Beiträge von Aulus Flavius Piso

    Der Flavier nickte dankbar und ließ sich mit einem leichten Ächzen, welches verriet, dass er einige Zeit nicht gesessen war, sich auf den Stuhl vorm Arbeitstisch des Senatoren nieder.
    Die erste Frage des macer hatte er irgendwie schon fast erwartet. „Nun, Senator Purgitius, ich bin mir dessen bewusst, dass ich Patrizier bin, und du nicht. Genauso aber weiß ich, dass das nicht viel zu bedeuten hat. Als Patrizier bin ich genau so römischer Bürger wie du. Und es wäre arrogant, anzunehmen, dass Patrizier noch immer, wie in der Republik, die Zügel in der Hand halten.“ Er hüstelte. „Zudem bist du, wie ich zuletzt gehört habe, Patron eines Aureliers. Und ich kann noch an viele andere Plebejer denken, die Patrizier als Klienten haben. Aelius Quarto und die Vinicius-Brüder zum Beispiel.“, ließ er vernehmen. „Und, was dazu kommt, es ist ja nicht so, dass du nicht eng mit den Tiberiern verbandelt wärest.“, strafte er den Gedankengängen des Macer Lügen.
    Auf die letzte Frage des Purgitiers hin musste er nachdenken. „Hmm. Flavius Milo. Das war doch... der Bruder des Furianus? Ich habe ihn nie kennen gelernt. Er ist ja vor einiger Zeit einer Krankheit erlegen. Wenn du den meinst, ja, ich bin mit ihm verwandt, er ist... mein Neffe zweiten Grades...“ Er ließ eine kurze Pause. „...gewesen. Wieso fragst du?“

    „Danke.“, meinte Piso und setzte sich, sowie ihm ein Stuhl angeboten wurde. Kaum hatte er sich gesessen, wurde eine Tirade auf ihn losgelassen, die Piso wohl einschüchtern sollte. Indes aber musste sich Piso beherrschen, um nicht mitleidig loszulächeln. Er saß also vorm Annaeer und hörte ihm interessiert zu.
    Am Ende der Rede räusperte er sich. „Zu deinen Punkten, Annaeus, will ich meine Notarii in Schutz nehmen. Es sind alles hoch qualifizierte Leute, die es durch harte Arbeit in die Kanzlei geschafft haben. Allerdings handelt es sich bei ihnen, aus einem oder anderem Grund, zumeist um äußerst instabile Persönlichkeiten. Sie sind leicht zu erschrecken, und aus der Ruhe zu bringen. Es waren mehrere Faktoren, die zu so einer Reaktion geführt haben, wie du sie erlebt hast. Zum einen das neue Gesicht, dann dein doch sehr unruhiger Auftritt. All dies brachte das empfindliche Äquilibrium im Officium ins Wanken. Zu deinem Punkt, dass manche Notarii mehr zu tun hatten als andere: Es liegt in der Natur der Kanzlei, dass dies so ist. Die Notarii sind – übrigens erst nach einer strukturellen Reform, die ich selbst durchgeführt habe – in Kommittees eingeteilt. Sicherlich verstehst du den Sinn dahiner. So sind nämlich die Notarii spezialisiert und können die Anfragen besser und spezifischer beantworten. Es sind 8 Kommittees also insgesamt, und zwar zwei für Anfragen aus den Verwaltungen des lateinischsprachigen, und zwei für die des griechischsprachigen Teiles des Reiches – jeweils für Stadt- sowie Provinzverwaltungen. Dann eines für Anfragen aus dem Cultus Deorum, eines für Anfragen aus der Stadtverwaltung von Rom, eines für Anfragen sonstiger Bürger, und eines für Anfragen sonstiger Mitbürger. Heute erhielten wir einen Stoß von Anfragen aus Achaia, Aegyptus, Asia und Syria, also aus griechischsprachigen Gebieten. So waren 3 der Kommittees überproportional beschäftigt, während andere weniger zu tun hatten. Das System funktioniert aber.“ Endlich holte er wieder Luft.
    „Zum Punkt bezüglich des Mannes, der in Ohnmacht gefallen ist, das ist ein besonderer Fall. Quintus Manlianus Tlepolemus, ein Freigelassener. Er hat, wie mehrere Notarii, einige Traumata aus seiner Sklavenzeit, was seine merkwürdige Reaktion erklärt, aber er ist ein fürchterlich intelligenter Mensch, der eine echte Bereicherung ist. Alkohol, muss ich sagen, wird nicht während der Arbeitszeiten getrunken. Das sollte klar sein. Zudem möchte ich sagen, dass es durchaus Leute gibt, die ihre Freigelassenen – denn die meisten Notarii sind solche – in die Kanzlei hineinstopfen. Aber meistens erledigen diese Leute ihre Arbeit komplett zufrieden stellend, also sehe ich keinen Anlass, sie zu feuern. Eine Liste kann ich aber dir gerne machen von deinen Leuten.“, meinte Piso. „Und, ich bin froh, dass du das Officium nicht gesehen hast, als ich dort angefangen hatte. Es war ein schlimmes Chaos, jetzt arbeiten sie immerhin, und sind durch unerwartete Störungen nur noch ein paar Sekunden abgelenkt, als noch fast eine ganze Stunde. Man braucht, wie soll ich es sagen, einfach in wenig psychologisches Feingefühl bei meinen Leuten. Ich würde aber für jeden von ihnen meine Hand ins Feuer legen.“, versicherte der Flavier Varus.
    „Vielleicht hat dir das jetzt einen nützlichen Einblick gegeben. Nur eine Sache ist mir nicht klar. Wieso hat Prudentius Balbus dich nicht über die Situation in der Kanzlei informiert? Du hast doch sicherlich mit ihm, als deinem Amtsvorgänger, schon geredet.“, hackte er nach.

    Dem Ianitor hintendrein wuselnd, war Piso ins Interieur der Casa Purgitia vorgestoßen. Gar nicht mal ein so schlechtes Haus. Auch wenn es nicht ganz so prunkvoll war wie patrizische Villen, was aber vielleicht eher auf die Extravaganz der Patrizier als dem fehlenden Reichtum der Purgitier zuzuführen war.
    Und so wurde er hineingeführt. Piso hatte Macer noch nie gesehen, doch es war ihm sofort klar, wer dies war. Ein eher hagerer Mann mittleren Alters, in etwa gleich groß wie Piso. Der Flavier schritt auf ihn zu. „Salve, Purgitius Macer. Mein Name ist Aulus Flavius Piso, doch ich denke nicht, dass dir dieser Name etwas sagt. Darf ich mich setzen?“, fragte er mit aller Höflichkeit, die er aufbringen konnte, ohne dabei unterwürfig zu wirken. „Ich möchte nicht um den heißen Brei herumreden. Ich bin aus einem spezifischen Grund zu dir gekommen – und zwar, um dich zu bitten, mein Patron zu werden.“, begann er, gleich ins kalte Wasser springend. Dem Purgitier blickte Piso direkt in die Augen, gefasst darauf, dass der Mann ziemlich viele Fragen an ihn hätte.

    Ein Herein war zu hören, und Piso machte die Tür schwungvoll auf. „Salve!“, begrüßte er den Plebejer. „Du hast dich wohl schon ein wenig eingelebt. Ein schönes Officium, nicht wahr?“, meinte er. Er war gut vertraut mit diesem Zimmer, welches auch durch den Einzug eines neuen Pal nichts an seiner Atmosphäre verloren hatte. „Du hast mich hierher berufen. Was gibt es?“, fragte er, sich vor dem Tisch des Procuratoren hinstellend.

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    Ach, Phoebus! Ach du armer, von Unglück heimgesuchter Phoebus! Das Schicksal hat dir nicht nur auferlegt, Sklave zu sein, nein, die Claudierin hat es dir ebenfalls auf den Hals gehetzt. Dass Phoebus aus jenem Grund das Heil in der Flucht vor der rabiaten Patrizierin suchte, war mehr als verständlich. Phoebus rannte zu Antonias Cubiculum und klopfte an. Hineinplatzen wollte er schon, doch er besann sich eines Besseren und wartete lieber, bis dass man ihn herein bat. Nur durch solches Benehmen konnte man langfristig in der Villa Flavia als Sklave existieren.

    Phoebus bremste sich in direktgehend bewundernswertem Tempo ab und kehrte zur Claudierin wieder zurück, wo er den Umhang entgegen nahm. „Ja, Herrin. Mache ich, Herrin. Sofort, Herrin.“, quäkte Phoebus armselig und machte sich sofort auf dem Weg. Nichts wie weg von dieser Schreckschraube, von der er schon so viele Horrorgeschichten gehört hatte, dachte er sich und pfitzte von dannen, zu einer Garderobe in einem Flur neben dem Atrium, wo er das sichere Refugium wähnte und den Umhang an einen Haken pflanzte. Umgehend hernach rannte er eilends zu Antonias Cubiculum.

    „Das ist ja selbstverständlich!“, behauptete Piso und beobachtete mit einer gewissen Befriedigung, wie die alte Germanicerin sein Taschentuch volschnuddelte. Dass sie ihm solch gute Benehmensnoten bescheinigte, war durchaus Balsam für seine Seele. Es war eine Tat, für die er sich auf die Schulter klopfen konnte und sich selber einreden konnte, was für ein guter Mensch er doch wäre. Hätte er gewusst, dass er nun von Laevina gewissermaßen als Projekt auserkoren worden war, wäre ihm seine selbstgefälligen Gedanken im Hals stecken geblieben. So aber fühlte er sich wie der gute Samariter (zumindest würde er sich so fühlen, hätte er schon jemals von ihm gehört).
    Das Gespräch ging jetzt aber nun über auf eine sehr schöne Ebene, die Piso sehr gefiel. Musik! Und nicht nur das, die alte Dame wollte durchaus eine Kostprobe hören. Der Flavier lächelte und nickte eifrig. „Ja, ich mache das gerne! Wenn ich nur meine Lyra hätte!“, sprach er salbungsvoll. „Selbstredend habe ich für eine so nette Dame wie dich Zeit. Soll ich gleich hier beginnen?“, fragte der junge Patrizier, komplett vergessend, dass er sich hier an der Öffentlichkeit befand.
    Und noch etwas wollte er loswerden. Und zwar das, was Calvena anging. „Gut, dass dein Verhältnis zu ihr nicht allzu innig ist! Oh, Götter, sie sollen gedankt sein, dass du dich durch Kontakt zu ihr nicht korrumpieren hast lassen! Ich werde dir die Geschichte erzählen, nicht weil ich eine Petze bin, sondern da auch ich denke, dass Moral und Anstand das Wichtigste in jedem römischen Haushalt sind.“
    Er räuspert sich. „Wo beginne ich? Genau. Einst, an einem Tag – verdammt solle er sein – ging ich über den Markt, wo ich die Gelegenheit hatte, einem Sängerwettstreit bezuwohnen, auf einer Bühne, der Calvena gehörte. Damals, das solltest du wissen, hieß sie noch nicht Calvena. Sondern Aoide.“ Er ließ eine dramatische Pause. „Und sie war Gauklerin, die durch die Lande zog. Du kennst vielleicht diese Art von Landstreicherinnen. Sie huren, stehlen, brandschatzen, meucheln, ziehen das Geld den Leuten aus den Taschen, und bringen sich in sonstige unehrliche Aktivitäten ein, die zu erwähnen ich, vor lauter Schock über ihre schiere Existenz, nicht imstande bin.“ Er rümpfte die Nase ein wenig affektiert. „Und, angestachelt durch sie und ihre Spießgesellen, begannen die Leute, mich mit Sachen zu bewerfen. Wie deplorabel! Ich wurde schwer verletzt, nur meinem treuen Sklaven habe ich mein Leben zu verdanken.“ Dass Calvena ihn eigentlich ganz anständig behandelt hatte und noch versucht hatte, sich mit ihm auszusöhnen (und die Masse überhaupt nicht aufgewiegelt hatte), war schon aus seinem gedächtnis herausgestrichen. So groß war die Schmach gewesen, dass Piso, unbewusst, die Ereignisse in seinem Kopf so herumgebogen hatte, dass sie in sein Wunschschema passten.
    „Ich muss dich warnen. Nimm dich vor ihr in acht. Ich könnte schwören, sie hat noch immer das alte betrügerische Element in ihr. Vielleicht wachst du einmal auf und stellst fest, dass sie dich ausgeraubt hat und du nur noch mehr dein Nachthemd besitzt!“, machte er, untermalt von ein paar dramatsichen Gesten.

    Mit seinem ein wenig schlacksig anmutenden „Kanzlei-Gang“, den man zwangsläufig in dieser Atmosphäre annahm, war Piso von seinem Officium zu dem des neuen Procurator a libellis, oder Pal, wie man den Posten zumeist nannte, geschritten. Vor er Tür blieb er stehen und klopfte kräftig an. Nun war die Frage – eintreten oder warten, bis man ein Herein hörte? Er entschied sich für Letzteres, bei seinem ersten mal beim neuen Procurator zumindest. Also wartete er brav vor der Türe, irgendwann einmal musste der Annaeer ihn ja herein rufen.

    Dass Varus neu in der Kanzlei war, würde man an seinen Gedankengängen sofort erkennen können. Hätte er das Officium gesehen, bevor Piso dort die Herrschaft übernommen hatte, hätte er Pisos Leistungen, den Haufen in Ordnung zu bringen, eher würdigen können. Denn obwohl es Rückfälle gab – wie zum Beispiel, wenn jemand Neuer ohne Vorwarnung ins Officium geplatzt war – oder wenn es besonders heiß war, und alle in einen Dämmerzustand verfielen – war Piso mit seiner Arbeit bisher doch zufrieden.
    Was Piso jedoch gar nicht gefallen wollte, war der Tonfall, in dem der Procurator ihn anherrschte. Erstaunt darüber, dass es ein Plebejer wagen konnte, ihn so zu behandeln, hob er die rechte Augenbraue. Als der Mann sein Officium verlassen hatte, wandte sich der Primicerius an seinen Obernotarius, Numerius Urbicus. „Komischer Vogel, der Annaeer, nicht wahr?“ „Mhmm...“, murrte der Numerier zurück und zuckte die Achseln. „Dann werde ich einmal zu dem rüber.“, versetzte der Flavier, stand auf und verließ rasch und geräuschlos das Offcium, um das sensible Äquilibrium dort nicht ins Wanken zu bringen.

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer
    Der Türhüter brauchte nicht lange nachzudenken, bevor er freundlich nicken konnte. "Ja, heute Nachmittag in drei Stunden wirst du mehr Erfolg haben, wenn der Senator nicht unerwartet aufgehalten wird."


    “Nun gut, dann danke ich für die Auskunft. Bis in drei Stunden. Vale.“, meinte Piso und verließ das Haus.


    -----------Nach 3 Stunden-----------


    Wie er es immer so gerne tat, war Piso stundenlang über den Markt gerannt und hatte dort mannigfaltige Güter von mehr oder minder großer Qualität bestaunt. Er hatte aber nichts gekauft, sich aber ein paar gute neue Stände gemerkt. Und er hatte vor allem sorgsam darauf aufgepasst, dass an seiner pickobello-tadellosen Toga sich weder ein Fleck noch eine überflüssige Falte gemütlich machten.
    Pünktlich jedoch, er wollte schließlich keine Zeit verlieren, war er wieder zur Casa Purgitia zurückgekehrt. Und so geschah es, dass er zur Tür ging und wieder daran klopfte. Wer da kein Deja-Vu bekam, dachte er und wartete artig auf den Ianitor.


    Acanthus‘ Gesicht war durchaus interessant anzusehen im Verlauf dieses kleinen Episödchens. Zuerst, als er mit diesem inkompetenten Sklaven, bei dem man von 17 Wörtern elf nicht verstand, konfrontiert war, blickte er mit unverhohlenem Grant drein. Als diese Furie auf ihn zugestampft kam, wandelte sich sein Gesichtsausdruck in einem von Alarmbereitschaft und Zorn (dachte er doch, nun müsse er sein Leben riskieren). Und als er den Namen vernahm – wurde er weiß wie Kalk im Gesicht. Claudia Ofella. Selbst bei den flavischen Sklaven berüchtigt. Der rote Drache, wie sie sich selber selbstbewusst nannte.
    „Ähhhhhhmmm...“, brillierte er in Eloquenz. „Öhhhhhhmmm...“, bemerkte er noch, als Ergänzung. Dann schluckte er und nickte langsam. „Sisisisisssssicher, werte Dame. Tritt ein.“ Hastig trat er zurück, langte zum jungen Phoebus, der gerade seine Sieste hielt, packte ihm am Schlawittchen und zog ihn zu sich. „Zu Antonia. Der rote Drache.“ Geflüstert war dies, damit Ofella dies nicht mitbekam. Der Knirps erbleichte ebenfalls, machte eine so tiefe Verbeugung vor Ofella, dass es aussah wie eine gymnastische Übung und eher einem Kowtow glich, und führte sie ins Atrium.


    Sim-Off:

    EDIT: Heut hat's mich echt...


    Der Kosmos, oh ja, der Kosmos ist eins mit der Kraft des Lebens, welches seine Perfektion im Menschen erreicht hatte. Daraus kann man folgern, dass der Mensch ganz speziell im Einklang mit dem Kosmos steht, und zwar insoweit, als dass... „Oh, verdammt!“, knurrte Acanthus verärgert, als Türklopfen den selbst ernannten Philosophen von seinen Gedanken aufrüttelte. Er setzte sein grimmiges Torwärtergesicht auf und öffnete dieselbstverständlich gut geölte Tür.
    Dort wurde er gleich einmal von einem Kerl angelabert, ja was wollte der schon wieder? Was für eine Ofella? „Ofella?“, fragte Acanthus deswegen perplex nach. „Meinst du Afrania Ofella? Oder Numeria Ofella?“, fragte er, zwei Frauen diesen Namens erwähnend, die ihm sofort einfielen. Trotz seiner Verduztheit ließ er es sich nicht nehmen, weiterhin grantig einherzuschauen.

    Sim-Off:

    Ah du bist Pal, nicht Pam, das habe ich nicht geschnallt ;)


    Innerhalb einer Sekunde geschahen mehrere Dinge. Die Türe ging auf. Die Augen aller wanderten zur Türe hin, durch die ein unbekannter Mann trat. Einige Notarii fingen zu wimmern vor Schrecken an, einer rief mit lauter Stimme Iupiter an (er möge ihn doch davor bewahren, ihn den Himmel auf den Kopf stürzen zu lassen), einer hub laut auf griechisch zu fluchen an, und einer fiel in Ohnmacht. Ein paar wandten sich widerwillig ab, um wieder ihrer Arbeit nachzugehen, und einige halfen dem Bewusstlosen.
    Alltag in der kaiserlichen Kanzlei, dachte Piso, als seine müden Augen über die Scharen der aufgeschreckten Notarii wanderten, zu jenem Kerle hin, der sich vor ihm aufgebaut hatte. Er musste wohl in Balbus‘ Alter sein. Ein Ritter ebenfalls. Der Flavier blinzelte ein paar Male, um sich aus dem Dämmerschlaf, in den ihn seine Arbeit gerne immer wieder versetzte, aufzuwecken.
    „Ahhhh... salve, Annaeus Varus. Ich habe dich schon erwartet.“, meinte Piso, der schon informiert worden war von einem Notarius, und stand auf. „Willkommen in der Kanzlei. Mein Name ist Aulus Flavius Piso. Freut mich sehr.“, meinte er. „Ich bin, wie du siehst, der Primicerius hier.“ Ein übler Job, den er schon viel zu lange machte. „Das hier ist das glorreiche Officium XXIII. Dein Officium ist übrigens gleich nebenan. Du bist schon mit deinen zukünftigen Aufgaben hier vertraut, oder?“, fragte er und musterte den Annaeer, als ob dieser ein Museumsexponat wäre. Sicherlich würde dem so sein, die Frage war eher, ob er die großen Fußstapfen, die Balbus hinterlassen hatte, ausfüllen konnte.

    Trotz aller familiären Differenzen schienen sich Piso und Quarto zu verstehen. Er nickte nur, es war klar, dass Quarto verstanden hatte. „Selbstverständlich hoffe ich ebenfalls nicht, dass es zu so einen Fall kommt. Wenn aber jener Mann mehr Macht sucht, als ihm zusteht... das wird ein Debakel. Ich denke, in der Stadt Rom selber hat er wenig Unterstützung... aber in den Provinzen schaut es anders aus...“, gab er zu Bedenken.
    „Es freut mich ganz außerordentlich, das von dir zu hören.“ Piso meinte es ehrlich. Die Aussöhnung der Aelier und der Flavier, ein Ziel, dass er selber schon lange vor Augen gehabt hatte, schien zum Greifen nahe! „Ich könnte mit jenen dreien reden. Sicher hätte sie Zeit, mit dir die Lage zu besprechen, und eine Übereinkunft zu finden. Aber du musst bedenken, dass meine Gens einen lang gehegten Wunsch hat, den du zu erfüllen imstande bist. Die Aufhebung der damnatio memoriae einer Person, die ich weder erwähnen muss noch darf.“ Piso blickte Quarto forschend an. Könnte er dies überhaupt?

    Piso wollte sich einfach nicht richtig in seiner Haut wohl fühlen. Er kratzte sich am Kopf, wie ein Affe, der über etwas nachgrübelte. Seinen Onkel starrte er ungläubig an. Noch ein Verwandter! Es gab doch immer wieder Leute aus der riesigen Familie der Flavier, die er nicht kannte. Er senkte seine Hand, des schlechten Eindrucks, die solch eine Aktivität wie Kopf kratzen schinden musste, eingedenk, und gewann endlich wieder die Sprache zurück, als Aristides schon abgegangen war, um sich um die cena zu kümmern.
    „Onkel... Manius!“, entrang er sich dann selber. Es schien sich tatsächlich um einen Onkel zu handeln, von dem Piso noch nie gehört hatte... oder halt... da war doch etwas gewesen. Genau, er hatte den Namen schon einmal in einer Genealogie gesehen. Doch Piso hatte nichts anderes annehmen können, als dass dieser Mann bereits tot war. Nun stand jener aber sehr lebendig vor ihm und bezeichnete ihn als Neffen.
    Ein peinlicher Moment entstand, als sich die beiden ein paar Sekunden anstarrten, bevor es seinem Onkel einfiel, ein gespräch zu beginnen. „Ja...“, begann Piso ungeschickt. „Mein Vater... Gnaeus Flavius Aetius... es ist schon eine Sache mit ihm...“ Wenn er seinem Onkel alles erzählen würde, was aus dessen Bruder geworden war, würde der alte Sabinus wohl einen Herzschlag erleiden. „Er ist erfolgreich in der Wirtschaft, ist aber nicht in die Politik eingestiegen. Er hat mittlerweise schon viele Besitzungen rund um Ravenna. Einige Betriebe hat er am laufen, sie werfen gute Gewinne ab. Die Villa in Ravenna hat er signifikant erweitert... ja, er ist ein sehr reicher Mann geworden. Und führt nun etwas, was man durchaus als flottes Leben bezeichnen könnte. Es geht ihm also gut.“, meinte Piso. Was er nciht erwähnte, ist, dass Aetius nun dem Wein zusprach, und zwar schwer. Es lockerte ihn zwar auf, doch nahm er dadurch unangenehme Charakterzüge an, die Piso nicht erwähnen wollte. „Ich bin jetzt jedoch nach Rom, mit der Intention, in die Politik zu gehen.“
    Er rang sich ein Lächeln ab. „Also, Onkel Manius, ich habe mir gedacht, du wärest schon lange tot. Dich lebend zu sehen, ist eine große Freude.“, floskelte er artig. „Ich heiße dich natürlich willkommen in der Villa Flavia. Ich hoffe, du hast nicht vor, wieder zu verschwinden nach kurzer Zeit? Selbstverständlich ist auch dein Freund willkommen, der werte, äh...“ Piso blickte in die Richtung des grimmig dreinschauenden Mannes, dessen Namen er nicht kannte. Wer das wohl sein mochte?

    „Neinneinnein!“, rief Piso aus, als er spürte, dass er die Alte wohl unwillens beleidigt hatte. „Natürlich, natürlich, werte Germanica, nie würde ich so etwas glauben! Ich vertraue gerne deiner Lebenserfahrung!“, machte er freudig und versichernd. Er war nur zu gerne bereit, der alten Germanicerin zu glauben, wertete dies jedoch sein ohnehin schon luftballonmäßig aufgeblasenes Ego auf.
    Die Geschichte, was seine Mutter anging, hatte Piso jedoch schon so oft nicht erzählt, obwohl es ihn in den Fingern gejuckt hatte, und schon so oft darüber nachgedacht. Seine Emotionen herunterschlucken, was diese Angelegenheit anging, konnte der sonst so gefühlsame Patrizier. Er hatte Übung darin.
    Nun wurde ihm noch einmal Schmeichelei um die Ohren gehauen. Hochherzig, er! Innerlich musste er schmunzeln. Piso, der Hochherzige! Solch ein Titel war die höchste Stufe der Ästhetik, glaubte er und grinste befriedigt. Die Alte hatte ihm nun derart Honig um den Mund geschmiert und derart zielsicher, dass er schon komplett eingenommen war von ihr. Die Träne der Germanicerin rührte ihn irgendwie, denn sie war schon eine verdammt gute Schauspielerin (dass sie dies alles nur spielte, kam Piso, einem sonst gescheiten Menschen, gar nicht in den Sinn). „Brauchst du ein Taschentuch?“, fragte er einfühlsam, ein solches aus seinem Gürtel ziehend und es Laevina unter die Nase haltend.
    Und wie sie ihn dann noch bemitleidete für den Gram, den er erleiden musste am Markt, dass war sowieso das Höchste der Gefühle. Der Stimme der Germanicerin konnte man nicht anhören, dass sie auch nur geringste Zweifel an seinen Fähigkeiten hatte. Piso seufzte theatralisch (es war gar nicht mal gestellt). „Ein Künstler hat es nicht einfach, werte Dame, heutzutage! Die Leute schätzen einfach nicht meine Art von Musik. Es muss am schlechten Geschmack und dem fehlenden Kunstgeist der Leute liegen.“ Er verschwieg, dass man ihn schon mehrere Male angebrüllt hatte, er solle mit seiner Musik aufhören, jüngst eben der Senator Furianus, den Piso bewunderte, aber der leider einen anderen Musikgeschmack als Piso hatte. Einen gesünderen, mochte ein objektiver Zuseher einräumen.
    „Alle diese Kunstarten wertschätze ich... doch am meisten ist es der Gesang, der es mir antut. Ich bin ein großartiger Tenor, doch niemand will was davon hören! Ich trau mich gar nicht mehr, öffentlich zu singen. Immer muss ich an den Mob denken. Und an ihre Rädelsführerin, diese...“
    In Pisos Augen vollzog sich plötzlich etwas, als ob ihm eine geniale Idee jetzt gerade gekommen wäre. Ein Einfall, der seinesgleichen suchte. Er schaute Laevina genau in ihre Augen. „Sag einmal. Sagt dir der Name Germanica Calvena etwas?“

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer
    Der Türhüter schüttelte bedauernd den Kopf. "Du hast nicht vorher anfragen lassen, wann der Senator im Haus sein wird und ihm auch keine Nachricht zukommen lassen, nicht wahr?" fragte er fast mitleidig. Dass der Mann nicht zur Zeit der üblichen Salutatio gekommen war, war offensichtlich und angesichts seiner Aufmachung auch verständlich, aber trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen wollte der Türhüter ihm nicht unnötige Lauferei bescheren. "Der Senator ist morgens früh zu Hause, wenn er seine Klienten empfängt und verlässt das Haus dann für seine Geschäfte. Er kommt am späten Nachmittag zurück und empfängt dann wieder Gäste, sofern er nicht ein Essen gibt oder zu einem solchen geladen ist. Es ist nicht leicht, ihn ohne Termin zu Hause anzutreffen", erklärte er. Genaugenommen fand er es faszinierend, dass es trotzdem immer wieder Leute versuchten, obwohl es doch eigentlich woanders genauso sein müsste.


    „Oh.“, gab Piso nur von sich, als er diese Informationen hörte. „Das ist schade.“ Oh bei den Göttern, jetzt war er wirklich herumgelaufen wie ein Idiot, mit dieser blöden Toga an, als ob er nichts besseres zu tun hätte, und nun wurde er hier abgekanzelt. Fast hätte er die Toga vor Ärger abgeworfen und darauf zornig herumgestampft, als ob er dadurch irgendetwas beweisen könnte, doch er konnte sein Gemütchen gerade noch unter Kontrolle halten und blickte den Sklaven nur verbiestert an. „Na gut.“, knirschte er zwischen seinen Zähnen hervor. „Dann hätte ich bitte gern einen Termin beim ehrenwerten Senator. Wann wäre so einer möglich? Oder soll ich am späten Nachmittag, in 2 oder 3 Stunden, wieder kommen?“, fragte er und putzte von seiner Toga einen rein imaginären Fleck herunter. Unglaublich, dass es offenbar schwieriger war, an diesen Senator zu kommen, als eine Schneeflocke in der Wüste vorm Schmelzen zu bewahren. Müde blickte er den Sklaven an.

    Piso feuerte ebenfalls sein(e) Salve in Richtung Türsklaven ab, als dieser öffnete. „Mein Name ist Aulus Flavius Piso. Ich wünsche den Senator Purgitius Macer zu sprechen. Ich möchte gern sein Klient werden.“, machte er und zupfte sich eine Falte seiner Toga zurecht, nicht wissend, dass er dem Türsklaven gerade eine gewonnene Wette eingebracht hätte, hätte dieser tatsächlich gewettet.