Der Anblick der jungen Frau vor ihr war zwar nach wie vor ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber dafür gefielen der alten Germanica ihre Ansichten immer besser und sie nickte bekräftigend.
"Oja, da gebe ich dir Recht. Eine klare Struktur, Disziplin und Tradition bilden meiner Meinung nach das Gerüst, auf dem unser ganzes Reich schon seit Jahrhunderten fußt. Und daran krankt es auch bei anderen Völkern. Man muss sich ja nur diese verweichlichten Ägypter anschauen, von der Natur bevorzugt, wie kaum ein anderes Volk und trotzdem sind sie zu einer Horde Eunuchen und Kameltreiber degeneriert..." Laevina schüttelte den Kopf und nickte dann mit dankbarem Gesichtsausdruck, als Romana Freude über ihren guten Gesundheitszustand kundtat. Wie schön, dass wenigstens eine Aussenstehende solchen Anteil an ihrem Leiden nahm. Wäre sie nicht ausgerechnet bei einer Feier Opfer dieses Sturzes geworden, dann würde sie vermutlich heute noch im Impluvium herumtreiben und verschimmeln...
"Ach, dann ist Ofella also mit deinem Vater verheiratet?" fragte Laevina mit neuerwachter Neugier und speicherte sofort Romanas wenig begeisterte Reaktion auf den Namen ihrer Stiefmutter ab. "Wirklich kennen tun wir einander eigentlich nicht, ich habe Ofella zufällig in den Thermen kennengelernt, als sie dort mit einer ein wenig unförmigen Dame im Caldarium saß, Vinia Fauna, oder so was in der Art..."
Bei der Erwähnung der zweiten Dame hatte Laevinas Gesicht automatisch einen ziemlich abschätzigen Ausdruck angenommen. Natürlich hatte man als Frau ab einem gewissen Alter der Schwerkraft nicht mehr allzuviel entgegenzusetzen, aber das war noch lange kein Grund, sich derart gehen zu lassen wie diese dicke Wachtel in der Therme. Nein, Selbstdisziplin gehörte nicht umsonst zu den Lieblingswörtern der alten Germanica...