Beiträge von Marei

    Ja, so würde es Servianus machen. Der Brief würde Licinus erreichen. Marei strich über die unter ihre palla verborgenen Puppen. "Ein Opfer? Hier?" Schnell klappte sie die Lippen zusammen, schlimm, dass sie auch immer drauflos plapperte ohne vorher nachzudenken. "Eine gute Idee. Darf ich dabei sein? Ich kenne Licinus ganz gut, finde ich. Und er ist nett und er hat immer Honigkirschen parat." Sie vermisste ihn. Und Esquilina am meisten, weil sie mit dieser vieles bereden konnte. Aber Esquilina war nicht hier. Mhm, vielleicht sollte sie überlegen sich mit den Kindern die mit ihren Eltern rechts und links der Bäckerei wohnten, anfreunden? Marei machte große Augen. Räucherwerk? Seltsam! Sie zuckte ahnungslos mit den Schultern. "Mhm.. den Duft an die Therme verkaufen? Oder die Vorratskammer ausräuchern, damit die Mäuse fernbleiben?" Sie trat vom Tisch zurück und beobachtete aufmerksam Servianus Bewegungen.

    Servius war einverstanden mit ihnen auf den Markt zu gehen und sprach wieder vom Essen. Was für ein Sprung: von Plätzchen zu Fleischspießen. Den Keks, den sie für Lucilla aus ihrer Schürze herausgesucht hatte, verzehrte sie letztendlich selber. Lucilla schien mit Servius ihren Spaß zu haben. Marei nahm ohne große Worte die leeren Becher und stellte sie in der Küche auf den Küchentisch. Eiligst ging das Mädchen nach oben auf ihr Zimmer, nahm die bunte Tasche aus dem Regal und hängte sie sich um. Sorgsam verstaute sie die Puppen Nina und Lucia und rannte die Treppe hinunter. Kurz vor dem atrium machte sie Halt und hängte die Schürze an ihren Platz. Das hieß an den Nagel in der Backstube neben Lucillas Schürze. Den Gedanken, ob sie die Plätzchen für unterwegs mitnehmen sollte, schüttelte sie ab. Servius hatte erwähnt, dass es etwas zu Essen geben würde. Marei wollte ins atrium hinaustreten, da sah sie, wie innig nah sich die Großen im Moment waren. Ein schneller Schritt zurück, verhinderte ein Stören dieses Momentes und sie stand im Schatten. Mama Frija und Papa Baldemar hatten ihre Schäkerei verbergen müssen, auch wenn die Herrin wusste, dass sie ein Paar waren. Hier dagegen war niemand da der dies verbot. Stumm sah sie zu und beschloß zu warten, bis man sie rief.

    "Boah.. ein Nachtstuhl?" Der Mann vor ihr musste reich sein! Sobald er die Tür freigab, schlüpfte Marei durch und sauste zum Ziel ihres derzeit aktuellsten und dringendsten Bedürfnisses. Die Kammer war schnell gefunden und musste von ihr noch betreten werden. Marei musterte das Innere... es sah ziemlich eng aus. Und klein. Und dunkel. Sie riss sich zusammen, bemüht dieses angstmachende um sie herum auzublenden. Nun musste sie nur sich entledigen. Und Servianus schien mit Suchen beschäftigt zu sein. Irgendwie aber war es angenehm drin und drauf zu sitzen... denn sie wurde immerhin ihr Bedürfnis los. Puh! Sie wischte mit der einen Hand die Kapuze ihrer palla von ihrem Kopf während sie hinaustrat. "Ihn dir geben. Danke, das ist nett von dir." stimmte sie zu und entzog den vierfachen Puppenhänden unter ihrer palla den zusammengerollten papyrus. Die Rolle war ein bisschen eingedrückt, aber das war nicht schlimm. "Mit einer Kerze hantieren, damit ich ihn mit Wachs versiegeln kann, darf ich nicht. Deshalb habe ich ihn nicht verschlossen und darum rollt er sich immer wieder auf." erklärte sie noch und betrachtete die Ansammlung auf dem Tisch. "Was hast du vor?" Die typische Amphore für Wein erkannte sie sofort, aber das andere Zeug, von dem ein seltsamer Duft aufstieg, kannte sie nicht. Neugierig trat sie näher und schnupperte. "Das riecht voll gut!" entfuhr es ihren Lippen.



    An
    Primus Pilus Marcus Iulius Licinus - Legio Prima Traiana Pia Fidelis


    Lieber Licinus!
    Hiermit schreibt dir Marei. Es war sehr seltsam, zu hören, dass die Legion auszieht und die Castra verlässt. Servianus ist in die Bäckerei gekommen, um davon zu berichten. Ganz schnell sind die Bäckerin Lucilla und ich zur Straße nach Norden aufgebrochen, um Servius zu suchen und ihm 'Auf Wiedersehen' zu sagen. Ihm hab ich einen Korb voller Plätzchen mitgegeben mit der Bitte auch an dich und Cimon und die Zieheltern Stückchen abzugeben. Er hat nicht gesagt, ob er es auch tatsächlich macht. Du wunderst dich sicher, warum ich plötzlich von einer Bäckerei und einer Bäckerin schrebe. Der Legat, dominus Ursus, hat von meinem innersten Wunsch erfahren, nämlich in einen anderen Haushalt zu wechseln. Ich habe die Bäckerin Lucilla beim Markttag auf dem Forum der Castra kennengelernt und mit ihr ihren Verlobten Servius Obsidius, er dient bei der I. Turma. Die beiden sind unglaublich nett und wenn sie sich küssen, dann gucke ich immer weg, obwohl zuschauen ist bestimmt nicht schlimm. Ich durfte noch am selben Tag aus dem praetorium ausziehen und das Kastell verlassen. Nur von Papa Baldemar habe ich mich verabschiedet, denn Mama Frija und Cimon waren nicht da. Seit ziemlich kurzem wohne ich nicht mehr unter Soldaten und muß keine Angst mehr vor einem zweiten Lux haben. Auch die Zeit in der Küche des praetorium unter den strengen Augen der Köchin und ihres Neffen scheint zu einer anderen Zeit zu gehören, es ist wie schlimm geträumt. Esquilina muss unbedingt nach Mantua in die Casa Obsidia zu Besuch kommen, ich würde mich riesig freuen. Servius hat mir eine Puppe geschenkt, sie heißt Lucia. Ich glaube, sie würde gut zu Esquilinas Puppe passen. Ich habe nur dieses eine papyrus, um von mir lesen zu lassen. Lange habe ich überlegt, wie ich ihn dir zukommen lassen kann und mir ist Servianus in der Fuchstanzstraße eingefallen. Bitte gib Esquilina Bescheid, ich denke ganz fest an sie. Und bitte bring alle heil nach Mantua zurück!

    "Mam hat etwas genommen, was die Leute 'Opium' nennen. Um unser Zimmer zu bezahlen, hat sie Männer zu uns nach Hause eingeladen und wenn die da waren, hat sie mir vorher heiße Milch mit einem seltsamen Geschmack zu trinken gegeben, von der ich fürchterlich müde wurde. So hab ich nie mitbekommen, was die Männer mit ihr taten. Sie war danach immer sehr traurig und wollte alleine sein." erzählte Marei mit leiser Stimme und wurde weitere Tränen los. Vielleicht verstand die Ältere, dass sie unter soetwas wie Verlustangst litt. Ebenso hatte sie sich noch nie damit beschäftigt, wer ihr leiblicher Vater war. "Irgendwann kam einer der Männer und hat gesagt, dass er mehr Geld für unser Zimmer haben will. Sie musste ihm von da an all ihr Geld geben was sie von den Männern bekam. Es reichte nicht immer..." Marei hob ihre Puppe von den Knien und drückte sie an ihre Brust. "Anfangs war es schwer bei den Herrschaften, weil die mich von der Milch entwöhnen mussten. Trotzdem haben sie mich behalten und in die Küche geschickt." Dass sie die Schule besucht hatte, wusste Lucilla von der Begegnung auf dem Kastellmarkt. Die begonnene und nie beendete Gärtnerlehre würde sie später erwähnen. Es war der erste Abend ohne Servius unterm Dach.


    Nein, ich bin nicht sauer. lautete Lucillas Antwort. Und trotzdem wäre sie sauer, wenn sie es verraten hätte? Verwirrt sah Marei sie aus ihren vom Weinen geröteten Augen an. Was denn nun? Hm.. war es das früher wissen? Dass sie beide nichts vom bevorstehenden Auszug der Legion gewusst hatten? Sicher, sie hatten viele Kunden in der Bäckerei gehabt, aber hatten jene in Klatsch- und Tratschlaune erwähnt, dass die Soldaten die Stadt verlassen würden? Marei nickte stumm und lauschte Lucillas leiser gewordenem Stimmenhauch, die ihre Ohrmuschel kitzelte. "Wagenrennen? Boah! Die sollen ziemlich aufregend sein... ich war noch nie bei einem solchen Wettkampf." staunte Marei mit flüsternder und staunender Stimme. "Ich behalt's für mich." schwor sie und ihre braunen Augen funkelten.

    Ein bisschen ängstlich wirkend wartete Marei auf Lucillas Worte und atmete auf. Nicht ringsrum durch die Leute laufen sondern auf einer Stelle verbleiben. Das war ihrem Gefühl nach wirklich besser. "Und wenn's nicht ausreicht hole ich mehr herbei." stimmte Marei zu. Erleichtert übernahm sie den Korb mit den Probierproben und folgte Lucilla, die die Kiste trug, zum Eingangsbereich. Marei stellte sich auf diese und war nun beinahe gleichgroß wie die 'Großen', auch das sorgte für ein gewisses Gefühl der eigenen Sicherheit. "Winkst du mir, wenn du eher als ich fertig bist?" fragte sie die Bäckerin noch und kümmerte sich anschliessend um das Proben verteilen. Sie begegnete einigen aus der Ferne bekannten Soldatengesichtern, darunter die Wachen, die am Tor zum praetorium Dienst schieben mussten. Den übrigen Marktbesuchern schien es gefallen umsonst etwas von Lucillas Backkunst angeboten zu bekommen. Viele Menschen waren um diese Zeit unterwegs und erledigten ihre Besorgungen. Immer wieder schickte Marei potientielle Kunden zum Stand und sah sich nach Lucilla um. Sie bemerkte, dass sie vom vielen Sprechen durstig geworden war. Tapfer schluckte Marei und blickte in den Korb. Es waren nur noch wenige Proben im Korb, sie musste durchhalten, bis sie auch diese verteilt hatte.

    "Puls? Mit Honig?" Marei verzog das Gesicht, es war nicht gerade ihr Leibgericht. Fladenbrote mit Schicken und Oliven dagegen klangen schon besser. Und bei den Oliven durfte man nie vergessen, dass sie einen harten Kern hatten, sonst taten die Zähne weh. "Die Zutaten zu den Fladenbroten klingen gut." Den kleinen Vorratsraum an der Seite von Lucilla begutachtend, hörte sie der Bäckerin aufmerksam zu und zog zum Schluß ihre Hand heraus. "Ich hole ihn, also den Wein und alles andere was du fürs Backen der Fladenbrote brauchst." meinte sie und übergab Lucilla bereitwillig die Puppen Nina und Lucia. Es war ihr in der aurelischen Küche beigebracht worden, dass sie als Kind nichts am Feuer zu suchen hatte. Die Verbrennungsgefahr war einfach zu groß. "Soll ich alles auf den Tisch stellen?" Die Bäckeringesellin ging hinein und las die Beschriftungen an den verschiedensten Krügen und Amphoren ab. Sie hatte den Wein gefunden und atmete erleichtert auf, die Amphoren waren nicht so groß wie 'drüben'. "Die Weinamphoren macht sicherlich Servius auf, oder?" fragte Marei beim Herauskommen aus dem Vorratsraum und verschwand nach drinnen um den Schinken und die abgedeckte Schüssel mit Oliven zu holen. "Hast du zerstoßenes oder gemahlenes Getreide? Oder machst du die Fladenbrote aus Hirse, Gerste und Weizen? Oder bäckst du den Getreidebrei auf Stein?" lautete ihre nächste Frage. Oh, sie hatte viel von der Back- und Kochkunst in der legatischen Küche mitbekommen.

    Die Ältere würde nichts verraten. Das wäre ja auch was, wenn jedermann und -frau erfuhr, dass der Leibwächter der Legatenehefrau nicht rechnen konnte. Zufrieden blickte Marei Lucilla an. "Zusammenzählen? Mhm, ich hoffe einfach mal, die Zahlen werden nicht höher als centus et unus springen." Wieso musste sie schon wieder an einen Frosch denken? Frösche sprangen nicht, sie hüpften! Schade, dass es hier keinen Bach mit Kaulquappen gab. Durch die Leute laufen und das Gebäck verkaufen? Das hieß, dass sie die Marktbesucher auf sich aufmerksam und mit denen sprechen musste? Sowas hatte sie noch nie gemacht. Zumal der Großteil der Besucher auch Soldaten waren von denen jeder ein zweiter Lux sein konnte. In den ersten Sekunden an sich zweifelnd blickte sie auf die bunte Tasche mit Puppe Nina hinunter. "Mhm.. ich kann es zumindenst versuchen. Ja, kleine Proben schneiden zum Probieren ist gut." Sie blickte auf den Eingangsbereich der nicht weit weg war. Hinter Marei's Stirn arbeitete es. "Ich stell mich da unten hin, gebe ihnen die Proben und schicke sie bei Interesse zu dir rüber. Wenn ich mich auf die Kiste stelle, dann kannst du mich immer sehen..." schlug sie die Randbedingungen zum ''schneller-verkaufen' vor.

    Immer wieder wanderte Mareis Hand über Puppe Ninas helle Haare. Wenigstens die war noch bei ihr. Sie würde gut aufpassen, nicht auch diese zu verlieren, auch wenn es 'nur' eine Puppe war. Allerdings hatte Puppe Nina neuerdings Puppe Lucia als Gesellschafterin. Irgendwie gemein das ganze. Jeder um sie herum hatte wen anders nur sie nicht. Ja, wäre Esquilina hier, dann wäre sie nicht allein. Oh verflixt, ihre allerbeste Freundin wusste noch gar nicht wo sie jetzt wohnte. Schniefend zog sie die Nase hoch und zuckte schreckhaft zusammen, als Lucilla so unvermittelt vor ihr auftauchte. Sie hatte in ihrem Kummer gar nicht mitbekommen, dass die Bäckerin zu ihr gekommen war. Mit klopfendem Herzen lehnte sie ihren Kopf, der vom vielen Weinen schmerzte, gegen Lucillas streichelnde Hand. "Die 'Großen' müssen einfach allesamt zurückkommen, gell?" Ein weiterer leiser Seufzer entwich ihren Lippen. "Ja, er hat dreimal gesagt, er wird zurückkommen, also der Servius."


    Marei sah Lucilla an, sie hatte noch gar nicht nachgedacht, was das füre ihre Zukunft bedeuten würde. Das verratene Geheimnis und der plötzliche Abschied standen in ihren Gedanken im Vordergrund. "Er hat gesagt, wenn er zurückkommt., dass ich frei sein werde, also dass ich keine Sklavin mehr sein werde." Jetzt musste sie an ihre leibliche Mam denken. Marei versuchte die Tränen zurückzuhalten. "Weißt du, ich war schon von Geburt an frei, aber meine Mam, die hat entschieden, dass sie mich an den Sklavenhändler verkauft und der hat mich an die Flavier versteigert. Da war ich fünf Lenze jung." Ein neuerlicher Seufzer flog über ihre Lippen. "Und die haben mich dann als lebendes Hochzeitsgeschenk an die Aurelier weitergegeben. Seitdem musste ich von Anfang an in deren Küche arbeiten." Sie würde der Älteren alles weitere erzählen, wenn sie innerlich dazu bereit war. Mühsam schob sie die Gedanken beiseite. "Bist du sauer auf mich?" fragte sie mit bangem Blick. "Wegen dem Geheimnis?"

    Die Stunden nach dem Abmarsch der Legion vergingen zähflüssig. Marei entdeckte, dass sie ihre Aufgabe, das Früchtebrot schmieren fortsetzen konnte. Ja, das war eine gute Beschäftigung, um mit geschäftigem Klappern die drückende Stille zu vertreiben. Zuletzt räumte sie alle benutzten Gegenstände sorgsam weg oder stellte es zu dem Stapel der abgespült werden musste. Die zahlreich geschmierten Brote schlug sie in Leinentücher ein, dass die lästigen Fliegen nicht dran kommen würden. Marei trug die Pakete in den Verkaufsraum und verstaute sie bei den unverkauften Broten. Die Tür war immer noch fest verschlossen. Die Aushilfe war nicht da, wahrscheinlich stand diese immer noch mit ihren Freundinnen an der Straße. Der Hocker stand noch da, wo sie ihn abgestellt hatte, damit Lucilla sich setzen konnte. Leise seufzend stellte Marei ihn an seinen Platz zurück und nahm selber drauf Platz. Mit dem Rücken gegen die steinerne Wand lehnend, zog sie auch die Beine hoch. Jetzt konnte sie sich gedanklich dem widmen was Stunden zuvor passiert war. Stumm strich sie über die Haare ihrer Puppe und starrte sie sorgenvoll an. Zum einen machte sie sich Gedanken wegen der Geheimnis-behalten-oder-verraten-Geschichte und zum anderen war sie traurig, dass sie Cimon und ihren Zieheltern nicht mehr begegnet war. Eine fette Träne nach der anderen bahnte sich einen Weg über ihre Wangen. Servius hatte nicht gesagt, ob er die Plätzchen verteilen würde, diese waren ihr einziges Zeichen, dass sie an die Freunde dachte.

    In ihrem Kummer und Gefühlssturm bemerkte sie nicht, dass Servius sie alleine liess. Schniefend zog sie die Nase hoch und wischte sich über die geröteten Augenlider. "Nein.. ist nicht leicht." bestätigte sie Lucillas Worte. Normalerweise liess sie sich nicht so schnell gehen.. aber.. was sollte sie auch machen? Es war einfach zu viel gewesen. "Nicht weit weg von den anderen.. mhm. Der Legat hat gesagt, ich darf immer 'drüben' zu Besuch kommen." erzählte sie schnell. Genau, die castra war 'drüben' und die Bäckerei ist 'hier'. Letzteres war nun ihr neues zu Hause, aber es musste erst zu einem zu Hause werden. Essen gehen? Sie blickte auf die Köpfe der beiden Puppen in ihren Händen hinunter. "Ich habe eigentlich keinen Hunger, aber ich komm mit runter. Aber ja, wo ist Servius denn hin?" Wie sie sich selber kannte, würde der Hunger da sein, wann sie beim Kochen half. Beide Puppen in dem einen Arm tragend und die andere Hand in Lucillas Hand schiebend, verliess sie das neue Zimmer. "Was willst du denn machen? Fladenbrote?" Dazu Eier, Käse, Honig und Obst... oder normales Brot, Schinken, Käse, Eier, Nüsse, Oliven und Pilze. "Oder Getreidebrei (“puls” oder “pulmentum”) aus Dinkel, Wasser, Salz und Fett mit Eier, Käse und Honig?" Dass sie helfen würde, war von vornerein klar. "Hast du mulsum (ein mit Honig gesüßter Most oder Wein) da? Was trinkt ihr?"

    Sie verlor den Halt unter den Füßen, weil Lucilla sie nun doch hochhob. Mit aller Kraft stemmte das kleine Mädchen den geflochtenen Korb hoch. "Den Korb, den musst du mitnehmen... da sind deine Lieblingskekse drin." Bittend sah sie den Soldaten an. "Gibst du dem primus pilus und auch Baldemar und Frija und Cimon etwas ab? Wir haben sie nicht gesehen." Servius sagte etwas wichtiges, wenn er zurück kam würde sie frei sein? Ihr Herz klopfte ganz schnell. "Toll!" Schnell erwiderte sie seine Umarmung und klopfte dem Hengst den Hals. "Pass auf ihn auf, Candidus, ja?"


    Lucilla liess sie wieder runter. Sofort fasste Marei nach ihrer Hand und sah zu Servius auf. War es das Pferd, dass nicht wollte, dass die beiden Großen sich berührten oder war es die Menschenmenge? Servius sah zornig aus und wiederholte mehrmals, dass er zurückkommen würde. Hoffentlich. "Vale, Servius." Marei hob die Hand, die Puppe Nina hielt und winkte ihm gemeinsam mit ihr nach.


    Die Bäckerin unterdessen war still geworden. Marei folgte ihr an ihrer Hand gehend aus der Menschenmenge hinterher. Dann wurde sie von ihr umarmt und festgehalten. Mit einiger Verzögerung strich Marei über Lucillas Haare auf und ab, das war das einzige was ihr zum Trost einfiel. Und sie musste auch noch wieder gut machen, dass sie ein Geheimnis behalten hatte. Marei hielt Puppe Nina noch fester, während sie zurückgingen.

    Wenn sie von Servius enttäuschten Gedanken wüsste, würde sie antworten: Dochdochdoch, ich mag Pferde, sehr sogar. "Das ist schön, wenn er merkt, dass du traurig bist." Sie versuchte sich einen stupsenden Hengst vorzustellen, aber sowas musste sie mit eigenen Augen sehen. Das Grinsen über die Kekse, die er für sich allein beanspruchte konnte sie nicht unterdrücken."Achsoooo.... ist das. Die Honigkekse sollen also allein für die Bäckerei reserviert werden, ja?" Ihr Keks verschwand im Mund und wenig später zerkaut im Magen. "Ich bin gespannt wie dieselben Plätzchen mit Nüssen schmecken." Wahrscheinlich total anders. Und wenn die nichts taugten, dann mussten sie weiterhin nach einem Ersatz für die Dinkelkekse suchen. "Hmmm.. vielleicht sollten wir noch probieren.. mit... Feigen oder Äpfeln?" Ihr Grinsen vertiefte sich zu einem amüsierten Schmunzeln. "Oha.. ein sich beschwerender Hengst in der ersten Legion.. wo gibts denn sonst sowas?!?" neckte sie ihn. Lucilla kam zu ihnen heraus. "Servius hat keine so große Ration wie ich." wandte Marei ein und fischte einen von ihren Keksen für Lucilla heraus. Servius sollte die Frage nach dem männlichen Namen selber beantworten, sie hielt mucksmäuschenstill. Marei stand von der Bank auf, um für die Bäckerin Platz auf der Bank zu machen. "Jaa.. gehen wir auf den Markt... es hat heute noch nicht geregnet." Natürlich mussten die bunte Tasche und die beiden Puppen auch dabei sein.

    "Hengste. Stuten. Fohlen." Somit hatte sie die ganze Pferdefamilie zusammen. "Du schnalzt mit der Zunge und tust noch viel mehr, damit es dir gehorcht? Boah.. was ist wenn du müde oder traurig bist? Was tut Candidus dann?" Sie verzog das Gesicht, als sie hörte, was der Hengst zu essen bekam. Das war ja eklig. Nein, in ihrem nächsten Leben wollte sie ganz sicher kein Pferd sein. "Mal sehen, an welchem Mittag ich es schaffe, vielleicht dann wenn Lucilla wenig zu tun hat und mir erlaubt 'rüber' zu gehen." Abermals beugte sich Servius zu ihr und flüsterte mit leiser Stimme. Marei nahm es äußerlich gelassen hin, aber innerlich stieg das Mißtrauen über soviel Vertrautheit. Noch wußten der Soldat und die Bäckerin nicht was ihr widerfahren war. Und noch hatte sie nicht entschieden, ob sie ihnen davon erzählen sollte. Lucillas Verlobter war nett und freundlich. Dennoch hatte sie beim Einzug ins Haus damit zu kämpfen gehabt alleine mit Servius ihr Zimmer zu besichtigen. Der Weg mit ihm hierher war was ganz anderes gewesen, da war sie gefühlsmässig total durcheinander gewesen. Mit ihm in den Stall gehen und sein Pferd zu füttern? Im Stall wohnten Pferde, um die sich viele Menschen kümmerten... ganz alleine würden sie sicherlich nicht sein. "Ja." sagte sie schlicht nicht weiter auf seinen Vorschlag, was sie sagen sollte, eingehend. Sie bemühte sich auf die Plätzchen zu konzentrieren und möglichst unbefangen zu wirken. Marei biß ein kleines Stückchen ab. "Warum nicht verkaufen, Servius? Schmecken sie dir nicht? Die lustigen Hörnchen und die löchrigen Kringeln sind sehr gefragt, nur die Dinkelkekse nicht. Für die müssen wir uns etwas Neues überlegen, deshalb meine Idee mit gehackten Nüssen."

    Sie war nicht minder enttäuscht, als die Bäckerin sagte, dass die Soldaten schon vorbei wären. "Och menno..." maulte sie leise in sich hinein. Nun begann Lucilla richtig zu weinen. Hilflos sah Marei zu ihr auf und mit sichtlich betroffener Miene auf Puppe Ninas blonden Schopf hinunter. Und nu? "Ich.. woher... er hat gesagt, dass es ein Geheimnis sei und ich dürfe es nicht weitersagen.. nicht mal dir." versuchte sie ihr vorab-Bescheid-wissen zu erklären. Marei biß sich so auf die Lippen, dass es wehtat. Sie machte Lucilla noch mehr traurig, das hatte sie nun davon. Nun traute sich die Bäckergesellin nicht mehr aufzusehen und liess sich mitziehen. Die ältere legte ein ganz schönes Mitziehtempo vor, oftmals war sie nahe dran zu stolpern und zu fallen. Dennoch schaffte es sich zu fangen und ganz wichtig, Lucillas Hand nicht zu loszulassen. Die Leute vor ihr verschwanden und gaben eine unverstellte Sicht auf Pferdeleiber frei. Marei schnappte atemlos nach Luft und riss die Augen auf. Hier vorn war es viel lauter und das Beben unter den Füßen um so beeindruckender. "Servius! Nun haben wir dich..." Sie hatte noch mehr Wörter auf der Zunge liegen, aber sie wollten nicht aus ihrem Mund. Marei löste ihre Hand von Lucillas Hand und legte sie an den Henkel des Korbes voller Plätzchen.

    Traurig suchte sie Lucillas Blick, als diese meinte, dass die Soldaten schon vorbei sein mussten. Als kleinste Person unter Zuschauern sah sie nichts was vorne am Rand sich zutrug."Sind das die Fußsoldaten, die du siehst?" fragte sie deshalb nach. Marei fühlte sich gut aufgehoben bei Lucilla. Sie fühlte sich beschützt und geborgen. Fest hielt sie die Hand der Bäckerin und mit der anderen Hand hielt sie ihre Puppe Nina. Immer stärker wurde das Beben unter den Füßen, sie schob sich instinktiv dichter an die Bäckerin. Jetzt fiel ihr das Geheimnis ein, welches sie von Servius erhalten hatte. Musste sie das Geheimnis nun verraten? Was passierte wenn sie Geheimnisse verriet? Es schien ganz so, als musste sie es verraten, wenn sie die Miene der Bäckerin nicht länger traurig sehen mochte. "Lucilla, Servius läuft nicht, er sitzt auf seinem Hengst.. auf Candidus." gab sie leise aber gut hörbar für die ältere Frau kund. Über all dem Lärm rief jemand dreimal das gleiche Wort. Marei wandte den Kopf und ärgerte sich wieder einmal darüber, dass sie so klein war. Fest biss sie sich auf die Lippen und hielt sich dicht bei der Bäckerin.

    "Hengst ist Mann. Stute ist Frau." fasste Marei das soeben gehörte simpel zusammen und trank einen Schluck. Irgendwoher mussten die Pferde ja herkommen. seltsamer waren die meisten schon groß und überhaupt nicht klein. "Kriegen die wie bei den Menschen Kinder? Wie heißen Pferdekinder?" Sie versuchte sich vorzustellen was Servius übte. Bisher hatte sie immer nur den Soldaten zugesehen, die marschieren übten, aber nie den Reitern. Das musste sich schleungist ändern, wenn sie ihre Neugierde stillen wollte. "Wenn du gar nicht mit Candidus sprichst wie hört er dich denn dann? Versteht ihr euch gut?" Noch ein Schluck aus dem Trinkbecher bevor sie antwortete. "Ich weiss nicht, vielleicht sind die gar nicht da wenn ich zu Besuch komme. Die Herrin entscheidet immer spontan was sie den Tag über macht. Mhmm.. wenn sie nicht da sind kann ich immer noch den Stall besuchen." Da roch es, abgesehen von den Pferdeäpfeln, nach Heu und Stroh. "Wann vesorgst du Candidus denn im Stall? Dann komm ich um die Zeit rüber. Oder soll ich zum Exerzierplatz kommen und zugucken?" Natürlich würde sie heimlich zugucken müssen, sie durfte nicht stören und schon gar nicht ablenken. Sie griff in ihre Schürze, förderte einen Stoffbeutel zutage und schlug die Ecken auseinander: Plätzchen in Halbmondform. "Das sind Kekse mit Honiggeschmack. Lucilla weiss nicht ob sie die verkaufen soll oder nicht. Wir sind die ersten die diese probieren." Sie reichte Servius eines. "Wenn die gar nicht schmecken müssen wir was anderes finden.. vielleicht Plätzchen mit gehackten Walnüssen??"

    So schnell wie die Tür sich öffnete, das hatte sie gar nicht erwartet. Erschrocken sah sie nach oben und machte sich auf eine Standpauke gefasst. Aber von wegen Standpauke. Die großen Augen und ungläubige Miene waren gut in Servianus nicht minder überraschtem Gesicht abzulesen. Was sie wollte? "Dich besuchen und..." Mannomann war das peinlich, sie bemühte sich sichtlich ihr wachsendes Bedürfnis einzuhalten. ".. für kleine Mädchen einen Eimer finden. Ich muss mal...." flüsterte sie verschämt und merkte wie sie rot wurde. "Nein, nein.. es ist nichts passiert.. ehm.. also... ich hätte Post für Licinus. Nur weiss ich nicht, wie ich die ihm übermitteln soll, weil..." Mensch, Servianus wusste gar nichts von ihr. "Er ist ja fort... und wie.. erreicht mein Brief ihn denn dann?" Wegen der letzten Frage war sie hier.. und ja.. auch um Neuigkeiten aus Servianus Munde über die ausgezoegene Armee zu erfahren. "Ich möchte dich nicht unnötig aufhalten oder stören... dann frag ich wen anders.." Wen denn? Die gewohnte Erwachsenenwelt war rapide geschrumpft.

    *Tocktocktock* klopfte es an die hölzerne Tür. Marei stand davor und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Was nur hatte sie sich nur dabei gedacht loszugehen ohne vorher das stille Örtchen in der Casa Obsidia aufzusuchen? Nach dem sie nun geklopft hatte war es nun zu spät sich zurückzuziehen. Licinus Adoptivsohn Servianus schien einen guten Schlaf zu haben, die hora quinta am Morgen war schon angebrochen. Seufzend strich sie sich die nassen Haarsträhnen, die ihre Kapuze nicht bedeckt hatten aus dem Gesicht und hob die Hand um noch einmal zu klopfen. *Tocktocktock* Zur Kapuze gehörte eine dunkelgraue Palla, die knapp unter den Kniekehlen endete und wenn man genau hinsah, dann sah man eine ausgebeulte Stelle unter der Palla, wo Mareis Hüfte sein musste. Genau dort saßen Puppe Nina und Puppe Lucia einträchtig in der bunten Tasche und hielten gemeinsam den Brief fest, den sie gestern abend geschrieben hatte. Und wenn Servianus gar nicht da war? Dann stand sie dumm da. Und wie wäre es mit warten?, fragte sie sich selbst. Ungerne würde sie unverrichteter Dinge den Rückzug in den prasselnden Regen antreten. Und den Brief in die Tür klemmen zurücklassen? Nein, das war nichts. Das dringende Bedürfnis wurde immer dringender. "Serviiiiiaaaaannanuuuus..... aufsstteeehheeeennnnn...." Ob dieser Ausruf ihn weckte??

    "Grün.. ja das ist auch ne schöne Farbe.. vor allem im Winter, wenn die Bäume allesamt kahl sind. Draußen vor den Toren da gibt es dunkle Wälder und deren Bäume sind ganzganzganzganz dunkelgrün, beinahe schwarz." Brrrbbrrrr... bei soviel dunkelgrün bekam man Gänsehaut pur. Lucillas Arme umschlangen sie. Wie vorhin bei der Annahme von Servius Hand brauchte sie ein paar Momente des Nachdenkens, um sich für eine Reaktion zu entscheiden. Tief vergrub sie ihr Gesicht in Lucillas Oberteil und liess die mit großer Mühe zurückgehaltenen Tränen endlich über ihre Wangen rollen. Sie wurde mit den Tränen viel Kummer los. Besonders die knurrige Trennung von Papa Baldemar und das nicht mehr sehen von Mama Frija tat weh. Auch ihren dunklen Freund Cimon hatte sie nicht mehr gesehen, alles war auf einmal so schnell gegangen. "Entschuldigung..." schniefte Marei leise.

    Die Frage nach dem 'Woher alles wissen' ging unter, sie liess Lucillas Hand zögernd los und trat mit dem rechten Fuß voran in ihr neues cubiculum ein. Das erste was sie bemerkte war der holzige Geruch... von frischem Holz. Sie erblickte eine Kiste, Tisch, Stuhl und ein Regal. "Boah.. sind das viele Möbel. Ich hatte drüben, eine Schlafstatt, ein Brett und eine Waschschüssel. Die hat mir Cimon besorgt." Armer dunkler Löwe, er hatte niemanden mehr zum Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Schnell wischte sie sich über die Augen. Ihre Augen wanderten zuletzt zum Bett, wo die Kleidungsbeutel lagen. Zu letztgenanntem Möbelstück trat sie näher und fand auf der Bettdecke eine liegende Puppe. "Eine Puppe? Wie schön." Ohweh, Puppe Nina schien nicht so begeistert von der plötzlichen Konkurrentin um die Puppenmuttiliebe zu sein. Marei setzte sich aufs Bett und nahm die neue Puppe in die Hand, um sie von allen Seiten zu betrachten. Braune Haare, braune Augen, eine sandfarbene Tunika. "Lucia.. ja.. das passt." murmelte sie und nahm beide Puppen auf je einen Arm. Mit ihnen zusammen ging sie zu Lucilla udn Servius'. "Es ist total schön hier." Verräterisch feucht schimmerten ihre Augen, ob vor Rührung, Freude oder Trauer, die Gefühle wirbelten allesamt durcheinander im Inneren des kleinen 'Wirbelwindes' Marei.