Die Unterredung mit dem A Rationibus hatte dem jungen Flavius schlagartig vor Augen geführt, dass er, selbst wenn die Konfrontation mit dem Princeps ihm keinerlei Ehrfurcht abnötigte (wozu neben seiner epikureischen Prägung zweifelsohne auch die aristokratische Edukation, in deren Rahmen er beständig mit den potentesten Personen des Staates hatte verkehrt), er doch würde genötigt sein, diesem adäquate Motive für die zu prägenden Münzen zu offerieren. In der Tat freute sich der Jüngling gar auf jene kreative Obliegenheit, die seinem Geist weitaus größere Freiheit gewährte denn das schnöde Hin und Her der Zahlen, weshalb er in juvenilem Übermute gar hatte erklärt, für sämtliche Kupferprägungen verantwortlich zu zeichnen, während Licinius einen Entwurf für den Aureus, Baebius hingegen für den Denarius würde vorlegen.
Doch kaum hatte er sich gemeinsam mit Patrokolos zu jenem artifiziellen Schöpferprozess retiriert, wurde mit der Dauer ihm bewusst, dass jenes Unterfangen keineswegs so leichtlich ihm von der Hand wollte gehen, wie er es vermutet hatte. So wäre zweifelsohne es ein Leichtes gewesen, schlicht traditionelle Motive aus dem infiniten Repertoir an Symbolen, Figuren und Personifikationen zu wählen, sie gewissermaßen randomisiert hervorzuziehen und sodann einem der Signatores zur Kopie zu überreichen. Doch der junge Flavius hegte den Anspruch, ein geistreiches Konzept zu offerieren, welches nicht nur das kontingente Resultat geistloser Elektionsprozesse darstellte, wie sie zweifelsohne insonderheit sein Amtskollege Baebius würde präsentieren, sondern die Reflektiertheit ihrer Formation, womöglich gar eine persönliche Note oder eine Referenz auf den großen Philosophen würde transportieren. Doch keineswegs mochte dies allzu leicht erscheinen, da doch Patrokolos das Amt des Advocatus Diaboli auf sich nahm, um jenem einen Gesichtsverlust durch inadäquate Vorschläge zu ersparen:
"Diese gängigen Motive vermögen doch keinerlei erbauliche Nachricht zu transportieren!"
Patrokolos hatte zur Inspiration einige Münzen aus dem flavischen Familienschatz hervorgeholt, welche dem Alter der Familie entsprechend bis in republikanische Zeiten, als die Münzen noch weitaus bessere metallische Qualität hatten besessen, zurückreichten, obschon weder dies, noch die diversen Motive selbstredend dem jungen Flavius waren offenbar, der doch ob seiner Fehlsicht lediglich haptisch die Motive mochte ergründen. Nun indessen warf er achtlos einen Dupondius, welchen die kaptivierte Iudaea präsentierte, zurück auf den Tisch, wo sie sprang und soeben noch dem Sturz auf den Boden entging, da Patrokolos geistesgewärtig sie auffing.
"Na, eine Eroberung hat der Kaiser ohnehin nicht vorzuweisen. Abgesehen vielleicht von seiner hübschen Frau..."
Selbstvergessen griff der Sklave nach einer Münze, welche das Konterfei einer Kaiserin zierte.
"Wie wäre es mit der Augusta?"
"Transportieren die Tugenden von Liebe und Treue nicht exakt jene leeren Meinungen, vor welchen Epikur uns warnt? Eine Referenz auf die Ehegattin von Aquilius entspräche doch lediglich einer Honorierung des absurden Konzeptes der Ehe!"
Mit Abscheu gedachte der Jüngling für einen Augenblick des desagreablen Zwiegesprächs mit seiner Angetrauten, welches ihm wie zuletzt die Freude an den Festivitäten seines Wiegenfestes hatte geraubt, da es ihn doch beständig gewahrte, dass er einst in alle Ewigkeit an jene in jeder Hinsicht unattraktive Person würde gekettet sein, genötigt mit ihr den Geschlechtsakt zu vollziehen, um der Fassade des flavischen Geschlechtes eine weitere Etage hinzuzufügen.
"Also keine Augusta..."
, kommentierte Patrokolos und warf die Münze zurück auf den Haufen.
"Die Götter sind auch wi-"
Enerviert erhob Manius Minor Hand.
"Keine Götter! Wir können das Volk nicht in seiner kindische Furcht vor den Göttern konfirmieren, indem wir sie, die doch in fernen Sphären weilen, ihnen aufs Neue vor Augen führen. Dessenungeachtet wird ohnehin Murena dies für uns übernehmen."
Zumindest hatte Licinius sich dergestalt geäußert.
"Keine Götter, keine Familie-"
Er hielt inne, blickte auf das Konglomerat von Münzen auf dem Tisch und zog ein As mit dem Porträt des Divus Titus hervor, als selbiger noch weder göttlich, noch mit sämtlichen imperialen Weihen war ausstaffiert gewesen.
"Was ist mit dem Caesar?"
Der junge Flavius zuckte mit den Schultern. Seitens des großen Samiers zumindest war nichts gegen die Jugend einzuwenden, womöglich würde ein Lob der Jugend gar die Bedeutung des imperialen Amtes ein wenig relativieren.
"Dem wäre nichts zu objektieren."
"Dann benötigen wir trotzdem eine passende Rückseite. Ich habe gehört, dass Bala kürzlich als Iudex tätig war, außerdem besteht ihm ja noch die Praetur vor. Was ist mit der Gerechtigkeit?"
"Die Ungerechtigkeit ist kein Übel an sich, sondern nur aufgrund der misstrauischen Angst davor, dass sie von der Strafverfolgung nicht unentdeckt bleibt."
, rezitierte der junge Flavius prompt den 38. Lehrsatz des Epikur, welcher prompt ihm in den Sinn kam.
"Die Gerechtigkeit ist doch just eine jener Tugenden, die auf nichts als leeren Meinungen beruhen! Keine Tugenden!"
Doch der findige Diener hatte seinerseits nicht stets geschlummert während der Lektionen seines Herrn, hatte gar als dessen Repetitor in den epikureischen Studien fungiert, weshalb er nunmehr war präpariert, den Vorstoß mit einem weiteren Zitat des Weisen zu parieren:
"Im Allgemeinen ist die Gerechtigkeit für alle dieselbe; denn sie ist ja etwas Nützliches im Umgang miteinander. Auch das sagt dein Epikur!"
Der junge Flavius stützte das feiste Kinn auf die Faust und verzog den Mund. Ihm missfiel jene dümmliche Propagierung simpler Werte und dubitabler Tugenden, welche doch augenscheinlich die unhintergehbaren Konstriktionen jenes kreativen Prozesses repräsentierten.
Patrokolos seufzte.
"Domine, wir können nicht alles ausschließen, was den Konventionen entspricht! Ohne Götter und Tugenden bleiben nur außenpolitische Erfolge und die sind im Fall von Aqulius auch eher bescheiden!"
Obschon der junge Flavius sich seit seiner Studienreise in keinster Weise mehr für die Unbilden der römischen Außenpolitik hatte interessiert, erschien ihm dies unmittelbar einsichtig, weshalb endlich er das Haupt von der Hand löste, sich gegen die kühle Wand des Officiums ließ fallen und mit einem wegwerfenden Gestus endlich erklärte:
"Dann sei es eben Iustitia!"