Beiträge von Lucius Duccius Silvanus

    Rodrik kehrte. Jeden. Einzelnen. Tag. Ja, wirklich jeden. Er hatte frühmorgens hier zu sein und er war mitsamt Brix der Letzte, der die Werkstatt verliess. (Wieso bei Odins Hammer war er je auf die Idee gekommen, dass er als Witjons Vetter eine Sonderbehandlung bekommen würde? Pah!) Seine erste und seine letzte Tätigkeit jeden Werktages war das Fegen. Fegen, fegen, fegen. Selbstverständlich inklusive Reisig suchen und bündeln, damit er überhaupt fegen konnte. Eigentlich war sowas verdammt noch mal Frauenarbeit! Aber hier hatte er Pech. Hier musste er ran. Und leider hatte er nicht den besten Stand. Thilo (jener Lehrling, den er mit dem Fegen sozusagen "beerbt" hatte), war nicht gerade sein bester Freund und liess gerne mehrmals etwas fallen, weswegen Rodrik nochmal fegen musste. Er machte sich auch lustig über ihn, natürlich nur dann, wenn Brix nicht in der Nähe war. Allerdings liefen sie sich neben der Arbeit oft genug über den Weg, immerhin war Mogontiacum klein genug für. Aber da musste Rodrik durch, er wusste das und er klagte nicht. Naja, er hätte schon geklagt, aber bei wem? Brix hätte dem keine Bedeutung beigemessen, was Rodrik ehrlich gesagt sogar verstanden hätte. Und hätte Rodrik das zuhause beim allabendlichen Frühstück oder Abendbrot ansprechen sollen? Ne! Gerade jetzt wo die Hochzeiten stattfanden und sogar noch ein Kind ins Haus kommen wollte. Und all die anderen Dinge. Wenn da noch Rodrik etwas gesagt hätte, ne, das wäre gar nicht gut gekommen. Also hielt er die Klappe.


    Und er lernte. Natürlich wusste er von Baldram bereits einige Dinge, aber hier lernte er wirklich von der Pike auf. Das wichtigste war zunächst das Kennenlernen der einzelnen Werkzeuge und deren Reinigung. Selbstverständlich durfte Rodrik besagte Werkzeuge noch nicht benutzen, dazu war er noch zu kurz im Betrieb... und ein wenig zu tollpatschig. Aber er konnte alles mit den Namen benennen, was für ihn sprach. Neben dem Fegen war das Reinigen seine Hauptaufgabe in den ersten Wochen im Betrieb. Dann lernte er die Materialien der Goldschmiede kennen, oder besser gesagt, sie "überflogen" die einzelnen Edelsteine (also gerade so, damit Rodrik wusste, wie sie aussahen). Viel wichtiger war zunächst die Kenntnis der Metalle. Brix sagte nämlich zu ihm, dass es viel wichtiger war, die Metalle zu kennen, denn erst dann wüsste er, wie man die Edelsteine richtig einsetzen und damit auch richtig zur Geltung bringen könne.


    Und das war sogar ziemlich witzig. Brix legte ihm einen Barren Gold und einen Barren Silber hin. Er fragte Rodrik: "Kennst du den Unterschied zwischen diesen beiden Metallen?" Rodrik wusste eines sofort - das war eine Fangfrage! Brix wollte irgend etwas Spezielles wissen, etwas das er wissen sollte. Nur leider nicht wusste. Ausser: "Äh... die Farbe?"


    Das war nicht die Antwort, die Brix hören wollte, deswegen spulen wir in der Geschichte kurz weiter. Denn dann erklärte Brix den Unterschied. "Den Schmelzpunkt und die Härte." Zwei sehr einfache Wörter. Die aber für Goldschmiede und deren Arbeiten enorm wichtig waren. Gold nämlich schmilzt bei höherer Temperatur, ist aber faszinierenderweise weicher als Silber. Und genau letzteres war wichtig. Brix liess bei dieser Lektion Rodrik einen Hammer aufschlagen, einmal auf einen kleinen Brocken Gold, einmal auf einen Brocken Silber, der genauso gross bzw. klein war wie der andere. Das Stückchen Gold verformte sich dabei leichter als das Stückchen Silber.


    "Siehst du? Und genau deswegen fertigen wir Kelche und Teller im allgemeinen aus Silber an. Bei einem Goldkelch zum Beispiel muss man ein wenig mehr aufpassen, dass dieser nicht beschädigt, wenn er etwa herunterfällt oder so. Und bei einem Goldteller sieht man viel schneller die Messerspuren als bei einem Teller aus Silber. Ein guter Goldschmied berät seinen Kunden und sagt ihm dies alles, das ist wichtig. Wenn aber ein Neureicher oder ein Römer kommt und möchte unbedingt Gold als Werkstoff haben, dann machen wir seinen Wunsch auch aus Gold. Immerhin arbeiten wir hier auch auf Auftrag. Und beim Modellieren ist Gold auch leichter zum bearbeiten als Silber. Merke dir das Rodrik!" schloss Brix hier seine Worte und Rodrik prägte sich ein, dass Kundenwünsche nicht immer logisch nachvollziehbar waren. Doch das war nicht die letzte Lektion an diesem Tag. Rodrik lernte nämlich auch, dass man nie einen reinen Rohstoff bearbeitete, sondern dass er immer leicht legiert wurde. Silber war nie reines Silber, sondern wurde immer mit ein wenig Gold legiert und Gold war nie reines Gold, sondern wurde immer mit ein wenig Silber legiert. Den Grund, den lernte Rodrik jedoch nicht am heutigen Tag, denn gerade zu diesem Zeitpunkt war es nämlich Zeit... zum Fegen.

    Da ja die gesamte Familie anwesend sein sollte, war auch Rodrik mitgekommen. In einer römischen Tunika gekleidet blieb er im Hintergrund, da er sich in Menschenansammlungen ohnehin nicht wohl fühlte. Zudem fühlte er am Rand der Menge besser den Wind, der ihm unter die Tunika zog. Nur mit viel Überwindung hatte er sich die Unterwäsche gewickelt, denn ... mal ganz ehrlich ... so eine kühle Brise untenrum im heissen Sommer war schon eine echte Wohltat. Und so stimulierend. Allerdings konnte es peinlich werden, wenn der Wind einmal etwas stärker wehte und dann die Tunika hochgehoben wurde. Das hatte er schon einmal gesehen bei Rembert, einem dicken und hässlichen Kerl aus seinem Dorf, der besoffen nach einem Stuhlgang einfach seine Wickel nicht mehr umgewickelt hatte. Nicht dass Rodrik ein Problem mit Nacktheit hatte, nur diese spezielle Form von Nacktheit hätte er nur zu gerne aus seiner Erinnerung gelöscht. Doch darauf konnte er lange warten. Was er übrigens auch jetzt tat, nämlich warten. Auf das was da vorne passieren würde.

    Rodrik ging fast ein unter der Pranke von Brix. Was mussten alle anderen auch solche Bären sein und er selber eher wie... keine Ahnung, ein Wiesel? Ein ungelenker, desorientierter Wiesel? Ein Bild von einem Wiesel mit Rheuma und Demenz schob sich in sein Gehirn und wenn Rodrik noch genügend Zeit gehabt hätte, dann hätte er sich noch einen passenden Krückstock und einen langen Bart dazugedacht, was dann aber vollends unpassend gewesen wäre, denn alt war Rodrik keinesfalls. Mit seinen 17 Sommern war er gerade erst zum Mann geworden (auch wenn seine Mutter ihm das nie sagen würde) und schön langsam war auch er an der Reihe, eine Frau zu heiraten und Kinder zu zeugen. Aber auch diese Gedanken hatte er noch nicht und wären hier auch unpassend und störend gewesen.


    Was also hatte Rodrik gesehen, als er von Brix herumgeführt wurde? Zunächst die Werkstatt an sich, die viel grösser war als die von Baldram in seinem Dorf. Und dann natürlich die anderen Handwerker, die hier arbeiteten. Nantwin, der bereits seit Jahren hier arbeitete, Gerbod, der noch nicht so lange hier war, aber bereits in anderen Goldschmieden gearbeitet hatte und Thilo, der auch wie Rodrik das Handwerk des Goldschmiedes erlernen wollte. Dann zeigte Brix, wo die verschiedenen Geräte und Werkzeuge aufbewahrt wurden und liess ihn kurz Gerbod zusehen, der gerade ein typisch germanisches Muster in einen Goldkelch gravierte. Dann drückte Brix ihm einen Besen in die Hand. Rodrik hatte in diesem Moment noch dümmlicher in die Gegend gestiert als sonst, denn Brix fing dann lauthals zu lachen an. Lehrjahre seien keine Herrenjahre, meinte Brix und erklärte Rodrik seine Pflichten als Lehrling und darunter gehörte eben auch das Fegen der Werkstatt dazu. Die anderen grinsten, am meisten Thilo, der bis zum heutigen Tag für diese niederen Arbeiten zuständig war und sich von dieser Arbeit entledigt sah. Wie bei Baldram... dachte er bei sich. Und fing an zu kehren.

    "Höhöhö. Kühle Sache, Alder!" erklang es aus jener Ecke des Raumes, den Rodrik eingenommen hatte. Genau genommen war es keine Ecke, sondern sein Platz am Tisch der Familie. An welchem er wieder futterte. Aber Rodrik konnte nur wenig dafür, er hatte Hunger. Vielleicht würde er noch wachsen? Also in die Höhe und nicht in die Breite? Das wäre schon kühl.
    Aber das war irgendwie nicht das Thema des Abends.
    "Öhm... ähm... ich meine: Gratuliere euch beiden." Ein hastiger Schluck folgte seinen Worten. Und Röte im Gesicht. "Ähm... möge es ein Sohn werden." fügte er etwas leiser hinzu.

    Auf jemanden einen guten Eindruck zu hinterlassen war Rodrik immer schon schwer gefallen. Zu linkisch waren seine Bewegungen, zu stotternd seine Aussprache. Das wusste Rodrik, es störte ihn auch, aber da er keine Idee hatte, was er daran ändern könnte, fand er sich damit ab. Hier in dieser Situation jedoch hatte er einen Verbündeten an seiner Seite, nämlich seinen Vetter. Beruhigend. "Heilsa." antwortete er daher ohne Stottern. Der nächste Satz war nicht ganz so fehlerfrei. "Ich... ich habe unserem Dorfschmied ein wenig geholfen. Werkzeug gebracht, Tauschwerte berechnet und so etwas. Das kann ich ganz gut." Rodrik atmete einmal tief durch. "Und dann... dann habe ich gedacht, dass ich hier ja auch arbeiten könnte." Rodrik räusperte sich. "Also... wenn ich darf." fügte er etwas leiser hinzu.

    Alrik ließ keinen Zweifel daran, dass er sich an diesem Tage amüsieren wollte und er schien auch entschlossen, dass Rodrik ihm nicht nachstehen sollte. Keine Frage, auch Rodrik wollte es, daher war kein Widerstand zu spüren, als er einen Krug in die Hand bekam. "Öhm... mein Abend? Wieso?" fragte er zwar, doch dann kam die Aufforderung zum Trinken. Und Rodrik trank. Als er absetzte, war Alrik schon verschwunden. Suchend blickte er umher, doch es dauerte eine Weile, bis er ihn gesichtet hatte. Alrik tanzte. Mit Oda. Der Kerl war zum Beneiden. Rodrik war ein furchtbarer Tänzer. Nicht einfach nur linkisch, seine Bewegungen wirkten eher so als hätte er gerade einen epileptischen Anfall. Daher (und weil er oft genug deswegen ausgelacht wurde) unterließ er das Tanzen. Er beschränkte sich meist aufs Trinken, das genügte völlig.

    Die letzte Reihe. Wo sonst war Rodrik zu finden. Es war einfach ideal. Wenn keine zu großen Menschen vor ihm waren hatte er den perfekten Blick auf die Szenerie und auf alle anderen Beobachter. Beobachten, ohne selbst beobachtet zu werden. Perfekt!


    Rodrik war selbst noch nicht ganz auf der Höhe. Auch er hatte bei der Hochzeit ordentlich zugelangt. Warum auch nicht. Feste musste man feiern, wie sie fallen, hatte seine Mutter auch schon zu ihm gesagt. Und wenigstens in dieser Weise wollte er sie nicht enttäuschen. Wenn schon sonst immer. Also war er da mit Alrik in der letzten Reihe und beobachtete das Treiben vor ihnen. Alrik erzählte ihm etwas von Verlobung und Wiederverlobung oder so etwas, doch Rodrik war längst in ein anderes Thema vertieft. Und Rodrik wäre nicht Rodrik, wenn er seine Gedanken nicht auch geäußert hätte.


    "Ich liebe dieses Kleid." sagte er unvermittelt, während er mit beiden Zeigefingern auf das Kleid der Prudentia zeigte. "Verstehst du?" Er blickte Alrik kurz an, dann wieder auf das Kleid. "Wenn du ganz genau hinsiehst, dann kannst du ihre Nippel sehen. Ist doch kühl, oder?" Rodrik lachte leise, es hatte etwas Perverses an sich, so wie er lachte. Wie ein Pubertierender, der Mädchen beim Baden beobachtete.

    Seine zitternde rechte Hand hinter seinem Rücken, sie zitterte weiter, dieses Mistding. Zu allem Überfluss bemerkte er, wie sich seine Stimmbänder belegten und sein Mund trocken wurde wie im Hochsommer. Beruhige dich, Rodrik. Sei ganz kühl und lässig. sagte er in seinem Inneren zu sich selber. Und es half! In Kombination mit dem tiefen Schluck Met, das er ausserdem zu sich führte. Auch er konnte sich natürlich an ihre erste Begegnung erinnern. Es war erst wenige Sommer her, bei einem Fest in ihrem Dorf, den Anlass wusste er nicht mehr. Vermutlich auch eine Hochzeit. Ein paar Jungs aus seinem Dorf waren auch mit gewesen, sie hatten natürlich alle Frauen bzw. Mädchen aus dem anderen Dorf beobachtet und bewertet. Natürlich war auch Elfleda eine davon. Gernot hatte dann gestichelt, Rodrik würde sich nie trauen, Elfleda anzusprechen. Eigentlich hätte Rodrik es auch nicht, er war schon immer linkisch gewesen, und genau das war der Grund, warum Gernot sich über ihn lustig gemacht hatte. Aber Rodrik wollte auch kein Hasenfuss sein, also liess er sich überreden. Mit einem Becher Met hatte er sich Mut angetrunken, dann ging er zu ihr. "Heilsa." hatte er zu ihr gesagt. Dann entstand eine Pause. Eine lange Pause. Rodrik war wieder nervös geworden und deswegen hatte er wieder "Heilsa." gesagt. Das half natürlich gar nichts, ausser dass er noch dämlicher da stand als vorher, also hatte er fieberhaft nach einem guten Anmachspruch gesucht. Und zwar nach einem, welcher ihre Schönheit betonte, denn mehr als ihr Aussehen kannte Rodrik natürlich noch nicht. Also machte er den fatalen Fehler und sagte "Du bist so schön... man sollte dich in eine Statue verwandeln."


    Mann, war das ein Fehler. Kaum hatte er dies ausgesprochen, wurde er schon von ihr verjagt. Die anderen Jungs aus seinem Dorf kugelten sich vor Lachen und er stand für eine längere Zeit nur verdattert da wie ein Häufchen Elend. Klar, dass er dann dem Met ordentlich zugesprochen hatte und sich einen hemmungslosen Rausch geholt hatte. Am nächsten Tag wusste er von seinem Rausch nichts mehr. Die Jungs, allen voran natürlich Gernot, hatten ihm dann erzählt, dass er (wie immer) peinlich wurde und zum Schluss irgendeine andere Frau angekotzt hatte. Seine Mutter war wie immer schwer enttäuscht gewesen. Für die nächsten Tage hörte er von ihr nichts anderes ausser "Oh... Rodrik." Wie bezeichnend, dass Elfleda sich an seine Mutter erinnern konnte. "Ehm jaja, ihr geht es sehr gut. Sie ist in unserem Dorf geblieben." Rodrik wusste auch nicht, dass Elfleda nicht wusste, dass er, also Rodrik, ja zur Familie des Bräutigams gehörte. Er ging irgendwie davon aus, dass dies klar war. Als Sveija dann kam, war er froh, denn sein Becher war jetzt wieder leer, seine Kehle aber noch genauso trocken wie zuvor. Er verstand Sveija auch nicht gut, selbst nach den bereits verlebten Wochen in der Casa Duccia, aber nach der Reaktion von Elfleda erahnte er, was gefragt wurde. "Bitte noch etwas Met." bat er. Es konnte nicht schaden.

    Eine Vermählung war wirklich etwas hübsches. Von allem war viel da, viele Leute, viel zu Essen, noch viel mehr zu Trinken und vor allem viele Emotionen. Auch wenn die meisten Ehen arrangiert waren, so wie im Grunde auch diese, für die Brautleute änderte sich doch grundlegend ihr Leben. Für deren Familien natürlich auch, aber am meisten doch für die Brautleute. Rodrik stand zufrieden in der Nähe seiner Familie, wie schon den ganzen Tag eher im Hintergrund, aber nah genug, um die Zeremonie hören zu können. Leider konnte er sie nur hören, denn vor ihm standen natürlich die anderen Familienmitglieder, die ihn an Körpergröße überragten und selbstverständlich (wie konnte es auch anders sein!) nur wenig Gelegenheit ließen, den im Vergleich zu seiner Familie kleinen Rodrik freie Sicht auf die Zeremonie zu geben. Aber er konnte alles hören. Und da er ja ohnehin schon bei mehreren Hochzeiten in seinem Dorf teilnahm, wusste er auch, was da eigentlich vor sich ging. Ob er danach zusehen durfte? Früher durfte er nie, man sagte ihm, dass er dafür noch zu klein/zu jung war. Wenn er es durfte, dann höhöhö.

    Rodrik stand tatsächlich noch immer in der Gegend herum. Eigentlich stand er nur an einem Fleck, aber dieser Fleck war strategisch äusserst günstig gewählt. Er stand nämlich neben dem Tisch mit den Fressalien. Und er bog sich. Der Tisch. Er bog sich wirklich. Rodrik brauchte nur die eine Hand ausstrecken, nicht einmal beide Hände auf einmal, dann konnte er sich einen Happen nach dem anderen hinter die Kiemen schieben. Fehlte nur mehr eine nackte Frau vor sich und der Traum aller Männer wäre wahr geworden. Aber statt dessen musste Rodrik sich mit Berechnungen über den VIW begnügen. Begnügen. Tatsächlich. Vor sich auf dem Tisch standen Speisen die er zum Teil gar nicht benennen konnte. Aber im Gegenzug wusste er 300 Namen für Brüste. Und es wurden täglich mehr.


    So stand Rodrik kauend und schluckend neben dem Tisch mit den vielen Köstlichkeiten und beobachtete die Leute (und den VIW, sehr wichtig!), als Lando, sein Vetter, mit seiner Braut Elfi, dem steilen Zahn zu ihm trat und ihn fragte, ob Rodrik sich zu ihnen gesellen wolle. "Öhm... öhm... ja, gerne." antwortete Rodrik. Etwas erschreckt, weil er doch aus seinen Beobachtungen gerissen wurde. Ein Rest an Erziehung (Mutter!) war doch hängen geblieben, es galt die Braut zu begrüßen. "Öhm... Heilsa Elfleda." Rodrik räusperte sich. Sie waren sich ja tatsächlich schon begegnet, mehrmals sogar, waren sie ja sozusagen Nachbarn gewesen. Und schon ab dem heutigen Tag sollten sie im selben Haus wohnen. Oh Mann, er kannte in seinem Dorf mindestens 5 Jungs, die ihm ihre gesamte Habe abgeben würden für. "Eh ja... du weißt ja, unsere Dörfer sind nicht allzu weit voneinander entfernt." richtete Rodrik sein Wort wieder an Lando, bevor er wieder Elfleda anblickte. Nervös. Er war nervös. Gut, das mochte nichts bedeuten, er war in Gegenwart von Frauen immer nervös. Aber jetzt, diese Begegnung hier... das hatte eine komparative Form von Nervosität. Sag was, Rodrik. Sag was! Und vor allem: Nichts Dummes! "Du... du siehst ... gut aus." Er zog die Luft ein und versteckte seine zitternde rechte Hand hinter seinem Rücken.

    Von Grund auf lernen. Angesichts seiner Erfahrungen, die Rodrik in den letzten Jahren erworben hatte, klang das nicht besonders berauschend in seinen Ohren. Ob er vielleicht trotzdem etwas mit Wissen und Können glänzen konnte? "In Ordnung." antwortete Rodrik daher etwas zaghaft. Da er bemerkte, dass Witjon seine Unterlagen wieder zur Hand nahm und offensichtlich weiter arbeiten wollte, stand Rodrik auf. "Dann... dann gehe ich mal wieder. Bis später." Sprachs und verliess das Arbeitszimmer.

    Rodrik blickte Sontje etwas verwundert an. Sicher tat er dies fast ständig, eigentlich konnte man sogar sagen, dass der verwunderte Ausdruck ständig auf seinem Gesicht präsent war. Doch diesmal hatte es eine andere Bedeutung. Denn eigentlich sollte Sontje ja noch von vorhin wissen, dass er durchaus Latein sprach. Wenn auch nicht fliessend. "Nein, hat er nicht." murmelte er daher auf Germanisch zurück und wandte sich dann an den gerade Vorgestellten.


    "Salve Magistrat." antwortete er auf Latein. "Ich war erst vor einigen Wochen nach Mogontiacum gekommen." Holprig und fehlerhaft, aber es war Latein. "Vor ich lebte in einem Dorf auf der anderen Seite des..." Verdammt, wie hieß noch das lateinische Wort für Rhein? Ahja! "... des Rhenus." Schon fast stolz grinste Rodrik. "Diese Brücke ist sehr... wie sagt man... erstaunlich. Wie lange man für Renovierung gearbeitet hat?" Konversation auf leichtem Niveau. Pustekuchen! Diese Sätze zu formulieren war schon sehr schwer.

    Fein rausgeputzt stiess auch Rodrik zur Gesellschaft, die bereits gut am Plaudern und sich amüsieren war. Rodrik mit seiner angeborenen Schüchternheit stellte sich etwas abseits und nahm etwas von dem dünnen Bier, das ausgeschenkt wurde. Das Bier hatte nicht nur den Zweck, seinen sicher bald aufkommenden Durst zu stillen, der Becher hatte auch noch eine andere Verwendungsmöglichkeit: man konnte sich so schön daran "festhalten". Es sah auch ungleich besser aus, wenn man etwas in der Hand hielt. Man kam sich dabei viel kühler vor. Und nicht so verloren. Das Gewusel und das verbale Geplänkel vor sich betrachtend nippte Rodrik an seinem Bier. Vor zwei Sommern hatte er seine letzte Hochzeit in seinem Dorf erlebt, ein großartiges Ereignis mit viel Gelächter, Musik und Tanz. Und zum futtern gab es natürlich auch reichlich. Er fragte sich, ob sich die Riten und Gebräuche von Stamm zu Stamm unterschieden. Von der Braut konnte er dabei nicht ausgehen, denn die war ja Mattiakerin so wie er. Er war gespannt, wie es nun weitergehen würde.

    Selbstverständlich durfte auch Rodrik nicht fehlen. Ehrensache, denn zum einen betraf dies ja seine Familie, zum anderen gehörte er wie die Braut zum Stamm der Mattiaker. Zwar war Rodrik auch zur Hälfte Ampsivarier, daran war Papa "schuld", dennoch fühlte sich Rodrik mehr als Mattiaker. Klar, hatte er doch sein gesamtes Leben dort verbracht. Daher freute sich auch Rodrik über diesen Tag, wenn auch daher aus ein wenig anderen Gründen als der Rest seiner Familie.


    Er hielt sich ganz seiner Gewohnheit gemäss etwas im Hintergrund. Er war ja weder der Bräutigam (erst recht nicht die Braut) noch war er als engster Verwandter oder sonst irgendwie wichtige Person ausersehen, alles aus der ersten Reihe besichtigen zu dürfen. Allerdings nutzte er eine kleine Erhebung im Boden, um trotzdem alles und wenn notwendig bis ins kleinste Detail sehen zu können. Vor allem die Frauen. :D

    "Puh..." Rodrik blies eine Strähne aus seinen Augen. "Also ich war oft bei ihm." Immer wenn es seine Zeit erlaubte. Und Mutter. Aber konnte man diese Zeit realistisch bemessen? "Und er hat mir dann schon auch etwas gezeigt. Aber meistens habe ich für ihn kleinere Hilfsarbeiten erledigt. Werkstatt kehren, Werkzeug gebracht und so. Und Tauschwerte berechnen, das konnte ich immer ganz gut."

    Rodrik hatte von der Vergangenheit von Alrik oder Vala, wie dessen Name bei den Römern lautete, nicht den blassesten Hauch einer Ahnung. Wie auch? Rodrik hatte Alrik auch erst vor ein paar Augenblicken kennen gelernt und wusste rein gar nichts von ihm. Alrik hatte hier einen Vorsprung, denn dieser wurde offensichtlich von Lando unterrichtet, zumindest ein wenig. Sicher war Rodrik behütet aufgewachsen, zwar grossteils ohne Vater, aber unter den strengen, sehr strengen und unnachgiebigen Augen seiner Mutter und unter den weniger strengen Augen seines Onkels Berenger und seines Großvaters, dem Rich seines Heimatdorfes. Und sicher hatte er Neid, Verachtung und Intrige nicht wirklich kennen gelernt, das lag jedoch in der Veranlagung des jungen Mattiakers, der einfach viel zu naiv war, um solch komplexe Emotionen und daher Verhalten verstehen zu können. Dies, gepaart mit fehlender Sprachgewandtheit und Souveränität, war ein untrügliches Zeichen, dass Rodrik wahrscheinlich niemals auch nur irgendeine führende Rolle innerhalb seiner Sippe spielen konnte. Erschwerend kam noch hinzu, dass der junge Mann keinerlei Ambitionen zeigte für jene Rolle, die der Meinung seiner Mutter nach der Enkel eines Richs an den Tag legen sollte. Ein Quell unendlicher Enttäuschung für seine Mutter. Auch wenn Rodrik es in diesem Moment nicht aktuell bewusst war, aber er war schon froh, dass er hier war und nicht mehr in seinem Heimatdorf.


    Doch hier war hier und jetzt war jetzt. Rodrik hatte gerade Alrik das Loch in der Decke gezeigt, eine Tatsache, die ihm die ersten Tage immer Anlass zur Heiterkeit gab. Wie dumm waren doch die Römer, befand er. Ein Loch in einer Decke und das in einem Raum, in dem nicht geheizt wurde. Er hatte nicht verstanden warum und er hatte auch nicht nachgefragt. Warum denn auch, er dachte, das wurde einfach deswegen so angelegt, weil es auch die Römer taten. Über den tieferen Sinn hatte er nicht gegrübelt. Aber Alrik, und Alrik hatte den jungen Mattiaker gerade aufgeklärt warum die Römer dieses für Rodrik Unbegreifliche taten, in jedem Haus. Er, Rodrik, war schon seit etlichen Wochen hier, aber Alrik, der gerade erst angekommen war, wusste den Grund für das Deckenloch. Und Alrik lachte über ihn. In der Miene Rodriks spiegelte sich die Enttäuschung wider. Er wollte Alrik eigentlich damit beeindrucken, doch das ging enorm in die Hose. "Oh... du kennst es also schon." sagte er niedergeschlagen. Was für ein Fehlschlag. "Nuja... ehm... ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung." antwortete Rodrik auf Alriks Frage nach den Sitzungen im Atrium. "Nur ein paar Tage, nachdem ich hier ankam, sind Lando, Witjon und die anderen zur Seherin abgereist. Da war nichts mit Treffen oder Sitzungen." Was verständlich war, denn von der duccischen Familie war Rodrik als einziges männliches Mitglied daheim geblieben. Und wen hätte er schon einladen sollen, nachdem er ja niemanden kannte? "Ehm... also... von hier aus gelangt man in fast alle anderen Zimmer. Dort oben die Treppe hinauf," er zeigte mit der Hand auf das Obergeschoss, "dort sind die Zimmer. Also zum Schlafen. Schon schräg, was? Jeder hier hat ein eigenes Zimmer." Auch etwas, was er bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. "Und hier unten sind die anderen Räume. Also die Küche, das Arbeitszimmer, das Bad, das Kaminzimmer und noch einige mehr."

    Der skeptische Blick entging Rodrik nicht. Nervös, wie er einmal war, räusperte er sich noch einmal, dann setzte er sich auf den Stuhl, den Witjon ihm zuwies. "Ja. Baldram hat eher dort arbeiten lassen." bekräftigte Rodrik. "Er hat gemeint, dass ich für richtige Schmiedearbeiten noch zuwenig Kraft habe." Das hatte er damals gesagt, vor etlichen Sommern, als Rodrik tatsächlich zu schmächtig war, schwere Eisenarbeiten zu tätigen oder den Hammer zu heben. Es hatte sich später zwar ein wenig geändert, aber Rodrik war nie besonders kraftstrotzend gewesen. Das hatte ihn aber auch nie wirklich gestört. "Ehm nein... ich würde gerne was tun. Weisst du, ich möchte mich etwas nützlich machen." bekräftigte Rodrik sein Anliegen. Dieses in den Tag hineinleben, das er bis gerade noch zelebriert hatte, war zwar eine gewisse Zeit lang sehr angenehm, aber auf die Dauer langweilig.

    Rodrik, der bisher noch bei der Tür stand, schob seinen Körper jetzt mehr in den Mittelpunkt des Zimmers. Schon wollte er fragen, ob er später kommen solle, weil Witjon so geschäftig wirkte. Aber dann hätte Witjon ihn ja wieder rausgeschickt und ihm gesagt, er solle später wieder kommen. Seine Mutter hatte das immer so gemacht, mit ihm. Aber da Witjon das nicht getan hatte, sondern ihn sogar noch gefragt hat, was es denn gebe, dachte sich Rodrik, dass er tatsächlich mit ihm das Geschäftliche besprechen konnte. Auch wenn er so geschäftig wirkte. Also mit anderen Dingen geschäftig. "Nuja... ehm... weisste, ich habe mit Lando gesprochen..." begann er etwas zögerlich, dann räusperte er sich. "Also es ist so." sagte er schon mit festerer Stimme. "Ich würde gerne arbeiten." Puh, das erste war schon mal ausgesprochen. "Ich habe meinem Dorf Baldram geholfen, das ist unser Schmied und Goldschmied. Nuja... und Lando hat gemeint, du hast einen Goldschmied, wo ich in die Lehre gehen könnte." Jetzt kam es auf die Reaktion Witjons an. Abwartend guckte Rodrik zu ihm.