Beiträge von Germanica Laevina

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    Quadrata



    Dieser Tage war das Leben in der Casa Germanica für Quadrata eher langweilig, denn ihre Herrin hatte ihren ganzen Ehrgeiz in das Projekt gelegt, ihrer Großnichte Calvena zumindest ein Minimum an Webkünsten beizubringen. Ein eher unerquickliches Unterfangen, nach allem, was Quadrate da bislang hatte sehen können...
    Ob da jemand draussen vor der Porta stand? Ein wirkliches Klopfen hatte die alte Sklavin nicht gehört, aber ihr ausgezeichnetes Gehör war in der Lage, sogar durch geschlossene Türen Lebenszeichen wahrzunehmen.
    Misstrauisch öffnete sie die Tür einen spaltbreit und siehe da: ein Jungspund stand davor, der sie auch sofort und übergangslos mit seinem Anliegen überfiel.


    "Einen Augenblick bitte, ich werde nachsehen, ob dominus Sedulus für dich zu sprechen ist." sagte sie würdevoll und schloss die Tür wieder, bevor sie sich auf den Weg zum Büro des Senators machte.

    "Ob ich dir beibringen kann, wie man konstruktive Gespräche führt?" fragte Laevina amüsiert. "Und ob ich das kann, ich glaube kaum, dass es in dieser Familie jemanden gibt, der das besser beherrscht als ich"
    Die alte Germanica war sich ganz und gar nicht sicher, ob ihr junger Verwandter wirklich bei der Sache und überhaupt schon alt genug war, um sich in dieses Thema hinzeinzudenken. Aber schließlich konte man mit derartigen Dingen gar nicht früh genug anfangen!


    "Nun, zuallererst solltest du dir vor jedem Gespräch, egal mit wem, überlegen, auf welches Ziel du hinarbeiten willst. Wenn du dir darüber im Klaren bist, dann denkst du darüber nach, auf welche Weise du es am besten erreichen kannst. Und das hängt natürlich zu einem großen Teil auch von deinem jeweiligen Gesprächspartner ab. Mit deinem Kindermädchen oder Sabina sprichst du natürlich ganz anders als mit Sedulus oder Avarus, auch wenn du das selbe erreichen willst. Ist das bis hierhin klar?" Laevina sah den Jungen abwartend an und überlegte derweil, ob sich im Haus zur Zeit nicht vielleicht ein geeignetes Versuchskaninchen für den entsprechenden Feldversuch finden ließ.

    Laevina merkte gar nichts davon, dass Calvena wegen der Bemerkung über ihre mehr als reizlose Hochzeitsnacht ein wenig peinlich berührt war. Sie hatte sich nie davor gescheut, bestimmte Dinge beim Namen zu nennen, daher sah sie auch keinen Grund, ausgerechnet beim Thema Hochzeitsnacht eine Ausnahme zu machen. Die meisten jungen Mädchen machten sich entweder völlig überzogene und zu romantische Vorstellungen oder hatten eine Heidenangst vor der ehelichen Vereinigung mit ihren Ehemännern, letzteres natürlich vor allem bei den nach wie vor üblichen Verheiratungen durch die Eltern oder sonstige Familienmitglieder. Laevina konnte sich noch gut an den Gesichtsaudruck ihrer Enkelin erinnern, als sie dieser ihre bevorstehende Hochzeit mit dem zugegebenermaßen nicht allzu anziehenden campanischen Nachbarn angekündigt hatte. Da hätte man der Kleinen vermutlich genauso gut ihre baldige Hinrichtung am Kreuz in Aussicht stellen können...Aber egal, Serrana war es einmal im Leben gelungen, ihre Großmutter zu überraschen und deren ehrgeizige Pläne in Bezug auf einen geeigneten Ehemann sogar noch zu übertreffen.
    Ein Praetorianer und sei es auch bereits ein Centurio bot da schon noch deutlich mehr Platz nach oben...


    "Nun, du solltest nicht den Fehler machen, und alles auf die lange Bank schieben." erklärte Laevina und überlegte dabei, ob sie Calvena schon jetzt ankündigen sollte, dass sie den kompletten Stoff noch einmal würde weben müssen. "Natürlich seid ihr beide noch jung, aber das ist kein Garant für ewiges Leben. Selbst Vindex, die alte Trantüte, hat es geschafft, an einem Hühnerknochen zu ersticken, bevor er dreissig war. Und ein Praetorianer lebt sicher noch ein wenig gefährlicher, als jemand, der kaum den Hintern aus dem Bett bekommen hat. Versteh mich nicht falsch, ich will dir keine Angst machen, aber es ist immer sinnvoll, die Dinge dann zu erledigen sobald sich die Möglichkeit dazu bietet. Und wenn Valerian irgendwann Praetorianer-Präfekt wird, umso besser...."

    Diesmal brauchte der Kleine schon etwas länger, um sich eine sinnvolle Ausrede einfallen zu lassen, aber dafür war sie auch relativ gelungen, naja, zumindest was den zweiten Teil betraf.


    "Saldir wurde einkaufen geschickt?" fragte sie misstrauisch. "Du weisst schon, dass ich das ganz leicht nachprüfen kann, nicht wahr?" Laevina musterte Pius ganz genau und kam dann angesichts seines relativ entspannten Gesichtsausdrucks zu dem Schluss, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Sie schüttelte den Kopf. "Ich fasse es nicht, dass man jemandem Geld anvertraut, der so viel Verstand hat wie eine Steckrübe. Ob im Sklavenquartier eine Seuche ausgebrochen ist?"
    Vor lauter Ärger darüber, dass da offenbar ein Teil der Haushaltsführung ihrer Kontrolle entrissen worden war, wäre Laevina fast die Frage des kleinen Germanicus entgangen, und dabei war die doch durchaus wichtig und zeugte von einem mitdenkenden Geist.


    "Nun, konstruktiv bedeutet nichts anderes als aufbauend oder schöpferisch und du solltest darauf achten, dass möglichst alle deine Gespräche so sind. Das spart nämlich Zeit und Energie und bringt Leute, die unter dir stehen oder deutlich dümmer sind dazu, sich ihren Möglichkeiten entsprechend anzustrengen und sich nach deinem Willen zu richten. Bei Sklaven ist das besonders wichtig, die können nämlich nicht für sich selbst entscheiden und brauchen klare Ansagen, damit alles reibungslos läuft. Erst wenn das klappt, bis du wirklich der Herr im eigenen Haus."

    Laevina musste schon sehr an sich halten, um Calvena das Schiffchen nicht einfach wieder aus den Händen zu reissen. Sicher, das Mädchen gab sich durchaus Mühe, aber vernünftig sah der Stoff immer noch nicht aus. Innerlich seufzte sie auf und beschloss, ihre Großnichte noch ein wenig üben zu lassen. Bis diese ein vernünftiges Stück gewebt hatte, würden vermutlich noch einige Tage ins Land gehen, aber von nichts kam ja bekanntlich auch nichts. Hoffentlich stand dem Praetorianer noch eine glänzende Karriere bevor, damit seine Frau nie in die Verlegenheit kommen würde, ihre Stoffe selbst weben zu müssen...


    "Hm? Wie war was?" fragte sie einen Moment lang verwirrt, da sie in Gedanken immer noch bei der für eine Hochzeit elementaren Erstellung der Tunica Recta war. "Meine Hochzeitsnacht? Die war langweilig, genauso wie der Rest dieser Ehe auch." Ja, traurig aber wahr. Schon in der ersten Nacht mit ihrem frischangetrauten Ehemann hatte Laevina irgendwann angefangen, ungeduldig mit den Fingern auf dem Laken herumzutrommeln. Das dieser Mensch aber auch wirklich niemals aus den Pötten gekommen war... Die Hochzeitsnacht mit Lento war da schon deutlich angenehmer gewesen, allerdings hatte dieser auf diesem Gebiet auch deutlich mehr Initiative und Einfallsreichtum gezeigt als der gute alte Vindex.


    "Anstatt dir Gedanken über dein nächtliches Eheleben zu machen, solltest du lieber anfangen die wirklich wichtigen Dinge eurer gemeinsamen Zukunft zu planen. Wie soll es bei ihm karrieretechnisch vorangehen, wo werdet ihr auf lange Sicht wohnen und so weiter...Jetzt hast du dafür noch Zeit, wenn erstmal die ersten Kinder da sind, dann wird es schwieriger."

    "Ach, die Tür stand also offen? Sehr interessant...." hakte Laevina nach und ihre Augenbraue stieg noch ein Stückchen weiter Richtung Haaransatz. Der raffinierte Exkurs über das nahende Ende des Februarius war für einen derart kleinen Jungen als Ablenkungsmanöver gar nicht so ungeschickt, und hätte bei einer etwas unbedarfteren älteren Dame vermutlich sogar funktioniert.
    Dummerweise kannte Laevina ihre Wirkung auf das Hauspersonal nur zu genau und wusste, dass NIEMAND sich JEMALS aus IRGENDEINEM Grund unaufgefordert in ihre Räumlichkeiten bewegen würde, und diese dämliche Saldir, die in etwa so intelligent war wie ein Schuh aber dafür mit einem gesunden Überlebenswillen gesegnet, schon erst recht nicht. Aber daraus ließ sich ja wunderbar ein kleiner aber feiner Belastungstest für den vorwitzigen Lügenbold stricken...


    "Nun, mein lieber kleiner Freund. Dann sollten wir jetzt direkt gemeinsam zu Saldir gehen und sie zur Rede stellen, weil sie meine Räume einfach offen gelassen hat. So etwas geht natürlich gar nicht, das verstehst du doch? Auf diese Weise kannst du direkt mal was darüber lernen, wie man konstruktive Gespräche mit dem Personal führt. Wollen wir?" Mit einem freundlichen Lächeln und einer ebenso einladenden Geste wies Laevina zur Tür.

    Für Calvenas Tunica recta sah Laevina allmählich schwarz, denn wenn das Mädchen ihr Hochzeitsgewand genauso lappig weben würde, dann würde sich der gute Praetorianer vermutlich ohne größere Anstrengungen mit den Fingern durch den Stoff wühlen können, ohne seine Braut überhaupt entkleiden zu müssen. Dem einen oder anderen ungeduldigen Bräutigam kam ein solches Verfahren vermutlich sogar entgegen, aber schließlich musste man ja auch noch an die Hochzeitsgäste denken. Was sollten die denn nur denken, wenn die Braut in einem Fummel vor ihnen stand, der so nachlässig geknüpft war wie ein Fischernetz? Die alte Germanica seufzte innerlich auf und beschloss, im Notfall auf Plan B zurückzugreifen, natürlich ohne dass das Mädchen etwas davon mitbekam.
    Nach der nächsten Frage starrte sie Calvena allerdings an, als hätte diese sich erkundigt, ob Laevina schon einmal darüber nachgedacht hatte vom Tarpeischen Felsen herunter zu springen.


    "Aufgeregt? Ich? Aber nein?" antwortete sie dann wahrheitsgemäß und unterdrückte ein Kichern bei dem Gedanken daran, dass es vielmehr ihr seliger Ex-Gatte Vindex gewesen war, der sie zu Beginn der Hochzeitsnacht angestarrt hatte wie das Kaninchen die Schlange. Sie selbst hatte sich schon damals keine Illusionen gemacht, da sie ihren späteren Ehemann schon eine geraume Weile gekannt hatte, und war im Nachhinein darüber auch ganz froh gewesen.


    "Es gibt auch wirklich keinen sinnvollen Grund, wegen der ersten Nacht mit deinem Ehemann nervös zu sein." Sie zupfte ein wenig an Calvenas Machwerk herum und versuchte, das eine oder andere noch zu retten und zu richten. "Im schlimmsten Fall wird es ein wenig schmerzhaft, aber du hast ja das Glück einen Mann zu heiraten, den du dir selbst ausgesucht hast, daher wird es dir nicht soviel ausmachen. Mit irgendeinem Wildfremden oder einem alten faltigen Sack in meinem Alter sähe die Sache da schon ganz anders aus." Vermutlich war das nicht ganz die Antwort, die das Mädchen hatte hören wollen, aber für romantische Beschwichtigungen war Laevina nun mal wirklich nicht der Typ. Auch das intime Beisammensein von Mann und Frau nahm man besser erstmal von der praktischen Seite, angenehm überraschen lassen konnte man sich gegebenenfalls später immer noch. Und sollte sich wider Erwarten herausstellen, dass Calvena sich eine totale Pleite ausgesucht hatte, dann konnte Laevina sie immer noch in die Geheimnisse des so überaus angenehmen und praktischen "Uhu-Schlafes" einweihen.

    Laevina hatte nicht die Absicht, es dem kleinen Eindringling leichter zu machen als unbedingt nötig und fixierte ihn mit steinerner Miene und leicht hochgezogener Augenbraue, während er sich seine Entschuldigung zurechtstotterte.
    "Soso....," entgegnete sie dann mit einem Tonfall in der Stimme, der bei den Sklaven des Hauses immer wahre Wunder wirkte. "Das Schneckenhaus ist dir also runtergefallen und in mein Zimmer gepurzelt, und das durch die geschlossene Tür....Alle Achtung, das muss ja ein wahres Genie von Schnecke sein."


    Ohne es sich anmerken zu lassen, war die alte Germanica von der schnellen Reaktionsfähigkeit des Jungen angenehm überrascht. Natürlich war er nervös, aber in ihrer Gegenwart wurde schließlich fast jeder nervös, und das ohne erkennbare Unterschiede zwischen den Alters- und Gesellschaftsklassen. Dass Pius sich nicht von vornherein komplett einschüchtern ließ, war ein durchaus gutes Zeichen und zeugte von starkem Germanicer-Blut. Mal sehen, wie er sich weiter schlagen würde...

    Erstaunlich, aber das Mädchen gab im Unterschied zu sonst tatsächlich keine Widerworte oder versuchte, die vermurkste Bespannung zu rechtfertigen. Angesichts dieser friedlichen Reaktion beschloss auch Laevina ihr Unverständnis angesichts einer derartigen handwerklichen Unbegabtheit ein wenig zu verschleiern und beschränkte sich statt der sonst üblichen Schimpftirade auf ein kurzes Kopfschütteln. Schließlich ging es ja immerhin um eine Tunica recta, und die webte sich nun mal nicht von allein. Die Zeit drängte...


    "Nun denn, egal, wir sollten weitermachen..." Um das Gespräch wieder auf produktivere Dinge als alte Eheerfahrungen zu lenken, wies die alte Germanica jetzt auf das Schiffchen und die Wolle. "Siehst du das hier?" fragte sie mit dem Blick auf das längliche Stück Holz, das oben und unten Aussparungen hatte. "Auf diesem Schiffchen wickelt man die Wolle auf und zwar so, dass das Ende der Wolle am Rand etwas übersteht. Als nächstes musst du das Mittelstück des Webrahmens so drehen, dass sich die Fäden teilen und dann schiebst du das Schiffchen so durch die Fäden, dass der Wollfaden zwischen den gespannten Fäden liegen bleibt." Laevina machte die ersten Handbewegungen vor und sah Calvena dann abwartend an. Ihrer Meinung nach konnte es eigentlich kaum etwas leichteres geben, aber die Erfahrungen der letzten Minuten hatten sie etwas anderes gelehrt.

    Laevina beobachtete jede Handbewegung ihrer jungen Verwandten mit Argusaugen und sah nur kurz überrascht auf, als diese ihr eine höchst ungewöhnliche Frage stellte. Ob sie in einer ihrer Ehe glücklich gewesen war? Was war denn das nun wieder für ein neumodischer Kram? Normalerweise hätte sie Calvena mit einer kurzen Bemerkung abgefertigt, aber da sie aufgrund des doch eher bescheidenen handwerklichen Talents des Mädchens noch geraume Zeit hier zusammen verbringen würden, entschied sich die alte Germanica für etwas mehr Entgegenkommen.


    "Seit wann heiratet man denn, um glücklich zu werden?" fragte mit leicht brummenden Unterton und schüttelte dabei den Kopf. "Aber da du ja nun selbst eine Ehe eingehen wirst, kann ich dir genauso gut auch etwas über meine erzählen." Laevina prüfte kurz mit einem Finger die Spannung des Fadens und fuhr dann fort. "Nimm es mir nicht übel, aber dein Großonkel Vindex war ein Schwachkopf. Ein Mann ohne Ambitionen und jegliches Talent, wenn man vielleicht mal vom Schlafen absieht. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass er mir nach seinem Tod in irgendeiner Weise gefehlt hätte. Aber immerhin habe ich ihm meine beiden Söhne zu verdanken, also will ich nicht undankbar sein." Für eine winzige Sekunde wurde Laevinas Gesicht ein wenig weicher, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
    "Nun ja, und Lentho....." die alte Germanica seufzte kurz auf und sprach dann weiter, "....den hab ich mir selbst ausgesucht, also kann ich auch nicht beschweren. Wir hatten anfangs eine schöne Zeit miteinander, aber nach einer Weile hat sich gezeigt, dass wir unterschiedliche Erwartungen an die Zukunft hatten. So sehr du also auch an deinem Praetorianer hängen magst, stell sicher, dass ihr auch gemeinsame Vorstellungen und Interessen habt. Leidenschaft vergeht früher oder später, Gemeinsamkeiten bleiben." Kaum war sie fertig, da wunderte sich Laevina selbst über ihre ungewohnte Offenheit. Doch bevor sie sich allzuviele Gedanken darüber machen konnte, ruinierte Calvena den fast vollständig bespannten Rahmen doch noch.


    "AAAAAAH! Was machst du denn da bloß?" rief sie entsetzt. "Du kannst doch nicht an dem Faden herumreissen wie an einem Fischernetz.... Lass mich mal, sonst sitzen wir heute nacht noch hier...."


    Ohne auf Calvenas Reaktion zu warten, nahm Laeviana ihr den Faden aus der Hand, löste die zweite Bespannung wieder und begann mit schnellen kundigen Handbewegungen von neuem. Nach kurzer Zeit war sie fertig und präsentierte ihrer Großnichte einen perfekt bespannten Rahmen. "Siehst du? So geht das."

    Da heute zufälligerweise ein Großteil der Familie ausser Haus und damit ausser Sicht- und Hörweite war, war Laevina zu einem ihrer regelmäßigen Kontrollgänge durch die Gänge der Casa aufgebrochen und hatte die Gunst der Stunde für einige Stippvisiten hier und da in den Räumlichkeiten genutzt. Seit ihrem Zusammenstoß mit Calvena im Zimmer des Mädchens ging sie dabei noch vorsichtiger zu Werke und war nie wieder auch nur einer Maus begegnet.
    Besonders aufregend war die Ausbeute des heutigen Tages nicht gewesen, aber das konnte man durchaus auch als positives Zeichen werten, denn schließlich schien kein Mitglied ihrer Familie irgendetwas wichtiges vor ihr geheimzuhalten.
    Gut gelaunt und ein kleines Liedchen summend kehrte Laevina schließlich in ihre Räumlichkeiten zurück und wollte gerade überlegen, wie sie ihr Tagewerk am produktivsten fortsetzen konnte, als ihr Blick an der kleinen Gestalt hängen blieb, die seelenruhig mitten in IHREM Zimmer stand. Den Göttern sei Dank war die alte Germanica noch nie besonders schreckhaft gewesen, und so konnte man auch eher Empörung als Schreck aus ihrem Bellen heraushören.


    "Was machst du in meinem Zimmer? Das kann doch wohl nicht wahr sein!" fauchte sie den kleinen Jungen an.

    Ach herrje, allmählich juckte es Laevina aber doch schon ziemlich stark in den Fingern, Calvena einen kleinen Klapps auf die Knöchel zu geben. Mittlerweile ging das Mädchen zwar schneller vor, aber das doch sehr auf Kosten der Ordnung.


    "He, nicht so schnell." sagte sie streng und zeigte mit dem Finger auf die reichlich unregelmäßig bespannten Reihen. "Das Wichtigste beim Weben ist die Präzision, die Geschwindigkeit kommt irgendwann von ganz allein. Die zweite Bespannung wirst du wieder lösen und noch einmal wiederholen müssen. Schließlich soll das Ganze doch vernünftig aussehen, oder nicht?" Die Frage war natürlich rein rhetorisch, dass man auf einer derart verhunzten Bespannung nicht vernünftig arbeiten konnte, sah ja schließlich jeder Blinde....


    "Ob ich gern webe? Keine Ahnung, darüber habe ich noch nie nachgedacht." antwortete Laevina dann auf Calvenas Frage. "Es erfüllt seinen Zweck, und darum geht es doch bei den meisten Dingen im Leben."

    Besonders schnell war die Kleine ja nicht, aber da Calvena ja zum ersten Mal einen Webrahmen bespannte, übte sich Laevina in Geduld und wartete, bevor sie mit ihren Erklärungen fortfuhr.


    "Nun, leider ist die Vorarbeit noch nicht beendet, denn wir müssen den Rahmen noch ein zweites Mal bespannen. Das geht am besten, in dem du ihn noch einmal rückwärts bespannst, oder aber du schneidest den Faden ab und beginnst noch einmal von vorne. Entscheide dich für eins von beiden, achte aber darauf, dass du ihn nicht zu stramm spannst, denn wir müssen noch ein Mittelstück einlegen."Die alte Germanica warf der jungen einen prüfenden Blick zu, um sich zu vergewissern, dass diese auch alles richtig verstanden hatte und fuhr dann fort.
    "Fang einfach an, ich werde dir nur zuschauen und eingreifen, falls du etwas falsch machen solltest." Sowohl ihrer Tochter als auch ihrer Enkelin hatte Laevina seinerzeit mit einem Stock den einen oder anderen recht schmerzhaften Schlag auf die Finger verpasst, um die Konzentration und Leistungsbereitschaft ein wenig zu fördern. Aber um so kurz vor der Hochzeit ihrer Großnichte keinen weiteren familiären Eklat zu provozieren, beschloss sie, sich ungewohnt milde und großzügig zu zeigen und auf diese durchaus bewährte Methode ausnahmsweise einmal zu verzichten.

    "Serer? Wer soll das denn sein? Von denen habe ich noch nie etwas gehört!" wischte nun auch Laevina die von Romana erwähnte Kultur kurzerhand beiseite. Die Erwägung, dass diese Unkenntnis eventuell mit ihrer insgesamt über die praktischen Dinge des täglichen Lebens kaum hinausgehende Allgemeinbildung zusammenhängen könnte, kam ihr dabei erst gar nicht.


    "Das ist bestimmt so ein ungepflegtes Kameltreiber-Volk, das irgendwo auf einer einsamen Insel hockt und daher auch keinen Kontakt mit ernstzunehmenden Feinden zu befürchten hat." schwadronierte die alte Germanica weiter. "Und überhaupt, wann ist denn schon jemals was vernünftiges aus dem Osten gekommen? Da muss man sich doch nur diese degenerierten Griechen anschauen. Wenn die mal anständig gekämpft hätten, statt sich in ihren Feldlagern gegenseitig zu befummeln, dann hätten sie vielleicht auch langfristig was auf die Beine stellen können. Aber nein, viel Blabla und schöne Worte und nichts dahinter...pah!" Laevina schnaubte verächtlich und warf dann einen sehnsüchtigen Blick auf den Kuchen. Irgendwie bekam sie immer Appetit, wenn sie sich in Rage geredet hatte.


    "Sag mal, geschätzte Claudia, gibt es unter den angebotenen Kuchen einen, den du mir besonders empfehlen kannst? In meinem Alter verträgt man ja nicht mehr soviel, aber allmählich bekomme ich doch Appetit."

    "Fein, dann sollten wir das direkt angehen." Laevina schnippte mit den Fingern, und Quadrata, die geduldig in einer Ecke des Zimmers auf Anweisungen gewartet hatte, wieselte sofort in den Nebenraum und kam nach kurzer Zeit mit einem Webrahmen und Wolle zurück und baute beides vor Laevina auf.


    "Komm her, und setz dich neben mich, dann kann ich es dir besser zeigen." forderte Laevina ihre Großnichte auf und wartete, bis diese mit ihrem Sessel näher an sie herangerückt war.


    "Also pass auf. Siehst du diese Kerben oben und unten am Rahmen?Als erstes müssen wir den Webrahmen bespannen. Dafür bindest du den Faden hier unten links am Rahmen fest, dann ziehst du ihn durch die erste Kerbe unten links nach oben in die erste Kerbe. Hinter der Kerbe legst du den Faden nach rechts in die zweite obere Kerbe und ziehst dann wieder nach unten. Siehst du das? Kinderleicht, wie ich finde..."
    Laevina führte mit kundigen Fingern die ersten Handgriffe durch, dann hielt sie Calvena den Faden hin. "So, und das ganze wiederholst du jetzt, bis der Rahmen einmal bespannt ist."

    Laevinas Finger trommelten nun noch etwas schneller auf dem Marmor herum, und sie unterdrückte nur mit Mühe den Impuls genervt die Augen zu verdrehen. Unfassbar, dieses allgemeine Rumgeschwafel! Offenbar war es mit Rom schon weit gekommen, wenn fünf Erwachsene ihre Zeit damit verschwendeten, über das unleugbare Fehlverhalten eines kleinen Kindes zu diskutieren! Bia zählte sie dabei nicht mit, denn diese war zum einen schließlich nur eine Sklavin und zum anderen war es ihre Aufgabe sich um die Kinder zu kümmern.
    Und jetzt mischte sich auch noch der Praetorianer ein, dabei sollte der doch aus eigener familiärer Erfahrung am besten wissen, wohin mangelnde Erziehung führen konnte.


    "Nun, Valerian, wir alle sind dir natürlich zu Dank für deine Hilfe dankbar, aber der Junge sollte nicht den Eindruck gewinnen, dass immer jemand zu seiner Rettung bereit stehen wird, wenn er sich wieder einmal nicht an die Regeln hält. Und wenn er erst einmal den Eindruck gewonnen hat, dass ein solches Fehlverhalten keine nennenswerten Konsequenzen hat, dann wird sich dieses unweigerlich verschlimmern und den Jungen nicht nur weitere Gefahren bringen, sondern ihn selbst auch zu einer Gefahr für andere machen. Eine verstärkte körperliche Ertüchtigung wäre natürlich eine gute Maßnahme, aber selbstverständlich nur unter permanenter Aufsicht!"


    Bias Einwurf an Aculeo konnte die alte Germanica nur aus vollem Herzen unterstützen und sie nickte energisch. Natürlich musste die Aufsichtsperson auch die Möglichkeit haben, auf unangebrachtes Benehmen entsprechend zu reagieren, wo kam man denn sonst hin? 'Wes Brot ich ess, dess Lied ich sing', das war doch wohl eine unumstößliche Tatsache! Hätte ihr unseliger Schwiegersohn auch noch Ansprüche gestellt, als er seinerzeit sein Kind bei ihr abgeladen hatte, dann hätte sie ihn sofort und ohne zu diskutieren wieder vom Hof gejagt...


    Laevina Blick ging zu Sedulus hinüber. Ob der wohl auch mal irgendein Machtwort sprechen wollte?

    Ach...Prinzipien...noch so ein schönes Wort! Laevina würde wohl nie verstehen, was andere Leute Worten wie Liebe, Lust und Leidenschaft abgewinnen konnte, die waren doch schließlich nichts als Schall und Rauch. In Worten wie Prinzipien, Ordnung oder Disziplin dagegen schwang Struktur mit, aus denen konnte man tragbare Gerüste für Höheres bauen!
    Eigentlich bedauerlich, dass Romana ihre Energien an diese weißen Eulen verschwenden würde, schließlich konnte Rom ernstzunehmenden Matronen von diesem Schlag gut gebrauchen.


    "Nun, ich bin sicher, dass es so schnell keinem anderen Volk gelingen wird auch nur eine annähernd große Macht aufzubauen, wie das unsere." erklärte sie dann im Brustton der Überzeugung. "Auch andere Völker mögen die eine oder andere gute Eigenschaft in sich bergen, doch nur uns Römern ist es bislang gelungen, alle Energien derart erfolgreich zu bündeln und zum Wohl des gesamten Reiches einzusetzen, und daher wird es in absehbarer Zeit niemandem gelingen, uns wieder zu verdrängen."


    Der Gedanke an die fette Vinia aus der Therme trübte ein bisschen Laevinas imperiale Schwärmerei und sie winkte ungeduldig ab.


    "Du kennst diese Frau nicht? Na, da hast du auch nichts verpasst. Meiner bescheidenen Meinung nach sind die Gedankengänge der Freundin deiner Stiefmutter ein wenig seicht angelegt, wenn du verstehst, was ich meine."

    Du liebe Güte, in diesem Atrium ging es ja genauso drunter und drüber wie in einem Bienenstock, alle redeten wirr durcheinander, nur von den Herren des Hauses war mal wieder weit und breit niemand zu sehen. Typisch eigentlich.....
    Laevina, die noch vor wenigen Minuten friedlich in Morpheus Armen gelegen hatte, griff sich mit einem Finger an die schmerzende Schläfe und bellte dann: "Ruhe jetzt, verdammt!"


    Für einen Moment genoss sie die nun einsetzende Stille, dann wandte sie sich den beiden neuen Familienmitgliedern unter den Germanicern zu. Sowohl der junge Mann als auch der kleine Junge hatten sie durchaus höflich und einigermaßen wohlerzogen begrüßt und so etwas kam bei Laevina immer gut an. Trotzdem sah sie sich im Interesse der häuslichen Ordnung dazu verpflichtet, ihre Meinung über den Ausreisser kundzutun.


    "Nun, Aculeo und Pius, es freut mich euch kennenzulernen, auch wenn die Umstände ein wenig, sagen wir seltsam sind." entgegnete sie huldvoll und registrierte mit leichtem Misstrauen Paullus' Grinsen.
    "Was nun dein Fortlaufen angeht, junger Mann...." fügte sie dann, an den kleinen Jungen gewandt, hinzu," so muss ich dem Kindermädchen beipflichten. Die Regeln eines Hauses sind in jedem Fall einzuhalten, wenn das Zusammenleben einer Familie vernünftig und in ordentlichen Bahnen funktionieren soll. Und Gehorsam ist keine Frage des Verstandes, sondern ist für ein Kind deines Alters eine Selbstverständlichkeit, über die es nichts zu diskutieren gibt. Bevor du irgendwelche Rechte einforderst, die du ohnehin noch nicht besitzt, solltest du dich also zu allererst mal als vertrauenswürdig erweisen. Hast du das verstanden, Pius?"


    Laevina maß den kleinen Mann mit strengem Blick, doch insgeheim war er ihr sogar sympathisch. Durchsetzungswille und Mut waren schließlich
    erstrebenswerte Eigenschaften und mussten nur in die richtige Richtung kanalisiert werden, damit ein vielversprechender Mann aus dem Jungen werden konnte.

    Kurz nach der Kinderfrau und ihren beiden Schützlingen traf auch Laevina am Hausaltar ein und begrüßte die Anwesenden mit einem Nicken, bevor sie sich den Totenmasken und kleinen Figuren zuwandte. Da sie auch heute nicht die Absicht hatte, sich irgendwelche Gefühlsregungen ansehen zu lassen oder diese gar mit ihren Verwandten zu teilen, nahm ihr Gesicht fast übergangslos einen versteinerten Ausdruck an, während ein Antlitz nach dem anderen vor ihren Augen emporstieg, von denen manche ausgeprochen klar und andere bereits ein wenig verschwommen zu erkennen waren.
    Wie auch in den früheren Jahren schmerzte die Erinnerung an Victorius und Alba am meisten, und die alte Germanica biss die Zähne zusammen, während ihre Gesichtszüge weiterhin ausdruckslos blieben.
    Über die Wehmut, die sie beim Gedanken an ihren zweiten, erst vor einem knappen Jahr verstorbenen Mann Lento in ihr aufstieg, wunderte sie sich selbst am meisten, und selbst ihrem ersten Mann Vindex wurde zwar keine Trauer, aber doch immerhin ein wohlwollender Gedanke zuteil.
    Wie lange es wohl dauern würde, bis auch ihre Maske über diesem Hausaltar hängen würde? Nicht mehr allzu lange vermutlich, schließlich war sie mit Abstand die Älteste in ihrer Familie. Aber vielleicht gelang es ihr ja, dem Tod zumindest noch so lange von der Schippe zu springen, bis ihr erster Urenkel geboren war.