Als die Legion sich dem Tribunal näherte, vor welchem die Männer Aufstellung beziehen sollten, erwachte der junge Flavius aus seinem autoreflektiven Sinnen, denn immerhin war ihm die Supervision jener Zeremonie obgelegt worden, sodass er nun zu achten hatte, dass sämtliche Abläufe in korrekter Weise verliefen. Selbstredend war mitnichten irgend etwas an dieser Festivität nicht bereits durch nunmehr beinahe hundertjährige Übungen aufs kleinste Detail prädeterminiert, sodass lediglich ein Verständnis der Abläufe und eine Zuteilung der diversen Obliegenheiten seine Aufgabe waren gewesen, doch hatte er dennoch sich gemüht, jenen würdigen Rahmen nach besten Kräften zu wahren.
Also wendete er sein Trautwin an jener Stelle, die er am vorherigen Tage nochmals besichtigt und hinter welcher nun bereits der Legionsadler mit seiner Garde Position genommen hatte. Hinter seinem Rücken reihten sich sodann Kohorte um Kohorte, Turma um Turma die folgenden Formationen an ihrem Platze ein, dirigiert und kontrolliert von ihren Centurionen und Decurionen, welche am Vortage ebenso eingewiesen worden waren. Indessen nickte der flavische Tribun unmerklich (doch merklich verstärkt durch die Höhe seines Federbusches) dem Praefectus Castrorum zu, dem die Übergabe des Wortes traditionsgemäß oblag. Iulius Licinus begab sich also auf die Tribüne, welche unmittelbar vor dem freien Exerzierplatz und neben dem Feuer sich befand.
Als dann die Pila zu Boden gesetzt wurden, legte sich erwartungsvolle Stille über das Feld wie das Publikum. Gemächlich begab sich sodann der Redner des heutigen Abends an seine Position, salutierte vor dem jungen Flavius, welcher den Gruß selbstredend erwiderte, und begann zu sprechen.
Gleich einige seiner ersten Worte blieben in den Ohren des jungen Tribuns haften: 'welche nicht nur Soldaten führten, sondern von ihnen auch geschätzt und mit größter Loyalität bedacht wurden'
Er selbst hatte auch eine Vexillatio über den Limes hinaus geführt, doch niemals sich als wahrer Kommandeur jener Einheit verstanden, da doch sämtliche praktischen Angelegenheiten durch den ranghöchsten Centurio, jenen Tiberius, waren bewerkstelligt worden, während er mehr als ein Gast jenem militärischen Spektakel beigewohnt hatte. Durchaus hatte er sich bemüht, seiner Legion ein guter Offizier zu sein, ja hatte ein offenes Ohr und paternale Fürsorge gelobt und das Herz mancher Stabsperson gewonnen, doch bei rechtem Licht betrachtet war es ihm doch nie gelungen, zu jenen Milites gregarii durchzudringen, als deren singulärer Exponent ihm Tiberius Verus war begegnet. Schlagartig aktivierte sein Geist die mahnenden Worte des Praefectus Urbi, welcher ihm nicht lange vor seinem Aufbruch hierher nahegelegt hatte, Auftreten und Verhalten zu exerzieren, um sich den Respekt seiner Männer zu erwerben, worum er nach Kräften sich durchaus bemüht hatte, doch obschon er über mangelnde Autorität gegenüber seinen Untergebenen er nicht zu lamentieren vermochte, so fehlte es doch stets an jener wahren Zuneigung, wie sie ihm etwa sein Leibdiener Patrokolos erwies. Auch während jener Einweisung am Vortage waren sämtliche Centurionen stets kühl und geschäftsmäßig verblieben, hatten sie seine Order zwar akzeptiert, doch kaum Anteil genommen an seinen Wünschen und Ideen. Womöglich war es sein mangelnder Sinn dafür, derartige Symbolhandlungen zu vollziehen, wie Germanicus sie durch den mehrfachen Besuch des Varianischen Schlachtfeldes hatte bewerkstelligt, und damit die Motivationen und Normen seiner Männer anzuerkennen, was ihn am ehesten von den erfolgreichen Feldherren Roms trennte, mochten sie Drusus, Germanicus oder Caesar sich nennen. Einen Kriegsmann verlangte augenscheinlich es nicht danach, dass seine Interessen vor den Princeps oder gar den Senat wurden getragen, während es von größter Importanz ihm war, dass seinen gefallenen Kameraden Ehre erwiesen wurde, die er im Gegenzug seit nunmehr einem Saeculum auch Drusus und Germanicus erwies. Ehre und die Pietas gegenüber den Verblichenen waren auch einem quiritschen Patrizier ein Begriff, doch waren jene Tugenden doch in der urbanen Aristokratie Roms doch in anderer Weise besetzt als unter denen, die tagtäglich im Staube ihr Leben riskierten, um jene Zivilisation zu schützen, derer sie niemals teilhaftig werden mochten.
Die Fähigkeit der beiden heutig geehrten Feldherren verdiente somit in den Augen des flavischen Jünglings durchaus Admiration, da sie doch selbst similären Verhältnissen entstammten wie er selbst, jedoch weitaus erfolgreicher die Herzen ihrer Legionen gewonnen hatten. So spendete auch der Tribun Applaus, nachdem Iunius Seneca geendet hatte und stimmte ein in das Dröhnen tausender Pilae, welche die Legionäre zum Zeichen ihres Konsenses auf ihre Scuta schlugen. Worte wollte Manius Minor dagegen keine weiteren verlieren, spürte er doch, dass all dies trotz sämtlicher Mühen nicht recht sein Feld war. Denn gewiss mahnte ihn der Tod des Drusus inmitten seines Kriegszuges, seine Obliegenheiten nicht zu sehr zu prokrastinieren, ja hatte er durch sein Opfer selbst gelobt, seine dekadente Vergangenheit hinter sich zu lassen und als neuer, tugendhafter Mensch Rom zu dienen. Doch wurde ihm nach jener Rede doch bewusst, dass sein Schicksal doch eher in Rom lag als hier an den Ufern des Rhenus.