentilnamen. “Deinen Platz gedenkst du als römischer Bürger zu finden? Oder gar als etwas noch Höheres?“
    Er hob seine linke Augenbraue, als Cafo auf seine erste Frage mit natürlich entgegnet, und die zweite folgte, als der Korse weiter erläuterte. Er nickte dann leicht. Die Antworten gefielen ihm alle sehr. Und bei der Antwort auf die letzte Frage konnte er ein Grinsen sich nicht mehr verkneifen.
    “Ein Interessent also, ein interessierter Interessent. Nun, ich muss etwas gestehen, ich bin auch interessiert, und zwar, wie du dich in meinen Diensten schlagen wirst. Wann kannst du anfangen?“ Piso dachte gar nicht recht über alle Implikationen seiner Worte nach, er machte einfach das Angebot. Sein gutes Bauchgefühl, so hoffte er, würde ihn nicht betrügen. Denn das wäre wohl ein wenig ungut, würde es dies machen. Schließlich hatte er schon oft Bauchgefühlentscheidungen getroffen. Na gut, einige hatten absolute und ungebremste Katastrophen katalysiert. Andere jedoch hatten dazu geführt, dass er ins Schwarze getroffen hatte.
    Von jenem Bauchgefühl geleitet war er auch, als er sich entschloss, sogar einen Schritt empor zu machen. “Sag, hast du schon einen Patron hier in Rom?“ Er legte den Kopf schief, als er auf die Antwort wartete.

    ”Ah. Gut. Gut, gut gut.” Pisos Stimme klang leicht geistesabwesend. Ausnahmsweise jedoch rührte seine Gedankenabwesenheit nicht vom Gedanken an überaus ästhetische Zusammenhänge, welche sich einfachen Laien nicht erschlossen (und auch nicht Professionellen), sondern von durchaus simpleren Sachen. Namentlich der Gedanke an seinem Vater. Ein Gebet an Mars, dem Beschützer seiner Gens, dass der weg war! Seine Abscheu gegenüber seinem Vater war nur noch gewachsen dadurch, dass er seine Schwester an diesen unmöglcihen menschen verramscht hatte... aber seine Gedanken behielt er bei sich. Er hatte schon damals, im Theater, ein Fiasko veranstaltet; er wollte jetzt nicht schon wieder was anfangen, indem er sich über einen Aurelier despektierlich äußerte. Nein, Klappe halten und nichts sagen war seine Strategie für jetzt. Also nickte er nur weise und räusperte sich, ganz so, als pflegte er weise Gedanken in seinem Schädel.
    Prisca war wohl ein bisschen überrascht von seiner Idee mit dem Löwenbrunnen, wohl auch, weil seine Idee wohl ein wenig... nun ja, komisch daherkam, besonders, wenn man bedachte, dass er das Thema komplett willkürlich angeschnitten hatte. Doch der Gedanke ließ ihn nunmehr nicht los.
    “Ganz genau, ein Löwe! Aus Stein gemeißelt. Er hockt über einem von ihm erjagten Hirsch. Das Geweih würde natürlich auch genuau herausgemeißelt sein! Der Hirsch liegt am Boden, der Löwe hat seine Krallen in den Kadavaer hineingegraben und beugte sich über das Tier, um es zu fressen! Und sein Mund bildet eine Röhre. Irgendwo am Hinterkopf kommt sie wieder raus—dort steckt man eine Röhre hinein, durch welches das Wasser aus dem Mund herausfließen kann. Das wäre doch eine Bombenidee!“ Begierig nach einem Wort des Lobes blickte er seine Frau an.
    Piso konnte ein Grinsen sich nicht verkneifen, als Prisca ihre Antwort in eine Lobesrede an ihren Mann verpackte. Unglaublich, dachte er sich selber. Geliebt zu werden, welch rares Gefühl! Besonders für ihn, der als Halbwaise aufgewachsen war und stets an einem (gefühlten) Liebesdefizit zu leiden gehabt hatte. Archias‘ und Veras Tod damals hatten ihm die einzigen Menschen genommen, zu welchen er eine tiefe Bindung gespürt hatte. Doch nun war Prisca da, und alles war gut. Zumindest, sobald diese vermaledeite Krankheit endlich vollständig auskuriert war!
    Dann vernahm er seinen Praenomen. Was war nun wieder los? Er legte seine Stirn in bedeutungsschwangere Runzeln, als er ihre Bitte hörte.
    “Ich schweige wie ein Grab. Was ist denn los?“ Besorgnis konnte man ihm durchaus anhorchen, auch wenn innerlich bereits in seinem Hirn all die Möglichkeiten durchrasten. Konnte es sein, dass sie mit diesem Weibsbild, dieser Germanica, dieser gewesenen Spielfrau, was ausgeheckt hatte? Denn Piso war nicht entgangen, dass Prisca dieser sich stets in die Mitte des gesellschaftlichen Lebens zu drängen verstehende Dame durchaus nahe stand.

    Uff, man hatte ihn jetzt doch reingeholt. Eigentlich hatte Piso vor der Türe warten wollen, aber man schien es sich nicht zu nehmen lassen, ihn höchstselbst hier hineinzubitten. Na fein. Dann halt so.
    Also folgte er den Anweisungen des Sklaven, erhob sich aus seiner Sänfte, schritt durch die Porta und ins Atrium hinein. Dort ließ er sich auf eine der Liegen nieder, sich irgendwie wie ein Eindringling vorkommend, denn schließlich würde sich nun gleich vor seinen Augen ein Abschied vollziehen. Freilich kein Abschied für immer, Caerellia würde natürlich ihre Gens wieder besuchen gehen können.
    Aber es war ein Abschied vom Leben als Familienmitglied.
    So nahm Piso also auf einer Kline Platz und wartete.