Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Eine Konkretion jenes Zeitpunkts hätte durchaus im Interesse des jungen Flavius gelegen, doch augenscheinlich war sein Vater nicht geneigt, jenen Termin weiter zu explizieren, sodass er sein Ansinnen aufgab und sich bis auf Weiteres damit beschied, dass die ungeliebte Eheschließung zumindest in gewisser Ferne lag.


    Indessen brannte dem Knaben noch immer ein Interesse unter den Nägeln, welches durch jenen parentalen Versuch, ihn ein wenig zu kalmieren und nach den Strapazen der vergangenen Tage Frieden zu suggerieren, was er mehr am Timbre in der Stimme denn an der Andeutung eines Lächeln im Angesicht des Vaters identifizierte, neuerlich in seinen Sinn gelangte und nun, da das eine Sujet augenscheinlich zum Ende gelangt war, auf das Tableau zu bringen war:
    "Ich hätte noch eine Frage, wenn du gestattest-"
    , begann er mit gewissem Unbehagen, denn obschon er die Replik herbeisehnte, fürchtete er zugleich nicht nur ihren Inhalt, sondern auch die Gefahr, seinen Vater durch die Frage selbst zu offendieren. Er neigte neuerlich das Haupt, besann sich dann aber und brachte sein Ansinnen eiligst hervor:
    "Warum hast du mich in Mantua zurückgelassen?"
    Tagelang hatte Manius Minor über jene Frage spintisiert, hatte den Brief Manius Maiors rezitiert und den Wahrheitsgehalt jener Zeilen angezweifelt, hatte sich zu trösten versucht, dass der Vater, obschon er nicht geneigt war für Rom und seine Familie in die Schlacht zu ziehen, in der Tat einer mysteriösen und zugleich kriegswichtigen Obliegenheit nachzugehen hatte und damit auf seine Weise seinen Verpflichtungen nachkam, doch letztlich hatte er in Analogie zu jenen legitimationsheischenden Ankündigungen der Nacht, in der sie Rom den Rücken gekehrt hatten, die sich recht bald als Trugbilder zur Bemäntelung einer feigen Flucht erwiesen hatten, sich derjenigen Hypothese, welche er bei der ersten Lektüre gezogen hatte, angeschlossen. Somit war wohl keine andere Hoffnung zu hegen als neuerliche Ausflüchte, dennoch wollte der Knabe nicht kapitulieren, denn eventuell mochte ja auch eine schlichte Konfession bereits ihm Ruhe verschaffen.

    Auch den jüngsten der attendierenden Flavii war durch Fusus' Einlassungen in nicht geringem Maße konfundiert, da dieser Augenscheinlich das Tirocinium, welches ein Rekrut zu leisten hatte, mit dem Tirocinium fori, jener zumeist einjährigen Lehrzeit eines angehenden Politikers, verwechselte. Die Imagination eines Flavius in den Caligae eines Miles Gregarius war erfreulicherweise seit den Zeiten Onkel Aristides' wieder jedweder Possibilitäten, ja geradezu erheiternd, während jener Geist der Gemeinschaft, die augenscheinlich schnörkellose und fern jedweder politischen Windungen liegende Welt der Armee, die darüber hinaus die Option auf Ruhm und Gloria darbot, durchaus noch eine nicht geringe Attraktivität auf einen Flavius ausüben durfte, wie dies auch bei Manius Minor der Fall war. Obschon das Castellum der Legio Prima mit zunehmender Verweildauer vielmehr ein Kerker denn ein ansprechendes Refugium dargestellt hatte, war dennoch jedweder Kontakt mit den Milites, hatten die knappen Rapporte des jungen Aurelius doch eine nicht geringe Faszination auf ihn ausgeübt, welche auch während seiner verborgenen Mitreise im Tross der marschierenden Legion sich nicht gemindert hatte.
    "Das hoffe ich. Planst du ebenfalls den Cursus Honorum zu beschreiten?"
    , richtete er sich daher sogleich an Flavius Fusus.

    Etwas konsterniert nahm der Knabe wahr, dass der Neuankömmling augenscheinlich mit größter Selbstverständlichkeit von seiner Bekanntschaft ausging, obschon er dessen seiner Remineszenzen nach zu keiner Zeit ansichtig geworden war. Erst durch die knappen genealogischen Überlegungen, verbunden mit der kurzen Präsentation durch Scato war Manius Minor in der Lage, jenen Fusus einzuordnen, wobei er mit großem Staunen zur Kenntnis nahm, dass es sich bei jenem höchst differenten Paar vor seinen Augen um leibliche Geschwister handelte, denn während der eine, wie er von Ferne taxiert hatte, schmal und zierlich sich ausnahm, erschien der andere durchaus gravitätisch, was augenscheinlich sich ebenso auf ihren Charakter sich übertragen ließ, wollte man die geradezu infantile Heiterkeit des einen der reservierteren Art des anderen gegenüberstellen.


    "Die Freude ist ganz auf meiner Seite."
    , gab er jene vertraute Floskel wider, die er wohl tausende Male während Gastmählern in der Villa Flavia und bei Freunden der Familie in ganz Roma vernommen hatte. Dass er der Oheim der beiden Flavii sein mochte, versetzte in der Tat auch ihn selbst in nicht geringe Belustigung, da konventionellerweise doch selten der Neffe von höherem Alter war denn der Oheim, was hier dank der signifikant höheren Anciennität Onkel Felix' nicht geglückt war.


    Anstandsgemäß verweilte er dann in Schweigen solange Scato sprach, denn obschon dieser, wie sich nun offenbart hatte, ein Neffe dritten Grades war, so hatten doch auch hier die Regeln des Anstands vor höherem Alter Bestand, zumal die Konversation der beiden Brüder augenscheinlich auch militärische Aspekte beinhaltete, was auf Manius Minors aufrichtiges Interesse traf.
    "Die Stadt ist überaus gefährlich, in der Tat."
    , gab er schließlich seinerseits zu bedenken und rezitierte damit neuerlich eine Floskel, welche er nicht selten vernommen hatte, obschon diese für gewöhnlich von seiner Mutter oder anderen weiblichen Teilnehmern besagter Gastmähler mit Vorliebe bemüht wurde.

    Der elaborierte Sprachcode, dessen der junge Flavius sich bediente, war auf die jahrelange Edukation seines Paedagogus Artaxias zurückzuführen, welcher eine Schwäche insonderheit für eine etwas antiquierte Sprachform pflegte, die bisweilen ein wenig gestelzt und in seiner Tendenz dem Genus Grande des Rhetors adäquat erklingen mochte. Dass dies der Fall war, entzog sich indessen der Aufmerksamkeit des Knaben, weshalb er anstatt einer Apologie seines Redestils lediglich interessiert am Bericht Scatos Anteil nahm, erstaunt darüber, dass ausgerechnet in Athenae, dem geistigen Haupt Achaias (obschon es nicht die Kapitale der Provinz darstellte, welche selbstredend Corinthus war), lediglich provinzielle Kommunitäten zu finden sein mochten.


    Bezüglich der Collegia, welchen er traditionsgemäß als Flavius verpflichtet war, hatte er freilich noch keinerlei Gedanken verschwendet, zumal es ihm bisher auch keineswegs abverlangt worden war, über derartige Aspekte seiner Karriere zu entscheiden, da sein Vater, seine Mutter und weitere Anverwandte stets jedwede Entscheidung diesbezüglich ihm entwunden und ohne auch nur eine knappe Konsultation seiner Wünsche für ihn getroffen hatten, wie dies auch bei der Wahl seiner zukünftigen Angetrauten geschehen war. Ob der hohen Bedeutung familiärer Traditionen war gleichwohl zu vermuten, dass Scato sich mitnichten irrte, wenn er diesbezüglich seinem Vater würde folgen müssen, obgleich er den festen Plan gefasst hatte, in jedem anderen Aspekt seines Lebens die feige und furchtsame Art seines Hervorbringers zu verlassen und ihn so an Ehre und Moralität zu übertreffen, was allerdings keinesfalls ein Sujet alltäglicher Konversationen sein mochte und deshalb geflissentlich verschwiegen werden musste.
    "Ich gehe davon aus, dass auch ich den Salii Palatini beitreten werde wie Vater. Onkel Aristides und Onkel Aquilius gehörten ihnen ebenfalls an."
    Während letztere Gestalt eine wenig auffällige Vita vorzuweisen hatte und Rom nach seiner Quaestur verlassen hatte, zählte erstere wohl durchaus zu den schillerndsten Anverwandten der Gens Flavia, da Aristides nicht nur in hohem Alter den Dienst eines Miles Gregarius angetreten und bis zum Centurio aufgestiegen war (was indessen eine Erscheinung jener Zeit gewesen war), sondern in seinen Funktionen auch hohe Ehren erfahren hatte und so Manius Minor als Spross einer wenig militäraffinen Familie (mochte man von den großen, verwandtschaftlich weiter entfernten Ahnen eines Divus Vespasianus und eines Divus Titus absehen) in gewisser Weise als Archetyp diente, obschon er selbstredend nicht geneigt war, das Leben eines einfachen Soldaten, welches er in der Castra zu Mantua kennen gelernt hatte, selbst zu teilen.
    "Aber Vater wird diesbezüglich sicherlich schon Pläne haben. Dein Vater hat dies ja sicherlich auch für dich getan."
    Selbst wenn Scato seine Zukunft als freie Wahl darzustellen schien, schloss dies ja nicht aus, dass er schlichtweg mit den Plänen seines Vaters konsentierte.

    Die Novität des Adventus eines weiteren Flavius verbreitete sich einem Lauffeuer gleich in der Villa Flavia Felix und drang letztlich auch an das Ohr des zweitjüngsten Flavius und doch zugleich Erben des Hauses, weswegen dieser, obschon ihn noch immer jene Xenophobie, welche ihn seit frühester Infantilität plagte, weiter beherrschte, dank einer gewissen Vorwitzes bezüglich des Anverwandten sich überwand und von seinen Räumlichkeiten aufbrach, um des Gastes ansichtig zu werden.


    Beim Betreten des Atrium vernahm er sogleich die Stimme des Fremden, welche ihm überaus heiter und agreabel erschien, was gut mit jenem Bild harmonierte, das er von Ferne noch zu erfassen in der Lage war, da seine Fehlsicht ihm doch bei einigem Verkneifen der Augen ein leidlich scharfes Bild offerierte und somit zumindest eine Impression von der Ebenmäßigkeit und Gepflegtheit des Flavius Fusus darbot. Selbstredend verschwamm er aber bald, nachdem der Knabe sich weiter approximierte, zu einem jener vertrauten Schemen, zu der sich jede Person seines näheren Umfeldes wandelte, sobald die Distanz sich verringerte und welche lediglich durch Gewöhnung an Leibesfülle, Gestik und Habitus zu distinguieren waren.


    "Salve, ich bin Manius Flavius Gracchus Minor."
    , begrüßte er den Fremden, dessen Gesichtszüge ihm wohl stets verborgen bleiben mochten.

    Augenscheinlich entbehrte der neue Bewohner der Villa Flavia einer suffizienten Informationslage, dass er keine Kenntnis vom Verbleib des hausherrlichen Erben besessen hatte, obschon dieser sogar den Namen seines Produzenten trug und somit das verwandtschaftliche Nahverhältnis unverkennbar schien, was in den Augen des Knaben selbst nicht durch die lange Absenz von Roma nicht zu exkulpieren war, da er seinen Vater trotz dessen Unzulänglichkeiten dennoch nach der freiwilligen Exilierung Onkel Felix' für das Haupt aller Flavii hielt, dessen familiäre Umstände jedem bekannt zu sein hatten. Indessen verflog seine Konfusion diesbezüglich augenscheinlich ob jener Assoziationen, welche das ferne Athen in ihm hervorrief, war dieses doch im Laufe seiner Edukation wiederholt als Hort der Weisheit thematisiert worden, da dort doch die großen hellenischen Philosophen, allen voran die Trinität aus Sokrates, Platon und Aristoteles gewirkt hatten, während diese Stadt zugleich den gesamten Orient beherrscht hatte, bevor die Macedoni und schließlich Pompeius Magnus sich jene Region einverleibt hatten. Dass auch sein Vater einst dort für geraume Zeit geweilt hatte, hätte ihn bis vor wenigen Jahren mit zusätzlichem Vorwitz ausgestattet, doch stellte dies inzwischen keine Kategorie des Stolzes mehr dar.


    So beschloss er, um seinen Verwandten seinerseits familiär auf adäquate Weise ins Bild zu setzen und zumal er augenscheinlich ohnehin geneigt war, ihn ob seiner vergangenen und kommenden Biographie zu inquirieren, einen etwas umfänglicheren Rapport über sein bisher doch recht kurz bemessenes Leben zu erstatten:
    "Nun, ich bin der Sohn eines Praetoriers und ein Flavius. Dadurch ist mein Weg wohl vorgezeichnet: Ich werde meine Edukation vollenden und dann den Cursus Honorum beschreiten. Und die Nichte des Cornelius Scapula heiraten."
    Letzterer Punkt erfüllte ihn noch immer mit Düsternis, doch hatte er sich in diesem Falle in sein Schicksal ergeben, obschon man die leichte Bitterkeit, mit der er dieses Faktum verbalisierte, mit suffizienter Achtsamkeit durchaus vernehmen konnte.
    "Um dich über meine bisherige Vita zu informieren: Ich wurde hier in Rom geboren und habe hier gelebt bis wenigen Jahren, als ich mit Vater fliehen musste. Meine Mutter und meine Geschwister flohen ebenfalls, aber an einen anderen Ort. Titus ist wieder mit Sciurius zurückgekehrt. Vater sagt, dass ich nun kein Kind mehr bin und bald die Toga Virilis anlegen darf."
    Nahezu intuitiv approximierte sich seine Hand dorthin, wo über dreizehn Jahre hinweg seine Bulla schwer auf seiner Brust gelegen hatte, welche er nun auf einem Tisch in seinem Cubiculum verwahrte, um sie beizeiten den Laren des Hauses darzubringen gemeinsam mit diversen Spielwaren und dem Flaum seiner ersten Rasur darbringen sollte, obwohl letzteres wohl ob seines inexistenten Bartwuchses voraussichtlich entfallen musste.


    "Und... du?"
    , addierte er dann vorsichtig, noch immer von gewisser Scheu ob der Konversation mit jenem Fremden und doch Verwandten.

    Jene Schlüsse, welche Manius Maior der Kognition Manius Minors zu approximieren gedachte, mochte dieser mitnichten schließen, denn jenseits der Belehrungen seines Vaters hatten Artaxias wie auch seine späteren Lehrer niemals jene Differenz von eigenen und familiaren oder gar staatlichen Bedürfnissen betont, sondern vielmehr dahin versucht ihn zu lenken, dass er eine gewisse Identität seiner persönlichen Normen mit jenen der Familie wie der Res Publica herstelle und somit er zu keinerlei Gewissensnöten getrieben sei. Selbstredend war es auch einem Knaben von dreizehn Lenzen überaus bewusst, dass das eigene Streben bisweilen von jenem der Res Publica divergieren mochte, wie zuletzt die grausame Tyrannis jenes Vescularius schmerzlich offenbart hatte, als die Familia Flavia zur schmächlichen und entbehrungsreichen Flucht genötigt worden war, welche den jungen Flavius noch immer, wenn auch mit sinkender Frequenz, in seinen Träumen verfolgte. Indessen war sein Optimismus bezüglich der Identität familiärer und privater Ambitionen trotz der bisweilen Meinungsdifferenzen mit seinen Eltern und Geschwistern in diversen Petitessen noch ungebrochen und gerade das herbe Versagen seines Vaters hatte ihn angeregt, sein eigenes Leben gänzlich in den Dienst jener großartigen Gens Flavia Felix zu investieren, um die Schmach seines feigen Hervorbringers auszulöschen.
    So war der Knabe beinahe geneigt, seinem Vater jene Interessendifferenz als Hinweis seiner Unzulänglichkeit vorzuwerfen, ehe er sich gewahr wurde, dass eben jene Interessenidentität bei ihm selbst jedweden Widerspruch ausräumen mochte, denn obschon sein Vater ein feiger Versager war, so war seine Argumentation doch überaus einleuchtend, wenn er die Unersetzlichkeit seiner geliebten Mutter für die Familie bedachte, die dessenungeachtet aber wohl auch durch die große Unzulänglichkeit des Vaters gemehrt worden sein mochte.
    "Aber-"
    , schoss es aus ihm hervor, um Alternativen einer Eheschließung zu unterbreiten, welche der Familie ebenso zu Nutzen gereichten, eventuell aber auch lediglich als Zeichen seines Protestes, welcher gar die Inkommodiertheit seines Vaters ignorierte, doch kam er rasch ins Stocken, als ihm gewahr wurde, dass ihm in der Tat keine intakte Familie bekannt war, welche ohne die lenkende Hand eines weiblichen Wesens existieren mochte. Und dass dies auch seine Schwester Flamma nicht sein konnte, da sie eben vorherbestimmt war, im Tempel der Vesta zu dienen, vermochte er in der Tat keinerlei stichhaltige Widerworte zu formulieren.
    "Nun gut."
    , finalisierte er darob seinen Satz und neigte das Haupt im Eingeständnis seiner Niederlage. Obschon es ihm überaus degoutierte, den Bund der Ehe einzugehen und dies gar mit jener gänzlich unbekannten Person, so hatte jener Rekurs auf die Ehre der Familie als wichtigsten Wert eines Aristokraten, verbunden mit dem jämmerlichen Abbild, welches sein Vater ihm bot, sein Pflichtgefühl aktiviert, welches ihm gebot, von seinen Befindlichkeiten abzusehen im Dienste des Ganzen, um seine Ahnen und insbesondere seine Mutter mit Stolz zu erfüllen. So war erneut bereits der Ansatz einer jugendlichen Revolte des jungen Flavius im Keime erstickt.


    "Wann muss dies geschehen?"
    , fügte er endlich an in der Hoffnung, das Unausweichliche mochte sich zumindest für eine gewisse Zeitspanne prokrastinieren, um ihm die Option zu bieten, möglicherweise doch Alternativen zu entwickeln, welche den Interessen der Familie in ebensolchem Maße entsprach.

    Nun war es an dem jungen Flavius, seine Sympathie zu exprimieren, sodass er ein freundliches Lächeln auf sein Antlitz zauberte ob all jener Rücksicht, mit welcher der ältere Flavius ihn bedachte. Indessen war ihre Lektüre bereits zu ihrem Ende gelangt, womit seine Obliegenheiten in diesem zu demselben gekommen waren und er prinzipiell nun seinerseits das Weite gesucht hätte. Da freilich Onkel Scato nun sich ihm approximierte und gar niederließ, schien die Gelegenheit favorabel, seinen Vorwitz gegenüber jenem neuen Bewohner der Villa Flavia Felix zu temperieren. Zuvor war er gleichwohl genötigt, zu einer geradezu trivial erscheinenden Frage Stellung zu beziehen:
    "Selbstredend, Onkel Scato. Ich bin hier geboren und habe hier schon immer gelebt."
    , replizierte er mit einem Timbre in der Stimme, das eine Mixtur aus Evidenz und Erstaunen transportierte. Um nicht prätentiös zu erscheinen, schob er indessen nach kurzem Zagen eine knappe Information bezüglich seines vorhergehenden Aufenthaltsortes hinterher:
    "In Cremona war es überaus ennuyant bisweilen, was hier selten vorkommt. Und Du, Onkel Scato? Stammst Du ebenfalls aus Rom?"
    , fragte er sogleich im Anschluss ein wenig indiskret, denn nicht selten waren bereits Anverwandte hierher zurückgekehrt, welcher der Knabe niemals zuvor ansichtig geworden war, die dessenungeachtet bereits vor seiner eigenen Geburt hier in Rom das Licht der Welt erblickt hatten und sehr bald mit ihren Eltern auf Landgüter oder gar in die Provinz verzogen waren, aus welcher sie in gereiftem Alter retournierten.

    Die Darbietung des Stoffes erschien selbstredend auch dem jungen Flavius überaus konvenierlich, weshalb er der Aufforderung des Pyrgopolinices unverzüglich nachkam und huldvoll Applaus spendete. Unverhofft vernahm er hierbei aber einen weiteren Applaudeur, was ihm zuvorderst einen leichten Schreck bereitete, hatte er doch in keinster Weise auf weiteres Publikum bei seiner Privatvorstellung gerechnet, weswegen er nun auch hochschreckte und um sich blickte, ehe er die Gestalt im Türrahmen identifizierte. Das Lächeln vermochte er ob seiner Fehlsicht zwar nicht zu enträtseln, doch zumindest war er bereits routiniert genug in der Exploration der Lokomotion des neuen Flaviers, sodass er den Schemen einer Person zuzuordnen in der Lage war. Seiner Edukation gehorchend nahm er entsprechend auf seiner Kline Haltung an, ehe er replizierte:
    "Dies ist mein getreuer Patrokolos. Er versteht sich hervorragend auf's Rezitieren, nicht wahr?"
    Durchaus war Manius Minor nicht ohne Stolz auf seinen Schatten, welcher aufs vortrefflichste seine Unpässlichkeiten kompensierte, sei es bei der Bewegung auf infamiliarem Terrain, der Lektüre wie hier oder schlichtweg bei der Vertreibung ennuyanter Momente durch kurzweilige Konversation. Hinzu kam eine überaus konvenierliche Bescheidenheit, welche der Diener auch nun verbalisierte, während er geschmeichelt das Haupt neigte:
    "Ich danke Dir, Domine."


    Für einen Augenblick war der Knabe außerstande, adäquate Worte für 'Onkel Scato', wie er ihn adressierte, in der vorliegenden Situation zu ersinnen, dann gleichwohl reifte in ihm die Erkenntnis, dass der ältere Flavier zweifelsohne mit einer gewissen Intention die Bibliothek aufgesucht hatte.
    "Onkel Scato, inkommodieren Dich unsere Lektionen hier?"
    , fragte er darum und setzte sich auf, um bei Bedarf rasch den Raum freigeben zu können, war er doch erzogen, den Obliegenheiten der adulten Welt keinesfalls im Wege zu stehen, sondern stets den Älteren mit Respekt und Demut entgegenzutreten.

    Seitdem der junge Flavius nach Rom retourniert war, ergötzte er sich an jedweden Informationen, welche das römische Kriegswesen betrafen, weswegen er an der Seite von Patrokolos immer wieder auch die umfangreiche Bibliotheca der Villa Flavia Felix konsultierte, um abwechselnd Historiographen und Strategen wie Divus Iulius, aber auch diverse andere Autoren auszumachen und zu verschlingen. Oder vielmehr verschlingen zu lassen, denn ob seiner Hypermetropie war er dafür auf Patrokolos, seinen getreuen Begleiter angewiesen, welcher indessen nur zu gern das Amt des Lektoren übernahm und dem Knaben, der versonnen auf einer Kline sich postierte, mit wohlklingender Stimme und geradezu possenhaft anmutender Mühe bei der Intonation und Differenzierung unterschiedlicher Charaktere die Bücher rezitierte, welche sein jugendlicher Herr ihm auftrug zu verlesen.


    Dieser Tage nun war Miles Gloriosus an der Reihe, ein Werk jenes Komödianten Titus Maccius Plautus, welches primär ob seiner Titulatur das Interesse Manius Minors gewonnen hatte, sich dessenunageachtet aber später primär ob seiner Heiterkeit der Sympathie des jungen Flavius versichert hatte und somit nun täglich in Abschnitten verlesen wurde. Auch hier spielte die Liebe eine nicht unwichtige Rolle, indessen war der Fokus weitaus stärker auf den Hohn und Spott über jenen prahlerischen Soldaten sowie dessen Kombattanten, welche durch den findigen Sklaven hinters Licht geführt wurden.


    Deplorablerweise war heute bereits der letzte Akt des Stückes an der Reihe, welchem Patrokolos jedoch mit größtem Engagement Leben einhauchte, indem er den Pyrgopolinices mit schwulstiger Stimme und überaus hochmütiger Intonation mimte, während der Wächter Sceledrus mit größter Leichtigkeit, zugleich aber tiefer Stimme sich durch den Sklaven verbalisierte:
    Da seh' ich ja mMeine Leute. Sagt mir: ist Comasion abgereist?
    Schon längst.
    Wehe mir!
    Das riefst du mehr noch, wenn du wüßtest, was ich weiß.
    Der die Binde vor den Augen hatte, war kein Schiffer.
    Wer war es denn?
    Comasion's Geliebter.
    Woher weißt du das?
    Sceledrus. Weiß es. Denn sobald sie vor dem Thore waren, fingen sie sich sofort zu küssen und zu herzen an.
    Ich Armer, weh!
    Bin geprellt, das seh' ich. Ha, Palästrio, der Bösewicht,
    Lockte mich in diese Schlinge! Doch es ist mir recht gescheh'n.
    Ging' es andern Sündern auch so, wären ihrer weniger.
    Größre Furcht und minder Kizel! Jezt nach Haus! Ihr klatschet brav!

    Wie nicht selten erlag die Disputation zwischen Manius Maior und Minor auch in diesem Falle einer Miskonzeption, welche den jüngeren der beiden überaus konfundierte. Mitnichten hatte er durch seine Aussage seiner sexuellen Präferenz Ausdruck verleihen wollen, vielmehr lag sein Problem wohl vielmehr in der Tatsache begründet, dass er eben noch jedweder sexuellen Präferenz entbehrte. Bedürfnisse waren somit in seinen Augen lediglich biologischer Natur und somit entweder allein oder mit Hilfe von Sklaven zu befriedigen, worunter das Speisen, das tägliche Geschäft auf der Latrine oder das Ankleiden zählte, oder aber sozialer Natur, wobei er diese in der Tat vielmehr bei maskulinen denn feminen Partnern befriedigt fand, weshalb augenscheinlich das Bedürfnis nach Kontakt, Zuneigung, gemeinsamem Spiel und Freundschaft gemeint sein musste. Dies indessen ließ sich kaum mit den parentalen Mahnungen in Kongruenz bringen, denn der Knabe besaß durchaus Kenntnis von Freundschaften seines Vaters, von alltäglichen Ausflügen gemeinsam mit Dritten in Thermen, zu Spielen, Gastmählern und allerlei Lustbarkeiten.
    "Aber du hast doch auch nicht nur Mama!"
    , replizierte er daher klagend. Überhaupt mochte es ihm nicht einleuchten, wozu eine Ehe überhaupt begründet werden mochte, wenn sie gänzlich independent von jedweden Bedürfnissen seinerseits war, was er sofort verbalisierte:
    "Warum muss ich dann überhaupt heiraten, wenn ich nicht davon prophitiere?"

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich* ~~~


    Dichter Nebel umfing ihn, während er sich vorwärts schleppte. Vor ihm wankte das Marschgepäck seines Vordermanns hin und her, die Schritte der vielen tausend Mann wurde gedämpft durch die humiden Nebelschwaden um ihn, die gemeinsam mit dem Schweiß sein Antlitz benetzten. Zu seiner Linken erblickte er das Grau des Sees, welcher still und stumm im Morgengrauen lag, während Kolonne um Kolonne sich an ihm vorbeischob. Zur Rechten wiederum erhoben sich felsige Hügel, bedeckt mit dichtestem Wald, der im Nebel verschwand. So schob der Heerwurm sich gemächlich vorwärts, stets aufs Neue stockend, da Engpässe eine zusätzliche Stauchung evozierten, da nur ein Mann hinter dem anderen, mitnichten aber die gewohnte Marschreihe von vier Mann Breite die Stelle passieren konnte. Eintönig war das Marschieren dennoch und keinem der Kameraden entfuhr ein fröhliches Lied, wie es auf dem langen Wege von Roma bis hierher in den tiefsten Norden bisweilen geschehen war.


    Als sie neuerlich zum Warten gezwungen waren, zog sich die Rast indessen ungewöhnlich lang hin und mit einem Male war ihm, als vernähme er gedämpftes Rufen von vorn, wo hinter dem Vorhang des Nebels die spärliche Kavallerie der Vorhut den Weg bahnen musste. Soeben war er geneigt, den Centurio zu kontaktieren, als in diesem Augenschlag wildes Geschrei sich zu seiner Linken erhob. Lauter und lauter vernahm er aus der Dichte des Waldes galoppierende Hufe und schon brachen aus dem Schutz des Geästes wilde Gestalten hervor, grausame Fratzen mit wehendem Haar, centaurengleich verwurzelt mit ihren Reittieren und mit mächtigen Klingen in den Fäusten.
    Schon waren jene Unglückseligen, welche die äußerste Linie bildeten, von den Hufen der furiosen Hengste niedergestoßen, schon brachen die Reiter durch die Marschformation, als der Centurio seine Befehle verbalisierte:
    "Sarcinas deponite! Ad arma!"
    Jene Order war indessen gänzlich obsolet, denn zahlreiche Kameraden war die Tragestange des Marschgepäcks bereits aus den Händen geschlagen, andere hatten geistesgegenwärtig bereits sie von sich geworfen und hatten ihre Gladii gezogen. Manch ein tumber Narr nestelte indessen an seinem Scutum, welches ordnungsgemäß in der Schützhülle verpackt an der Tragestange hing, während die keltischen Krieger des furchtbaren Feldherrn sich schon auf sie stürzten. Der Feind hatte den Heerzug gänzlich unpräpariert angetroffen, dominierte augenscheinlich das Schlachtfeld, welches vielmehr einen schmalen Schlachtpfad darstellte und trieb die Legionäre gen See. Schon stürzten die ersten Recken in das kalte Nass, sprangen auf und eilten weiter gen Fluten oder verblieben abgetaucht, während sich das Wasser um sie dunkel verfärbte.
    An seiner Seite sah er den Centurio gen Erde fallen, das Angesicht grausig zermalmt durch den Schwertstreich eines keltischen Hünen hoch zu Ross, welcher sich nun ihm zuwandte. Das Pferd scheute, stieg empor und platzierte seine Hufe genau auf seiner Brust, sodass ihm die Waffe aus den Händen fiel und er im hohen Bogen retour geschleudert wurde, den Boden unter den Füßen verlor und schlussendlich mitnichten festen Grund, sondern liquides Wasser am Rücken verspührte, ehe er gänzlich aufgenommen wurde und der See sich über ihm wieder verschloss und den Lärm der Schlacht mit einem Mal verstummen ließ. Bestürzt wurde er sich gewahr, dass das Gewicht seiner Lorica Segmentata ihn beständig dem Seeboden zustreben ließ, dass die heftige Bewegung seiner Arme mitnichten dazu beitrug, sein Versinken zu mindern oder gar aufzuhalten.
    Ein tonloser Schrei entfuhr seiner Kehle, welcher lediglich einen Schwall von Luftblasen ihm entfleuchen ließ, dann verspürte er bereits, wie sich eisiges Wasser den Weg durch Mund und Nase bahnte, während er den Schmerz des Ertrinkens verspürte.


    ~ ~ ~

    Nach meiner Rückkehr in die Urbs Aeterna gedenke ich, meine Edukation zu vollenden und einen Rhetor aufzusuchen. In Anbetracht des Faktus, dass die Ars Rhetorica eine überaus soziale ist und insbesondere die Deklamation eines Kontrahenten bedarf, bin ich auf der Suche nach lernwilligen Jünglingen, welche ihrerseits Interesse an einer derartigen Ausbildung in Rom besitzen. Selbstredend wäre ein derartiges rhetorisches Studium zusätzlich geeignet, Kontakte für einen späteren Cursus Honorum zu knüpfen etc.


    Ob der Tatsache, dass ich bisher noch ein Knabe von soeben dreizehn Lenzen bin, wäre es mir insbesondere ein Anliegen, Jünglinge in einem Alter von unter 20 Jahren ausfindig zu machen.


    Interessenten mögen sich bei mir via PN melden.

    Jene Belehrung konsternierte den Knaben nicht wenig, denn selbstredend war ihm der Ablauf des Cursus Honorum seit frühester Jugend bestens bekannt und er bedurfte diesbezüglich keinerlei Unterweisung mehr. Dessenungeachtet traf dies kaum eine Aussage bezüglich des adäquaten Zeitpunktes der ausstehenden Eheschließung, woraufhin seine Frage abgezielt hatte. Indessen interpretierte er die Replik dahingehend, dass eine mögliche Ehe potentiell durchaus in greifbarer Nähe liegen mochte.


    In ebenso großem Maße überraschte auch die Nachfrage bezüglich seiner Unwillensbekundung den jungen Flavius. Ermahnungen oder wegwischenden Beschwichtigungen hatte er durchaus erwartet, doch für einen argumentative Schlagabtausch war er mitnichten gewappnet. So nahm er die Einwände erstlich schweigend hin, wobei sein Antlitz jene Irritation widerspiegelte, welche ihn bewegte. In der Tat wusste er, welchen Status die Cornelii dank ihrer stolzen Tradition genossen, denn auch aristokratische Genealogie hatte seit früher Kindheit zu seinem Edukationsprogramm gezählt, welches ihn für ein sicheres Wandeln in der höchsten Gesellschaft der Urbs Aeterna präparieren sollte, und Cornelius Scapula als Freund seines Vaters hatte mehrfach Gesprächsstoff bei diversen Cenae im Kreise der Familie geliefert. Dennoch verfehlte jene Argumente den Kern seines Widerspruches, welcher mitnichten den traditionellen Kriterien der Heiratswahl entsprach, sondern kindlich-naiver und damit gänzlich divergierender Natur war:
    "Ich kenne sie gar nicht. Und außerdem... mag ich keine Mädchen!"
    , warf er seinem Vater voller Trotz entgegen und verschränkte seine Arme in abwehrendem Gestus.

    Der Stolz Manius' Maiors, welcher sich in jenen knappen Worten zu manifestieren geneigt war, verfiel in den Ohren Manius Minors einer überaus deplorablen Missinterpretation, deutete dieser sie doch als Konfirmation seiner Befürchtungen, als Expression jener Freude, der Bürde parentaler Verantwortung für einen Familiaren schlussendlich ledig zu sein. Mitnichten förderte dies entsprechend jene überaus angebrachten Regungen bei dem Knaben zutage, welche man sich erwarten mochte, denn statt Stolz reflektierte die Sprache seines untersetzten Körpers lediglich Depression, statt Tatendrang sein Blick Lethargie und statt Freude seine Mimik Kleinmut. Zu jener Desillusion trat indessen noch die Perspektive einer Ehe, welcher der junge Flavius sich noch in weitaus geringerem Maße gewachsen fühlte als der übrigen Adoleszenz, zumal sein Interesse für das andere Geschlecht sich auf seine Mutter reduzieren ließ und selbstredend rein platonischer Natur war. Selbst mit Flamma, seiner Schwester, mochte er vielmehr eine lange Reihe von Konfrontationen im Ringen um die parentale Aufmerksamkeit und Liebe zu replizieren denn Gefühle von Wärme und Zuneigung (obschon auch diese nicht selten zum Vorschein gekommen waren, zumal in den jüngeren Jahren, als Manius Minor ob seines Entwicklungsvorsprung zweifelsohne den Anführer und Sprecher der flavischen Kinderschar gegeben hatte und in jovialer Manier auch seine Schwester mit reicher Gunst bedacht hatte). Jener Nichte des Cornelius Scapula war er seines Wissens nach niemals ansichtig geworden und sofern ihre Art der ihres Onkels glich, glaubte der Knabe zudem kaum, dass er jemals geneigt sein mochte, größere Zuneigung zu ihr zu entwickeln. Den Platz, welchen seine Mutter in seinem Herzen einnahm, mochte sie ohnehin nimmermehr einnehmen und wenn er nun daran dachte, jene Dinge mit diesem unbekannten Wesen zu vollziehen, von welchen ihm ein feixender Sklavenjunge ausführlichst Rapport gegeben hatte, nicht ohne zu verschweigen, dass dies der Weg sei, eine Ehe zu besiegeln und Kinder zu gebären, so rief dies mehr Übelkeit denn Begierde in ihm hervor.


    Eine Weile verharrte er schweigend, unwissend, was er auf jene Zusagen zu replizieren hatte. Nach all der Hoffnung, nun endlich das traute Heim und die Geborgenheit der Familie zu verspüren, fühlte er sich erneut auf einen kalten, einsamen und sturmumtosten Felsen verfrachtet, welcher nun nicht mehr der des Exils, sondern jener der Maturität, verbunden mit all jenen unerquicklichen Institutionen wie jenen der Ehe sein mochte, der indessen nicht minder dem inadäquat war, was der junge Flavius sich in schillernden Farben imaginiert hatte.
    "Muss ich nicht... zuvor meinen Militärdienst absolvieren?"
    , brachte er schlussendlich hervor. In den Krieg zu ziehen, wie es die Mannen der Legio Prima getan hatten, wie es jeder aufrechte Römer in jenem unsäglichen Kriege getan hatte, wi er den Wert eines Flavius für die Res Publica unter Beweis zu stellen und die Ehre seines Hauses, welche sein Vater durch seine Feigheit beschmutzt hatte, reinzuwaschen in der Lage, erfüllte ihn durchaus mit Enthusiasmus, doch war jene Frage doch primär auf eine Prokrastination des Ehebundes gemünzt denn eine Herbeiführung eines Tribunats, welches für einen Knaben seines Alters ohnehin unabhängig davon, ob er die Bulla tragen mochte oder nicht, zumindest einige Jahre des Studiums und der ersten staatsdienstlichen Bewährung entfernt lag.


    Verschämt senkte er das Haupt, um das verschwommene Muster des Mosaikbodens unter sich zu fixieren, während er sich unter größten Mühen eine jener seltenen Äußerungen eines eigenen, von dem der Eltern devianten Willens abrang:
    "Ich... will... diese Cornelia nicht heiraten!"
    Als dies gesagt war, fühlte der Knabe sich gleichermaßen erleichtert wie furchtsam, wie jene minimale und lediglich verbale Revolution aufgenommen werden mochte. Zeit seines Lebens konnte er kein Widerwort gegen die gravitätischen Anweisungen seines Vaters zu memorieren, stets hatte die Erziehung durch den gestrengen Artaxias, die liebende Claudia Antonia und das Vorbild der flavischen Sklavenschaft seine Wirkung entfaltet und jenen servilen Habitus geformt, welcher ihm nun trotz der Winzigkeit seines Einwandes Qualen bereitete.

    Die Replik des Manius Maior erweckte bei Minor mitnichten die Impression, als hege jener ein großes Interesse für den Verbleib seines Sohnes in den vergangenen Monaten, in welchen jener sich verborgen gehalten und seinerseits keinerlei Kontakt zu diesem gesucht hatte. Auch jener Dankesgruß war zweifelsohne nicht mehr als eine Floskel, welche die Adressaten wohl in nicht höherem Maße tangierte als den Absender.
    Dass die parentalen Anteilnahme sich indessen deshalb in Grenzen hielt, da den Vater andere Gedanken okkupierten, dass er gar einen Plan von höchster Tragweite hegte, welchen er nun in die Tat umzusetzen gedachte, blieb dem jungen Flavius verborgen, weshalb er still erhoffte, die Approximation würde ihren Abschluss in einer herzlichen Umarmung finden, in warmen Worten, die eine schlussendlich befriedigte Impatienz des Wiedersehens verbalisierten, denn obschon der Knabe seinen Vater vordergründig verachtete, so war doch eine Sehnsucht nach Liebe verblieben, wie er sie in seinem cremonesischen Exil von anderer Seite erfahren hatte.


    Mitnichten geschah jedoch das Erhoffte, vielmehr wurde der junge Flavius nun auch noch seiner Bulla beraubt. Jenes goldene Medaillon, welches er seit frühester Kindheit trug, welches ihn gar auf seiner Flucht akkompagniert hatte (wenn auch eingenäht in einem einfachen ledernen Etui, auf welchem plumpe Zaubersprüche angebracht waren, wie der gemeine Pöbel sie zu tragen pflegte), welches primär in ihm Remineszenzen an eine heile Welt voller Glück und Spiel barg, welches seine Mutter ihm so oft zurechtgerückt und es berührt hatte mit dem Zuspruch, er wandle unter dem Segen der Götter, wurde nun unvermittelt von ihm genommen, sodass er sich im ersten Moment entblößt fühlte. Disturbiert blickte er zu seinem Vater hoch, ehe die Worte langsam in seinen Geist drangen. Er war kein Kind mehr, dies war offenbar, doch wollte er dies seinerseits? Stets hatte er erwachsen gelten wollen, hatte einen Degout bezüglich seines Kosenamens "Minimus" generiert und auch in Cremona jene Kriegskunst studiert, welche er mit Adoleszenz assoziierte und welcher sich erwachsene Helden des Krieges bedienten. Doch nun kam alles unvermittelt. Hatte er sich nicht stets zurückgesehnt nach jener Geborgenheit, welche seine Mutter ihm schenkte, hatte er nicht zurückkehren wollen nach Rom, um hier an jenes Leben anzuknüpfen, welchem er seinerzeit per pedes den Rücken gekehrt hatte, nach der Unbeschwertheit in Impubertät, dem Studium und Spiel, welches doch nur ein Propädeutikum des Fernliegenden war?
    All dies strömte auf ihn ein, während er sprachlos seine Bulla entgegennahm und sie anblickte. Selbstredend erschien sie optisch nicht anders als ein Aureus an einer Schnur, doch wusste er sehr genau um die fein ziselierten Linien und Buchstaben, welche er allzu oft ertastet hatte und deren Gesamtzusammenhang ihm unzählige Male beschrieben worden war. Durchaus erinnerte sie ihn an vieles bereits jetzt, wo diese Zeit nur so knapp hinter ihm lag. Doch wollte er nicht, dass sie Realität blieben und nicht zur Erinnerung verschwammen wie die Konturen seines Vater, als er den Tisch umrundet hatte?


    "Heißt das, ich bin nun... ein Mann?"
    , rang er sich mit eher banger denn hoffnungsvoller Stimme ab und blickte von seinem Medaillon zum Antlitz Manius Maiors hinauf. Während er die Worte aussprach, deren Replik er erwartete und befürchtete, gewann ein neuer, überaus deplorabler Gedanke Raum: Versuchte sein Vater, die Verantwortung für seinen Sohn und seine Pflicht zur Liebe und Sorge abzuwälzen, indem er diesen seiner Kindheit beraubte? Wollte er weitere Bindungen kappen, um sich jenes lästigen Anhängsels zu entledigen, das ständig Aufmerksamkeit(en) einforderte und ihn von seinen Neigungen abhielt? Hatte die Zeit ohne die Familia in ihm den Wunsch reifen lassen, sie für immer hinter sich zu lassen?

    Ob der Größe des Officiums und der Verbesserung seines optischen Leidens war der Knabe in der Lage, die parentale Mimik zweifelsfrei zu identifizieren, was ihm indes neuerlich einen Stich ins Herz versetzte, da er dadurch gewahr wurde, dass Manius Maior augenscheinlich in keinster Weise Freude verspürte seiner wieder ansichtig zu werden. Selbstredend hegte er Wut und Verachtung gegen diesen Mann, welcher regungslos hinter seinem Schreibtisch verweilte, durchaus hatte er sich ausgemalt, wie er dessen Liebe zurückweisen und ihn darauf ebenso zurücklassen würde, wie dieser ihn abandoniert hatte. Doch mitnichten bot sich nun diese Opportunität, vielmehr erweckte die Salutation den gänzlich irrigen Eindruck, der junge Flavius habe den älteren vergrämt! Keinerlei Motiv war hierfür vorhanden, stets hatte der Knabe sich den parentalen Weisungen gefügt und seinem Erzeuger den eingeforderten Respekt und die Liebe erwiesen. Wie war jenes Verhalten also zu dechiffrieren?
    "Salve... Vater."
    grüßte der Knabe tonlos zurück, unschlüssig, welche Verhaltensweise nun geboten war. Vorsichtigen Schrittes bewegte er sich endlich in das Officium hinein und kam vor dem Schreibtisch zum Stehen, sodass der Anblick des älteren Gracchus zu einem Schemen verkam, womit sich die reservierte Mimik zwar nicht mehr zweifelsfrei konstatieren ließ, aber dennoch die Tension im Raume sich um kein Iota minderte. In seiner Konfusion verblieb lediglich der Rekurs auf jene Attitüde, welche er in dreizehn Jahren patrizischer Edukation vortrefflich habitualisiert hatte und zu welcher zählte, in Deplorabilitäten jedweder Art unbeirrt Konversation zu betreiben und den Fokus damit von den Aporitäten zu nehmen:
    "Ich... komme aus Cremona. Dorthin sandte mich Aurelius Ursus, zu einem Freund seiner Familie. Man hat dort gut auf mich Acht gegeben."
    Gänzlich sinnentleert erschienen Manius Minor seine Worte, welche wie von selbst ihm entfleuchten, in ihrem Timbre aber dennoch seine zur Melancholie sich approximierende Kleinmütigkeit kündeten.

    Überaus umfänglich nahmen sich die Reinigungszeremonien aus, welchen Manius Minor sich nach seiner Ankunft unterzog, was augenscheinlich von Manius Maior respektiert wurde, denn mitnichten wurde er durch eine plötzliche parentale Intervention dabei disturbiert. Dessenungeachtet war er trotz aller wohltuenden Düfte, aller pflegenden Salben und geschmeiden Öle in nicht geringem Maße enerviert, hatte beständig schweigend zu den milchigen Fenstern gesehen und spintisiert, auf welche Weise es geboten war seinem Erzeuger gegenüberzutreten, welchem er zu Liebe verpflichtet war und welchen er zugleich zu verachten neigte.
    Mitnichten war das Ende der Waschung indessen auf Ewigkeit zu prokrastinieren, sodass er schließlich frisch gebadet und gesalbt, gehüllt in die vertrauten flavischen Parfüms und sein präferiertes seidenes Gewand vor dem Officium stand, hinter welchem jener Feigling lauerte, gegen den der Knabe seit inzwischen vielen Monaten eine heftige Antipathie hegte, der gleichwohl noch immer sein Vater war und dem er Respekt schuldete.


    Lange zögerte er, ehe Patrokolos, welcher trotz der relativ kurzen Zeit, die er an der Seite seines neuen Herrn weilte, dessen Ungeneigtheit und Insekurität allzu leicht zu dechiffrieren in der Lage war, ihn an die Schulter tippte und mahnte:
    "Domine, vergiss nicht: Er ist Dein Vater!"
    Sogleich brach er die physische Verbindung, ließ seine Hand nach vorn schnellen und klopfte flink an die Pforte, ehe er die vorherige Position einnahm, als habe er sich zu keinem Zeitpunkt geregt. Der Zwang zum nächsten Zuge lag somit bei dem jungen Flavius, welcher zögerlich die Tür öffnete und mit zaghaftem Schritte eintrat, uneins mit sich, ob er den Winkelzug seines Dieners als deplorabel oder befreiend einzuordnen hatte.

    In der Tat war der Knabe genötigt, jene Repliken uninquiriert zu akzeptieren, da er ebenso wie der Ianitor jedweden Wissens über den Aufenthaltsort seiner Familia entbehrte, was wohl zur Verhütung eines unbesonnenen, infantilen Geheimnisverrats geschehen war. Dennoch gereichten sie ihm zu nicht geringer Elegie, hatte er doch seit Tagen seine Vorfreude jene geliebten Menschen endlich wieder in die Arme schließen zu können kaum zu bezähmen vermocht, hatte er zu Cremona bereits stets spintisiert, ob er nicht hätte früher nach Rom retournieren sollen, um keinen Tag missen zu müssen, an welchem er die Option auf Gemeinschaft mit seiner Mutter gehabt hätte.


    Die ob dessen sich verbreitende Melancholie ließ sich eindrücklich im Antlitz des Knaben ermessen, auf welchem die Mundwinkel sich der Erde approximierten, während die fehlsichtigen Augen schlagartig ihre freudige Strahlkraft einbüßten und sich bei genauerer Betrachtung gar mit Tränen zu füllen begannen.
    "Oh!"
    , kommentierte er die Novität indessen mit matter Stimme, während er langsam einen Fuß vor den anderen setzte und den Ianitor passierte, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Dicht gefolgt von Patrokolos, welcher seinerseits disturbiert und kompassioniert um sich blickte, betrat der junge Flavius somit sein altes und neues Heim, während er noch mit müder Stimme die Order verkündete:
    "Man lasse mir ein Bad ein."


    Mitnichten verspührte er auch nur den Hauch einer Unrast, seinem feigen Vater gegenüberzutreten, während ihm der Kontakt mit seinen Geliebten vorenthalten war. Zweifelsohne würde jener distanzierte Herr sich ohnehin lediglich zahlreicher Ausflüchte bemüßigen, welche seinen infantilen Geist mehr verwirrten denn kalmierten, um dennoch das nunmehre Schauspiel kindlicher Liebe einzufordern, die Manius Minor gänzlich entfleucht zu sein schien.

    Von jener ein wenig abseitigen Position aus vermochte der Knabe seinerseits den Ianitor zu identifizieren, welcher seinem Transporteur gegenübertrat, um sein Wort sogleich an den jungen Flavius selbst zu adressieren. Ein delektiertes Lächeln umschmeichelte so seinen Mund und mit einem
    "Danke, Acanthus!"
    verlieh er seinen erquicklichen Regungen Ausdruck.


    Die Frage ob seines Vaters indessen verlieh seiner Elation eine gewisse Minderung, da sie ihm Reminiszensen an die gräuliche Einsamkeit der Principia zu Mantua erweckte, an jenes Gefühl von Einsamkeit, welches ihn soeben noch wie schon so oft im Schlaf gepeinigt hatte, sodass er bisweilen still erhofft hatte, sein Erzeuger habe in den Wirren des Krieges den Tod gefunden oder sei verschollen, um ihn nimmermehr auf derartige Weise mit Kummer zu beladen. Vielmehr hatte er freudig der Reunion mit seiner Mutter, seinem geliebten Titus und Flamma entgegengeblickt, welche nun mit keiner Silbe erwähnt wurden.
    "Ist denn... meine Mutter auch hier?"
    , versuchte er ob dessen zögerlich und mit beklommenem Timbre zu ergründen und trat kleinmütig einen Schritt näher, womit die Konturen des Sklaven in geringem Maße verschwammen.