Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Ravenna erweckte bei Manius Minor Remineszenzen an seine geliebte Mutter, welche ihrerseits an diesen Ort sich im Anschluss an den Bürgerkrieg zurückzuziehen gedachte, wie Manius Maior ihm berichtet hatte, sodass es freilich dennoch impossibel erschien, dass sie Domitilla, welche bereits vor Jahren diesen Ort verlassen hatte, ihrer ansichtig geworden war, womit er diesen Aspekt aussparte. Das weitere Schicksal der Besucherin gestaltete dessenungeachtet überaus adventurös, erschien gar einer jener Komödien entstiegen zu sein, welche Patrokolos ihm bisweilen zu rezitieren pflegte, verwies gar mit dem Auffinden durch Hirten auf die Situation der Gründer Roms. Erfreulicherweise übernahm es allerdings Fusus, diese Angelegenheit expliziter zu inspizieren, sodass der Knabe lediglich zu lauschen hatte.


    Dennoch galt es, auch Domitillas Frage zu replizieren, und nachdem Onkel Fusus, nein vielmehr sein Neffe von derlei keine Kenntnis besaß, war es nun an dem jüngsten anwesenden Flavius, seine deplorablen Erlebnisse zu kommemorieren, welche ihn noch immer bisweilen in seinen Träumen verfolgten, welche er deshalb so gut als möglich verdrängte und bisher auch bei Tisch verschwiegen hatte.
    "Mein Vater verfiel der Proskription des Vescularius. Wir waren deshalb genötigt unbemerkt die Stadt zu verlassen."
    Überaus grässlich waren jene Geschehnisse gewesen, denn noch immer hatte er den leblosen, bärtigen Leichnam überaus deutlich vor Augen, selbst wenn sich ihm die konkreten Züge ob seiner Fehlsicht entzogen, viel weniger indessen leider dessen olfaktorische Präsenz, ein süßlicher Odeur des Todes, dessen Remineszenz allein genügte, dem Knaben ein wenig blümerant werden zu lassen, sodass er diesen Aspekt vorerst besser nicht explizierte, sondern ihn nach kurzem Stocken fortfahren ließ:
    "Wir flohen nach Mantua zu Aurelius Ursus. Er ist ein Freund meines Vaters und gewährte uns Unterschlupf. Mein Vater kehrte dann inkognito nach Rom zurück, um dort gegen Salinator zu wirken."
    Kurioserweise gab er nun doch genau jene Narration wider, welche er in Präsenz seines Vaters lautstark als Lüge tituliert und welche ihm bis heute in keinster Weise persuasiv erschien, welche dessenungeachtet ihm ersparte, die Schande jenes feigen Vaters zu offenbaren, welche zweifelsohne letztlich auf ihn selbst zurückfallen mochte.
    "Ich selbst schloss mich der Legion auf ihrem Marsch an und wurde dann in Cremona bei einem Klienten des Aurelius Ursus untergebracht. Dort verlebte ich die Kriegszeiten quasi aus nächster Nähe und kehrte dann nach der Einnahme Roms durch Palma hierher zurück."
    Jener Aspekt der spektakulösen Flucht war dem Knaben weitaus angenehmer, denn noch heute verband ihn eine freundschaftliche Relation mit jenem Gastgeber, welcher ihm mehr ein Vater gewesen war denn sein eigener, welcher ihn geschätzt und Anteil an seinem Leben genommen hatte, ja ihm gar seinen inzwischen pretiösesten Besitz: jenen Patrokolos, der auch jetzt an seiner Seite stand, ihn vor den sich ob seiner Fehlsicht auftuenden Fallstricken warnte und ihm überhaupt zur unverzichtbaren Stütze geworden war, geschenkt hatte.

    Die Elation bezüglich eine Visite in der Basilica Ulpia hielt bei dem Knaben sich in engen Grenzen, doch war ihm dennoch offenbar, dass er diesem Ereignis sich kaum entziehen mochte, sofern sein Anverwandter die Neigung diesbezüglich verspürte, da er augenscheinlich nicht um die Ennuyanz juristischer Traktate, selbst im Vortrag, wusste.


    Bis dahin schien indessen er, der Jüngere, ein Knabe von dreizehn Lenzen, dem Älteren die Gebräuche Roms erklären zu müssen, was jenen in nicht geringem Maße amüsierte, ihm darüber hinaus freilich einen gewissen Stolz und eine Regung metropolitaner Abgeklärtheit verspüren ließ, welche nunmehr auch in seinen Worten mitschwang:
    "Auf dem Forum ist es stets gebräuchlich, im Staatskleid zu erscheinen. Dazu pflegt man die Tunica Praetexta zu tragen. Ebenso bei jedwedem offiziösen Anlass. Und zur Salutatio. Dispensabel ist sie dagegen zu allen privaten Anlässen, auf Gastmählern, privaten Visiten und dergleichen."
    Einen Augenblick konsiderierte er weitere Anlässe, mochte dann aber nur ein Detail zu memorieren, welches eventuell das Interesse eines modisch interessierten Jünglings, wie Fusus ihn repräsentierte, ebenfalls finden mochte:
    "Bisweilen besteht die Möglichkeit, die Toga direkt nach einem derartigen Termin abzulegen und etwa einen Amictus in der Sänfte mitzuführen."

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Der Tag des Liber wie der Libera war gekommen, wie er beständig wiederkehrte von Jahr zu Jahr, von Dekade zu Dekade und von Saeculum zu Saeculum. An der Spitze seiner Familia, gefolgt von zahllosen gesichtslosen Gestalten, welche augenscheinlich die Clientel der Gens Flavia repräsentierten, durchquerte er die engen Straßen der Urbs Aeterna, welche angefüllt war mit Tischen und Bänken, besetzt von ausgelassenen, blumenbekränzten und überaus weinseligen Quiriten, die es ebenso zu umschiffen galt wie jene ältlichen Mütterchen, die transportable Öfen vor sich schoben und Opferkuchen feilboten, welche bei Kauf umgehend in ihr Gefährt wanderten um die Götter milde zu stimmen. Eben Götter waren es auch, welche zu keinem Zeitpunkt von seiner Seite wichen, welche ihn in der Gestalt der Antlitze von den Büsten im flavischen Atrium betrachteten, ihm wohlwollend zulächelten, sowohl Divus Vespasianus als Divus Titus, die Laren der Villa Flavia Felix, dazu aber auch die Wächter der Infantilität: Bacchus und Pater Liber, Libera, Pilumnus, Picumnus, Sentia, Voleta und Volumna und Agerona umschwirrten ihn körperlos, hielten inne und formten einen Schutzschild, welchen nichts Böses zu durchdringen vermochte.


    Endlich erreichte er die freie Fläche des Forum Romanum, welche kurioserweise in keinster Weise der Festivität gemäß herausgeputzt, sondern einsam und verlassen gleich seinem nokturnen Status vor ihm lag, umstellt von hochragenden Tempeln und Basilicae, denen er indessen keinerlei Attention zukommen ließ, sondern sich zielstrebig der Rostra näherte, sie festen Schrittes bestieg und dabei einem Consul gleichen mochte, dessen purpurverbrämtes Staatskleid er auch vorerst noch teilte. Ihm folgte sein Vater, gravitätisch dreinblickend und doch gänzlich absent erscheinend, postierte sich direkt vor ihm und hielt inne. Ihn fixierte er nun, unschlüssig des weiteren Handelns, blickte neuerlich beiseite, wo Volumna ihm ein couragierendes Lächeln schenkte, wandte den Kopf hin zum vielschrötigen Antlitz des Divus Vespasianus, zum bärtigen Bacchus und zum vergnüglichen Liber Pater, während der Vater die Hand schwer auf seiner Schulter platzierte.
    Dann eilten die Geschehnisse blitzartig voran: Die Hand auf seiner Schulter löste sich, riss an seiner Bulla, sodass das güldene Kettchen barst und das Medaillon stumm zu Boden sauste, wo es in tausend Teile zerbarst, worauf im selben Augenblicke die Götter gleich einem Rudel Tauben, welches man durch lärmendes Toben in Schrecken versetzte, in sämtliche Richtungen hinfortschossen und ihn selbst bar jedweder Protektion zurückließen. Doch war damit dem Entsetzen nicht Genüge getan, denn die Hände des Vaters verweilten keinesfalls, sondern ergriffen nun recht unsanft seine Tunica, rupften neuerlich und mit ratterndem Ratschen rissen sie das Unterkleid, die Toga Praetexta und selbst die Subligares entzwei, sodass er vollkommen entblößt sich vor dem nunmehr gewaltigen Publikum präsentierte, gleich einem Sklaven, welcher der Löwung harrte. Bizarrerweise vermochte er die starrenden Blicke indessen direkt zu erwidern, denn keinesfalls mehr stand der Vater nun schützend vor ihm, sondern hatte er sich ins hinterste Eck der Rostra verzogen, kauerte dort einem Embryo gleich und würdigte ihn keines Blickes.


    Stattdessen nahm nun eine differente Gestalt den parentalen Platz ein, eine bärtige Gestalt mit leblosem Antlitz und stechendem Blick formte die geborstenen Lippen zu einem gräulichen Grinsen, während ihre knöchernen Arme eine silbrig glänzende Toga emporhoben und ihm auf die Schulter legten. Panisch wandte er sich zur anderen Seite, doch hier erwartete ihn ein ebenso lebloses Paar, ein ergrauter Leichnam, dessen Hemd mit schwarz getrocknetem Blut benetzt war, sowie ein Weib mit wirrem Haar, welches nun nach dem stahlharten und eisigen Staatskleid griff, welches trotz seiner metallenen Qualität und Schwere sich gleich einer Version von edler Wolle in Falten legte und dem Körper anschmiegte, wobei ihm durch die Kälte der Kleidungsstückes schlagartige gewahr wurde, dass man seine Arme keinesfalls freigehalten hatte, was nun nicht mehr zu revidieren war, denn obschon die Toga soeben noch formbar sich erwiesen hatte, so besaß sie nun jene Härte und Starre, die einem bleiernen Kleid adäquat war, die damit aber jedwede seiner Regungen hinderte.
    "Vater! Hilf mir!"
    , rief er furchtsam hinüber zu jener sich unter seiner eigenen, keinesfalls metallenen Toga verkriechenden Gestalt am Rande der Rostra, welche einem Tier gleich unter dem Stoff hervorlugte und mit arglosem Tonfall replizierte:
    "Du bist längst kein Kind mehr, Minimus. I'h bin jeder Responsibilität für di'h ledig! Du musst di'h nun selbst zur Wehr setzen!"


    Die Toten um ihn feixten grausig und umzogen ihn, während er selbst, jedweder Beweglichkeit beraubt, in ihrer Mitte sich regte und schob, um sich von seinem bleiernen Kleid zu liberieren.
    "Mühe dich nicht, kleiner Flavius! Spar dir deine Kräfte für den Flug!"
    , rief dann endlich der bärtige Untote, postierte sich hinter ihm, sodass es ihm keinesfalls gelang, sich diesem zuzuwenden, gab ihm einen Ruck und stieß ihn über die Brüstung der Rostra. Vor ihm tat sich bodenlose Leere auf, er stürzte hinab, immer tiefer und tiefer...

    ~ ~ ~


    ... und erwachte, gebadet im eigenen Sude, in seinem vertrauten Cubiculum. Unwillkürlich fuhr seine Hand zur Brust, wo sie erfreulicherweise die Bulla ertastete, während er benommen um sich blickte, wo er trotz des protegierenden Medaillons keinerlei Schutzgötter ansichtig wurde, zumindest aber ebensowenig jener lebender Leichname, welche ihn nur allzu häufig verfolgten, sodass er sich endlich ermahnte, es habe sich bei jener schrecklichen Kognition lediglich um einen bösen Traum gehandelt. Dennoch vernahm er deutlich das Zittern seiner Hand, als er nach dem Becher mit Wasser griff, welcher neben seinem Bett parat stand, um ihm bei Bedarf, welchen er soeben verspürte, die Lippen zu benetzen. Nach jener Erfrischung sank er neuerlich ins Bett zurück und starrte auf die kassetierte Decke, welche er im Dunkel des Raumes mehr erahnen denn visuell erfassen konnte, während er sich im Geiste attestierte, dass er in keinster Weise die herannahende Mannbarkeit freudig antizipierte.


    Für eine Weile verharrte er noch, lauschte dem harmonischen Atem seines geschätzten Patrokolos, welcher seit seiner Rückkehr den Platz des Leibsklaven unmittelbar unterhalb seines Bettes eingenommen hatte, und entschwand endlich erneut in Morpheus' Reich, wo diesmal Erquicklicheres ihn erwartete...

    Die Frustration, welche Fusus ob der vorenthaltenen Redekunst verspürte, mochte der Knabe, dem kein anderer Status als der aktuelle vertraut war, als jener der Absenz politischer Publizität, welche seit mehr als hundert Jahren die Res Publica prägte und politische Debatten oftmals in Schattengefechte wandelten, während substantielle Abreden hoch oben auf dem Mons Palatinus getroffen wurden, unter Umständen noch hinter den bronzenen Toren der Curia Iulia, indessen selbst seitens der Tribuni Plebis nicht mehr im Comitium oder einer anderen öffentlichen Stelle, nicht zu teilen, selbst wenn die Lektüren eines Tullius Cicero oder anderer großer Rhetoren vergangener Tage noch eine Imagination jener politischen Debattenkultur possibilisieren mochten, welche ein Bewohner der Urbs freilich nicht mit politischer Realität zu konnektieren pflegte.
    "Wie gesagt mag eine Visite in der Basilica Ulpia dir diese Option offerieren. Oder bisweilen stehen die Tore der Curia Iulia ebenfalls offen, sodass du politischen Diskussionen vor diesen lauschen magst."
    Vor dem Bürgerkrieg war auch Manius Minor bisweilen seinem Vater dorthin gefolgt, um Kenntnis von jener das Leben eines senatorischen Patriziers so prägenden Sphäre zu gewinnen, doch hatten die Diskussionen mit ökonomischen wie juristischen Details sich als höchst ennuyant erwiesen, weswegen er hiervon recht bald Abstand genommen hatte, sofern Artaxias oder sein Vater ihn nicht hierzu gedrängt hatten.


    Nicht weniger trivial erschien ihm dessenungeachtet die Sorge um Kleidung, welche er ohnehin niemals in seinem bisherigen Leben autonom gewählt hatte, obschon ihn durchaus noch eine Situation präsent war, in welcher er auf infantile Weise auf das Tragen seiner Rüstung bestanden hatte, als er seine Eltern zu einem Gastmahl hätte accompagnieren sollen, sodass dieses Ansinnen ihm selbstredend mitnichten gewährt worden war. Darüber hinausgehend war es ihm aber stets gleich gewesen, ob ihm eine Synthesis in roter oder blauer Farbe bereitgelegt worden war, hatte stets von jedwedem Schmuck mit Ausnahme seiner Bulla abgesehen, zumal Armreife ihm ein inkonvenierliches Gefühl an seinen Handgelenken bereiteten, und hatte klaglos jedweden modischen Wunsch seiner Mutter akzeptiert, zumal sich feine Details wie textiler Rapport, feine Intarsien oder Derartiges sich ihm hypermetropiebedingt ohnehin verschloss. Somit war er keinesfalls in der Lage, ein qualifiziertes Urteil in derartigen Belangen zu fällen und er hatte sich auf quantitative Experienzien fundamentaler Natur zu beschränken:
    "Als Glied des Ordo Senatorius ist meines Wissens eine weiße Tunica mit dem Latus Clavus gebräuchlich."
    , vermochte er somit nur sehr bedingt seinem Neffen Orientierung zu bieten, während er Schmuck, Umgürtung und andere Pretiosen unkommentiert ließ, obschon ihm selbstredend bewusst war, dass etwa auch die Faltung einer Toga unzählige Option bieten mochte.
    "Zweifellos wird dir ein Vestispicius Rat bieten können."

    Obschon Manius Minor seine Füße höchst selten in die Urbs hinab trugen und die Visitation des Forum Romanum nahezu stets mit staatstragenden Akten verbunden war, an welchen Manius Maior standesbedingt zu partizipieren hatte und bei welchen er selbst bisweilen assistierte, so musste er nach kurzem Spintisieren doch an den Schluss gelangen, dass die Rostra höchst selten frequentiert war, er sie in der Tat kein einziges Mal von einem Rhetor besetzt erblickt hatte, selbst wenn er durchaus des Umstandes eingedenk war, dass die scheidenden Magistrate an diesem altehrwürdigen Orte ihre Res Gestae zu verkündigen pflegten, wobei er aber selbst vor einigen Jahren, als sein Vater über seine Praetur resümmiert hatte, diese Rede nicht attendiert hatte, sodass er die Hoffnungen seines Anverwandten zunichte zu machen genötigt war:
    "Das ist leider recht unwahrscheinlich. Die Rhetoren pflegen ihre Gerichtsreden in der Basilica Ulpia zu halten, Deklamationen finden für gewöhnlich in der Schola Atheniensis oder privaten Rhetorenschulen statt. Eine Leichenrede... werden wir hoffentlich nicht erleben müssen."
    Soeben hatte er noch ein weiteres Genus Dicendi kommemoriert, welches ihm indessen ungustöserweise neuerlich jene schauerlichen Erlebnisse, die am Anbeginn ihrer strapaziösen Flucht gen Mantua gestanden hatten und ihn bis heute bisweilen in seinen Träumen verfolgten, in den Sinn rief.


    Somit schickte er sich rasch an, der Interjektion Fusus' seine Sinne und Gedanken zuzuwenden, was in der Tat ihm eine gewisse Belustigung beizubringen vermochte, da das Zentrum der Res Publica, wo Politik gemacht, die Staatsgötter verehrt und Status repräsentiert wurde, ohnehin dem geneigten Quiriten nur äußerst limitierte Optionen bezüglich seiner Kleiderwahl offerierten, sodass er sich zu einem winzigen, ironischen Fingerzeig reizen ließ:
    "Nun, ich werde die Tunica Praetexta mit der Toga Praetexta kombinieren, nehme ich an. Dir würde ich allerdings eine schlichte Toga Pura empfehlen, denn für einen jungen Mann jenseits des Kindesalters erschiene mir die Praetexta doch ein wenig... prätentiös."
    Jene prinzipiell überaus schlichten Kleidungsstücke bildeten das Staatskleid des Römers und deren Tragen war auf dem Forum seit den Zeiten des Divus Augustus derart obligat, dass man, zumindest soweit es dem jungen Flavius eingetrichtert worden war, jedweden alternativen Aufzug mit Naserümpfen bedachte, selbst wenn dies dieser Tage weitaus weniger dogmatisch betrachtet wurde als in vergangenen Dekaden. Dass die Praetexta indessen lediglich Magistraten sowie Kindern vorbehalten war, was Manius Minor überaus kurios erschien, obschon selbstredend beide Gruppen recht augenscheinlich durch das Alter wie auch im Falle des Zweifels die Bulla zu distinguieren waren, durfte Fusus wohl selbst im provinziellen Tusculum ans Ohr gelangt sein, sodass die Pointe wohl ihre Wirkung entfalten mochte. Den Knaben hingegen ließ sie gewahr werden, dass auch ihm bald das vorerstige Ende des Latus Clavus auf der Toga bevorstand, nachdem sein Vater ihn der Bulla beraubt hatte, obschon er diesen Schritt vorerst revidiert hatte, da ihm dies zum einen zumindest für die Zeit bis zu seinen unaufhaltsam nahenden Liberalia das vertraute Gefühl des Schutzes vermitteln konnte, zum andern nicht der Öffentlichkeit nicht Anlass zum Argwohn bezüglich jener soeben thematisierten Prätention bieten würde.

    Nicht wenige Salii waren dem jungen Flavius selbst bekannt, sodass ihm ersterer Schritt keinesfalls problematisch erschien, zumal, wie er wusste, an der Regia auf dem Forum ein Album all jene Sodalitäten mit sämtlichen Mitgliedern aufführte, sodass lediglich eine kurze Visite dort erforderlich war, um sämtliche Informationen zu erhalten. Die Erklärung hierzu war ihm ebenso plausibel, wusste er doch von seinem Vater, welch enge Relationen ihn mit einigen der Salii verbanden, obschon diese zusätzlich nicht selten verwandtschaftlicher Natur waren und somit schwer zu differenzieren war, was auf die bloße Kollegialität und was auf weitere Konnexe zu reduzieren war.


    Letzterer Aspekt erschien freilich in gewissem Maße problematisch, denn mitnichten war Manius Minor ja geneigt, Manius Maior seinen eventuellen Wunsch einer Diskontinuierung der familiaren Tradition zu unterbreiten, sodass er erstlich zögerte.
    "Nun..."
    Indessen lag jener Schritt noch in gewisser Ferne und, wie ihm siedend heiß in den Sinn kam, mochte eine Unterteilung der verschiedenen Anverwandten auf die beiden Rechercheure ihm die parentale Konfrontation auch ersparen.
    "Warum nicht? Ersteres lässt sich leicht an der Regia recherchieren, wo sämtliche Collegia und Sodalitates schriftlich vermerkt sind, sodass sich dies leichtlich mit einem Ausflug verbinden ließe."
    , gab er somit bekannt.

    Neuerlich präsentierte dem Knaben sich jener feminine Habitus, welchen er bisweilen auch bei seiner Mutter observiert hatte und sich konträr zu infantilen Wünschen sich erwies, denn während er und wohl alle Knaben seines Alters stets danach strebten, möglichst bald ein höheres Alter zu erreichen, so fürchteten nicht wenige Damen bereits kurz nach ihrer Maturität jeden weiteren Lenz, welchen sie verleben mussten, als sei das Alter nicht direkt proportional zum Prestige, sondern ein Makel, welchen zu verbergen stets höchste Prämisse war.
    Dementgegen erschien es dem jungen Flavius geradezu ironisch, neuerlich mit seinem Verwandtschaftsgrad tituliert zu werden, zumal er selbst doch augenscheinlich und bar jedweden Zweifels die mit großer Distanz jüngste Person im Atrium darstellte, obschon er in Anbetracht des flavischen Stammbaumes Domitillas Generation näher erschien denn Neffe Fusus.
    Allein der Gedanke, jenen derartig zu titulieren, belustigte Manius Minor indessen in nicht geringem Maße, sodass ein sublimes Lächeln sich auf seine Lippen zauberte, während er den Beschluss fasste, zukünftig auf derartige Titulaturen schlichtweg zu verzichten.


    Nun aber richtete er sein Interesse wieder auf Tante Domitilla (in jenem Fall war die Titulatur zweifelsohne angebracht), welche hoffentlich sogleich einige Passagen ihrer Vita preisgeben und somit eventuell doch eine Einordnung in seine zahllosen Remineszenzen an diverse Verwandte possibilisieren mochte.

    Sein Neffe dritten Grades, wie dem Knaben noch immer in den Ohren klang, repetierte zu seiner Präsentation eben jene Informationen, welche er auch ihm selbst dargeboten hatte, wobei er erneut auf seine Anverwandtschaft rekurrierte, welche dem jungen Flavius indessen weiterhin recht entfernt erschien, die freilich andererseits geeignet war, ihm auch die Relation zu Domitilla zu vergegenwärtigen, zumal die Erwähnung Onkel Pisos, welcher ihm damals die Untiefen des römischen Eherechts vermittelt hatte, vertraute Gemeinsamkeiten offenbarte, obschon er nicht mehr in der Lage war, dessen Verwandtschaft zu Onkel Felix zu kommemorieren, sodass er die erstere Anfrage schlichtweg ignorierte.


    Zwar hatte er den Stammbaum der Gens Flavia durchaus in groben Zügen stets vor Augen, verband er mit zahlreichen seiner Exponenten jene wächsernen Masken, die just in diesem Raume aufbewahrt wurden und an die großartige Vergangenheit seiner Familie mahnten, doch hatte ihm sein bisheriges Leben derartige Diffizilitäten erlassen, da ihm doch jeder seiner älteren Anverwandten schlichtweg ein Onkel oder eine Tante gewesen war, jeder von similärem oder geringeren Alter hingegen als Vetter oder Base tituliert worden war. Leicht legte sich somit seine kindliche Stirn in Runzeln, während er eben jenen Stammbaum gedanklich zu erklimmen suchte, Relationen abwog und über adäquate Begrifflichkeiten sinnierte, ehe er replizierte:
    "Großonkel - Verzeihung - Großtante und Großneffe dritten... nein, zweiten Grades?"

    Jenes Ansinnen, ihn sukzessive vom Rockzipfel seines Vaters zu erlösen und zur Autonomie zu drängen, evozierte eine nicht geringe Furcht bei dem Knaben, das Feld des Vertrauten hinter sich zu lassen, da eben jener Habitus ihm doch Zeit seines Lebens vermittelt und vorgehalten worden war. Zugleich übte es doch eine nicht zu verkennende Faszination auf den jungen Flavius in seiner spezifischen Situiertheit, wo Gram über das parentale Verhalten sich paarte mit dem natürlichen Wege der umsichtig sich ankündigenden pubertären Evolution, an, sodass er nach weiterem Zögern endlich sich dahingehend kalmierte, dass eine unverbindliche Einholung von Information keinesfalls einen allzu gravierenden Bruch mit dem Vertrauten darstellen mochte, womit ihm die gebotene Perspektive konvenierlich erschien:
    "Das wäre durchaus akzeptabel. Wie gedenkst du dabei vorzugehen?"
    In der Tat hatte Manius Minor in seinem bisherigen Leben niemals derartige Recherchen anzustellen gehabt, da ihm Wissen über Politik, Cultus und Gesellschaft Roms stets aus erster Hand über eine Erkundigung bei Manius Maior offen gestanden war, was er indessen in diesem Falle keinesfalls zu tun gedachte, denn obschon nichts Verwerfliches an seiner Initiative zu finden sein mochte, so verspürte er doch die Scham eines indirekten Verrates, wenn die Einholungen auch nur eventuell dem Zwecke dienen mochten, die Pläne seines Vaters zu durchkreuzen.

    Noch immer gebrach es dem Knaben einer adäquaten Einordnung Domitillas in das überaus konfuse Geflecht der flavischen Verwandtschaft, dennoch präsentierte er sich entsprechend der expektierten Verhaltensweisen, schenkte seiner augenscheinlich bereits bekannten Tante ein verlegenes Lächeln und blickte zu Boden, erfreut, dass ihm die Last weiterer Konversation vorerst genommen wurde, da Fusus ebenfalls erschien, sodass Domitilla sich dieser offenbar weniger bekannten Person zuwandte.

    "Das ist er in der Tat."
    , replizierte der Knabe der Wahrheit entsprechend, denn in der Tat war Manius Maior derzeit der betagteste aller Flavii der Villa, was ihn entsprechend der hiesigen Gepflogenheiten zur ranghöchsten Person des Haushaltes machte. Indessen hatte Manius Minor nach jenem deplorablen Gespräch nach seiner Rückkunft nach Rom weitaus geringeren Anteil an dessen alltäglichen Routinen genommen, hatte ihn niemals seinerseits aufgesucht oder häufiger mit ihm gesprochen denn jene unumgänglichen Necessitäten bei Tisch oder zufälligen Zusammentreffen.
    "Eventuell ist er nicht im Hause. Für gewöhnlich wird er ebenfalls informiert, sobald ein Flavius zu Besuch erscheint. Wo du ihn findest kannst, mag dir Sciurius verraten."
    Der Vilicus seines Vaters mochte zwar durchaus meist an dessen Seite zu finden sein und deshalb häufig gemeinsam mit diesem das Haus verlassen, doch bisweilen war dies auch nicht der Fall, weshalb der blasse Sklave wohl die günstigste Adresse sein mochte, um den älteren Flavius aufzuspüren.


    Die folgende Frage derangierte den Knaben freilich in höchstem Maße, wobei zwei widerstreitende Aspekte diese Regung primär evozierten, denn zum einen implizierte ein Übertreffen der Maiores, so wie Artaxias und seine Ammen und übrigen Sklaven ihn gelehrt hatten, keinesfalls einen alternativen Lebensweg, sondern verlangte nach einer konsequenten Orientierung an eben diesen, weshalb er sogar denselben Namen wie sein Vater trug, zum anderen stellte eben jenes Sujet momentan ein kontunuierliches Problem für ihn dar, da er doch seinen Produzenten seit dem Krieg als unwürdigen Feigling und Lügner einschätzte, welcher seine eigenen Prämissen zu erfüllen nicht in der Lage war und damit seinen Status als unwandelbares Idol für seinen Sohn eingebüßt hatte. Dennoch hatte er niemals erwogen, bereits in derartigen Petitessen eine Alternative zu dem zu wählen, was sein Vater ihm vorlebte, gar eine offene Revolte zu initiieren.
    "Nun..."
    , begann er somit stockend, um diese im Grunde nichtssagende Konjunktion in seiner Konfusion direkt zu repetieren:
    "Nun... zweifellos nichts."
    Soweit er sich entsinnen konnte, zählten nicht wenige respektable Flavii zu jenem Gremium, darunter Onkel Furianus, Onkel Flaccus und Onkel Piso, selbst wenn jener inzwischen tragischerweise das Zeitliche gesegnet hatte.
    "Das hatte ich bisher nicht bedacht."
    , gestand er endlich ein, unschlüssig, wie er sonst auf jene Offerte reagieren mochte.

    Bereits jener Augenblick, den Manius Maior mit seinen Gedanken verfüllte, ließ den Mut Manius Minors, geboren aus der Empörung ob all jener Trugspiele, ins Wanken geraten, sodass die schlussendliche Ermahnung ihr übriges tat, um den Kleinmut des Knaben neuerlich hervorzukehren, was das Bollwerk aus defensivem Gestus und offensivem Blick zerschellen ließ. Obschon ihm alle Tage seines Lebens die große Bedeutung von Subordination gelehrt worden war, sowohl gegen den Staat, als auch gegen die Familie und allen voran gegen den Pater Familias, so vermochte jene Explikation ihn doch nicht vollends zu überzeugen, denn durchaus waren ihm die Freunde des Hauses bekannt, war er doch jahraus jahrein zu diversen Gastmählern transportiert worden, um vor den Cornelii, Tiberii und allen übrigen den gehorsamen Sohn zu mimen, wobei er keinerlei Remineszenzen bezüglich eines Besuches bei einem Decimus Serapio hegte. Ferner mochte ein derartiges Unterfangen nicht Monate in Anspruch nehmen, sodass sich weiters die Frage darbot, was sein Vater die übrige Zeit getan hatte. Und schlussendlich hatte der junge Flavius durchaus einen gewissen Anteil an den Geschehnissen des Krieges genommen, hatte mit seinem Gastgeber zu Cremona diverse Aspekte disputiert und war dabei durchaus auch auf jene Proskriptionen gestoßen, welche der falsche Kaiser in Rom proklamiert hatte und zu welchen sein Vater recht bald gezählt hatte, was somit dessen aktuelle Worte neuerlich Lügen strafte.


    Indessen gebrach es dem Knaben an Mut, jene Zweifel neuerlich aufs Tableau zu bringen, sodass er schlicht das Haupt senkte und seine Zunge hütete, um nach einer kurzen Zeitspanne des sprachlosen Verweilens zu entscheiden, dass jene Konversation keinerlei Prophite mehr ihm darbieten mochte, sodass er devot doch das Wort an Manius Maior richtete:
    "Ich würde mich gern zurückziehen. Bitte."

    Dem zweitjüngsten Flavius, den die Villa Flavia Felix derzeit aufzubieten imstande war, war am vorhergehenden Abend gemeinsam mit seinem Vater auf einem Gastmahl geladen gewesen, weshalb ihm die Ankunft der weiteren Verwandten entgangen war.


    An diesem Morgen indessen erschien ein Rendez-Vous unausweichlich, denn obschon der Knabe am Morgen wie am Nachmittag für gewöhnlich Lektionen bei seinem Grammaticus zu hören hatte, so fand diese Aktivität doch in der Villa statt, womit er zu jedem Zeitpunkt auf ein leichtes von seinen Obliegenheiten zu dispensieren und für kurze Intermezzi dem Unterricht zu entnehmen war.


    Verhaltenen Schrittes kam er somit ins Atrium, geleitet von seinem überaus ansehnlichen Leibsklaven Patrokolos, welcher ihn selbst um mehrere Köpfe überragte, was freilich nicht erstaunlich sein mochte, da der Knabe selbst für seine dreizehn Lenze eine eher geringe Körpergröße aufwies, welche allerdings durch eine gewisse Leibesfülle kompensiert schien. Auch im Übrigen übertraf der Diener seinen Herren an sämtlichen Äußerlichkeiten, denn wo Manius Minors Augen bei genauerer Inspektion einen leichten Strabismus aufwiesen, welcher das Resultat seiner Hypermetropie darstellte, und damit das gesamte Antlitz wenig ansehnlich erscheinen ließen, war Patrokolos auch von Nahem durchaus als Schönheit zu titulieren.


    Mit Erschrecken nahm der junge Flavius indessen zur Kenntnis, dass er augenscheinlich der erste war, welcher seiner Tante entgegenzutreten hatte, zumal er keinerlei Remineszenzen an jene vorrätig hatte, er also einer gänzlich fremden Person allein zu begegnen hatte, was ob seiner Xenophobie durchaus eine Überwindung darstellte, weshalb er auch stockte und erst auf eine sanfte Berührung seitens seines Sklaven seine Obligationen eines flavischen Stammhalters kommemorierte und das Atrium durchquerte, sodass das überaus attraktive Antlitz wie die Gestalt des Gastes wie gewohnt zu einem Schemen verschwamm.
    "Salve. Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor."
    , grüßte er sie respektvoll und so gravitätisch, wie dies mit einer infantilen Stimme nur möglich war.

    Arglos nickte der Knabe ob des Unwissens seines Gegenübers, zumal ihm selbst ebenfalls die Gens der Tarquitii nur überaus beiläufig bekannt war und aus der geringen Frequenz, mit welcher diese in der Villa Flavia Felix zu Gast gewesen waren, zu schließen war, dass diese nicht zu den einflussreichsten und zugleich mit den Flavii befreundeten Familien der Urbs zählten.


    Schon ward indessen ein neues Sujet aufs Tableau gebracht und man wandte sich den Sodalitäten zu, welchen bemerkenswerterweise auch Scatos Interesse bei ihrem ersten Gespräch gegolten hatte, noch ehe man sich kindgerechteren Bereichen wie der eigenen Kernfamilie etc. hatte zuwenden können, was andererseits nicht gänzlich ferne liegend erschien, da Cultus und Religio zu jenen Banalitäten patrizischen Lebens zählte, welche überaus häufig zur Konversation herangezogen wurden. Die Charakterisierung der collinischen Sozietät als 'possierlich' gereichte dem jungen Flavius indes durchaus zu Amusement, denn obschon der Cultus Deorum zweifelsohne keine überaus humorvolle Betätigung war, so erweckte jenes Adjektiv doch Remineszenzen an den Anblick seines Vater, welchem der Kriegsdienst gänzlich ferne lag, in dessen salischer Tracht, angetan mit Aeneum Tegumen, den pointierten Pileus auf dem Haupte und gerüstet mit Hasta und Ancilium, beim Tanz, welchen er ebenfalls selbst auf den delektabelsten Gastmählern niemals zu praktizieren pflegte, in aller Öffentlichkeit durch die Straßen Roms, was zusätzlich in Geleitung weiterer überaus gravitätisch dreinblickender, nicht selten älterer Senatoren in similärem Aufzug sich zutrug, was auch Manius Minor bisweilen zu einem verhaltenen Lächeln gereizt hatte.
    "Das solltest du meinen Vater nicht hören lassen."
    , kommentierte er deshalb feixend und mit verschwörerischem Unterton, da es ihm in dieser Situation, wo ihm sein Gegenüber kaum bekannt war und er den Anforderungen des Sohnes eines Pontifex an Gravität und Huld gerecht zu werden gedachte, kaum adäquat erschien, die uralten Traditionen der Res Publica ausführlicher zu verspotten, so absurd diese bisweilen auch anmuten mochten.
    "Mein Vater gehört aber den Salii Palatini an, was im Grunde nicht wirklich von den Collini differiert. Aber ich nehme an, dass ich ebenfalls eher dort mich präsentieren werde."

    In der Tat hatte der junge Flavius die ersten Worte bereits antizipiert, doch selbst wenn seine Worte in anderem Kontext überaus rührend gewesen sein mochten, so brannte ihm doch vielmehr unter den Nägeln, welcher mysteriösen Obliegenheit sein Vater nachgegangen war, die dieser indessen augenscheinlich hartnäckig zu verschweigen gedachte. Als er endlich seine mangelhaften Qualitäten im militärischen Sektor zu beschwören begann, war der Knabe bereits äußerst geneigt, seine kindliche Faust mit einem Schlag auf dem parentalen Schreibtisch zu platzieren und seinen Erzeuger mit dem Vorwurf der Feigheit zu konfrontieren, was allerdings vereitelt wurde, da dieser, ehe jener sich zu solcher heftigen Reaktion durchzuringen imstande war, endlich in medias res ging und offenbarte, dass er geruht hatte, dem Vescularius denselben Tod angedeihen zu lassen, welcher auch Gaius Caesar ereilt hatte. Uneinsichtig erschien es dem Knaben freilich, inwiefern sein Vater auch nur den Hauch einer Aussicht für ein derartiges Unterfangen hatte hegen können, denn wie er vernommen hatte, hatte Decimus Serapio, der gefänglich gesetzte Praefectus Praetorio, sich bis heute nicht von jenem unsäglichen Tyrannen absolvieren wollen. Durchaus mochte ihm bekannt sein, dass Manius Flavius Gracchus, gewesener Praetor und Pontifex, in der Lage war die Entscheidungen mancher Personen in seinem Sinne zu influenzieren, doch war ihm ebenso bewusst, dass ein Praefectus Praetorio in seinem Rang und Ansehen eher einem Consular gleichkam und entsprechend kaum durch einige Worte eines im Range ihm Unterlegenen sich zu einer Revolte wenden lassen mochte. Dass sein Vater engere, ja geradezu intime Bindungen zu jenem Decimus hegte, entging seiner Kenntnis, weswegen er nach kurzem Spintisieren seinen Gram freihinaus verbalisierte:
    "Ich glaube dir nicht!"
    Selbst wenn er die Possibilität jener adventurösen Narration ästimieren mochte, so schätzte er seinen Vater zwar als furchtsam, dennoch nicht als so dumm ein, dass er einen derartig riskanten Plan in die Tat umsetzte, denn obschon Manius Minor ein Knabe von dreizehn Lenzen war, so war ihm doch bekannt, dass einem Mitglied der Cohortes Praetoriae höchste Vorsicht entgegenzubringen war und Verrat zweifelsohne nicht zu den geeigneten Sujets in ihrer Präsenz zählte. Dessenungeachtet entdeckte Manius Minor schlagartig, dass die Logik jene parentalen Behauptungen ohnehin aufs schmächlichste Lügen straften, welche er seinen Gegenüber schonungslos unterbreitete:
    "Wenn dir dein Unterfangen gelungen wäre, hätte Flaminius Cilo Rom nicht erobern müssen. Und wenn du gescheitert wärst, hätte man dich zweifelsohne inhaftieren müssen!"
    Nicht geringer Zorn regte sich hinter den rundlichen Antlitz des jungen Flavius ob einer derartig dreisten Lüge, welche ausgerechnet aus dem Munde des einstmals so hochgeschätzten Vaters stammte, der ihm noch vor wenigen Augenblicken die Wahrheit als dritte Prämisse der Lebensführung eingeschärft hatte.
    "Soeben noch hast du postuliert, ich sei ein nun ein Mann und doch verschweigst du mir die Wahrheit?"
    Überschäumende Rage war ein Gemütszustand, welcher für den Knaben als völlige Novität sich präsentierte, zumal er die Ansätze jener Regungen in parentaler Präsenz stets zu zügeln vermocht hatte, doch nach all jenen Strapazen, den zahllosen Nächten der Einsamkeit und jenen ungnädigen Projektionen bahnte sich sein Ingrimm gnadenlos seinen Weg aus dem Leib des Knaben, welcher seinen Verdruss zusätzlich auch gestisch zum Ausdruck brachte, indem er die Arme vor der Brust verschränkte und seinen Vater mit den, bedingt durch seine Hypermetropie in überaus geringem, dennoch nun wohl intellegiblen Maße fehlgestellten Augen fixierte.

    Die aufmunternden Plattitüden des Älteren nahm der Knabe schlicht ohne jedweden Kommentar entgegen in der Hoffnung, dieses leidige Thema nun endlich zu einem Ende gebracht zu haben, obschon er sich durchaus jenes freimütige Hilfsangebot im Geiste notierte, um beizeiten darauf neuerlich rekurrieren zu können, denn selbst wenn es nach seinem Dafürhalten keinerlei Umstände bedeuten würde, sie kennenzulernen, da ihre und die eigene Familia bestens miteinander bekannt waren und somit ihrerseits jederzeit ein Treffen würden arrangieren können, so mochte es doch hier und da Okkasionen geben, in denen er jedweder Hilfe bedurfte.


    Erfreulicherweise bedurfte dieses Sujet auch keinerlei neuerlicher Thematisierung, denn recht eingehend begann Fusus nun einen Rapport über seine familiaren Beziehungen, welche einer gewissen Tragik durchaus nicht entbehrte. Wie er sich seinerseits informiert hatte, nachdem er mit Scato bereits parliert hatte, handelte es sich bei jenem tragisch verstorbenen Flavius Milo um den Bruder Onkel Furianus', der, obschon er hier lebte, nur sehr selten sich seiner Familia präsentierte, was eventuell auf den Verlust des Bruders zurückzuführen war. Augenscheinlich erfüllte dies auch Fusus mit einer gewissen Trauer, was Manius Minor trotz seiner augenblicklich zerrütteten Beziehung zu seinem eigenen Vater nicht unerklärlich erschien, zumal er sich keinesfalls zu imaginieren in der Lage war, von seiner angestammten Stirps für eine längere Zeitspanne getrennt leben zu müssen, da dies bereits die kurze Zeit, welche er im cremonesischen Exil verbracht hatte, überaus bedrückend gewesen war.


    "Handelt es sich bei Deinem Stiefvater möglicherweise um einen Verwandten des Haruspex Primus?"
    , fragte er dann in Remineszenz an jenen betagten Tarquitier, wessen er vor Jahren auf den Sponsalia seiner Tante Nigrina ansichtig geworden war, der indessen, wie er auf der gestrigen Cena vernommen hatte, durch den Gatten seiner Tante bald schon ersetzt werden sollte.

    Ebenso wie angesichts der jovialen Geste seines Bruders, so ließ der Knabe auch die ruhende Hand auf seiner Schulter widerspruchsfrei gewähren, da ihm derartige bisweilen despektierlich sich gerierende Handlungen seitens Erwachsener ob seiner seinem Alter durchaus nicht adäquaten Körpergröße nur allzu vertraut waren, obschon die Dauer, die diese auf ihm verweilte, ihm durchaus zu lang und somit sukzessive inkommodierlich erschien.
    "Meines Wissens nach gedenkt Vater, mich zu einem Rhetor Publicus zu senden, eventuell einem der Magister der Schola Atheniensis. Dort dürften die Stunden im Vorfeld vereinbart und entgolten werden, sodass du, respektive dein Vater, es dir wohl von vornherein überlegen müsstest."
    , erwiderte er, zum Inhaber jener auf ihm lastenden Hand hinaufsehend, dessen ironischen Ton in seiner Stimme er durchaus identifizierte, weswegen ihm die konkrete Ausgestaltung seiner Mimik durchaus entgehen konnte, der indessen in seinen Augen dennoch über die konkreten Fakten jener fest institutionalisierten Edukation hier in Rom zu informieren war.


    Die Interpretation seiner missmutigen Replik ging dessenungeachtet ebenso fehl, denn mitnichten präsentierte sich die Unvertrautheit seiner Anverlobten als Kern seiner Misere, die sich für den jungen Flavius rund um die Ehe entspann, selbst wenn er dieses Faktum defensiv gegen seinen Vater ins Feld geführt hatte, sondern vielmehr war dies eine Problematik weitaus grundlegender Natur, da es dem Knaben an Interesse am weiblichen Geschlecht mangelte und ihm so sowohl die Cohabitation, als auch der Vollzug des Eheaktes mehr Abscheu denn Neugierde abverlangte. Entsprechend ließ er lediglich ein
    "Das wird sich zweifellos ergeben."
    vernehmen, welches in der Tat wohl kaum vermeiden lassen würde.


    Da dieses Sujet aber mitnichten ihm interessanter geworden war, bemühte er sich neuerlich um eine Entwicklung einer Alternative, weshalb er nach einem Augenblick des Spintisierens, ferne seiner üblichen Gepflogenheiten auf ein Neues zu fragen begann:
    "Woher kommst du nun eigentlich? Habt ihr zuvor gemeinsam bei eurer Mutter gelebt? Und wo ist euer Vater?"
    Durchaus hatte er bei den allabendlichen Cenae von Scatos Mutter Notiz genommen, welche weitaus häufiger thematisiert worden war denn der Vater, obschon dieser der Übung der Familia Flavia Romae gemäß weitaus höhere Entscheidungskompetenz besaß, woraus sich schließen ließ, dass eventuell dieser in jenem Falle das Zeitliche gesegnet hatte.

    Sacht wandte Manius Minor sein Haupt nach links und rechts, um gestisch sein "Nihil obstat" zu exprimieren, als Fusus, angefüllt mit Tatendrang, die Planungen konkretisierte. Mitnichten war er indessen geneigt, die geradezu naive Unbeschwerthiet bezüglich der Zukunft zu kommentieren, welche den Knaben in nicht geringem Maße konfundierte. Gleichwohl entbehrten die Konklusionen, welche Fusus verbalisierte, durchaus einer gewissen Wahrhaftigkeit nicht, denn in der Tat war er bis auf weiteres noch in der Lage, sich dem Spiel oder der Lektüre hinzugeben, wobei er mehr und mehr zu letzterem hin tendierte, da es ihm nun doch reichlich infantil erschien, hölzerne Figuren über die teppichbedeckten Fußböden der Villa Flavia zu bewegen, um sich dabei in die Position eines Feldherrn zu imaginieren, selbst wenn seine Freude, jenes im Laufe der Zeit überaus abgegriffene und ob dessen geradezu speckig glänzende, mit nicht wenigen Blessuren versehene hölzerne Krokodil, seinen geliebten Caius nach Rückkehr aus seinem unsäglichen Exil wieder in die Hände zu schließen schier grenzenlos erwiesen hatte.


    "Es wäre mir eine Freude."
    , replizierte er dann schließlich ob der Offerte, ihm beim Rhetor Gesellschaft zu leisten, denn durchaus ängstigte ihn die Perspekte zum ersten Male in seinem Leben nicht innerhalb seines vertrauten Heimes, sondern in der Stadt eine öffentliche Bildungsstätte zu frequentieren, in welcher ihm zweifelsohne kein einziger Kommilitone bekannt sein mochte, diese darüber hinaus wohl ihn an Lebensalter beiweitem übertrafen und entsprechend wohl similär auf ihn herabblicken mochten wie er dies gegenüber Titus bisweilen praktizierte. Selbst wenn Fusus augenscheinlich einige Lenze mehr zählte, würde doch ihre kognatische Verbindung ihm somit zumindest einen Socius in der Schulbank, respektive zu Füßen der Cathedra, sekurieren.


    Zuletzt thematisierte der Gast schließlich doch jene deplorable Verbindung, die gleich einem Damoklesschwert über dem Knaben schwebte und drohte ihn ins eheliche Unglück zu stürzen, weswegen ihm, ehe er sich gewahr werden konnte, dass jene Regung überaus ungalant aufgefasst werden mochte, ein tiefer Seufzer entfuhr.
    "Cornelia, nicht Nichte des Cornelius Scapula, eines Freundes der Familie. Leider ist mir mehr nicht bekannt, denn ich konnte sie bisher noch nicht treffen. Die Verlobung wurde von Vater arrangiert."
    , verblieb ihm somit letztlich nur zu vermerken. Da er gleichwohl rasch bemerkte, dass eine derartig kleinmütige Sprechweise im Kontext der geplanten Eheschließung sich jedweden Konventionen widersträubte und somit selbst im engsten Familienkreise höchst inadäquat war, er zugleich jedoch keinerlei Neigung verspürte, seine Neffen mit Unwahrheiten hinters Licht zu führen, beschloss er rasch, das Sujet zu wechseln:
    "Wie alt bist übrigens du?"
    In jener Angelegenheit laborierte der junge Flavius insonderheit unter seiner Hypermetropie, da diese es ihm verweigerte, Gesichtszüge klar zu erkennen und somit sublime Anzeichen des Alterungsprozesses im Antlitz seines Gegenübers abzulesen, womit er lediglich auf überaus grobschlächtige Indizien wie Körperhaltung, Größe oder das Timbre der Stimme verwiesen war.

    Niemals in seinem Leben hatte der jüngste der attendierenden Flavii über die Edukation und präpolitische Instruierung auf dem Lande, respektive in der Provinz sinniert, weshalb es ihm geradezu komisch erschien, diesbezüglich einen Wissensvorsprung gegenüber einem älteren Anverwandten zu besitzen, welchen er gleichwohl keinesfalls verbalisierte, um Fusus nicht zu offendieren.


    Indessen replizierte er manierlich die an ihn adressierte Frage:
    "Ich bin dreizehn. Ich befinde mich noch in der Edukation und meine Liberalia stehen bald bevor. Vater sagt, der Krieg habe mich zum Manne gemacht. Danach werde ich wohl einen Rhetor besuchen und danach den Cursus Honorum beschreiten. Und heiraten."
    Jener letzte Aspekt missfiel dem Knaben am meisten, weshalb er ihm im Kontext der Kommemoration seiner Zukunft stets in den Sinn kam, was aber ob des knappen Rapports über die Pläne des Gastes rasch in den Hintergrund geriet, denn augenscheinlich hatte dieser einen Schritt getan, welcher Manius Minor zu keinem Zeitpunkt in den Sinn gekommen war, nämlich ein persönliches Urteil über die gemeinhin unausweichlichen Obliegenheiten eines Flavius sich zu gestatten. Zweifelsohne hatte jeder von ihnen, er selbst inkludiert, bisweilen über die inkommodierlichen Obligationen seiner patrizischen Herkunft geseufzt, doch wäre es ihm keineswegs in den Sinn gekommen, den Cursus Honorum und all jene damit verbundenen Ehren als unattraktiv zu deklarieren, dazu dies in aller Öffentlichkeit und mit größter Leichtigkeit zu tun (sofern man das flavische Atrium so benennen mochte). Durchaus zeigten sich derartige pubertäre Regungen auch in dem Knaben, doch hatten sie sich auf gänzlich unpubertäre Weise ausgerechnet gegen die eheliche Gemeinschaft mit einem Mädchen gerichtet.
    Delektablerweise war jene Novität nicht weiter zu kommentieren, denn schon wurden konkrete Pläne gefasst und da Manius Minor überaus selten die Gelegenheit fand, sein Heim zu verlassen, sofern es sich bei seinen Ausflügen nicht um Staatsakte oder Gastmähler handelte, bei welchen er seinen Vater seit frühester Kindheit zu begleiten hatte, erschien ihm die Offerte überaus attraktiv, zumal er somit die Gelegenheit fand, ohne parentale Aufsicht die Stadt zu erkunden.
    "Gern möchte ich partizipieren. Und ich frage Vater."
    Dieses Begehren mochte dieser freilich kaum abschlagen, zumal er zweifelsohne Sklaven zu seinem Schutz und adulte Anverwandte zur Übernahme der Verantwortung mit sich führen sollte.


    "Dann kann ich mich zugleich erkundigen, ob wir ein Gästezimmer dir offerieren können. Wovon ich ausgehe."
    Die Villa Flavia Felix war ein gewaltiges Stadthaus, welches, so schien es bisweilen, einer ganzen Legion als Heimstatt hätte dienen können, was zur Folge hatte, dass selbst Manius Minor, der Zeit seines Lebens hier gehaust hatte, nicht im Entferntesten sämtlicher Gästezimmer ansichtig geworden war.

    Augenscheinlich war sein flavischer Anverwandter nicht geneigt, die parentalen Pläne zu thematisieren, was Manius Minor in seiner aktuellen, überaus deplorablen Relation zu seinem eigenen Vater überaus rekonstruktabel erschien. Da eine derartige Stille indessen überaus inkommodierlich ihm erschien und es ohnehin seiner Edukation entsprach, derartige Momente beflissen durch Konversation zu füllen, applizierte er eine neuerliche Frage:
    "Bei wem gedenkst du denn das Tirocinium fori zu absolvieren?"
    Ob des Faktums, dass Scato das Gespräch mit Fragen bezüglich seines und des Knaben Cursus initiiert hatte, kombinierte dieser, dass dieses Sujet für jenen sich delektabler gestalten würde.