Beiträge von Germanica Laevina

    Der Anblick der jungen Frau vor ihr war zwar nach wie vor ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber dafür gefielen der alten Germanica ihre Ansichten immer besser und sie nickte bekräftigend.


    "Oja, da gebe ich dir Recht. Eine klare Struktur, Disziplin und Tradition bilden meiner Meinung nach das Gerüst, auf dem unser ganzes Reich schon seit Jahrhunderten fußt. Und daran krankt es auch bei anderen Völkern. Man muss sich ja nur diese verweichlichten Ägypter anschauen, von der Natur bevorzugt, wie kaum ein anderes Volk und trotzdem sind sie zu einer Horde Eunuchen und Kameltreiber degeneriert..." Laevina schüttelte den Kopf und nickte dann mit dankbarem Gesichtsausdruck, als Romana Freude über ihren guten Gesundheitszustand kundtat. Wie schön, dass wenigstens eine Aussenstehende solchen Anteil an ihrem Leiden nahm. Wäre sie nicht ausgerechnet bei einer Feier Opfer dieses Sturzes geworden, dann würde sie vermutlich heute noch im Impluvium herumtreiben und verschimmeln...


    "Ach, dann ist Ofella also mit deinem Vater verheiratet?" fragte Laevina mit neuerwachter Neugier und speicherte sofort Romanas wenig begeisterte Reaktion auf den Namen ihrer Stiefmutter ab. "Wirklich kennen tun wir einander eigentlich nicht, ich habe Ofella zufällig in den Thermen kennengelernt, als sie dort mit einer ein wenig unförmigen Dame im Caldarium saß, Vinia Fauna, oder so was in der Art..."
    Bei der Erwähnung der zweiten Dame hatte Laevinas Gesicht automatisch einen ziemlich abschätzigen Ausdruck angenommen. Natürlich hatte man als Frau ab einem gewissen Alter der Schwerkraft nicht mehr allzuviel entgegenzusetzen, aber das war noch lange kein Grund, sich derart gehen zu lassen wie diese dicke Wachtel in der Therme. Nein, Selbstdisziplin gehörte nicht umsonst zu den Lieblingswörtern der alten Germanica...

    Es war überaus günstig für die Gesamtsituation, dass Laevina ihr zerwühltes Äusseres noch nicht aufgefallen war, denn das hätte ihrer ohnehin schon angeschlagenen Laune vermutlich den Rest gegeben. Ärgerlich glitt ihr Blick zwischen den Anwesenden hin und her und blieb dann an Calvena hängen, während die ihr zumindest eine minimale wenn auch natürlich völlig unzureichende Erklärung für den Tumult gab.


    "Soso..., Marcus war also verschwunden." sagte sie und trommelte dabei mit den Fingerspitzen ungeduldig auf dem Hintern der Diskuswerfer-Statue herum, auf der sie seit ihrer kleinen Einlage an ihrem ersten Tag im Haus nie wieder auch nur das kleinste bisschen Staub hatte finden können. "Und würde mich freundlicherweise auch mal jemand darüber aufklären, wer Marcus eigentlich ist?" fügte sie dann mühsam beherrscht hinzu und fixierte den kleinen Jungen mit einer Mischung aus Neugier und Argwohn.


    Und als wäre das Chaos nicht schon beeindruckend genug, kam jetzt tatsächlich noch ein junger blonder Schnösel dazu, den die alte Germanica eben so wenig kannte, der sich aber durchs Atrium bewegte, als hätte er in seinem Leben nie woanders gelebt.


    "Vielen Dank für deinen freundlichen Gruß, junger Mann." sagte sie in zuckersüßem Ton, in dem nur ganz leise eine gefährlicher Beiklang mitschwang, an den Neuankömmling gewandt. "Dürfte ich vielleicht erfahren, mit wem ich hier das Vergnügen habe?"

    Der Jubel der Menschen war wirklich ohrenbetäubend. Tausende von ihnen säumten die Straßen und jubelten dem siegreichen Triumphator Titus, Sohn des Kaisers Vespasian zu, und eine 35 Jahre jüngere Laevina war ein Teil der Masse und jubelte aus vollem Hals mit. Von klein auf hatte es nichts gegeben, was sie in bessere Stimmung versetzen konnte als Macht und Erfolg, und hier, an diesem glorreichen Tag, war beides fast mit den Händen zu greifen. Von ihrem Platz direkt an der Straße hatte sie die perfekte Aussicht auf Titus' Quadriga, die von vier Schimmeln gezogen, immer näher kam. Laevina hielt den Atem an, als der Wagen so nah an ihr vorbeizog, dass sie das ganz aussen laufende Pferd hätte berühren können. Und dann geschah es. Ohne ersichtlichen Grund drehte sich der siegreiche Feldherr plötzlich in ihre Richtung, ließ seinen Blick kurz über sie gleiten und lächelte ihr dann mit einem Augenzwinkern zu.Welch glorreicher und vielversprechender Moment in ihrem Leben...


    Die alte Germanica seuftze wohlig auf und drehte sich, weiterhin friedlich schlummernd, in ihrem Schaukelstuhl zur anderen Seite, als plötzlich unschöne und entschieden zu laute Rufe vor der Tür zu ihren Räumlichkeiten sie unsanft aus ihren Träumereien rissen. Wer wagte es denn da, sie bei ihrem Titus-Traum zu stören?


    Wutentbrannt sprang Laevina aus ihrem Schaukelstuhl hoch, riss die Zimmertür auf und eilte ins Atrium, wo sie neben Calvena, Valerian und Sabina, auch die Kinderfrau, den tumben Leibwächter und ein weiteres Kind vorfand, die allesamt einen etwas aufgelösten Eindruck machten.


    "Was geht denn hier, verdammt noch mal, vor?" bellte sie verärgert und machte sich keine Mühe ihre eigene Stimme zu senken. "Und wer ist überhaupt dieses Kind?" fragte sie mit einem Blick auf den kleinen Jungen. ´Sie hatte zwar bereits mitbekommen, dass die Casa Germanica seit einigen Tagen neue Bewohner hatte, aber bislang hatte sich noch niemand die Mühe gemacht, sie ihr vorzustellen.

    Ach, eine Claudia war sie also. Ob die Vestalin wohl mit Ofella, Laevinas Thermen-Bekanntschaft näher verwandt war? Eigentlich lag die Vermutung ja nahe, da die beiden gemeinsam bei den Fontinalia aufgetaucht waren. Ähnlich sahen sich die beiden Frauen zwar überhaupt nicht, aber das musste ja nichts bedeuten.


    "Es freut mich immer, die Bekanntschaft einer so wohlerzogenen jungen Dame zu machen, Claudia Romana." nickte Laevina mit huldvoller Geste. Im Grunde machte Romanas gute Erziehung und ihr tadelloses Auftreten sogar noch einen größeren Eindruck auf die alte Germanica als ihre Zugehörigkeit zu den Vestalinnen. Sich in weiße Gewänder zu hüllen und auf eine einsame Flamme aufzupassen, konnte ja schließlich nicht allzu schwierig sein...


    Dass Romana wegen ihrer Verwandtschaft zu Calvena nachhakte, lag eigentlich nahe, und Laevina hatte in dieser Hinsicht nichts zu verbergen, denn wenn sie auf eines wirklich stolz war, dann auf ihre Gens, die sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten doch sehr erfolgreich durchgebissen hatte.


    "Natürlich darfst du das fragen. Ich bin die Cousine von Senator Avarus und Calvenas Großvater Trajanus Germanicus Sedulus. Ein echtes Relikt der Vergangenheit, wie du siehst, aber muss ja auch Familienmitglieder geben, die die guten alten Traditionen aufrecht erhalten."


    Bei der Erinnerung an ihr unfreiwilliges Bad im Impluvium verfinsterte sich kurz Laevinas Blick, denn dieses schmachvolle Demütigung vor aller Augen nagte auch heute noch an ihr. Romanas Frage war allerdings frei von jeglicher Gehässigkeit, daher seufzte die alte Germanica schicksalsergeben auf und nickte dann. "Ja, das bin ich, in der Tat. Dank der tatkräftigen Hilfe meines Großneffen Sedulus und dieses engagierten jungen Arztes habe ich jedoch keinerlei bleibende Schäden davon getragen, was fast schon ein Wunder ist in meinem Alter..." Wo sie gerade beim Thema waren, fiel Laevina auf, dass die Jagd und das Erlegen des seinerzeit schuldigen Mietsklaven immer noch ausstanden. Das musste sie jetzt aber dringend nachholen, bevor sie diesen unseligen Wurm nicht mehr wiedererkennen würde oder sich seine Spur endgültig verlor...Übergangslos stieg wieder die alte Mordlust in ihr hoch, und Laevina beschloss, sich ein wenig abzulenken, bevor man ihr diese grimmige Stimmung allzu sehr ansah.


    "Jetzt aber genug von mir alten Frau. Lass uns lieber ein wenig über dich reden, meine Liebe. Ich habe vor einiger Zeit durch Zufall deine Begleitung auf den Fontinalia, Claudia Ofella, kennengelernt. Seid ihr eng miteinander verwandt?"

    "Nun, das freut mich. Dann kann meine Familie Calvena ja guten Gewissens in deine Obhut entlassen." erklärte Laevina salbungsvoll und musterte das junge Paar noch einmal. Verliebt waren die beiden ja ganz offensichtlich bis über beide Ohren, und da Valerian trotz seines derzeit noch recht bescheidenen Status einen ziemlich zielbewussten Eindruck auf sie machte, hatte Calvena wohl wirklich einen ganz guten Griff getan. Und da die Verlobung jetzt offiziell war, sprach eigentlich auch nichts dagegen, mal die großzügige Großtante zu spielen, und das junge Glück noch für ein paar Minuten allein zu lassen. In Laevinas Vergangenheit hatte es dieses Problem nicht wirklich gegeben. Ihr erster Bräutigam hatte sie von Anfang an derart gelangweilt, dass sie ihn ohnehin lieber von hinten als von vorn gesehen hatte, und als sie Lento kennengelernt hatte, war sie Witwe gewesen und hatte deutlich mehr Möglichkeiten gehabt, sich unauffällig mit ihm zu treffen. Laevina unterdrückte bei dem Gedanken an die vielen heimlichen und wilden Rendezvous ein Kichern. Nein, sollten ihre lieben Angehörigen sie ruhig weiterhin für eine alte und verschrobene Tante halten, die niemals im Leben so etwas wie Leidenschaft kennengelernt hatte. In dieser Rolle war es nämlich deutlich einfacher, sich als empörte Verfechterin von Tugend und Anstand zu verkaufen...


    "Ich werde euch dann mal wieder allein lassen." sagte sie mit einem feinen Lächeln und wandte sich wieder Richtung Ausgang. Dann drehte sie sich noch ein letztes Mal zu Valerian um. "Ich vertraue dir in dieser Hinsicht voll und ganz, ich hoffe, du weißt das zu schätzen und handelst entsprechend." Ja, das war ein guter und stimmungsvoller Abschluss, und Laevina machte sich zufrieden auf den Rückweg in ihre Räumlichkeiten.

    Sie war derart auf das bisschen dunkelgrünen Stoff vor ihr fokussiert, dass ihr die Ansprache durch die Vestalin fast entgangen wäre. Wie günstig, dass sie sich die riesige Statur dieses Mädchens bereits auf den Fontinalia in aller Ruhe hatte anschauen können, auf diese Weise schaffte es Laevina, ohne auch nur den kleinsten Ausdruck von Überraschung in ihrem Gesicht zu ihrer neuen Gesprächspartnerin hochzuschauen. Ein wenig gewöhnungsbedürftig war dieser Anblick ja schon, aber durch die mehr als höfliche Anrede hatte Romana direkt einen Stein bei ihr im Brett. "Ehrwürdige Mutter"......endlich mal jemand, der ihr und ihren Lebensleistungen mit der gebotenen Ehrfurcht entgegen trat!


    Zwar waren der alten Germanica die Götter und auch deren irdische Vertreter eigentlich herzlich egal, aber schließlich war sie eine Dame der alten Schule, und wusste, was sich einer Vestalin gegenüber gehörte.


    "Nun, wenn eine Dienerin der Vesta eine derartige Empfehlung ausspricht, werde ich dieser selbstverständlich nachkommen." antwortete Laevina mit einem Kopfnicken, das dem Anlass entsprechend höflich, aber auch nicht zu devot war und einem kurzen Seitenblick auf den Kuchen, den sie bislang noch gar nicht richtig wahrgenommen hatte.
    "Da wir einander noch nicht vorgestellt wurden: ich bin Germanica Laevina, meine Familie war so freundlich, mich zu dieser Festivität mitzunehmen."

    "Rührend, ach ich weiß nicht..." winkte Laevina mit einer Handbewegung ab. "So sind wir alten Frauen nun mal, wir möchten einfach sicher sein, dass es unseren Nachkommen auch unserem Tod so gut wie möglich geht, das ist doch verständlich, nicht?"


    Dass Calvena eigentlich nur im weitesten Sinne eine ihrer Nachkommen war, tat ja nichts zur Sache, wer wollte denn schon so pingelig sein?
    Valerians nächste Antwort war mehr als schammig, aber Laevina nahm ihm das nicht übel. Nur ein Schwachkopf würde gedankenlos seine Vermögenslage preisgeben, und dass der Quintilier nicht in diese Kategorie fiel, war der alten Germanica schon bei ihrem letzten Zusammentreffen klar geworden. Abgesehen davon war sie auf seine Informationsfreudigkeit ohnehin nicht mehr angewiesen, schließlich hatte ihr Quadrata haarklein jedes Wort von Valerians Diskussion mit Sedulus wiedergegeben. Wirklich äusserst praktisch, dass die alte Wachtel immer noch so ein hervorragendes Gehör und Gedächtnis hatte!


    "Oh, ich bin davon überzeugt, dass mein Großneffe seinen Pflichten als Vormund vorblidlich nachgekommen ist. Und selbstverständlich würde ich nie auf die Idee kommen, deine finanzielle Situation in Frage zu stellen." Natürlich nicht, schließlich hatte sie diesen Teil der Überprüfung längst hinter sich gebracht und konnte sich jetzt auf andere Dinge konzentrieren. Laevina setzte ein feines Lächeln auf, das genau die richtige Mischung aus Verständnis und Altersmilde enthielt ohne dadurch unglaubwürdig zu wirken.

    "Hach ja....schmerzhaft war es allerdings." seufzte Laevina in dem tapferen Tonfall, den alte klapprige Damen so gerne annehmen, wenn sie von ihren divesen Krankheiten erzählen und griff sich automatisch an den Hinterkopf. "Aber lassen wir diese unerfreuliche Geschichte nun endgültig dem Vergessen anheimfallen..."


    Und siehe da, wunschgemäß klärte sie der junge Mann jetzt über den mittlerweile offiziellen Status ihrer Verlobung auf, und Laevina zauberte übergangslos einen Ausdruck des Erstaunens auf ihr Gesicht, als sei sie gerade von Iupiter persönlich zur Cena eingeladen worden.


    "Nein, ist das wirklich wahr? Ach, wie entzückend!" zwitscherte sie dann, jetzt ganz begeisterte alte Großtante, die sich auf das vielleicht letzte gemeinsame Fest im Kreise ihrer Lieben freut. "Wie schön, dann bin ich ja die erste, die euch gratulieren darf." Nach diesen Worten ging sie auf die beiden jungen Leute zu und hauchte erst Calvena und dann deren Verlobten ein angedeutetes Küsschen auf die Wange, bevor sie wieder zum praktischen Teil überging.


    "Nun, junger Mann. Du wirst sicher verstehen, dass ich mich die weiteren Lebensumständen meiner Großnichte alles andere als kalt lassen. Nichts gegen deinen Status als Centurio, aber wie sehen denn deine Zukunftspläne aus? Schließlich ist Calvena als Nichte und Großnichte von Senatoren einen gewissen Lebenstandard gewöhnt."

    Nachdem sie von Quadrata über den genauen Verlauf der Heiratsverhandlungen zwischen Valerian, Calvena und Sedulus informiert worden war, machte sich nun Laevina selbst höchstpersönlich mit einem Anliegen in eigener Sache auf den Weg zum Oecus.


    Wie üblich ohne Ankündigung rauschte die alte Germanica in den Raum und schenkte dem jungen Paar ein huldvolles Lächeln.


    "Mein lieber Quintilius Valerian, durch Zufall habe ich erfahren, dass du gerade im Haus bist, und wollte nur schnell die Gelegenheit nutzen, um mich bei dir für dein wirklich ausgesprochen geschmackvolles Geschenk zu bedanken." Normalerweise war Laevina ja kein allzu dankbarer oder gar sentimentaler Typ, aber die Minerva-Statue, die ihr als Schmerzensgeld für Quintilia Melinas Ballatacke geschickt worden war, hatte es ihr wirklich angetan also konnte sie das ausnahmsweise auch mal öffentlich zugeben.
    Eine Gratulation zur Verlobung verkniff sie sich selbstverständlich, schließlich war sie offiziell ja noch gar nicht darüber informiert worden.


    "Ihr beiden solltet euch aber nicht vollkommen allein in einem Raum aufhalten." sagte sie daher in gespielter Ahnungslosigkeit. "So etwas ziemt sich nun wirklich nicht für zwei unverheiratete junge Menschen."

    Laevina schüttelte unwillig den Kopf, als Calvena ihre diversen Unzulänglichkeiten als Hausfrau aufzählte.


    "So schlimm steht es? Aber egal, das eine oder andere werde ich dir bis zur Hochzeit noch beibringen können. Und glaube mir eins: jetzt, wo Valerian noch mitten im Saft steht, wird er dir sicher lieber beim Salto-schlagen als beim Kochen zusehen. Aber lass mal ein paar Jahrzehnte ins Land gehen. Irgendwann kommt totsicher der Zeitpunkt an dem er es mehr zu schätzen wissen wird, wenn du ihm ein leckeres Süppchen für den zahnlosen Gaumen kochen oder warme Unterkleidung für seine klapprigen Knochen weben kannst. Alles andere rührt sich dann wahrscheinlich eh schon lange nicht mehr..."


    Die alte Germanica machte bei ihren Ausführungen ein kleines Päuschen und sah Calvena abwartend an. "Nach allem, was du mir gerade erzählt hast, vermute ich mal, dass du keinen Webrahmen besitzt. Wenn du willst, kann Quadrata meinen zum Üben herbeiholen, wir sollten wirklich nicht mehr allzuviel Zeit verlieren. Und so schwer ist es wirklich nicht, du wirst schon sehen. Alles eine Frage der Präzision..." Ach, das war doch definitiv eins ihrer Lieblingswörter und kam gleich nach Disziplin und Effizienz!

    aber ich bin doch schon lange da.... :]


    Junger Mann, meiner Familie würde es vermutlich das Herz brechen, auch nur für einen halben Tag auf mich verzichten zu müssen, aber unter den passenden Umständen miete ich mich auch gern mal für ein paar Tage in deiner Villa ein. Ein so altes Mädchen wie ich muss ja schließlich sehen, wo es in dieser grausamen Welt bleibt... :D


    P.S. den Krückstock kann ich selbstverständlich mitbringen!

    Laevina überlegte gerade, in welche Ecke des mittlerweile ganz gut gefüllten Tricliniums sie sich denn nun wenden sollte, als Sedulus sich von Avarus trennte, zu Serrana und deren Gesprächsgruppe hinüberging und das Mädchen mit einem Kuss auf die Wange begrüßte. Die Augenbraue der alten Germanica schnellte sofort nach oben und sie ließ ein leises unwilliges Knurren hören. Ja, was machte er denn da nur mit ihrer Enkelin? Noch indiskreter ging es vor all den Leuten ja kaum noch! Und dieses dumme Huhn lief auch noch an wie eine überreife Erdbeere....
    Nachdem sie mit Mühe dem Impuls widerstanden hatte, genervt mit den Augen zu rollen und allzu offensichtlich den Kopf zu schütteln, beschloss Laevina, sich anderweitig ein bisschen abzulenken. Sollte der liebe Großneffe irgendwann noch eindeutiger zu Werke schreiten, dann konnte sie im Dienste der Tugend ja immer noch einschreiten...


    Apropos Tugend....das junge Mädchen mit diesem Taschentüchlein von Kleid hatte sich mittlerweile zum Kuchen hinüberbewegt. Und welch Wunder, der erste hechelnde Knabe hatte sich auch bereits dort eingefunden und vermutlich hing dem die Zunge schon bis über die Zehen...Laevina schnaubte verächtlich, bewegte sich dann jedoch allmählich und unauffällig in die gleiche Richtung. Beim Kuchen schien es auf jeden Fall deutlich unterhaltsamer zu sein, als auf ihrer bisherigen Position, und Sedulus und Serrana konnte sie auch von da aus im Auge behalten...

    "Nun ja, dann bringt es ja auch nichts, weiter über dieses Geschmeiss nachzudenken." sagte Laevina kurzentschlossen und musterte ihre Großnichte dann aufmerksam.


    "Das, was ich jetzt sage, mag ein wenig zynisch klingen, aber es ist durchaus ernst gemeint. Erlebnisse dieser Art mögen schrecklich sein, aber sie verschaffen uns Frauen auch einen immensen Vorteil unseren Geschlechtsgenossinnen gegenüber, die häufig schon beim Anblick einer Maus oder einer schlechtdrappierten Palla in Tränen ausbrechen. Du hast durch diese Sache sicherlich einiges an Stärke gewonnen, und ich kann dir nur raten, diese so gut wie möglich zu nutzen und einzusetzen, wann immer es dir möglich ist."


    So, das musste an philosophischen Lebenstipps für's erste reichen. Laevina würde zwar gern noch das eine oder andere Detail über Calvenas Vorgeschichte und den Überfall erfahren, aber die praktischen Belange der Hochzeit gingen jetzt erstmal vor.


    "Dann lass uns mal in aller Ruhe über das Weben sprechen. Beherrscht du zumindest einige Grundfertigkeiten, oder rein gar nichts?"

    Nun, dieser Teil der Geschichte war allerdings wirklich eine Neuigkeit. Laevina war Zeit ihres Lebens zu sich selbst hart gewesen und brachte daher auch anderen Menschen so gut wie nie Mitgefühl entgegen, aber der Umstand, dass Calvena ein solches Erlebnis soweit man das beurteilen konnte auch geistig unversehrt überstanden hatte, nötigte ihr zumindest ehrlichen Respekt ab.


    "Nun, es freut mich, dass du dich durch diesen Überfall und seine Folgen nicht hast kleinkriegen lassen." bemerkte sie mit einem anerkennenden Kopfnicken. "Hat man diesen Abschaum eigentlich jemals zur Verantwortung gezogen?"

    Sieh mal einer an, da war aber jemandem gründlich die Petersilie verhagelt...


    Weit davon entfernt sich über seine letzte Bemerkung zu ärgern, sah Laevina dem sich entfernenden Sedulus noch einen Augenblick hinterher, dann machte sie sich sehr zufrieden auf den Weg zurück in ihr Cubiculum. So wie es aussah, hatte der störende Krach nun ein Ende und sie konnte sich wieder in aller Ruhe in ihren Schaukelstuhl zurückziehen und die Stille geniessen.

    Laevina hatte den Fortgang der Diskussion mit wachsendem Amusement beobachtet, und obwohl sie nicht gerade der humorvollste Mensch auf Erden war, kostete es sie schon einiges an Willensanstrengung, ihre Mundwinkel ruhig und ihren unbeteiligten Gesichtsausdruck bei zu behalten.


    "Ach, mein lieber Sedulus, von dir kann man in Sachen Kindererziehung und Mitarbeiterführung aber tatsächlich noch was lernen." flötete die alte Germanica in ihrem freundlichsten Tonfall.


    "Mit nur so wenigen Worten nacheinander gleich zwei Kinder und zwei Angestellte erfolgreich in die Flucht zu schlagen, das muss dir erstmal einer nachmachen. Mit einem derartigen diplomatischen Genie vollbringst du im Senat doch garantiert wahre Wunderdinge, oder etwa nicht?"


    Ach war das herrlich, so gut hatte sie sich schon lange nicht mehr unterhalten. Wie gut, dass sie sich auf den Weg gemacht hatte, soviel Spaß hätte sie in ihrem Schaukelstuhl garantiert nicht gehabt...

    Auch Laevina war von dem Getrappel kleiner Füße und den dazugehörigen Quiekern und Schreien unsanft aus einer ihrer verdienten kleinen "Konzentrationsphase" in ihrem Schaukelstuhl gerissen worden. Wo kam denn dieser Lärm auf einmal her?
    Ärgerlich erhob die alte Germanica sich aus ihrer gemütlichen Position und folgte der nicht abreissenden Geräuschkulisse bis in den Garten und siehe da - mitten im Hortus stand Sedulus' unerzogene kleine Tochter und schrie herum. Den kleinen Jungen, der sich im Busch versteckt hatte, konnte Laevina von ihrer Position aus nicht sehen, allerdings rechnete sie auch nicht mit der Anwesenheit eines zweiten Kindes. Sie hatte sich gerade ein paar freundliche Worte für Sabina zurechtgelegt, als auch Sedulus, der einen reichlich zerknautschten Eindruck machte, am Ort des Geschehens eintraf.
    Wie praktisch, sollte der doch für Ruhe sorgen, Laevina würde sich erstmal in Ruhe ansehen, wie erfolgreich seine Erziehungsmaßnahmen so waren. Schließlich hatte er ihre in bezug auf Serrana ja mehr als einmal in Frage gestellt. Mal schauen, ob er es besser machte....

    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/Marple.jpg]
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    Quadrata, serva



    So wie es aussah, war die Gesprächsrunde im Oecus mit den entscheidenden und wichtigen Themen durch und ging allmählich in abschließendes Geplänkel über. Quadrata entschied, dass es dabei nicht mehr allzuviel zu verpassen gab und machte sich leise wieder auf den Weg zu Laevinas Räumlichkeiten, bevor einer der Anwesenden auf die Idee kommen konnte, den Oecus wieder zu verlassen und ihr in die Arme zu laufen.

    Dem Gesicht der alten Germanica war kaum eine Regung anzusehen, während sie Calvenas Schilderung aufmerksam und schweigend zuhörte. Und tatsächlich war sie auch deutlich weniger schockiert über diese Enthüllungen, als das Mädchen wahrscheinlich vermuten würde.
    Sie kannte die Herkunft ihrer Mutter nicht? Nun, das war zwar nicht gerade berauschend, hatte aber immerhin den Vorteil, dass es auch kein Anderer wissen oder herausfinden konnte. Und wer wusste schon, welche unliebsamen Neu-Verwandten man ans Tageslicht bringen würde, wenn man allzu eifrig nach ihnen grub...


    Und dass man durchaus Sex mit jemandem haben konnte, mit dem man nicht verheiratet war, das wusste Laevina sogar aus eigener Erfahrung, auch wenn sie das aus gutem Grund nicht an die große Glocke hängte um ihrem Image als Sauberfrau nicht zu schaden.
    Ziemlich genau vor 35 Jahren war hatte sie sich Hals über Kopf in den jungen und attraktiven Marcilius Lento verliebt und mit ihm einige leidentschaftliche Tage und Wochen verlebt, bevor sie den Fehler gemacht hatte, sich von ihm zu einer erneuten Ehe überreden zu lassen. Hätte sie sich stattdessen irgendeinen reichen und halbtoten Mann gesucht und Lento als Liebhaber behalten, dann wäre ihr weiteres Leben vermutlich angenehmer verlaufen...
    Calvenas Vater hatte da offensichtlich praktischer gedacht und war nach getaner Tat direkt wieder seines Weges gezogen, aber dafür konnte man seine Tochter nicht verantwortlich machen. Zumal eine Ehefrau mit derart ungeklärter Vergangenheit auch alles andere als vorteilhaft für die Familie gewesen wäre. Das einzige, was Laevina an der Geschichte wirklich sauer aufstieß, war der Ausdruck "Freigeist", denn für so etwas hatte sie nun so gar kein Verständnis. Aber so lange das Mädchen nicht auch derartige Tendenzen in Bezug auf Denken und Handeln an den Tag legte, konnte es ihr eigentlich auch egal sein.


    Laevina nickte nach und nach alle Punkte der Erzählung nach aussen hin relativ unbeeindruckt ab und beschränkte sich bei ihrem Kommentaren auf ein kurzes und wertfreies "aha" oder "soso" von Zeit zu Zeit. Dann sah sie Calvena abwartend an, vermutlich ging die Geschichte ja noch weiter.

    Laevinas Augenbraue ging erstaunt in die Höhe, als Calvena ihr eröffnete, sie würde ihr die Wahrheit über ihre Vergangenheit erzählen. Schließlich war ihr eigener Ausbruch weniger eine Anspielung auf das frühere Leben ihrer Großnichte beim fahrenden Volk gewesen, sondern eher aufrichtiges Entsetzen, dass ein Mädchen in Calvenas Alter nicht weben konnte. Für die alte Germanica gehörten so traditionell weibliche Fähigkeiten wie das Weben zur absolut elementaren Grundausbildung jeder jungen Frau der Gesellschaft, daher hatte sie mit Argusaugen darüber gewacht, dass sowohl ihre Tochter als auch ihre Enkelin sie einwandfrei erlernten.


    Andererseits war die Gelegenheit mehr zu erfahren mehr als günstig, und neugierig war Laevina selbstverständlich auch, und das nicht zu knapp.


    "Nun, wenn du meinst..." antwortete sie und bemühte sich, nicht allzu interessiert zu klingen."Ich werde nicht darauf bestehen, dass du mir davon erzählst, aber vielleicht wäre es von Vorteil, wenn die engsten Familienmitglieder darüber Bescheid wüssten, damit sie in dieser Hinsicht an einem Strang ziehen können".