Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Nachdem Licinius die Tribute zu seiner Domäne hatte erklärt, schritt Herakles sogleich voran:
    "Der Zukauf von Edelmetall bei Bedarf?"
    Ein unbehaglicher Augenblick der Stille entstand, weshalb der junge Flavius aufblickte und erkannte, dass der Sprecher ebenso wie seine Collegae voller Erwartung ihn fixierten. Mitnichten verspürte er die Neigung, gleich einem Krämer um die Preise für Silber und Gold zu feilschen, zumal ihm, welchem sich der schnöde Mammon stets ein Objekt hatte dargestellt, das man schlichtweg besaß und über das zu reflektieren niemals Anlass war gewesen, jedwedes Talent für derartige Transaktionen abgehen musste. Doch mit größter Klarität lastete nunmehr die Erwartung auf ihm, sodass schlussendlich er mit nicht geringem Widerwillen erklärte:
    "Dies würde ich an mich nehmen."
    Kaum hatte er jene Replik formuliert, fragte er sich, inwiefern die staatlichen Münzen überhaupt genötigt waren, Edelmetall aus privaten Quellen zu erstehen, da der Imperator selbst doch, so man der gemeinen Rede glauben mochte, über unzählige Minen und Stollen verfügte, durch welche die Majorität sämtlicher metallischer Bodenschätze wurde ausgebeutet. Doch Herakles sah den Augenblick nicht gekommen, die Aufgaben näher zu erläutern, sondern fuhr vielmehr schlichtweg fort:
    "Die Prägung der Aurei?"
    "Mache ich!"
    , preschte diesmalig Licinius voran, weshalb Baebius ihm einen missgünstigen Blick zuwarf, da augenscheinlich die Prägung der wertvollsten Münzen beiden als ehrenvollste der Domänen erschien. Auf die logisch folgende Offerte:
    "Die Denarii?"
    , eilte sich somit der feiste Rittersohn, seine Ansprüche zu erheben und deklarierte:
    "Ich!"
    , sodass neuerlich dem jungen Flavius die restierende Münzenschar verblieb:
    "Sestertii und Assi?"
    "Nun, dies restiert wohl für mich."
    Immer fort sponn sich die Distribution jener Materien, sodass der junge Flavius in nicht geringem Maße sich erstaunte, welche Vielfalt an Obliegenheiten sie in diesem Jahre würde okkupieren. Doch die Fassade der Observanz familiarer Konformität war zu erhalten, so hatte er entschieden. Er würde also parieren und seine Pflicht erfüllen, gleichwohl selbige nichts anderes war denn eine leere, unerquickliche Meinung.

    Der Kommentar hinsichtlich seiner Entscheidung schmerzte gleich einem glühenden Messer, welches in eine brandige Wunde wurde gestoßen, doch jenes Brennen nährte lediglich das Feuer der Renitenz gegen die altklugen paternalen Explikationen. Durchaus mochte Manius Minor seine Ideale unterlaufen haben, doch schon die nächsten Worte offenbarten aufs Neue, wie limitiert das Verständnis Manius Maiors ausfiel, da er doch mitnichten erkannte, dass dem Staate keine weitere Obliegenheit zukam denn die Sicherung von Sicherheit und einer ordinierten Ökonomie.
    Als plötzlich dann die Hand seines Vaters nach ihm griff, entfleuchte ihm vor Schreck ein furchtsames Quieken und er wich, soweit ihm der eherne Griff dies gestattete, zurück, obschon, wie im zweiten Augenschlage ihm gewahr wurde, Manius Maior niemals die Stärke würde aufbringen, ihn physisch zu züchtigen.


    Voll Abscheu über jene paternale Schwäche kalmierte sich der junge Flavius somit und starrte voll von Widersetzlichkeit auf jene Stelle, wo unfehlbar die Augen des älteren Flavius, deren finstren Blick zu identifizieren er außerstande war, mussten verborgen sein. Mochte Manius Maior dafürhalten, jenes obskure Ziel des Bonum commune zu in unterschiedlichem Maße zu realisieren wäre, wo doch in Wahrheit jede Initiative, sei sie flavischer, germanicischer oder iulischer Provenienz, in erster Linie dem eigenen Wohl diente, indem die Reputation ihres Initiators wurde gepflegt. Mochte er hunderte Male erklären, es handele sich beim Engagement des Politikers nicht um eitles Streben nach Macht, die furchtsame Defension des Ansehens, sei es der eigenen Person oder der Familie, die servile Unterwerfung unter die dubitable Tradition des Sammelns von Ämtern. Final ermangelte es seinem Vater schlicht an Mut und Phantasie, wie er bereits unzählige Male hatte erwiesen: Wie er niemals die Hand gegen seinen Sohn hatte erhoben, wie er, anstatt den Usurpator zu befehden und zu den Waffen zu greifen oder zumindest seine Beredsamkeit zu nutzen, um gegen den Vescularius zu intrigieren, feige sich verborgen hatte, so war auch nun er gefangen von jener Furcht vor jedweder Devianz, erbaut auf leeren Meinungen über Tugenden und die Strafen der Götter. Wie zur Konfirmation jener Erkenntnis verflog seine Erregung rasch und er schickte sich aufs Neue an, sich zu retirieren, anstatt jene Disputation auszufechten.


    Starrsinnig verschränkte der junge Flavius die Arme von neuem und reckte trutzig das feiste Kinn, um schlussendlich mit sardonischem Genuss zu erwidern:
    "Und du bist ein glücklicher Mann, nun, nachdem du als Consularis vermeinst den Fluss durchschwommen zu haben?"
    Stets hatte er seinen Vater als einen Mann der Pflicht erfahren, bereitwillig sämtliche Mores Maiorum befolgend und den Obliegenheiten seiner Familie, seines Standes wie seiner Position ergeben erfüllend. Doch niemals hatte er auch nur im entferntesten jene unbetrübte Heiterkeit, jene infantile, doch gerade darum vollkommene Freude und jene ungezügelte Extase gezeigt, welche der junge Flavius im Hause des Dionysios nahezu jeden Tag hatte observieren, ja erfahren dürfen. Er war geneigt zu postulieren, dass Manius Flavius Gracchus ein geachteter Mann war, ein emsig um das Gemeinwohl besorgter Mann oder bisweilen gar gefürchteter Mann. Doch ihn als glücklichen Mann zu bezeichnen sah der Jüngling sich nicht imstande, denn stets verbreitete er eine gewisse Melancholie, die selbst in den Momenten scheinbar größter Ausgelassenheit sich unter das gewöhnlich doch nur sublime Lächeln mischte.
    Und dieser Mann wollte ihm explizieren, an wo das Glück zu finden war und wo man vergebens es jagte?

    Der junge Flavius wusste nicht, ob er die Information, dass auch Tante Catilina diesem Hause den Rücken hatte gekehrt, nachdem sie der flavischen Familia sich angeschlossen hatte, nicht als Konfirmation seiner Hypothese der Begründetheit der similären maternalen Entscheidung zu ponderieren hatte. Freilich hatte die Gattin seines Onkels ebensowenig jene Abstinenz thematisiert oder in anderer Weise eine derartige Distanz offenbart.
    "Sie pflegten ein herzliches Verhältnis, wie es einer derartigen Relation adäquat war."
    So zumindest hatte es sich seinen Observationen zufolge verhalten, obschon er konzedieren musste, kaum von analogen Verhältnissen jemals er hatte Notiz genommen und er ebensowenig zu postulieren imstande war, beide als Freundinnen zu titulieren. Folglich ergänzte er ein wenig insekur:
    "Soweit ich dies zu evaluieren vermag."


    Anstatt jenes überaus sensible Sujet weiter zu vertiefen, kehrte Menecrates jedoch zum eigentlichen Anlass seiner Visite zurück. Der Jüngling räusperte sich, da doch seine folgenden Worte nur partiell der Wahrheit entsprachen, welche doch, würde er sie enthüllen, ihn als einen Feigling hätte offenbart, der seine Einsichten stringent zu verfolgen nicht imstande war.
    "Nun, selbstredend bitte ich dich auch in meinem Namen um deine Unterstützung."
    , sprach er also und mühte sich, sein Zögern nicht zu verraten.

    Am Tage nach der Amtseinführung des neuen Jahres hatte Manius Flavius Gracchus Minor, neu erkorener Tresvir Monetalis, seine neuen Collegae sowie Herakles, den Optio et Exactor Auri Argenti Aeris, in die Villa Flavia Felix geladen, um gemeinsam mit ihnen das kommende Jahr zu planen und die Obliegenheiten ihres neuen Amtes zu verteilen. Als einziger Sohn eines Consularen nahm er den höchsten Rang innerhalb seines Collegium ein, sodass ihm diese Ehre zugekommen war.


    Folglich saßen die Triumviri sowie der Exactor im neuen Officium des jungen Flavius, welches nun, da die Wahl gewonnen und das Amt auf ihm lastete, häufiger genutzt werden würde, um einen runden Tisch.
    "Avete, collegae. "
    , eröffnete Manius Minor die Session und blickte zu seinen Collegae. Beide überragten ihn deutlich, was selbstredend ob der geringen korporalen Höhe keine Kuriosität darstellte, einer von ihnen jedoch auch in der Breite, was nicht selten geschah. Es war Quintus Baebius Lentulus, ein Homo Novus und Sohn eines Eques, welchem der Princeps erst kürzlich den Latus Clavus hatte verliehen, weshalb er nun erst in beachtlich hohem Alter den Lauf der Ehren antrat. Beim weniger voluminösen der beiden handelte es sich hingegen um Publius Licinius Murena, den Sohn des gleichnamigen Praetorius, welcher noch zwei Lenze weniger zählte als der junge Flavius. Die drei hatten bereits im Wahlkampf miteinander konkurriert und waren sich insofern bekannt, weshalb Manius Minor nach einigem Zögern konstatierte:
    "Mir scheint, dass eine Präsentationsrunde obsolet ist. Dies hier ist Herakles, welcher seit langer Zeit in der römischen Münze arbeitet und ihr als Optio vorsteht."
    Er deutete auf den ältlichen Libertus zu seiner Rechten, welcher schon vor Jahren in der Münze seine Dienste hatte geleistet. Nun war er der informelle Leiter jenes Instituts und der wohl Dienstälteste seiner Angestellten, womit er in den Augen Manius Minors geradehin als Antithese seines mit ewiger Jugend gesegneten mythischen Namensvetters erschien: Anstatt Muskeln zierte schlaffe Haut die Arme des Greisen, anstatt markanter Züge Falten sein Antlitz, anstatt vollem Haar eine Glatze den Scheitel. Herakles beugte sich vor und deutete eine Verneigung vor seinen neuen Dienstherren an, um sodann zu beginnen:
    "Avete. Ich arbeite schon seit langer Zeit für die Münze und kenne sie wohl so gut wie kein anderer. Die Aufgaben, die dort anfallen, sind sehr vielfältig: Von der Beschaffung des Rohmaterials über Einkauf und die Übernahme aus Tributzahlungen über die Bestimmung der Motive bis hin zur Prägung. Von der Instandhaltung der Gebäude und Transportmittel bis zur Auswahl der Staatssklaven und Angestellten."
    "Nun, dann sollten wir die Aufgaben wohl am besten distribuieren."
    , vermerkte Manius Minor, um so eilig als möglich jene unerquickliche Okkupation hinter sich zu bringen, denn obschon er noch niemals in der Administration der Urbs Aeterna hatte gearbeitet, so war er doch bereits überaus sekur, dass jene Obliegenheiten ihm nicht im geringsten Lust würden bereiten.
    Selbstredend übernahm Herakles die Nennung der Aufgaben, über welche der flavische Jüngling sich ob seines limitierten Interesses ohnehin bisherig nur sporadisch hatte kundig gemacht:
    "Dann beginnen wir mit dem Grundlegenden: Jemand müsste die sich um die Instandhaltung der Münze sorgen."
    "Das könnte ich übernehmen."
    , replizierte Baebius, dessen Vater bekanntermaßen zahlreiche Bau-Unternehmungen in der Urbs organisierte.
    "Die Zuweisung der Tributzahlungen?"
    "Darum könnte ich mich kümmern."

    Dem Usus gemäß hatte das Gesinde dem ältesten Spross des Hausherrn seine favorisierte Pâtisserie gebacken: Ein superdimensionierter Käsekuchen, flach und triefend von Honig, dekoriert mit Mohn und besetzt von zwanzig Cerei, die bereits brannten, um die Lenze des Jubilars anzuzeigen. Größte Lust hätte es dem Jüngling bereitet, sich bereits jetzt ein Stück jener Köstlichkeit zu genehmigen, welche so seduktiv vor seinem Antlitz wurde präsentiert.


    Doch fortunablerweise vermochte er ebenso sein durch die Zwänge der Traditionen und missbilligenden Worte seiner Anverwandten geknechtetes materielles Ich hinter sich zu lassen, und beschwingt vom Opium schlichtweg über sich zu schweben gleich einem Geist, welchen die Sorgen und Nöte der Sterblichen nicht im minimalsten tangierten. Ein wenig desorientiert flog er folglich hinüber zum Lararium, wo Iuppiter Liber, dessen Standbild seit jeher ihm konfident an seinem Ehrentage entgegenblickte, ihn bereits erwartete. Zumindest, so ließ sich doch konzedieren, handelte es sich bei jenem Wesen um eine der verträglicheren Imaginationen göttlicher Mächte, symbolisierte der Göttervater in jener Gestalt doch üppige Abundanz und Freiheit, folglich zwei Aspekte, welche durchaus auch dem Epikureer zur Lust mochten gereichen.
    Versöhnt von der Wirkung seinem Morgenmahl blickte er somit selig lächelnd auf den Schemen, dessen Gestalt ihm aus Kindertagen noch wohl präsent war, gedachte seines Füllhornes und des Lorbeerkranzes, welcher ihn an die Festivitäten im Hause des Dionysios gewahrte, wo nicht selten sie bekränzten Hauptes sich dem Trunke hatten ergeben.
    "Iup'ter Li'r, Va'er des Überfl'ss'."
    Erst jetzt wurde dem flavischen Jüngling gewahr, dass seine Kapazität zu sprechen augenscheinlich durch den nunmehrig formidablen Rausch war gemindert, ja seine Artikulation gar dem linguistischen Defekt seines Vaters nach dessen Krankheitsschube approximierte. Doch erfüllte dies konträr zu den Familiaren und Klienten der Gens Flavia ihn mitnichten mit Beunruhigung, da dies doch die Qualität seiner Sprache weder für ihn selbst, noch für das Erdenrund ein notables Problem repräsentierte.
    "h'te st'h ich vord' 'nd b't' um d'nen Sch'tz. H're m'ch h'te, da 'ch zw'nzig L'nze zähle."
    Erfreut nahm er Notiz von der korrekten Artikulation des letzten Wortes und interrumpierte seine Oration, um für einen Augenschlag versonnen zu lächeln.
    "W' W'rauch z'm H'mm'l st'gt, so st'ge m'n G'b't zu d'r auf."
    Nicht komplett Herr seiner motorischen Fähigkeiten griff er mit einer fahrigen Bewegung in die dargebotene Acerra, führte die Hand, unzählige jener bunten, wohlriechenden Steine verstreuend, zum Foculus und ließ sie endlich auf die Kohle stürzen.
    "S't zw'nz'g Jahren w'chst du m't L'r'n 'nd P'n't'n üb'r d's Haus 'nd m'ch. D' v'rl'hst m'r Kr'ft 'nd Fr'h't.
    N'mm d's'n Weeiin-"

    Letzteres Wort artikulierte er mit gesonderter Diligenz, was lediglich zur Folge hatte, dass es lauter und lallend in den Ohren der Umstehenden erklang. Nicht minder desavourierend wirkte indessen das Trankopfer, da er außerstande sich sah die Patera gerade zu halten, sodass mehr Wein den Mosaikboden benetzte als das Herdfeuer erreichte.
    Dessenungeachtet und jene Lage ohnehin gänzlich neglegierend fuhr der junge Flavius fort:
    "N'mm d's'n l'ck'r'n K'ch'n, w'lch'r zw'f'lsohn' s'hr g't sch'm'ckt!"
    Mit beiden Händen deutete er auf den bereits auf dem Altar drapierten Kuchen und fuhr sich voluptös mit der Zunge über die Lippen in der Begierde, jene Speise baldig zu verzehren. Doch verspürte er sogleich Patrokolos' Hand an seiner Schulter, weshalb er sich zügelte und fortfuhr:
    "'fd'ss 'ch d's'n Tag noch l'ng b'geh'n k'nn."
    Sein Diener reichte ihm final einen Blumenstrauß, welchen Manius Minor zu inspizieren selbstredend außerstande war, was ihm in jener Situation jedoch überaus deplorabel erschien, sodass er gleichsam als Indemnisation die Augen schloss und lustvoll an den Blüten schnupperte, ehe er das Gebinde auf dem Altar platzierte.
    "'hr P'n't'n 'nd L'ren, 'hr M'r's! N'hmt d's' Bl'men 'ls g'r'cht' G'b' 'nd w'cht 'b'r m'ch, 'fd'ss 'ch d's'n Tag noch l'ng' Z't beg'h'n k'nn!"
    Fortunablerweise hatte der Jüngling seine Stimme nicht übermäßig erhoben, weshalb lediglich die vorderste Reihe der Attendenten seine artikulatorische Inkapazität mochte observiert haben.
    Manius Minor jedoch bekümmerte jener beschämende Auftritt noch immer nicht. Vielmehr wandte er sich (zumindest nach rechts) um und blickte in die Visagen seiner Familiaren.
    "'ch d'nke 'ch l'g' m'ch n'ch 'tw's h'n!"

    Konträr zu den übrigen Adepten des Cursus Honorum, welche heute an seiner Seite das Vigintivirat antraten, verspürte der junge Flavius weder Stolz, noch Freude an jenem Tage, da er in ihrer Reihe sich auf dem Forum präsentierte. Äußerlich similär zu ihnen prächtig herausgeputzt im Staatskleide der Jungsenatoren, verspürte er doch innerlich eine gewisse Leere, als er seinen Eid sprach:
    Ego, Manius Flavius Manii Filius Gracchus Minor, hac re ipsa decus Imperii Romani me defensurum"
    Was mochte sie sein, die Glorie des römischen Imperiums? Welchen Sinn sollte es generieren, sie zu defendieren und wie mochte er jene Maxime als Münzmeister realisieren?
    "et semper pro Populo Senatuque Imperatoreque Imperii Romani acturum esse sollemniter iuro.
    Ego, Manius Flavius Gracchus Minor, officio Triumviri Auro Argento Aere flando feriundo accepto, Deos Deasque Imperatoreque Romae in omnibus meae vitae publicae temporibus me culturum, et Virtutes Romanas publica privataque vita me persecuturum esse iuro.
    Ego, Manius Flavius Gracchus Minor, Religioni Romanae me fauturum et eam defensurum, et numquam contra eius statum publicum me acturum esse, ne quid detrimenti capiat iuro."

    Jene Passage bereitete ihm den größten Degout, da doch der Cultus Deorum und gleichsam der Cultus Virtutum nichts anderes war denn ein Eilen war in der Hatz nach leeren Meinungen und fort von iirrigen Ängsten. War es nicht eine weitaus plausiblere Realisation jenes Eides, den Göttern in ihrer Neglegenz der sterblichen Belange nachzueifern, denn den ridikulösen und doch lustfernen Normen der Religio Romana?
    "Ego, Manius Flavius Gracchus Minor, officiis muneris Triumviri Auro Argento Aere flando feriundo me quam optime functurum esse praeterea iuro.
    Meo Civis Imperii Romani Honore, coram Deis Deasque Populi Romani, et voluntate favoreque eorum, ego munus Triumviri Auro Argento Aere flando feriundo una cum Iuribus, Privilegiis, Muneribus et Officiis comitantibus accipio."


    Nachdem Manius Minor seinen Eid hatte vollendet, blickte er fragend hinab zu jener Stelle, wo er Manius Maior vermutete, welcher heute zweifelsohne voller Stolz sich präsentierte, damit gleichsam jene Büchse der Pandora eröffnend, die jene insaturable Begierde nach immer neuen Triumphen seines Erstgeborenen repräsentierte. Von diesem Tage an würde dem Jüngling nimmer mehr Relaxation vergönnt sein, solange der Vater unter den Lebenden weilte.

    Irresistibel schritt die Zeit voran, doch ebenso irresistibel offerierte sie dabei einen impermeablen Kreislauf, welcher Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr und Phase für Phase wieder Similäres offerierte. Manius Minor war herangewachsen in jenem hermetischen Zirkel, hatte Rom den Rücken gekehrt, jedes Mal involontär, doch stets war er zurückgekehrt, um jenes gleichförmige Leben neuerlich auf sich zu nehmen, welches von frühester Kindheit ihn umspannte, barg und zugleich fesselte. Innerhalb jener Periodizität ereilte ihn auch die alljährliche Feier seines Wiegentages an den Kalenden des September, die seit jeher in traditionaler Weise in der Villa Flavia Felix war zelebriert worden.


    Auch nun, da er als neuer Mensch in sein Vaterhaus war zurückgekehrt, war er jenem Protokoll unterworfen, obschon er weder die Existenz eines Genius, dessen Feier das römische Anniversarium eigentlich darstellte, noch die Necessität ein Opfer zu Ehren anderweitiger Wesenheiten als sinnvoll erachtete. Einer kurzen Disputation zwischen Manius Maior und Minor hatte es bedurft, jene Obliegenheit zu klarifizieren, doch da es als gänzlich inadäquat musste erscheinen, wenn ein Pontifex und designierter Magistratus Minor seinen Ehrentag ohne einen Salut an die Adresse der Unsterblichen zelebrierte, hatte der Vater den Sohn endlich übermächtigt und diesem abgerungen, dem Usus gemäß sich zu verhalten.


    Dennoch wagte der Jüngling, jenes Ritual zumindest in solcher Weise zu disturbieren, als dass er an diesem Morgen nach dem Erheben einen Becher von Opium zu sich nahm, sodass er jene familiare, doch nicht inkommode Schwere verspürte, als er kurz darauf das Atrium aufsuchte, um die Gratulationen seiner Anverwandten zu akzeptieren. Doch nicht nur psychisch zeigte der Thanatos-Trunk seine Wirkung, auch die Physis des jungen Flavius offenbarte seine Berauschtheit: Seine Augenlider waren halb geschlossen, sein Gang träge und schwankend einem Schlafwandler gleich. Doch immerhin gewährte jene innere, doch auch äußerlich schweißtreibende Wärme eine Gleichmut und Saturiertheit, welche ihn über die Heteronomie seines eigenen Festtages hinwegtröstete.

    Noch immer blickte der junge Flavius auf den Latus clavus auf der Tunica des Iulius, welchen er zu identifizieren nicht imstande war, obschon er doch vor seiner Bildungsreise noch dessen Eheschließung höchstselbst hatte beigewohnt. In der Tat vermeinte er auch, die Silhouette und den Habitus bereits irgendwoher zu memorieren, doch wagte er nicht, Patrokolos in jener trauten Sphäre, in welcher kaum ein Flüstern den übrigen Studenten mochte entgehen, um seinen Rat zu bitten.


    Dessenungeachtet mühte sich der greise Magister, die Disputation seiner Jünger zu reanimieren und zugleich die Neuankömmlinge zu inkludieren, weshalb sogleich er bat, jene mögen als erste ihre Kenntnis kontribuieren, was sogleich die höchst unepikureische Ambitionen des jungen Flavius erweckte, seine rhetorische wie philosophische Exzellenz unter Beweis zu stellen.
    Mit einem furchtsamen Blick in Richtung des vermeintlichen Senators wagte er indessen nicht, sich des naheliegendsten der gestellten Themen anzunehmen und die Existenz der Götter zu kritisieren, weshalb schlussendlich er sich für ein Plädoyer zugunsten der Wahrhaftigkeit der aisthesis entschied:
    "Die aisthesis, die Wahrnehmungen unserer Sinne, bilden die Basis jeder Wahrheit, da independent von Vernunft und Irrtum sie die eidola, jene atomischen Konterfeie aller Marterie, aufnehmen. Erst der Verstand mag auf ihrer Basis irren, indem er diese irrtümlich zu prolepseis, den Vorbegriffen, klassifiziert. So mag ich eine wahre Wahrnehmung fälschlich interpretieren, doch bleibt die Wahrnehmung korrekt.
    Nähmen wir hingegen an, dass die Sinne selbst uns betrögen, so wäre keinerlei rationale Hypothese zu bilden, da jeder Begriff von Vernunft oder Wahrheit notwendig eine prolepsis darstellt, welche auf sinnlicher Wahrnehmung beruht. Zweifle ich jedoch an ihr, so muss ich ebenso an meinem Begriff zweifeln, womit jedwede Philosophie a priori ad absurdum wäre geführt."

    Erwartungsvoll blickte er hinauf zu der impressiven Gestalt des Praetonius in Erwartung einer Reaktion, dann hinüber zu jener augenscheinlichen Medica, welche in diesem Zirkel wohl die Advocata Diaboli repräsentierte.

    "Mein Vater spricht stets mit höchstem Respekt von deinem Großvater."
    , erwiderte der flavische Jüngling leutselig, was durchaus der Wahrheit entsprach. Als Plebejer war dem jungen Decimus das Tribunat inevitabel, doch ob der stolzen militärischen Tradition seiner Gens war dieses Amt wohl ohnehin obligat. Nicht nur einem Patrizier, auch dem Spross eines derart nobilitären Geschlechts war wohl kaum eine Option geblieben, sodass jenes Tirocinium similär zu seinem gesamten Lebensweg bereits war fest definiert, womit Scipio gleichsam zu einem Leidensgenossen wurde.
    Jene Einsicht stimmte ihn mitleidig, zumal der Jüngling womöglich noch nicht einmal um die Sinnlosigkeit jenes Lebens wusste, welches ihm im insaturablen Streben nach mehr Macht, mehr Geld und mehr Ansehen ihm mehr Unlust denn Lust würde bereiten. Für einen Augenblick bedachte er den Tiro deshalb mit einem bedauernden Blick, ehe er sich neuerlich ein Lächeln abrang und wieder den Purgitius fixierte.
    "Ebenso von Consular Purgitius, welcher dich zweifelsohne vortrefflich dafür wird präparieren, in die Fußstapfen deines Großvaters zu treten."

    Die Erregung augmentierte sich von Schritt zu Schritt, während Manius Minor das beschauliche Häuslein durchschritt und final den Garten erreichte, wo bereits eine Schar an Jüngern sich um den Meister hatte versammelt. Obschon die gesamte Situation geradezu konträr sich zur ausgelassenen Stimmung des Hauses des Dionysios verhielt, erschien ihm die ruhige und gelehrte Atmosphäre durchaus attraktik. Auf einem Stein thronte das augenscheinliche Haupt des Zirkels, irritierenderweise keineswegs jenen lebensfrohen Wandel verkörpernd, welchen der junge Flavius als den epikureischen hatte erfahren, sondern vielmehr asketisch und in simple Gewänder gehüllt, was ihn geradezu als Inkarnation jenes Weisen ließ erscheinen, der Manius Minor nicht zu sein vermochte. Während der junge Flavius in grässlicher Dependenz von den irdischen Gütern gar hatte das Los eines närrischen Sklaven familiarer Traditionen hatte erwählt, erfreute der Praetonius erkenntlichermaßen sich an der reinen Philosophe und der gelehrten Disputation, welche er selbst für den Sohn eines Senatoren nur kurz interrumpierte.
    "Wie erwähnt ist mein Name Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des Consulars Manius Flavius Gracchus. Ich studierte bis vor kurzem am Museion zu Alexandreia die Philosophie des großen Epikur bei Aristobulos von Tyros. Zugleich schloss ich mich einem Philosophenzirkel an, weshalb ich nun auch hier in Rom die Philosophie nicht missen lassen möchte."
    , introduzierte sich der Jüngling ein wenig weitschweifig, um sogleich seine Intentionen wie philosophischen Qualifikationen zu offenbaren, obschon nun, da er in die Reihen blickte, die pseudogelehrten Disputationen in der Runde der Myrmidonen geradehin ridikulös erschienen, zumal neben Epimenides kaum einer der Disputanten zu sonderlich profunden Kommentaren war imstande gewesen.


    Auch Patrokolos ergriff das Wort:
    "Ich bin Patrokolos, der Diener"
    Mit sichtlicher Insekurität blickte der Sklave zu seinem Herrn, um sodann seine Relation zu ergänzen:
    "und Freund von Manius Flavius Gracchus Minor. Auch ich durfte in Alexandreia mit den Freunden meines Herrn diskutieren und interessiere mich ebenfalls für die Philosophie."


    Doch augenscheinlich war Chairedemos nicht gewillt, sich mit den Flüchtigkeiten von Namen und Professionen aufzuhalten, denn schon ging er in medias res und forderte seine neuen Schüler, als welche der junge Flavius sich mit der zweiten Frage verstand (so es sich nicht um eine Prüfung seiner philosophischen Kapazitäten handelte), zur Anteilnahme an der aktuellen Thematik auf. Fortunablerweise hatte Manius Minor indessen seinen Kurs zu Alexandreia nicht vergebens mit einer Diploma beendet, sodass er nicht ohne Stolz erwiderte:
    "Durchaus! Weder das Schicksal, noch alternative Interventionen der Unsterblichen in die Welt der Lebenden erscheinen mir konform mit der Lehre Epikurs. Hingegen will ich doch den Sinnen trauen, da sie doch den similären Zugang zur Welt repräsentieren, welchen wir besitzen."
    Hoffnungsvoll blickte er in die Runde der Philosophen in der Hoffnung, jene erste Prüfung mit Bravour bestanden zu haben. Ob der Nähe vermochte er die Antlitze der Schüler nicht zu identifizieren, doch ein Schreck durchfuhr ihn, als er zwischen ihnen eine Tunica Laticlava ausmachte, welche zweifelsohne dem Spross, respektive eher Manne aus senatorischem Hause zu attribuieren war.

    Die Impertinenz, mit welcher Manius Maior sich anschickte, ihn, der für nunmehrig beinahe zwei Jahre nichts anderes denn die Lehren Epikurs nicht nur studiert, sondern auch gelebt, über die Interpretation jener Weisheiten zu belehren, erzürnte Manius Minor, zumal sogleich seine Explikationen offenbarten, wie partiell jenes Verständnis reichte, da er von Bestimmungen und Kapazitäten zu fabulieren begann, welche für einen Epikureer allenfalls von peripherem Interesse mussten sein.
    "Wenn auch die Sicherheit vor den Menschen bis zu einem gewissen Grad auf der Grundlage einer festgefügten Macht und auf der Grundlage guter wirtschaftlicher Verhältnisse gewährleistet ist, so erwächst doch die deutlichste Sicherheit aus der Ruhe und dem Rückzug vor den Leuten."
    , rezitierte er folglich jene Negation der paternalen Argumentation, zugleich den Hochmut seines Vaters refutierend, welcher die Weisheit des einzig wahren Weisen in das Prokrustesbett seiner limitierten Ideologie, jenes irrsinnigen Konstruktes aus leeren Meinungen und infantilen Ängsten, zu pressen.
    "Jene vermeintlich minder qualifizierten Narren scheinen die Funktionen des Staates hinreichend zu garantieren. Welchen Sinn sollte es also haben, seinen Nutzen zu augmentieren, indem man sich in jenen See stürzt, den du für eine Bestimmung, Epikur jedoch eher ein stürmisches Gewässer hält, welches jeden Schwimmer letztlich ertränkt?"
    Eben jenen Aspekt der epikureischen Dogmatik hatten die Myrmidonen, welche nahezu sämtlich aristokratischen Häuser entstammten und folglich similär selbst von der Perspektive waren bedroht gewesen, von ihren ambitiösen Vätern in das Haifischbecken der Politik gestoßen zu werden, ausgiebig disputiert, sodass der junge Flavius diesmalig vortrefflich war präpariert, seinen Vater in die Schranken seiner limitierten Epikur-Rezeption zu verweisen.
    "Der Tag, an welchem Politik, das Spiel um Macht und Influenz mir Lust bereitet, wird der erste sein, an welchem ich mich zum Sklaven jener inexhaustiblen Begierde nach einem steten Mehr an Macht, Geld, Ämtern und Ansehen mache, ohne jemals sie vollkommen stillen zu können. Der See mag mich nähren, doch niemals sättigen!"
    Hostil verschränkte er seine feisten Arme vor der Brust. Insonderheit missfiel ihm, dass der ältere Gracchus es wagte zu antizipieren, was ihm Freude oder Lust mochte bereiten, da doch niemals er seinem Dafürhalten irgendein Interesse für die Bedürfnisse und Wünsche seines Sohnes hatte gezeigt, ja stets in paternaler Manier die Entscheidungen für ihn getroffen hatte und bis auf den heutigen Tag traf. Auch jene Akkusation fühlte er sich genötigt zu verbalisieren, da das Opium die Barrieren der Moderation doch hatte annihiliert:
    "Dessenungeachtet: Was weißt du, was mir goutiert?"

    Die emotionalen Regungen seines Gegenübers verschwammen in der Insuffizienz des flavischen Augenlichtes, derhalben ihm das Amusement des Senators entging und er lediglich die Replik bedachte, welche ihm prinzipiell selbstredend keine Novität war gewesen, da er doch vielmehr hatte erhofft, vonseiten des Experten eine differente Einschätzung zu erhalten, deren Befolgung es ihm hätte gestattet, ohne Translokation für eine längere Phase in einem tribunizischen Amte zu verweilen.
    Selbstredend erschien es indessen keineswegs adäquat, jene Gedanken zu verbalisieren, was ihn neuerlich einen Augenschlag ließ nach Worten ringen, ehe der Purgitius selbst einen Jüngling einband, welcher bisherig sich nicht hatte vorgestellt und den der junge Flavius folglich als einen jener zahllosen servilen Geister hatte erachtet, die naturaliter zur Entourage eines Consulars waren zu zählen. Sein Blick traf somit den augenscheinlichen Decimus, welchen er bisherig mit Ignoranz hatte gestraft, mit sichtlicher Sympathie, um sodann dem Consular die Option zu bieten, seinen vermutlichen Tiro fori zu introduzieren:
    "Verzeih, jener junge Mann gedenkt ebenfalls den Cursus Honorum zu beschreiten?"
    Immerhin implizierte doch die Aussage Macers, seine Rat gelte für jenen fremden gleichsam wie für den flavischen Jüngling, dass jener in similärer Position sich befand.

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer
    Macer hatte den Eindruck, dass der junge Flavier nun ein wenig lockerer wurde. Zumindest wurde er etwas gesprächiger, verglichen mit seinen ersten Antworten. Und dazu schien er dann noch dem Militär auf eine Weise zugeneigt, die Macer gar nicht erwartet hatte. "Ja, so ist es in der Tat. Deshalb hat man ja auch die Academia Militaris, die ich leiten durfte, wieder abgeschafft, da sie die angehenden Offiziere nur leidlich gut auf den Dienst vorbereiten konnte. Ein Tribunat unter einem erfahrenen Kommandeur ist diesbezüglich wesentlich ergiebiger. Und es erweitert auch ganz allgemein den Horizont", betonte Macer noch einmal die Vorzüge der Praxis. "Auch ein zweites Tribunat kann nicht schaden, vorzugsweise in einer anderen Gegend des Reiches. Die Gegebenheiten sind manchmal doch unterschiedlicher, als man denkt. Und mehr Erfahrung erhöht natürlich auch die Chancen, später tatsächlich für ein Kommando berücksichtigt zu werden", fügte er dann noch weitere Empfehlungen an.


    Theorie und Praxis erschienen dem jungen Flavius gleichermaßen müßig, da ihm doch der Kriegsdienst schlichtweg als Contradiktion zum ersten des vierfachen Heilmittels erschien, das da lautete: Ein glückliches und unvergängliches Wesen hat weder selbst Schwierigkeiten noch bereitet es einem anderen Schwierigkeiten. Daher hat es weder mit Zornesausbrüchen noch mit Zuneigung zu tun; denn alle Gefühle dieser Art sind Zeichen von Schwäche.
    Das Führen von Kriegen hingegen war schließlich durchaus als amplifizierte Form des Bereitens von Schwierigkeiten zu ponderieren und somit für den wahren Epikureer zu exkludieren. Indessen, so man ohnehin die Maske der Tugend zu tragen war genötigt, bot der zweite Kommentar gar die Option, für längere Zeit der Narrheit Roms zu entfleuchen, weshalb er schlussendlich, da ohnehin die Academia Militaris ihm lediglich aus Narrationen seines Onkels Aristides war geläufig, diesbezüglich sich nunmehr informierte:
    "Welche Dauer sollte ein dergestaltes Tribunat deines Erachtens denn umfangen, um eine profunde Instruktion in die Kriegskunst zu garantieren?"
    Womöglich würde die Replik ihm eines Tages als Argument gegen die paternale Forderung, sich neuerlich dem ridikulösen Lauf der Ehren zu entziehen, von Nutzen sein.

    Zitat

    Original von Narrator Italiae
    Einer der beiden Haussklaven öffnete die Tür, als es mitten am Tag dort klopfte. Vor ihm standen ein dicker Römer, offensichtlich ein Senatorensohn, und sein Begleiter.
    "Ja bitte?"
    fragte er.


    Erschrocken blickte der junge Flavius in das Antlitz des Sklaven, beinahe als jener ihn bei dem infantilen Jux ertappt, willkürlich an Pforten zu klopfen, um sogleich sich zu verbergen und sich über den Zorn der genarrten Öffner zu amüsieren. Neuerlich ergriff Patrokolos die Initiative und erklärte:
    "Wir suchen Praetonius Chairedemos und seinen Philosophenzirkel. Wir haben Interesse, uns ihm anzuschließen."
    Jene Worte erschienen Manius Minor reichlich prätentiös, da doch der Wunsch, sich einem epikureischen Kreise anzuschließen, leichtlich war misszudeuten in der Hinsicht, sein Leben hinter sich zu lassen, um gänzlich dem freien Philosophieren sich zu widmen, was die beiden ja keineswegs im Sinne hatten. Indessen stellte sich die Frage, warum jene Option nicht zu ergreifen wäre, so sie sich darbot. Womöglich handelte es sich bei dem Praetonius um einen Mäzen, similär zu Dionysios in Alexandreia, welcher von seinem reichen Erbe seine Freunde und Jünger auszuhalten im Stande war. Zweifelsohne eine bessere Perspektive, als sein Leben einer Lüge zu widmen, sich Tag für Tag mit der Unlust politischer Aktivitäten zu torquieren, um lediglich insgeheim den wahrhaften Einsichten zu frönen.
    Der Jüngling richtete sich auf und ergriff allen Mut.
    "Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor und dies ist mein Freund Patrokolos."
    Warum sollte er es nicht einfach wagen? Welche Konsequenzen fürchtete er, wessen mochte er verlustig gehen? Würde jene illustre Runde ihm nicht zusagen, würde er sich schlicht retirieren und sein tristen Leben weiter fristen.

    Bange folgte der junge Flavius dem greisen Claudius hinüber zu der Sitzgruppe, auf welcher Menecrates nun augenscheinlich zumindest gedachte, ihn einem Anverwandten adäquat zu empfangen. Noch immer war er hingegen voller Konfusion über die mirakulöse Replik, welche doch Übles verhieß, weshalb er beschied, sich trotz der Stunde mit einem Becher Weines zu kalmieren (eine Eigenschaft, welche er während der teils zu früher Stunde beginnenden Gelage im Hause des Dionysios hatte entdeckt).
    "Einen Becher Wein, bittesehr."
    , murmelte er daher und interpretierte in furchtsamer Erregung selbst die Refutation seines Gastgebers, selbst etwas zu trinken und damit womöglich genötigt zu sein einem Flavius zuzuprosten, als böses Omen.


    Nichts präparierte ihn hingegen für die nunmehrige Deklaration seines Opponenten, denn in der Tat traf ihn jenes maternale Meiden der eigenen Anverwandten als gänzliche Novität, vermochte er weder sich derartiger Äußerungen oder einschlägiger Situationen zu Antonias Lebtagen zu entsinnen (obschon dies sein Unvermögen, gemeinsame Reminiszenzen mit Menecrates zu entdecken, erklären mochte), noch hatte Manius Maior ihn diesbezüglich gewarnt. Er war dem infortunablen Varus gleich in das offene Messer gelaufen, was ihn doch zutiefst beschämte und seine Wangen rubrizierte.
    "Das... war mir nicht bekannt."
    , presste er hervor, gleichsam als Defension seiner ahnungslosen Deklaration, doch reuten ihn jene Worte sogleich, da es doch von profunder Ignoranz der eigenen Familia zeugte, wenn es dem Erstgeborenen zur Gänze entging, dass seine eigene Mutter ihre Cognaten niemals aufsuchte. Deplorablerweise war jedoch eben dies augenscheinlich der Fall gewesen, hatte der flavische Knabe niemals auch nur irgendeine Irregularität innerhalb der parentalen Relationen geargwöhnt und somit nie die Frage gestellt, warum niemals ein Onkel Menecrates zu den familiaren Festivitäten war erschienen, während eine schier unerschöpfliche Zahl flavischer Oheime sich dort hatte getummelt. Dennoch war er nicht gewillt, das ideale Bild seiner geliebten Mutter ob jenes simplen Faktums zu verdunkeln (da doch ein cordiales Verhältnis zu sämtlichen Anverwandten zu den indisputablen Normen matronalen Verhaltens, welches Claudia Antonia wie keine Zweite hatte inkorporiert), da doch durchaus gute Gründe mochten bestehen, einem Gentilen die Verwandtschaft aufzukündigen.

    "Ist es dieses Haus?"
    , fragte der junge Flavius furchtsam und ergriff den Arm seines Dieners Patrokolos ein wenig fester, als sie durch jene ihm gänzlich infamiliare Gasse wandelten, welche ihren Informationen zufolge die Heimstatt eines Philosophenzirkels beherbergte, der seit vielen Jahren der Lehre Epikurs war verpflichtet und stets eine offene Pforte für all jene darbot, die ein Interesse für jenen durchaus populären Antipoden der gestrengen Stoa hegten. Auch Manius Minor war in Alexandreia zu jener durchaus konzisen Lehre konvertiert, obschon Manius Maior ihm hatte geboten, sich der epikureischen Lebensweise ab- und der Vita activa zuzuwenden, was der Jüngling in Furcht um die Annehmlichkeiten seines aristokratischen Lebens äußerlich hatte akzeptiert, innerlich jedoch seitdem bitterlich bereute und lediglich im Konsum des Opiums zu ertränken vermochte. Als indessen eines Tages Patrokolos ihn hatte informiert, dass unweit der Villa Flavia Felix jener Kreis des Chairedemos existierte, hatte nach länglichem Zögern er beschieden, seinen immer drängenderen Durst nach dem Tetrapharmakon, welcher durch seinen beständigen Verrat an der Weisheit seines Heroen immer vehementer brannte, zu stillen, indem er zumindest es wagte, einmalig jenen präsumierten Garten Eden der Philosophie zu visitieren.
    "So weit ich weiß, ja. Aber es gibt nur eine Option, es herauszufinden."
    Ehe noch sein Herr zu intervenieren imstande war, klopfte der Sklave an die Pforte des Hauses.

    Wie schon viele Male, so offendierte Manius Minor auch diesmalig der despektierliche Kosenamen, mit welchem Manius Maior ihn unbeirrt titulierte, obschon seit der mehr als eine Dekade zurückliegenden Geburt von Titus bereits er nicht mehr der Jüngste der Flavii Gracchi war, zweifelsohne auch nicht mehr, respektive noch nicht der Kleinste unter ihnen, ja er gar vor einigen Jahren seine Liberalia hatte gefeiert und nun augenscheinlich bereits ein politisches Amt errungen. Und als sei er ein kleiner Knabe, welchem durch einige joviale Gesten all jene Jahre der Distanz, jene Absenz in den kritischsten Phasen seines Lebens vergessen zu machen wären, platzierte er sich auch noch auf seinem Bett, jenem Refugium, in welchem so häufig er den Trost vor eben jener paternalen Kälte hatte gesucht.
    Doch er war kein Knabe und nicht bestrebt, sich durch jenen Moment der Zugänglichkeit täuschen zu lassen, weshalb er, um zumindest okulare Äqualität zu produzieren, sich in seiner Liegestatt aufsetzte, obschon auch jenes Unternehmen lediglich von beschränktem Erfolg war gekrönt, da seine geringe Körpergröße doch auch im Sitzen nicht an jene des Vaters heranreichte, sodass letztlich auch nun letzterer auf ersteren hinabzublicken imstande war. Trutzig blickte er jedoch zumindest in jene Region, in welcher er die Augen des älteren Gracchen vermutete, und ebenso trutzig war sein Tonfall, als er unwirsch replizierte:
    "Was weißt du schon über die Lehren Epikurs?"
    Innerlich konnte er sich jedoch einer gewissen Admiration nicht erwehren, denn die paternale Frage mochte nahezu als eine Rezitation des fünften Lehrsatzes seines Meisters gelten, so man Einsicht zum Synonym der Vernunft, Vollkommenheit hingegen mit Anstand wollte äqualisieren. Die Interpretation, ein politisches Amt als Conterpartie für die Annehmlichkeiten seines bisherigen Lebens zu erachten, war hingegen gänzlich ridikulös, was in ihm die Ambition erweckte, zumindest in jenem, ihm so familiaren Feld mit seinem Vater eine Schlacht zu wagen, welche ihm schon jetzt verhieß zu triumphieren:
    "Dessenungeachtet, welchen Nutzen sollte der Welt aus mir als Vigintivir, Quaestor oder Consul erwachsen, wo doch so viele nach diesen Ämtern streben, welche selbige mit größerem Ansporn und mehr Lust würden ausfüllen?"
    Mochte es eine langfristig maliziöse Begierde sein, dem Ruhm der Welt nachzujagen, so verschaffte sie doch zumindest für den Moment eine Lust, die nur dem kenntnisreichen Epikureer, welcher die langfristigen Konsequenzen der Freude an jener Droge der Macht konsiderierte, als vergiftet musste erscheinen.

    Das Opium dämpfte noch seine Reflexe, weshalb Manius Minor zwar erschrak, doch keine corporalen Regungen zeigte, als unerwartet Manius Maior sein Cubiculum erstürmte, um voller Euphorie, ja geradehin inspiriert das Resultat der Wahlen hinauszuposaunen, uneingedenk des Faktums, dass eben jenes Ergebnis, welches in den Augen des Vaters glorios und vor der Welt als Triumph mochte gelten, in den Augen des Sohnes einen Verlust repräsentierte, die Privation von jedweder Hoffnung, das folgende Jahr zumindest in einiger Ruhe zu fristen und sich, so nicht coram publico, doch zumindest im Stillen den Studien des großen Philosophen zu widmen.


    Trübsinnig hob er daher die Augen, fixierte jenen ihm zustrebenden und dadurch immer verschwommener ihm erscheinenden Schemen, beinahe Reue dabei empfindend, jene infantile Freude durch seinen Missmut zu destruieren:
    "Nein. Ich vermag mir erstreblicheres zu ersinnen, als das folgende Jahr in Knechtschaft zu fristen."
    Unbedacht waren jene Worte zwar, doch das Opium hatte den Geist des Jünglings benebelt, hatte ihm nicht nur die Empfindsamkeit für den Schmerz, sondern ebenso jene für die Furcht geraubt, sodass er geradewegs seine Gedankenströme verbalisierte, zumal es ihm durchaus defendabel erschien, selbige seinem Vater zu offenbaren, da doch er nicht mehr als sein Placet zur Erhaltung der flavischen Fassade gegeben zu haben vermeinte, während sämtliche Aktivitäten hinter derselben niemals Teil ihres Arrangements waren gewesen.

    Weder war der junge Flavius bestrebt, das Joch der Responsabilität für eine Schar armer Tölpel auf sich zu nehmen, noch das Vita dulcis Romas gegen die Nachbarschaft feindseliger Völker, widrige klimatische Bedingungen und riskante Reisen zu tauschen, doch zumindest vermochte er noch, sich der Faszination des Kriegsdienstes zu entsinnen, welche er in jenen längst verflossenen Tagen hatte verspürt, als noch die Konstriktionen nobilitärer Geburt nicht als Hemmschuh, sondern als Privileg waren erschienen. Welch leere Meinungen damals seinen Verstand hatten gehindert!
    Doch vermochte er ob dessen, nunmehr ein wenig wortreicher und gefälliger dem Purgitius, welcher ja als ein allseits respektierter Veteran galt, sodass beinahe schon sein Status eines Homo Novus in Vergessenheit war geraten, seine Visionen vorzugaukeln:
    "Selbstredend. Mir scheint, die Kriegskunst studiert man besser in der Praxis denn in den Schriften. Zumal es mir als der edelste der Staatsdienste erscheint."
    Der Gedanke, dem Konstrukt der Virtus nachjagend sich mit Blut, Schweiß und Tränen zu besudeln, amüsierte ihn beinahe, derart absurd mochte er ihm heute erscheinen. Doch andererseits bot das Tribunat die Garantie, der paternalen Supervision zu entrinnen, womöglich in ein orientalisches Land, allfällig Syria zu emigrieren, wo das Opium näher lag und zweifelsohne erschwinglicher war, ja man ob der Pax Romana ein ebenso kalmiertes und plaisierliches Leben mochte fristen wie in der Urbs selbst.