"Die Taberna liegt an der Ecke, wo der Faunusweg auf die Uferpromenade trifft." So hatte Centurio Decimus ihm den Weg beschrieben zum Treffpunkt. Zum Ort ihrer Verabredung, die Sermo nach längerem Grübeln immer noch nicht ganz einleuchten wollte. Nun, er hatte sich zunächst nicht ganz zurechtgefunden. Die Tiberinsel war nie sein Revier gewesen, hatte nie zu seinen jugendlichen Rückzugs- oder Abenteuerorten gezählt. Zumindest nicht hauptsächlich. Und seit seiner Jugend hatte sich hier auch einiges geändert. Er marschierte gerade über die Tiberbrücke, während seine Schritte langsamer wurden und er gänzlich stehen blieb. Es dämmerte bereits und nur wenige Laternen boten kleine beleuchtete Inseln im dichter werdenden Meer der Dunkelheit. Kurz verharrte der Quintilier und lauschte dem Strom, der der ewigen Stadt Leben spendete. Im Grunde genommen war der Tiber eine ekelhafte Brühe, zumindest flussabwärts dieses riesigen, stinkenden Molochs. Doch oberhalb der Stadt, wo er flussaufwärts immer schmaler und idyllischer wird, dort trifft zu was die Poeten niederschreiben. Wie dem auch war, Sermo riss sich los vom Anblick des fließenden Brackwassers und ging weiter, betrat die Insel inmitten des Flusses. Dort bog er nach rechts ab und beschritt die Straße, die auf den Faunustempel zuführte. Vor diesem Bauwerk angelangt musste er sich nicht lange umsehen, bis er das neuwertig glänzende Schild gefunden hatte.
"Irem. Taberna homeritica. Hab ich dich," murmelte er zu sich selbst, warf noch einen Blick über die Schulter und steuerte auf das exotische Lokal zu, vorbei an einer verhangenen Sänfte, die von einer Schar dunkelhäutiger Sklaven fortbewegt wurde.
Verhaltenen Schrittes betrat er das arabische Gasthaus und hielt augenblicklich inne, als er von den vielen Reizen überflutet wurde. Ein für ihn unbestimmbarer Geruch entsprang den Schalen zu seinen Seiten und umwehte ihn dunstartig. Er sog ihn tief ein, genoss die Würze, die darin lag, und atmete - sich auf diese Weise selbst beruhigend - wieder aus. Sein Blick wanderte umher, nahm etliche Details auf. Einen solchen Ort hatte er noch nie betreten. Zwar waren ihm gewisse Besonderheiten ausländischer Tabernae bekannt. Er erinnerte sich mit Freuden zum Beispiel an eine syrische Schänke auf der rechten Tiberseite. Doch ein derartig fremdländisch wirkendes Lokal hatte er lange nicht gesehen. Überall sprangen ihm farbenfrohe Wandbehänge, exotische Verzierungen an Tischen, Pfeilern oder Türen ins Auge. Einziger 'normaler' Einfluss schienen hier die Gäste zu sein. Bona dea, der ganze Schankraum war voll von Römern der Oberschicht!
Bevor Sermo seinen Blick weiter umherschweifen lassen konnte, zog eine junge Frau die Aufmerksamkeit vollends auf sich. Der Quintilier war sofort hin und weg von dieser orientalischen Schönheit! - die im übrigen auch Serapio zuvor begrüßt hatte. Ihr Körper war nicht zu vergleichen mit den vielen fremdländischen Lupae, die Sermo gelegentlich Vergnügen bereiteten. Nein, diese Augenwonne wirkte zunächst völlig unnahbar. Schleier umrahmten ihre zierlichen Züge und ihre Augen schlugen den jungen Mann dann unwiederbringlich in ihren Bann. "Guten Abend werrterr Herr. Willkommen im Irrem. Bittesehrr, was kann ich fürr dich tun?"
Was sie für ihn tun konnte? Oh, daran wollte Sermo in diesem Moment nicht einmal denken! Er schüttelte jene lüsternen Gedanken ab, brachte seine Triebe unter Kontrolle. "Einer deiner Gäste erwartet mich." Sein Blick war ungebrochen auf ihre Augen gerichtet, in denen er zu versinken drohte. Ihre Antwort riss ihn zurück ins hier und jetzt. "Einerr meinerr Gäste? Zu wem darrf ich dich führren?"
Am liebsten in dein Schlafzimmer, wollte er seine Gedanken aussprechen, doch er unterließ es. Vielmehr ließ er seinen Blick schweifen und entdeckte den dunkelhaarigen Schopf halb versteckt in einer Sitzecke im hinteren Teil des Raums. "Ich glaube zu diesem jungen Mann dort." Sermo deutete in die entsprechende Richtung und ließ sich anschließend dorthin führen. Während die 'Wüstenprinzessin' vorausging, heftete der Folgende seinen Blick lüstern auf ihren aufreizend wackelnden Po. Venus hilf! Was für ein Feger!" Sermos innere Stimme wollte schreien, doch nach außen konnte er das kalte Gesicht wahren.
Er hatte das trainiert. Stundenlang hatte war er durch die Stadt gelaufen, hatte sich Leute angesehen, Geschehnisse beobachetet. Und immer hatte er das kalte Gesicht aufgesetzt, völliges Desinteresse heuchelnd. Solange, bis er es irgendwann beinahe reflexartig beherrschte.
Dann endlich war der Tisch erreicht, an den die junge Orientalin ihn geführt hatte. Er dankte ihr mit einen freundlichen Nicken, worauf sie mit einem Lächeln antwortete. Dann begrüßte er seinen Gastgeber dieses Abends. Er streckte ihm die Hand hin in der Erwartung, dass dieser - wie selbstverständlich - zur seiner Begrüßung sich erheben und ihn willkommen heißen würde. "Sei mir gegrüßt, Faustus Decimus. Schön dich wiederzusehen." Er floskelte natürlich zu beginn professionell herum. Denn er konnte nicht recht behaupten, dass es schön war diesen Mann zu treffen. Nein, schön war nicht die richtige Bezeichnung. Viel eher war es...aufregend. Oder besser zumindest nicht uninteressant. Immerhin schien dieser Mann ebenfalls ein gewisses Interesse an Sermos Person zu haben, oder ihn zumindest irgendwie sympathisch zu finden. Denn wieso sonst hätte er ihn wohl - als Entschuldigung für jene gewisse Nacht! - zur Cena auf die Tiberinsel eingeladen?! Ein feines Lächeln manifestierte sich in Sermos Zügen, welche geheimnisvoll von den spärlich leuchtenden Öllampen beschienen wurden. Deren Schein fiel auch auf des Quintiliers Kleidung, die er wie immer sorgfältig ausgewählt hatte - denn er war ein sehr eitler Mensch, der auf seine Erscheinung größten Wert legte. Heute Abend trug er eine rubinrote Tunika, deren Kragen und Saum von khakifarbenen Wirbelmustern geziert war. Als Mitglied des Ordo Equester trug er selbstverständlich den angustus clavus. Sein linker Ringfinger war mit dem Siegelring der Gens Quintilia besetzt, dem einzigen Ring den Sermo besaß. Über der Tunika trug er - der winterlichen Witterung angepasst - einen schlichten grauen Mantel. Seine Füße steckten in hohen gefütterten Schuhen. Insgeheim gab Sermo es ja zu: Er war kein Kind der Kälte und auch keiner, der sich dieser gern aussetzte. Manch einer würde ihn wohl als Weichei bezeichnen. Aber er sah das nicht so. Er war einfach nur schlau genug, sich ausreichend gegen Kälte und Krankheit zu schützen und sich aus unangenehmen (Wetter-)Lagen herauszuhalten, soweit möglich.
Wie dem auch war, zurück zur Taberna homeritica. Jedenfalls gefiel dem Quintilier dieser Ort auf Anhieb. Er war gespannt, wie der Abend verlaufen würde. Und wie dieser Urbaner außerhalb seiner Castra drauf war...