Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor

    Zitat

    Original von Burdo
    Derweil warf Burdo hinten einen Blick durchs Wageninnere und ließ sich erst einmal von dem erschrecktem Jüngling nicht stören. Im Wageninnere war nichts was nach Attentätern und dergleichem aussah und die Winkel die er nicht einsehen konnte waren zu klein um darin welche zu verstecken. Er nickte kurz als ob er sich selbst bestätigen wollte und wandte sich dann dem jungen Flavier zu:


    "Allet jut Junge, les dich mal weiter da in´nem Buch schlau und wir kümmern uns hier draußen um den Rest."


    Während der Exekution der Kontrolle schob der Knabe sich ein wenig näher an seinen Sitz und neigte das Haupt, die Hand schützend vor seine barocken ventralen Wölbungen haltend und den ältlichen Miles argwöhnisch begutachtend. Von großer Diligenz zeugte der flüchtige Blick indessen nicht und schon waren die Inkommodentien vergangen und der junge Flavius verabschiedete sich artig mit einem knappen
    "Wie erfreulich. Vale."


    Kurz darauf nahm der Reisewagen neuerlich Fahrt auf und mit großem Erstaunen registrierte der Knabe, dass er gegen jedwede Konvention die Urbs mit einem Wagen betrat, wie er dies noch niemals in seinem Leben getan hatte, da schließlich auch die Gens Flavia sich an jene Restriktionen gebunden sah, die sie auf der Reise bis zu den Mauern Roms zur Nutzung einer Sänfte nötigten. Mit einigem Enthusiasmus spähte er aus der Kabine, wo er eine Mietskaserne neben der anderen erblickte, selbst wenn diese sich ob der geringen Breite selbst der allhiesigen Hauptstraßen in gewisser Unschärfe präsentierten, die vielfältigen Düfte der größten und volkreichsten Stadt des Imperiums erschnupperte und jene vertraute Mundart vernahm, derer die gebürtigen Römer der ordinären Stände sich zu bedienen pflegten und die auf den Straßen weiteste Verbreitung genoss, obschon tagtäglich wohl hunderte Fremder kamen und gingen und der Stadt so ein geradezu internationales Flair verliehen. Ein weiter Weg durch die gedrängte Menge war dem Gefährt dessenungeachtet nicht beschieden, sodass es trotz zahlreicher Inzidentien aufgrund von Versperrungen der Straßen oder Konfrontationen mit Fußgängern, welche das Sonderrecht des Kutschers mitnichten akzeptierten, bald die Villa Flavia Felix erreichte.

    Bespäht von vorwitzigen Blicken, welche innerhalb der Urbs eines Wagens im Glanze der Sonne wohl selten oder gar niemals ansichtig geworden waren, da dies als Privileg nur den höchsten Priestern zustand, bog ein Reisewagen in die Straße ein und machte vor dem imposanten Portal der Villa Flavia Felix Halt. Ihm entstieg zuerst der Kutscher, ein ältlicher Herr mit einem durchaus ordinären Aussehen, welches durch die beschwerliche Reise von Cremona bis hierher kaum an Attraktivität gewonnen hatte, der sogleich zur Pforte trat und vernehmlich anklopfte.


    Indessen verließ ein junger Sklave von nicht geringer Attraktivität die Kabine des Wagens, öffnete die Tür und geleitete Manius Minor, jenen seit seiner überstürzten Flucht durchaus ein wenig gealterten Knaben, der an Körpergröße in sämtliche Richtungen gewonnen hatte, über die Schwelle hinab auf die gepflasterte Straße. Mit interessierter Mimik blickten Herr und Knecht um sich, ersterer voller Satisfaktion sein geliebtes Heim aufs Neue zu erblicken, letzterer mit gewisser Unrast ob seiner ersten Visite in der ewigen Stadt und des ersten Kontaktes mit seiner neuen Unterkunft.
    "Sei unbesorgt, Patrokolos."
    , kalmierte der junge Flavius seinen Sklaven, dessen Nervosität ihm trotz seiner Fehlsicht mitnichten entging.
    "So viele Eindrücke, Domine! Ich weiß gar nicht, welche ich zuerst beschreiben soll!"
    , erwiderte Patrokolos und blickte weiter um sich, was der Knabe mit einer beschwichtigenden Regung und weiteren Worten kommentierte:
    "Das ist nicht notwendig, Patrokolos. Ich bin hier zu Hause! Ich kenne hier jeden Stein! Außerdem erinnere ich dich daran, dass ich so schlecht auch nicht sehe!"
    In der Tat konnte er von seiner Position aus gar die Graffiti und Dipinti an der gekalkten Außenwand des Anwesens entziffern, die in ausreichender Distanz sich befanden und sich im Kern kaum gewandelt hatten, da es zumeist doch die similäre Bande von Jünglingen war, welche sich in diesem Quartier zu verewigen pflegte, ohne sich von den regelmäßigen Reinigungsinitiativen des flavischen Gesinde disturbieren zu lassen.


    Derweilen vermeldete der Kutscher den Adventus des ästimierten Erben jenes Anwesens an den Ianitor, welcher den jungen Flavius potentiell ohnehin zu identifizieren in der Lage war, womit lediglich eine knappe Proklamation vonnöten war:
    "Der junge Manius Flavius Gracchus Minor ist hier."

    Zitat

    Original von Burdo
    "Hmmhhh wird scho..",
    Burdo ging davon aus das es für jeden 10 Sestertii gab und war damit zufrieden. Er nahm also seine Münzen entgegen und gab anschließend seinen 3 anwesenden Kameraden ein Zeichen das sie einzeln zum Kutscher kommen sollten.
    Er selber kritzelte schon einmal ein paar Worte auf die Tabula und ging nach hinten und lupfte den Vorhang des Reisewagens.


    Missbilligend nahm der Kutscher Notiz, dass der Evocatus augenscheinlich seinen Gestus missverstanden hatte, wobei nicht ersichtlich schien, ob dies intentional geschehen oder in der Tat auf eine fehlerhafte Aufnahme des Dargebotenen zu reduzieren war. Mit einem Seufzen, welches der Enttäuschung über das Menschengeschlecht mit seinem insatisfaktionablen Mammonismus Ausdruck verlieh, zählte er nunmehr also auch in die Hände der übrigen Soldaten die zuvor ausbezahlte Summe, um nicht dem Risiko sich auszusetzen, seine exzeptionelle Genehmigung der Wagenfahrt wieder einzubüßen.


    Indessen wurde der junge Flavius im Inneren des Wagens durch das Beiseiteschieben des Vorhanges mitten in der Audition der Historien des Livius disturbiert, ein bärtiges Antlitz schob sich hinein, welches im ersten Augenschlag Remineszensen an jenen bärtigen Schemen erweckte, der im Traum jenen gefährlichen Malleus geschwungen hatte, weshalb der Knabe zu einem kurzen Aufschrecken genötigt war, ehe sein patrizischer Habitus die Oberhand gewann und er indigniert fragte:
    "Gibt es ein Problem, Legionarius?"
    Selbstredend vermochte der Knabe mitnichten die Dekorationen auf dem ehernen Helm erkennen, doch dass die Gestalt zweifelsohne dem Militär zuzurechnen war, ließ sich nicht nur deduktiv aus dem Kontext, sondern trotz aller Restriktionen auch visuell verifizieren.

    Knapp neigte der Kutscher sein Haupt, als er die Konditionen seines semilegalen Geschäftes vernahm ob des Faktums, dass er eben jene auch ohne eine Explikation verfolgt hätte. Dann streifte er von seinem Arm eine Geldbörse ab und eröffnete den Deckel, um sogleich daraus zehn Sestertii zu fischen, was in der Tat ein Drittel eines wöchentlichen Soldes für einen Miles Gregarius ausmachte, und jene mit einem verstohlenen Blick hinüber zu den übrigen Mannen an den ergrauten Evocatus zu reichen.
    "Reicht das?"
    , erkundigte er sich mit einem Timbre in der Stimme, welche klarlegte, dass er eine Konfirmation erwartete, um dann sogleich hinter sich zu weisen, um dem Wachenden seine Zustimmung zu einer flüchtigen Kontrolle des Wagens zu explizieren.

    Die Replik des Evocatus evozierte beim Lenker des Reisewagens ein intensives Hervortreten jener Furchen, die ebenso wie im gesamten Antlitz des älteren Mannes dessen Stirn durchzogen ob der Tatsache, dass ihm entfallen war, dass das Betreten der Urbs Aeterna in einem Wagen bei Tageslicht streng untersagt war. Indessen arbeitete er schon viele Jahre für Herren von nicht geringer Ressourcenausstattung, welche diese auch zur Investition in Bequemlichkeiten, die nur durch willentliche Ignoranz der Staatsdiener bei der Gesetzesexegese ermöglicht wurden, einzusetzen bereit war. Gemächlich streckte er sich somit, fuhr sich durchs Haar und sagte:
    "Können wir da nicht 'ne Ausnahme machen? Mein Herr hat 'nen Haufen Gepäck dabei und wir haben jetzt keine Sänfte mitgenommen. Es soll dein Schaden nicht sein, Soldat."
    Der Blick des Kutschers schweifte über die Schar der übrigen Mannen, welche das Tor guardierten und zweigelsohne als potentielle Mitwisser eines derartigen Bestechungsversuches die Entscheidung des alten Soldaten influenzierten.
    "Natürlich auch für deine Kameraden..."

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Er hörte das monotone Rattern der hölzernen Räder auf den Straßenplatten, selbst der Mond verhüllte sein Antlitz vor der Götterverlassenheit jenes winzigen Zuges, der sich einer Schnecke gleich über die Straße gen Norden schob. Er selbst war gehüllt in ein schäbiges Gewand, dessen Farbe einmal weiß mochte gewesen sein, das nun indes von einer Melange aus Staubgrau und Uringelb durchzogen und gänzlich zerschlissen war und den Eindruck erweckte, es habe bereits mehrere Leben verlebt. Der grässliche Odeur, welchen es verströmte, wurde übertüncht von jenem abscheulichen süßlichen Geruch, den die Leichen im Karren, den sie gemeinsam schoben und zogen, verströmten. Direkt vor den Augen des Knaben ragte ein dreckverschmierter, blasser Fuß hervor, zu schweigen vom leeren Blick jenes bartbewehrten Kopfes, der mit jedem Schlagloch sanft hin- und herwogte, um dann wieder zum Erliegen zu kommen. Durchaus wusste er seinen Vater bei sich, ebenso Onkel Flaccus und dessen Sklaven, doch vermochte er in seiner Position niemanden zu erblicken denn die leblosen Körper direkt vor sich.


    Eine Kälte schien von ihnen sich zu verbreiten, kroch zuerst in seine Finger, welche gegen die abgegriffene Planke des Karrens drückten, wanderte seine Arme hinauf, an welchen die feinen Härchen gen Himmel ragten und das bildeten, was seine Amme "Entenpickel" tituliert hatte. Hinzu kam eine grässliche Humidität der Luft, welche von dichtem Nebel geschwängert war, und vor der kein Mantel und keine Toga, derer er ohnehin entbehrte, ihn schützte. Und nun wurde er sich gewahr, dass jene Schlange von Wägen aller Größe und Form, welche sich bishero hinter, vor und neben ihnen gedrängt hatten, verschwunden waren. Stattdessen ragten stumm und drohend die Umrisse der verfallenen Grabmäler uralter Familien aus dem Nebel, links und rechts der Straße aneinandergedrängt gleich der Zuschauerschar bei einer Pompa Circensis. Er wandte seinen Blick ab, sah zu Boden und dann nach vorn, wo der bärtige Kopf erneut hin- und herwogte und dann zur Ruhe kam.


    Doch nicht ganz: Noch immer wirkte das Antlitz seltsam entstellt ob der Relaxation sämtlicher Muskeln, doch der Blick war mitnichten mehr leer und leblos: Die Pupillen regten sich und folgten den Bewegungen seines Kopfes. Zuerst glaubte er an eine Täuschung, einem Trugspiel seiner Müdigkeit, gepaart mit dem undurchdringlichen Nebel. Doch als die gesprungenen Lippen des Kopfes sich ebenfalls in Bewegung setzten und mit krächzender Stimme
    "Wir sind da!"
    sprachen, verstieg seine latente Furcht sich zu regelrechter Panik und ihm entfleuchte ein furchtsamer Schrei, gleich dem eines jungen Ferkels. Eine eisige Faust schloss sich um sein Herz, hilflos blickte er um sich, rief
    "Vater!"


    Doch vorn, wo sein Vater mit Onkel Flaccus den Karren gezogen hatte, war niemand, die Deichsel lag verwaist auf den Platten der Straße. Sein Vater hatte ihn zurückgelassen, war geflohen oder hatte sich im Nebel verborgen. Nur der grausame Libitinarius stand da, mit hoch erhobener Fackel und rief
    "O Larvae et Lemures! Eilt herbei, denn wir haben unser Opfer für euch!"
    Schon begannen die bleichen, leblosen Leiber sich zu regen. Ein ergrauter Mann, dessen dünnes Hemd von schwarz getrocknetem Blut benetzt war, erhob sich gemeinsam mit einem Weib mit wirrem Haar, deren Blick noch immer leer war. Mit langsamen Bewegungen schwangen sie sich von dem Karren herab, ihnen folgte eine zahnlose, kahle Gestalt mit einem schiefen Hals, um den noch ein Strick hing.


    Voller Schrecken wandte der Knabe sich um, doch durch den Nebel erkannte er, dass die Pforten der Mausolea sich ihrerseits öffneten und Leichen herausströmten, gehüllt in Togae Triumphales, Praetextae und Matronenkleider, alle halb verwest, mit aufgedunsenen Leibern oder zusammengefallenen Gesichtern. Kein Ausweg war zu sehen, wohin er sich auch drehte!
    "Schnappt ihn euch! Eure Brüder werden sich das Schweinchen schmecken lassen!"
    , brüllte der Libitinarius und lachte grausam. Wieder versuchte der Knabe sich zu regen, die Flucht zu ergreifen, doch war es ihm unmöglich, denn wie verwurzelt waren seine Füße auf dem Pflaster der Straße, so sehr er sich auch abmühte, sich wandt und an sich zerrte. Unabwendbar approximierten sich die Toten, legten mit eisernem Griff ihre kalten Hände an ihn, hoben ihn auf ihre Schultern und wandten sich einem der Mausolea zu. Er vermochte sich nicht in geringstem Maße zu wehren, sein Schlagen und Treten schien die Verstorbenen nicht im geringsten zu disturbieren, während sie ihn schweigend weitertransportierten.


    An dem Mausoleum, welches augenscheinlich das Ziel darstellte, stand ein großer Opferaltar, auf dem bereits schwarze Bohnen dargebracht waren. Der Libitinarius stand daneben, capite velato und ein Culter in Händen. Die Toten warfen ihn zur Erde, schlossen eine eiserne Kette um seinen Hals und befestigten sie an dem Ring zu Füßen des Altars. Als er aufblickte, erkannte er den bärtigen Kopf vom Wagen, dessen zugehöriger Leib nun einen Malleus in Händen hielt und mit welkem Lorbeer bekrönt war.
    "Agone?"
    , fragte die krächzende Stimme und übertönte sein hilfloses Schreien, sein Winden und Schlagen, mit dem er sich gegen dieses grausige Schauspiel zur Wehr setzte, ohne dass sein Widerspruch für die Anwesenden als abträglich wahrgenommen wurde.
    "Age!"
    , sprach der Libitinarius und der Hammer sauste nieder.


    ~~~


    Manius Minor schreckte hoch. Über sich erblickte er das verschwommene Antlitz Patrokolos' und jener Anblick ließ ihn rasch erkennen, dass er in Sekurität sich befand, dass er neuerlich jenen abscheulichen Traum geträumt hatte, welcher ihn in regelmäßigen Abständen heimsuchte und quälte, zumal das Tageslicht seinen Weg durch die Vorhänge des sanft wogenden Reisewagens sich bahnte.
    "Wieder die Toten?"
    , fragte sein Diener mit besorgtem Timbre in der Stimme, welche ihm trotz der knappen Zeit, in der Patrokolos an seiner Seite weilte, bereits wohlvertraut war. Der junge Flavius musste lediglich nicken in der Gewissheit, dass sein Diener, welchem er schon oftmals von jenem stets similär verlaufenden Traum berichtet hatte, kannte und voll Empathie betrachtete.
    "Sorge dich nicht, Domine. Wir sind fast in Rom. Draußen erblickt man schon die Stadtmauern, viele Karren und Sänften sind unterwegs."
    Der Knabe rappelte sich auf, er war im Schlaf in seinem Sitz zusammengesunken und schob nun den Vorhang des Reisewagens beiseite. Patrokolos berichtete ihm zwar stets, was es zu erblicken galt, doch diesmal vermochte er die Dinge noch mit der Kraft seiner eigenen Augen zu identifizieren, denn in der Ferne mangelte es ihm ja kaum an Sehkraft, welche sich im cremonesischen Exil augenscheinlich in gewissem Maße gemehrt hatte, was ihm zwar nach wie vor nicht erlaubte, Personen, denen er Antlitz zu Antlitz gegenüberstand, scharf zu fixieren, ganz zu schweigen von der eigenständigen Lektüre eines Briefes, doch immerhin vermochte er nun mit einiger Anstrengung die Mimik einer Person in geringer Entfernung zu erkennen. Und in der Tat war er nun auch imstande, die ehrwürdigen Mauern der Urbs Aeterna selbst zu erblicken, die er hinter jenem unsäglichen Leichenwagen verlassen hatte, welcher in seinen Träumen ihn heimsuchte. Heute aber schien die Sonne von einem wolkenlosen, hellen Himmel. Bald würde er in Rom sein, wo, wie zu hoffen war, seine Mutter und seine Geschwister ihn erwarteten. Und vielleicht auch sein Vater, sofern dieser sich nicht anderswo verborgen hatte um den Krieg schadlos zu überleben.


    Indessen der Reisewagen sich langsam, doch stetig den Pforten Roms approximierte, lehnte der junge Flavius sich neuerlich in seinen mit Kissen akkomodierlich gemachten Sitz und bat Patrokolos, ihm noch ein wenig aus Livius' Ab Urbe Condita zu rezitieren, mit deren Repetition er sich für die Rhetorenschule zu präparieren gedachte, da man in Cremona stets seine umfangreiche Kenntnis in Poetik, Lyrik und Epik gelobt und sein eigens engagierter Grammaticus mitgeteilt hatte, er sei reif für eine höhere Stufe der Edukation.
    Erfüllt von Stolz ob dieses Lobes also gab er sich strebsam und lauschte andächtig der Landung des Aeneas in Latium, während der Wagen am Tor zum Stehen kam. Von draußen vernahm er nur am Rande die Stimme des Kutschers, welcher den Wachposten adressierte:
    "Der ehrenwerte Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des Senators und Pontifex Manius Flavius Gracchus, wünscht die Stadt zu betreten!"

    An jenem Tage, als die Kunde von der gänzlichen Expugnation der Urbs Aeterna das beschauliche Cremona erreichte, überraschte der Gastgeber den jungen Flavius mit einem ungeahnten Präsent. Soeben hatte dieser erneut den Zeilen des Divus Iulius über dessen adventuröse Feldzüge in jener Region, welche heute Gallia Belgica geheißen wurde, gelauscht, als man ihn bat, das Atrium aufzusuchen. Dort erwartete den Knaben der ältliche Gastgeber, dazu aber ein junger Mann, zweifelsohne kaum mehr als zehn Lenze älter denn er selbst. Aus der Ferne, in welcher die Hypermetropie es diesem erlaubte, noch bis zu einem gewissen Maße das Umfeld in gebotener Schärfe zu erfassen, identifizierte er die feinen Gesichtszüge, das blonde Haar und die ansehnliche Gestalt des Fremden, welche beim Nähertreten zu einem jener familiaren Schemen verschmolz.


    "Junger Flavius, du hast sicherlich gehört, dass der Krieg zu Ende ist. Es wird also Zeit, dass du nach Hause kommst."
    , eröffnete der Gastgeber seine Explikationen und sprach durchaus wahr, denn die Unrast und Elation auf den Straßen war wohl niemandem, nicht einmal dem fehlsichtigen jungen Flavius entgangen. Die Konsequenz, Cremona nunmehr den Rücken zu kehren, erfüllte den Knaben indessen nicht mit Extase, vielmehr verspürte er eine gewisse Trauer, den liebgewonnenen alten Herrn zu verlassen, um zu seinem Vater zurückzukehren. Dieser war feige geflohen, während jener die Truppen seines Patrons Aurelius Ursus mit Waren versorgt hatte und damit seiner Bürgerpflicht nachgekommen war. Dieser war stets okkupiert gewesen, außer Haus oder im Tablinium, wo eine Störung strengstens untersagt war, während jener zur Tages- und Nachtzeit ein offenes Ohr hatte, sogar von selbst an sein Bett kam um ihm Novitäten zu verkünden. Mit diesem hatte zu jedem Zeitpunkt eine insuperable Distanz bestanden, welche jedwedes Gespräch in gewissem Maße offiziös hatte wirken lassen, während der junge Flavius sich bei jenem mitnichten zu mäßigen mühen musste, sondern vielmehr jedwede Umstände, gar seine Befangenheiten und Insekuritäten zur Sprache bringen konnte. Vor allem freilich hatte dieser ihn einsam hinter sich gelassen wie ein lästiges Stück Gepäck, abgespeist mit indechiffrablen Zeilen, um sich seither in Schweigen zu hüllen, während jener ihn mit offenen Armen empfangen hatte, einem Honoratioren gleich behandelte und zu jeder Zeit mit sämtlichen Informationen bezüglich der politischen Vorgänge und privater Vorhaben versorgte. Angesichts jener geradezu antithetischer Optionen lag es nahe, dass Manius Minor inzwischen kaum geneigt war, sein trautes neues Heim gegen die kühle Villa Flavia Felix zu vertauschen, um an die Seite Manius Maiors zurückzukehren. Lediglich die Perspektive, seine geliebte Mutter, seinen Bruder Titus und Flamma, seine Schwester, neuerlich in die Arme zu schließen, ließ ihn dazu neigen, keinen Versuch zu unternehmen sich der Sohnespflicht zu entziehen, sondern lediglich eine verdrossene Mimik aufzusetzen und den weiteren Worten seines Gastgebers zu lauschen:
    "Ich habe dich sehr lieb gewonnen, deshalb habe ich nach einem Geschenk gesucht, das dich an mich erinnern soll, wenn sich unsere Wege nun bald trennen. Das hier ist Patrokolos, den ich unlängst auf dem Markt erworben habe."
    Obschon auch der Sprechende zu einem indefinierbaren Schatten verkommen war, erkannte Manius Minor, dass auf den Fremden gewiesen wurde, welcher knapp sein Haupt neigte.
    "Patrokolos stammt aus Patavium. Dort diente er einem alten Decurionen, der erblindet war. Er kennt sich also... mit deiner kleinen Unpässlichkeit aus und wird dir hoffentlich eine Stütze sein."
    Dem Tembre der Stimme entnahm Manius Minor, dass der Alte wohl ein gewinnendes Lächeln formte, was ihn seinerseits rührte, da ihm die Unzulänglichkeiten seines Sehvermögens in der Tat nicht selten zur Schande gereichten, er dieses Leid aber ebenfalls in vertrauter Atmosphäre geklagt hatte. Keinesfalls war er blind, wie er sich selbst stets versicherte, doch musste er einräumen, dass seine Erkrankung der Blindheit nahe stand, sobald sein direktes Umfeld das Objekt seines Interesses bildete, mochte das Motiv die Berücksichtigung unebenen Grundes sein oder die Lektüre eines kurzen Briefes. Sprachlos war er ob dessen, gewissermaßen eines Spezialisten für sein Leiden, oder zumindest dessen Schemen ansichtig zu werden und er schenkte seinem Gastgeber seinerseits ein herzliebstes Lächeln.
    "Ich... danke dir. Das ist überaus großzügig."
    , brachte er hervor. Auch in dieser Hinsicht hatte Manius Maior sich dem ältlichen Herrn als unterlegen erwiesen, denn obschon jener bereits seit mehr denn fünf Jahren von der Fehlsicht Kenntnis hatte, während dieser gerade wenige Monate Zeit gehabt hatte, über eine Abhilfe zu spintisieren, war es diesem augenscheinlich gelungen. Einer spontanen Eingebung, welche er angesichts seines Vaters zweifelsohne hinfortgewischt hätte, folgend überwand er die kurze Distanz zu seinem Gastgeber und herzte ihn innig.
    "Danke für all deine Hilfe. Du... wirst mir fehlen!"
    Sanft strich der Alte dem Knaben über das Haupt und erwiderte versonnen:
    "Du wirst mir auch fehlen, junger Flavius. Aber wir werden uns sicher wiedersehen!"


    Noch viele freundliche Worte wurden ausgetauscht, dann aber ermahnte der Alte Manius Minor, dass er mannhaft dem Schicksal entgegengehen sollte, zumal er nun eine Stütze habe, welche ihn geleite und ihm zur Hand ginge, wo immer er Bedarf habe. So begannen die Diener des Hauses, den bescheidenen Besitz des Gastes zu verpacken, welcher sich primär aus Geschenken des Alten zusammensetzte, dabei aber weniger Spielwaren denn Kleidung und Objekte des täglichen Bedarfs umfassten. Zuletzt galt es ein letztes Mal Abschied zu nehmen, ehe ein Reisewagen sich daran machte, den jungen Flavius in die ewige Stadt zu transferieren...

    Selbstredend war die naive Frage des Knaben umgehend rejiziert worden, denn, wie man ihn belehrte, mochte eine siegreiche Schlacht mitnichten umstandslos einen siegreichen Krieg fabrizieren, sodass die aufwallende Freudigkeit eine gewisse Dämpfung erhielt. Dessenungeachtet wagte man nun zumindest, dem jungen Flavius ein gewisses Maß expandierter Bewegungsfreiheit zu gestatten, nachdem das Damoklesschwert einer erzwungenen Kapitulation vor den kaiserlichen Truppen von Cremona genommen war. Bisweilen wanderte Manius Minor so an der Seite eines Sklaven hinab zum Fluss, der die Quartiere der Flussschiffer, die einstmals am Ufer gestanden hatte, in sich aufgenommen und die simplen Fuhrleute somit nicht nur ihres sämtlichen Besitzes, sondern in generale jedweder Subsistenz beraubt hatte, da der Fluss während einer Überschwemmung augenscheinlich unschiffbar war. Da seine Fehlsicht sich lediglich auf die Objekte in unmittelbarer Nähe beschränkte, vermochte der Knabe das Panorama eines schmutzbeladenen Flusses, aus dem die tristen Hütten ragten, wohl in sich aufzunehmen, was in ihm Compassion für jene armseligen Menschen erweckte, welche in diesem Teil der Stadt harsche Kritik an den sogenannten Rebellen äußerten, die augenscheinlich schlichtweg die Dämme des Padus gesprengt und damit von jener Misere sich zu exkulpieren nicht in der Lage waren.


    All dies evozierte Fragen, welcher sein Gastgeber sich dankenswerterweise geduldig annahm, indem er jene Strategie hinter dieser Kaprizität darlegte, welche auf den Ausschluss nachrückender Kräfte aus dem Süden Italias abgezielt hatte, obschon die Intention dieser Planung augenscheinlich nicht aufgegangen war, da einige Zeit die Novität kursierte, dass es den Cohortes Praetoriae nicht nur gelungen wäre, den Padus gegen jede Widrigkeit zu durchqueren und ihrerseits an der Schlacht zu partizipieren, sondern die Gegenseite ihrerseits die Praetorianer nicht nur geschlagen, sondern darüber hinaus schon im Schlachtenverlauf den Praefectus Praetorio selbst inhaftiert hatten. Dies nötigte jedem, der darüber berichtete, großen Respekt ab, was Manius Minor neuerlich von seinem Gastgeber expliziert wurde, indem dieser darlegte, dass konventionellerweise sämtliche Offiziere jenseits der Centuriones für gewöhnlich abseits der Schlachtreihe in relativer Sekurität ihre Truppen dirigierten und mittels Feldzeichen und Hornstößen mit den Centuriones auf dem Schlachtfeld kommunizierten. Dies differierte gänzlich von den infantilen Imaginationen des jungen Flavius, welcher selbst im Spiel regelmäßig in den Fechtkampf getreten war, wobei er selbstredend dennoch stets den Legatus oder gar den Kaiser selbst repräsentiert hatte. All dies evozierte ein steigendes Interesse des Knaben in militärischen Belangen, und da sein Gastgeber selbst die Tres Militiae durchlaufen hatte, konnte er auf umfangreiche Literatur zurückgreifen, welche er sich vorlesen ließ, um so mehr über die Kunst des Krieges zu erfahren, zugleich aber, um die theoretischen Erkenntnisse mit seinem Gastgeber zu diskutieren und somit ihre Praktikabilität zu verifizieren. Damit brachte er nun die Tage zu, um seine wachsende Unrast inmitten jener bescheidenen Stadt zu besänftigen, stets unterbrochen von Ausflügen, in denen er auch die kommunalen Reaktionen auf die kriegsbedingten Obliegenheiten studierte.


    Dennoch verblieb die Frage, wie lange er noch zu verweilen genötigt war, denn obschon er nun eine Materie, in die einzudringen er sich mühte, besaß, fehlte ihm weiterhin die Geborgenheit seiner Familia, welche nun auch in Rom durch den Krieg bedroht wurde. Diese Sorge wurde gar multipliziert durch seine Studien, denn mehrfach berichtete sein Gastgeber und führten ihm seine Ausflüge vor Augen, dass die Zivilisten insonderheit als Laborierende unter der Geißel des Krieges zu identifizieren waren.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Fuß um Fuß setzte er vor sich, den Blick starr gerichtet auf die Steinplatten, welche die Straße unter seinen mit Schicht um Schicht von Unrat bedeckten Sohlen formte. Im Rhythmus seines Ganges klirrten die eisernen Bande, welche seine Hände umschlossen, deren Stahl sich bereits tief in die Gelenke gesenkt hatte und die Haut reizte, an manchen Stellen gar zum Aufbrechen nötigte. Blickte er er auf, erkannte er lediglich den Rücken eines weiteren Gefangenen, davor eines weiteren und eines dritten immer fort, eine infinite Kette Inhaftierter, welche die schnurgerade Straße entlangtrottete und hinter dem Horizont sich fortsetzte. Bisweilen, alle fünfzig Schritte, wie er bald zu kalkulieren in der Lage war, war einer jener Schergen postiert, welche jedwedes Entweichen im Keime erstickten und unermüdlich mit Geißeln die desperate Horde traktierten.


    Ihm schmerzten die Sohlen, die Knie und Hüfte, so lange schon währte jener Marsch ins Nirgendwo, doch ohne Gnade trieb man ihn vorwärts, zog die Kette, mit welcher er an den Vorder- wie Hintermann geschmiedet war, und die sie vereinte. Strahlend klar stand ihm der Grund jener Strafe explizit vor Augen, denn der geschundene Rücken ihm zuvorderst gehörte Aurelius Ursus, ein weiterer dem noch immer an seiner Erkrankung laborierenden Onkel Flaccus und irgendwo an der fernen Spitze des Zuges mochte gar Cornelius Palma seinen letzten Gang vollziehen. Sie alle, die letzten Aufrechten der Res Publica, mussten ihren Weg in die Bergwerke im fernen Hispania selbst erlaufen.


    Welch prätentiöse Idee es doch gewesen war, dem Imperator Vescularius, welcher nun sich als Rex titulierte und alle Ordnung umgestürzt hatte, die Stirn zu bieten! Alle waren sie gefänglich gesetzt worden, umzingelt und aufgerieben von den unermesslichen, blutrünstigen Heeren des Königs, keine noble Deszendenz, kein Name höchster Anciennität und keine Virtus war zu bewahren sie geeignet: Nun waren die Früchte des Aufruhrs zu ernten und unbarmherzig wurde die Sichel angesetzt und schnitt die aufrechten Söhne der Roma ab, um sie gleich dem Spreu den Flammen zu überantworten.


    "Auf, auf!"
    , brüllte der Scherge und stieß ihn an der Schulter, immer wieder! Obschon er ging und ging, gereichte dies augenscheinlich nicht zur Satisfaktion, denn immer aufs Neue stieß man seinen Leib, dass ihm beinah das Gleichgewicht abhanden gekommen wäre.
    "Ich gehe schon!"
    , explizierte er sich und versuchte, den Hieben zu entweichen, doch das hassangefüllte Antlitz der Wache entfernte sich nicht, immer wieder schloss der Scherge stattdessen auf und brüllte ihm ins Ohr.


    ~~~


    "Auf, wach auf, junger Mann!"
    Gänzlich konfundiert öffnete der Knabe die Augen und gewahrte sich in einem weichen Bett, bar jedweder Ketten und gehüllt in ein schweißdurchnässtes, doch dennoch samtweiches Nachthemd, mitnichten aber in stinkende Fetzen, deren rauhen Stoff er soeben noch am Leibe verspürt hatte. Langsam wandte er sich um, um die missliche Bauchlage zu verlassen und damit einen Überblick über sein Schlafgemach zu gewinnen, welches, wie er sich gewahr wurde, selbstredend in Cremona im Hause eines Freundes des Legatus sich befand. Über sich erblickte er ein verschwommenes Antlitz, dessen rundliches Profil nicht zu jenem Sklaven passte, welcher ihm für gewöhnlich am Morgen aufwartete. Vielmehr identifizierte er nun auch die Stimme, die ihn so unsanft aus dem Schlafe gerissen hatte und welche auch jetzt nicht verstummte, sondern die Novität schlicht hinausposaunte:
    "Es gibt Neuigkeiten aus Vicetia! Die Truppen Palmas haben gewonnen, junger Mann! Gewonnen!"
    Sein Gastgeber selbst hatte sich in das Gästezimmer begeben, was bisher niemals der Fall gewesen war. In der Tat war seine Information von höchster Brisanz, sodass er sich es nicht nehmen hatte lassen, sie persönlich an seinen Gast, dessen Schicksal, wie er wusste, fest an den Erfolg des cornelischen Heeres gebunden war, zu überbringen. Indessen bedurfte die Kundmachung jener Fortgänge aber einiger Zeit, ehe sie den schlaftrunkenen Geist, noch immer lädiert durch die gräuliche Nachtmär, in welcher er bis soeben noch incarceriert gewesen war, tatsächlich erreichte. Dann aber durchflutete sie die Gedanken des jungen Flavius wie ein warmer Würzwein nach einem winterlichen Ausgang, belebte seine Glieder und erweckte in ihm freudige Zuversicht: Mitnichten war der Krieg verloren, würde er sein junges Leben in einem Bergwerk fristen, während die Res Publica zu einer Monarchie verkam und unter dem Joch eines Irrsinnigen lebte. Im Gegenteil, der Tyrann war geschlagen, seine Heerscharen zermalmt, was eine evidente Folgerung für ihn nach sich zog: Er würde seine geliebte Mutter wiedersehen, würde seine Geschwister in die Arme schließen und sein tristes Gefängnis gegen die vertraute Villa Flavia Felix in Rom tauschen. In höchster Elation, welche die letzten Relikte der Müdigkeit von ihm warf, rappelte er sich so auf und blickte dorthin, wo seiner Erfahrung nach die Augen jenes verschwommenen Schemen liegen mussten, welcher ihm die frohe Kunde überbracht hatte.
    "Heißt das, ich darf nach Hause?"

    Cremona war eine Stadt von nicht geringer Bedeutung, doch dem jungen Flavius sagte dieser Ort ebensowenig zu, wie der Grund seines unfreiwilligen Aufenthalts hier. Die Reitereskorte hatte ihn vor Wochen hierher verbracht, in die Gastfreundschaft eines ihm bekannten älteren Herrn, welcher ein Anwesen unweit des Padus bewohnte. Wiederholt hatte der Knabe verlangt, anstatt an einen ihm unbekannten Ort besser zum Versteck seiner Mutter transferiert zu werden, um zumindest an der Seite seiner verbliebenen Familie diese schweren Zeiten zu verleben, doch da weder Ursus noch er selbst Kenntnis von diesem Unterschlupf hatten, war man gezwungen, ihn isoliert zu verbergen, wozu sich eben jener Bekannte empfahl, da dieser im nahen Cremona ein adäquates Anwesen besaß und darüber hinaus als vertrauenswürdig galt. Aus diesem Grund nun hatte Manius Minor einen weiteren güldnen Käfig bezogen, dessen Tür zumindest ein wenig weiter geöffnet stand als er mantuanische, denn der gutmütige Unternehmer gestattete es seinem Gast zumindest, bisweilen das Haus zu verlassen, da es ihm abwegig erschien, dass irgendwer an diesem Ort den Spross einer patrizischen Familie identifizierte, solange dieser sich nicht als solcher auswies.


    Und so erkundete der junge Flavius nun zum ersten Male in seinem Leben eine Stadt, welche nicht Rom war. Zwar hatten sie auf der Flucht ebenfalls manchen Ort durchwandert, doch hatte sein Vater damals abgelegenere Stationes präferiert und die Städte eilig hinter sich gelassen, während jene unendlich weit zurückzuliegen scheinenden sommerlichen Ausflüge aufs Land stets Villae Rusticae zum Ziel gehabt hatten. Obschon Cremona ein Zentrum des norditalischen Handels darstellte, erschien sie dem Knaben entsprechend, eher einem verlassenen Vogelnest gleich. Und in der Tat war ob des heraufziehenden Krieges der Verkehr von jenseits der Alpen völlig zum Erliegen gekommen. Als dann eines Morgens ein Blick aus dem Fenster eröffnete, dass der Padus sein Ufer verlassen hatte, wurde es noch stiller in der Stadt.


    So verblieb Manius Minor neuerlich viel Zeit zum Spintisieren. Neuerlich musste er an seinen treulosen Vater sich erinnern, neuerlich Abscheu und Enttäuschung auf diesen projizieren. Hinzu kam Unsicherheit ob seiner eigenen Sekurität wie der seiner Familie, welche an einem geheimen Ort weilte, welcher möglicherweise unter jene zu zählen war, die sein Gastgeber in den langen Berichten über den Stand der Auseinandersetzungen erwähnte. Stets war der Knabe darüber im Bilde, wo die palmanischen und vescularischen Truppen sich befanden, obschon er die Karte, auf welcher ihm dies veranschaulicht wurde, ob seiner Fehlsicht nicht einzuordnen in der Lage war und lediglich nichtssagende Ortschaften blieben. Diese Insekurität, gepaart mit dem Umstand, dass er das einzige Kind im gesamten Haushalt zu sein schien, dass er nun auch getrennt von seinem Onkel Flaccus, seinen Bekanntschaften aus Mantua und überhaupt von jedem Vertrauten sein Dasein zu fristen in der Lage war, erweckte in ihm ein grässliches Verlangen nach Wärme, Geborgenheit und Heimat. Abend für Abend verbarg er sich in den Kissen und Decken seiner Bettstatt, um unter Beben stumme Tränen zu vergießen, Nacht um Nacht erwachte er schweißgebadet aus abscheulichen Träumen, in denen in düstersten Farben das deplorable Schicksal seiner selbst, seiner Familie und der gesamten Welt gezeichnet wurde, in denen man ihn mit Hohn und Spott ob seiner Abkunft übergoss und wie ein Tier jagte, um ihn den flavischen Löwen im Amphitheatrum Flavium, welches nun Vescularium genannt wurde, zum Fraß vorzuwerfen. So war wohl 'Mama' das häufigste Wort, welches er flehentlich die Nächte über in den Mund nahm, während er untätig und beschämt das Ende jenes unsäglichen Krieges erwartete.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Zu Füßen des Tribunals stand er, in einer langen Reihe mit aufrechten Cives, welche bereit waren ihre Militia zu leisten, und sich nun auf dem Campus Martius versammelten, um sich in die Centuria immatrikulieren und das Sacramentum zu leisten und dem Feldherrn, welcher erhöht auf dem Tribunal auf seiner Sella Curulis sitzend der Musterung beiwohnte, den Gehorsam zu beeiden. Einjeder hatte seinen Namen zu nennen, seine Steuerklasse und auch sein Equipement vorzuweisen, zumeist die leichten Waffen der Velites, als welcher der Pöbel zu dienen pflegte, doch mit nicht minderer Virtus als diejenigen, welche ihm selbst gleich nicht nur eine volle Bronzerüstung, sondern gar ein Streitross offerieren konnten.


    Endlich war es dann an ihm voranzuschreiten, was ihn mit höchstem Stolz und einer gewissen Elation erfüllte, da er nun die Fußstapfen der Maiores auszufüllen erwählt war. So äußerte er mit leichtem Timbre in seiner Stimme:
    "Manius Flavius Gracchus. Equites."
    Schon replizierte er im Geiste das Sacramentum, den Fahneneid, Wort um Wort um sich nicht die Blöße des Wankens oder gar Stockens bei seiner Rezitation zu geben.


    Doch mitnichten sollte er dorthin gelangen, denn kaum wurde der Feldherr seiner ansichtig, da rief er aus
    "Manius Flavius Gracchus? Der Feigling? Aus dieser Stirps brauche ich niemanden!"
    Er entfärbte sich, um kurz darauf voll Scham zu erröten, da er in Wahrheit doch einzugestehen hatte, dass an der These des Kommandierenden durchaus Wahrheit sich fand, kam die Sünde der Väter doch auf die Söhne und floss das Blut des Verräters Gracchus Maior auch in seinen Adern. Und dennoch empfand er dies als exorbitantes Unrecht, eine Blamage im Angesicht des ganzen Populus Romanus, das heute zu den Waffen gerufen war.
    "Nein, ich bin nicht der! Ich bin... sein Sohn"
    erprobte er eine Apologie, welche ihm doch in jenem Moment bereits ridikulös erschien, weswegen seine Stimme bereits bei der Explikation seines Verwandtschaftsgrades kurz vor dem Ersterben war, ehe er endlich mit gesenktem Haupt dastand, seine beschienten Beine fixierend, während der Feldherr in lautes Höhnen verfiel.
    "Wir brauchen hier keine Flavii Gracchi! Geh in dein Loch und versteck dich mit deiner Sippe! Das hier ist etwas für Männer!"
    Eine gebrochene Gestalt, dishonoriert für die Ewigkeit, bar jedweder Hoffnung eines ehrenwerten Cursus Honorum, kehrte um und zog sein Streitross, welches er am Zügel hielt, hinter sich her, als er den Campus Martius verließ, Rom den Rücken kehrte, um auf seinem Landsitz das trübe Leben eines Landmannes zu pflegen in der Hoffnung, hier in Vergessenheit zu geraten, aufdass jenes süße Vergessen zumindest seine Schande mit der Illustrität seines Namens verschlingen mochte.

    ~~~


    Es bedurfte einiger Momente, ehe der Knabe sich seiner Situation gewahr wurde, denn glaubte er sich weiterhin in seinem Traume, als er all das Getreide in Säcken um sich erblickte, doch das Rütteln des Karren ließ neuerlich die Realität Einzug halten, nicht ohne einen schalen Nachgeschmack der mitnichten phantastischen Unehre, welche auf seinem Geschlechte lastete, zu hinterlassen. Vor ihm lag ein weiterer Tag voller Entbehrungen, dessen Not ihn gar dazu hinriss, sich an den harten, rohen Getreidekörnern gütlich zu tun, was indessen nur seinen Durst mehrte und einen üblen Degout in seinem Munde verbreitete, ob dessen er rasch wieder davon abließ. Stattdessen darbte der Knabe Stunde um Stunde, Augenblick um Augenblick voller Impatience, stets durch die Ritzen der Plane das Absenken der Sonne erwartend, welches doch sich auf innaturelle Weise zu entziehen schien.


    Nach schier infinitem Marsch aber kam das Fuhrwerk zu einem längeren Halt und die rauhe Stimme des Fuhrknechts offenbarte, dass nun die Tagesetappe erreicht war. Geschwollen schien unterdessen die Zunge des jungen Flavius, gleich einem unförmigen Klumpen inmitten seines Rachens, welchen auszuspeien er ebensowenig in der Lage war wie ihn zu verschlucken. Überdies verspürte er eine gewisse Blümeranz, verbunden mit einem Gefühl von Schwindel. Gänzlich waren seine Gedanken auf Liquides gerichtet, bisweilen gar erwägend, ob er eine Detektion riskieren sollte, um so dem augenscheinlich nahenden Tode zu entfleuchen.
    Doch endlich kehrte Stille ein in seinem Umfelde und vorsichtig entstieg Manius Minor seinem Versteck, hastete, obschon die Sonne noch nicht einmal den Horizont gänzlich überwunden hatte, zu den nächsten Zelten, an welchen kaum Stimmen zu hören waren, da die Männer in Teilen noch durch die Schanzarbeiten okkupiert waren. In seiner Begierde nach Wasser erwog der Knabe indessen all dies nicht, sondern stürzte schlicht vorwärts und stolperte, wie es ob seiner Hypermetropie letztlich antizipierbar gewesen wäre, über die erste Zeltschnur in seinem Weg und kam, wie bereits am Vortage, mit einem erschrockenen
    "Auuuuuu!"
    zu Fall. Diesmal aber war sein Entdecker mitnichten der freundliche Iunius, sondern ein rauhbeiniger Veteran, welchem ein Knabe im Alter des jungen Flavius überaus suspekt erschien. Und so verifizierte sich der deplorable Traum, denn rasch gelangte er vor das Angesicht des Legaten und obschon dieser ungleich seinem phantasmagorischen Pendant den jungen Flavius nicht ob seines feigen Vaters verspottete, vielmehr große Sorge und Irritation äußerte ob eines minderjährigen blinden Passagiers in seinem Heereszug, so musste er doch die Dienstmeldung eines Dreizehnjährigen zurückweisen, ohne dessen Argumente auch nur zu erwidern, sondern ihn an der Seite einer Reitereskorte zu seinem Landgut zurückzusenden, wo es ihm bestimmt war gemeinsam mit der aurelischen Familie des Endes des Bellum Civile zu harren. Und so setzte man den Träumen Manius Minors ebenso wie seinem ersten, wenn auch verborgen verübten Kriegszug ein jähes Ende.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus Minor


    Augenscheinlich laborierte der Legionarius durchaus an den Folgen des strapaziösen Marsches, obschon er die Ermattung leugnete, denn schweigend saßen sie eine Weile Seit an Seit, während der Knabe sich in größter Appetenz nicht nur des armen Mannes Brot, sondern endlich auch die Lucanicae und den Käse, welcher er zu identifizieren anfänglich zwar nicht in der Lage war, beim Aufheben und dem Annähern an seine Angesicht aber olfaktorisch zu erkennen vermochte und so rasch verspeiste. Diese Völlerei mochte ungehörig und gerade gegenüber eines Miles, welcher an Folgetag neuerlich viele Meilen zu Fuß zurückzulegen hatte, gänzlich unangebracht sein, doch entzog sich dies dem Denkhorizont Manius Minors, welcher stets in Opulenz gelebt und sich folglich sein gesamtes Dasein eines niemals versiegenden Stromes an herrlichsten Speisen erfreut hatte, während Entbehrungen ihm bis auf die grässlichen Erlebnisse auf der Flucht nach Mantua bisher erspart worden waren.


    Zumindest bedankte er sich endlich artig bei seinem Gastgeber:
    "Besten Dank für das vorzügliche Mahl! Ich möchte nicht weiter stören und wünsche dir eine gute Nacht!"
    Zwar erfüllte es ihn mit nicht geringer Grauen, nun neuerlich seinen einsamen Wagen aufzusuchen, in welchem die Nacht doppelt finster erschien und keine lebende Seele ihn vor Larven und Lemuren zu bewahren in der Lage war, doch fürchtete er ebenso die Entdeckung inmitten eines Heerlagers, welche zweifelsohne seine Deportation an einen scheinbar sicheren Ort zur Folge haben mochte. So erhob er sich ungelenk und wandte sich dann in Richtung des Intervallums zwischen dem Zelt des Iunius und dem des benachbarten Contuberniums. Und dank einer wundersamen Fügung Fortunas gelang es ihm, blind wie er zur Nachtzeit war, doch ohne Straucheln im Dunkel zu verschwinden und erst jenseits des Feuerscheins mehrfach ein Opfer der invisiblen Zeltschnüre zu werden, sodass er erst nach einigen Stürzen und unterdrückten Äußerungen des Schmerzes und der Überraschung, vielem Irren und gar zweier knapp verhinderter Rendez-Vous mit Patrouillen der Nachtwache die Trosswägen erreichte.


    Ob der inkonvenienten Lichtverhältnisse, gepaar mit seiner Hypermetropie, erstieg er nun schlichtweg den erstbesten Karren, der allerdings gänzlich leergeräumt war, da er vermutlich das Mobiliar eines Offizierszelts beherbergte. Erfreulicherweise verspürte der Knabe aber hier, wo man ihn zweifelsohne am folgenden Morgen bei Abbruch des Lagers enttarnt hätte, die Kälte der Nacht so stark, dass er beschloss, es in einem gefüllteren Wagen zu versuchen, wo vielleicht Säcke oder andere Utensilien, die ihm zur Bedeckung dienlich sein mochten, zu finden waren, und welchen er in der Tat zwei Reihen weiter auffand. Dort bettete er sich, nachdem er einen Berg an Getreidesäcken überwunden hatte, in der hintersten Ecke zur Ruhe und entglitt nahezu augenblicklich in Morpheus' Reich.

    Bar jeder Befangenheit trat der Fremde auf ihn zu und ließ den jungen Flavius ob seiner Xenophobie, welche auch auf Personen geringerer Größe als er selbst erstreckte, sich ein klein wenig fester der Wand anlehnen. Die bedauernden Worte hingegen evozierten Konfusion ob des Faktums, das zu diesem keinerlei Anlass sich geboten hatte, vielmehr das eherne Principium der Annuität jedem Praetor wie auch jedem anderen Magistraten abverlangte, ins Glied des Senates zurückzutreten und anderen die exponierten Positionen zu überlassen, welche selbst man bekleidet hatte. Dann aber bot sich eine alternative, unerhörte Lesart, welche umso deplorabler erschien, denn mitnichten hatte Manius Minor gewünscht, dass die feige Flucht seines Vaters im Castellum bekannt geworden sei, dass man ihn bemitleidete ob seines pflichtvergessenen Vaters, wozu indessen das innocente Lächeln, welches sich nun präsentierte und dank der größeren Approximation nun auch dem Knaben auf der Bettstatt erschließbar war, allerdings mitnichten passte, denn die vorausgehende förmliche Ansprache schloss doch Spott als dessen Ursache zweifelsohne aus.


    Schließlich aber war der junge Flavius doch genötigt, das Spintisieren über die wunderliche Attitüde seines Besuches zu unterbrechen und seinerseits zu reagieren, was indessen dennoch von höchster Insekurität und kläglicher Improvisationskapazität geprägt war:
    "Sehr... erfreut. Ich begrüße dich ebenfalls."
    repetierte er seinen Salut, als er dessen gewahr wurde, dass die infantile Position auf einer Bettstatt sich keineswegs eines Flavius geziemte, welcher Gäste empfing, sodass er sich aufrichtete und seine Beine hinab auf den Boden gleiten ließ.
    "Ehm... möchtest du etwas trinken?"
    imitierte er endlich den Habitus der Erwachsenen, welche gemäß seiner Beobachtung stets in dieser Weise auf unerwartete Visiten zu reagieren pflegten.

    Obschon die Diktion des Knaben durchaus eine adulte war, entbehrte er doch auch selbst eines bescheidenen Maßes an Experiènce, was elementare Lebensfragen, insonderheit die humane Mortalität, anlangte sowie jedwede damit verbundenen Obliegenheiten. Weitaus geringer noch vermochte er das Leid eines Bellum Civilis zu ermessen, welcher unmittelbar bevorstand und an anderer Stelle zweifelsohne bereits tobte, weshalb seine Replik überaus naiv und zugleich entsprechend seiner Sozialisation eindeutig ausfiel:
    "Bestimmt. Aber wir kämpfen für die Res Publica, die Götter sind auf unserer Seite."
    In der Tat erweckte diese Ermahnung Remineszenz an eine seiner letzten Schulstunden vor jener unheilvollen Nacht, in welcher er der Villa Flavia Felix den Rücken gekehrt hatte auf Geheiß seines Vaters, welcher folgender Order indessen doch nicht gefolgt hatte:
    "Dulce et decorum est pro patria mori*."
    rezitierte er die Worte aus Horatius Flaccus' Carmina, uneingedenkt des Faktums, dass eben ein Bellum Civile jenes Dictum grundlegend infrage stellte, da ein solcher Fall die Ambiguität der Frage offenbarte, welche Seite der Schlachtreihe wahrhaftig für das Vaterland focht, oder vielmehr, ob es überhaupt eine von beiden tat. Doch dem jungen Flavius erschien es in infantiler Naivität schlichtweg adäquat um inmitten eines Krieges die Herzen der Soldaten zu ermuntern.


    Sim-Off:

    * Süß und ehrenvoll ist's, für's Vaterland zu sterben.

    Konträr zum emotional induzierten Appetitdefizit seines Gegenübers erfreute sich der junge Flavius weiterhin der herrlichen Speise, nachdem nun sein primäres Lechzen nach Liquidem gestillt war. Obschon er dabei nach und nach nahezu den vollen halben Laib, welchen er erhalten hatte, in beachtlich kurzer Zeitspanne sich einverleibte, tat er dies auf höchst patrizische Weise, indem er sich lediglich seiner Fingerspitzen bediente und es mit vornehmen Gestus in das Moretum dippte. Dieser Schmaus war es auch, der seine Appetenz von weiteren Gedanken bezüglich seiner sich nun ergebenden Perspektiven wegführte und ein Gefühl puren Genusses in ihm verbreitete.


    Erst als sein Gastgeber, dessen Namen noch immer nicht gefallen war, plötzlich das Ende ihres Rendez-vous andachte, fiel er blitzartig zurück in die Realität, welche ihm nun die Obliegenheit stellte, sich aus jener Situation zu winden, ohne Verdacht zu erwecken. Jener Überraschungsangriff hingegen ließ ihm dies auf den ersten Augenblick hin nicht gelingen, denn hastig erwiderte er
    "Nein, nein!"
    , wurde sich aber unmittelbar gewahr, dass dies höchsten Argwohn erwecken musste, sodass er etwas leiser und vorsichtiger nachschob
    "Das ist nicht vonnöten... ehm... wir befinden uns ja im sicheren Lager... Und zweifellos bist du sehr müde und brauchst deinen Schlaf!"
    Im Geiste sandte er ein Stoßgebet hinauf zum göttlichen Olympus, Pseudea möge ihm beistehen.

    Zitat

    Original von Titus Iunius Priscus
    Die Frage des Knaben riss ihn aus seinen Gedanken. Er nickte und griff hinter sich, wo er die Feldflasche nach der letzten Benutzung abgestellt hatte. Er öffnete und reichte sie Manius Minor. "Hier, ist aber nur Posca drin, kein Wein oder Saft," meinte er entschuldigend. Kinder mochten eher süße Sachen, so erinnerte er sich. Als er die Feldflasche weitergereicht hatte, suchte er aus seinem Proviantbeutel noch ein Stück Käse heraus, das er klein schnitt und zum Brot legte. Wurst mochte der Kleine offenbar nicht.


    Um das Schweigen zu brechen, fragte er: "Und wie gefällt dir der Marsch bisher? Ist aufregend mit so vielen Soldaten unterwegs zu sein, nicht?"


    Ohne Zögern ergriff der Knabe den offerierten Trank, obschon ihm die Nomination 'Posca' kein Begriff war, da die Herrschaften der Villa Flavia schlecht gewordenen Wein, welcher dessen wichtigste Ingredienz darstellte, habituell den Sklaven überließ, während sie selbst sich auch nach leiblicher Ertüchtigung lediglich an verdünntem Wein gütlich taten. Doch in dieser misslichen Lage voller Entbehrung und ob seines brennenden Durstes verharrte er auch nicht in dieser Position, sondern ließ jene fremdartige, vitalisierende Substanz seine Kehle hinabrinnen, wobei sie ihm besser als der süßeste Tropfen im Hause Flavia erschien.


    Erst nach zahlreichen, begierigen Schlucken, welche nicht nur seine Mundhöhle, sondern auch das Kinn benetzten, setzte er die Feldflasche ab und reagierte auf die weitere Interrogation, die der Legionarius ihm stellte. Dass auch sie dem jungen Flavius eine gewisse Problematik boten, da er schwerlich von seiner verborgenen Reise an Bord eines Viehkarrens zu berichten vermochte, er zugleich aber des Wissens über die Prozesse einer marschierenden Streitmacht entbehrte, nötigte ihn neuerlich zum Fabulieren.
    "Nunja, es ist... ehm... ziemlich ennuyant. Ich bevorzuge eigentlich das... ehm... den Aufenthalt an einem festen Platz, das ist ein wenig bequemer."
    Jenes Testimonium entsprach in der Tat der Wahrheit, denn heftig vermisste Manius Minor nicht nur seine geliebten Spielwaren, allen voran Caius, das hölzerne Krokodil, sondern blickte er auch jetzt schon voll düsterer Erwartung auf die inkommode Unterbringung auf Reisen unter Atlas' Last, mit welcher er in den letzten Monaten erst Bekanntschaft gemacht, sie aber nicht nur ob des Mangels an weichen Unterlagen, sondern auch ob der Assoziation mit letaler Furcht und Nachtmären, die ihn auf der Flucht aus Rom geplagt hatten, gänzlich detestierte.

    Augenscheinlich versetzte der Anblick eines wahrhaftigen Flavius den Soldaten in höchstes Erstaunen, welches dann aber von erwarteter Servilität abgelöst wurde und dem Knaben ein gewisses Gefühl von Vertrautheit bot. Dass sein Vater, anstatt heldenhaft an diesem Kriegszuge zu partizipieren, feige das Weite gesucht hatte, vermied er dabei aus Scham zu sagen, weshalb er jenen Kommentar nicht weiter kommentierte.


    Indessen positionierte er sich auf dem dargebotenen Platze auf der Erde und nahm die offerierten Speisen in Augenschein, welche er nun, da er nähergetreten war, kaum mehr zu unterscheiden vermochte, was erfreulicherweise aber durch die direkte Überreichung des Brotes zu überspielen möglich war. Die lukanische Wurst, welche er aus der Nähe nicht zu identifzieren in der Lage war, ließ er aus eben jenem Grunde aus, sondern hielt sich an das Moretum, welches er am Odeur leichtlich erkennen konnte.
    "Danke."
    erwiderte er endlich, obschon er diese Floskel habituell beim Essen nicht gebrauchte, welches ihm Zeit seines Lebens von Sklaven angerichtet worden war, doch nach der Reise im engsten Familienkreise wieder geläufig worden war.


    Dann aber, als Manius Minor soeben zu der Speise um Trank bitten wollte, um das trockene Brot leichter in seine Vitalia zu transferieren, kam der Legionarius neuerlich auf seinen Vater zu sprechen.
    Nun war die Stunde der Entscheidung gekommen, war nicht mehr weiter aufzuschieben, denn würde er die Frage verneinen, brächte man ihn zweifelsohne zu Aurelius Ursus, dessen Reaktion indessen insekur erschien. Hatten seine Sklaven einerseits die Pläne des jungen Flavius belächelt und zurückgewiesen und dies zweifelsohne gemäß der aurelischen Order, lag die Legion andererseits bereits viele Meilen entfernt von Mantua, womit seine Entfernung nicht wenige Umstände bereiten mochte. Letzterer Faktor, welcher sich durch eine längere Verborgenheit umso mehr verstärken würde, führte den Knaben endlich nach einigem Zögern dazu, die Interrogation mit einem knappen
    "Ja, er ist indisponibel."
    und einen geschickten Wechsel der Thematik zu beenden:
    "Hast du etwas zu Trinken?"

    Dem Knaben verblieb keinerlei Muße, weiter über jene Fragen zu spintisieren, denn ehe er sich versah, sprang ein Miles heran, dessen Amusement ihm deplorablerweise entging, weshalb er nur dessen zornige Mimik und große Severität wahrnahm, mit welcher er nun interrogiert wurde. Obschon von größter Furcht bewegt, irritierte Manius Minor nun aber die nach objektiven Maßstäben durchaus logische Assoziation, doch niemals in seinem Leben hatte ihn jemand mit einem Dieb oder gar einem Unfreien konfundiert. So erscholl seine Replik mit unexpektiertem Tadel:
    "Ich bin Manius Flavius Gracchus Minor!"
    , ehe er sich doch der Situation gewahr wurde und weitaus kleinlauter, mit stockender Stimme anfügte:
    "Sohn des ... gewesenen Praetors ... Manius ... Flavius Gracchus!"
    Der junge Flavius hatte erwartet, dass die Gelegenheit, sich Fremden mit seinem wahren Namen zu offenbaren, nicht mehr verborgen und in ständiger Furcht vor Enthüllung leben zu müssen, befreiend sein würde, doch mitnichten verspürte er nun derartiges, sondern fühlte sich vielmehr weiterhin in höchstem Maße beklommen.

    Selbstredend verfügte der junge Flavius über keinerlei Orientierung inmitten jenes schier unermesslichen Castrum, doch strebte er intuitiv weg von dem Hauptplatz, wagte es indessen auch nicht, sich in zu große Distanz zu jenem schnurgeraden Weg, welcher auf das Zentrum zustrebte, zu begeben. So ergab eine Fügung der Fortuna, dass er bei der IX. Cohors, die ja an dieser Straße lagerte, ankam, als die Prima Vigilia vollendet war. Uneingedenk der Tatsache, dass etwas wie ein Wachwechsel existierte, riskierte er an dieser Stelle einen Blick auf die kleinen Feuerstellen vor den Zelten, welche verwaist schienen. Und doch identifizierte er inmitten den ungustösen Dämpfen, welche von stinkenden Milites, abgenutzter Ausrüstung und erschöpften Lasttieren abgesondert wurden, den verführerischen Duft eines Brotes, das er unter gewöhnlichen Umständen zweifelsohne verschmäht hätte, sich nun aber seinem ausgezehrten Magen feiner und wohlschmeckender als das feinste Weißbrot seines Lebens offerierte.


    Und in der Tat erschien der Zeitpunkt günstig, denn kein Soldat tummelte sich an der Feuerstelle, was den Knaben zu dem Schluss veranlasste, die köstlichen Brote müssten auf dem Stein vergessen worden sein, während die müden Krieger sich in ihre Zelte zurückgezogen hatten. So war er mit einem Satz aus dem Sekurität des Schattens entfleucht und in das gedämpfte Glimmen des Feuers getreten, um rasch nach der ersehnten Speise zu greifen.
    Mitnichten hatte er aber indessen erwartet, dass der Stein, welchen er für eine leidlich reinliche Ablage gehalten hatte, die Hitze der Glut in sich barg, ja den Ofen selbst darstellte, und so berührte er diesen achtlos mit seiner Hand, woraufhin ihm eher vor Schreck denn vor Schmerz ein gedehntes:
    "Auuuuuu!"
    entfuhr. Rasch zog er die begierige Hand zurück und schob sich den verbrannten Finger in den Mund, um ihn mit Speichel zu kühlen. Zugleich blickte er um sich, um etwaige Lauscher zu identifizieren. Dabei wurde ihm bewusst, dass ihm bei der Elaboration seines Planes ein gravierender Fehler unterlaufen war, welcher nun zum Tragen kam: Was war die Devise, wenn er sich den Soldaten offenbahrt hatte?

    Mitnichten waren dem Knaben, obschon er auch weiters die Majorität seiner zur Verfügung stehenden Zeit in seiner Camera zugebracht hatte, jene Präparationen entgangen, welche dem Aufbruch einer ganzen Legio voranzugehen hatten. Weiters hatte man ihn informiert, dass er in Kürze seinerseits seine Zelte abbrechen und an einen anderen Ort transferiert werden würde, welcher ihm ein höheres Maß an Sekurität bieten mochte. Doch selbst dem jungen Flavius, welchem nichts ferner lag denn korporale Strapazen, welcher sich tagein tagaus primär den stillen Dingen zuwandte, ja welcher gemäß dem bekannten Dictum bis ins schier unendliche gründen musste, war angesichts der fortwährenden Isolation seines Unterschlupfes müßig geworden und verlangte gar zum ersten Male in seinem jungen Leben nach Exaltion. Hinzu trat die nagende Scham, der Spross des hasenfüßigen Manius Maior zu sein, in dessen Fußstapfen zu treten Manius Minor keineswegs gewillt war. Vielmehr empfand er es als seine, wenn auch unerquickliche Pflicht, an der Seite der Aufrechten für die Res Publica und seine Familie zu streiten, bis jener grausame Usurpator zu Rom ausradiert war. Und so fasste er den Plan, sich nicht den Wünschen jenes Legaten zu fügen, welcher kraft parentaler Order ihm vorangestellt war, sondern bei der Legion zu verbleiben, anstatt sich wie Gewürm auf einem Landsitz zu verkriechen. War erst der Tag der Schlacht gekommen, würde man ihm zweifelsohne einen Platz in der Schlachtreihe nicht verwehren.


    Infortunablerweise aber war dieser Esprit, welcher ihn bewegte, nicht geeignet, die Ansichten des ihm zugeteilten Sklaven zu wandeln, der die ambitiösen Reden seines Schützlings mit einem milden Lächeln, verbunden mit Verweisen auf spätere Großtaten im adoleszenten Alter abtat. Folglich blieb nur der Weg der Verborgenheit, dessen rein hypothetisches Bedenken bei dem Knaben bereits Herzrasen evozierte. Und doch hatte er nach unermesslichem geistlichen Disput einen Plan gefasst, welcher durch seine Simplizität bestach und dem wohl gerade durch diese Beschaffenheit Erfolg beschieden war:


    Inmitten jenes Tohuwabohu, welches die Verpackung eines legatischen Haushaltes zwangsläufig erzeugte, war Manius Minor unbemerkt und lediglich angetan mit einer Tunica in einem unbemerkten Augenblick auf die Ladefläche eines Ochsenkarrens gesprungen, wo er sich hinter einer Schar Amphoren, welche Öl oder Wein transportieren mochten, verborgen hatte. Zwar hatte es den jungen Flavius ein Höchstmaß an Überwindung gekostet, neuerlich einen Wagen zu besteigen, wo doch letzterer angefüllt mit dem süßlichen Odeur von Leichnamen gewesen war, was ihn bis auf den heutigen Tag mit Albträumen versorgte, doch endlich hatte das Gefühl der Responsabilität für sich, seine arme Mutter, seine Schwester und seinen kleinen Bruder in ihm ungeahnte Geisteskräfte aktiviert und ihn gar seinen Mantel über das Haupt ziehen lassen, womit er von benachbarten Säcken kaum zu distingieren gewesen war.


    Die Reise, welcher er dann allerdings antrat, entpuppte sich als überaus ungustös. Nicht nur, dass er ob seiner Furcht nicht befähigt war, auch nur ein Auge zu schließen, es zeigte sich vielmehr recht bald, dass ihm darüber hinaus entfallen war, sich angemessen zu verproviantieren, denn zwar fand er in den Säcken seines Wagens Korn, doch entpuppte dies sich als überaus schwerlich genießbar, zumal es nicht seinen Hunger zu stillen vermochte. Noch viel brennender aber war der Bedarf an flüssiger Nahrung, denn obschon es ihm nach einiger Mühe gelang, eine der Amphoren zu entkorken, so vermochte er es nicht sie anzuheben oder durch den schmalen Hals zum kühlenden Nass des Weines zu gelangen.


    Als der Wagen dann endlich zum Halten gelangte, fasste Manius Minor somit den Entschluss, sein Refugium hinter sich zu lassen, um zwischen den schlafenden Legionären nach den Relikten der Cena zu fahnden und sich an ihnen gütlich zu tun. Für dieses Unterfangen war es von größter Bedeutung, nicht zu früh dem Fuhrwerk zu entschlüpfen und so den wachenden Milites in die Arme zu laufen. Also verweilte er voller Ungeduld in seinem Wagen, stetig aus der Plane, welche die Güter bedeckte, herausspitzend, um die rechte Zeit zu schätzen, zugleich aber das Geräusch seiner mahlenden Vitalia unterdrückend, da diese trotz mangelnder Speise ihre gewohnten Bewegungen vollführten und dabei knurrend aneinanderrieben.


    Schließlich war der junge Flavius, obschon noch immer die letzten Reste des dämmrigen Lichtes, welches die schon hinter dem Horizont versunkene Sonne spendete, das Lager in graue Umrisse verwandelte, nicht mehr weiter imstande, weiterhin an seinem Platze zu verweilen und er schlüpfte unter der Plane hervor, um so leise als möglich von der Wagenpritsche zu steigen. Dann erst blickte er um sich, nahm Notiz von den sorgsam aufgereihten Wägen des Trosses, der ein wenig abseits liegenden Weide für das Zugvieh und jener gewaltigen Zeltstadt, die das exakte, wenn auch aus Leder und Holz gebildete Abbild des Castellums zu Mantua darstellte.


    Da sein Vehikel augenscheinlich dem Tross des Legaten angehörte, schlussfolgerte er, dass das große Zelt, welches in seiner unmittelbaren Nähe aufgeschlagen worden war, das Praetorium sein musste. Dieses galt es wohl zu meiden, denn ein Mann wie der Aurelius war zweifelsohne aufs Schärfste bewacht. Also schlich der Knabe von Wagen zu Wagen auf die Mannschaftszelte zu...