Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Die Rückreise von Populonia nach Roma hatte einiger Tage bedurft, in welchen der junge Flavius konsequent die Gesellschaft Germanicus Peticus' wie der beiden Gefangenen, die ihr winziger Heereszug umfasste, gemieden hatte. Stattdessen hatte er sich bemüht mit Hilfe seiner Diener dem gefangenen Procurator Aquilianus und dem Carbonius, dem Publicanus der eingestürzten Mine, so viele Annehmlichkeiten zu bereiten, als ihm unter den Augen des irrsinnigen, selbsternannten Kommandanten ihres Unternehmens war gestattet worden. Dennoch waren die Gesichter der beiden Gefangenen von den Tritten Peticus' angeschwollen und verbunden mit der Traktierung während des Marsches erschienen sie eher wie zerlumpte Bettler als wie Geschäftsmänner und Beauftragte des Kaisers.


    Insofern atmete Manius Minor sichtlich erlöst auf, als endlich am Horizont die Insulae Roms sich zeigten, denn inmitten der Urbs würde selbst jener närrische Miles es kaum wagen, ihm oder die Gefangenen weiteres Leid zu bereiten. Dennoch beschied er, dass es nun, da sie ihrer Destination bereits derartig nahe waren, ein Disput an den Toren der Stadt oder inmitten des geschäftigen Treibens der Stadt der Mühe nicht wert war, sodass sie, die Porta Aurelia passierend, bis zur Castra Praetoria vorrückten, ohne etwas am Status der Gefangenen oder dem Führungsanspruch des Germanicus zu ändern.


    Erst im Angesicht der prätorianischen Wachen wagte es der Jüngling, getrieben vom Wunsch nach der Errettung jener (womöglich) unschuldig Geplagten, die Initiative zu ergreifen und trat vor, noch ehe Peticus das Wort an seine Kommilitonen zu richten imstande war, und erklärte mit sämtlicher ihm zu Gebote stehenden Autorität:
    "Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des Consulars Manius Flavius Gracchus und Tresvir monetalis. Dies sind Tiberius Aquilianus Privatus, Procurator Augusti für die Gruben von Populonia, sowie Carbonius, Publicanus Augusti aus dieser Region. Sie wurden gegen meinen ausdrücklichen Willen durch diesen Mann verhaftet, gefoltert und hierher verschleppt. Ich erwarte, dass sie ihrem Rang adäquat untergebracht und durch einen Medicus behandelt werden."
    Er deutete hinauf zu dem hünenhaften Peticus, neben dem der untersetzte Jüngling noch ridikulöser musste wirken.
    "Ebenso möchte ich Beschwerde einlegen gegen das Verhalten jenes Miles, der sich wie ausgeführt meinen Anweisungen zuwider handelte und diese kaiserlichen Verwalter in höchst unadäquater Weise behandelt hat. Ich verlange sofort seinen Vorgesetzten zu sprechen."
    Er blickte kühl zu Peticus, während innerlich sich ein Gefühl grimmigen Triumphes verbreitete, da er nun jene greuliche Furcht vor dessen Willkür, jene missliche Lage, in welche dessen Insubordination ihn hatte gebracht, zu rächen imstande war. Nun würde sich zeigen, ob physische Gewalt jenes Germanicus oder die altehrwürdige Autorität des flavischen Hauses letztlich größeren Einfluss besaßen (obschon jene Gedanken selbstredend überaus unepikureisch mochten sein)!

    Seine Rekonvaleszenz war keineswegs abgeschlossen, wie der junge Flavius nach einem bescheidenen Mahl von Getreidebrei und einem kurzen Exkurs in das flavische Balneum zu erkennen genötigt war, weshalb er beschied, in sein während seiner Absenz frisch bezogenes Bett zurückzukehren und dort seinem Leib noch einige Ruhe zu gewähren und sich nochmalig dem medizinischen Urteil des heimischen Medicus zu unterwerfen.


    Als Cosmas gegangen war, trieb sein erwachter Geist ihn jedoch zu weiterer Aktivität an und da seine Beine ihm noch ein wenig zu schwach erschienen, begann er darüber zu sinnieren, was als nächstes wohl zu tun sei, um jenen Hoffnungsanker, welchen seine Mutter ihm im Traume hatte zugeworfen, zu ergreifen und sich des Andenkens der Götter würdig zu erweisen. Habituell hatte dabei selbstredend sein getreuer, doch noch immer müder Patrokolos seine Rolle zu spielen:
    "Patrokolos, du musst mir dringlich ein Opfer präparieren! Sobald ich wieder wohlauf bin, möchte ich den Maiores opfern. Und Mercurius!"
    , erklärte er somit voll Tatendrang, was eine verwirrte Reaktion des Dieners evozierte:
    "Den Manen opfern? Sagt Epikur nicht, dass dies sinnlos ist?"
    Der Jüngling machte einen wegwerfenden Gestus.
    "Epikur? Vergiss Epikur! Er ist ein Narr!"
    "Ein Narr? Warst du nicht vor ein paar Tagen noch sein glühender Jünger?"
    "Nun, ich bin augenscheinlich einem Irrtum aufgesessen."
    "Woher der Sinneswandel?"
    Der junge Flavius runzelte die Stirn. Hatte er nicht seinem Vater bereits von seiner Vision berichtet? Hatte er nicht, beschwert von den Qualen seiner Purgation Bruchstücke jener divinen Vision rezitiert? Augenscheinlich hatte Patrokolos nicht sonderlich Acht gegeben!
    Er richtete sich auf und blickte den Sklaven mit leuchtenden Augen an.
    "Ich weiß es! Meine Mutter hat es mir gesagt!"
    "Deine Mutter? Ist sie nicht... tot?"
    , erwiderte Patrokolos, nun augenscheinlich an der geistigen Integrität seines Herrn zweifelnd.
    "Das ist sie in der Tat. Doch sie erschien mir im Traum, sie sprach zu mir und warnte mich vor der Rache der Götter, sollte ich als Epikureer mein Schicksal betrügen. Doch sie gab mir auch Hoffnung:
    'Dir bleibt noch eine Chance. Geh und lebe, wie es sich für einen Flavius geziemt! Dann werden wir vielleicht auf ewig vereint sein!'
    Dies waren ihre Worte! Ich sollte mich also allfällig sputen, jene verlorenen Jahre jenes widerwärtigen Lebenswandels zu kompensieren!"

    Ratlos kratzte Patrokolos sich am zerzausten Kopf, augenscheinlich keineswegs persuadiert. Doch schwieg er, was seinem Herrn Raum für weitere seiner sprudelnden Gedanken bot:
    "Zweifelsohne waren es der Segen der Götter, welcher es mir gestattete, das Opium zu überwinden! Ich muss ihnen meinen Dank erweisen! Und dann muss ich beginnen, mich meiner Bestimmung als Flavius würdig zu erweisen!"
    Nach drei Jahren der Passivität und Lethargie war nun der Tatendrang in Manius Minor zurückgekehrt, so viel war gewiss!

    Imperator Caesar Tib Aquilius Severus Augustus
    Palatium Augusti
    Roma


    M' Flavius Gracchus Minor Principi suo s.p.d.


    Bezugnehmend auf deine Suche nach Laudatoren der Erkorenen des Ulpianum ersuche ich Dich hiermit, mir die Ehre zu gewähren, das Andenken eines jener Heroen des Imperium durch einen panegyrischen Beitrag bei der Eröffnung des ulpischen Hauses zu ehren.


    Als Spross eines patrizischen Hauses, welches für sich beansprucht von den besten Vätern unserer Stadt abzustammen, verspüre ich es als meine Pflicht, auch dem Volk von Rom die Vorzüge jener gewissermaßen jüngeren Väter des Staatswesens vor Augen zu führen und ihnen zugleich nachzueifern.


    Vale bene!

    http://www.niome.de/netstuff/IR/SiegelCaduceus100.png


    [Blockierte Grafik: http://s1.directupload.net/images/131110/noakoh4f.png]

    Manius Minor erwachte. Fünf erschröckliche Tage lagen hinter ihm, angefüllt mit brennendem Schmerz seiner Gebeine, inkontrollablen Krämpfen seiner Extremitäten und Vitalia, beständigem Vomitieren und degradanter Diarrhoe, temperaturalen Schwankungen und beständigen Zuständen von Angst und Depression. Noch immer brannte sein Rachen ein wenig ob der Galle, welche er in jenen Stunden, in denen sein Leib sowohl gewärmte Brühe, als auch getränktes Brot hatte refutiert, unzählige Male seine Speiseröhre war empor gekrochen, sein Leib fühlte sich schwächer als nach irgendeiner Krankheit, die jemalig ihn hatte ergriffen, doch verspürte er erstmalig seit jenen Tagen der opioidalen Abstinenz wieder eine Klarität seines Geistes, welche lange ihm war entgangen. Intuitiv tastete er mit seinen schweißverklebten Fingern nach dem Karneol seines Siegelringes, wie er dies unzählige Male in den Stunden der Agonie hatte getan: Seit mehr als einem Lustrum nun trug er ihn gewohnheitsmäßig am Finger, doch war ihm jene Zierde seit seinem alexandrinischen Exils geradehin belanglos geworden; ein zwar hübsches Accessoir, doch letztlich Symbol jener leeren Meinungen von Familie und Nobilitas, welche ihm so zuwider war gewesen.
    Nun jedoch hatte der flavische Caduceus, bezeichnenderweise Attribut des Mercurius, dessen er höchstselbst ansichtig war geworden, eine neue Bedeutung erlangt, war zur Remineszenz seiner Vision avanciert, die ihm inmitten der größten Desperation des Entzuges Kraft hatte eingeflößt, da doch der Wunsch, einst durch den Götterboten nicht in den Tartaros, sondern zu seiner geliebten Mutter getragen zu werden, ihn stets davor abhorreszieren lassen hatte, den Mut gänzlich fahren zu lassen und sich dem Tode zu überantworten. Und womöglich hatten er wie auch seine Ahnen, insonderheit sein Großvater, der einstigen Besitzer jener familialen Reliquie, sein Flehen um Beistand erhört, welche er in der Agonie der Leibesschmerzen hatte ausgestoßen.


    Doch ob dank ihrer supranaturalen Hilfe oder der physikalen Heilkraft des Leibes war jener schmerzliche Prozess nun augenscheinlich ausgestanden, denn nicht nur gestatteten ihm seine Gedanken eine Freiheit, welche er lange nicht mehr hatte verspürt, sondern ihn plagte gar ein Gefühl des Hungers anstatt der bisherig dominierenden Blümeranz.
    "Ich habe Hunger!"
    , erklärte er somit geradehin erstaunt ob jener corporalen Regungen und blickte auf zu Patrokolos, welcher derzeitig den Dienst an seiner Bettstatt versah und augenscheinlich ebenfalls ein wenig eingenickt war, nun jedoch, erweckt von den Worten seines Herrn, die Augen aufriss:
    "Sicher?"
    Die Insekurität angesichts der Empirie der letzten Tage, welche die Potentialität eines Verweilens von Nahrung im Leibe seines Herrn gering erscheinen ließ, schwang in den Worten des Leibsklaven mit. Die Hypermetropie bewahrte den jungen Flavius, seinen deplorablen Zustand genauer zu ermessen, nachdem er die vergangenen Tage, stets wechselnd mit der Amme und Artaxias, dem greisen Paedagogus seines Herrn, am Bett des Kranken hatte gewacht: Sein zartes Antlitz war von Gram über das Laborieren Manius Minors verhärmt, seine Augen ob des mangelnden Schlafes von tiefen Schatten unterlaufen und sein für gewöhnlich sorgsam gepflegtes Haar verwirrt.
    "Selbstredend! Ich denke, es geht mir besser!"
    , erwiderte der junge Herr somit aufmunternd und formte seine Lippen zu einem lange nicht erblickten Lächeln, welches sogleich der Diener reproduzierte:
    "Das ist ja großartig! Ich werde dir sofort ein wenig Puls holen. Oder lieber Früchte?"
    Der Winter offerierte auch im sonnigen Italia eine mäßige Auswahl an frischen Speisen, doch lagerte die Villa Flavia selbstredend Obst von den heimischen Plantagen ebenso wie die Sklaven süße Früchte in Honig einlegten.
    Doch bereits bei der geistigen Reflexion jener Optionen erkannte der Jüngling rasch, dass er seine geschwächte Verdauung nicht überfordern durfte, weshalb er beschied:
    "Ich vermute, ein wenig Puls wäre vorläufig suffizient. Und dann ein Bad."
    Voll Abscheu blickte er auf das klebende, hier und dort mit den Restanten des Vomitierens verunreinigte Nachtgewand, welches er zu wechseln irgendwann in den vergangenen Tagen aufgegeben hatte.
    Ein Bad war in der Tat von höchster Notwendigkeit!

    Aquilianus brach ächzend zusammen, als ihn der schwere Stiefel des Miles mitten im Antlitz traf, während Carbonius sich auf den Füßen zu halten vermochte. Manius Minor entfuhr vor Schreck ein spitzer Schrei.
    Doch waren jene horriblen Vorgänge keineswegs zum Abschluss gelangt, denn was dem Germanicus nun entfuhr, klang nach psychopathischem Wahnsinn, grausiger Mordlust und einer Distanz von jedweder Form der Zivilisation, welche der Jüngling nicht einmal jenseits des Limes hätte erwartet. Fassungslos blickte er auf den geschlagenen Procurator, welcher zweifelsohne seit seiner Freilassung niemals derartig war traktiert worden. Obschon Gerechtigkeit von den Kontexten einer Situation abhing, war hier doch zweifelsfrei zu konstatieren, dass das Verhalten des Germanicus jedweder Gerechtigkeit blanken Hohn sprach.
    Nochmalig war er genötigt, im Geiste den 35. Lehrsatz Epikurs zu rezitieren:
    Es ist ausgeschlossen, dass derjenige, der heimlich gegen den Vertrag darüber, niemanden zu schädigen und sich nicht schädigen zu lassen, verstößt, darauf vertrauen kann, dass er immer unentdeckt bleiben wird, auch wenn er im Augenblick tausendmal unentdeckt bleibt. Denn bis zu seinem Tode ist es ungewiss, ob er auch unentdeckt bleiben wird.
    Peticus würde seiner gerechten Strafe nicht entgehen. Doch das Blut, welches aus der augenscheinlich gebrochenen Nase des Procurator triefte, ließ ihn seiner Gewissheit, nunmehrig das eigene Leben defendieren zu müssen, schwanken. Hatte er nicht Blutvergießen vermeiden wollen? Und nun nutzte jener viehische Soldat jedweden Anlass, jene Situation weiter zu eskalieren!
    Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer; der Schmerz aber, der die Lust im Fleisch kaum übersteigt, dauert nicht viele Tage lang. Lange andauernde Krankheiten gewähren mehr Lust im Fleisch als Schmerz.
    , rief er sich das vierte des Tetrapharmakon in Erinnerung. Weder ihn würde jener Irrsinnige ewiglich torquieren, noch würden Aquilianus und Carbonius für alle Zeiten unter seiner aggressiven Willkür leiden.


    Mit einem traurigen Blick wandte er sich von den Gequälten ab und lenkte sein Ross an die Spitze der Kolonne, um nicht genötigt zu sein, die mittig positionierten Gefangenen auf der Reise betrachten zu müssen.


    "Tresvir, was ist mit deinem Gepäck?"
    , fragte plötzlich Avarus, der Dispensator der kaiserlichen Münze, welcher ihm auf seiner Exkursion war beigegeben worden.
    Beinahe hätte der Jüngling vergessen, dass sie am heutigen Morgen keineswegs mit sämtlichen Dienern und Tragtieren zur Miene waren aufgebrochen, sodass seine Entourage mehrheitlich noch bei seinen Gastgebern lagerte. Er blickte zu dem entfärbten Patrokolos, seinem geliebten Leibdiener, welcher für gewöhnlich derartige Obliegenheiten zu übernehmen hatte. Doch wollte er niemals seinen einzigen Vertrauten in jener Situation von sich weisen, denn wer würde ihn defendieren, sollte Peticus sich in seinem Irrsinn final gegen ihn wenden.
    "Geh nach Populonia und sorge dich darum, dass das Gepäck nach Rom gelangt. Ich möchte jene grässliche Angelegenheit so eilig als möglich hinter uns bringen."
    , befahl er somit Avarus und nickte Patrokolos zu. Dann setzte sich jene Karawane des Leidens in Bewegung. Kein Wort entfleuchte den Lippen des Jünglings an die Adresse des nunmehrigen Hauptes jener Karawane. Weder wollte er ihn reizen, noch ihm den Eindruck gewähren, er heiße irgendeine jener indiskutablen Aktionen auch nur im Ansätzen gut. Jener Narr mochte noch so sehr auf sein edles Geblüt pochen und sich gerieren, als sei er der Imperator höchstpersönlich. Gravitas und Dignitas, die indubitablen Ausweise wahrer Nobilität, waren ihm augenscheinlich gänzlich fremde Lexeme, sodass er in Roma niemals irgendjemandes Respekt würde erringen! Vermutlich jedoch würden die Relationen Aquilianus' und der Zorn des Princeps ihn ohnehin an die Stelle jener Unglücklichen setzen, welche er soeben noch hinzuschlachten gierte.

    Wie mir scheint, existieren derzeitig einige ambitionierte Jünglinge aus besseren Kreisen in Roma, welche womöglich ebenfalls Interesse daran hegen, in Austausch mit anderen dergestalten Jünglingen zu treten. Daher möchte ich hiesig die Anfrage stellen, wer exemplarisch meine oder anderer Jung-Aristokraten Bekanntschaft zu machen wünscht.


    Ich würde sodann offerieren, bei diversen, standesgemäßen Aktivitäten einen gewissen Austausch zu arrangieren, aus welchem Freundschaften, Feindschaften oder anderweitige Relationen erwachsen könnten. Wer diesbezüglich Interesse und in nächster Zeit zeitliche und motivatorische Kapazitäten frei hätte, möge sich via PN bei mir melden.

    "Zu heiß!"
    , lamentierte Manius Minor, als seine Amme aus Kindertagen, mittlerweile leicht ergraut, mit einem befeuchteten Lappen über seine schweißverklebte Stirne wischte. Soeben erst war das Wasser auf das Betreiben des jungen Herrn mehr temperiert worden, da selbiges zuvor ihm als zu kalt war erschienen. Die Amme zog den Lappen zurück und ließ ihn in die Wasserschüssel fallen, während ein Seufzer ihr entfleuchte.
    Zaghaft hob der Jüngling die Hand von der Decke, welche sich um das feuchte Schnupftuch krallte, um sich erneut die wunde Nase zu wischen. Die gerötete Haut brannte, doch weitaus torquierender erwiesen sich die Schmerzen und Krämpfe in Fingern und Beinen, welche seine Koordination limitierten. Hinzu fröstelte ihm, welch dicke Daunendecken man ihm auch auftrug.
    "Ich werde sterben."
    , konstatierte er endlich, da die Hoffnung auf einen lindernden Schluck des Morpheus-Saftes entschwunden waren, nachdem Cosmas vor dem Zubettgehen nochmals hatte konfirmiert, dass eine therapeutische Gabe selbst einer geringen Menge Opiums kategorisch exkludiert sei. Auch sein geliebter Patrokolos hatte ihn verraten, indem er sich dem Urteil des Medicus gebeugt und nunmehr ebenfalls entkräftet das Bett hatte gesucht, während sein Herr von Schmerzen geplagt nicht zu schlafen vermochte. Immerhin hatte man seine Amme aktiviert, die heute für gewöhlich einer alternativen Tätigkeit innerhalb der Familia Flavia Felix nachging, doch heute als vertrautes Antlitz an seinem Lager wachte.
    Es erschien ihm als eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet sie, die seiner damalig noch jungen Mutter geholfen hatte, ihren Erstgeborenen in die Wiege zu befördern, nun ihn auf seinem Weg zur Bahre geleitete.
    "Sage meinem Vater, es tue mir leid, ihm ein derart miserabler Sohn gewesen zu sein. Sage ihm-"
    Er hielt inne, als seine Gedanken zu seiner Mutter gingen, welche bereits im Reiche der Toten weilte und nun zweifelsohne mit bitterster Desillusion würde erkennen müssen, dass ihr Sohn, anstatt ihre Mahnungen ernstlich zu beherzigen, unverrichteter Dinge in den Tartaros war eingegangen. War es nicht besser, sein Leben durch einen winzigen Schluck Opiums zumindest potentiell so weit zu prolongieren, dass er den Zorn der Götter durch ein üppiges Opfer zu dämpfen vermochte, als dass er unverrichteter Dinge den sicheren Tod erlitt?
    Doch wie konnte er mit den Schmerzen seiner Beine, jenen Krämpfe und jener Blümeranz auch nur daran denken, höchstselbst sich eine winzige Dosis zu beschaffen?
    "Bitte, bitte beschaffe mir ein wenig Opium! Nur ein klein wenig!"
    , supplizierte er somit erneut. Zahllose Male hatte er sämtliche Personen, welche an seiner Bettstatt wachten, mit jenen Worten angefleht, da kein anderer Ausweg ihm viabel viabel erschien, kehrte jedwede Reflexion seiner Situation, konfrontiert mit seiner transzendenten Botschaft, stets zur höchsten Necessität zurück, sein Versterben zumindest um einige Zeit zu vertagen, was lediglich durch die Stillung der unermesslichen Begierde nach seiner Droge war zu bewerkstelligen. War er denn nicht viel zu schwach, um jene Purgierung zu überleben? Doch jener vermaledeite Cosmas wollte dies nicht akzeptieren und in der schroffen Härte eines Kiesels bereitete er ihm, anstatt sein irdisches Leben zu salvieren, gar horrible Qualen im ewigen.


    Doch seine Amme erwiderte jenes Flehen nur mit einem mitleidigen Blick, der dem fehlsichtigen Jüngling jedoch ohnehin entging, sodass ihm nichts verblieb, als in insalutabler Desperation den Tod zu erwarten...

    "Ich will es nicht mehr versuchen!"
    , krächzte der junge Flavius mit herzzerreißender Stimme. Sein Mund war verdorrt, die Nase verschlossen, die Augen trieften, was sein Sehvermögen noch weiter limitierte.
    Nur wenige Stunden waren vergangen, seit zum ersten Male er erwacht war, doch seither hatte sein Zustand sich von Augenschlag zu Augenschlag verschlechtert. Kalte Furcht hatte ihn befallen, sodann waren auch korporale Beschwerden hinzugetreten bis hin zu jenem aktuellen Status, welcher seine Desperation aggravierte.
    "Wie schon gesagt: Die nächsten Stunden werden nicht schön, aber du musst sie überwinden."
    , erklärte Cosmas gleichmütig, welcher nunmehr an seiner Bettstatt ruhte, nachdem Patrokolos ihn ob der zunehmend visiblen Symptome herbeigeholt hatte.
    "Man reiche mir zumindest einen Becher Wasser!"
    , postulierte der Jüngling angesichts jener mangelnden Compassion mit brüchiger Stimme. Eine derartige Krankheit hatte seit langem ihn nicht mehr ergriffen, zumal solche ihn stets nur bei mäßigen Temperaturen, wie sie in Alexandria und selbst in den humiden Winterszeiten der Urbs selten auftraten, ereilten. Exhaustiert wischte er sich über die schweißbenetzte Stirne, obschon mitnichten er erhitzt sich fühlte. Herzhaft gähnte er, obschon er mehr erschöpft denn ermüdet war. Dann aufs Neuen. Dann neuerlich.
    Endlich reichte ihm eine helfende Hand, womöglich Cosmas, seinen gülden glänzenden Becher, aus welchem begierig er trank. Kaum hatte er abgesetzt, entfuhr ihm ein vehementes Niesen.
    "Gesundheit."
    , erklang der Wunsch Patrokolos, welcher weiterhin im Hintergrund bei seinem Herrn wachte, doch schon torquierte den Jüngling ein neues Kitzeln in der Nase. Begierig sog er Luft ein, um sogleich sie wieder auszustoßen, was hingegen diesmalig unterblieb.
    "Mehercle, welche Qual!"
    , lamentierte der Jüngling.
    "Ein Schnupftuch!"
    Erwartungsvoll streckte er die Hand unter der Decke hervor, um endlich seine Nase zu liberieren, da doch ihm es deuchte, dass die Aridität seiner Mundhöhle daher rührte. In der Tat reichte man ihm eine zartes Tuch, mit welchem er sich sich schneuzte.
    "Ich schaffe dies nicht, Artaxias, das Leid überwindet mich!"
    "Unsinn, Domine. Du hast sicher bereits das Schlimmste überwunden. Es wird bald besser werden. Schlafe ein wenig."
    , erklärte der Diener mitleidsvoll, was das spöttische Schnauben des Medicus konterkarierte.
    Manius Minor wandte sein glänzendes Antlitz ab. Wie nur sollte er jene Qualen überwinden? Das Opium rief mit Pauken und Fanfaren ihn unter seinen seichten Schleier des Wohlbefindens und Glückseligkeit zurück, weg von Leid und Schmerz. Sein Leib mahnte ihn mit größter Klarität, dass er jenes geliebten Gefühles bedurfte und sein Wille schwand...

    Noch immer verspürte der junge Tresvir monetalis Unbehagen angesichts seines Entschlusses, dem Germanicus nicht die Stirn zu bieten, sondern sich dessen Willkür zu beugen, als sei dieser und nicht er selbst der präsidierende Magistrat jener Exkursion. Jene Einsicht wurde umso stärker, als Carbonius sich, fassungslos ob seines Parierens, an ihn wandte:
    "Flavius, du lässt dich von diesem Spinner herumkommandieren?"
    Der Jüngling blickte den gefesselten und von Milites gehaltenen Publicanus beschämt an.
    "Mir sind die Hände gebunden. Seine Kameraden folgen ihm und mir gebricht es jedweder Option, ihnen Widerstand zu leisten."
    "Für diese Unverschämtheit wirst auch du zur Veranwortung gezogen werden, junger Mann!"
    , war Aquilianus ein, der nun ebenfalls sichtlich erzürnt war angesichts des Umganges, der ihm zuteil wurde.
    "Ich sollte meinen Männern befehlen, diesen Spinner und seine Spießgesellen-"
    Er blickte zu den Tirones zu seiner Linken und Rechten, welche augenscheinlich selbst nicht recht zu entscheiden vermochten, wie sie sich verhielten.
    "-in Stücke zu hacken!"
    Manius Minor blickte zu der noch immer unter Waffen bereitstehenden Schar an Aufsehern, die teils wirkten, als brannten sie darauf, den Männern der Cohortes Urbanae eine Lektion zu erteilen. Doch in vielen Augen erblickte man auch Furcht und Beklemmung, sich gegen Milites des Exercitus Romanus tätlich zur Wehr zu setzen, zumal nun auch immer mehr Sklaven herbeieilten, welche zweifelsohne nicht für ihren Herrn, der sie jahraus jahrein ausbeutete, Partei ergreifen, sondern einen Kampf womöglich als Gelegenheit würden sehen, ihrem Los ein Ende zu bereiten.
    "Du solltest deine Männern besser anweisen, die Sklaven in ihre Unterkünfte zu verbringen, ehe ein Aufstand ausbricht."
    , mahnte der Jüngling deshalb nicht ohne Furcht, als soeben Peticus auf dem Pferd des Procurators wiederkehrte und ihm sein eigenes Reittier endlich wieder offerierte.
    "Ich danke dir."
    , antwortete er und Patrokolos trat herbei, kauerte sich in den Staub und formte somit ein Trepplein, auf welchem der junge Flavius sein Ross besteigen konnte. Dann blickte er herunter auf die beiden Gefangenen und erklärte ihnen mit entschuldigender Miene:
    "Ich bitte diese Behandlung zu exkulpieren. Doch die Anschuldigungen bedürfen wohl wahrhaftig einer Prüfung. Sollte es sich herausstellen, dass der Miles die Unwahrheit gesprochen hat, wird er seine gerechte Strafe erhalten. Ich vermag dies in unserer momentanen Situation nicht zu ermessen.
    Ich bitte euch jedoch von Herzen, ein Blutvergießen unter jeden Umständen zu vermeiden."

    Er blickte furchtsam auf die Schar der nackten, muskelbepackten Sklaven, die sich der Szenerie langsam näherten.
    "Es würde zweifelsohne weder uns, noch euch zum Guten gereichen, sondern wird lediglich pretiose Menschenleben kosten."
    Eine Weile fixierte der Procurator ihn wütend, während Carbonius augenscheinlich auf ein Zeichen der ihm Vorgesetzten wartete, die schließlich nach einigem Bedenken erfolgten:
    "Es ist wahr, Gewalt wird uns allen nichts nützen. Lass deine Sklaven einsperren, bis wir wieder hier sind. Es wird nicht lange dauern."
    Er blickte drohend hinauf zu Peticus.
    "Dann werden wir sehen, wer sich am Ende im Dreck wiederfindet!"
    Dann wandte er sich wieder zu dem Flavius.
    "Und auch deine Rolle wird nicht verschwiegen werden, darauf kannst du dich verlassen!"

    Als Manius Minor aufs Neue erwachte, schmerzte sein Haupt, ihn dürstete und er fühlte sich auch im Übrigen überaus deplorabel, ja geradehin beklommen. Insonderheit jedoch erfüllte ihn der Wunsch nach einem Schluck Opium. Als er die Augen aufschlug, erblickte er nicht mehr Manius Maior, welcher augenscheinlich gegangen war, sondern seinen geliebten Patrokolos an seiner Seite wachend.
    "Patrokolos!"
    , adressierte der Jüngling seinen getreuen Freund erfreut, wobei er erkannte, dass die Lähmung seiner Zunge augenscheinlich war verschwunden. Sein Diener war nämlich in der Tat weitaus besser geeignet, ihn mit seiner Droge zu versorgen, was er sogleich erprobte:
    "Präpariere mir einen Becher Opium, ich bedarf seiner höchst dringlich!"
    Die sanften Regungen des Dieners erstarrten, doch vernahm Manius Minor kein Wort. In höchstem Maße wünschte er sich in dergestalten Augenblicken ein schärferes Sehvermögen, denn so war ihm im fahlen Licht der Öllampe die Mimik seines Opponenten gänzlich verschlossen.
    "Was ist?"
    , fragte er somit ein wenig irritiert, zumal ihn die Begierde nach dem Thanatos-Saft nun bereits stärker drängte, ja jener vertraute Horror vacui sich ankündigte, der ihn bei zu langer Abstinenz erfasste.
    "Ich... ich kann dir kein Opium geben, Domine."
    , erklärte Patrokolos endlich.
    "Aber warum? Es befindet sich direkt neben dem Bett! Es müssten noch zahllose Fläschlein verblieben sein."
    Sein Geist begann zu rechnen, denn überaus deutlich vermochte er sich zu erinnern, dass er mit jenem eben überwundenen Exzess zwar einen beachtlichen Anteil seines Vorrats, nimmermehr jedoch ihn zur Gänze hatte vernichtet. Wohl war ihm bewusst, dass es einen Dritten mochte irritieren, dass er, soeben dem Orcus von der Schippe gesprungen, bereits aufs Neue sein Gift begehrte, doch hatte die Sucht ihn bereits aufs Neue erfasst.
    "Nein. Cosmas hat sämtliches Opium in diesem Haus entsorgt."
    Manius Minor erstarrte. Wie hatte jener alte Narr es wagen können, seinen Besitz (respektive dieses, welches er von seinem Peculium hatte erworben) einfach zu annihilieren? Obschon Geld für einen Flavius kaum von Bedeutung sein musste, hatte es sich um Produkte exquisiter Qualität gehandelt, welche nicht jeden Tag waren zu erwerben!
    "Dann gehe rasch aufs Forum und kaufe mir wieder etwas davon!"
    , stieß der Jüngling hervor, nun bereits ein sichtlich gereizt, da ihn die Perspektive, dem ungestillten Gieren nach seiner Droge ausgesetzt zu sein, bereits erzürnte.
    "Cosmas hat das verboten. Er sagt, du musst dem Opium abschwören."
    Der junge Flavius fuhr enerviert auf und brachte sein Antlitz auf die Höhe des Hauptes seines Dieners. Mit zornigem Blick funkelte er ihn an.
    "Was Cosmas verbietet oder gebietet, tangiert mich nicht im Geringsten! Du bist mein Sklave und hast meinen Befehlen zu gehorchen!"
    Vergessen schienen jene alexandrinischen Freundschaftsschwüre, welche er vor nunmehr mehr als einem Jahr hatte gelobt. So Patrokolos' Unwille zwischen ihm und dem Opium stand, war dieser zu brechen!
    In der Tat zeigte jene Äußerung Erfolg, denn als der Diener wiederum antwortete, schwang Verletztheit in seiner Stimme:
    "Soeben hat das Opium dich beinahe getötet! Cosmas sagt, wenn du nicht damit aufhörst, wird es dich eher früher als später vernichten! Und wolltest du nicht vorhin noch dein Leben ändern?"
    Der letzte Satz drang gleich einem gezielten Gladius-Stoß durch den Panzer, als welcher die Sucht den jungen Flavius gegen jedwede Vernunft rüstete. Schlagartig setzten sich jene Visionen, die nach seinem Exitus ihn hatten ergriffen, präsent und aufs Neue erblickte er im Geiste das Antlitz seiner Mutter, wunderschön, liebevoll und desillusioniert zugleich.
    'Ich weile im Elysium, du bist für den Tartaros bestimmt!'
    Klar und präzise waren ihm ihre Worte noch im Gedächtnis. Und klar und präzise erschienen sie nun als eine Warnung, nicht leichtfertig aus dem irdischen Leben zu scheiden, da nichts als Qual und Tortur ihn im folgenden erwarteten.
    Lediglich schwächlich vermochte selbst der Dämon seiner Sucht, angesichts jener Perspektive seine erwachsende Furcht vor dem Tode zu zerstreuen und Zweifel an jenen Impressionen zu sähen, welche er derart lebhaft selbst nach dem Erwachen memorierte, als hätte er sie soeben erst erblickt.
    Tatsächlich vermochte er nicht recht zu verbalisieren, was in ihm jene Sekurität sähte, welche ein Skeptiker nicht einmal dem entgegen brachte, was ihm tagein tagaus widerfuhr, doch ließ sich letztlich konfirmieren, dass sie stärker wurde, je länger er sie bedachte: Nicht ein Hirngespinst oder Trugbild, sondern die Manen seiner Mutter hatten zu ihm gesprochen! Nicht Morpheus' groteskes Reich der Träume, sondern den Orcus hatte er geschaut!


    Doch bereitete jene Einsicht ihm keineswegs Ruhe, denn noch immer resultierte aus ihr nichts weniger als die Perspektive ewiger Verdammnis, was seine Desperation umso mehr steigerte.
    "Nur ein kleines Schlücklein."
    , flehte er Patrokolos an und mühte sich um ein gewinnendes Lächeln.
    "Cosmas sagt, es gibt keine schrittweise Entwöhnung. Du darfst kein Opium mehr zu dir nehmen, sonst könntest du jederzeit sterben. Dein Körper ist schwach."
    Sorgenvoll klang die Stimme des Dieners und sorgenvoll stimmten seine Worte den Herrn. Doch schon zwängte seine Begierde sich in einen neuen Schlupfwinkel jenes Gedankengebäudes, dessen Fundament die maternale Vision repräsentierte: Hatte sie nicht ohne Zweifel prophezeit, er werde in den Tartaros stürzen? Was nützten ihm dann noch weitere trostlose Jahre auf Erden, wenn ohnehin ihn eine Ewigkeit der Qualen erwartete?
    'Dir bleibt noch eine Chance. Geh und lebe, wie es sich für einen Flavius geziemt'
    , eilten jedoch sogleich jene weiteren Worte seiner Mutter in seinen Sinn und parierten seine eigenen Ausflüchte. Noch gab es Hoffnung, selbst wenn unumwunden die Furcht erwuchs, niemals imstande zu sein, eines Flavius würdig und damit den Göttern angenehm zu leben.
    Doch er musste es versuchen.
    "Dann sei es. Ich will es versuchen."

    Manius Minor war höchst verwundert, als der Germanicus aufs Neue eine schier unglaubliche Geschichte offerierte, denn wann hatten jene augenscheinlich tatenlosen Tirones die Hütten durchsucht, da sie doch seinem Dafürhalten nach seit dem Betreten des Minengeländes niemals von seiner Seite waren gewichen? Woher hatte er Kenntnis von den Transaktionen des Princeps, welche keineswegs zu den Obliegenheiten eines gemeinen Miles zählte, sondern eher noch seinem eigenen, unsäglichen Metier war zuzurechnen? Und warum gerierte er sich weniger einem gehorsamsgewohnten Miles als einem befehlsgewohnten Aristokraten gemäß, indem er selbst gegenüber einem patrizischen Magistraten Roms aus den Gentes Maiores auf Ebenbürtigkeit pochte? Gewiss hatte der junge Flavius bereits auf Scatos Feier anlässlich seiner Kandidatur die Bekanntschaft Peticus' gemacht, doch vermochte er sich nicht zu entsinnen, dass er etwas anderes als ein selbst für flavische Verhältnisse überaus arroganter Soldat war gewesen!
    Dennoch bedurfte jenes absurde Verhalten einer Erklärung und letztlich blieb ihm nichts übrig als zu vermuten, der Germanicus sei ein Agent der Prätorianer, welcher entsandt worden war, um jenen Procurator festzusetzen und nach Roma zu geleiten. Womöglich hatten jene vermeintlichen Urbani am Vorabend, während Manius Minor und Aquilianus sich den Genüssen der Tafel hatten gewidmet, ihre Ermittlungen eingezogen, jene Goldtruhe gefunden, welcher sie augenscheinlich nachjagten, und die Mängel des Bergwerkes aufgedeckt. Dies konnte noch immer nicht explizieren, warum er in so sonderbarer Weise die Sklaven traktierte, doch mochte dies seiner Profession geschuldet sein, immerhin hatte auch einer jener Equites, von welchen er während des Bürgerkrieges nach Cremona war eskortiert worden, einen obskuren Hang zur Brutalität gezeigt, den der Decurio durch die Erfahrung der Schlächterei auf dem Schlachtfeld erklärt hatte.


    Fragend blickte er in die Augen der beiden nunmehr gefesselten Funktionäre, als würden diese offenbaren, ob sie misfortunable Opfer eines Wahnsinnigen oder gerecht bestrafte Übeltäter seien. Carbonius wirkte noch immer wütend, Aquilianus hingegen schlicht enerviert (womöglich hatte er als Sklave derartige Behandlungen bereits mehrfach erlitten). Doch waren dies die Reaktionen gestellter Betrüger oder zu Unrecht gefangener Unschuldiger? Der junge Flavius vermochte es nicht zu ästimieren (zumal ein näheres Herantreten die Augen der beiden zu amorphen Schemen hätte verschwimmen lassen).
    Er blickte hinauf zu dem hünenhaften Miles auf seinem Pferd. Würde er sich gegen ihn wenden, würde er bestenfalls gänzlich uneskortiert den Weg nach Rom zurückgehen müssen. Schlimmstenfalls hingegen würde er enden wie jener unglückliche Sklave, der auf dem Heuhaufen in seinem Blute lag und dankenswerterweise das Röcheln hatte eingestellt. Denn was nützte ihm sein getreuer Patrokolos gegen eine Schar Soldaten, deren Niederlage nicht einmal bei einer Konfrontation mit den blutdürstenden Aufsehern war mit Sicherheit anzunehmen? In Populonia oder gar Rom könnte er freilich auf den Schutz des Gesetzes für seinen Rang und Stand bauen (selbst wenn er beides als leere Meinungen verachtete, nahm er ihre Prvilegien ja gern in Anspruch), doch in der Einöde jener Mine waren prompte Entscheidungen zu treffen.


    Einen weiteren Augenschlag zögerte er, ehe er endlich das Unumgängliche akzeptierte:
    "Ich werde dich begleiten und mich als Zeuge für die hiesigen Geschehnisse zur Verfügung stellen."
    Im Prinzip konnte er doch auf Epikurs 35. Lehrsatz vertrauen: Es ist ausgeschlossen, dass derjenige, der heimlich gegen den Vertrag darüber, niemanden zu schädigen und sich nicht schädigen zu lassen, verstößt, darauf vertrauen kann, dass er immer unentdeckt bleiben wird, auch wenn er im Augenblick tausendmal unentdeckt bleibt. Denn bis zu seinem Tode ist es ungewiss, ob er auch unentdeckt bleiben wird.
    Sofern Peticus jenen impliziten Vertrag, der das Imperium zusammen hielt, wahrhaftig gebrochen hatte, würde ihn seine Strafe spätestens in Roma treffen. Er selbst hatte alles versucht jene Situation zu retten, doch hatte es ihm an Fortune gefehlt. Was sich nicht ändern ließ, so hatte er von Aristobulos gelernt, war schlicht zu akzeptieren, mochten dies Gallensteine oder ein unkontrollierbarer Miles sein.

    Jene inverse Distribution der Rollen, welche Manius Minor die des superstitiösen Eiferers, Manius Maior hingegen jene des kritischen Rationalisten zuwies, irritierte ersteren ein wenig, zumal er noch immer erfasst sich sah von jenen visionären Impressionen, die er vor kurzem hatte geschaut.
    Doch war den paternalen Mahnungen zumindest insofern zu konsentieren, als er in der Tat sich geschwächt fühlte, was ihm die Kraft zum Disput raubte und stattdessen ein Verlangen zu schlafen evozierte.
    "Ich wer'e ein wenig 'uhen."
    , beschied er somit und schloss, wie zur Konfirmation seiner Begierde prompt die Augen. Eine Weile noch verweilte sein Geist bei seiner Theophanie, gefolgt von den Worten seines Vaters, welche ihm in so seduktiver Weise neuerlich das Leben eines epikureischen Philosophen freiheraus offerierten. Dann jedoch forderte sein Leib, welcher soeben noch mit einem letalen Gift hatte gerungen, jene Rekonvaleszenz, die nur der Schlaf zu bieten vermochte und er entschlummerte.

    Der junge Flavius vernahm jenes flammende Plädoyer für die Rechte des Princeps, während er zugleich beständig seinen Befehlen Widerstand leistete. Augenscheinlich hatte die Adoleszenz in Germania weitaus größere Folgen gezeitigt als Manius Minor hatte vermutet, denn jene despektierliche Weise, mit der er Verdächtige traktierte, ,fügte sich durchaus in seinen Stereotyp des unzivilisierten Barbaren, dem weder ordentliche Justiz, noch der Grundsatz 'in dubio pro reo' ein Begriff waren.


    Womöglich war es ein Anflug von desperatem Heldenmut, womöglich auch von Furcht vor dem Blutvergießen, doch Manius Minor trat endlich beherzt vor und stellte sich defendierend vor die beiden Funktionäre, sodass Peticus würde genötigt sein ihn zu verletzen, wollte er sie antasten. Dazu rief er mit lauter Stimme:
    "Haltet ein!"
    Er blickte zu Peticus, dann zu dessen unschlüssigen Kameraden und schließlich zu den blutdürstenden Aufsehern, bei welchen es keineswegs sicher mochte erscheinen, dass nicht kampferprobte Veteranen unter ihnen waren, die nach ihrer Dienstzeit unter den Adler ihre Qualifikation in privaten Kontexten anboten. Sodann sah er wieder auf den Germanicus und die seinen.
    "Wenn ihr Diener Roms seid, dann solltet ihr bedenken, dass unser edles Volk sich insonderheit durch Recht und Gerechtigkeit auszeichnet! So diese beiden fehlgegangen sind, werden sie zu gegebener Zeit und an gegebenem Orte zur Rechenschaft gezogen werden. Solange indessen kein Urteil gesprochen ist, sollte jeder Römer bedenken, dass sie wie ihr Diener des Kaisers sind! Der Kaiser selbst hat sie an leitende Stelle gesetzt und ihnen ihr Vertrauen geschenkt und der Kaiser wird es nicht schätzen, wenn seine Beamten respektlos behandelt werden aufgrund eines privaten Verdachts, denn wie jeder Römer liebt der Princeps das Recht und die Ordnung!"
    Der junge Flavius war nun endlich imstande, von seiner rhetorischen Edukation Gebrauch zu machen, wo nicht zuletzt die Stegreifrede wie die Panegyrik gepflegt worden war. Dass es sich dabei um einen jener Loci communes handelte, welche der Rhetor beständig bediente, gereichte ihm insonderheit zum Nutzen, selbst wenn er als Epikureer Recht wie Ordnung keineswegs als Wert an sich ästimierte.
    Er deutete sich auf die Brust.
    "Milites, ich selbst werde mich verbürgen, dass diese Männer die Gerechtigkeit unseres Augustus erfahren, doch ist es nicht an euch, ein Urteil, respektive ein Vorurteil zu fällen."
    Er deutete nun auf Peticus, welcher noch immer in arroganter Weise hoch zu Ross vor ihm stand.
    "Du jedoch, Germanicus, solltest beachten, dass du durch dein Betragen jenen erzürnst, dessen Interessen du zu wahren vorgibst! Was wird der Imperator sagen, wenn er erfahren muss, dass ein namenloser Miles, dessen er niemals ansichtig wurde, einen seiner erfahrensten Diener, dem er aufgrund seiner Verdienste selbst die Freiheit schenkte und dem er höchstselbst die Aufsicht über seinen Besitz anvertraute, behandelt als sei er ein wertloser Barbar? Was, wenn er hört, dass man einen achtbaren römischen Bürger, der über lange Jahre getreulich eine kaiserliche Mine führte und seine Pacht stets zu jedermanns Satisfaktion pünktlich lieferte, umhergestoßen wird, als sei er der rechtloser Sklave oder gar ein Feind des römischen Volkes?
    Lass also ab! Stecke dein Schwert in die Scheide, steige vom Pferd und erbiete diesen Männern, die du so schändlich traktierst, den Respekt, der ihnen rechtmäßig zukommt! So lautet mein Befehl als Magistrat des Senates und des Volkes von Rom!"

    Ein wenig schwülstig waren seine Worte und es missfiel ihm, der bereits den festen Vorsatz hegte, jedweder Macht, jedweder Verantwortung für das Staatswesen und jedweder leerer Tugendmeierei den Rücken zu kehren, sobald dieses unsägliche Jahr war vergangen, sich als Staatsmann und Autorität aufzuspielen (zumal er an Jahren jenen wahnhaften Miles augenscheinlich maum übertraf, ja eher ein wenig jünger mochte erscheinen). Sowohl jene eitle Rede con Gerechtigkeit, noch jene Servilität gegen den Kaiser, den Charakterschwäche (denn der Weise strebte nicht nach Herrschaft, jener sprudelnden Quelle der Unlust) und der Zufall in sein amt hatten gespült, war ihm nichts als leere Meinung!
    Doch mehr noch als leeres Geschwätz erschien ihm das Vergießen von Blut als sinnentleert und schon sein Idol hatte gelehrt: Das der menschlichen Natur entsprechende Recht ist eine Vereinbarung über das Mittel, mit dem verhindert wird, dass sich Menschen gegenseitig schädigen oder schädigen lassen.

    Der junge Flavius kniff irritiert die Augen zusammen, als Peticus ihm ein Hölzlein präsentierte, welches selbstredend er nicht zu kontextualisieren vermochte. Die Explikation erfolgte prompt, denn augenscheinlich war jener Germanicus ein wahrhafter Tausendsassa, der en passant, noch ehe sie die Mine hatten betreten, die Abstützung fachmännisch hatte inspiziert.
    Manius Minor war keineswegs sonderlich bewandert in ökonomischen Angelegenheiten, doch wusste er so viel, dass ein kaiserlicher Procurator ein besoldeter Beamter war, welcher den kaiserlichen Besitz beaufsichtigte, während Publicani, also Privatmänner, diese Besitzungen pachteten und so gegen einen Zins die Ausbeutung der Ressourcen auf eigene Rechnung bestritten. Ob sie jenes Material, welches sie hierfür benötigten, nun selbst kauften, zu Vorzugspreisen aus imperialen Waldungen bezogen oder vollends geliefert bekamen (analog zu den Servi publici, die hier arbeiteten), vermochte er dagegen nicht zu beurteilen. Nichtsdestotrotz würde es dem Kaiser jedoch zweifellos missfallen, wenn seine Bergwerke leichtfertig beschädigt wurden, zumal jener Einsturz langfristigen Schaden würde nach sich ziehen.


    Dessenungeachtet besaß er keine Zeit, dem Miles umsichtig zuzustimmen, denn schon folgte er aufs Neue seinen wirren Ideen, sprang auf sein Ross (also das des jungen Flavius) und sprengte zurück zu Aquilianus und Carbonius und begann sie neuerlich zu traktieren. Der Jüngling erstarrte vor Schrecken, als er dies erkannte. Hatte jener tumbe Narr ihm überhaupt nicht zugehört? Er würde nicht nur jenen Unglücklichen, sondern vor allem sich selbst größten Schaden zufügen, sobald seine Vorgesetzten von derart insubordinantem Verhalten erfuhren!
    "Steht nicht so rum, ihr Idioten! Helft mir!"
    rief der erzürnte Carbonius, während Tritte und Stöße ihn in Richtung des jungen Flavius trieben. Diese reagierten prompt, denn in den Baracken besaßen die Aufseher selbstredend auch andere Waffen als Knüppel, falls die Sklaven den Aufstand probten.
    Abhorreszierlich war jene Szenerie, welche zweifelsohne in ein Blutbad würde münden, sodass der überforderte Jüngling sich nicht zu regen vermochte, bis Peticus die beiden aufs Neue vor ihm in den Staub geschleudert hatte.
    Als Aquilianus sein Haupt hob, erblickte er die passiven Kameraden jenes außer Rand und Band geratenen Germanicus und in kaltem Zorn rief er:
    "Ich befehle euch im Namen des Imperator Caesar Augustus, diesen Irren festzunehmen!"
    In diesem Augenblick stürmten auch die Aufseher herbei, nun ausstaffiert mit Gladii, Knüppeln und Wurfspießen. Keineswegs waren alle unter ihnen Feiglinge, die es nicht wagten, in hoffnungsloser Überzahl den Kampf mit einem einzelnen Miles aufzunehmen, so ruchlos er sein mochte.
    Manius Minor dachte an die zermalmten Leiber im Massengrab, welches sie passiert hatten. Er erinnerte sich des röchelnden Leichnames des entlaufenen Sklaven. Er musste intervenieren!
    "Haltet ein! Ihr alle!"
    , rief er und seine Stimme überschlug sich in Panik. Furchtsam blickte er hinauf zu dem berittenen Miles, der nun die Wahl hatte, einen desperaten Kampf zu fechten, in welchem ohne Zweifel er den Tod würde finden, oder die Waffen zu strecken. Für den jungen Flavius eine leichte Wahl, doch wer vermochte schon die Wahl eines augenscheinlich Wahnsinnigen zu antizipieren?

    Frappierend erschien dem jungen Flavius der prompte Erfolg seiner flehenden Worte, welche durchschlugen gleich einem sich vorwärts schleppenden Körper, der in eine Falltür tappte und unvermittelt vorwärts stürzte. Doch während Manius Maior sogleich sich hinsichtlich der Worte Antonias erkundigte, verharrte Patrokolos noch immer in seiner kritischen Haltung, sodass Manius Minor den Beschluss fasste, erstlich sich alleinig seinem Vater zuzuwenden, der augenscheinlich ehrliches Interesse an seinen Visionen hegte und damit sich als ein dankbares Publikum seiner Impressionen eignete:
    "Eine Chan'e!"
    , verbalisierte er träumerisch den Nucleus jener Botschaft, welche noch immer in seinem Geiste widerhallte:
    'Geh und lebe, wie es sich für einen Flavius geziemt! Dann werden wir vielleicht auf ewig vereint sein!'
    Jenes 'vielleicht' mochte lediglich eine Potenzialität ausdrücken, war keineswegs eine Assekuration, dem grässlichen Tartaros entschlüpfen zu können. Doch war es ein Aufscheinen der Hoffnung inmitten eines lichtlosen Weges, welcher, obschon bisherig unbemerkt, dem ewiglichen Verderben zustrebte; eine Kreuzung, erhellt vom Licht der Götter, die den Lares Compitales gleich ihn, dem Wandernden, zum Innehalten gemahnten!
    "Ich 'raf sie an den Ufe'n des S'yx. Sie herz'e mich. Und sie warn'e mich-"
    Seine raue Stimme verstarb, als ihm gewahr wurde, dass die Warnung, welche Claudia Antonia ihm hatte zukommen lassen, in gewisser Variation jener seines Vaters entsprach, als vor beinahe einem Jahr bereits er seinen Triumph über die philisterhaften, vermeintlichen leeren Meinungen hatte errungen, indem er sich das Leben eines Epikureers hatte ausbedungen. Tag um Tag war jene Perspektive (neben dem Opium) das Elixier seines Lebens gewesen, hatte ihn motiviert, allmorgendlich sein Bett zu verlassen, die ennuyanten Obliegenheiten seines Amtes zu schultern und die Kälte zu Hause zu ertragen. Und doch war sie in Wahrheit nichts als ein fataler Irrtum, sein Triumph ein Trotzen wider die Realität, für welche sein Vater zwar wider Willen, doch im Resultat überaus korrekt hatte gefochten. Familie - Staat - Wahrheit. Jene capitolinische Trias seiner aristokratischen Edukation war keineswegs eine leere Meinung, so man die eigenen Manen und die unsterblichen Götter selbst von Angesicht zu Angesicht hatte geschaut!
    Oh hätte er nur niemals jene giftigen Irrtümer aus Samos vernommen! Hätte er sogleich die Wünsche Manius Maiors beachtet, anstatt in steter Opposition zu ihm und der Wahrheit zu vegetieren!
    Scham überkam den jungen Flavius ob jener Einsicht in den eigenen, kapitalen Irrtum und seine blassen Wangen röteten sich ein wenig.
    "Sie warn'e mich vo' de' S'rafe der Uns'e'blichen, so ich wei'er auf dem Pfa'e Epiku's wan'le."
    Seine Stimme senkte sich gleich einem geständigen Knaben und er schlug genierlich die Augen nieder.
    "Sie befahl mi', mich eines Fla'ius wür'ig zu e'weisen. Sons' d'oh' mi' de' 'ar'aros."
    Jene Alternative, welche sein Vater ihm bei seiner Heimkehr hatte gestellt, existierte augenscheinlich in einem weitaus weitreichenderen, ja eschatologischen Sinne:
    'Es gibt keinen Pfad in der Mitte, du wirst dich hier und jetzt für eine Richtung entscheiden mit allen Konsequenzen: für diese Familie oder ohne diese Familie.'
    Wie hatte ihn jene Kulmination in Rage versetzt, wie sehr hatte er gehadert! Und doch hatte der ältere Gracche Recht behalten und den jüngeren final beschämt!

    Kurz darauf trat Manius Minor wieder zu dem Germanicus, der im Kreise seiner Kameraden den Wortwechsel von Ferne hatte betrachtet, sichtlich bedrückt durch die Schwere seiner Obliegenheit, jenen tollkühnen Gefährten nicht lediglich zur Räson, sondern gar zum Eingeständnis seines Fehlverhaltens zu bewegen, zugleich jedoch bewegt von Furcht ob des Aggressionspotentiales seines Opponenten, welches auch seine Kommilitonen augenscheinlich nicht zu zügeln beabsichtigten.
    "Germanicus"
    , begann er und seufzte. Doch vermochte er nicht, seine Kritik dergestalt zu verpacken, dass sie ein wenig höflicher mochte klingen, sodass er sich zu Offenheit entschied, obschon weiterhin Insekurität in seiner Stimme mitschwang:
    "Mir scheint, dein Verhalten gegenüber Carbonius und Aquilianus war nicht eben adäquat."
    Einen Augenschlag stockte er, dann setzte er zu einer Erklärung an:
    "Erstlich handelt es sich um honorable Personen, die unter keinen Umständen eine derartige Behandlung verdienen, zumal du dich nicht in der Position befindest, einen kaiserlichen Procurator öffentlich zu kritisieren. Sodann sind sie jedoch auch keines Verbrechens schuldig, da der Einsturz einer Mine zweifellos ein Willkürakt der-"
    Der Jüngling stockte, als beinahe ihm das Wörtlein 'Götter' wäre entfleucht. Sogleich schalt er sich im Geiste, da doch die Götter Epikur zufolge in entfernten Sphären weilten und weitaus beglückenderen Okkupationen nachgingen, als die Sterblichen durch das Einreißen von Kupferminen zu torquieren. Der Berg war nichts als ein Konglomerat von Atomen, die natürlicherweise zu Boden strebten. Dies war die einzige rationale Explikation jenes Zwischenfalles!
    "-des Zufalls, ebenso wie keiner wohl verhindern kann, dass in einer solchen Einrichtung ein einzelner Sklave einen Fluchtversuch unternimmt."
    Man war schwerlich imstande, sämtliche Sklaven aneinander zu ketten, zumal dies überaus unpraktikabel bei deren Ausbeutung sich mochte erweisen.

    Der flavische Jüngling staunte ob der langen Dauer, welche er geschlafen hatte und der Stärke, mit welcher das Opium noch immer seinen Leib influenzierte, obschon er nicht zu ponderieren imstande sich sah, ob nicht auch die allgemeine Schwäche seines Leibes einen bedeutenden Anteil an seiner Inkapabilität zur Artikulation einen gewissen Anteil besaß. Zumindest erklärte sich somit das Pochen in seinem Haupt, das stets er verspürte, wenn zu lange Zeit er sich des Opiums hatte enthalten.


    Jene Gedanken wurden jedoch hinfortgewischt durch die Reaktion Manius Maiors auf seinen Rapport. Erstlich schien er irritiert, doch keineswegs refutierend, da doch sein furchtsames Umherblicken (zumindest imaginierte Manius Minor die paternalen Regungen dergestalt) geradezu wie eine Prüfung der Präsenz der maternalen Manen dokumentierte. Doch fehlte es ihm final selbstredend an Glauben, was, wie der junge Flavius erkannte, eine durchaus rationale Reaktion darstellte, der auch er bis vor wenigen Stunden wäre gefolgt. Doch je mehr er die Remineszenzen in seinem Geiste hin- und herwog, je länger er sie bedachte, desto klarer wurde ihm, dass diese Begegnung kein infantiles Phantasieren war gewesen.
    "Nein!"
    , krächzte er daher mit größter Entschlossenheit.
    "Ich habe sie ge'ehen! Sie ha' 'u mir gesp'ochen!"
    Er hob die Hand, um jene Klarität gestisch zu unterstützen und seine Augen begannen zu leuchten:
    "Sie war gän'lich real! Me'cu'ius führ'e mich 'u ihr!"
    Obschon sich gerade im Dialog die Gewissheit nährte, so wuchs zugleich die Desperation, da er erkannte, dass dies, was wärend seines augenscheinlichen Schlafes war geschehen, niemals einem Dritten würde zu vermitteln sein. Selbst Patrokolos legte skeptisch den Kopf auf die Seite, wie er es zu tun pflegte, wenn er vermutete, dass sein Herr fabulierte.
    Manius Minor ballte seine schweißglänzende Faust.
    "Ih' müss' mir glauben!"

    Der Jüngling blickte in die Augen seines Vaters und wurde unerwartet in die Arme geschlossen, was er jedoch ebenso wie die freudigen Worte überaus passiv über sich ergehen ließ. Denn just auf die paternalen Worte wurde ihm gewahr, dass er keineswegs imstande sich sah, sein Befinden als 'besser' zu titulieren, da er noch immer den säuerlichen Gustus seines Mageninhaltes schmeckte, ihm schwindelte ob der Last, welche sein Leib die vergangenen Stunden durchlitten hatte, und sein Magen fortan rebellierte, da man ihn seiner Substanz hatte beraubt. Hinzu trat ein beginnender Schmerz seines Hauptes, da selbst jene überhöhte Dosis an Opium langsam sich zum Ende neigte und sein suchtgeplagter Körper nach Nachschub gierte, wogegen die nebulöse Erinnerung an die vergangenen prekären Stunden in der Trance seines Rausches verblasste.


    Umso erquicklicher erwies sich das kühlende Tuch auf seiner Stirne wie das liebende Wort seines Patrokolos, der zwar weitaus zurückhaltender, doch in der Desorientiertheit des jungen Flavius umso adäquater seiner Erleichterung Ausdruck verlieh.
    "Mich dürs'e'."
    , krächzte er endlich und mühte sich, zumindest ein freundliches Gesicht inmitten seines Laborierens zu bieten, um seine Wächter am Krankenlager nicht allzu sehr zu betrüben, was jedoch nicht recht mochte gelingen.
    Fortunablerweise reichte der Sklave ihm jedoch, seinen Vater geschickt umgehend, eben jenen Becher mit den Bildern des Achilleus, in welchem er sein Opium zu konsumieren pflegte. Als der Jüngling begierig seinen Inhalt hinabstürzte, um den brennenden Durst zu stillen, erschmeckte er jedoch deutlich, dass es um stark verdünnten Wein sich handelte, was ihm bei seinem torquierten Magen jedoch durchaus willkommen war.
    Erst im Folgenden gedachte er der brennenden Sorge, in welcher Patrokolos und sein Vater augenscheinlich gewacht hatten (zumal viele Stunden vergangen sein mussten seit jenem Disput, welcher nunmehr langsam ihm wieder ins Bewusstsein trat, flankiert von der Reminiszenz an den letalen Opiumtrunk, das grässliche Erwachen und den neuerlichen Schlaf), weshalb er verkündete:
    "Ich lebe. Und mi' geht es wei'aus besser. Wie lange ha'e ich geschla'en?"
    Es musste in der Tat eine beachtliche Weile verstrichen sein seit jenem kurzen, leidvollen Erwachen. Doch was war dieses gegen das Erwachen, welches jener Traum hatte evoziert, der in weitaus größerem Maße ihn okkupierte als seine eher nebensächlichen Leiden? Waren seine letzten Jahre nicht auch ein Schlaf gewesen, in welchem er vor der Wahrheit die Augen hatte verschlossen?
    "Ich ha'e einen T'aum. Ich 'raf Mu'er. Sie ha' zu mi' gesp'ochen."
    Es sprudelte geradezu aus ihm heraus, obschon er, kaum hatte er jene Worte gelallt, erkannte, dass jene Vision einem Dritten womöglich absurd mochte erscheinen (insonderheit den Epikureern, mit welchen er in den letzten Jahren sämtliche seiner intimen Gespräche hatte geführt). Doch er hatte sie artikuliert. Er musste versuchen, davon zu berichten. Immerhin war diese Vision geeignet, sein Leben zu wandeln.