Diverse weitere knappe Erkundigungen des greisen Beamten hatte Patrokolos zu erwidern, ebenso waren Onkel Furianus und sein Vater neuerlich genötigt ihre Zeugenschaft zu konfirmieren, dann endlich war jener indelektable Aspekt der Mannwerdung, jenes banale Ritual der Bürokratie, absolviert, sodass die dispendierenden Worte erfolgten, welche jedwede possiblen formalen Einwände der Mannbarkeit des Knaben ausräumten und damit den administrativen Aspekt jenes Prozesses abschlossen:
"Gut, dann ist dein Herr hiermit offiziell als mündiger Civis Romanus eingetragen."
Mit Ächzen neigte die Gestalt sich dann über den Tisch, um an Patrokolos vorbei auch den Knaben zu fixieren und diesem mit jovialem, in gewissem Maße aber auch spöttelndem Unterton seine Gratulationen zuzusagen:
"Herzlichen Glückwunsch, junger Mann!"
Huldvoll war Manius Minor am heutigen Tage aber geneigt darüber hinwegzusehen, da er doch lediglich dankbar war, jenes obskure Verfahren nunmehr absolviert zu haben und sich dem delektableren Anteil des Tages zuwenden zu können.
"Ich danke dir."
, replizierte er somit zum wiederholten Male an diesem Tage, ohne indessen innere Anteilnahme zu verspüren und wandte sich zum Gehen, was ein neuerliches Besteigen der Sänfte mit sich brachte, denn obschon nur wenige Schritte das Tabularium vom Templum Iovis Capitolini trennten, so hatte der Regen noch immer nicht ausgesetzt und man war nicht geneigt, nun kurz vor Abschluss der außerhäuslichen Verpflichtungen des Tages die frisch erworbene Toga Pura der Nässe auszusetzen. Binnen weniger Augenblicke und doch mit größten Aufwendungen überwand der Knabe somit die Distanz hinüber zum letzten Opfer, welches gemeinsam mit dem ersten am Morgen die Zeremonien gewissermaßen einrahmte.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor
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Innerhalb der rechten Cella des capitolinischen Tempels, die eigentlich der Minerva geweiht war, fand sich neben der zentralen Nische, in welcher die Göttin der Weisheit in Überlebensgröße dargestellt war, eine weitere, die ein Abbild der Iuventas barg, da, mochte man legendären Narrationen Glauben schenken, jene Göttin ebenso wie Terminus dem Tarquinius Priscus versagt hatte, den Platz für ein Heiligtum der Trias Capitolina zu räumen und das römische Staatsheiligtum somit gleichsam um die ältere Kultstätte der Göttin der heranwachsenden Jünglinge herum konstruiert worden war.
Hierhin pflegte jeder Jüngling am Tage seiner Mannbarwerdung zu pilgern, nachdem er zuvor vor dem Praetor seinen Status konfirmiert bekommen und sich folgend im Tabularium in die Libri Iuniorum immatrikuliert hatte.Jenem Brauch hatte auch der junge Flavius Gracchus Folge zu leisten, nachdem er seine Toga Virilis angelegt hatte, bei strömendem Regen nicht per Pedes, sondern vielmehr bequemlich in einer Sänfte sitzend und an der Spitze einer formidablen Schar an Familiaren seinen Weg vom Quirinal hinab zum Forum Ulpium und nicht wie gewöhnlich auf das Forum Romanum angetreten hatte, um dort vor dem Praetor Urbanus seine Mannbarkeit zu postulieren, und endlich die unsägliche Banalität der Inskription im Tabularium über sich ergehen hatte lassen.
In Anbetracht der Faktizität, dass der capitolinische Tempel allerdings auf einem Fundament ruhte, dessen Niveau das der Area Capitolina mit den großen Opferaltären und unzähligen Beutestücken einer langen Reihe von Imperatoren um einige Stufen übertraf, musste der Knabe doch einen beachtlichen Raum bar jeden Schutzes vor den himmlischen Ergüssen überwinden, sodass er keinesfalls mehr von großer Trockenheit war und das Hasten über die Treppe seine neue Toga Virilis in gewissem Maße disturbiert hatte. Unterhalb der Säulen, doch außerhalb der güldenen Pforten war somit neuerlich eine knappe Pause zur Regulierung der Kleidung anzuberaumen, die sogleich genutzt wurde, um den Saum der Toga gleich über das Haupt des Knaben zu drapieren, ehe endlich das Heiligtum des Iuppiter Optimus Maximus zu betreten war.Geregt von größter Pietät durchschritt der Knabe dann endlich das Innere des majestätischen Bauwerks, sog die Luft ein, welche Spuren von duftendem Weihrauch der letzten Darbringungen mit sich führte, erblickte den überdimensionalen Schemen der überaus impressiven Statue der obersten Staatsgottheit, gehüllt in Purpur und mit güldener Haut, den Adler zu seinen Füßen und die Blitze in Händen. Spontan kam ihm in den Sinn, dass dieses Heiligtum vor einigen Jahren vom letzten der flavischen Kaiser nach einem Blitzschlag renoviert worden war, dass er mit seiner Mannbarkeit somit in Fußstapfen zu treten genötigt sein musste, welche konträr zu den geradezu winzigen seines Vaters durchaus tiefe Spuren im Antlitz der Urbs Aeterna hinterlassen hatten. Und doch würdigte er Iuppiter lediglich eines devoten Blickes, ehe er sich der rechten Cella zuwandte, wo Minerva thronte, die er aber ebenfalls unbeachtet zurückließ und sich in seiner Fixierung auf eine neuerliche Konfirmation seiner Pietas direkt der Nische der Iuventas zuwandte.
Im Angesicht der Statue verharrte er endlich, blickte auf zu der jugendlichen Gestalt, welche er aus er Nähe kaum zu identifzieren in der Lage war. In ihrer hocherhobenen Hand leuchtete etwas gülden, wobei es sich, wie Manius Minor wusste, um eine Kanne zum Servieren von Nektar und Ambrosia handeln musste, oberhalb des über die Hüften gerafften leuchtend farbigen Gewandes ließen sich gewisser Phantasie die dort befindlichen femininen Rundungen erahnen, welche bei ihm, anders als dies bei vielen anderen Jünglingen, die soeben die Toga Virilis angelegt hatten, der Fall sein mochte, allerdings keinerlei sexuelle Konnotationen erweckten, sodass er gänzlich auf sein zu sprechendes Gebet sich zu konzentrieren imstande war, welches Patrokolos soufflierte:
"Iuventas, Hüterin der Jünglinge und Geleiterin auf dem Weg zur Mannbarkeit. Höre mich an und gewähre mir, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius, Deine Beachtung!
Du hast mich geleitet bis zum heutigen Tage und mich mit reichem Segen bedacht. Nimm zum Dank diese Münze und gewähre mir, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius, Dein Wohlwollen! Wie ich bisher bewahrt wurde, so bewahre mich auf meinem weiteren Wege zum Manne."
Kein Zweifel bestand für den jungen Flavius, dass dieser Weg in seinem Falle noch überaus weit war, dass er durchaus sämtlicher Segen und Hilfen bedurfte, um endlich zu dem zu werden, was er heute wiederholt postuliert hatte, sodass er mit großem Ernst die traditionelle Opfergabe, eine Münze, welche ob seiner patrizischen Provenienz selbstredend ein Aureus war, in den Kasten warf, der zu Füßen der Göttin angebracht war.
Dann erst wandte er sich nach rechts und schritt auf die ihn noch immer accompagnierende Schar der Familiaren zu und kam zum Stehen.
"Gehen wir nach Hause?"
, fragte er dann mit infantiler Unschuld, welche performativ all jene gravitätischen Mannbarkeitsrituale Lügen strafte, dennoch aber aus tiefstem Herzen rührten, da all die Geschehnisse des Tages, verbunden mit jener disturbierenden Vielzahl von emotionalen Regungen den Knaben in nicht geringem Maße erschöpften. -
Die Kürze der Beine des Knaben hatte zur Folge, dass Fusus ihn recht bald überflügelte und so als erster die Pforte des Heiligtums passierte, wobei Manius Minor ihm doch auf dem Fuße folgte, während augenscheinlich Scato eine gewisse Distanz zu wahren geneigt war, obschon sämtliche Flavii nun Münzen als potentielle Opfergaben in Händen hielten.
Die Spekulationen des einen waren aus Remineszenzen an belehrende Worte von Gracchus Maior indessen leichtlich zu falsifizieren, was der jüngere Gracchus prompt verbalisierte, was zweifelsohne nicht unwesentlich darauf zurückzuführen war, dass er eine Kindheit in relativer Isolation verlebt hatte (zumindest im Hinblick auf Altersgenossen) und somit der Ruf eines Rabulisten ihm unbekannt war, ja er vielmehr stets Korrekturen seiner infantilen Imaginationen erfahren hatte:
"Divus Titus und Vespasianus waren bereits in den Gefilden der Seeligen, als Domitianus diesen Tempel erbaute. Und sie waren schon eingeäschert. Und die anderen Toten waren sicherlich auch bereits verbrannt!"
Nicht lediglich ein einziges Mal hatte der junge Flavius Bestattungen beigewohnt, sodass ihm aus Anschauung bekannt war, dass selbst in den impressiven Mausolea an den Ausfallstraßen der Urbs mitnichten Leiber, sondern lediglich Asche aufbewahrt wurde, womit kaum von "Tragen" zu sprechen war.
"Dort sind ihre Urnen verstaut."
, fügte er an und deutete auf zwei marmorne Platten an der Basis zweier Statuen, welche die beiden apotheisierten flavischen Kaiser symbolisierten und dabei an ihrer Seite eine eigentümliche Leerstelle ließen, wo einstmals auch das Ebenbild des Erbauers jenes Tempels aufgestellt gewesen war, welches ob der Damnatio Memoriae indessen schon kurz nach dessen Ableben entfernt worden war, obschon man munkelte, dass die Gebeine des dritten flavischen Imperators hinter einer weiteren Marmorplatte ruhten, über welcher das Ebenbild der Flavia Iulia, die opponent zu den Kaisern in etwas geringerer Größe dargestellt war."Hier könnt ihr euer Opfer darbringen."
, gab er letztlich noch zum Besten und platzierte seinen Denarius in einem bronzenen Kasten zur Rechten der Pforte, in den Passanten ihre minderen monetären Opfer ableisten konnten. -
Balsam auf der Seele des Knaben waren die ersten Gratulationen, welche just jener Verwandte ihm angedeien ließ, gegen welchen er momentan die größte Sympathie verspürte, zumal sie mit Freundschaftsschwüren verbunden war, derer er in seiner aktuellen Situation aufs Dringendste bedurfte.
"Ich danke dir, Iullus."
, erwiderte er sogleich und schenkte seinerseits dem Gegenüber ein timides Lächeln.
"Dann können wir nun wohl gemeinsam in der Toga Pura auftreten." -
Die Testimonien seiner Anverwandten erfolgten unverzüglich und klar, obschon selbstredend keiner von beiden seinen Leib inspiziert hatte, um den Vollzug seiner Pubertas zu ergründen, was indessen ohnehin zu einem negativen Resultat geführt hätte, da bei dem jungen Flavius noch nicht einmal eine signifikante Schambehaarung, gänzlich zu schweigen von Bartwuchs oder einer Eintiefung der Stimme zu beobachten war. In jenen Zeiten freilich, in welchen der Praetor keine Inspectio Corporis mehr durchzuführen pflegte und in welcher die Proculianer ohnehin mit dem vierzehnten Lebensjahr pauschal von einer korporalen Reife auszugehen pflegten, war dieser Umstand gänzlich irrelevant.
Der Knabe befasste sich indessen mit derartigen Überlegungen ohnehin kaum, denn die Signifikanz jenes gravierenden Augenblickes in seinem Leben rührte ihn doch an, unwissend, ob er aus Furcht sich verkriechen oder nicht doch gewissen Stolz verspüren sollte, denn trotz gräulicher Träume und übelster Intuition war dies doch jener Moment, dem ein Kind beständig entgegenfieberte, war die Ledigkeit sämtlicher parentaler Dependenz nicht ein bloßer Verlust der Geborgenheit, sondern eben auch ein Versprechen von Libertät. Wie um sich seiner selbst zu versichern wandte er daher das Haupt nach rechts, wo er den wohlvertrauten Schemen seines Vaters ausmachte, dann nach links, wo ihm der ebenso bekannte Scheme seines Onkels Furianus entgegentrat, den er, obschon er seiner weitaus seltener, ja oftmals tagelang niemals ansichtig wurde, auch ohne die Stimme anhand ihres spezifisch gebückten Ganges eindeutig identifiziert hätte. Beide standen an seiner Seite und mit ihnen die gesamte Familia Flavia, blickten ihn, selbst wenn er dies nur sehr bedingt zu erkennen imstande war, zweifelsohne mit Stolz und Freude an, was dessenungeachtet bei seinem Vater wohl darauf zurückzuführen war, dass er mit jenem Akt der Last einer Verantwortung ledig geworden sein mochte.
Noch immer gänzlich konfundiert von jenen disparaten Regungen stammelte er endlich ein
"ich d...danke Dir, P...Praetor."
, nahm die Tabula an sich und wandte sich, gleich einem Opferritual, nach rechts, sodass er endlich imstande war, seine ganze Familia ins Auge zu fassen: an vorderster Front stand, gezähmt von seinem Paedagogus, sein Bruder Titus, dazu erfasste er trotz der Unschärfe seines Gesichtsfeldes die strahlend rote Frisur seiner Tante Domitilla, den feingliedrigen, ja geradezu zerbrechlich wirkenden Leib seines "Neffen" Fusus, ebenso dessen Bruder Scato, sämtlich gehüllt in die Staatskleider, welche ihren Stand symbolisierten. Schmerzlich wurde ihm gewahr, dass seine geliebte Mutter wie auch seine Schwester selbst jenen überaus bedeutsamen Anlass nicht genutzt hatten, um eine Visite in Rom durchzuführen. Und dennoch konnte er sich nicht einer gewissen Kalmierung seiner Furcht erwehren, denn obschon sein Vater ein Feigling sein mochte, obschon er sich noch immer mehr als ein Knabe denn als Erwachsener fühlte, so gab es doch zahlreiche weitere Personen, welche ihm mit Rat und Tat zur Seite standen, welche sich mit ihm freuten (obschon seine Freude enge Grenzen hatte), ihn stützten und fest an seiner Seite standen. Bedachte er es recht, so hatte es ihm letztlich doch bisher niemals an wohlwollenden Kustoden gefehlt, hatten der kränkliche Onkel Flaccus, Legatus Aurelius und zuletzt sein geschätzter Gastgeber zu Cremona stets über ihn gewacht und Rat geleistet, hatte letzterer ihm gar einen Freund und eine Stütze geschenkt, welche zweifelsohne geeignet war, ihm auch in der Zukunft zu Diensten zu sein.So schien doch langsam die Anspannung von ihm abzufallen, als er mit langsamen, gravitätischen Schritten, wie sie ohnehin in der Toga Pura nur möglich waren, auf die Schar der Gäste zuhielt, um Gratulationen zu akzeptieren und sich dann endlich aufs Neue dem Regen auszusetzen, um die letzte Etappe des heutigen Weges, das Capitolium, anzusteuern. Eventuell war die Adoleszenz lediglich jene Phase, in welcher man nicht mehr an parentale Protektion gebunden war, sondern schlichtweg die Freiheit besaß, sich seine Protektoren eigenständig zu wählen.
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Eine gewisse Zeit nahm die Verladung der Festgesellschaft in ihre Sänften in Anspruch, denn noch immer weinte der Himmel, selbst wenn die dicksten Tropfen bereits versiegt waren und es ein wenig heller geworden zu sein schien. Bei vermindertem Regen also hatten die Träger die delikateste Etappe ihrer heutigen Obliegenheit, den Aufstieg zum Capitolium und dem dort befindlichen Tabularium, zu vollziehen. Neuerlich enthielt sich Manius Minor bei gewisser Unruhe seines Tragegefährts, welche der Anstrengung wohl zu verschulden war, jedweden Kommentars gegenüber seinem ihm wie bereits zuvor opposit platzierten Vater, der sich wohl mit Titus befassen und diesem die Riten des Tages explizieren mochte. Stattdessen schob er den Vorhang vor dem Fenster ein wenig beiseite, was zur Folge hatte, dass sich immer wieder einzelne Tropfen ins Innere der Sänfte verirrten ohne den Knaben aber im geringsten zu disturbieren, welcher das ihn passierende Forum Romanum, dann die Grundmauern des Tabulariums betrachtete, die allerdings nicht sonders ansehnlich waren, zumal er ohnehin außerstande war, die Bauten beständig scharf zu fixieren.
Endlich kam das Gefährt zum Halten und der junge Flavius konnte endlich die displaisierliche Situation in der Enge der Sänfte aufheben, indem er neuerlich, gestützt durch seinen aufs Neue befeuchteten Patrokolos, ins Freie stieg und sich eilte, die kurze Distanz bis zur Pforte des Tabulariums zu überwinden. Dahinter saß ein ältlicher, wohl bereits seit Jahrzehnten kahler Archivar, dessen matte Glatze von einem recht dünn gewordenen Kranz ergrauten Haares umfasst wurde, hinter einem Tisch.
"Der ehrenwerte Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius, beantragt die Einschreibung in den Tribus Velina und in die Libri Iuniorum."
, verlautbarte Patrokolos, da es sich hier zweifelsohne nicht um eine Person hohen Status' handelte, mit dem selbst ein knabenhafter Patrizier nur ungern zu parlieren pflegte.
"Libri Iuniorum? Kannst du denn die praetorische Bestätigung vorlegen?"
, fragte der Beamte zurück und legte die Schriftrolle beiseite, als nach und nach ein Togaträger nach dem nächsten das Foyer betrat. Der junge Flavius reichte Patrokolos das soeben erhaltene Schreiben, womit es endlich in die Hände des Archivars gelangte, welcher es wiederum eingehend inspizierte, aufblickte, den Knaben fixierte und eine spöttische Miene aufsetzte, welche der Verspottete selbstredend bei dem spärlichen Licht, das eine von der Decke hängende Öllampe hier produzierte, kaum zu identifizieren imstande war.
"Die Erwachsenen werden auch immer jünger heutzutage..."
, murmelte er endlich und griff zu einem Stabel Tabula, von welchem er die oberste ergriff und beschriftete, wobei er eben jene Daten neuerlich erfragte, welche zweifelsohne auch dem Schreiben des Praetors zu entnehmen waren:
"Name?"
"Manius Flavius Gracchus."
"Vater?"
"Manius Flavius Gracchus."
"Patria Potestas?"
"Manius Flavius Gracchus."
"Bürgen?"
"Manius Flavius Gracchus und Lucius Flavius Furianus."
"Alter?"
"Dreizehn."
"Tribus?"
"Velina."
"Ordo?"
"Senatorius."
"Centuria?"
"Equites."
In der Tat handelte es sich bei der Immatrikulation in die Bürgerlisten lediglich um eine verwaltungstechnische Formalität, doch deren nüchterne, ja geradezu ennuyante Qualität schreckte den Knaben doch nicht wenig, da der private Anteil der Festivität doch so überaus festlich sich gestaltet hatte, da eine große Zahl an Freunden, Klienten und Familiaren die Mühen auf sich genommen hatte, ihn hierher zu geleiten, während man nun schnöde Lebensdaten erfragte und in eine Tabula ritzte, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, ja ihm sogar Spott vonseiten eines einfachen Scriba angedeihen ließ. -
"Ja, ich benenne meinen ehrenwerten Vater, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titus Flavius Vespasianus und Lucius Flavius Furianus, Sohn des Secundus Flavius Felix."
, replizierte der junge Flavius mit timider Stimme in der traditionellen Formel zur Spezifikation zweier Zeugen in mannbarem Alter, die dem Usus gemäß aus den Agnaten erwählt wurden. In jenem Falle waren wie gebräuchlich honorable Persönlichkeiten requiriert worden, selbst wenn in der subjektiven Perspektive des Knaben sein Vater der Ehren kaum mehr wert war, welche ihm von allen Seiten noch immer trotz sämtlicher Unzulänglichkeiten und der schändlichen Feigheit in den Jahren des Krieges zugebilligt wurden. -
Der Knabe folgte seinem Neffen, welcher dem Tempel sich unbefangen approximierte, während neuerlich sein weiterer Neffe Scato explizierte, dass er überaus große Ambitionen hegte, weshalb ihm in den Sinn kam, dass Onkel Flaccus diesen Ort nicht nur zu Totenfesten aufgesucht hatte:
"Onkel Flaccus hat unseren Ahnen hier auch geopfert, damit sie ihn auf dem Cursus Honorum unterstützen."
Dieses Verhalten war überaus adäquat, handelte es sich doch nicht nur bei Divus Vespasianus und Titus, deren Cultus auch auf dem Forum Romanum erfolgte, sondern auch bei den weniger exponierten Angehörigen der damaligen kaiserlichen Familie um formidable Staatsgottheiten.
In jenem Augenschlag rührte Patrokolos seinen Herrn sanft am Arm, um dessen Appetenz einer ihm ob seiner Fehlsicht verborgenen Unebenheit des Grundes zuzuwenden, was er verbal unterstützte:
"Vorsicht, Fuge!"
Sofort hielt der Knabe inne, hob seinen Fuß ein wenig höher und setzte den Weg dann auf dem Tempel zu fort, was ihm seit der Rückkehr in die Urbs gänzlich zum Usus geworden war, sodass er dem keinerlei Aufmerksamkeit mehr schenkte, sondern unbeeindruckt fortfuhr:
"Wir könnten einen Blick hinein riskieren, allerdings haben wir wohl keinerlei adäquate Opfergaben."
Ratsuchend blickte er zu Patrokolos, welcher einen Augenblick zu spintisieren schien, dann aber eine Geldbörse von seinem Arm löste.
"Eine Münze, Domine?"
Aufs Neue musste Manius Minor sich eingestehen, dass es sich bei Patrokolos wohl um seinen teuersten Besitz handelte, denn mitnichten war er nur als Lektor und Sensor überaus agreabel, sondern darüber hinaus überkamen ihn bisweilen sensationelle Geistesblitze!
"Eine kapitale Idee!"
, konsentierte er deshalb und ließ sich einen silbernen Denarius reichen. Eine derartig mindere Gabe war wohl auch geeignet, ohne großes Gepränge wie exakt formulierte Gebete, Flötenspiel, Ministri und dergleichen, das bei großen Staatsopfern, wie sein Vater sie zu zelebrieren pflegte, dargebracht zu werden, zumal für monetäre Opfergaben nicht selten ein Geldkasten in einigen Tempeln angebracht war.
"Meint ihr nicht, unsere Ahnen würden sich daran erfreuen?" -
In der Tat hatten jene Ereignisse weitreichende Konsequenzen für den jungen Flavius, doch waren diese mitnichten um direkt leiblicher oder seelischer, sondern vielmehr rechtlicher Natur, da Manius Maior den Beschluss gefasst hatte, seinem Sohn die Toga Virilis zu verleihen, was Manius Minor in der Tat beinahe verbalisiert hätte, ehe Fusus explizierte, dass er weniger jenes gemeinhin wohl durchaus positiv bewertete Thema kaum ins Auge gefasst hatte, zumal ihm diesbezüglich keinerlei Hilfe zu erbieten war, welche sein Neffe doch zu leisten gewillt war.
"Die Verbannten sind schon wieder zurück und uns geht es wieder gut, denke ich."
, log der Knabe, denn 'gut' war selbst für sein noch bisweilen recht infantiles Gemüt eine überaus inadäquate Deskription für seinen seelischen Status, welcher geplagt war von Albträumen seiner schauerlichen Flucht, der Sehnsucht nach personaler Nähe, welche ihm zuletzt im cremonesischen Exil zuteil geworden war, seiner Scham bezüglich seines feigen Vaters, dessen Verdienste in jenem Bürgerkrieg ihm erstunken und erlogen erschienen, sowie der Furcht vor einer Adoleszenz, welche ihn noch weiter von der Zuneigung seines Vaters und insbesondere seiner geliebten Mutter würde separieren. -
Einträchtig standen Vater und Sohn beeinander, während Sklaven ihnen die Toga richteten, was ein überaus possierliches Bild abgeben mochte, obschon dem Knaben mitnichten freudig zumute war, denn die Stille der Sänfte, welche selbstredend dem Naturell der beiden älteren Gracchi entsprechend lediglich durch diverse infantile Kommentare des jüngsten von dreien disturbiert worden war, hatte ihm überaus viel Zeit gelassen, seinen grässlichen Traum zu kommemorieren, während er zugleich den Schemen seines Vaters inspiziert hatte ohne imstande zu sein, dessen Mimik zweifelsfrei zu identifizieren.
Als endlich das Staatskleid seinen optimalen Sitz gefunden hatte, erkundigte Manius Maior sich nach einer Bereitschaft, welche Manius Minor umgehend zu negieren geneigt war. Neuerlich trat ihm jener kauernde Feigling seines Traumes vor Augen, sein "Du musst di'h nun selbst zur Wehr setzen" und das Desinteresse, welches dieser ihm in höchster Not zuteil werden hatte lassen. Für diesen Schritt war er mitnichten bereit, vielmehr war er nach wie vor ein Knabe, der noch nicht einmal jenes Kratzen in der Stimme oder das Spriesen eines Bartes verspürte, welches einen Iuvenis auszeichnete, der sich nun nach seinem Krokodil Caius zurücksehnte, wo doch ein gänzlich differenter Caius aus der adulten Welt der Res Publica (wie nicht selten trug nämlich der Praetor Urbanus dieses Jahres eben denselben Praenomen) ihn erwartete, der sich isoliert fühlte und nach seinem Gastgeber aus Cremona zurücksehnte, welcher doch ein so viel besserer Vater gewesen wäre als jene Gestalt vor seinen Augen, die er trotz jeglicher geistiger Distanz nicht scharf zu fokussieren imstande war.
Und doch mimte er neuerlich den gehorsamen Sohn, dessen Pietas bar jeder Trübung jedweden inneren Widerstand überwand gleich dem jungen Publilius, welcher für seinen Vater die Schuldknechtschaft des lüsternen Lucius Papirius auf sich genommen hatte:
"Ja, Vater."
, ließ der daher vernehmen und wandte sich zum Gehen, durchschritt das Portal und trat auf die Sella Curulis zu, wo an diesem Tage ob des Regens nur wenige Petenten sich versammelt waren, welche in der Tat rasch beiseite wichen, als das flavische Gefolge, nahezu sämtlich gehüllt in die Tunica Laticlava, sich approximierte, sodass der Knabe recht bald direkt vor dem Tribunal stand, auf dem ein ältlicher Herr in der Toga Praetexta sich in die Sella Curulis lümmelte und sich erst ein wenig aufrichtete, als er des älteren Gracchus ansichtig wurde.Nun war es indessen gemäß der Mores Maiorum nicht an dem älteren, sondern an dem jüngeren Manius das Wort zu ergreifen um seine Adoleszenz öffentlich zu verkündigen:
"Ich bin Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius Flavius Gracchus und bin zum Manne gereift. Deshalb beantrage ich die Einschreibung in die Tribus Velina, in der bereits mein Vater und Großvater abgestimmt haben."
Jener nüchterne Akt verwaltungstechnischer Natur war es, der die Mannbarkeit nach Maßstäben der Res Publica bestimmte, obschon den Tribus selbstredend keinerlei reale politische Bedeutung mehr zukam, da sämtliche Ämter nicht mehr von Comitia, sondern exklusiv dem Senat gewählt wurden, deren Zugehörigkeit aber dennoch das distinktive Indiz römischen Vollbürgerrechtes darstellte, weshalb der gemeine Pöbel, insonderheit in den Provinzen des Reiches, diese gar auf seinen Grabsteinen zu verewigen pflegte. -
Große Geschäftigkeit erfüllte den Villicus, welcher auch nun sich zum Fortschreiten durchrang, was sich rasch auf das Gesinde des Hauses fortpflanzte, sodass der junge Flavius neuerlich zum Warten verdammt war. Während der Knabe sich den Maiores zuwandte, die in wächsnen Masken und steinernen Büsten ihn in seiner neuen Tracht examinierten, mussten sämtliche Sänften der Villa Flavia Felix akquiriert werden, die, obschon man sie bereits präpariert hatte, doch in Hoffnung auf günstigere metereologische Umstände nicht gänzlich vorbereitet worden waren, eine große Schar von Sklaven und Klienten musste als Träger rekrutiert und eingewiesen werden, da diejenigen, welchen gewöhnlich diese Domäne oblag, keinesfalls suffizient waren um die gesamte Familia Flavia samt diverser Klienten zugleich via Sänfte zu transportieren.
Erst nach einer geraumen Zeitspanne waren die engsten Anverwandten, respektive Manius Minor, Manius Maior wie auch Titus, in der Lage, die geräumigste Version der geschlossenen flavischen Tragstühle zu erklimmen, während die übrigen Flavii in weitere Sänften sich zu platzieren hatten und Sciurius, Patrokolos wie auch sämtliche übrige Sklaven sich in Paenulae hüllten, um dem Regen zumindest ein wenig zu entgehen. In derart wenig erquicklicher Aufmachung nun setzte sich der Festzug in Fahrt, um das selbst bei jenem Wetter pulsierende Herz der Res Publica im Tal zwischen den sieben Hügeln zu erreichen.
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Bei strömendem Regen gelangte eine bemerkenswerte Schar von Sänften diverser Größe und Aufmachung vom Quirinal descendierend auf das Forum Ulpium, allen voran ein größeres Exemplar, welches der flavische Caduceus an seinen Flanken zierte. Darin befand sich der Urgrund all jener Aufwändungen, ein verschüchterter Knabe von eben dreizehn Lenzen, aus welchem dennoch am heutigen Tage ein vollwertiger Civis Romanus werden musste, wie es das Verdikt des zweiten Passagiers, seines Vaters Manius Flavius Gracchus Maior gewesen war. Weiters beherbergte jenes Gefährt aber noch die übrigen Glieder der Familia Flavia Graccha, sah man von den Sklaven ab, die in Mäntel gehüllt dem kühlen Nass vom Himmel zu trotzen hatten, allen voran Sciurius, der Villicus des Hauptes der Familia. Anstatt einer Deductio in foro, wie sie anlässlich der Liberalia gebräuchlich war und den Jüngling auf dem Forum Romanum, jenem uralten Fokus der Res Publica, der Bürgerschaft zu präsentieren pflegte, musste man heute, wo bereits der Tag nicht diesem Ritual adäquat war, nicht nur darüber hinausgehend auf das dem Usus entsprechende Gepränge verzichten, sondern lediglich den Praetor Urbanus in der Basilica Ulpia aufsuchen, wo er für gewöhnlich zu Gericht saß.
Somit neigte sich der Zug aus Sänften mit flavischen Familiaren, gefolgt von einer Masse an Klienten, Sklaven und Dienern, bereits an der Mauer des Forum Augustum nach rechts, passierte den Triumphbogen des Divus Traianus, welcher die dacischen Siege jenes großen Imperators zelebrierte, überquerte den dahinter liegenden Platz und kam an den Stufen der hoch sich auftürmenden Basilica zum Stehen. Die erste Sänfte drängte sich gar an den Porticus, um ihre Passagiere trockenen Fußes unter das schützende Dach steigen zu lassen, während die übrige Festgemeinde zumindest für eine winzige Zeitspanne sich dem Regen zu exponieren hatte. Doch auch Manius Minor trafen versprengte Tropfen auf seine blütenweise Toga Pura, welche er erst wenige Momente zuvor angelegt hatte, während der trotz seines Mantels gänzlich durchnässte Patrokolos ihm aus der Sänfte half. Dann trat er einige Schritte nach vorn, wo weitere vom Regen gezeichnete Diener sich neuerlich mühten, das durch das Sitzen und Bewegen derangierte Staatskleid in eine konvenierliche Form zu legen, ehe der junge Herr dem Praetor vorgeführt werden konnte.
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Freilich war dies gleichbedeutend mit dem Beginn des folgenden Parts seines Mannbarkeitsrituals, bei welchem er ähnlich seinem Traume tatsächlich der Öffentlichkeit ausgesetzt sein würde, denn nun war die Sekurität des trauten Heim aufzugeben, um die Präsentation vor dem Praetor Urbanus passieren zu lassen und anschließend eine Immatrikulation in die Bürgerlisten auf dem Tabularium zu erwirken. Der Gedanke an jenen Aspekt des Programmes richtete die Appetenz des Knaben neuerlich auf die meteorologischen Verhältnisse, welche ihm bei all jener Okkupation zeitweilig entfallen waren, ihn nunmehr aber aufs Neue die vorangegangene Kognition schlicht aktivierte, da diese unveränderte Geltung behalten hatte: noch immer regnete es in Strömen.
Deplorablerweise war jenen Umständen aber nicht zu entgehen, denn keinesfalls konnte die Gesellschaft weiters im Atrium verweilen und den Tag passieren lassen, sodass letztlich die Vereinigung von Sonne und Horizont jedweden offiziösen Akt des Praetors vereitelte und eine Prokrastination erforderlich machte, welche überaus ungut mit dem geplanten Gastmahl am Abend korrespondierte.
Sim-Off: Der nächste Akt folgt und wird sofort hier eine Verlinkung aufbringen
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Der geplanten Exkursion in die Urbs hatte der junge Flavius mit nicht geringer Vorfreude entgegengeblickt, da er überaus große Sympathie für seine neuen Anverwandten empfand, insbesondere zu Fusus, dessen neunzehn Lenze zwar durchaus ebenfalls eine altersbedingte Differenz zu seinen dreizehn darstellten, der indessen dennoch durch seine erquicklich frische Art und unkonventionelle Denkweise dem Knaben imponierte. Unwesentlich vermindert wirkte solche Sympathie freilich auch gegen Scato, wessen Ehrgeiz augenscheinlich ein weitaus höheres Maß erreichte denn sein Bruder, weswegen er häufig die Villa Flavia Felix hinter sich ließ, der damit allerdings dem entsprach, was Manius Minor stets als das Ideal eines Flavius präsentiert worden war und auch ihm selbst überaus erstrebenswert erschien, sodass jener, anders als sein feiger Vater, ein überaus adäquates Idol verkörpern mochte.
Dass er dessenungeachtet gegenüber beiden über einen stets aufs Neue erstaunlichen Vorsprung an Wissen und Kenntnis der Urbs Aeterna wie auch der Familia Flavia Romae verfügte, erfreute ihn umso mehr, da dieser Umstand ihm ein Gefühl von Adoleszenz und Wertschätzung vermittelte, welches ihm seit seiner Retoure aus dem cremonesischen Exil von keiner Seite zuteil geworden war, zumal dies auch vor dem Kriege regulär Aufgabe seiner geliebten Mutter gewesen war, welche sich, wie man ihm mitteilte, nach Ravenna zurückgezogen hatte.Gemeinsam nun überwanden sie nun in ihren offenen Sänften, für deren Bewachung Fusus als bei der gestrigen Cena beauftragte Organisator jener Exploration eine Schar an Dienern, unter ihnen auch Patrokolos, den Manius Minor zu keiner Zeit mehr missen mochte, rekrutiert hatte, die selbstredend auch weitere Verrichtungen übernehmen konnten, um nichts an Komfort für die drei jungen Flavii missen zu lassen, die knappe Distanz zwischen der Villa Flavia und dem Templum Gentis Flaviae, einem überaus imposanten Monument in Form eines Rundtempels, welcher in einem portikusgesäumten Hofe platziert war. Nicht selten hatte der Knabe jenen Ort an der Seite seines Vaters aufgesucht, namentlich zu den Parentalia, weswegen er auf die Frage Fusus' replizierte:
"In der Tat. Dies ist immerhin zugleich das Grabmal einiger Flavii. Beispielsweise Divus Vespasianus, Divus Titus und der Iulia Flavia. Auch an Familienfesten sind wir nicht selten hier, um unserer Ahnen zu gedenken."
Ebenso wie die anderen entstieg er seiner Sänfte, wobei ihm sein geliebter Patrokolos assistierte. Aus der aktuellen Position war er in der Tat noch in der Lage, das sich ihnen darbietende Relief zu identifizieren, das Palmen darstellte und gemeinsam mit den davor befindlichen Statuen auf die Provincia Iudaea verwies, welche seine Ahnen seinerzeit unterworfen hatten. Deplorablerweise würde er indessen niemals mehr die Kapazität besitzen, jene Darstellungen von Nahem zu inspizieren, sodass er wenig Neigung empfand, das Heiligtum zu betreten. -
Was nun erfolgte, war die Investitur in die Toga Virilis, welche lediglich in der Einfärbung eines winzigen Anteils, nämlich des Latus Clavus, von der aktuell getragenen sich differierte. Um die Anteilnahme sämtlicher Anwesender zu ermöglichen, wandte sich Manius Minor zu diesem Zwecke der versammelten Menge zu und setzte wenige Schritte in deren Richtung, ehe er zum Halten kam und in derselben Weise, in der er dies im Vorfeld jedes offiziösen Auftritts in publico praktizierte, obschon dies für gewöhnlich in seinem Cubiculum sich zutrug und nicht im Atrium, die Arme von sich streckte, um den herbeieilenden Dienern die Umkleide zu simplifizieren, welcher diese sogleich nachkamen. Mit wenigen Handgriffen war der Knabe seiner Toga Praetexta ledig und stand nun lediglich angetan mit der Tunica Laticlava, welche seinem Stand als Sprössling eines Senators adäquat war, vor dem Publikum, wobei der Umstand, dass er selbst seiner Bulla entblößt war, ihm nochmals speziell ins Bewusstsein gelangte, sodass er sich geradezu nackt wähnte, zumal sein Gestus auf exzeptionelle Weise ein Gefühl von Willfährigkeit ihm vermittelte, welches als Vorgeschmack auf die nun anbrechende Phase der Adoleszenz ihm erschien, in der Manius Maior, welcher trotz jeglicher Feigheit durchaus seiner parentalen Pflicht nachgekommen war und sich im Zweifelsfalle protegierend vor Manius Minor postiert hatte, jedweder Verantwortung ledig sein mochte, ihn ja geradezu dem Publikum, obschon es sich in diesem Fall um Getreue der Gens Flavia handelte, zu Fraße vorwarf. In eben jener Situation memorierte er auch aufs Neue jenen grässlichen Traum, welcher vor Tagen ihn heimgesucht hatte, war neuerlich genötigt jene bleierne Toga Virilis, jenes feige Zurückweichen seines Vaters und den mörderischen Anschlag der ihm allzu vertrauten lebenden Toten gedanklich revuepassieren zu lassen.
Zumindest aber trat Sciurius wenige Augenschläge später mit der reinen Toga Pura heran, die mit geübten Handgriffen entfaltet und dem jungen Flavius umgelegt wurde, ohne dass sie jene metallurgische Qualität wie die seines Traumes besaß, obschon gleich drei Vestispicii zugleich dem Vilicus zur Hand gingen und ein formidables Resultat produzierten, welches auch dem nunmehrigen Manne trotz seiner überaus negativen Assoziationen zur vollsten Zufriedenheit gereichte, zumal es ihm in Differenz zu seinem Traume nicht nur gestattete, seine Arme aus der Horizontale zu nehmen, sondern diese auch generell vom Körper zu entfernen, da er mitnichten durch eine stählerne Hülle gefesselt, sondern lediglich auf die gewöhnliche Weise bezüglich hastiger Bewegungen und ausladender Schritte eingeschränkt war.
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Keinesfalls war sein winziges Publikum sprachlos ob jener Odyssee, welche er zu durchleben genötigt worden war, die ihm gleichsam um ein Vieles potenziert unerquicklicher erschien denn Domitillas eigenes Schicksal, denn obschon ihm zumindest kein Gebein gebrochen worden war, so kommemorierte er doch allzu gut jene Leichname, die er einen ganzen Tag über, gehüllt in widerwärtige Fetzen, durch die Straßen geschoben hatte, die verdrießlichen, von Schweigen geprägten Ritte durch ganz Italia, jene Stunden und Tage der Isolation in der mantuanischen Principia, die furchtgeladenen zwei Tage in jenem Proviantwagen, in welchem er sich der Legio Prima angeschlossen hatte, die Scham des Verweises ins cremonesische Exil und all jene winzigen Widerwärtigkeiten, die ihn gequält hatten, wogegen eine Hirtenromantik gleich jener des Romulus und Remus mitnichten allzu deplorabel sein mochten. Dessenungeachtet zeigten Fusus und Tante Domitilla keinerlei weiteres Interesse an seiner entbehrungsreichen Flucht, sondern wandten sich unumwunden den übrigen Familiaren zu, über deren Schicksal der Knabe nur beiläufig erfahren hatte, zumal deren Zahl ohnehin kaum überschaubar war und ihm so bisweilen die Details zu einzelnen Personen entfielen.
In der Tat bedurfte es einigen Spintisierens, ehe sich ihm offenbarte, bei wem es sich um die Schwester Domitillas handeln musste, wobei ihm die vorhergehenden Schlüsse Fusus' überaus gute Dienste erwiesen, da er zumindest noch an Onkel Piso gewisse Remineszenzen hegte, über welche ihm auch Tante Nigrina wieder in den Sinn kam, die ihm zuletzt von der Bestattung seines Oheims ihm in Erinnerung war.
"Onkel Furianus wurde von Salinator verbannt, Onkel Flaccus floh mit uns, erkrankte jedoch auf dem Weg und wir mussten ihn in Mantua zur Genesung zurücklassen. Und Tante Nigrina..."
, brachte er erstlich hervor, um sich zumindest eine winzige Spanne Zeit zu erkaufen, ehe er doch noch ein Ankleiden zu aktivieren in der Lage war, bei welchem ihm der Vestispicius zwischen dem Versterben eines Spielkameraden aus jüngster Infantilität und der Ankündigung des heutigen Speiseplans beiläufig mitgeteilt hatte, dass seine Tante Nigrina wohl noch immer verschwunden sei, was der junge Flavius keines weiteren Kommentars gewürdigt hatte, da er ohnehin nur mit halbem Ohr gelauscht hatte.
"...ist ebenfalls aus Rom geflohen. Genaueres wird Vater wissen, nehme ich an." -
Nun war es an dem Knaben, die Riten zu vollziehen und bar jedweder äußerer Hilfe die Schritte in die Mannbarkeit anzutreten. Somit wandte er sich zum Lararium, jenem prächtigen Altar in Form der Miniatur eines Tempels gestaltet und equippiert mit bronzenen Statuetten, welcher er heute und aus der aktuellen Entfernung wohl keinesfalls mehr mit Sekurität hätte differenzieren können, von welchen er indessen wusste, dass sie die alte Trias der Staatsgottheiten, dazu Mercurius und Apoll, welchen sein Vater besonders schätzte, sowie die Genien der Patres Familias und die Iuno seiner Mutter repräsentierten. Besonders akzentuiert waren am heutigen Tage freilich die beiden Laren, tanzende Jünglinge, welche Manius Minor aus jener Zeit, als sein Augenlicht ihm bessere Dienste erwiesen hatte, kurioserweise noch hervorragend kommemorierte und an welche er sich, nachdem er ungelenk und wenig elegantem Resultat die Toga über das Haupt gestreift hatte, mit zaghafter Stimme, die zweifelsohne nicht bis in die hintersten Reihen des Publikums dringen konnte, adressierte:
"Lares Familiares, Hüter des flavischen Hauses und aller, welche es bewohnen und ihm zugehörig sind."
Jener Anrede folgte eine wirkungsvolle Pause, welche allerdings durchaus primär darauf zu reduzieren war, dass der junge Flavius sich auf den korrekten Wortlaut des folgenden Gebets zu besinnen hatte, was sich diesem erfreulicherweise nicht sonderlich diffizil erschien, da er aufgrund seiner Fehlsicht stets genötigt gewesen war, sich zahlreiche Texte und Details einzuprägen.
"Hört mich an und gewährt mir, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius, Eure Beachtung."
Starr und ein wenig ungelenk wandte er sich zur Rechten, wo Sciurius ihm die Acerra bereit hielt, und entnahm dieser ein wenig des wohlduftenden Weihrauchs, welchen er mit größter Diligenz in die Räucherschale ausstreute.
"Nehmt meine Bulla, Zeichen meiner Kindheit, und gewährt mir, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Manius, Euer Wohlwollen! Wie ich durch dieses Medaillon auf allen Wegen bewahrt wurde, so bewahrt mich auch auf meinen kommenden Wegen, aufdass ich dieses Haus stärken und meiner Familie zur Ehre gereichen mag."
Mit gewisser Hemmnis griff er nun an seinen Hals und umfasste jene zierliche Kette, welchem das güldene Medaillon anhing, um sich von diesem zu befreien, wogegen allerdings die Toga über seinem Haupt deplorablerweise opponierte, sodass diese ihm nach einigem Zerren vom Haupt rutschte, ehe er der Bulla ledig geworden war, weshalb voller Geistesgegenwart Sciurius intervenierte und das Kleid der Infantilität neuerlich auf kultisch korrekte Weise platzierte. Nachdem der Knabe solange inne gehalten hatte, legte er endlich die Bulla auf den Altar, beließ seine Hände kurz an der Kette, da ihn für einen Augenschlag der absurde Gedanke durchfuhr, er sei außerstande, sich von jenem getreuen Begleiter nun schlicht zu trennen, ehe er dies als überaus superstitiose Regung abtat und seine nun doch leeren Hände zu sich zurücknahm.Damit machte er zwei rückwärtige Schritte und wandte sich nach rechts, denn obschon die Gebräuche der Maiores es vorsahen, dass der Jüngling anlässlich der Liberalia auch die Barthaare seiner ersten Rasur den Laren darbrachte, so hatte man in diesem Falle doch hiervon abgesehen, da sich selbst bei größtem Wohlwollen keinerlei Spriesen von Gesichtsbehaarung bei Manius Minor zu oberservieren war und jener feine und doch kurze und somit mitnichten greifbare Flaum, welchen ein Barbier mit großer Expertise durchaus hätte gewinnen können, wohl eher die Laren insultieren würde und für sämtliches Publikum keinesfalls erkennbar gewesen wäre, was dem Knaben ebenfalls opportun erschien, da die Alternative wohl die betrügerische Darbietung eines sklavischen Bartflaumes gewesen wäre, welche zweifelsohne das Missfallen der Laren evoziert hätte.
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Deplorablerweise offerierte das Warten mitnichten eine Modifikation des monotonen Prasseln, selbst wenn Manius Minor bisweilen vermeinte, ein Verringern der Intensität zu vernehmen, welches indessen recht bald einer Steigerung stets aufs Neue wich, sodass mit zunehmender Dauer der Untätigkeit die Nervosität ihn immer stärker übermannte, zumal der Blick zahlloser Augenpaare, ja vermutlich des größten Publikums seines bisherigen Lebens, auf ihm ruhte, welche er ob seiner Hypermetropie und der gewissen Distanz, die die Kernfamilie zu den übrigen Anwesenden hielt, durchaus wahrnehmen konnte. Endlich erlöste Sciurius, der erwählte Zeremonienmeister, den Knaben von jener Rolle eines involuntärerweise überaus ennuyanten Mimus und gab ihm jenes Zeichen, welches signalisierte, dass man nun beginnen mochte, sodass zuerst Manius Maior als Hausherr und Vater das Wort ergreifen und damit die Attention auf sich und vorerst von Manius Minor hinwegziehen würde.
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"Sofern wir uns für längere Zeit auf dem Forum aufhalten, ist dies korrekt."
, replizierte der Knabe, der selbstredend des Faktums eingedenk war, dass ein knappes Passieren des Forum keinesfalls die Toga samt Tunica Praetexta erforderte, doch war es ebenso offenbar, dass eine große Zahl jener stadtrömischen Monumente, welche sie zu visitieren gedachten, sich eben an jenem Ort befanden und sie darüber hinaus zweifelsohne eine offene Sänfte hierzu in Anspruch nehmen würden, sodass das Tragen der Toga wohl keinerlei Umstände bereiten würde."Ich werde mich ebenfalls wieder meinen Studien zuwenden."
, annotierte er dann, als Fusus Anstalten zum Abschied machte, streckte den Gebrüdern knapp den Digitus Salutaris und wandte sich endlich zum Gehen. -
Das Schwert des Damokles, welches Manius Maior kurz nach der Retoure des Manius Minor über dessen Haupt angebracht hatte, es musste bald hinabsausen, musste den Knaben seiner Infantilität berauben und gleich jener Riten zukünftiger Saecula, wenn nicht zum Ritter, so doch zum Manne schlagen, obgleich er mindestens noch beinahe dreier Jahre entbehrte, ehe er einer derartigen Initiation adäquates Alter erreicht haben mochte, obschon nicht einmal das gebräuchliche Datum herangerückt war, da man diesen Tag in der Urbs Aeterna gemeinsam mit dem Fest des Liber Pater und seiner Gemahlin zu zelebrieren pflegte. Indessen mochte zumindest das Klima nicht grundlegend von jenem divergieren, welches gewöhnlicherweise auch während der Liberalia die Stadt zu beherrschen drohte, das an diesem seit geraumer Zeit nun präparierten Tage nämlich deplorablerweise just einen jener selbst im Oktober überaus limitierten Wolkenbrüche erwählt hatte. Dem jungen Flavius, seines Zeichens der zentrale Akteur der heutigen Festivität, erschien dies freilich überaus angebracht, denn eben jene Wetterlage vermochte seine innersten Gefühlsregungen aufs Trefflichste zu exprimieren, während er selbst hierzu keineswegs in der Lage war, nachdem er nicht einmal die Courage gefunden hatte, seinen Vater über jenes Unwohlsein bezüglich der überaus verfrühten Mannbarkeit zu informieren, ja generell kein dispensables Wort an ihn gerichtet hatte, sodass es ihm nun verblieb, sein Antlitz in jene Ausdruckslosigkeit zu hüllen, welche er auf zahllosen familiären, sozialen, politischen und religiösen Veranstaltungen unterschiedlichster Natur perfektioniert hatte, obschon seine Amme ihn in jüngsten Tagen stets ermahnt hatte, er möge jene ihr finster erscheinende Miene gegen eine freundlichere vertauschen.
Eben jene Amme stand nun an der Seite seines Leibsklaven Patrokolos, seines Paedagogus Artaxias, seines Grammaticus und mit Ausnahme seiner noch immer im fernen Ravenna weilenden Mutter sämtlicher Personen und Sklaven, welche für seine Edukation Sorge getragen hatten und noch trugen, vereint mit der kompletten Familia Flavia, neben den flavischen Herrschaften selbstredend auch die schier unermessliche Schar der flavischen Klienten inkludierend, im mächtigen Atrium der Villa, wo selbst die Verblichenen, repräsentiert durch die Büsten der flavischen Imperatoren und die Imagines all jener patrizischen Flavii, wohlwollend auf die Lebenden herabsahen und somit an jener Feierlichkeit zu partizipieren schienen.Sie alle erwarteten rastlos jenes Ritual, welches den Knaben zum Manne und Minimus zu Manius Flavius Gracchus Minor, einem vollwertigen Quiriten mit sämtlichen Rechten und Pflichten der Civitas Romana machte. Und doch schien zumindest Iuppiter Pluvius nicht geneigt, dies widerspruchslos geschehen zu lassen, denn konstant plätscherten feine Tropfen, ausgedünnt vom langen Flug durch die hohe Atriumshalle, vom Compluvium in das Impluvium und signalisierten somit, dass die meteorologischen Konditionen für die an das häusliche Opfer anknüpfende Deductio in foro keinesfalls geeignet sich gerierten, sodass man den Entschluss gefasst hatte, all dies eine Weile hinauszuzögern, um eine Melioration der vorliegenden Umstände zu erwarten, was den Knaben in nicht geringe Unrast zu stürzen geeignet war, während er, angetan ein letztes Mal mit jener goldenen Bulla, welche er erst seit seiner Rückkehr aus dem Exil wieder offen zu tragen wagte, und der Toga Praetexta, welche er, so die Götter es gestatteten, eines Tages neuerlich zu tragen gedachte, an der Seite seines Vaters unweit des festlich geschmückten Lararium stand.
Sim-Off: Selbstredend sind sämtliche Familiaren der Flavia Gens ebenso wie deren Klienten geladen.