Beiträge von Caius Flavianus Aquilius

    Direkt neben jenem, welcher im vollen Ornat eines Ministers gekleidet ist, stehe ich, Caius Flavianus Aquilius. Ihm eigentlich so nah, doch im Geiste so fern von Minimus. Zwei kleine Lettern sind es scheinbar nur, die uns trennen. Doch was uns wirklich trennt, ist weitaus mehr.
    Es ist eine Ehre für mich, dass ich hier sein darf, um dem Pontifex selbst, Minimus´ Vater, behilflich sein zu dürfen. Etwas gedankenverloren wirke ich wohl auf den Betrachter. Noch bin ich nicht an der Reihe.
    Im Gegensatz zu meinem Freund, war ich nicht dazu begünstigt, in den ersten Jahren meines Lebens die religio romana aktiv kennen zu lernen. Meine Mutter stopfte mir den Geist voll mit barbarischen Götzenmärchen. Wäre sie damals mit mir nicht zurückgekommen, zu der Stätte meiner Geburt, wäre wohl ein kleiner Barbar aus mir geworden. Dennoch hadere ich mit mir im Stillen Besser wäre es, die Aufmerksamkeit auf das Geschehen auf der Tribüne zu lenken.

    Über meine Verwunderung hinweg habe ich glatt vergessen, einzutreten. Noch immer stehe ich an der Tür und starre den vermeidlichen Gammaticus an, als dieser wieder das Wort an mich richtet. Wie ein Schuljunge?,fragt er. Ich bin doch ein Schuljunge! Dennoch, mein Versäumnis ist mir peinlich. So peinlich, dass ich rot werde im Gesicht.
    Nur ein ganz leises "Entschuldigung" will mir über die Lippen kommen
    Ich trete also näher, seufze leise und warte. Minimus kommt einfach nicht! Ich überlege schon, ob ich mich im Tag oder der Stunde getäuscht habe. Dass es lediglich nur der Raum ist, in dem ich mich getäuscht habe, will mir nicht aufgehen. Das Nächstliegende jedoch sieht man oft nicht im Leben.
    Das einzige, was ich tun kann, ist zu warten. Warten auf Minimus, warten auf das, was der Grammaticus mir sagt.

    Spiel dich nur nicht so auf, du wirst hier nur geduldet! Dieser Satz, der so hämisch über die Lippen des Sklaven gekommen war, der gestern wie auch heute so verletzend gewirkt hatte, verfolgt mich weiter auf Schritt und Tritt. Selbst noch, als der, der ihn ausgesprochen hatte, längst abgestraft worden war. Dabei hatte doch der Sklave nur das ausgesprochen, was mich schon lange selbst beschäftigte.
    Mama hatte mir stets vermitteln wollen, dass ich die Sklaven gut behandeln sollte. Sklaven seien auch Menschen, die nur weniger Glück im Leben hatten, sagte sie. Das musste sie ja auch sagen, denn schließlich war sie ja selbst einmal Sklavin gewesen.


    Ich hatte es genossen, wie die Peitsche blutige Striemen auf dem Rücken des Sklaven zurückgelassen hatten. Fünfzehn Hiebe hatte er dafür erhalten. Ich genieße es noch jetzt, wenn ich nur daran denke, wie das Großmaul geschrien hatte. Wie ein Mädchen hatte er geschrien, wie ein Mädchen!
    Ein gehässiges Grinsen liegt auf meinen Lippen, als ich den Gang weitergehe, doch das vergeht mir ganz schnell wieder, als mir Mama einfällt. Sie war ganz schön wütend gewesen, als sie erfahren hatte, dass ich maßgeblich daran beteiligt gewesen war, weswegen der Sklave gezüchtigt worden war. Sie hatte mich deswegen nicht geschlagen oder mir Stubenarrest gegeben. Sie hatte mich weit mehr gestraft, als man es sich hätte vorstellen können. Sie hatte nur gesagt: Du hast mich sehr enttäuscht, Diarmuíd!
    Daraufhin war ich weinend in meinem cubiculum verschwunden und hatte hinter mir die Tür zu krachen lassen. So wütend war ich noch nie gewesen. Statt mich zu trösten, hatte mich Mama einfach abblitzen lassen. Und sie hatte mich dabei Diarmuíd genannt. Nicht etwa Caius, wie sie es sonst immer getan hatte, wenn ich irgendwas ausgefressen hatte. Diesmal hatte ich sie wirklich enttäuscht. Ihr Ärger auf mich war tiefer gegangen, viel tiefer. Aber bin ich denn nicht ihr Sohn? Wie kann sie zulassen, dass dieser Sklave so etwas zu mir sagt? Ich will nicht mehr Diarmuíd sein! Ich will nicht mehr der Sohn einer ehemaligen Sklavin sein.


    Ich bin Caius Flavianus Aquilius! Mit diesem Bewusstsein setze ich meinen Weg fort, um mich dem neuen Grammaticus vorzustellen. Ich bin bereits spät dran. Wahrscheinlich wartet Minimus längst auf mich. Aber nicht mehr lange! Denn ich habe die Tür erreicht, hinter der sich der Unterrichtsraum befindet. Was ich nicht weiß, ist dass ich mich über meine Grübeleien hinweg an der Tür getäuscht habe.
    Überrascht muss ich feststellen, das Minimus doch nicht vor mir da ist. Doch der Grammaticus erwartet mich bereits. Freundlich erwidere ich den Morgengruß und suche vergebens meinen Tisch, an den ich mich setzten kann. Überhaupt kommt mir hier einiges seltsam vor. Der Grammaticus nennt mich seinen neuen Gesellen… und was hat Piso mit meinem Unterricht zu tun? Was noch seltsamer ist, dieser Raum ähnelt mehr einer Künstlerwerkstatt. Natürlich! Mir geht ein Licht auf. Der Grammaticus möchte mit uns gleich zu Anfang einen Exkurs in die Kunst machen. Seltsame Lehrmethoden! Aber warum nicht, ein wenig Abwechslung kann sicherlich nicht schaden.
    "Salve! Ich bin Diarmuíd… äh ich meine… Caius." Schon wieder habe ich diesen dummen Namen gebraucht! Und ausgerechnet auch noch vor dem neuen Grammaticus! Was soll er nur von mir denken? Wo er mich doch sogar darauf hingewiesen hat, er sei gebürtiger Grieche. Vermutlich ein Sklave, aber dennoch ein Grieche! Während ich nur ein halb hibernischer, halb römischer Bastard bin.
    Verlegen stehe ich da, schaue zu Boden und hoffe, dass sich Minimus schnell einfindet und der Unterricht beginnen kann.

    Ein leises Wispern, ein verbaler Wink, der es aber dummerweise nicht einmal in mein Ohr schafft, lässt mich verschämt zu Minimus aufblicken. Wie war das? Ich zucke nur leicht die Schultern, verziehe das Gesicht. Und da! Artaxias sieht alles! Auch Mimimus, bei seinen Bestrebungen, mir helfen zu wollen. Ehe er sich versieht, wird er bereits abgemahnt.
    Der paedagogus lässt nicht locker. Mir erscheint es, als ergötze er sich an seiner Macht. Erbarmungslos lässt er mich weiter ins Messer rennen, setzt mich unter Druck, zeigt mir, was er von mir hält. Ich, ein Tunichtgut, ein Nichtskönner, ein Schmarotzer, der sich an der Seite eines patrizischen Knaben, dem ich niemals das Wasser reichen kann, eingenistet hat, möche am allerliebsten im Erdreich versinken. Doch angesichts des Marmorbodens und der darunterliegenden Kellergewölben ist dies keinesfalls möglich.
    Meine Gesichtsfarbe färbt sich gefährlich rot. Ein Druck baut sich auf. Nein, nicht nur mein Leidensdruck. Weitaus banaler, doch für die Situation hilfreich.
    Statt zu deklinieren, ziehe ich es vor mich zu absentieren, unter dem Vorwand, ganz dringend die Latrine aufsuchen zu müssen. Für den Rest des Tages, und wenn es nach mir ginge, auch für den Rest meines Lebens, ziehe ich mich in Mamas Kammer zurück. Dort werde ich sie am Abend unter Tränen bitten, mich nie, nie wieder dorthin zu schicken. Zu diesem Schinder. Doch ich kenne bereits jetzt schon ihre Antwort.
    Also werde ich mich fügen...

    Ich traue ja kaum meinen Ohren, als ich das höre! Bei den Raubtierkäfigen! Ja, wie aufregend ist das denn! Da könnte man nicht nur neidisch werden, da ist man es bereits.
    "Was, einen eigenen Löwen? Das ist ja… Wahnsinn! Ja und was machst du dann mit deinem Löwen? Führst du den dann spazieren?" Ich muss bei dieser Vorstellung grinsen, denn wer würde denn schon mit einem Löwen spazieren gehen, nichtahnend, dass ein anderer Sprössling aus flavischem Geschlecht dies vor Jahren praktiziert hatte. Wenn ich ehrlich bin, habe ich noch nie einen echten Löwen gesehen. Nur viel gehört habe ich davon. Wenn ich schon in der Stadt unterwegs gewesen war und dabei die Unterhaltung der Leute belauscht habe, die sich Tierhatzen angeschaut hatten, oder ähnliches.
    Schließlich erwische ich mich bei dem Gedanken, ob mein Papa, wenn er denn da wäre, mir auch einen Löwen schenken würde. Plötzlich ist das Verlangen nach dem nie gehabten Vater so groß, dass es mir schwer fällt, dies nicht in irgendeiner Form zu zeigen. Ich würde jetzt gerne wissen, warum er damals weggegangen ist, obwohl er doch wusste, dass ich da bin. Ob er mich am Ende gar nicht gewollt hatte?
    Es zieht mich runter, wenn ich darüber nachdenke. Viel besser, wenn ich mich nun wieder auf meinen neuen alten Freund konzentriere. Wie weit ist es eigentlich noch zu seiner camera ludi?
    "Sind wir bald da?", frage ich ihn deshalb, um letztendlich auch die Möglichkeit zu haben, das Thema zu wechseln.

    Diese herrliche Sprache, so klangvoll und perfektioniert sie auch stets aus Minnmus´ Mund entströmt, mir verweigert sie sich hartnäckig, Endlich Zugang zu ihr zu erlangen. Die endlos scheinenden Griechichstunden, der ach so gestrenge Artaxias, bei dem ich immer das Gefühl habe, er mag mich einfach nicht und dann das Wissen, dass ich niemals meinem Freund das Wasser werde reichen können. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich diese unzähligen Vokabeln in meinen Kopf bekommen soll. Auf Hilfe von meiner Mutter kann ich nicht hoffen, Mama spricht kein Griechisch. Und wenn ich mich beklage, dann sieht sie mich immer so tadelnd an und sagt dann, ich solle froh sein, dass ich in den Genuss einer solchen Bildung kommen, sie alleine hätte mir so etwas niemals bieten können. Dann gebe ich immer klein bei und entschuldige mich sogar bei ihr, denn sie meint es ja nur gut. Aber ich stehe dann immer noch mit dem gleichen Problem da.
    Flavianus… Erschüttert recke ich neinen Kopf in die Höhe, dem Magister entgegen. Artaxias hat mich mal wieder eiskalt erwischt! Ich glaube fast schon, er macht sich einen Spaß daraus, mich zu quälen. Dabei müsste er doch wissen, wie gut oder wie wenig gut meine Griechischkenntnisse sind. Grottenschlecht wäre das passendste Adjektiv dafür.
    "Wie…. was? Ach, die Griechen? Ja, also…" Schließlich zucke ich wieder einmal unwissend mit den Schultern und schaue beschämt auf die Tischplatte, um nicht in Artaxias´ Augen blicken zu müssen, wenn er nun wieder lautstark kommentiert, wie unfähig ich doch bin. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass es nicht nur an meiner mangelnden Kenntnis liegt, gleichermaßen ist es die Langeweile, die meine Sinne abschweifen lässt, wenn immerfort nur in einer Sprache kommuniziert wird, die ich nicht verstehe. Dann ist das einfach so.

    Von Stund an wächst meine Freude darüber, wenigstens einen Freund in diesem riesigen Haus zu haben. Einen Freund, der nach eigenen Angaben eine Unmenge von Spielzeugen besitzt. Ich schätze mal, es sind so viele Spielzeuge, so dass alle Kinder meiner Straße etwas abbekämen, würde er sie unter ihnen verteilen. Das muss man sich erst einmal vorstellen! Mir wird dabei ganz schwindelig. Viel Zeit, mich zu langweilen, werde ich hier bestimmt nicht haben.
    Na, sicher war er schon mal in der Stadt! Es wäre auch kaum vorstellbar, hätte er acht Jahre nur in der Villa verbracht. Und da fällt es mir auch wieder ein, bei unserem letzten Treffen hatte er einmal vom theatrum flavium gesprochen, diesem riesigen runden Kasten in der Mitte von Rom. Zu meiner Schande muss ich bekennen, dass ich immer noch nicht da drinnen war. Mama hat es mir einfach nicht erlaubt. "Und, warst du auch mal wieder bei Gladiatorenkämpfen und Tierhatzen?", will ich wissen.


    Minimus ist in der gleichen Weise erstaunt, wie ich über den Ort meiner Geburt. Für mich ist es spannend aber auch irgendwie quälend, nur stückchenweise von meiner und der der Geschichte meiner Mutter zu erfahren. Da ist etwas, was sie immer wieder zögern lässt, mir alles auf einmal zu sagen.
    "Ja, genau! Aber ich habe keine Ahnung, warum wir damals ausgezogen sind." Ich zucke mit den Schultern. Später am Abend werde ich Mama danach fragen.

    Von Stund an wächst meine Freude darüber, wenigstens einen Freund in diesem riesigen Haus zu haben. Einen Freund, der nach eigenen Angaben eine Unmenge von Spielzeugen besitzt. Ich schätze mal, es sind so viele Spielzeuge, so dass alle Kinder meiner Straße etwas abbekämen, würde er sie unter ihnen verteilen. Das muss man sich erst einmal vorstellen! Mir wird dabei ganz schwindelig. Viel Zeit, mich zu langweilen, werde ich hier bestimmt nicht haben.
    Na, sicher war er schon mal in der Stadt! Es wäre auch kaum vorstellbar, hätte er acht Jahre nur in der Villa verbracht. Und da fällt es mir auch wieder ein, bei unserem letzten Treffen hatte er einmal vom theatrum flavium gesprochen, diesem riesigen runden Kasten in der Mitte von Rom. Zu meiner Schande muss ich bekennen, dass ich immer noch nicht da drinnen war. Mama hat es mir einfach nicht erlaubt. "Und, warst du auch mal wieder bei Gladiatorenkämpfen und Tierhatzen?", will ich wissen.


    Minimus ist in der gleichen Weise erstaunt, wie ich über den Ort meiner Geburt. Für mich ist es spannend aber auch irgendwie quälend, nur stückchenweise von meiner und der der Geschichte meiner Mutter zu erfahren. Da ist etwas, was sie immer wieder zögern lässt, mir alles auf einmal zu sagen.
    "Ja, genau! Aber ich habe keine Ahnung, warum wir damals ausgezogen sind." Ich zucke mit den Schultern. Später am Abend werde ich Mama danach fragen.

    "Du meinst, du warst immer nur hier drin?" Das ist schwer vorstellbar, zumindest für jemanden wie mich, der jede freie Minute dazu nutzt draußen mit meinen Freunden zu spielen. Allerdings damit dürfte es nun erst einmal vorbei zu sein, solange Mama hier bleiben will. Und wenn ich das Gespräch mit den beiden Männern richtig gedeutet habe, dann will sie hier ganz schön lange hier bleiben.
    "Also ich war niemals außerhalb Roms, wenn du das meinst. Mama hat nie Zeit dafür gehabt, mit mir ans Meer zu fahren, obwohl sie es so sehr liebt. Wir haben bis heute Morgen in dem großen Haus in unserer Straße gewohnt. Aber weißt du was? Mama hat mir heute erzählt, ich sei hier in diesem Haus geboren. Ist das nicht toll? Also dann hat sie früher hier schon gewohnt." Ich plappere einfach drauf los und freue mich, endlich eine Gemeinsamkeit mit Minimius gefunden zu haben. Natürlich denke ich in diesem Moment nicht weiter darüber nach, dass es für Mama einen triftigen Grund gegeben hatte, weshalb sie hier früher lebte. Derweil folge ich ihm einfach, wohin er jetzt auch geht.

    Der dumme Griechischunterricht und alles andere, was mir Sorgen macht, ist längst vergessen. Jetzt ist Zeit zum spielen. Minnimus ist noch der, den ich vor zwei Jahren kennengelernt habe. Das ist mal so mein erster Eindruck. Jetzt geht es erst einmal darum, wer welches Schiff bekommt.
    Selbstverständlich sind die römischen Schiffe die besten! Mit so einem ägyptischen Schiff will ich mich nicht zufrieden geben.
    "Das römische natürlich!", antworte ich voller Übermut, ohne nachzudenken und ohne genau zu wissen, was eigentlich eine Corbita ist. Was eine Galeere ist, kann ich mir ungefähr vorstellen. Das ist ein Schiff, das von ganz vielen Männern gerudert wird.
    "Ach so! Dann nehme ich vielleicht doch besser die Corbita…" Als Eroberer braucht man doch ganz viele Soldaten! Zaudernd und auch ein bisschen verlegen schaue ich zu Minimus.
    "Sag mal, warst du schon mal am Meer? Hast du die Schiffe auch schon mal in echt gesehen?" Wenn einer in einem so riesigen Haus wohnt, dann war er bestimmt auch schon mal am Meer und hat Schiffe gesehen. Vielleicht ist er sogar schon mal damit gefahren.

    Die Tür öffnet sich. Hinter mir steht Mama, vor mir eröffnet sich ein kleiner schmuckloser Raum. Durch ein kleines Fenster dringt etwas Tageslicht herein, der einzige Lichtblick, der zu dem Holzgerippe eines einfach gezimmerten Bettes an der gegenüberliegenden kahlen Wand weist.
    Es riecht muffig, die Luft wirkt abgestanden, als sei hier niemand mehr in den letzten Jahren gewesen.
    Mama hat mir erklärt, hier hätte sie früher gewohnt. Ein wenig erinnert mich das Zimmer an unser altes Zuhause in der Mietskaserne, nur hatte ich da mein eigenes Zimmer. Dies hier werde ich mit Mama teilen müssen. Sie erzählt mir noch, dies sei der Ort, an dem ich geboren wurde, hier in diesem kleinen Zimmer.


    Ein zweites Bett muss her, überlege ich mir sofort. Schließlich bin ich kein kleines Baby mehr, dass bei Mama im Bett mit schlafen kann.
    Und eine Matratze für Mama, damit sie nicht auf dem blanken Holz schlafen muss.
    Dann fällt mein Blick zu dem Stuhl und dem Tisch, der unterhalb des Fensters steht. Hier also werde ich lernen. Griechisch pauken und Arithmetik und solche Sachen.


    Von hinten spüre ich einen sanften Schubs. Mama schiebt mich ins Zimmer hinein.
    Hier muss erst einmal wieder richtig geputzt werden, meint sie. Ja, hier muss geputzt werden. Überall sind Spinnweben und auf dem Tisch ist eine dicke Staubschicht.

    Skeptisch betrachte ich Minimus. Ist er noch mein Freund? Die Frage sollte eher sein, war er denn überhaupt schon mal mein Freund gewesen? Wir haben uns ja erst einmal getroffen und das liegt nun auch schon zwei Jahre zurück. Waren wir da Freunde, als wir vor zwei Jahren auseinandergingen? In unserem Alter kann sich Freundschaft schnell ändern. Der, der gestern noch mein Freund war und heute etwas gemeines zu mir sagt, ist verständlicherweise nicht mehr mein Freund. Solange bis wir beide vergessen haben, dass wir ja eigentlich nicht mehr befreundet sind und wieder miteinander spielen.


    Minimus fragt nicht nach meiner Mutter oder nach meinem Vater, den ich sowieso nicht kenne. Das ist auch gut so! Ich weiß nicht, ob ich mich wegen Mama schämen muss, weil sie mal Sklavin war. Sie ist mir deshalb auch noch einige Antworten schuldig.


    Schon bei unserer ersten Begegnung war mir bewusst, Minimus ist nicht von dieser Welt, jedenfalls nicht von der, in der ich bisher gelebt habe. Er trägt feine Sachen, wohnt in einem riesigen Haus mit unheimlich vielen Sklaven, hat ein ganzes Zimmer voller Spielsachen (auch wenn ich mich davon noch nicht selbst überzeugen konnte) und natürlich ist Griechisch die zweite Sprache, mit der er praktisch aufgewachsen ist. Dass ich ja eigentlich auch mit zwei Sprachen aufgewachsen bin, fällt mir in diesem Zusammenhang gar nicht ein, denn ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass Mamas Sprache nicht zählt. Schade eigentlich, dass Mama keine Griechin ist, dann wäre mein Problem viel bescheidener.
    "Ammen?" Ich weiß gar nicht, was das ist!
    "Nein, das haben meine Ammen versäumt," antworte ich, um mir nicht ganz die Blöße geben zu müssen. Ich sehe schon, wenn es um Griechisch geht, habe ich gegen Minimus keine Chance. Als er von Xi und Zeta spricht, zucke ich nur mit den Schultern. Das sind alles gallische Dörfer für mich. Das kann ja noch richtig lustig werden! Das lerne ich nie! Meine Stimmung ist auf dem Tiefpunkt angelangt, dementsprechend finster wirkt meine Mimik.


    Der Knoten platzt erst, als Minimus meint, Spielen sei sowieso viel besser. Da kann ich ihm nur zustimmen und grinse verschmitzt.
    "Was können wir denn zusammen spielen? Hast du zufällig ein Schiff? Dann spiele ich den Eroberer, der mit dem Schiff kommt und der dann von dem Krokodil überfallen wird. Hm, was meinst du?" Das impluvium eignet sich hervorragend für solche Spiele.

    Endlich! Jetz erhellt sich meine Mine. Ein breites Lächeln enthüllt meine Vorfreude, als ich seine Erlaubnis bekomme, zu seinem Sohn gehen zu dürfen und mich somit als entlassen sehen kann.
    Jetzt hält mich nichts mehr auf diesem Stuhl. Selbst Mama könnte mich jetzt nicht mehr halten. Aber das tut sie auch gar nicht. Sie nickt mir sogar zu, als wolle sie mir noch mitgeben, ich solle mich benehmen.


    Der blonde Sklave, der uns ganz zu Anfang hierher geführt hat, will mir noch jemand mitschicken. Ich bin aber schneller. Wahrscheinlich weil ich im Umgang mit Sklaven ganz ungeübt bin. Ich mach mich lieber selbst auf den Weg. Und wenn ich Minimus wirklich nicht finden sollte, dann frage ich einfach jemanden, der mir über den Weg läuft...

    Ich kann es ihm kaum verdenken, dass er so verwirrt ist. Wenn er wüsste, wie sehr ich es erst bin! Noch kann ich gar nicht die Tragweite diese Neuigkeiten abschätzen. Ich weiß nur, ich habe jetzt einen neuen Namen, ich wohne ab heute nicht mehr in unserer alten Wohnung in der Mietskaserne und meine Mutter war früher mal Sklavin.
    Noch scheue ich mich, Minimus die ganze Wahrheit zu sagen. Aber eigentlich ist das Quatsch! Er wird´s ja doch rausfinden, füher oder später. Und wenn ich ihm jetzt alles sage, dann werde ich genau wissen, ob Minimus mein Freund ist oder nicht.
    "Ja, so heiß ich jetzt, Caius Flavianus Aquilius! Ein elend langer Name! Mama hat mir gesagt, sie hätte mich nach meinem Vater benannt. Und als ich heute Morgen mit ihr von zuhause losgegangen bin, hat sie mir versprochen, ich würde heute endlich meinen Vater kennenlernen. Jetzt bin ich hier, aber er ist weg." Eigentlich könnte es mir ja egal sein, denn was ich bisher nicht hatte, kann ich auch jetzt nicht verlieren. Trotzdem stimmt es mich etwas traurig, denn ich hätte ihn schon gerne mal kennengelernt. Alle Kinder, die ich kenne, Nico, der Sklavenjunge von nebenan mal ausgenommen, haben einen Vater. Nur ich kenne meinen nicht!
    "Wir wohnen ab heute hier, Mama und ich." Ich sage das ganz neutral, denn ich habe keinen blassen Schimmer, ob ich das gut finden soll. Das kommt jetzt ganz auf Minimus an.
    "Deinen Vater habe ich auch schon getroffen und noch so einen anderen Mann, dessen Name ich schon wieder vergessen habe. Dein Vater hat gesagt, ich soll in Zukunft mit dir Griechisch lernen." Meine Begeisterung hält sich verständlicherweise deswegen in Grenzen.

    Es ist schon schwer, ein Kichern zu unterdrücken. Von meinem Versteck hinter der Büste aus, beobachte ich ihn. Seit unserem letzten Treffen hat er dazugelernt. Er lässt sich jetzt nicht mehr in die Irre führen. Spieltiere aus Holz können nicht sprechen, auch seines nicht!
    Minimus schaut auf und sieht sich um. Er schaut in meine Richtung. Als er das tut, versuche ich mich noch etwas zu ducken, damit er mich auch ja nicht sieht. Warum aber eigentlich verstecken? Ihn habe ich doch gesucht! Jetzt habe ich ihn gefunden. Oft habe ich mir in den letzten zwei Jahren überlegt, was ich ihm alles sagen möchte und was noch wichtiger ist, was ich ihn allesfragen möchte. Ich habe oft an ihn gedacht. Hat er auch an mich gedacht? Um das herauszufinden, müsste ich mein Versteck verlassen und zu ihm gehen. Dann müsste ich ihm auch alles sagen, was jetzt anders ist, dass ich hier wohne, wie mein richtiger Name ist und dass wir verwandt sind, irgendwie so.
    „Ich bin´s!“, höre ich mich sagen. Ich versuche einfach mein Glück und trete aus dem Schatten der Büste hervor. Auch ich bin ordentlich gewachsen. Mama sagt, bald kann ich ihr auf den Kopf spucken. Natürlich mache ich das nicht! Das sagt sie einfach nur so, wenn sie mal wieder staunt, wie viel ich gewachsen bin.
    „Kennst du mich noch? Ich bin´s, Diarmuíd, äh Caius.“ Das ist ganz schön verwirrend, wenn man plötzlich zwei Namen hat!

    Als ich plötzlich Schritte höre, verkrieche ich mich hinter dem grimmig schauenden Steinkopf. Sicher ist sicher. Von hier aus kann ich beobachten ohne gesehen zu werden. Ich beobachte, wie ein Junge ins Atrium gelaufen kommt. In seiner Hand hat er etwas was aussieht, wie ein Krokodil. Ein Krokodil aus Holz. Minimus, das ist Minimus! Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Ich möchte hinter dem Steinkopf hervorspringen und den Jungen freudig begrüßen, aber etwas hindert mich daran.
    Minimus ist größer geworden, genauso wie ich. So hat er sich kaum verändert. Äußerlich. Wie sieht es aber in ihm drinnen aus? Meine Bedenken, die ich mich bereitsauf dem Weg hierher beschäftigt haben, holen mich wieder ein.
    Eine Weile Beobachte ich ihn noch. Er ist ganz vertieft in sein Tun, so wie damals im Garten.
    "Ahhhh, ich rieche Menschenfleisch!" rufe ich mit verstellter Stimme, als er wieder nach dem Krokodil greift. Sie hört sich genauso geisterhaft an, wie damals im Garten.

    Alles wuselt nur so in meinem Kopf. Ich bin heilfroh, als ich endlich aus dem officium raus kann. Das viele reden, das ewig lange still sitzen müssen ist nicht meine Welt. Aber nicht nur das. Auch was ich heute so alles beiläufig über mich und meine Herkunft erfahren habe, macht mir ganz schön zu schaffen. Was soll man auch tun, wenn man plötzlich erfährt, dass man gar nicht der ist, der man zu sein geglaubt hat.
    Als Mama mir heute Morgen erzählt hat, ich würde heute meinen Vater kennenlernen, da war ich voller Tatendrang. Aber jetzt herrscht Ernüchterung, weil... mein Vater ist nicht da... meine Mutter hat mir all die Jahre alles verheimlicht, über sich, über mich.
    Ich hätte damit leben können, hätte ich gewusst, dass sie mal Sklavin gewesen war. Ich hätte sogar damit leben können, hätte ich gewusst, wer oder was mein Vater war. Und jetzt? Jetzt bin ich hier, in diesem riesen Haus, mit meiner Familie, die aber gar nicht meine Familie ist, jedenfalls nicht offiziell. Ich soll jetzt Griechisch lernen, obwohl das man eigentlich für nichts braucht. Minimus ist jetzt so was wie mein Vetter, also gar nicht mein Freund. Oder geht denn auch beides? Und dann erst mein Name! Diarmuíd ist Schnee von gestern. Jetzt heiße ich Caius Flavianus Aquilius, obwohl ich das gar nicht will. Viel zu lang, der Name! Aber mich fragt ja keiner. Nicht mal Mama.


    Hadernd mit mir selbst gehe ich laufe ich durch die Villa, ohne dabei ein genaues Ziel zu haben. Eigentlich wollte ich ja mit Minimus spielen. Aber auf dem Weg zu ihm, hat mich wohl der Mut verlassen. Jetzt bin ich nicht mehr auf der Suche nach ihm, jetzt versuche ich, nicht mehr gefunden zu werden. Ich hab Bammel davor, ihm zu sagen, wer ich bin und dass ich von nun an auch hier wohne, dass ich von nun an mit ihm gemeinsam Unterricht habe und dass ich noch gar kein Griechisch kann.
    In einer Nische finde ich Schutz, vor was auch immer. Auf einem Podest steht die Büste von einem Mann, der nicht besonders freundlich guckt. Von allen Seiten schaue ich ihn mir an und überlege mir dann, warum er so schaut. Vielleicht, weil er auch Griechisch lernen musste...

    Das klingt ja nicht gerade berauschend! Und alles nur, weil ich nicht weiß, wer dieser Homer ist! Ich frage mich, wozu so etwas denn gut sein soll. In Rom sprechen doch alle Leute Latein, also warum denn dann noch Griechisch lernen? Ich traue mich aber nicht, das dem netten Mann zu sagen, weil dann Mama wieder sauer ist. Also lächle ich brav und schenke mir meinen Kommentar. Ja, ja, wenn ich mich anstrenge! Ohje, schwere Zeiten liegen vor mir! Die schönen Zeiten sind vorbei. Meinen Freund Lucius werde ich ganz schön vermissen. Und die anderen Kinder aus unserer Straße erst! Nico, Timon und Mirjam, besonders Mirjam! Sie werde ich besonders vermissen. Dann wird es wohl doch nichts mit unserer Hochzeit! Schade!
    Man sieht es mir an, dass ich gerade nicht glücklichste Junge der Welt bin. Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl herum. Ob ich mal nach Minimus schauen darf? Fraglich, ob der mich noch kennt! Das sind schon fast zwei Jahre her, seit wir uns zum ersten Mal getroffen habe. Hoffentlich ist aus ihm kein eingebildeter Schnösel geworden!
    "Ich will mir Mühe geben. Darf ich jetzt zu Minimus gehen?" plappert es aus mir heraus, ohne groß darüber nachzudenken. Ich mag nicht länger still sitzen, lieber möchte ich mit Minimus spielen oder im Garten herumtollen. Dabei pendeln meine Augen zwischen dem Mann und Mama. Mama schaut ganz entsetzt. Aber weil sie hier nichts zu bestimmen hat, bleibt mein Blick an dem Mann haften.