Oje, es scheinte, als ob sie wieder was gesagt hätte, wo ihr Vater komplett den Faden verloren hatte. Sie schaute ihn ihrerseits an, schlug die Wimpern nieder und dachte kurz nach, wie sie ihre Worte erklären sollte. „Weißt du, ich fühle so eine... unterschwellige Verbindung mit Gärtnern. Wenn ich ein Mann wäre, und nicht patrizisch, und nicht gewillt, in den Gottesdienst einzutreten, wäre ich Gärtner geworden. Ich denke, es liegt mir einfach. Man mag es den grünen Daumen nennen, um eine abgedroschene Redensart zu benutzen. Sie schafft eine spezielle Verbindung zwischen menschen. Das meine ich.“ Verstand dies ihr Vater, oder würde sie jetzt einen endlosen Vortrag über ihr, zugegebenermaßen leicht eigenwilliges, Weltbild schwingen müssen? Fragend blickte sie den Vater an.
Die Erscheinung der Göttin war durchaus kein Traum gewesen, sondern eine Erscheinung im wahrsten Sinne des Wortes, jäh, unvermutet, aus heiterem Himmel, am hellichten Tage, unverhofft. Eine Halluzination, wenn man so will. Doch jene rationale und realitätsnahe Erklärung der Erscheinung war der jungen Frau fremd, und dass ihr Vater sie darin bestärkte, verschaffte ihrer Überzeugung noch einmal einen gewaltigen Auftrieb. Einen Traum hätte Romana vielleicht noch abgetan, doch eine solche Erscheinung war für sie absolut persuasiv gewesen.
Die nächsten Worte ihres Vaters zauberten ein Lächeln auf ihr Gesicht, und fast wäre eine Freudenträne aus ihrem linken Auge gequollen. „Es ist so schön, dass du das sagst.“, meinte sie warm und umarmte ihren Vater abermals. „Ich bin auch stolz, und zwar auf dich, Vater. Du siehst die Wahrheit, du vertraust mir...“ Glücklich strahlte sie ihn an. Sie wusste durchaus, dass eine Karriere als Vestalin im Sinne ihres Vaters war, und dass sie es machen würde, mit vollstem Eifer und größtem Einsatz, stand außer Frage.
Doch hatte sie, wie es aussah, ihren Vater wieder einmal komplett aus der Reihe gebracht durch ihre nächste Ansage. Jetzt hatte sie ihn wieder verunsichert! Und würde ihre Worte erklären müssen. Also tat sie das. „Auf dem Weg von den Stadtmauern zur Villa habe ich so viele Leute gesehen, vor allem Männer. Besoffen waren viele, andere haben herumgehurt, andere haben sich gegenseitig ihre Visagen eingeschlagen. Es gab kaum Ausnahmen.“ Steile Falten bildeten sich auf ihrem Gesicht. Glücklich war sie darob ganz sicher nicht. „Und ich lese die Acta, Vater. Ich verfolge die Debatten, die es momentan gibt... nur Quereleien und Streitigkeiten. An den Kolumnen, die Klatsch und Tratsch, und Kultur und Leben, und Meldungen und Beförderungen betreffen, sieht man immer wieder das selbe. Männer, die sich in ihrer eigenen Eitelkeit wälzen. Karrieregeil und machtlüstern. Interessiert an den Nichtigkeiten der Welt, lassen sie die wichtigen Dinge im Leben außer Acht. Der eine will sich als Kriegsheld profilieren, der andere als Künstler, und der andere als Politiker. Rücksicht? Moral? Scham? Nicht doch, das wäre zuviel verlangt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Kurz gesagt, sie alle gehen mir auf den Sack.“ Das war ein treffendes Schlusswort zu ihrer kleinen Schimpftirade. „Wie wohltuend ist es da, dass es Leute gibt, die über diesen Sachen stehen.“ Es war eindeutig, dass sie damit ihre eigene Familie meinte.
„Noch etwas wollte ich fragen, Vater.“ Da sie ja gerade auf die Claudier Bezug genommen hatte, war es natürlich, dass sie nun darauf zu sprechen kam. „Wie geht es meinen Geschwistern? Prisca ist ja jetzt irgendwo, keine Ahnung, wo sie sich herumtreibt. Hast du eine Ahnung? Von Narcissa habe ich schon ewig nichts mehr gehört. Hat die Villa sie verschluckt? Und Lucius ist sicher noch hier. Ich hoffe doch, dass er bei seiner Karriere in der Priesterschaft gut vorankommt. Und Epicharis? Was ist mit Deandra passiert, ich habe ewig nichts mehr von ich gehört?“ Sie wollte alles genau wissen. „Und was ist mit dem Rest der Familie? Wer ist in der Villa, hier in Rom?“ Sie wollte doch durchaus mit anderen Familienmitgliedern in Kontakt treten.