Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Der intime Gestus seines Vaters traf den Jüngling gänzlich unerwartet und so war er erstlich ein wenig perplex, als er die Stirn Manius Maiors auf der seinigen verspürte. Doch sodann beschied er sich konfident in jene Intimität fallen zu lassen, welche ihm dargeboten wurde. Die Wärme des paternalen Hauptes schien aus dieser Warte geradezu als Verheißung jener familiaren Behaglichkeit, welche in den letzten Jahren ihm lediglich das Opium hatte zu bieten vermocht. Womöglich würde so sein projektiertes neues Leben doch nicht so entbehrungsreich und trist sich gestalten, wie er in seinen epikureischen Tagen es stets imaginiert hatte.
    Seiner Einsicht zufolge waren ihre Missetaten zwar inkomparabel, da die Pein seines Vaters bestenfalls einem Zuviel an Pietät, seine eigene Narrheit hingegen einem Mangel desselben war geschuldet, doch ließ sich über jene Fehleinschätzung zu seinen Gunsten wohl interimistisch hinwegsehen.
    "Ja, widmen wir uns der Zukunft."
    Sie lösten sich und der jüngere Gracche blickte versonnen zur Decke. Selbstredend hatte er die vergangenen Tage hinreichend Raum gehabt, seine Obliegenheiten für die Zukunft zu bedenken, doch wollte er erstlich noch jenen Moment des Glückes verkosten, ehe er seine durchaus ambitionierten Pläne zu thematisieren.
    "Nun, wie es einem Sprosses unseres Hauses gebührt. Ich wäre bereit, erstlich die nächsten Schritte des Cursus Honorum zu beschreiten, also mein Tribunat abzuleisten. Sofern du dies gutheißen würdest selbstredend."

    Dem Opium war es zu verdanken, dass die bedrohliche Atmosphäre, welche jene insubordinanten Tirones unter Leitung ihres Erz-Meuterers in seiner unmittelbaren Nähe ihn nicht in einem Maße ängstigten, dass er sein Wort nicht mehr gegen selbige zu erheben wagte. Doch seine Droge begrub seinen gewöhnlich timiden Charakter unter einer wohlig-weichen Decke des Gleichmutes, welcher ihn nahezu amüsiert jene ridikulöse Version der Umstände ihrer Exkursion ließ vernehmen. Dennoch refutierte er jene provokanten Worte mit größter, womöglich gar verdächtig großer Ruhe:
    "Erstlich handelte es sich mitnichten um eine Sklavenrevolte, sondern lediglich den Fluchtversuch eines jener miserablen Gestalten, welche dort ihren Dienst verrichten. Weder wurde ich für meine Person bedroht, noch war eine Tötung des Mannes unumgänglich.
    Des weiteren erscheint es mir überaus dubitabel, dass die beiden böswillig die Miene zum Einsturz brachten und damit ihr eigenes, vermeintlich lukratives Geschäft vernichteten, zumal augenscheinlich sie ihre Beweise noch immer aufbewahrten, nachdem das Unglück bereits Tage zurück lag.
    Zum Dritten erachte ich es jedoch selbst für den Fall, dass die beiden sich einer Missetat schuldig machten, für absolut inadäquat, einen römischen Bürger und Publicanus Augusti sowie einen Procurator Augusti auf jene vagen Indizien hin mit herben Beleidigungen und physischen Attacken zu traktieren, was wiederum zum vierten der singuläre Grund war, warum ich mich genötigt sah das Verhalten jenes Miles zu kritisieren."

    Schweigend betrachtete er die vorgeblichen Beweise, welche die Tirones dem Tribunus zu Füßen legten, die jedoch faktisch nichts anderes waren als eine Summe unschuldigen Geldes, wie ein Publicanus sie durchaus zu besitzen pflegte, sowie eine Rechnung über Hölzer, deren Gebrauch und Eignung keineswegs zwingend aus ihr selbst hervorgingen. Selbst wenn der junge Flavius dem Germanicus an Kenntnis über das Grubenwesen um Meilen unterlegen war, so vermochte er doch ob seiner spärlichen juristischen Kenntnisse zu ermessen, dass dergestalte Indizien kaum geeignet waren, das Wort eines kaiserlichen Beamten sowie eines Publicanus Lügen zu strafen.


    Als Peticus endlich, zweifelsohne verärgert über die Desperation seiner Lage, an ihn herantrat, um ihm eine mörderische Drohung ins Ohr zu hauchen, war dies doch geeignet, selbst die wohlige Opium-Blase um den flavischen Jüngling zur Implosion zu bringen. Erschrocken sprang er einen Schritt von diesem fort und auf den Iunius zu, und deutete klagend auf den Miles.
    "Dieser Mann bedroht mich mit dem Tode! Ich verlange, dass man mich vor ihm defendiere!"
    Er schluckte und gedachte schlagartig seiner Situation.
    "Immerhin bin ich ein Magistrat Roms!"

    http://www.imperiumromanum.net/wiki/images/1/12/Domitian.jpg Während der Parentalia waren die Tempel geschlossen. Dennoch hatte Manius Minor an diesem Tage den zuständigen Aedituus bestochen, damit dieser ihm für eine knappe Zeit die Pforten des Templum Gentis Flaviae eröffnete. Nur wenige Minuten wollte der junge Gracche die Gesellschaft jener divinisierten Parentes genießen, welche seinem Dafürhalten während der Parentalia ebenso zu ehren waren wie die im Mausoleum Flavium.


    Am frühen Morgen huschten zwei Gestalten, eine schlank und wohlproportioniert, eine klein und dicklich, durch das Portal und legten ehrfurchtsvoll ihre Mäntel ab. Manius Minor trug eine weniger voluminöse Toga, sein Diener Patrokolos ein Täschlein mit den präparierten Opfergaben. Fahrig reinigten sie sich kultisch an den Becken neben der Tür und traten dann ehrfurchtsvoll vor die Kultstatuen des Divus Vespasianus und des Divus Titus.
    Beinahe etwas zu hastig zog er seine Toga über den Hinterkopf und breitete die Hände zum Gebet.
    "Divi Flavii, wie dies Euer Recht ist an diesen Tagen, nehmt unsere Gaben, die wir Euch offerieren an diesen Tagen da wir Euch nicht vergessen haben, zum Eurem Wohle, wie Euch dies zusteht, die Ihr mit Eurer Gunst all jene beschenkt, die nach Euch gekommen, Divi Flavii, gütige Vorväter der flavischen Familien, zu Eurem Wohle unsere Gaben"
    Patrokolos reichte ihm Salz und Veilchen, welche er sorgsam vor den beiden Kultbildern verstreute.


    Dann wandte er sich nach links, wo die Statue einer römischen Matrone in einer Nische zu finden war. Sie repräsentierte Diva Iulia Flavia, die Tochter des Divus Titus und, mochte man den Gerüchten Glauben schenken, Geliebte von dessen Bruder Domitianus. Dessen Asche wiederum war in jener Urne beigesetzt worden, die in der Basis der Plastik war verwahrt und die der Grund war, warum der junge Flavius illegalerweise seinen Weg hierher hatte genommen.
    "Manes Domitiani!"
    , begann er deshalb ein neuerliches Gebet.
    "Du bautest diesen Tempel und setztest Deine Nichte hier bei. Du weihtest Deinem großen Vater, Deinem geschätzten Bruder einen Tempel auf dem Forum. Größte Mühe nahmst du auf Dich, um die Divi Parentes mit Dir zu versöhnen."
    Beim Spintisieren über sein Schicksal und die Hilfe, welche die Maiores ihm hatten erwiesen, war seine Appetenz just auf jenen flavischen Imperatoren gestoßen, dessen keiner mehr gedachte und der doch kurioserweise mehr als seine Vorgänger den Ruhm der gesamten Gens Flavia zu mehren gesucht hatte.
    "Doch verfluchte Dich die Götter und Du fielst ewiger Strafe anheim: Deine Inschriften wurden getilgt, Deine Bilder zerschlagen, Dein Andenken besudelt."
    Mit Abscheu gedachte der junge Flavius der hässlichen Gerüchte, welche über seinen glücklosen Stammvater kursierten und nichts anderes waren als eine ungoutierliche Anhäufung sexueller Ausschweifung, tyrannischer Willkür und irrsinniger Narrheiten, die impossibel zur Gänze der Wahrheit konnten entsprechen. Zweifelsohne hatte Flavius Domitianus unter allen ihren flavischen Imperatoren seiner Familia die geringste Ehre bereitet, hatte er unter jenem Wahne laboriert, der der familiaren Tradition gemäß immer wieder die Sprösslinge seiner Gens torquierte, doch hatte just jene Imperfektion ihn für den jungen Gracchen in seiner misslichen Lage attraktiv erscheinen lassen: Denn all jene Unbill und Verachtung, der er anheim gefallen war, war doch ein untrüglicher Hinweis auf die Ungnade der Unsterblichen, die seinen Bruder und Vater unter die ihren erhoben, ihn hingegen verstoßen hatten, was nun ihn dem Jüngling gleich machte:
    "Auch mir droht der ewige Tartaros als Strafe für mein törichtes Handeln und meine schändliche Vergessenheit gegenüber der Pflicht. Wie du habe ich geschworen, ein besserer Flavius zu werden, das Andenken meiner Väter zu ehren und ihm adäquat mich zu verhalten."
    Manius Minor wusste nicht, ob eine Seele, die die Götter verstoßen hatten, imstande war, Opfergaben der Lebenden zu rezipieren. Sicherheitshalber hatte er dennoch auch für die Manes Domitiani eine bescheidene Gabe präpariert und ließ sich von Patrokolos ein Schälchen mit Getreide reichen.
    "Nimm dieses Korn und wie aus ihm eine Pflanze gedeiht, wächst und neue, reiche Frucht bringt, so hilf auch mir mein Leben aufs Neue zum Blühen zu bringen, aufdass es Frucht bringe als Gabe an die Divi Parentes und alle Götter. Wie der Keimling im Frühling auf die Ackerkrume durchbricht, so sende auch mir ein Zeichen der Hoffnung, so die Götter beschieden haben, mir eine neue Chance zu bieten."
    Er griff nach einem Brotfladen, getränkt mit blutrotem Wein.
    "Sende mir ein Zeichen, ob mein Schicksal zu retten ist, aufdass die Hoffnung mich durchdringt, wie der Wein dieses Brot durchdringt, das ich Dir als gerechte Opfergabe gebe!"
    Der Jüngling beugte sich herab, positionierte das Brot auf dem Schüsselchen mit dem Getreide und ließ sodann sich ein Tuch reichen, um seine Finger von dem klebrigen Rebensaft zu befreien. Für den Aedituus mochte es wirken, als habe er Iulia Flavia seine Reverenz erwiesen, doch war dies der einzige Ort, an dem Restanten jenes geächteten Flavius waren zu finden, dem Manius Minor sich dieser Tage insonderheit nahe fühlte.


    Nun blieb ihm nur noch, ein Zeichen der Manen zu erwarten.


    Bildquelle: Theoria Romana

    Überaus verspätet erreichte ein Schreiben des Manius Flavius Gracchus Minor das Haus des amtierenden Consuls, um endlich seine vergangene Amtszeit durch einen Tatenbericht zu finalisieren:

    Consul Lucius Fadius Rufinus
    [Haus des Consuls]
    Roma


    M' Flavius Gracchus Minor Consuli s.d.


    Ich ersuche Dich hiermit um die Gelegenheit, dem Senat die Res Gestae meiner verstrichenen Amtszeit als Tresvir auro argento aere flando feriundo vorzutragen. Ich bitte die Verzögerung meiner Meldung zu exkulpieren, welche durch gesundheitliche Kalamitäten evoziert wurde. Nun jedoch bin ich bereit, über meine Taten Rechenschaft abzulegen.


    Vale bene!

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    [Blockierte Grafik: http://s1.directupload.net/images/131110/noakoh4f.png]

    Der greise Menecrates kommentierte in großväterlicher Manier die Beiträge der jungen Herren und Manius Minor, fest entschlossen als guter Römer das Wort der Alten künftig zu ehren, lauschte andächtig. Der Rat, welcher ihn betraf, evozierte dennoch in ihm lediglich eine Bestärkung seines Vorhabens, sich vor einem weiteren Schritt auf dem Cursus Honorum um ein Tribunat zu bewerben.


    Doch sogleich ergriff wieder Sassia das Wort und aufs Neue fühlte der junge Gracche sich genötigt, zu einem längeren Monolog anzusetzen:
    "Mir scheint, werte Claudia, dass eine derartige Spezialisierung kaum möglich ist.


    Wie dein-"
    Der Jüngling stockte. Genierlicherweise hatte weder er selbst sich, noch Scato ihn informiert, in welcher Relation Sassia und Sabinus standen, sodass er nach kurzem Zögern genötigt war, auf eine unbestimmte Formulierung auszuweichen
    "-Anverwandter erwähnte, ist eine Differenzierung verschiedener Richtungen im Staatsdienst kaum zu bewerkstelligen. Ein Feldherr muss zugleich die Pax Deorum für sich, sein Heer und seine Kampagne sichern. Ebenso wird er mit anderen Kommandeuren zu kooperieren haben, wird im Kriegsrat seine Haltung darzulegen und im Disput mit anderen zu prüfen haben, sodass er auch des politischen Geschickes bedarf, um seine Pflicht adäquat zu erfüllen.
    In derselben Weise wird es jedoch auch einem Senatspolitiker wohl anstehen, die Materien, welche in der Curia Iulia zur Verhandlung kommen, aus eigener Erfahrung zu ponderieren, anstatt sich auf das Hörensagen und das Wort der anderen allein zu verlassen. Je vielseitiger seine Expertise ist, desto besser wird er die Geschicke des Staatsschiffes zu lenken wissen."

    Die Worte echappierten ihm, als hätten die Jahre der politischen Abstinenz ein unermessliches Reservoir an rhetorischen Loci communes in ihm aufgestaut, deren epikureischer Damm nun war zerborsten:
    "Es gleicht gewissermaßen einem Körper. Wie dir zweifelsohne bekannt ist, bediente sich bereits Menenius Agrippa jener Metapher-"
    Die Mär vom Magen und den Gliedern, mit welcher der patrizische Senator Agrippa Menenius Lanatus in den Tagen der Ständekämpfe die Secessio Plebis aufgehoben hatte, war gerade für Patrizier, zu denen der gesamte anwesende Kreis war zu zählen, wohl eine der favorisiertesten Geschichten, zumal sie von Titus Livius, dessen historisches Werk Ab urbe condita zum festen Lektüre jedes Grammatik-Unterrichtes zählte, tradiert wurde.
    "-doch erscheint sie mir auch in unserem Kontexte überaus adäquat: Wie ein Medicus zur Heilung einer Krankheit nicht alleinig in der Anatomie des Fußes oder den Eigenschaften nur eines der vier Säfte Kenntnis besitzen darf, so muss auch der Politiker eine umfassende Kenntnis aller Ressorts des Staatswesens besitzen, möchte er seine Mängel beheben. Dessenungeachtet bedarf auch er wiederum der Leitung der Götter, wozu er Auspizien einholen und Haruspices befragen mag.


    Doch dürfen auch die Priesterschaften nicht losgelöst von den Niederungen des politischen Alltages existieren, da sie doch als Ratgeber der praktischen Politik fungieren, weshalb auch ihr Votum an Qualität lediglich gewinnen kann, wenn sie Kenntnis von der Materie besitzen."
    Bisweilen hatte Manius Minor als Knabe Einblicke in das Wirken des Pontifex Manius Maiors gewonnen, wo Politik und Religion tagtäglich zusammenflossen und göttliche Zeichen vor dem Kontext aktueller politischer Lagen bisweilen in vehementer Weise disputiert wurden.
    "Nicht ohne Grund entspricht es daher den Mores Maiorum, dass die obersten Collegia des Cultus Deorum für gewöhnlich von solchen Männern besetzt werden, die auch im Senat die höchsten Ränge einnehmen und folglich die größte Expertise verfügen."

    Bestimmt umklammerte Manius Minor die Karaffe mit Milch, während Manius Maior noch in einem knappen Gebet das Öl den Divi Parentes weihte. Mit besonderer Begierde hatte der junge Flavius die Tage der Parentalia erwartet, in welchen eine sonderliche Nähe zwischen den toten und lebenden Verwandten herrschte. Seit seiner maternalen Vision hatte der Jüngling sämtlichen Hoffnungen zum Trotze keinerlei Botschaften der Jenseitigen mehr erhalten, obschon er sie in diversen Opfern geehrt und ihnen artig seinen Dank hatte erwiesen. Dabei torquierte ihn in wachsendem Maße die Furcht, noch immer der Rache der Götter verfallen zu sein, da er sein Schicksal refutiert und seinen Obliegenheiten den Übersinnlichen gegenüber sträflich hatte vernachlässigt. Innig ersehnte er ein divines Zeichen des Verzeihens, ein neuerliches Rendez-vous mit den Manen der Claudia Antonia oder auch lediglich eine lakonische Botschaft des Götterboten, welche ihn informierte, ob seine Mühen ihn zu salvieren imstande waren.


    "Divi Parentes der Gens Flavia, wie dies Euer Recht ist an diesen Tagen, nehmt unsere Gaben, die wir Euch offerieren an diesen Tagen da wir Euch nicht vergessen haben, zum Eurem Wohle, wie Euch dies zusteht, die Ihr mit Eurer Gunst all jene beschenkt, die nach Euch gekommen, Divi Parentes, gütige Vorväter der flavischen Familien, zu Eurem Wohle unsere Gaben."
    , replizierte er das Gebet seines Vaters und trat ihm folgend vor, um das Löchlein am Portal des Mausoleums, welches soeben das geopferte Öl seines Vaters hatte aufgesogen, auch mit Milch zu tränken. Tastend trat er, eskortiert von Patrokolos, auf die Stufen zum Eingang und kniff konzentriert die Augen zusammen, um inmitten jenes dunklen Fleckes, welchen das Öl auf dem Stein hatte produziert, die Öffnung zu identifizieren. Angestrengt neigte er sein Haupt, wobei beinahe ihm die Toga vom Haupte wäre geglitten und beschied endlich, direkt ins Zentrum zu zielen.
    Die Milch spritzte ein wenig, als sie den öligen Boden touchierte und sogleich flüsterte sein Diener:
    "Etwas weiter nach links!"
    Rasch korrigierte der junge Flavius seinen Opferstrom, bis endlich das Geräusch des auftreffende Liquidums sich wandelte und somit auf eine differierende Oberfläche schließen ließ.
    "Gut so!"
    , konfirmierte Patrokolos und der Jüngling ergoss hastig den Rest seiner Gabe in die Öffnung, von wo aus sie gemeinsam mit dem Öl ins Erdreich und damit an ihre jenseitigen Adressaten würden fließen.


    Umsichtig trat Manius Minor zurück, um Manius Maior Raum zu gewähren, das Totenmahl zu präparieren, welches sie nun würden einnehmen. Er war gekommen, die Gebote der Maiores zu erfüllen und sich ganz im Sinne des ehrwürdigen do ut des eine jenseitige Replik zu erhoffen, doch beschämte ihn nunmehr lediglich jene Inkapabilität, welche soeben aufs Neue war zutage getreten. Wie sollte er seiner Bestimmung als Flavius nachkommen, da er ob seiner Fehlsicht Opfergaben verschüttete wie eine törichte Sklavin den Wein bei Tisch?
    Seine geliebte Mutter hatte ihm gesagt, es bestünde Hoffnung. Doch worin mochte diese Hoffnung bestehen? Wie sollte er reüssieren, da schon heute ihn gleich einem Greisen sein Augenlicht verließ? Wie sollte er die Geschicke des Staates lenken, da er noch nicht einmal imstande war, einen einfachen Brief ohne fremde Assistenz zu entschlüsseln? Wie das Spiel der Sellae Curules spielen, da ihm jede Miene seiner Opponenten verschlossen blieb? Wie sollte er den Cultus Deorum pflegen, da er so unermesslich weit entfernt war von jener Makellosigkeit, die die Unsterblichen selbst von den Opfertieren forderten?
    "Divi Parentes, gebt mir ein Zeichen!"
    , murmelte er flehentlich und senkte das Haupt. Diese Tage waren intendiert, den Ahnen und verstorbenen Anverwandten seinen Dank zu erweisen und niemand mochte bessere Gründe zu haben, ihnen seine Erkenntlichkeit zu entbieten, da sie ihn aus höchster Todesnot hatten errettet!

    Zitat

    Original von Caius Flavius Scato
    "Ich befürchte, dass ich dir hierzu nichts sagen kann. Eine Priesterin die dieser Göttin dient ist mir nicht bekannt." entgegnete der Flavier recht trocken, denn sie würden es ja bald erfahren.
    Derweil entdeckte er Claudia Sassia in der Menge und schaute sie etwas länger an als geplant bevor er seinen Blick wieder abwandte und sich erneut seinem Verwandten widmete, "Wo hast du eigentlich deinen Vater gelassen?" fragte Scato ihn, schließlich war Gracchus eigentlich stets nicht weit wenn sein Sohn sich auf derartigen Zusammenkünften blicken ließ.


    Manius Minor, klein von Statur, reckte den Hals, um die Replik, welche Scato ihm nicht zu geben vermochte, empirisch zu gewinnen, als er erkannte, dass sein Vetter irgendjemanden unter den Damen, die soeben die Augusta begrüßten, intensiv fixierte. Zwar vermochte er nicht die genaue Direktion jenes Blickes zu erfassen, da ob seiner Hypermetropie die Augen seines Anverwandten als amorphe Flächen ihm erschienen, doch entging auch ihm nicht, dass jene etwas ferner stehenden Grazien partiell durchaus von gewisser Attraktivität waren. Selbst wenn sie unter einem Schleier verborgen war, erspähte er dortig rasch den vertrauten Habitus seiner Stiefmutter, welche sogleich einen Ansatz zur Beantwortung von Scatos Frage offerierte:
    "Mir scheint, eine Kommission der Pontifices tagt heutig bezüglich eines Gutachtens."
    Es mochte ein wenig befremdlich erscheinen, dass just die höchsten Priester des Imperiums einen Festtag für ihre Beratungen erkoren, doch war dies augenscheinlich dem Umstand geschuldet, dass sie zu diesem Anlass nicht vonnöten waren, da der Iuno Februata für gewöhnlich Frauen ihre Gaben darbrachten:
    "Aurelia... meine Stiefmutter scheint ihn jedoch am Altar zu vertreten."
    Obschon Manius Minor den Beschluss hatte gefasst, nicht nur ein götterfürchtiger Mann zu werden, sondern zugleich den Vorsatz, seinem Vater ein folgsamer Sohn zu sein, so vermochte er trotz seines Sinneswandels nicht die Liebe zu seiner Stiefmutter zu entfachen, deren Motive nach wie vor ihm überaus dubitabel erschienen, deren intriganten Gespinste noch immer seine Sicht betrübten und den Verdacht, sie stecke hinter dem Mord an Flamma, mitnichten entkräfteten. So trübte sich die Miene des jungen Flavius, als er den Namen Priscas formulierte und er legte kritisch seine Stirne in Falten.


    Dessenungeachtet vernahmen die beiden nunmehr das Signal des Herolds, was eine Prolongation des Zwiegesprächs verhinderte.

    Direkt von der Porta Principalis kommend ließ Manius Minor sich zu jenem wohlvertrauten Officium führen, welches er wenige Tage zuvor bereits hatte aufgesucht, um seine Eskorte zu bestellen. Wie zuvor war er in Begleitung jenes Miles, welchen er damalig für kurios, nun jedoch für furios erachtete, gegen den er damalig vorwitziges Wohlwollen, nun jedoch desillusionierte Abscheu verspürte. Peticus mochte ihm gedroht haben, doch abseits des Faktums, dass er den Mann kaum für kapabel erachtete, die Phalanx an Sicherheitsvorkehrungen zu durchdringen, welche die Flavii aufzubieten imstande waren, war in ihm auf dem Weg hierher die Gewissheit erwachsen, dass es ohnehin eines Epikureers unwürdig war, den Tod zu fürchten. Nichts würde ihn somit zurückhalten, seiner (selbstredend überaus unepikurischen) Ungnade an höchster Stelle Ausdruck zu verleihen.


    Als er eintrat, erkannte er den Schemen, als der sich der Iunius ob seiner Fehlsicht präsentierte und erinnerte sich sogar des Namens, obschon er selbigen nur ein einziges Mal hatte vernommen.
    "Salve, Iunius. Wie du siehst, bin ich von meiner Expedition zurückgekehrt."
    Er blickte zu dem Germanicus. Selbstredend war ihm unbekannt, was der Miles, welcher sie hierher hatte eskortiert, dem Tribun im Vorfeld zu berichten imstande war gewesen, weshalb er knapp seine Anklage reproduzierte:
    "Deplorablerweise haben deine Männer sich mitnichten zu meiner Zufriedenheit verhalten. Dieser Miles wie seine Kameraden haben sich nicht lediglich der Insubordination schuldig gemacht, sondern darüber hinaus den Procurator der kaiserlichen Minen von Populonia sowie einen der hiesigen Publicani gegen meine ausdrückliche Order tätlich angegriffen und in unwürdiger Weise wie Sklaven hierher verschleppt. Zwar wirft er ihnen Misswirtschaft mit dem kaiserlichen Vermögen vor, doch liegen meines Erachtens weder hinreichende Indizien für eine dergestalte Anschuldigung vor, noch erscheint es mir in irgendeiner Weise adäquat, derart honorige Männer ob jenes vagen Verdachtes derartig zu traktieren."
    Selbstredend würde es Peticus selbst obliegen, seine Defension vor dem Vorgesetzten zu führen, doch fühlte sich der Jüngling doch genötigt, die Position jenes Mannes zumindest knapp zu skizzieren. Immerhin bewies auch eine gewisse Mäßigung im Umgang mit Delinquenten die aristokratische Superiorität, deren Dünkel ihn in jenem Zustand heftiger Erregung sämtlichen Vorsätzen zuwider hatte erfasst.

    "Sein Name lautet Germanicus Peticus."
    , erwiderte der junge Flavius, welchem nun erst wurde bewusst, dass er weder den Praenomen, noch die Einheit des Inkriminierten kannte. Doch würde der Miles es zweifelsohne nicht wagen, den Praetorianer zu belügen, zumal seine Identität leichtlich hiesig würde festzustellen sein.


    Als man ihn sodann in die Castra geleitete, empfand er indessen trotz seines hochmütigen Stolzes eine gewisse Dankbarkeit über jene Eskorte, welche Peticus vor der Realisierung jener Drohungen abzuhalten, welche er vor der Urbs noch hatte ausgestoßen.

    Fünf Tage waren sie gereist, als endlich der junge Flavius in der Ferne jenen Moloch erblickte, welcher nicht nur die Behaglichkeit der Villa Flavia Felix, sondern ebenso die Sekurität jener Einheit verhieß, der der Urgrund seiner Insekurität selbst angehörte. Wie nahezu permanent in den vergangenen Tagen war der Jüngling durch den Konsum jenes Opiums benebelt, welches er wohlweislich aus der Urbs mit auf seine Exkursion hatte genommen, welches zugleich ihm jedoch gestattete den Irrsinn dieser Reise vergessen zu machen. In der Tat hatte die Strapaziosität des Marsches zu Pferd, insonderheit jedoch die psychische Last den wechselnden Launen jenes irrsinnigen Miles schutzlos ausgeliefert zu sein, ihn dazu veranlasst seine Vorräte weitaus rascher zu konsumieren, als dies seinem Usus in Roma entsprach, sodass an der letzten Statio er ein Produkt minderer Qualität hatte erwerben müssen und nunmehr sehnlichst die neuerliche Versorgung mit hochwertigem Morpheus-Saft erwartete. Tatsächlich hatte jener logistische Engpass ihn auch am Morgen veranlasst, nicht wie an den übrigen Tagen den beiden Gefangenen klammheimlich einen Schluck seiner Droge zu offerieren, um ihnen, wo seine Worte doch effektlos waren, zumindest mit seinem Vermögen den Schmerz ihrer verquollenen Angesichter Linderung zu bereiten. Ein wenig verschämt blickte er daher zurück Aquilianus und Carbonius, die ebenfalls aufseufzten, als sie die Stadt in der Ferne erkannten.


    Nachdem sie in den vergangenen Tagen kaum ein Wort hatten gewechselt, Manius Minor den Germanicus jedoch unfehlbar hatte spüren lassen, dass noch immer er die Art und Weise jenes Verfahrens aufs Schärfste missbilligte (obschon er nicht hatte gewagt, dem augenscheinlich reizbaren Mann damit in den Ohren zu liegen), führte dieser nun aufs Neue sein Pferd an seine Seite. Durch den Schleier des Opiums drangen sodann Worte ans Ohr des Jünglings, welche selbigen zwar intimidieren sollten, faktisch jedoch lediglich eine lethargische Irritation evozierten, da der junge Flavius auf jenem langen Weg, den er in größter Stille hatte zurückgelegt, zu der Einsicht war gelangt, dass selbst im Falle größter Ungnade für Aquilianus dessen despektierliche Traktation würde genügen, um Peticus hinreichend Probleme zu bereiten, um ihn für die Zukunft unschädlich zu machen, zumal die Flavii zweifelsohne imstande würden sein, ihren Spross auf den Straßen ihrer Stadt zu schützen. Teilnahmslos blickte er daher den Miles an, ehe dieser sich retirierte und das Ende des Trosses aufsuchte.


    Bereits als er außer Hörweite sich hatte begeben, murmelte der flavische Jüngling:
    "Man wird sehen..."
    Es war zweifelsohne an der Zeit, sich einige Worte präparieren, um die Ereignisse der vergangenen Tage den Vorgesetzten jenes Germanicus zu explizieren!


    Beseelt von diesem Gedanken trieb Manius Minor sein Pferd an und begab sich auf das finale Stück des Weges.

    Ein wenig schamhaft lächelte ob jener Replik, da doch formal er gewissermaßen der Gastgeber jenes Rendez-vous war gewesen, sodass seine mangelnde Erkenntnis ihm nicht eben zur Ehre gereichte. Indessen war es zweifelsohne das Resultat jenes vermaledeiten Opiums gewesen, welches damalig noch seinen Geist beständig hatte umnebelt, was die Hoffnung nährte, zukünftig eher von dergestalten Amnesien verschont zu bleiben.
    "Ich bitte um Verzeihung. Mir ist unbegreiflich, wie mir eine derarte Schönheit entfallen konnte."
    , erwiderte er daher mit einem bescheidenen Kompliment, ehe sie ihre Plätze einnahmen.


    Die Repliken Scatos und Sassias erregten in Manius Minor, welcher seit den Tagen Salinators es Manius Maior zum Vorwurf hatte gemacht, anstatt mit dem Schwerte in der Hand den Feinden Roms die Stirn zu bieten, feige sich verkrochen und im besten Falle durch invisible Ränkespiele gefochten zu haben, einen gewissen Protest. Denn seit der Purgation von jener unsäglichen Droge war auch seine Admiration für das römische Kriegswesen aufs Neue erwacht und obschon seine vergangene Amtszeit ihm ein überaus erschröckliches Exempel militärischer Insubordination hatte geboten, so verspürte er doch eine gewisse Begierde, jenes flavische Defizit an Soldatentum, welches seit den Tagen Onkel Aristides' war erwachsen, durch eigenes Engagement zu füllen.
    "Zweifelsohne ist nicht jeder zum Kriegsdienst berufen."
    , griff er dennoch den Tenor seiner beiden Vorredner auf, um nicht sich in gänzliche Opposition zu Scato und seiner hübschen Freundin zu begeben. Kaum hatte er jene Worte gesprochen, erkannte er jedoch zugleich, dass jene Worte, ausgesprochen von einer fülligen Person wie ihm, geradezu als Exkulpation jener Unförmigkeit, die seit jeher ihn torquierte, mussten wirken, sodass er sich eilte, jenen Verdacht zu zerstreuen:
    "Doch erscheint mir doch der Kriegsdienst als nobelste aller Disziplinen, da doch hier nicht lediglich Worte, Zeit und Geld zum Wohle unseres Staatswesen riskiert werden, sondern gar das eigene Leben."
    Das unverwandte Aufleuchten seiner Augen erstarb, als ihm gewahr wurde, durch jenen Pathos, der ihn spontan hatte ergriffen, womöglich doch den augenscheinlichen Vorsatz seines Anverwandten, das Tribunat zu meiden, desavouriert zu haben, sodass genierlich er auf sein Armkissen blickte und nach einigem Zögern seine Worte zu relativieren sich mühte:
    "Obschon selbstredend gerade der Cultus Deorum, welcher von nicht geringerer Bedeutung ist, ein derartiges Engagement verbieten mag, wie Scato bereits sagte. Und auch die Pflichten und Konstriktionen eines Priesters bisweilen einem Lebensopfer mögen gleichkommen."
    Prompt memorierte er nun auch seinen Vorsatz, den Unsterblichen größere Ehrerbietung zuteil werden zu lassen, welche in der Tat in manchen Bereichen ein parallel betriebenes blutiges Handwerk exkludierten. Womöglich sollte somit auch er den Rat der Götter suchen, ehe er in neuerlich blindem, juvenilem Eifer sich in eine Richtung stürzte, welche letztlich den Himmlischen missfallen mochte. Seine korporalen Unpässlichkeiten, begonnen bei der Adiposität bis hin zur Hypermetropie, mochten ja durchaus als Zeichen gelten...

    Zitat

    Original von Claudia Sassia
    Dann wand sie sich dem anderen Flavier, der sie gerade angestarrt hatte, zu. „Salve werter Flavius Gracchus Minor. Ja ich hatte das Vergnügen bereits und auch wir sind uns schon ein Mal kurz begegnet*. Ich bin erfreut dich wiederzusehen.“
    Sassia nahm platz und einen Wein der ihr gereicht wurde. Das die Sklavin sie ebenfalls angestarrt hatte, hatte sie natürlich nicht bemerkt. Sklaven gehörten ja nicht unbedingt zu Wesen, denen sie ihre Beachtung schenkte. Nur ihre Cara war da eine Ausnahme.


    Sim-Off:

    Zweifelsohne. Immerhin war ich der Ehrengast.


    Der flavische Jüngling legte die Stirn in Falten und spintisierte, wann er jenem aphroditischen Wesen bereits mochte begegnet sein, vermochte sich jedoch nicht zu entsinnen.
    "Ich bedaure, doch müsstest du mir diesbezüglich nochmalig einen Hinweis geben."
    Selbstredend war es ein wenig peinlich, die Remineszenz an das Aufeinandertreffen mit einer dergestalten Schönheit verloren zu haben, doch tröstete Manius Minor, dass er ob seiner Fehlsicht zweifelsohne ihrer nur aus einer solchen Distanz war begegnet, aus welcher er ihre Schönheit nicht zu ponderieren imstande war gewesen, was ihn zwar in den Augen Sassias kaum mochte exkulpieren, doch zumindest sein eigenes Gewissen kalmierte.


    Der greise Menecrates positionierte sich unterdessen ebenfalls und initiierte sogleich eine Konversation, was den Jüngling ein wenig überraschte, da er doch hatte vernommen, der alte Claudius sei von nicht sonderlich geselliger Natur.
    Dennoch hielt er seine Meinung vorläufig zurück, um der jungen Claudia oder dem Gastgeber selbst die Gelegenheit zu geben, die Frage ihres Großvaters erstlich zu beantworten, um nicht womöglich durch voreilige Äußerungen einen Dritten zu beschämen.

    "Welche Entscheidung?"
    , fragte der junge Gracche ein wenig irritiert, da er die vergangenen Stunden nicht sonderlich der Reflexion seiner paternalen Relationen hatte gewidmet, sondern vielmehr sich seiner Zukunft angenommen hatte. Hinsichtlich jener leichtfertigen Gefährdung seines Lebens, ja seines potentiellen Abgleitens in die tiefsten Tiefen des Tartaros kam nichts ihm in den Sinn, woran sein Vater direkt oder indirekte Schuld auf sich geladen hätte, welche eine Exkulpation hätte gerechtfertigt.


    Doch kaum hatte er die Frage jedoch gestellt, memorierte er ihre letzte, wahrhaftige Unterredung, welche noch unter dem Einfluss des Opiums sich hatte ereignet, doch überaus klar ihm in Erinnerung war. Ging es darum, dass Manius Maior ihm offeriert hatte, sein Todesurteil zu sprechen, um selbst der Welt zu entfliehen? Mit einigem guten, respektive bösen Willen mochte man dies durchaus als Detonator jenes schmächlichen Exzessen erachten, in welchen Manius Minor folgend war geraten. Doch in Anbetracht der Last, die der junge Flavius seinem Vater hatte bereitet, erschien jenem jene temporäre Schwäche als durchaus nachsehnlich:
    "Nun, hätte ich meinen Geist nicht durch das Opium perturbiert, wäre ich dich womöglich eine bessere Stütze gewesen, anstatt dein Laborieren weiter zu entfachen."
    Noch war es dem Jüngling nicht in den Sinn gekommen, die paternalen Konfessionen intensiver zu reflektieren, zumal jener gestandene Selbstmord ihm weiterhin in gewisser Hinsicht noch immer dubitabel erschien, ja er, wo er dies nunmehrig erneut bedachte, auch jene erschröcklichen Vermutungen hinsichtlich seiner Stiefmutter nicht unbesehen fortzuwischen imstande sich sah. Doch erschien es ihm dennoch adäquat, seinen Vater nicht gleich aufs Neue mit jenen Hypothesen zu grämen, sondern vielmehr dem nachzukommen, was die Worte seiner geliebten Mutter hatten ebenfalls impliziert: die Ehrung seines Vaters!
    "Insofern übertraf meine Torheit die deinige wohl beiweitem, als ich mich zum Sklaven jener Droge machen ließ, als ich dir Gram bereitete durch meine Abwendung von all dem, was Götter und Mores Maiorum unserem Stande gebieten, als ich dich despektierlich traktierte und meine Obliegenheiten als dein Sohn so schändlich vernachlässigte!"
    Er beugte sich ein wenig nach vorn und blickte in jene amorphen Flächen, in welche sein getrübtes Augenlicht die braunen Augen seines Vaters verwischte.
    Einen Augenschlag stockte er und legte die jugendliche Stirn in Falten. Zu diesen Worten hatte er sich bereits während des Spintisierens über die Irrtümer seiner Jugend entschlossen, hatte geradehin danach gelechzt, sich durch sie von einem Teil jener Last auf seinem Herzen zu liberieren. Und dennoch erschien es nun, da seine Lippen jene Laute zu formen im Schwange waren, durchaus nicht leicht.
    "Ich-"
    , setzte er an und schluckte befangen, fasste sich doch schließlich ein Herz und erklärte mit fester Stimme:
    "Ich bitte dich um Vergebung für mein inakzeptables Betragen in den vergangenen Jahren. Ich gelobe dir fortan ein vortrefflicher-"
    Neuerlich stockte er, die Imprävisibilität jenes Versprechens erkennend.
    "-ein besserer Sohn zu sein."

    Manius Minor hatte den Beschluss gefasst, zukünftig die Götter intensiver zu ehren, weshalb er bereits den nächsten sich bietenden Feiertag nutzte, um seine neue Pietas den Unsterblichen zu präsentieren. An der Seite seines Vetters Scato hatte er sich zum Tempel der Iuno Februata aufgemacht, was ihm insonderheit adäquat erschien als Neubeginn seines Cultus Publicus, nachdem er privatim bereits den Manes Flavii hatte geopfert, da sie ihr eine reinigende Funktion wurde zugeschrieben. Und so erhoffte er in der Tat, nun gänzlich gereinigt zu werden von der Droge des Opium wie auch sämtlichem Gift des Epikureismus, welches sein ewigliches Schicksal so schändlich hatte gefährdet.


    So verfolgte er durchaus ein Anliegen, als er in der (für flavische Umstände) schlichten Kleidung eines Mitgliedes des Ordo Senatorius vor dem Heiligtum sich in der Menge platzierte.
    "Scato, ist dir bekannt, wer heutig das Opfer wird vollziehen?"
    , fragte er unbefangen seinen Vetter, da der Herold noch nicht zu schweigen hatte geboten.

    Der junge Flavius nickte ob der paternalen Kommentare und präsentierte final gar ein Lächeln, da er den Medicus der Familia Flavia Romae zwar in den letzten Tagen ob seiner Unerbittlichkeit mehrmalig vermaleideit hatte, doch inzwischen größte Dankbarkeit empfand, dass der Alte ihn vor einem Rückfall und damit der Sinnlosigkeit all seiner Leiden hatte bewahrt.
    "Vater!"
    , salutierte er Manius Maior und erstattete prompt Rapport:
    "Mir geht es inzwischen recht gut, wie mir scheint. Cosmas hat prognostiziert, dass ich in den nächsten Tagen wieder gänzlich zu Kräften kommen werde."
    Er blickte zu dem eifrig notierenden Patrokolos.
    "Ich präpariere soeben mein Opfer für die Manes unserer Familie. Ich glaube, ich bin ihnen ob meiner Genesung zu Dank verpflichtet."
    Er räusperte sich ein wenig verlegen, da derartige Aussagen womöglich überaus partikulär für einen Epikureer mussten erscheinen. Zwar hatte er seinem Vater jene maternalen Visionen bereits berichtet, doch hatte dieser sie ja eher relativiert, sodass dem Sohne der Eindruck war verblieben, jene seien eher als Produkte des Fieberwahns denn des Orcus waren ponderiert worden.
    "Ich bin bei dem Vorsatz verblieben, den Göttern und der Familie künftig ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu schenken."

    Der junge Gracche betrachtete fasziniert das rote, doch überaus natürlich erschienende Haar der Claudia, da doch eine derartige Colorierung für eine Römerin überaus ungewöhnlich war. Er beschied endlich, dass es sich um eine Perücke musste handeln, wie vornehme Matronen sie zu tragen pflegten, sodass er endlich den Blick abzuwenden vermochte und Claudius Sabinus fixierte.
    "Salve, Claudius Sabinus."
    , salutierte er den Gast mit einem artigen Lächeln und blickte sodann zu dem ältlichen Claudius, dessen desillusionierliche Worte bezüglich der familiaren Relationen ihm noch vortrefflich in Erinnerung waren. Womöglich würden nun doch noch Zeiten kommen, in welchen er sich ein wenig willkommener in der Villa Flavia Felix würde fühlen.
    "Salve, Claudius Menecrates."


    Ehe sie ihre Plätze einnahmen, wurde ihm jedoch gewahr, dass er Sassia zwar ausgiebig inspiziert, doch keines Wortes gewürdigt hatte, was womöglich ein wenig partikulär mochte erscheinen. Somit eilte er sich, jenen Fehler eilig auszubügeln:
    "Ave, Claudia. Du hattest bereits das Vergnügen mit meinem Vetter?"

    "O Mercurius, Bote der Götter und Geleiter der Seelen ins Jenseits!"
    , intonierte Manius Minor mit gravitätischer Stimme, als sein Opfer endlich begann. Nicht viel Zeit war vergangen zwischen jenem Tag, da er sich von den Qualen der Purgation war geheilt erwacht, und diesem, dennoch plagte den Jüngling bereits jetzt sein Gewissen, nicht eiliger sich zur Erfüllung seiner Gelübde gegen die Götter, obschon gesprochen im Fieberwahn, geschritten zu sein. Dieser Tag sollte der erste eines visiblen Wandels seiner Person sein, weg vom epikureischen Verächter aller Tugenden hin zum würdigen und frommen Spross seines ehrwürdigen Hauses. Und so hatte Patrokolos ein beachtliches Opfer organisiert, welches nun ihn neben einer Schar von Haussklaven umringte:
    Erstlich reichte man ihm dem Usus gemäß Weihrauch in einer reichlich geschmückten Büchse:
    "Wie der Wohlgeruch des Weihrauches steige mein Gebet zum Olymp empor und diene Dir und allen Unsterblichen zum Wohlgefallen!"
    In einer theatralischen Geste und bemüht, seine über dem Hinterhaupt drapierte Toga nicht zu verlieren, warf er die farbigen Körner auf den glühenden Altar, wo sie mit sanftem Knistern sublimierten und einen süßlichen Duft verströmten.
    "Ich bringe Dir dieses Opfer dar zum Danke, da Du mich sicher an die Pforten des Elysium hast geleitet und in die Welt der Lebenden zurück eskortiertest!"
    Der junge Flavius hatte nicht explizit seine Familiaren zu jenem kleinen Festakte geladen, da er doch nach der verhaltenen Reaktion seines Vaters nicht zu ermessen wusste, ob diese seine Berichte über Visionen und maternale Ratschlüsse nicht Spott und Misstrauen statt Glauben und Freude würden evozieren, weshalb er endlich hatte beschieden, ihre Bekanntgabe nicht unbedacht hinauszuposaunen, sondern einen jeweilig adäquaten Moment zu erwarten.
    "O Di Parentes, Manes Claudiae Antoniae"
    Er ließ sich die Patera reichen, in welche Patrokolos als sein Minister aus einer Kanne roten Wein goss.
    "Ich weihe euch dieses Zicklein als meine gerechte Gabe, aufdass es hinüberwandle in das Eigentum der Jenseitigen."
    Er goss den Wein auf das Haupt jenes kleinen, schwarzen Zickleins, welches noch so klein erschien, dass eine Sklavin es auf dem Arme trug. Fortunablerweise war der junge Opferherr dank seiner Hypermetropie außerstande, die infantile Unschuld jenes Tieres in seinem Äußeren gänzlich zu ermessen, doch bereits sein schwächliches Meckern evozierte in ihm eine gewisse Reue, es in Kürze hinschlachten zu lassen.
    Doch zuerst konnte er von jenem reinen Wesen ablassen, da doch das unblutige dem blutigen Opfer stets vorauszugehen hatte, wie ihm selbst in den letzten Jahren der kultischen Abstinenz nicht war entfallen:
    "Nehmt an jene Opferkuchen als meine gerechte Gabe zum Dank für meine Rettung aus höchster Todesnot!"
    Er griff mit der Rechten nach der Gabe, wobei der Schein einer Öllampe auf seinen Siegelring fiel, der einstmals das Eigentum eines jener Divi Parentes war gewesen. Beinahe vermeinte er, die Präsenz seiner Mutter wie seines Großvaters, dessen Bekanntschaft er niemals hatte gemacht, physisch zu spüren.
    "Manes Claudiae Antoniae, nehmt an diese Blumen zum Dank für jene Mahnungen, welche mir Rettung verheißen!"
    Man reichte ihm jene kleinen Blümlein, welche einzig im Winter auf dem Forum waren zu erwerben gewesen, deren weiße Blüten indessen den Jüngling der blassen Haut seiner Mutter gedenken ließen. Sorgsam positionierte er sie auf dem Lararium.
    Trübsal befiel ihm bei dem Gedanken, seiner Schwester und der Tochter seiner Mutter, welche eine similäre Blume war gewesen,womöglich aus eigenem Verschulden verlustig gegangen zu sein. Ob seine Ahnen ihm dies jemals würden verzeihen?
    "Ich gebe euch dieses Zicklein als meine gerechte Gabe zum Dank für meine Rettung aus höchster Todesnot."
    Wieder meckerte das Zicklein und rasch musste sich der Jüngling gemahnen, dass jenes Hinschlachten der Wille der Götter, ja der singuläre Weg war, ihre Gnade zu ertauschen und damit dem Tartaros zu entgehen. So griff er nach dem Culter und entkleidete sein Opfertier rituell.
    "Nehmt dieses Opfer, weil ihr mir die Krankheit nahmt. Nehmt ihr, Divi Parentes, Febris, Panacea und alle Götter der Heilung diese gerechte Gabe zum Dank für mein Genesen und meine Rettung!"
    Er nickte der Sklavin mit dem Zicklein zu, die nun ihrerseits das Culter ergriff.
    "Agone?"
    , fragte sie mit gebrochener Stimme.
    "Age!"
    , erwiderte Manius Minor und das Zicklein hauchte sein Leben aus. Er würde es als ein Holocaustum darbringen, um seiner Sühne Ausdruck zu verleihen. Erst danach würde er es wieder wagen, Mahlgemeinschaft mit den Unsterblichen zu halten, indem er selbst einen Teil des Opferfleisches verspeiste.

    Manius Minor war in Kenntnis gesetzt worden, dass sein Vetter Scato neuerlich ein kleines Gastmahl initiiert hatte, zu welchem die Claudier waren geladen worden. Einige Tage nun lag seine Rekonvaleszenz von der Opium-Purgation zurück und obschon er noch immer sich nicht so kräftig fühlte wie gewöhnlich, hatte er beschieden, sich endlich wieder in Gesellschaft zu begeben, um damit seinen familiaren Obliegenheiten nachzukommen.


    Der Anblick, welchen er bot, differierte jedoch stark seit jenem Tag, als er vor mehr als einem Jahr die Villa Claudia hatte visitiert, denn die letzten Tage, erfüllt von Vomitieren und nutrialer Unlust, hatten seinen beträchtlichen Leibesumfang in der Tat so weit gemindert, dass am Morgen Patrokolos einen Schneider hatte holen lassen, um die Kleidungsstück ein wenig enger zu nähen. Im Übrigen hatte man sich jedoch Mühe gegeben, die Spuren jener "Krankheit" durch Schminke und eine schlichte, doch kunstvolle Frisur zu cachieren, sodass dem unbedarften Beobachter nicht mochte einfallen, welche Qualen den Jüngling die vergangenen Zeiten hatten torquiert.

    Obschon nach intensiver Reflexion seiner Obliegenheiten ihn die Schwäche seines Leibes doch gemahnte, sein Cubiculum vorerst nicht zu verlassen, so verspürte er doch nicht die geringste Neigung, sich neuerlich der Lethargie hinzugeben und schlicht zu ruhen.
    "Du solltest eine Ziege erwerben. Oder informiere Sciurus, er wird zweifelsohne einen adäquaten Einkäufer für Opfertiere zu bestimmen wissen, welcher ein Tier nach dem Gefallen der Manen einzukaufen vermag."
    , erklärte er soeben, als die Tür sich neuerlich öffnete und statt einem Sklaven mit einer neuerlichen, bekömmlichen Mahlzeit sein Vater eintrat, dem die Besserung seines Sohnes bekannt gemacht worden war.