Regen trommelte auf das Dach des Tempelbaues, als Manius Minor zum letzten Male für sein Tribunat vor dem Kultbild des Mars Thincsus erschien. Wie bei seiner ersten Visite, so trug er auch heutig die Toga eines Bürgers und Hauspriesters, deren über das Haupt gezogenes Ende ihm zugleich als Kapuze gegen die nässenden Tropfen auf dem Wege hierher hatte gedient. Nicht sonderlich ansehnlich mochte er somit erscheinen, durchtränkt gleich einem begossenen Pudel, doch gestimmt in ernsten Respekt für jene Gottheit, der er heute seine Gelübde erfüllte.
Dem Jüngling folgte Patrokolos, in dessen Armen seine in Tuch eingeschlagene Gabe ruhte, dazu sein gesamtes häusliches Gesinde.
Dem römischen Usus gemäß reichte einer von ihnen ihm die Acerra, aus welcher er einige Weihrauchkörner entnahm, um sie in die Glut des Foculus vor ihm zu werfen.
"O Mars Thincsus, du Herr über Krieg und Frieden! Höre mein Gebet!"
, variierte er diesmalig jedoch seine Oration. Denn obschon er beständig in den vergangenen Monaten sich in ein Paludamentum hatte gehüllt, bisweilen seine lederne Rüstung getragen und einige wenige Male gar sein Schwert hatte gezogen, so war er doch niemals in einen Kampf verwickelt worden, hatte niemand ihn genötigt, seine rudimentären Kenntnisse des Fechtens in einer realen Situation zu erproben oder gar sein Leben auf dem Schlachtfeld zu riskieren.
Keineswegs war sein Tribunat beständig friedlich gewesen, wie bereits Duccius Vala ihn bei seiner Antrittsvisite hatte gewarnt: Er hatte sich gar in die Höhle des Löwen begeben, um jenen Krieg zu verhindern, welcher similär zu den heutig überaus sinistren Wolken am Horizont hatte gelauert, hatte bisweilen auf dem Wege zu den Chatten um sein Leben gebangt und Sorge getragen, dass seine Legion stets parat stand, um in einem possiblen Kriege zu obsiegen. Doch war es fortunablerweise niemals erforderlich gewesen, seine Männer in die Schlacht zu führen, vielmehr hatte der Jüngling im vergangenen Jahre beständig sich eingesetzt, um den Frieden zu kultivieren, indem er Iustitia in die Gaue der unterworfenen Germanen wie seine eigenen Reihen getragen und mit den ungebändigten Chattenhäuptlingen, wenn nicht mit Waffen, so doch mit Worten gefochten hatte.
"Du ziehst deinen Söhnen voran in die Schlacht und verheißt ihnen den Sieg. Doch vermagst du auch die Gemüter zu temperieren, um Frieden und Wohlstand zu wahren."
Der Zusatz 'Thincsus' immerhin mochte genau auf jene Konsultationen verweisen, deren Gast er war geworden und auf welchen er seinen größten Triumph hatte errungen. Er mochte nicht mit Blut und muskulärer Kraft ausgefochten worden sein, wie er dies, den alten Historien folgend, erwartet hatte, doch empfand der Jüngling dennoch Stolz über seine Taten, durch welche zwar keine Feinde Roms getötet, doch zumindest die Leben römischer Soldaten salviert worden waren.
"Du bewahrtest mich vor Krieg und Verderben, du schenktest mir Gravitas und Auctoritas, um die meinen zu führen und zu leiten."
Niemals zumindest hatte es ein Soldat oder gar ein Centurio gewagt, seine Befehle in Zweifel zu ziehen oder ihm ihren Respekt zu verweigern, wie er dies anfänglich gefürchtet hatte.
"Du wachtest als guter Geist über dem Thing, welchen ich besuchte, und gabst mir die rechten Worte ein, um die wilden Chatten zu kalmieren. Du gibst ihre Söhne gar Rom als Gnadengabe in die Hand."
Inzwischen hatte der chattische Auxiliarverband den Limes erreicht und war in das Exercitus Romanus eingegliedert worden, wo sie als leichte Infanterie würden dienen.
"Obgleich ich mein Gladius nicht mit Blut weihte, so machtest du mich doch zu einem passablen Soldaten, welcher seine Pflicht getreulich erfüllte."
Sanft lächelte der Tribun voller Dankbarkeit hinauf zu der versteinerten Miene des Gottes, dessen martialisches Äußeres in seltsamer Differenz zu der betont zivilen Aufmachung und Oration des jungen Flavius stand.
"Dafür danke ich dir von Herzen."
Er ergriff seine bescheidenen Gaben.
"Nimm an meine Gaben:
Münzen von Erz, aus dem deinen Söhnen auch Schwerter und Rüstungen getrieben werden.
Korn, gemahlen und gebacken, um Menschen und Göttern zur Speise zu dienen."
Bar jedweder Intention erkannte Manius Minor schlagartig, dass seine traditionellen Gaben zu Ehren des Mars es auch gewesen waren, mit denen er sich den Frieden der Chatten erworben hatte. Wie die Priester die verderblichen Gaben ihres Gottes verzehrten, so erschienen auch die Chatten gleichsam als Priester des Mars Thincsus, welche stellvertretend für ihn die Getreidelieferungen und Rüstungen der römischen Horreae akzeptierten, während ihre Gottheit im Gegenzug den Frieden gewährte.
Endlich wandte der junge Flavius sich zu seiner Rechten, wo Patrokolos ihm das güldene Schwert darreichte. An Größe und Gewicht kam es mitnichten den echten Waffen der Legionäre gleich, doch erschien es doch als detailgetreues, güldenes Replikat jenes Gladius, welches Manius Maior seinem Sohne vor einigen Jahren zum Präsent gemacht hatte und dessen materieller Wert allein ein prächtiges Opfertier beiweitem übertraf.
Sanft fuhr der scheidende Tribun über die sorgsam gearbeitete Klinge, welche keine Hohlkehle teilte, über deren gesamte Breite jedoch die Lettern 'M' FL GRACCHVS MARTI THINCSO V S L M' in die glatte Oberfläche getrieben waren. Während er nach Roma zurückkehrte und seinen eigenen Gladius ablegen würde, würde jene Waffe im hiesigen Tempel die Memoria an sein Tribunat erhalten.
"Ich gelobte dir ein güldenes Schwert und ich löse mein Gelübde mit Vergnügen und in gebührlicher Weise."
Mit beiden Händen präsentierte er seine Votivgabe, umrundete sodann den Foculus und legte es dem Götterbild zu Füßen. Die demütige Geste erweckte sogleich die Remineszenz an jene historische Szenerie, als Vercingetorix, der Fürst der Gallier, Divus Caesar seine Waffen zu Füßen hatte geworfen. Auch Manius Flavius Gracchus Minor ergab sich in gewisser Weise dem Gott des Krieges, welcher sich ihm jedoch eher als Wahrer des Friedens hatte offenbart.
"Nimm an meine Gaben und meinen Dank von Herzen!"
Obschon es sich für einen Quiriten nicht geziemte, selbst vor den Göttern sich niederzuwefen, so schritt der junge Flavius doch würdig an seinen Ausgangspunkt zurück und neigte sein Haupt, ehe er aufs Neue sich zur Rechten wandte, um den Tempel zu verlassen und hinaus in das Toben des Regens sich zu begeben.
Die Nässe mochte eine Widrigkeit sein, doch hatte er mit seinem Dienste hier bereits weitaus größere Widrigkeiten überwunden und final sich selbst übertroffen!