Einen wirklich begeisterten Eindruck machte Piso in Bezug auf ihre Einladung ja immer noch nicht. An ihrem eigenen Unterhaltungswert konnte das ja wohl mitnichten liegen, den schätzte Laevina selbstverständlich als überdurchschnittlich ein. Offenbar saß die beidseitige Animosität zwischen Germanicern und Flaviern doch tiefer, als sie zuerst vermutet hatte. So ein Ärger, da lernte sie endlich mal jemanden kennen, der mehr als zwei Sätze in Folge formulieren konnte, und dann so etwas....
"Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass meine Leibsklavin Quadrata jederzeit einen ausgezeichneten Überblick über die ankommenden Gäste hat. Ich kann also durchaus Besuch empfangen, ohne dass das halbe Haus etwas davon mitbekommt." Laevina beschloss es mit dieser letzten Bemerkung gut sein zu lassen. Sie hatte es in den letzten 58 Jahren noch nie nötig gehabt, jemandem ihre Gesellschaft aufzudrängen, da würde sie ganz sicher nicht damit anfangen, wenn sie schon mit einem Fuß im Orcus stand.
Dankenswerterweise wechselte der sprunghafte Piso nun wieder das Thema, und die doch eine eher schnörkellose Sprache bevorzugende Germanica zuckte bei dem Wort "Blümelchen" leicht zusammen. "Blümelchen", du liebes Bisschen....Hätte ihr Piso nicht eine geraume Weile von seiner unerfüllten Liebschaft mit einer Dame vorgeweint, dann hätte sie jetzt andere Rückschlüsse gezogen, zumal er mit derartigen Vorlieben in Roms höherer Gesellschaft sicherlich nicht allein dagestanden hätte.
Dennoch....,das Thema der vergöttlichten Kaiser brachte Laevina auf eine Idee.
"Nun, ein bisschen Pflege würde diesen Tempeln sicher gut tun, einige von ihnen sehen ja schon ziemlich verlottert aus. Und solltest du wirklich mal das entsprechende Amt ausüben, wovon ich übrigens felsenfest ausgehe, dann könntest du mir einen großen Gefallen. Es wäre nett, wenn du bei deiner Sorge um die vergöttlichten Kaiser auch ein Auge auf die Anlagen der Livia Augusta haben könntest, ich denke, dass hat diese sich durch ihre jahrzehntelangen Bemühungen zugunsten unseres Reiches verdient." referierte sie in leicht salbungsvollem Ton.
Wie bereits erwähnt, war Laevina weder besonders religiös noch pietätvoll, aber Roms erste Kaiserin war schon von klein auf ihr besonderes Vorbild gewesen. Schließlich hatte die göttliche Livia ja mehr als deutlich gezeigt, was man als intelligente Frau alles schaffen konnte, wenn man nicht durch einen unfähigen Ehemann ausgebremst wurde!
"Gibt es denn unter den vergöttlichten Kaisern einen, dem du gern eine besondere Zuwendung zukommen lassen würdest?
Auf ihre Bemerkung über Vescularius Salinator ging Piso mit keinem weiteren Wort ein, und Laevinas Augenbraue stieg misstrauisch ein kleines Stückchen in die Höhe. Glaubte er ihr etwa nicht? Oder noch schlimmer ... hielt er sie etwa für eine harmlose Alte, der man zuhause nichts von Belang erzählte? Die alte Germanica grübelte einen Moment lang darüber nach, dann hätte sie sich vor Wut fast die Hand vor die Stirn geschlagen. Natürlich tat er das, schließlich spielte sie ihm ja schon seit etlichen Minuten die entsprechende Rolle vor! Da war sie dann wohl in die eigene Falle getappt...
Natürlich hätte Laevina dem jungen Flavier an dieser Stelle erklären können, dass es völlig unerheblich war, was man ihr daheim in der Casa Germanica freiwillig erzählte, da es für einen erfindungsreichen Menschen mit guten Augen und Ohren genügend Mittel und Wege gab, um alles zu erfahren, was man erfahren wollte.
Aber das hätte in sein aktuelles Bild von ihr wohl nicht so ganz perfekt hinein gepasst, daher verkniff sie sich die entsprechende Bemerkung lieber.
Seine letzte Frage forderte ihr da schon deutlich weniger Konzentration ab.
"Nun, ich persönlich kann leider nur indirekte Erfahrungen mit der Dichtkunst vorweisen. Mein zweiter Ehemann hatte eine große Schwäche für die "Amores" von Ovidius, daraus hat er mir zu Beginn unseren gemeinsamen Lebens gern und häufig vorgetragen. Das war allerdings lange vor deiner Zeit, damals war noch Kaiser Vespasian an der Macht."erzählte Laevina mit einem leicht wehmütigen Lächeln.
Kaum zu glauben, aber sogar sie hatte vor rund 35 Jahren mal eine ziemlich romantische Phase durchlebt...