Wenige Reden hatte Manius Minor bisherig vor dem Senat gehalten und ausnahmslos waren es Kandidaturreden gewesen, was für einen Pedarius im Range eines Quaestorius nicht weiter mochte verwunderlich erscheinen. Als an diesem Tage er jedoch den Aufruf des Consul vernahm und sodann den langen Weg von den Hinterbänken der Quaestorier vor zum Podest der Consuln zurücklegte, fasste er den Beschluss, zukünftig größeres Engagement zu beweisen und häufiger sich, wo dies geeignet erschien, das Wort zu ergreifen.
Zunächst galt es jedoch eine weitere Kandidaturrede zu absolvieren:
"Patres conscripti!"
, hob Gracchus Minor also mit jener altehrwürdigen Anrede, welche für gewöhnlich den Senatoren wurde zuteil, an und unternahm sogleich eine kurze Pause, um die Appetenz der Väter zu erhöhen.
"Eine Pflanze mag im Schutz der anderen gedeihen, doch irgendwann ist sie genötigt, selbst ans Sonnenlicht zu treten, um ihre Zweige gen Himmel zu recken."
Florale Motive hatten die Wahlkampf-Reden des Flavius von Anbeginn an durchzogen, weshalb auch jetzt er hatte beschieden, diesem selbst gewählten Tradition getreulich sich zu zeigen.
"Meine Familie wie auch ich bin euch wohlbekannt, selbst wenn ich in den vergangenen Jahren war genötigt, im Auftrag meines Vaters familiaren Obliegenheiten fern von Rom nachzukommen, sodass mir nicht allzu häufig seit meiner gnädigen Erwählung in eure Reihen war gestattet, unter euch zu sitzen."
Wieder (doch diesmal ungeplant) stockte er, da er doch sich trefflich entsann, dass sein Vater eben diese Absenz zu klären direkt nach seiner Rückkehr aus Ostia hatte zu bedenken gegeben und selbst offeriert hatte, die Verantwortung dafür auf sich zu nehmen. Zweifelsohne mochte diesem oder jenem Senator, welcher über Güter nahe Ostia verfügte oder dort regelmäßig zu Gast war, bekannt sein, dass Manius Minor dort eine Villa Urbana hatte errichtet und bewohnt hatte, ebenso jedoch womöglich, dass dortig er ein recht zurückgezogenes Leben hatte geführt und bei diesem oder jenem Gastmahle in der Nachbarschaft auch ganz offen dem Opium hatte zugesprochen, womit die kritischen Geistern unter ihnen mochten argwöhnen, dass nicht die Pflicht der Güterverwaltung, sondern vielmehr Sucht und Müßiggang ihn fern der Urbs hatten weilen lassen. Dieses Risiko indessen galt es zu akzeptieren, da doch keine andere Rechtfertigung wäre plausibler oder exkusabler wäre gewesen, selbst wenn zumindest die Unsterblichen wussten, dass neuerlich er hatte versucht, seinem Schicksal zu entrinnen.
"Nun jedoch bin ich zurückgekehrt und verhoffe, meinen Dienst für die Res Publica wieder aufnehmen und intensivieren zu können, wie es sich für einen Spross meines Geschlechtes geziemt: Seit jeher tragen die Söhne der Gens Flavia Sorge für dieses vortrefflichste aller Gemeinwesen: Mein Vater diente ihm als Consul und bis zum heutigen Tage als Pontifex, meine Großeltern verteidigten diese Stadt gegen innere und äußere Feinde als Feldherren, ebenso sind zahlreiche meiner Oheime euch durch ihren Dienst in diesen Hallen wohlbekannt und ihre Statuen und Ehreninschriften säumen unsere Plätze."
Jene Nobilität der Flavia zu betonen war Minor erforderlich erschienen, nachdem nun bereits geraume Zeit keiner seines Hauses mehr die Toga candida hatte angelegt und somit gerade den jüngeren Homines Novi nicht recht mochte bewusst sein, welche Seniorität dem Namen Flavia auch lange nach dem Ende der flavischen Kaiserdynastie in diesem Gemeinwesen anhaftete.
"Ich selbst durfte im Schatten dieser Giganten heranreifen, durfte mich an ihren Verdiensten emporranken gleich dem Efeu, um von ihrer Kraft zu profitieren und selbst jene Kraft zu entwickeln, die ich dann erneut dem guten Boden unserer Res Publica, welche uns alle nährt, zurückgeben durfte: Als Triumvir Auro Argento Aere flando feriundo sorgte ich mich um die Münze der Stadt, als Tribunus der Legio II Germanica erwarb ich militärische Kenntnisse und erwarb Meriten durch eine diplomatische Mission bei den Chatten, die mit einer Ehreninschrift in Mogontiacum wurde honoriert. Schließlich hatte ich die Ehre, Herius Claudius Menecrates als Quaestor Consulum zu dienen und ihm dabei zu verhelfen, wegen des uns allen wohlbekannten, erschröcklichen Aufstandes der Sklaven Gerechtigkeit zu üben sowie seine uns trefflich in Erinnerung gebliebenen Spiele zu realisieren."
Neuerlich pausierte er und blickte mit einem freundlichen Lächeln in Richtung des Platzes, wo Claudius Menecrates für gewöhnlich die Senatssitzungen zu verfolgen pflegte.
"In all diesen Ämtern durfte ich von großen, erfahrenen wie angesehenen Consularen lernen und ihnen zur Hand gehen, angefangen bei meinem eigenen Vater Manius Flavius Gracchus über Titus Duccius Vala bis hin zu Herius Claudius Menecrates. In ihrem Schatten durfte ich gedeihen wie eine Pflanze, die sich um mächtige Bäume rankt und an ihnen emporklimmt. Ich gewann Erfahrungen in der Administration, im Cultus Deorum, in der Organisation der Ludi wie auch in der Ökonomie und der Iurisprudenz.
Doch nun, Patres conscripti, wünsche ich im Amt des Aedilis Curulis diese Qualitäten neuerlich einzusetzen und dabei stärker auf eigenen Beinen zu stehen. Nun nicht mehr immediat einem älteren Magistraten zugeordnet, möchte ich selbst aus dem Schatten jener uralten Gewächse treten, um selbst Verantwortung für unser Gemeinwesen zu tragen. Das Aedilat erscheint hierbei als unprätentiöses Amt, welches noch des Imperium gebricht, doch umso ehrenvolleres, da doch es gleichsam den Gärtner repräsentiert, welcher die Urbs als guten Garten und Hort jedweder Energie unserer Res Publica hegt und pflegt. Im kommenden Jahr wünsche ich daher, die Märkte unseres Gemeinwesens zu regulieren. Ebenso sollen die Bauten in Ordnung gehalten werden, sollen Streitigkeiten zwischen Händlern und Bauern geschlichtet und für die Kornversorgung der Plebs Sorge getragen werden. Schließlich gelobe ich auch, dem Volk durch angemessene Spiele jene Rekreation zu verschaffen, derer es bedarf, um tüchtig am Erfolg unserer Stadt weiterzubauen. Wie ich selbst als Vigintivir lernen durfte, möchte auch ich nun aufstrebenden Jünglingen Leiter und Mentor sein und das Leben unserer Stadt auf meinem Posten koordinieren. Dabei gelobe ich ebenso, mit meinen Collegae aus Patriziat und Plebs zu kooperieren."
Er blickte zu Lucretius Carus, seinem Freund, der im Anschluss wohl seine Kandidatur zum plebejischen Aedilat würde erklären.
"Ich bitte euch daher, werte Patres conscripti, mir eure Stimme zu geben und zu erlauben, als Aedilis Curulis Verantwortung zu übernehmen für diese Stadt, wie vor mir schon meine Vorväter sie seit jeher als ihre Obliegenheit erachteten!"
Er blickte in die Reihen und sein Blick ruhte kurz auf seinem Vater, der als Consular recht nahe bei ihm saß. Der Hauch eines Lächelns flog über seine Lippen, ehe wieder eher eine staatsmännisch-gewichtige Miene er aufsetzte und er mit einem letzten, fragenden Blick auf Curtilius Victor deutlich machte, dass nun er sich für etwaige Fragen parat sah.