Die Introduktion jener Novität insekurierte den Knaben in beträchtlichem Maße, mochte eine derartige Wandlung seiner Mutter doch durchaus auch auf eine Krankheit größeren Ausmaßes hindeuten. Hingegen adumbrierte das sublime Lächeln seines Vaters weitaus erfreulichere, man mochte sprichwörtlich sagen: andere Umstände für seine Mutter. Dennoch vermochte der junge Flavius die Perspektive eines Geschwisterchens noch kaum in ihrer großen Tragweite zu fassen. Vielmehr schenkte er lediglich den gänzlich egoistischen Aspekten einer derartigen Vergrößerung der Familie seine Beachtung: Ein weiteres Kind innerhalb der Villa Flavia würde seine Isolation zweifelsohne aufheben und ihm als Spielkamerad dienen. Angesichts dessen, erschien es ihm selbstredend auch das Geschlecht von höchster Priorität!
"Hoffentlich ein Bruder! Mit dem könnte ich dann spielen!"
Dass die Gravidität seiner Mutter indessen wohl erst in geringem Maße vorangeschritten war, das Kind also erst zu einem späteren Zeitpunkt und die Altersdifferenz zwischen Manius Minor und seinem Geschwisterchen beträchtlich sein würde, sodass ein gemeinsames Spiel kaum die Möglichkeit zur Entfaltung gewinnen würde, da es einem Achtjährigen Knaben wohl eher beschwerlich erschien, mit einem Säugling gemeinschaftliche Aktivitäten zu finden, ließ er gänzlich außer Acht.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus Minor
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Nicht wagend, jene andächtige Stimme zu brechen, die sich nun über das Atrium legte wie eine Schneedecke über die Gipfel der Alpes Montes, erwartete der Knabe die Rückkehr des Vilicus und jener Gaben, die im Anschluss den Göttern zur Speise gereicht werden würden. Indessen suchte sein Blick das Gestühl des Daches ab, von wo aus er wenige Augenschläge zuvor den Laut eines Vogels vernommen hatte. Als er gleichwohl kein Wesen identifizieren zu identifizieren vermochte, gab er sich jenen Gedanken hin, in die er sich zu versenken pflegte in all jenen Fällen, in denen ihm zu schweigen geboten war.
Aus ihnen erweckte ihn freilich Sciurus nach kurzer Zeit aufs Neue, sodass sich ihm die Possibilität offerierte, dem schlussendlichen Gebet seines Vaters zu lauschen, dessen Ritualhaftigkeit seinen Inhalt beiweitem übertraf.
Kurz darauf drang bereits der abscheuliche Geruch verbrannten Fleisches an seine zarte Nase, die selbige zu rümpfen erforderte. Aufs Neuerliche musste Manius Minor nun ausharren, ehe sich das Angesicht Manius Maiors zu ihm umwandte und durch die rituelle Reinigung den Bann göttlicher Aura brach. Selbstredend nahm er nach dessen darauffolgender Ablegung seines Staatskleides Notiz von den übrigen Spritzern des tierischen Lebenssaften, doch vermochte er diese ignorierend die Adresse erwartungsvoll zu erwidern
"Was ist es, Vater?"
Durchaus entzog es sich gänzlich seiner Kenntnis, welche Novität sein Vater ihm mitzuteilen geneigt war, doch die orakelhafte Ankündigung deutete auf ein Faktum größerer Tragweite hin. -
Jene novitäre Offenbahrung des Onkels stürzte den Knaben in neuerliche Konfusion, die er durch die Korrektheit seiner intuitiven Erwiderung überwunden zu haben geglaubt hatte. Voller Irritation fixierte er den Gesetzestext, nicht Notiz nehmend von jenem Fingerzeig, den sein Onkel ihm darbot. Stattdessen streifte sein Blick unaufhörlich über die Zeichen, welche er bereits wenige Augenschläge zuvor verbalisiert hatte. Doch nun erschienen sie ihm bar jedweder Relevanz betrefflich seiner Problematik.
"Ähm..."
Wieder und wieder repetierte er den Leseakt, doch vermochte er dem Text keine neuerlichen Informationen zu entnehmen, was die Befangenheit des jungen Flavius parallel kontinuierlich zu steigern geeignet war.Dann, gleich einem Blitz, erreichte ihn plötzlich jener rettende Gedanke, der ihm eine Alternative offerierte, deren Simplizität geradezu erstaunlich war: Anstatt auf konvulsive Art und Weise den Text zu analysieren, konnte er ebenso das Ausschlussprinzip anwenden, nach dem augenscheinlich diverse Passagen ausscheiden mussten. So mochte etwa selbst in den Augen des Knaben die Possibilität bestehen, dass ein Senator zu stehlen fähig war. Ebenso mochten Freiwilligkeit, Bürgerrecht und Verfahrensfragen keinen Konnex mit dem Diebesstand aufzuweisen. Folglich...
"Ich denke...der hier!"
Sein kindlicher Finger markierte den zweiten Teil der ersten Passage. Mit Fortunas Hilfe mochte es sich hierbei um die korrekte Replik handeln! -
Voller Admiration gegen die adulte Welt seines Vaters akzeptierte der Knabe die Narrationen über seinen Tagesablauf. Obschon auch ihm das Schreiben durchaus nicht in größerem Maße Schwierigkeiten bereitete, entzog es sich seinem Verständnis, Derartigem sich ohne die Mahnung seines Lehrers oder die Necessität der Umstände hinzugeben.
Indessen schienen weder Manius Maior, noch Manius Minor weiterer Worte dieser Thematik zu bedürfen, weshalb ersterer ein weiteres, überaus adultes Thema initiierte. Durchaus vermochte zwar auch der jüngste der anwesenden Flavii einzuordnen, worum es sich bei einem Epulonen handelte, doch entging ihm dabei die Tragweite der Mitgliedschaft eines seiner jüngeren Gentilen, insonderheit die Ehre, welche dadurch der gesamten Familia zukommen würde.
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Lediglich akustisch in das weitere Geschehen involviert, vernahm der Knabe die augenscheinlich niemals zu enden geneigte Reihe der Darbringungsoformeln im Konnex mit dem kurz darauf folgenden Wehklagen der zarten Lämmchen, das bisweilen ein Gefühl, einem eisigen Luftzug unterhalb seiner Tunica gleich, evozierte. Als Manius Maior indessen zu der letzten Gottheit gelangt war, deren Bedeutung für eine Kandidatur Manius Minor sich mitnichten erschloss, sie jedoch begründet durch sein Vertrauen in seinen Vater und dessen unermessliches Wissen betreffend aller Fragen der Pax Deorum und ihrer Erhaltung schlichtweg annahm, erschien ihm die Stimme desselben gar ein wenig zu zittern.
Mochte dies ein neuerlicher Anfall seines mysteriösen Leidens sein? Von Neugier stärker bewegt als der Abscheu vor dem blutigen Schauspiel, das sich ihm darbot, hob der junge Flavius doch den Kopf und registrierte mit Schrecken, dass sein Vater gleich des Kontrollverlustes über seine linguale Potenz auch der koordinativen verlustig zu gehen schien. Dennoch ermahnte er sich zum klaglosen Schweigen, mochte doch jedwede Disturbation des Rituals eine Instauratio erfordern, was unweigerlich ein neuerliches Schlachten nach sich ziehen würde. -
Dank des festen Vorsatzes, im weiteren Vorrücken des Opfers den Worten seines Vaters geflissentlichste Anteilnahme entgegenzubringen, erschien erst jetzt, da die Opferprekationen an sein Ohr drangen, dieser Konnex, der das Amt des Praetor mit jenen juristischen Studien verband, denen er sich unter der Anleitung seines Onkels Piso unterzogen hatte. Augenscheinlich war sein Vater im folgenden Jahr geneigt, jene Position einzunehmen, die ihn regelmäßig zum Iudex Prior designieren würde, womit er wohl in vermehrtem Maße bei Gerichtsverhandlungen zu attendieren hatte, was wiederum zum Einen dem jungen Flavius den garstigen Klauen des Elementarunterrichts, namentlich der Mathematik zu entreißen vermochte, ihn zum Andern indessen verdammen würde, seinerseits an jenen nach infantilen Maßstäben temporär unlimitierten Sessionen zu partizipieren.
Jenes inkonfundible Geräusch, das ein Tier, das im Begriff war seinen Geist auszuhauchen, artikulierte, erweckte den Knaben wieder aus seinen Gedanken. Zwar hatte sein Wissen um die Prädestination des Lammes ihn bereits a priori davon abgehalten, mit jenem possierlichen Lebewesen, dessen flauschiges Fell geradezu zu innigen Liebkosungen einlud, eine nähere, gar emotionale Beziehung einzugehen, doch stieß ihn bei jedem Opfer aufs Neuerliche jenes blutige Handwerk des Victimarius ab, das in diesem Falle gar von seinem eigenen Vater exekutiert wurde. Seine Nase sog jenen gräuelichen, metallischen Geruch von Blut ein, der im Magen des jungen Flavius ein inkommodierliches Gefühl hinterließ und ihm sämtliche Konzentration abverlangte, seinen spontanen Wunsch nach Entleerung selbigen Organes zu unterdrücken. Übertroffen wurden jene Impressionen jedoch noch dadurch, dass Manius Maior Manius Minor nun auch noch näher herbeizitierte, was entsprechend letzterem größte Anstrengungen abverlangte, seine durch größten Degout induzierte Starre zu überwinden.
Einzig die Liebe zu seinem Vater vermochte ihm nun seinen Körper dahingehend zu disziplinieren, dass er seinen Blick nicht abwandte von dem noch warmen, blutüberströmten Klumpen, der offenbar die Leber jenes unschuldigen Geschöpfes darstellte, das man auf so grausame Weise seines Lebens beraubt hatte. Welche Intention die Götter damit verbanden, ihr Plazet ausgerechnet durch jene Teile des Tieres zu artikulieren, die durch abscheuliche Aktionen erst ans Tageslicht zu bringen waren, erschien ihm gänzlich uneinsichtig. Dementsprechend quittierte er die Darlegungen des älteren Flavius lediglich mit einem knappen Nicken, ehe er sich vorsichtig zurückschob mit dem festen Vorsatz, die weiteren Inspektionen der Vitalia auf diskrete Weise keines Blickes zu würdigen.
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In tiefster Devotion verharrte der Knabe, während der von ihm dargereichte Weihrauch gen Himmel strömte um das Auge der Götter dem Geschehen im Atrium der Villa Flavia Felix zuzuwenden. In dieser großen Innerlichkeit gefangen strömten dabei die Worte seines Vaters gänzlich an seiner Attention vorbei den weißen Wölkchen der Opfergabe hinterher. Als Manius Maior sich darob zu ihm umwandte, griff die infantile Hand Manius Minors erstlich nicht zum Wein, sondern neuerlich zur Acerra, ehe er sich besann und, seiner Experienzen zum Danke, den Gutus ergriff, dessen Suszeptibilität zum nichtintendierten Vergießen seines Inhalts im Gegensatz zu dem Urceus, den er bei jener deplorablen Assistenz anlässlich der Staatsopfer zu Ehren des Dies Natalis Imperatoris Caesaris Augusti mit sich geführt hatte, gering war.
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Augenscheinlich war sein Vater mitnichten geneigt, Zeit bar jedweder Exigenz zu dilapidatieren. So benetzten rasch wenige Wassertropfen das Haupt des Knaben und er vernahm jene überaus umfangreiche Anrufungsformel, mit der der ältere Flavius die Majorität des gesamten Götterpantheons anzurufen schien. Zur rechten Zeit, wie er sie dank seiner Experienzien unzähliger Opferhandlungen im privaten, wie bisweilen gar publiken Bereich zu identifizieren in der Lage war, ergriff Manius Minor die Acerra, die das wohlduftende Harz der Burseraceae beherbergte, und präsentierte sie mit devotem Blick Manius Maior.
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Die exemplarische Darlegung die Zulassung zum Iudex betreffend vermochte letztendlich dem Knaben ein höheres Verständnis der wahrhaftigen Intention des Gesetzestextes zu schenken. Als hätte der Abfall jener sprichwörtlichen Schuppen seine Augen entblößt und ihm eine weitaus klarere Erkenntnis geschenkt, erfolgte nun seine Replik mit größerem Selbstbewusstsein:
"Nein, ein Dieb ist kein guter Iudex!"
Diese Assumption fußte allerdings, was sich der Kenntnis seines Lehrers entziehen musste, weniger auf dem Verständnis des Gesetzestextes denn auf seine normative Imagination, ein Iudex habe über jedweden Zweifel Erhabenheit zu bewahren, die durch das Begehen eines Verbrechens selbstredend zerstört wurde, was aber wohl durchaus auch der Intention der Regularien die Iudices betreffend entsprach. -
Mit größter Offenheit erfolgte die Replik des Manius Maior, anspielend auf jene lang verstrichene Zeit, als er der Urbs Aeterna wie auch seiner Familia den Rücken gekehrt hatte, was sich damals dem Verständnis des infantilen Manius Minor gänzlich entzogen hatte. Die Bewertung jener Umstände gleich einem Prodigium entzogen sich zwar auch heute noch dem Verständnis des Knaben, der nur mit überaus rudimentären Kenntnissen des Ius Divinum aufwarten konnte, doch erschien es ihm umso impressiver, dass sein Vater jeglicher persönlicher Ruhmsucht entbehrte und lediglich darauf bedacht war, der Res Publica, die er so liebte, nicht zur Last zu fallen und die Unsterblichen nicht zu inkommodieren. Durchaus erschien er dem jungen Flavius so als ein strahlendes Vorbild, gleich jenen mythischen Gestalten eines Horatius Cocles oder eines Quinctius Cincinnatus, von denen sein Paedagogus Artaxias ihm seit jüngsten Tagen berichtete.
"Certe."
erwiderte er dann voller Stolz, dieses ehrenhaften Ansinnens teilhaftig sein zu dürfen. Rasch überblickte er neuerlich die Szenerie, identifizierte die Opfergeräte und erwartete dann an der Seite seines Vaters den Beginn der Handlungen. -
Obschon die Expektanzien des Knaben sich eher dem Austausch von Präsenten zuneigten, schien sein Vater kaum dies ins Zenturm seines Interesses zu stellen. Stattdessen richtete er Fragen an ihn, die Remineszenzen an die schwerlich erbaulichen Geschehnisse in seiner Camera Ludi aufziehen zu lassen geeignet waren. Dennoch hatte seine bisher überaus unvollkommene Lebenserfahrung ihm bereits offenbahrt, dass es nicht zu jedem Zeitpunkt geraten war die Wahrheit unverhüllt ans Tageslicht zu bringen. Ebenso erschien es ihm nun geraten angesichts des Faktums, dass diese Tage die der Sklaven waren und ihr Spiel entsprechend der Belehrung seiner Mutter unter diesen Umständen adäquat waren, eine manipulierte Version seiner Erlebnisse zu offerieren:
"Nein, nein, Vater! Mutter half mir beim Ankleiden, danach besuchte ich meine Camera Ludi. Allerdings war dann schon das Bad eingelassen. Nach dem Bad habe ich dann mit den Sklavenkindern ein bisschen gespielt. Aber jetzt wollte ich doch bisschen zu euch!"
Der junge Flavius bedachte die Anwesenden nun mit einem versöhnlichen Lächeln, da er um die Wirkung dieser Worte bei seinen Verwandten wusste, die die Sehnsucht des Knaben nach ihnen mit Herzenswärme begrüßten. Um einer weiteren Interrogation zu entgehen, die letzten Endes möglicherweise eine Schelte ob seiner Inkapazität zum Spiel mit anderen Kindern seines Alters trotz der saturnalischen Freiheiten nach sich gezogen hätte, fragte er in betont inkulpabler Weise
"Und ihr?"
In der Tat erschien die Frage Manius Minor nun durchaus adäquat, da es sich tatsächlich seiner Kenntnis entzog, womit die adulte Welt sich in diesen Tagen der Muße die Zeit zu vertreiben pflegten. -
Die Petition seines Vaters, die Sciurius dem Knaben überbrachte, entsprach innerhalb der Mauern der Villa Flavia Felix selbstredend der Unentrinnbarkeit eines Gesetzes, weshalb Manius Minor unverzüglich sein Spiel unterbrach. Den Andeutungen des väterlichen Vilicus zufolge handelte es sich bei dem Beschluss für des Opferritus um ein durchaus inexpektables Unterfangen, dessen Kontingenz nicht nur den jungen Flavius, sondern auch die gesamte Sklavenschaft disturbierte. Da indessen Manius Maior bisweilen derartige Anwandlungen exhibierte, quittierte Manius Minor den Kontext lediglich mit einem Schulterzucken und machte sich auf, die adäquate rituelle Bekleidung eines Opferhelfers anzulegen.
Dementsprechend erschien er, ausstaffiert mit einer weißen Tunica, gehalten durch einen festen Gürtel und bekränzt mit Zweigen des Laurus Nobilis im Atrium, wo man bereits die Utensilien für ein derart umfangreiches Opfer präpariert hatte. Artig grüßte er seinen Vater, ehe er versuchte dessen Intentionen zu kontextualisieren.
"Salve, Vater! Was ist denn der Anlass dieses Opfers? Ist etwas geschehen?"
Obschon es sich durchaus auch lediglich um eine irrationale Anwandlung des älteren Flavius handeln konnte, vermutete der Knabe eine Kausalität hinter einer derartig aufwändigen Zeremonie, die sich seiner Kenntnis entzog, über die er dessenungeachtet auf dem Weg ins Atrium beständig spintisiert hatte, ohne dass seine Bemühungen ein positives Ergebnis nach sich gezogen hätten. -
Mit überraschender Geschicklichkeit schwang der Knabe sich auf die Kline, direkt an der Seite seines Vaters und in gewisser Entfernung von Flavius Flaccus, dessen gemeinsames Spiel im Hortus vor geraumer Zeit in ihm noch lebhafte Remineszenzen evozierte.
Obschon er nun bereits ersten Präsenten in freudiger Erregung entgegenblickte, zog er es indessen vor, durch sein stilles Verhalten eine Höflichkeit zu präsentieren, die ihm zu einem späteren Zeitpunkt neuerliche Zuneigung offeribel machten.
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~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Er blickte in die Höhe. Über ihm, thronend auf einem Tribunal, dessen Höhe gar eine Meile zu übertreffen schien, saß der Iudex Prior, sitzend auf der Sella Curulis, gehüllt in eine strahlende Toga Praetexta, deren purpurner Saum sich in einem Rinnsal von Blut auf den Brettern der Tribüne fortsetzte. Seine Züge glichen denen des Annaeus Modestus, doch fratzenhaft und von Hass verzogen, zugleich indessen tiefste Kälte, unüberbrückbare Distanz und Verachtung transportierend. Zu seiner Linken und Rechten, demütig in ihre Subsellia versunken und von Scham bewegt, saßen als weitere Iudices sein Vater Flavius Gracchus, sowie Flavius Piso, in dessen kraftlos gesunkener Hand er die Prozessordnung des Codex Iuridicialis bereithielt. Mit dröhnender Stimme, gleichsam hitzig wie voller Kälte richtete der Vorsitzende das Wort an ihn.
"Manius Flavius Gracchus Minor, Sohn des Manius Flavius Gracchus, Nachkomme des Divus Titus und des Divus Vespasianus, du bist angeklagt, deine Ahnen zu beschämen und das Ansehen der Gens Flavia in den Schmutz zu ziehen!"
Bange blickte er hinauf zu seinem Richter, hilfesuchend zu seinem Vater und seinem Onkel, die indessen nicht gewillt schienen seinen Blick zu erwidern, sondern konsequent den ihren in die Ferne richteten.
"Papa, hilf mir! Onkel Piso!"
hörte er sich voller Furcht rufen, doch von allen Seiten näherten sich nun gebückte Gestalten, gehüllt in rote Umhänge und mit bestialischem Aussehen. In ihren Händen hielten sie Fasces, deren Äxtblätter zu leuchten schienen, ungeachtet des Faktums, dass sie beschmiert waren mit dem Blut zahlloser Delinquenten.
Hoch oben auf dem Tribunal gaben die Iudices indessen ihr Urteil ab. Zuerst hielt Piso eine Tafel in die Höhe, auf deren Vorderseite deutlich das 'C' für 'Condemno' zu sehen war. Mit severem Blick musterte er die Person zu seinen Füßen.
"Manius Flavius Gracchus Minor ist stumpfsinnig. Ihn fehlt es an jedwedem notwendigem Intellekt, um ein würdiger Flavius zu werden."
gab er als seine Urteilsbegründung an. Nun erhob sich ebenso Manius Gracchus, der dem Verurteilten nicht ins Gesicht sah, sondern weiterhin geflissentlich seine Sandalen fixierte. Tonlos verbalisierte er auch seine Begründung:
"Manius Flavius Gracchus Minor entbehrt jedweder Gravitas und Dignitas. Ihm ist es unmöglich den Dienst der Götter voller Würde zu versehen, wie es eines Flavius würdig ist. Er ist nicht mehr mein Sohn!"
Rasch kehrte er auf seinen Platz zurück, seine Tafel, mit einem ebenso klar erkennbaren 'C' beschriftet, an den Praetor Urbanus weitergebend. Dieser examinierte das Produkt der Befragung.
"Im Namen des Senates und des Volkes von Rom verurteile ich Manius Flavius Gracchus Minor, der keinen Vater mehr hat, zum Tode!"~ ~ ~
"Neiiiin!"
Mit einem Schrei erwachte der Knabe. Zitternd riss er die Augen auf, noch immer gefangen in jener grauenerregenden Szenerie des Gerichtssaales, in deren Rahmen gar sein eigener Vater sich losgesagt hatte von ihm, jedwede Beziehung negierend. Nun mochten die grässlichen Liktoren Besitz ergreifen von ihm, ihn bar jeden Erbarmens hinausschleifen und mitleidlos den tarpeiischen Felsen hinabschleudern, aufdass sein Leib zerscholl an dessen Fuß.
Unverhofft erschien indessen ein Antlitz vor ihm, das zu erkennen der junge Flavius einiger Augenblicke bedurfte.
"Domine, es war nur ein böser Traum!"
erscholl gleichwohl die vertraute Stimme des Paedagogus. Dennoch kehrte nur langsam sein geliebtes Heim zurück und jene imaginierte, überaus inkommodierliche Situation verblasste... -
Für einen Knaben, dessen infantile Phantasie noch ledig war von den Bändern, die die geistige Welt der Erwachsenen umspannten und beengten und ihre Imaginationskraft in feste Bahnen lenkten, boten die Saturnalia stets ein herrliches Treiben, ein gewaltiges Spiel, an dem nicht nur seine Freunde, Sklaven und Ammen, sondern gleichsam ganz Rom partizipierte. In größter Elation war er daher am Morgen seinem Bett entsprungen, hatte sich selbst, nurmehr unterstützt durch seine Mutter, in eine Tunica gehüllt und war in ausgelassener Stimmung und voller Expektanz auf jene kleinen Geschenke, die ihn in diesen Tagen erwarteten, durch das Haus geeilt. Einzig der Umstand, dass er beim Besuch seiner Camera Ludi eine Schar von Sklavenkindern angetroffen hatte, wie sie sich an seinen Spielzeugen ergötzten, hatte ihn ein wenig indigniert, doch nach der Rettung seines geliebten Krokodils Caius hatte er sie ob der veränderten Imperative dieser Tage zurückgelassen, um gemeinsam mit seinem Vater und seiner Mutter ein Bad zu nehmen. Erst danach war er auf Anraten seiner Mutter zu den Kindern zurückgekehrt und hatte mit Mühen versucht, sich an deren Spiel zu beteiligen.
Ob seiner gewöhnlichen absoluten Herrschaft über den Verlauf der Geschichten, die er mit seinen Figuren zum Leben erweckte, war es ihm indessen nicht gelungen, mit den übrigen Kindern diesbezüglich eine Einigung zu erzielen, sodass letztendlich einer der Sklaven gar in Tränen war ausgebrochen, weswegen der junge Flavius das Feld zu räumen sich entschloss und das Triclinium aufsuchte, wo er seine Familie anzutreffen gedachte, die stets geneigt war seine Egozentrik zu bestätigen."Bona Saturnalia!"
grüßte er seine Verwandten, die bereits den Weg hierher gefunden hatten. Seiner Erfahrung entsprechend würde er nun bald mit Strenae überhäuft werden, sodass er den übrigen Tag mit dem Verzehr von Süßem und dem Spiel mit den Sigillaria zubringen konnte. -
In Wahrheit hatte lediglich die Konsideration der gesamten sozialen und politischen Konsequenzen einer richterlichen Berufung jene Konfusion evoziert, unter der der Knabe nunmehr litt. Jene überaus lakonische, nun in weitaus geringerem Maße nachsichtige Replik Pisos veranlasste ihn indessen dazu, seine offenbar asininen Fragen einzustellen und sich schlussendlich mit den bisherigen Situationen zufrieden zu geben. Selbstredend gehorchte er, seiner devoten Gewohnheit gehorchend, den Expektationen seines Onkels und antwortete dementsprechend mit einem knappen
"Ja, Onkel."
Dennoch sah er sich anschließend genötigt, zur Bestätigung seiner Masquerade des veständigen Lehrlings einen kompendierenden Kommentar zu letzterer Belehrung abzugeben. Fortuna und den Vätern des Codex Iuridicialis war es indessen zu verdanken, dass ausgerechnet jene Passage seinem Dafürhalten nach kaum die Gefahr einer fehlerhaften Interpretation barg, womit er unintentional in eine neuerliche Falle juristischer Formulierungspraxis tappte.
"Es kann also niemand zweimal Iudex sein." -
Aus den Ausführungen seines Onkels resultierten für den Knaben in diesem Casus mitnichten wahrhafte Präsumptionen das Recht betreffend. Vielmehr evozierten sie neuerliche Konfusion, war es doch augenscheinlich weder der Fall, dass sein Vater frei über seine Teilnahme an einem Verfahren als Iudex entscheiden konnte, ebensowenig jedoch eine Tatsache, dass das Gesetz seine Teilnahme schlichtweg auferlegte!
In der Annahme gleichwohl, dieser mangelhaften Durchdringung der Rechtslage lägen nicht die insatisfizierenden Darlegungen Pisos, sondern lediglich sein individuelles Unvermögen zugrunde, verzichtete der junge Flavius auf weitere Interrogationen und rezitierte gehorsam den folgenden Absatz:
"'Ein Iudex wird für jedes Verfahren neu vom Iudex Prior nominiert.'"
Einen Augenschlag lang mochte es dem unbedarften Beobachter erscheinen, der Knabe spintisiere über den eben verlesenen neuerlichen Passus, dann aber öffnete sich sein Mund zu einer nicht antizipierten Frage:
"Aber musste Papa jetzt Iudex sein oder nicht?"
Schlussendlich war Manius Minor zu der Einsicht gelangt, dass er im Falle einer Prüfung seiner Lernerfolge sein defizitäres Verständnis der Zusammenhänge offenbaren hätte müssen, was seiner Mutter zweifelsohne Kummer bereitet hätte, den er geneigt war ihr zu ersparen. So erschien es doch adäquater, seinen Onkel zu desillusionieren, ehe er gezwungen war, den Stolz seiner Mutter zu zerbrechen. -
Den übrigen Fortgang der Zeremonie verlebte der junge Flavius durch einen Vorhang der Scham, der seine Kognition zu trüben vermochte und ihm den Anschein erweckte, der Blick jedes anwesenden Individuums sei strafend auf seine Gestalt gerichtet, sodass er seinerseits nicht geneigt war, den Blick erneut zu erheben. In diesem Gestus der Bescheidenheit verharrend war es ihm indessen schwerlich möglich, tatsächlich von dem weihevollen Eidesritual Notiz zu nehmen, weswegen der die Camilli betreuende Calator neuerlich gezwungen war, den Knaben beiseite zu schieben, als sein Platz von den Senatoren benötigt und prompt eingenommen wurde.
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Noch schier zahllose weitere Opferprekationen schlossen sich an jene zu Ehren der flavischen Kaiser an, dann erst erfolgte die eigentliche Opferung. Obschon der junge Flavius bereits wiederholt Zeuge der Tötung eines Stiers geworden war, ebenso anderer Opfertiere, verschreckte es ihn stets aufs Neue. Insonderheit jenes grässliche, eruptive Krachen, das bei dem Auftreffen des Malleus auf den Os Frontale das Flötenspiel durchstieß, evozierte eine abscheuliche kutikulare Anserinität, stets aufs Neue verbunden mit einem schreckhaften Zusammenzucken. Das anschließende überströmende Blut hingegen machte den Knaben ebenso beklommen wie degoutiert, sodass er stets genötigt war, seinen Blick abzuwenden von den Victimarii, die Fleischhauern gleich den tierischen Lebenssaft auffingen. Erfreulicherweise musste Manius Minor sich allerdings in diesem Falle nicht in zu großem Maße inkommodieren dank der Possibilität, gen zu Boden zu blicken und damit lediglich der Geräuschkulisse des Opferbetriebes ausgesetzt zu sein.
Kaum war das uferlose Hinschlachten all jener makellosen Wesen vollendet, setzte die Prozession allerdings ihren Weg fort, diesmal zurück in die Niederungen des Forum Romanum, gleichwohl nur um einem weiteren beschwerlichen Anstieg zu folgen hinauf zu dem Ort, an dem, wie Manius Minor wusste, der Kult des Iuppiter Optimus Maximus praktiziert wurde, was ihn zum religiösen Zentrum der Urbs Aeterna machte. Freilich musste der junge Flavius dennoch die zahllosen Höhenmeter zwischen Tempel der Concordia und der Trias Capitolina überwinden, was erneut mit größten Mühen und einem weiteren Tribut kindlichen Schweißes verbunden war.
Hinter seinem Vater fand der Knabe seinen zugewiesenen Platz, der ihm einen eminenten Blick auf das Tempelgebäude, dessen güldne Schindeln den Glanz der Sonne reflektierten, gewährte, aber auch auf die Kulthandlungen, die Manius Maior heute zu vollziehen hatte. Demgemäß verharrte Manius Minor dienstbeflissen in besonders demonstrativer Andacht, was seinen winzigen Auftritt an diesem Tage um ein Haar ernstlich disturbiert hätte, hätte ihn nicht ein Calator durch mehrfach Antippen seiner Pflicht erinnert.
Eiligen Schrittes trat er vor, näherte sich seinem Vater von rechts, in der einen Hand eine Schale, in der anderen den Urceus haltend. Ob der zahlreichen Menschen, die sich hinter ihm auf dem Capitol verteilten und zweifelsohne mit scharfem Blick jede seiner Regungen verfolgten, erkannte der Knabe allerdings zu seinem Entsetzen, dass seine Hände zitterten, wodurch gar das Wasser in seiner Kanne hin- und herschwappte. Während er seinem Vater dieses endlich über die Hände goss, war es somit unvermeidlich, dass das vergoldete Metall wiederholt die Hände seines Vaters berührten, zu allem Überfluss jedoch auch ein nicht unbeträchtlicher Teil des Wassers über die Ränder der Schale trat, um den gepflasterten Tempelvorplatz zu benetzen.
Welch eine Ernüchterung! Schon seit Tagen hatte der junge Flavius diesen Augenblick sorgsam präpariert und nun unterlief ihm diese Infelizitiösität! Weder Komplexität, noch Intellekt war mit dieser Obliegenheit verbunden gewesen, doch in seiner Lethargie war es ihm gelungen, sie doch auf derartig defizitäre Weise zu erfüllen! Die entfärbte und versteinerte Miene, die dem Betrachter erscheinen mochte, als sei sie der Medusa ansichtig geworden, dokumentierte wohl klarer als jedes Wort der Bestürzung die mentale Verfassung des Knaben.
Befangen und völlig enerviert wandte er sich endlich, den Kopf in Scham gesenkt, wieder zu den übrigen Camilli und ging seinem perfekten, stets souverän und in seinen Diensten makellosen Vater, der zweifelsohne ebenso desillusioniert war wie er selbst, aus den Augen.