~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Er saß auf auf seinem Ross und blickte hinab in das sanft abfallende Tal, in welchen brache Felder sich aneinander, durchbrochen von den irregulären Wendungen des Astico wie der Via Minor hinauf nach Patavium. Um ihn hatte die Legio II Germanica ihre Stellungen errichtet, zu seiner Rechten die VIII Augusta, zur Linken die I Traiana, doch würde es den Truppen des Usurpators impossibel sein, Stärke und Verteilung der einzelnen Einheiten auf dem bewaldeten Hügel zu identifizieren, so er sich nicht bemüßigte selbige zu erklimmen.
Sie warteten. Seit Stunden hatten sie ihre Stellungen bezogen, doch hatte der Feind sich nicht aus seinem Lager begeben, doch gedachte auch Flaminius Cilo, ihr Kommandeur, nicht, die Sekurität seiner Stellungen zu verlassen, um das feindliche Lager zu attackieren.
Folglich verblieben seinen Kommilitonen und ihm nichts anderes, als wachsam auf seinem Posten zu verharren und sein Equippement parat zu halten. Dies also unternahm er aufs Neue, kontrollierte den Sitz seiner ledernen Rüstung, prüfte die Fibel, welche sein Paludamentum hielt und erprobte den Sitz seines Gladius in der Scheide, aufdass es sich im Eifer des Gefechtes nicht würde verhaken.
Dann jedoch erschien ein berittener Bote, welcher in vollem Galopp die Ebene durchquerte, sodass die Hufe seines Rosses die Äcker unter sich umpflügten und Staub aufwirbelten, achtsam die Brücke des Astico überquerte und sodann den milden Anstieg der Hügelkette erklomm, auf welcher sie campierten.
Voller Vorwitz ergriff er selbst also seine Zügel, um zu jener Stelle zu eilen, wo der Bote die Palisade würde erreichen, trieb seinen guten Trautwin vorwärts und erreichte ihn just in jenem Augenschlage, in welchem dieser die Stellung überwand.
"Nun, was weißt du zu berichten?"
, fragte er den Boten, aus welchem die Novitäten hitzig und in höchster Erregung förmlich erupierten:
"Menenius Lanatus zieht ab. Der Praefectus Praetorio hat den Usurpator verhaftet und Rom okkupiert. Der Krieg ist vorüber!"
Staunend fixierte er den Boten.
"Welch ein Sinneswandel! Wie konnte dies geschehen?"
"Offenbar hat dein Vater ihn überzeugt. Er reiste, als er aus Mantua verschwand, offenbar incognito nach Rom, um heimlich mit Decimus Serapio zu verhandeln. Und scheinbar hatte er Erfolg. Zumindest wurde er zum Praefectus Urbi gemacht, um über Rom zu herrschen, bis Cornelius Palma die Urbs erreicht hat."
Incredibel erschienen jene Worte, welche in phantastischer Weise jenem grässlichen Konflikt ein Ende setzten, noch ehe er allzu viele Leben gekostet hatte. Obschon sie folglich all die Meilen über die Viae der Provincia Germania Superior und die beschwerlichen Alpenpässe vergebens gezogen waren, so stellte jene Novität doch zweifelsohne eine Relaxation für sämtliche der Legionäre dar, welche in größter Mühe in den vergangenen Stunden jene Stellungen errichtet hatten, um nun gegen ihre Brüder, Vettern und Freunde auf der opponierenden Seite das Schwert zu erheben und sich gegenseitig dem Tode zu weihen.
"Welch erfreuliche Wendung!"
, jubilierte er folglich und wandte sich zu seinem Cornicularius.
"Lasst uns die Männer in Kenntnis setzen! Cornelius Palma hat triumphiert!"
Selbstredend ließ er sich sodann die Details jener imprävisiblen Wendung in extenso explizieren, ehe schließlich lautes Jubilieren aus tausenden Kehlen die Unterredung mit dem Boten interrumpierte. Der Bürgerkrieg war zu Ende!
Jenes Jubilieren in den Ohren erwachte der junge Flavius in seinem Bette. Für einen Augenblick bedurfte er der Orientierung, doch konträr zu den ihm so vertrauten nokturnen Disturbationen nach disturbierlichen Traumgesichten verspürte er heutig ein durchaus positives Gefühl, war nicht schreiend, sondern eher von aufwallender Freude aus dem Traume gerissen worden. Was als Knabe ihm verwehrt geblieben war, als Aurelius Ursus ihn, den blinden Passagier seines Kriegszuges, entdeckt hatte, hatte sich nun im Traume vollendet, indem er als Tribunus Laticlavius, welcher er nun in anderen Zeiten hatte verkörpert, an der Schlacht von Verona hatte partizipiert. Doch konträr zur wahrhaftigen Historie hatte jene überhaupt nicht sich ereignet. Und der Grund jenes unblutigen Reüssierens war niemand anders als der Erfolg Manius Maiors gewesen!
Inmitten der Kissen und Decken seiner bescheidenen Bettstatt im Obergeschosse eines namenlosen Gasthauses, in welcher die Tiberii und er genommen hatten, richtete Manius Minor disturbiert sich auf. Selbstredend fiel es ihm nicht sonderlich schwer sich zu entsinnen, dass auf seiner Abreise nach Germania er jene Grabhügel passiert hatte, in denen die Gebeine der gefallenen Soldaten waren bestattet worden, ebensowenig, dass er, anstatt als Knabe an jener gewaltigen Schlacht zu partizipieren, damalig in relativer Sekurität unter dem Dach seines geschätzten Vindex war angekommen, sodass jener Traum faktisch nichts anderes als eine schnöde Gaukelei war gewesen, die nichts über die wahren Ereignisse jenes unsäglichen Tages, an dem so viele Söhne des Mars ihr Leben im Ringen miteinander hatten ausgehaucht, berichtete.
Dennoch inspirierte jene alternative Narration den Jüngling zu spintisieren: Seit jener Nacht, als Manius Maior ihm unbemerkt den Rücken gekehrt hatte und aus Mantua entflohen war, warf Manius Minor insgeheim stets ihm vor, dass er ein Feigling sei, welcher nicht nur ihm selbst, sondern ebenso seiner Pflicht, auf dem Felde der Ehre den Heerscharen des Usurpators die Stirne zu bieten, entflohen war. Immer wieder hatte der junge Gracchus den älteren dafür verflucht, ein Feigling zu sein, und jene Schlacht von Vicetia, während der sein Vater irgendwo in Roma hatte geweilt, als Konfirmation herangezogen. Obschon sein Vater in jedem Gespräch erklärt hatte, nicht zum Kriegsmann geschaffen zu sein, ja selbst seine eigenen Pläne, unter den Adlern zu dienen, mit einiger Reserviertheit akzeptiert hatte, hatte er all dies lediglich als nichts weiteres denn den Ausfluss jener Feigheit verurteilt.
Doch wenn er jenen Traum rekapitulierte, so erweckte er doch die Remineszenz an ein Gespräch, welches er vor vielen Jahren, als er von seinem Exil zu Cremona war zurückgekehrt, mit seinem Vater geführt hatte. Schon damals hatte er, zwar ein unmündiger Knabe, doch voller Zorn, seinem Vater jene Feigheit unterstellt und war nicht geneigt gewesen zu akzeptieren, was jener erwidert hatte. All die Jahre hatte er kaum einen Gedanken an jene Worte verschwendet, doch heute Nacht kamen sie ihm aufs Neue in den Sinn, da es ihm doch stets nur als minder ehrenhafte Ausflucht vor jenem höchsten Lebensopfer gegolten hatte, welches ein Sohn Roms auf dem Altar der Roma mochte darbringen: Manius Maior hatte Mantua den Rücken gekehrt, um Faustus Decimus Serapio, dem damaligen Praefectus Praetorio, auf die Seite der getreuen Quiriten zu ziehen, welche damalig als Verschwörer denunziert gewesen waren.
Doch war jenes Ansinnen per se unehrenhaft, weil er misslungen war? Glich es im Grunde nicht jenem, das Gracchus Minor selbst verfolgt hatte, als er im vergangenen Jahr die Chatten hatte aufgesucht, um einen Frieden zu schließen, welcher nicht auf dem Blut zahlloser Soldaten, sondern wohlmeinenden Worten und dem hintergründigen Wirken beiderseits respektierter grauer Eminenzen ruhte? War es nicht ebenso ehrenhaft, eine Schlacht zu verhindern und brave Söhne Roms, deren limitierter Horizont ohnehin ihnen nicht gestattete, die Intersektionen der großen Politik zu durchdringen, die mindestens ebenso glücklich auf ihrer Scholle in Italia hätten gelebt als in den Castella entlang des Limes, vor dem Tode zu bewahren, ohne die Necessitäten einer gerechten Ordnung preiszugeben? Hätte, wäre Manius Maior erfolgreich gewesen, der Krieg und das Leid Unzähliger nicht ein weitaus früheres Ende genommen und wäre Rom darum nicht weitaus früher wieder erblüht? Und hatte er also in all jenen Jahren der paternalen Entzweiung seinem Vater nicht Unrecht getan?
All jene Fragen okkupierten den jungen Flavius, während er in seinem Bette lag und in die Dunkelheit der Nacht starrte, ehe die Müdigkeit aufs Neue ihn übermannte und er zurück in Morpheus' Reich glitt, um an kommenenden Morgen in aller Frühe zu erwachen, wie es ihm während seines Tribunates zum Usus geworden war.