Beiträge von Lucius Duccius Silvanus

    Ein junger Mann von wenig mehr als 20 Sommern stand in seinem Goldschmiedebetrieb. Eine nicht unbedingt weiter bemerkenswerte Tatsache, leiteten doch einige junge Männer Betriebe, die sie beispielsweise von ihrem verstorbenen Vater geerbt hatten. Andere hingegen waren auf welche Weise auch immer zu Geld gekommen und bauten nun ihren eigenen Betrieb auf um so ihre Familie zu versorgen oder sie standen einer Filiale eines großen Unternehmens vor. Also im Prinzip nichts ungewöhnliches. Doch der junge Mann, um den es hier ging, war Rodrik.


    Nach seiner Ausbildung hatte man ihm die Goldschmiede übertragen. Das hatte man ihm so nebenbei beim Abendbrot offenbart. Wenn Rodriks Kinnlade lang genug gewesen wäre, sie wäre in diesem Moment auf der Tischplatte gelandet. Beziehungsweise im Essen. So baff war Rodrik. Am nächsten Morgen hatte er Mordskopfschmerzen vom Met, den er zur Feier dieser Übertragung getrunken hatte. Auf dem Weg zur Schmiede schaute er an diesem Morgen nicht den hübschen jungen Dingern nach (mehr machte er eh nie, denn viel mehr als ein "Hei... Heilsa." kriegte er nie heraus) sondern überlegte sich, was sich nun wirklich ändern würde. Er machte sich nichts vor, die Schmiede gehörte nicht wirklich ihm, sondern der Familie. Und er hätte sie nicht gekriegt, wenn er nicht Teil dieser Familie gewesen wäre. Und er hatte eigentlich keine Ahnung, was auf ihn zukam. Und jetzt traf ihn die Wucht der Erkenntnis so schlimm dass er sich fast angepinkelt hätte. Er hatte nun die Verantwortung über die Schmiede und über die Männer, die darin arbeiteten.


    Die anderen hatten es schon erfahren, wahrscheinlich hatten sie es schon viel früher gewusst als Rodrik. Gab es eine Feier? Nein, es gab nur eine kleine Versammlung aller Arbeiter, wo dies noch offiziell bekanntgegeben wurde, dann trieb Brix die Männer wieder zur Arbeit an. Und Rodrik stand noch kurz da, genoss irgendwie das Gefühl "seines" Betriebs und machte sich dann auch an die Arbeit.

    Hoimar:
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    Mit der ihn typischen tiefen, sonoren Stimme begrüsste er den Kunden. "Ah, die Kieferbestellung." Zugegeben, nicht überall würde das als Begrüßung durchgehen. "Kannst gleich mitkommen. Das Holz liegt schon im Lager bereit."


    Mit diesen Worten ging er festen Schrittes vor dem Kunden in sein Lager, nach dem zweiten Regal links, dann gleich rechts, da lag die Bestellung. "Sooo... Also 2 Balken, 14 Fuß lang und 10 mal 10 digiti breit, oben abgeschrägt sowie ein Brett, 14 Fuß lang, 2 Fuß breit und 10 digiti dick, gehobelt. Alles Kiefer, inklusive Bohrungen. War die Bestellung richtig so?"

    Hoimar:
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    "Pultförmig geht auch? Gut, kann ich auch machen." bestätigte Hoimar, während seine Stimme dabei noch tiefer wurde als ohnehin schon.


    "Nuja, ich würde sagen... du kannst es dir morgen früh abholen." Viel Arbeit war nicht daran, aber er bekam heute noch eine Lieferung herein und da gab es regelmässig kleinere Probleme mit den Lieferanten.

    Hoimar:
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    Hoimar, der Schreiner mit der sonoren Stimme, machte sich in Gedanken eine Skizze mit den Angaben, den der Kunde ihm vorbrachte.


    "Hm..." begann er. "Also wenn das Schild nicht ewig halten soll und du nicht massenhaft Geld ausgeben willst, ist Kiefer eine gute Wahl. Aber trotzdem solltest du es imprägnieren, sonst verwittert das Holz früher als du möchtest, besonders wenn du die Balken in die Erde steckst." Kurz überlegte er, dann räusperte er sich. "Dachförmig abschrägen... hmm... Vierseitig abschrägen, nehme ich an, meinst du? Hmm... Also die Balken mit je 10, dann das Brett gehobelt... 40 Sesterzen."

    Hoimar:
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    "Jajaja, ich komm ja schon!" brummte der Genannte aus den hinteren Räumen seiner Schreinerei. Hoimar war aber nicht mehr der Jüngste, also dauerte es seine Zeit, bis er seinen Worten Taten folgen liess. Warum sollte er sich auch beeilen? Er war ja bei der Arbeit und nicht auf der Flucht.


    Seine tiefe, sonore Stimme erfüllte den Raum, als er nun endlich kam und sich hinter den Tresen stellte. "So....! Also." Er räusperte sich lautstark. "Was kann ich für dich machen?" Machen, nicht tun. Denn Hoimar tat nicht einfach, er machte.

    Tröpfchenweise sickerte die Botschaft in sein Gehirn. Nein, sie baggerte ihn nicht an, sie wollte nur wissen, wo es Arbeit gab. Schade. Perfekt! Er würde es ja ohnehin nur verhauen. So wie damals bei Sisgard auf der einen Dorffete. Aus irgendeinem Grund war er ihr aufgefallen und sie hatte ihn angesprochen. Nicht mal die Hälfte einer Stunde hatte es gedauert und sie hatte ihn ihren Met ins Gesicht geschüttet, ihm eine geknallt und dann ihren Bruder vorbeigeschickt. Dabei wollte er ihr nur sagen, wie hübsch er sie fand.


    "Äh. Äh. Du willst Arbeit?" Irgendwie verstand er nicht. Warum sollte eine Frau für jemanden schneidern? Das machte sie doch für ihre Sippe. Oder sie hatte keine? "Oh. Achso. Äh." stotterte er wieder. "Nuja, da gibt es schon eine Möglichkeit. Geh am besten zu ..." Fast wollte er Lando sagen, aber der war ja tot. "... zu Witjon. In die Casa Duccia. Kennst du den Weg? Also du gehst zum Markt, lässt das Theater zur rechten Hand, dann die erste rechts und dann bei der Kreuzung auf die andere Seite. Dann bist du da." Was für ein enormer Schwall an Worten. Das war er von sich selber gar nicht gewohnt.


    Sim-Off:

    Sorry, dass ich dich so kurz abfertige, aber ich fahre morgen in Urlaub.

    Rodrik hatte gerade einen Kunden bedient. Nuja, eigentlich hatte Brix den Kunden bedient, Rodrik hatte nur dekorativ daneben gestanden. Brix war der Meinung, es wäre schön langsam Zeit, dass Rodrik erlernte, wie man seine Ware an den Mann brachte. Unter anderem sollte Rodrik lernen, wie man die Wünsche des Kunden mit nur drei Fragen ergründete und dann das Richtige präsentierte. Da war es gut, dass Brix ihm das zeigte, denn er hätte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Also Rodrik hatte gerade einen Kunden "bedient", als er von einer Frau angesprochen wurde. Einer jungen Frau. Einer nicht gerade hässlichen jungen Frau. Und wie immer, wenn so etwas passierte (und das kam nicht allzu oft vor), geschah etwas merkwürdiges mit ihm. Sein Mund wurde trocken, ihm schoss ein wenig die Röte ins Gesicht und seine Zunge wollte irgendwie nicht so, wie sein Geist.


    "Äh, äh... Heilsa." waren seine ersten Sprechversuche. Dann riss er sich zusammen. "Äh ja, der bin ich." Und weil er die bohrenden Blicke von Brix im Rücken spürte, versuchte er sich zu erinnern, was Brix so als erstes zu den Kunden sagte, wenn sie zur Goldschmiede kamen. "Äh, was kann ich für dich tun?" Puh, war das schwer.

    Laut klopfte es an der Türe Rodriks. So laut, dass er fast von seinem Lager hinauskatapultiert wurde. Vollkommen verschlafen schreckte er auf, doch die Augen konnte er im ersten Moment noch nicht öffnen. Mann, war er müde... "Wat? Was denn... grummelte Rodrik mit krächzender Stimme, während seine Augenlider sich nur Milimeter für Milimeter öffnen wollten. Gähnend streckte er sich, dann kratzte er sich schmatzend an seiner Brust. Das Fell, mit dem er sich in den Nächten zudeckte, offenbarte einen kleinen Spitz, der sich von seinen Lenden erhob, was er mit einem schmutzigen "Höhöhö." bemerkte. Mutter Natur hatte wieder zugeschlagen.


    Wieder schmatzend schlurfte er manche Augenblicke später aus seiner Kammer und trottete gemächlich in die Küche, wo er eigentlich Marga vorzufinden gedachte. Doch die war nicht da. Genauso wenig wie ein Frühstück. Aber irgendwie, er wusste selber nicht warum, überraschte ihn das nicht wirklich. Also nahm er sich einen Becher, füllte diesen mit Dickmilch an und verließ die Küche mit dem Becher in der Hand. Genussvoll schlürfte er den ersten Schluck, als er Witjon vor der Kammer von Elfi und Lando sah. Einen Schrei später erkannte er endlich die Situation. Elfi bekam wohl ihr Kind. Er trottete also zu Witjon. "Geht wohl los, hm?" Das würde ein langer Tag werden.

    Selbstverständlich hatte Rodrik auch schon etliche Beerdigungen erlebt, keine Frage. In jedem Dorf starb zwischendurch ein alter Herr oder dessen Frau oder Witwe oder seltener eine Frau während der Geburt oder ein Kind oder ein Mann im besten Alter auf Grund eines Unfalls oder eines Kriegszuges... Anders gesagt: Gestorben wurde immer.


    Rodrik war müde. Dieses ewig lange Wachen und bedauernswert In-die-Welt-dreinschauen und Traurig-Nicken war anstrengender als man denkt! Besonders wenn man ab der neunten Stunde nicht mehr wusste ob man zuerst pinkeln oder futtern gehen sollte. Das allerdings hatte Rodrik irgendwie erfolgreich hinter sich gebracht, nur leider hatte er danach irgendwie nicht mehr richtig ruhen oder schlafen können. Met konnte er keinen trinken (der war irgendwie alle oder gut versteckt), für ausgedehnte Zechtouren hatte er kein Geld und keine Kumpel, also lag er da. Insomnia. Am Tag der Beerdigung war er wenigstens so hellwach, um Albin zu fragen, was er jetzt eigentlich zu tun hätte. Albin war hellwach genug, um ihm zu sagen, dass er nur der Masse seiner Familie folgen sollte. Das war eine klare Ansage, das verstand Rodrik. Also tat er das auch. Er folgte seiner Familie und beantwortete - wie so oft - einige Male Fragen, wer er denn sei und wessen Sohn er sei. Gefühlte Hundert Mal musste er erklären, warum er diesen Platz bei der Beerdigung einnahm. Wirklich sehr nervig. Aber irgendwann waren alle ruhig, denn dann begann die Zeremonie und Rodrik war zum Teil wirklich froh darüber.


    Er nutzte die Gelegenheit um sich etwas abseits zu stellen. Dann tat er seine Pflicht und dann, als Speis und Trank ausgegeben wurde, setzte er sich zu seiner Familie und stosste zu Ehren des Toten an und aß ein wenig und trank dafür ein bisschen mehr. Irgendwann zwischendurch versank er kurz in Gedanken, nicht lange, nur für ein paar lange Momente, in denen er zum lodernden Feuer hinsah. "Aber er war schon eine stattliche Leiche." Anerkennend nickte Rodrik. "Findet ihr nicht?"

    Zu behaupten, dass die letzten Tage aussergewöhnlich waren, wäre eine höflliche Umschreibung gewesen. Zu behaupten, dass diese Tage eine Katastrophe waren, entspräche schon eher Wahrheit. Wodan und alle sonstigen Asen sei Dank hatte Rodrik in der Goldschmiede zu tun (Brix hätte ihm wohl sicher freigegeben, aber Rodrik war froh über eine Beschäftigung) und hatte daher einen grossen Auftrag als Ausrede genommen, die Tage ausser Haus zu verbringen. Sicher hätte er bei seiner Familie sein sollen, aber er wäre ja ohnehin nur im Weg gestanden und hätte früher oder später (eher früher als später) eine dumme Meldung geschoben und kurz danach im günstigsten Fall eine Tracht Prügel von Marga erhalten, im weniger günstigen Fall von Albin und im schlimmsten Fall von Elfleda. Die anderen Familienmitglieder rangierten irgendwo mittendrin.


    Wie dem auch sei. Rodrik hatte also die letzten Tage zu tun. Nur am heutigen Tage zwang er sich zu einem Hierbleiben, denn heute hatte er hier etwas zu tun. Heute war er zur Totenwache eingeteilt, was er schon fast wörtlich nahm. Noch bevor die Sonne ihre ersten Lichtstrahlen über den Horizont schickte, stand er fertig angekleidet neben dem Toten, hatte sich kurz zuvor nur eine Kleinigkeit gegönnt und war noch schnell seine Notdurft verrichten gegangen, dann konnte der Tag des Wachens beginnen. Es war gruslig, seine Lebenszeit neben einem Toten zu verbringen und Rodrik fragte sich, ob dieses Paradoxon noch jemandem aufgefallen war in seiner Familie.


    Nicht lange nach Sonnenaufgang kamen die ersten Besucher seiner "Schicht", Klienten, Parteigänger, irgendwelche Leute aus der Umgebung seiner Familie. Die meisten kannte er nicht, aber ab und an kannte er doch jemanden oder er bekam von seiner Familie einen Hinweis, wenn er nur auffällig genug einen fragenden Blick hinwarf. Gegen Mittag wollte Marga ihm etwas zu essen bringen, aber Rodrik wollte ganz pflichtbewusst nicht seinen Platz räumen, daher kam essen auch nicht in Frage. Nicht neben einem Toten. Groteske Vorstellung. Marga schüttelte auch den Kopf (allerdings aus anderen Gründen als Rodrik), aber ließ ihn dort stehen. Bis zum Abend blieb Rodrik dort und beschäftigte sich ab der neunten Stunde mit der ausgleichenden Gerechtigkeit in seinem Körper: der Leere in seinem Magen und der Völle in seiner Blase.

    Vor einigen Monaten hatte Brix ihm eine Aufgabe gegeben: Rodrik solle sich ein Motiv für sein Gesellenstück überlegen. Nach vielem Überlegen hatte er einen Geistesblitz bekommen und die Tage nach besagtem Blitz verbrachte er vornehmlich zeichnend. Er musste viele Skizzen anfertigen, denn meist war er nicht zufrieden oder Brix hatte ihm gesagt, dass die Zeichnungen nicht durchführbar waren. (Anders gesagt: er hielt sie für "Schrott".) Meist scheiterte es an den Details und es dauerte seine Zeit, bis er vor lauter Zorn und Verzweiflung seine minimalistische Ader entdeckte und das Motiv von allem Unnötigen entrümpelte und sich auf das Wesentliche konzentrierte. Und siehe da, Brix war zufrieden.


    Doch damit war es natürlich nicht getan. Schablonen mussten erstellt, ein Probestück angefertigt werden, was selbstverständlich auch noch dauerte, da Rodrik dies nur tun konnte, wenn ihn gerade keine anderen Pflichten von dieser Arbeit abhielten. Erst dann konnte er unter Aufsicht von Brix sich an das Endstück wagen. Ein kleines rundes Goldstück lag nun vor ihm, gerade so gross wie ein Drittel seiner Handfläche. Konzentriert übertrug er zunächst die Form seines Motivs auf das Goldstück, dann punzierte er mit sanften Stößen. Es war schwierig, nicht nur des Motives wegen, auch die aufmerksamen Blicke von Brix, der immer wieder seinen Lehrling kontrollierte, ließen Rodrik den Schweiß auf die Stirn treiben. Sein Rücken begann wegen der ungewohnten Haltung zu schmerzen, weswegen er manches Mal die Arbeit kurz unterbrechen musste um sich zu strecken. Stunden später war er jedoch fertig. Brix sah sich die Arbeit an und brummte kurz danach zufrieden. Rodrik atmete hörbar auf, denn jetzt war der schwierigste Teil erledigt. Er musste nur mehr die Halterung anbringen, denn es sollte eine Brosche werden, und dann polieren. Mit grossem Stolz erfüllt und breit grinsend sah er sich sein Werk an, dann wurde er wieder zum Fegen abkommandiert.

    Alkohol, obwohl man zu dieser Zeit das Wort noch nicht kannte, aber die berauschende Wirkung war - oh ja - sehr wohl bekannt, hat eine wundervolle Eigenschaft: egal, was man sich davon erwartete, er erfüllte es. Versuchte man seine Traurigkeit zu überbrücken, dann machte einen der Alkohol fröhlich, war man mißmutig und nicht gewillt, etwas daran zu ändern, dann stachelte einem der Alkohol zu bösartigen Taten an. Rodrik wollte nichts von alledem, er wollte nur eine gute Stimmung haben. Und ja, den hatte er, denn im Gegensatz zu seiner Sippe ging er von einer absolut felsenfesten Überzeugung aus, dass niemand sterben würde und jeder der Kombattanten würde nach Hause gehen und gemütlich sein Abendbrot zu sich nehmen. Deswegen fühlte Rodrik sich eigentlich gut, auch während des Kampfes seines Vetters. Mit ein bißchen mehr Aufmerksamkeit hätte er zwar bemerkt, dass Lando nicht in guter Form war, aber diese Tatsache hatte der Alkohol erfolgreich verschleiert. Rodrik war sich des Sieges sogar so sicher, dass er zwischendurch den Met im Schlauch seiner Hand analysierte und die Geschmacksnuancen zu benennen versuchte. Freilich erfolglos, versteht sich.


    Dumpf jedoch bemerkte er, dass das Geschehen vor sich nicht dem entsprach, was er sich im vorhinein so vorgestellt hatte. Nein, eigentlich so ganz und gar nicht. Bereits schwindlig vom Met verfolgte er das Geschehen, das Kriechen des Nemeters, das Eingreifen irgendeinen jungen Mannes, das schmatzende Geräusch, als das Schwert in die Brust seines Vetters versank. "Ehm..." Ja, mehr konnte er dazu vorerst nicht sagen, dazu war das vor sich zu spannend und atemberaubend. Dass Lando seinen letzten Atem aushauchte, das bekam Rodrik nicht einmal so wirklich mit, denn sogleich ging es weiter. Auf einmal stürzte Eila, die duccische Amazone, auf den anderen, den jungen Nemeter, und tötete ihn. Dann sagte Witjon etwas und tötete den alten Nemeter. Und zwischendurch war die hochschwangere Elfi bei Lando und Phelan auch noch irgendwo und ... und... und...


    Das ging alles irgendwie viel zu schnell für den angetrunkenen Rodrik. Er begriff einfach nicht, was da alles vor ihm passierte und welche Konsequenzen das haben würde. Er konnte nur ungläubig zusehen, vom mittlerweilen toten Lando zu Witjon, von Witjon zu Elfi, von Elfi zu Eila und gleich zu Phelan und das alles wieder zurück. "Alter... was geht denn hier ab..." war das erste, was er dazu sagen konnte. Den Met im Schlauch blickte er als nächstes an, dann wieder zu Lando und den anderen, dann wieder zum Met. Seine Augenbrauen zuckten, als ihm eine Idee gekommen war. Er führte den Met zu seiner Nase und roch daran, doch der Met roch genauso wie jeder andere, den er bisher gesoffen hatte. Dann blickte er wieder auf die Lichtung, doch nichts hatte sich geändert. "Wuou..." sagte Rodrik ganz baff. "Der Stoff hier ist echt krass." Und nachdem er das gesagt hatte, warf er den Met-Beutel weit hinter sich weg.


    Dann machte er das, was er in solchen und allen anderen Situationen zu tun pflegte: er stand (ziemlich wacklig, nämlich vom Met) herum und wusste nicht, was er tun sollte.

    Zitat

    Original von Elfleda
    Sie war Mattiakerin. Sie war gemacht aus Stein und Eis, wenn es sein musste. Und heute musste es sein.


    Rodrik war auch Mattiaker. Aber er war keineswegs Stein und Eis, auch wenn er es sein sollte. Heute sollte er so sein, aber... naja, er war Rodrik. Roddi. Er konnte es nicht einmal sein, wenn er es wollte. Dat ging einfach nicht. Im Prinzip hatte er nicht einmal wirklich Ahnung, worum es bei dieser Sache ging. Sein Problem war, dass er ständig in der Goldschmiede herumhing und daher nur wenig von den Problemen in der "Sippenhütte" mitbekam. Aber er hatte mitbekommen, dass es mit einer anderen Sippe Probleme gab und da war er natürlich dabei. Zwar in der zweiten Reihe, aber er war dabei.


    Er hatte etwas Met mitgeschmuggelt. Sicher, er hätte es nicht tun sollen, denn es war sinnlos, andere haben ja auch ihren Met mit, aber er wollte mehr Met mitnehmen. Ja, gut, er wollte ihn für sich mit. Aber irgendwie musste er sich ja psychisch aufpäppeln! He! Seine Sippe wuselte irgendwie komplett neben sich her in den letzten Tagen! Ganz ehrlich, da musste etwas getan werden!


    Als sie dann endlich auf der Lichtung ankamen, tat Rodrik also etwas, was in seiner Geisteswelt unbedingt getan werden musste: er nahm den Met, den er mitgebracht hatte. Und da er - etwas ungünstig - noch immer nicht so wirklich den Alkohol vertrug (ganz im Vertrauen: er hatte schon während des Ritts von dem Met getrunken, aber pscht, nicht weitersagen), war er besser drauf als die anderen aus seiner Sippe. (Erst recht Elfi... wenn die schwanger war, war die ... naja, Frauen und schwanger, da muss man nicht mehr erklären)


    Mit dem Metschlauch in der linken Hand suchte Roddi sich einen guten Platz. Und er fand ihn auch, denn es gab einen umgestürzten Baum, da konnte man sich gemütlich hinsetzen und hatte einen sagenhaften Blick auf das Geschehen. Und nicht nur das. Die Akustik war ... bravurös.


    He! Yo! Loki! Zieh dem Nemeter die Lederhosen aus... Lederhosen aus... Lederhosen aus... Zieh dem Nemeter die Lederhosen aus... Lederhosen aus... Lederhosen aus...


    Und nocheinmal: Zieh dem Nemeter die Lederhosen aus... Lederhosen aus... Lederhosen aus...

    Rodrik war gerade beim Futtern, als er das Gebrüll im Garten hörte. Seit die kleine Naha hier war kochte Marga viel öfter Grießbrei, was ihm besonders gefiel und ihn für das nervende Elterngehabe von Lando und Elfleda entschädigte. Marga schüttelte zwar immer den Kopf, wenn Rodrik ihr seine Schüssel hinhielt, aber wenn sie ihn dann eine Kelle gab, bereitete er mit viel Vergnügen sein 'Musmasch' vor - Grießbrei, welches er gerne als Milchmus bezeichnete mit ordentlich Apfelmus und einem Löffelchen Honig. Seeeeeehr lecker! Da störte es ihn auch nicht weiter, wenn Albin hinter ihm grummelte, dass der 'Kleine' so nie irgendetwas auf die Rippen bekommen würde, kein Wunder bei dem, was Rodrik so äße.


    Mit dieser Schüssel Musmasch in der einen und einem Löffel in der anderen Hand spazierte und lugte er so in den Garten hinein und kam gerade rechtzeitig, die fliegende Naha zu beobachten und zu sehen, wie sie von Ragin aufgefangen wurde. Und den Wutausbruch von Elfleda. Selbstverständlich. Und Rodrik konnte nicht anders, als in seine Schüssel zu grinsen und einen weiteren Löffel Musmasch zu futtern. Da stockte er.


    Seit einigen Monaten war Rodrik Lehrjunge im Goldschmiedebetrieb Witjons. Dank seiner Vorbildung bei Baldram, dem Schmied in seinem Heimatdorf, machte er enorme Fortschritte was die handwerklichen Fähigkeiten anbelangte. Er hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass er eine sehr ruhige Hand haben konnte, wenn er sich konzentrierte - was besonders bei der Technik des Granulierens sehr von Vorteil war. Gut möglich, dass Brix, der Meister in Witjons Goldschmiede, mit Rodrik zufrieden war, dann zeigte er es nicht. Statt dessen gab er ihm immer mehr und schwierigere Aufgaben. Diesmal solle er eine Zeichnung anfertigen, nicht irgendeine, denn die Zeichnung soll später Basis werden für sein Gesellenstück - jenes Stück, das er anfertigen solle, wenn er ausgelernt hatte. Rodrik hatte damals geschnauft und im ersten Moment nicht gewusst, was das eigentlich solle und dann war ihm kein Motiv eingefallen. Blumen? Bäh. Irgendwelche Ornamente? Langweilig. Die Stadt? Zuviele Details. Irgendjemand aus seiner Sippe? Er konnte sich kaum vorstellen, dass irgendwer ihm Modell stand. Also war er ständig am Überlegen und dachte nach und überlegte und sinnierte und überlegte, was er denn so zeichnen sollte.


    Bis jetzt, denn gerade in diesem Moment hatte er die zündende Idee. "HA! DAS IST ES!" rief er laut und mit einem erfreuten Gesichtsausdruck aus, ganz vergessen wo er war und dass ihn die anderen natürlich hören konnten. Und er kümmerte sich auch nicht weiter darum, denn schon im nächsten Augenblick drehte er auf dem Absatz um und lief ins Haus. "Marga? Ich brauche Schreibzeug! Wo haben wir das Schreibzeug?" rief er. "Arbeitszimmer!" beantwortete er die Frage gleich selbst und stürmte dorthin. Die angesprochene Marga sah ihm überrascht nach, zuckte dann mit den Schultern und murmelte dann nur mehr "Das muss er von seiner Mutter haben." während sie sich ihrer Arbeit widmete.

    Rodrik hatte eigentlich nicht vor, die Küche zu verlassen und sich das kleine Bündel Mensch anzusehen. Das war sicher voll eklig. Seine Mutter hatte zu ihm immer gesagt, dass er, als er auf die Welt kam, wohl eines der hässlichsten Geschöpfe unter der Sonne war. Und generell seien Neugeborene hässlich. Völlig zerknautscht und unförmig. Erst nach ein paar Tagen ähneln sie einem Menschen, hatte seine Mutter gesagt und die musste es ja wissen. Daher hatte Rodrik nie das Bedürfnis gehabt, sich Neugeborene anzusehen. Da er allerdings ebenso wie die anderen von Marga aus der Küche gescheucht wurde und er irgendwie nichts zu tun hatte (er wollte erst in ein paar Augenblicken zur Goldschmiede gehen), ging er mit den anderen mit. Und während er so mitging, und in das Zimmer hinein sah und dann auch wieder wegging, hängte er seinen eigenen komischen Gedanken nach. Zurück in der Küche angekommen, nahm er sich nun doch auch einen Krug Bier und etwas zu futtern. Und zwischendurch ließ er ein "Ein Mädchen, hm?.... Nuja, das nächste Mal klappt es besser." fallen.

    Rodrik war fett am Schnarchen. Und am Träumen. In seiner wirren Gedankenwelt - die in der Nacht nicht viel anders war als am Tag - war er gerade in einem römischen Militärzelt und schlief dort. Ja, er träumte tatsächlich davon, dass er schlief. Das war aber einfach zu erklären: Rodrik war am Abend zuvor hammermäßig müde gewesen und hatte sich gleich nach dem Abendbrot ins Bett verdrückt. Er wollte sich nicht einmal ein Schluck Met noch gönnen oder die jungen Pferde begutachten oder sonst etwas. Nichts. Nur pennen wollte er. Also schmiss er sich auf seine Lagerstätte und träumte nach dem Einschlafen davon, dass er schlief. Und während er so schlief und träumte, dass er schlief, träumte er noch davon, dass er während des träumenden Schlafens vor dem römischen Militärzelt ein Mordsradau hörte. Und er träumte, dass einer seiner Kollegen im Zelt ihn fragte, was los sei und Rodrik murmelte etwas davon, dass es immer so ist, wenn eine Frau ein Kind warf... äh gebar. Da brüllten die Männer ja auch immer herum. Und als er im Traum das erklärt hatte, warf Rodrik sich auf die andere Seite und schnarchte weiter - diesmal nicht im Traum. Aber irgend etwas stimmte da nicht, das merkte sogar er. Zuerst war es so ein "Na Moment..."-Gefühl, so etwas unbestimmtes, nicht wirklich zuordenbares. Dann kam so ein "H??", wo er sich noch halb im Traum fragte, was wohl los sei, denn irgendetwas war ja los. Und dann schreckte er auf. Für einen kurzen Moment hellwach (also wirklich hellwach und nicht nur im Traum) war ihm absolut klar, was gerade hier geschah. Doch dieser hellwache Zustand hielt nicht lange an, denn schon im nächsten Moment sank er in sein Lager zurück. "Oh Mann... müssen die Blagen immer so früh kommen?" murmelte er, das mittlerweile laute Gewusel im Haus versuchend zu ignorieren. Selbstverständlich half es nichts, und da er schon mal wach war...


    Nach einigen Streckübungen im Lager und mehreren Gähnattacken hatte sich Rodrik aus seinem Bett schälen können. Laut hörbar zog er seinen Schnodder ein und warf sich seine Tunika über. Dann schlurfte er aus seinem Zimmer und wandte sich automatisch in jene Richtung, in der der wichtigste Raum des Hauses lag: die Küche. "Moin..." gähnte er mehr als er sagte. Es saßen schon einige andere Herren des Hauses und... Mann, Phelan soff ein Bier? Rodrik schüttelte sich. "Bäh... um diese Zeit schon ein Bier?" Er schüttelte sich wieder. Dann schaute er sich um. "Wo sindse denn alle?"

    Das Fegen blieb auch weiterhin seine Haupttätigkeit in der Goldschmiede unter der Aufsicht von Brix. So kam es ihm jedenfalls vor, aber tatsächlich nahm das Lernen den Großteil seiner Arbeitszeit ein. Aber es war ja immer so: wenn jemandem eine Tätigkeit nicht gefiel, dann dauerte sie eeeeeewig lange. Und wenn man in eine Sache vertieft war, dann raste die Zeit nur so dahin.


    Die nächsten Lektionen betrafen die anderen Metalle, mit denen ein Goldschmied zu tun hatte, denn natürlich arbeitete ein Goldschmied nicht nur mit Gold oder Silber, so wie viele Menschen meinten. Da wäre zunächst einmal das Kupfer, das in reiner Form eher selten für die Schmuckbearbeitung verwendet wurde, sondern eher als Schablone und Arbeitsprobe oder als Legierungsmetall, etwa mit Zinn. Dies wiederum war im Winter heikel zu handhaben, denn wenn es sehr kalt war, dann konnte Zinn zu Staub zerfallen, das nannte Brix "Zinnpest". Wenn nun beide Metalle vermischt wurden, in einem bestimmten Verhältnis natürlich, dann entstand Bronze. Und wenn man Kupfer mit Zinkerz legierte, dann Messing. Und Blei, auch Blei fand Verwendung in einer Goldschmiedewerkstatt, allerdings nur selten und als Unterlage für Arbeiten und Rodrik solle hier sehr aufpassen, denn manchmal fiel einer einfach um, der zu oft und zu lange mit Blei gearbeitet hatte. Das konnte Rodrik sich eigentlich nicht vorstellen, aber da Brix ihm das so schön plastisch erklärt hatte, schluckte er nur und nahm sich vor, sich an die Anweisungen von Brix zu halten. Und dies war das Ende der heutigen Lektion, Rodrik hatte wieder seine Pflichten als jüngster Lehrling zu erfüllen. Nämlich fegen.