Die Last der Verantwortung spürte Piso buchstäblich auf sich sitzen. Wobei dies kaum etwas sein sollte, was ein Thema sein sollte, schließlich war er Pontifex. Für ihn war es Routine, solch ein Opfer zu bringen. Er hatte hier schon geopfert, das letzte Mal gerade erst eben, als er zwei Schweine als Opfer dargebracht hatte. Er musste noch daran zurückdenken, wie er hier zum ersten Mal geopfert hatte. Eine schöne Sauerei hatte er hinterlassen! Das würde ihm nicht noch einmal passieren. Zumindest hegte er die ehrliche Hoffnung darauf.
Piso hörte den Zug hinter sich zu einem Halt kommen. Es war nun die Zeit. Er drehte sich zum Flamen und nickte ihm kurz zu. Es konnte beginnen.
Unauffällig kratzte er den Straßenschmutz von den Schuhen an einer marmornen Treppenkante ab, bevor er sich daran machte, die Treppen mit langsamen und würdevollen Schritten zu erklimmen. Wie gut, dass die Toga gut saß. Er ging durch eine Allee von Flötenspielern, die sich schon hier versammelt hatten, in der berechtigten Annahme, gleich würde das Hauptopfer kommen.
Vorm Tempel atmete er noch einmal kurz aus, und trat dann ein. Ein Sklave reichte ihm eine Schüssel, leise konnte man das Schwappen im Gefäss hören. Piso steckte seine Hände hinein und murmelte die rituelle Reinigungsformel.
Dann ließ er auch den Flamen dran, während er selber zum Altar der Dea Dia hinschaute. Die Sklaven hielten die Opfergaben schon bereit. Der Flavier nickte dem Flamen zu. Es konnte beginnen.
Die Sohlen machten einen ledrigen Klang am marmornen Boden, während sich die beiden Priester zum Altar hinbewegten. Ein Sklave reichte Piso Weihrauch, dieser blickte ihn eine Sekunde lang an, als hätte er keinen Plan, was damit zu tun wäre, dann aber schmiss er endlich die einen der Steine in das Feuer im Foculus. Dann breitete er die Arme aus.
“Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums. Nehme diesen Weihrauch an. Möge er dir zur Ehre gereichen.“
Der zweite Brocken Weihrauch wurde in die Schale geworfen. Piso drehte sich nach rechts, und schritt weg, damit der Flamen seinen Platz einnehmen konnte. Dieser hüstelte, bevor er auch begann. Er hielt einen Krug Wein in seinen Händen, den er auf den Altartisch stellte.
“Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums. Nehme diesen Wein an. Möge er dir zur Ehre gereichen“, wiederholte er fast Pisos Worte.
Der Weihrauch qualmte noch immer fröhlich, so dachte Piso, es musste eigentlich alles gepasst haben. Schon etwas optimistischer schritt er nach draußen, der Flamen ging hinter ihm einher. Er selber würde das fleischliche Opfer darbringen, schließlich war er der Magister.
“Favete Linguis!“, erschallte die Stimme eines Herolds, und ein Getute fing an, dass es einem die Ohren gellte. Eine unglaubliche Kakophonie veranstalteten die Flötenspieler, und nur wahre „Künstler“ wie Piso wussten so etwas zu genießen, zumindest war er sich darin sicher. Mit einem hintergründigen Schmunzeln auf seinen Lippen schritt er herunter, wo schon am Altar das Tier lag. Armes wolliges Schäfchen, komplett ding vor lauter Drogen, welche man ihm ins gefrässige Mäulchen gestopft hatte. Mit einer dramatischen Geste zeigte er auf das Tier.
“Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums, sieh herab! Dir sei dieses Tier geweiht! Möge es dir gefallen, wenn es ein gutes Opfer ist!“
Er streckte die Hände, nur, um sich abermals symbolisch die Hände zu waschen und sie dann mit einem rituellen Tuch abzutrocknen. Dann begutachtete er einen Opferhelfer dabei, wie er eine gesunde Portion Mola Salsa über das Tier streichte. Piso wurde derweil ein Messer gereicht. Nicht ohne Bewunderung warf er einen Blick drauf, ein feines Exempel römischer Schmiedekunst, ganz ohne Zweifel.
Dann nahm er es fest in die Hand und strich damit hingebungsvoll dem Schaf über den Rücken. Er händigte das Messer zurück und sprach dann mit fester Stimme, während die Flötenspieler leise wurden, aber nicht komplett aufhörten zu spielen:
“Dea Dia, große Mutter, Göttin des Wachstums, Göttin der Fruchtbarkeit! Du hast unserem Reiche schon oft fruchtbare Perioden geschenkt, gute Ernten und rasch wachsendes Korn! Ich, Aulus von den Flaviern, genannt Piso, rufe dich an. Schon oft habe ich, schon oft hat meine Bruderschaft dir reichhaltige, großzügige Opfer gebracht. So bringe ich dir als Magister der Arvalbruderschaft auch heute ein Opfer: jenes Schaf hier. Im Austausch, gewähre mir eine Bitte! Erhalte auch für das kommende Jahr das Wachstum der Pflanzen auf Roms Äckern und Weiden. Bewahre das Wachstum unseres Reiches, unserer Städte, unserer Macht als Römer! Wenn du dies tust, so werde ich, so werden wir dir auch in Zukunft weiter gute Opfer geben, so du gibst, wie ich gebe.“
Mit diesen Worten erpackte er den Weinpokal, den man ihm von rehcts reichte, hob ihn hoch über sich selbst und goss dann den Wein auf das Schaf. Anschließend wandte er sich an den Victimarius. Dieser blickte ihn einen Moment dumm an, bevor es ihm zündete.
“Agone?“
Piso bestrafte sein Zögern mit einer Pause von der selben Länge.
“Age!“
Das Messer schnitt tief in die Kehle des fetten Tieres ein. Während es sich mit einem schwachen Blöken von der Welt verabschiedete, eilten Ministri her und fingen das Blut mit Bechern auf. Der Victimarius machte sich daran, den Bauch aufzuschneiden und die Eingeweide herauszuschneiden. Diese wurden auf ein Tablett gelegt und Piso gereicht. Piso blickte argwöhnisch auf jene, gespannt, welche Qualität sie haben würden.