Beiträge von Germanica Laevina

    Laevina überlegte einen Moment lang, ob sie Calvena über den Grund ihres Inspektionsgangs aufklären sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Immerhin hatte sie erst vor ein paar Tagen erfahren, dass es um die Unschuld ihrer Großnichte doch um einiges besser bestellt war, als sie ursprünglich angenommen hatte. Und das war immerhin Grund genug, um ihr die unappetlichen Details dieser Geschichte zu ersparen.


    "Ist nicht so wichtig." antwortete sie daher und machte eine wegwischende Handbewegung. "Ich hab nur nachgeschaut, ob einer der Fontinalia-Gäste hier im Haus vielleicht etwas vergessen hat. Die Sklaven haben da so etwas angedeutet."


    Und der Prätorianer hatte seine Heiratserlaubnis noch nicht? Das war ja mal wieder typisch!


    "Das liegt doch nur an diesen unfähigen Maden in den Verwaltungsbüros." sagte Laevina ärgerlich."Da stecken sie doch ohnehin nur die Kerle hin, die sogar zum Schwert halten zu blöd sind. Vielleicht sollte man denen mal ein bisschen Feuer unter'm Hintern machen..." Eigentlich gar keine so schlechte Idee, bei der Gelegenheit konnte sie endlich mal wieder ein paar angestaute Energien abbauen...


    "Iulius Centho und Furia Calliphana?" wiederholte sie dann nachdenklich und mit gerunzelter Stirn. "Wer ist denn das? Waren die auch bei den Fontinalia dabei?" Die Namen sagten ihr eigentlich gar nichts, aber schließlich war ihr Aufenthalt auf besagtem Fest auch nicht besonders lang gewesen.

    Laevina hatte ausgesprochen schlechte Laune. Vor einer Stunde war ein Brief mit den aktuellen Abrechnungen ihres campanischen Landgutes angekommen, und bereits bei der ersten flüchtigen Kontrolle hatte sie bereits DREI Fehler gefunden! Unfassbar, dieses elende unfähige Gewürm wirtschaftete ihr noch den ganzen Betrieb herunter! Wenn man aber auch wirklich nicht alles selbst machte....Die Finger der alten Germanica trommelten mit wachsendem Ärger auf der Tischplatte und sie hatte sich gerade dazu entschieden, die gründliche Überprüfung direkt hinter sich zu bringen, als es an der Tür klopfte. Mit etwas Glück war es ja ein Sklave, an dem sie ein bisschen Dampf ablassen konnte!


    "Ja bitte?"

    Laevina war im Moment derart von ihrer Mission in Anspruch genommen, dass Calvenas Geschreibsel sie vermutlich gar nicht weiter interessiert hätte. Die Tatsache, dass das Mädchen da jedoch ganz offensichtlich etwas vor ihr zu verstecken versuchte, weckte dann aber doch Laevinas Neugier.


    "Ja, in der Tat, ich suche etwas." antwortete Laevina grimmig und warf einen gründlichen Blick in alle Ecken des Raums, in denen man es sich unter Umständen gemütlich machen konnte. "Und glaube mir, es wird für alle Beteiligten besser sein, wenn ich nichts davon finde."


    Laevina kam noch ein wenig näher an den Tisch heran und ihre immer noch sehr scharfen Augen erspähten auf dem oben liegenden Blatt die Worte "Einladung" und "Verlobung". "Einen Brief, soso." murmelte sie scheinbar nur mäßig interessiert und wies dann auf das obenliegende Papier. "Um wessen Verlobung geht es denn da? Um deine eigene?"

    Nachdem Laevina bereits einige Räume der Casa Germanica durchforstet hatte, stand nun als letztes auch noch die hauseigene Bibliotheca auf dem Programm. Auslöser dieser ausserplanmäßigen Inspektion war das nicht verstummende Gerücht unter den Sklaven , der amtierende Praefectus Urbi habe sich während der Fontinalia mit einem weiblichen Gast auf einem Sessel im Tablinum verlustiert. Nicht zu fassen, da lag man selbst verletzt im Bett und schon gingen allerorts die Orgien los! Kaum hatte sie das besagte Gerücht vernommen, war Laevina wutschnaubend ins Tablinum gestürmt und hatte fein säuberlich die Stoffe und Polster sämtlicher Sitzgelegenheiten auf irgendwelche unappetitlichen Hinterlassenschaften kontrolliert. Zwar hatte sie dort auch nach intensivster Suche nichts derartiges finden können, aber sicher war nun einmal sicher. Und wer wußte schon, wo sich möglicherweise noch überall irgendwelche paarungswilligen Pärchen hinverzogen hatten...


    Laevina öffnete schwungvoll die Tür zur Bibliothek und stutzte, als sie dort ihre Großnichte Calvena erblickte, die offenbar dabei war irgendetwas zu schreiben.


    Die alte Germanica näherte sich dem Schreibtisch, wobei sie automatisch nach beiden Seiten Ausschau hielt, damit ihr auch kein noch so unauffälliger Fleck entgehen konnte.


    "Nanu, was machst du denn hier?" fragte sie dann aufgrund ihrer Überraschung in relativ höflichem Ton.

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    Da der Besuch im Atrium saß, und Quadrata deshalb nicht den Umweg über das Zimmer ihrer Herrin machen konnte, erreichte sie deutlich schneller als sonst das Büro des Senators. Und da Diskretion noch nie ihre besondere Stärke gewesen war, steckte sie nach einmaligem Anklopfen direkt den Kopf durch die Tür und sagte:


    "Da wartet ein Gast aus Germanien im Atrium. Er möchte ein Geschenk vorbeibringen." Nach dieser nicht gerade ausufernden Erklärung machte sich Quadrata wieder vom Acker um ihre Position in der Nähe der Haustür wieder einzunehmen.

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    Sie sah zwar nicht danach aus, aber es gab nur wenige Dinge, die Quadratas scharfen Augen entging, und der überraschte Blick des Besuchers gehörte nicht dazu. Besonders beeindruckt war sie davon allerdings nicht und sagte stattdessen:


    "Ihr habt Glück. Senator Germanicus Sedulus ist momentan daheim und hat vielleicht Zeit euch zu empfangen. Wenn ihr mir bitte ins Atrium folgen wollt, dann werde ich ihn über eure Ankunft informieren."


    Mit diesen Worten öffnete sie Tür noch etwas weiter und trat einen Schritt zur Seite, um die Besucher ins Haus zu lassen.

    Zu Laevinas persönlichem Seelenfrieden hatte sie keine Ahnung davon, dass Avarus ihre Frage für hinterhältig hielt, denn das war sie (wenn auch zugegebenermaßen nur ausnahmsweise) wirklich nicht gewesen. Trotzdem hatte sie das deutliche Empfinden, dass in den Worten ihres Cousins ein leicht genervter Unterton mitschwang, so dass es sie einige Mühe kostete ihrerseits den neutralen Tonfall beizubehalten.


    "Nun, ich sehe keinen Grund, deine Einschätzung in Bezug auf die moralische Integrität dieses Mannes in Frage zu stellen und es wird sicher im Interesse unseres Kaisers und des ganzen Reiches sein, wenn du damit Recht behältst. Für mich persönlich ist es allerdings zunächst einmal vollkommen nebensächlich, ob er in seiner Freizeit Sklaven in Krokodilteiche werfen lässt oder kleine ausgesetzte Hundebabys vor dem Verhungern rettet.
    Natürlich werden die Gründe, aus denen der Praefectus Urbi bei vielen Familien in Misskredit steht, nicht nur edler und selbstloser Natur sein und sicher bringt seine Position auch automatisch Neid und Missgunst mit sich. Ich kann nicht beurteilen, wie eng der Kontakt zwischen ihm und unserer Gens wirklich ist, und vielleicht ist meine Sorge ja auch vollkommen unbegründet. Aber eine mögliche gesellschaftliche und vielleicht auch politische Isolierung wäre doch nun wirklich nicht erstrebenswert..."

    Ja, die mangelnde Selbstbeherrschschung war eindeutig einer von Calvenas Schwachpunkten. Natürlich hatte Laevina nicht erwartet, dass das Mädchen auf ihr "großzügiges" Zugeständnis erfreut oder gar dankbar reagierte, das hätte nur ein Schwächling getan, und so etwas gab es in den Reihen der Germanicer hoffentlich nicht. Scheinbar undurchdringliche Gleichgültigkeit war immer schon das beste Mittel gewesen, um verbalen Attacken jeglicher Art von vornherein den Boden zu entziehen, aber das hatte auch Laevina erst mit den Jahren gelernt, und Calvena war schließlich noch jung.


    Sie war nach wie vor entschlossen, den Namen ihres Informanten für sich zu behalten, aber es schadete ja schließlich nicht, das Mädchen in dieser Hinsicht ein wenig zu beruhigen. "Sicher verlassen kann man sich nur auf den Tod." sagte sie daher, während sie sich von Quadrata in aller Ruhe abtrocknen ließ. "Aber ganz offensichtlich hatte besagte Person schon vor dem Gespräch mit mir wenig Interesse daran, diese Geschichte unter die Leute zu bringen. Denn sonst wäre die längst in ganz Rom bekannt, davon können wir doch wohl ausgehen. Und ich gebe normalerweise nicht viel auf die Versprechungen anderer Leute, aber in diesem Fall bin ich wirklich sicher, dass es keine weiteren Wellen schlagen wird. "Wobei...." und an dieser Stelle warf sie Calvena einen scharfen Blick zu,"...im Grunde nur du selbst wissen kannst, wer noch alles in diese Geschichte eingeweiht ist. Ich persönlich habe, wie gesagt, nur Kenntnis von diesem einen Fall, auf alles andere kann ich keinerlei Einfluss nehmen. Aber da bis jetzt Ruhe geherrscht hat, wird es wohl hoffentlich auch so bleiben..."


    Calvena war nicht nur ziemlich unbeherrscht sondern auch noch zynisch, aber damit hatte Laevina kein Problem, denn in diesem Ressort war sie selbst Meisterin. Daher hob sie nur leicht die eine Augenbraue und sah das Mädchen dann mit einem feinen Lächeln an.


    "Nun, um ehrlich zu sein, würden mir auf Anhieb zehn Dinge einfallen, die mir noch deutlich mehr Freude machen würden als deine Unversehrtheit. Aber es ist doch ein ganz beruhigendes Gefühl zu wissen, dass man kein Flittchen in der Familie hat."

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    ________
    Quadrata, serva


    Da es heute bei ihrer Herrin Laevina nicht allzuviel zu tun gab, nutzte Quadrata die Gelegeinheit mal wieder ein wenig die Porta des Hauses und damit auch mögliche Besucher im Auge zu behalten. Als es plötzlich klopfte, und der ungeschlachte Germane aus welchen Gründen auch immer mal für eine Weile nicht auf seinem Posten war, eilte sie zür Tür und öffnete sie.


    "Ja bitte?" sagte sie zu dem ihr unbekannten Besucher und warf einen neugierigen Blick auf dessen Begleiter und die beiden Pferde.

    Die Frage nach Laevinas Informationsquellen schien Calvena doch sehr zuzusetzen, und dabei war die alte Germanica damals rein zufällig in ihren Informanten hineingerannt...


    "Ich hab es von jemandem erfahren, der dich noch unter deiner alten Identität kennengelernt hat." erklärte Laevina ein wenig sparsam, denn sie sah keinen besonderen Grund, warum sie Piso ans Messer liefern sollte. "Aber du kannst ganz beruhigt sein, ich habe mit dieser Person gesprochen, und sie hat mir glaubwürdig versprochen, dass sie diese Geschichte nicht weitererzählen wird. Und dass ich das auch nicht vorhabe, müsste dir ja mittlerweile klar sein."


    Calvenas Reaktion auf ihre mehr als unverblümte Frage war da schon deutlich spannender. Du liebe Güte, das Mädchen lief ja fast genauso rot an wie ihre Enkelin Serrana... Laevina nahm Calvena mitsamt ihrer Gestik und Mimik genau unter die Lupe und kam dann zu einem überraschenden Ergebnis: das Mädchen sagte ganz offensichtlich die Wahrheit, denn was diese Dinge anging, besaß die alte Germanica eine ausgesprochen gute Menschenkenntnis. Wer hätte das nur gedacht...


    "Nun, ich muss zugeben, dass ich wirklich überrascht bin." sagte Laevina nun schon in deutlich versöhnlicherem Tonfall. "Aber immerhin ist es ja zur Abwechslung mal eine Überraschung der positiven Art."


    Sie gab Quadrata ein Zeichen, und diese stieg hurtig aus dem Wasser, um dann ihrer Herrin aus dem Becken hinauszuhelfen und ihr ein Leinentuch zum einwickeln zu reichen.


    "Und ja, für den Moment bin ich tatsächlich zufrieden. Es gibt sicher noch einige Dinge, die mich interessieren würden, aber das können wir irgendwann mal in Ruhe besprechen"

    Laevina nahm höchst erstaunt Calvena heftige Reaktion zur Kenntnis. Von Schuldbewusstsein keine Spur, stattdessen wirkte ihre Fassungslosigkeit beinahe glaubwürdig. Da musste sie wohl doch noch einmal nachhaken...


    "Deine unrühmliche Vergangenheit im Pferdewagen interessiert mich doch gar nicht. So etwas kann man schließlich vor der Öffentlichkeit unter Verschluss halten, und glaub mir, ich werde sicher nicht damit hausieren gehen..." erklärte Laevina, ohne das Mädchen dabei aus den Augen zu lassen. "Aber bei einem liederlichen Lebenswandel sieht es da schon ganz anders aus. Ein Flittchen bleibt ein Flittchen, davon bin ich einfach überzeugt. Sowas liegt irgendwie im Blut. Oder willst du mir jetzt allen Ernstes erzählen, dass du noch Jungfrau bist?"
    Blöde Frage, natürlich war sie das nicht...Warum machte sie dann nur so ein Theater?


    "Und gewöhn dir bitte mal ab, immer direkt so emotional zu reagieren und abzuhauen, wenn dir ein Thema nicht passt. Damit lieferst du den Leuten viel zu viel Angriffsfläche, und du wirst in deinem Leben noch häufiger in solche Situationen kommen, glaub mir das."

    Heissa, die Kleine ging ja hoch wie eine angestochene Natter! Und dieser Gefühlsausbruch war schon fast zu viel für Laevinas immer noch ziemlich angeschlagenen Zustand.
    Die gespielte Unschuld und Verwirrung kaufte sie ihrer Großnichte jedenfalls nicht ab.


    "Nun frag doch nicht so scheinheilig, du weißt genau, wovon ich spreche!" antwortete sie ärgerlich und jetzt auch in deutlich schärferem Ton. "Und ALLES weiß ich tatsächlich nicht, worüber ich im Augenblick auch sehr froh bin. Du meine Güte, ich hatte ja immer noch irgendwie gehofft, dein Erfahrungsschatz würde sich auf den Prätorianer beschränken. Aber offenbar steht es noch schlimmer um dich, als ich befürchtet hatte...."


    Laevina schnaubte laut und vernehmlich und schloss dann wieder ihre Augen. Was sollte sie sich auch weiter über Calvenas nicht vorhandene Moral aufregen, das brachte ihr vermutlich eh nichts als ein paar Gallensteine ein.

    Ganz allmählich zeigten das warme Badewasser und Quadratas kundige Massage nun doch ihre ihre Wirkung, und Laevinas Kopfschmerzen begannen ein wenig nachzulassen. Besonders wohl fühlte sie sich zwar immer noch nicht, aber zumindest spürte sie jetzt so etwas wie Entspannung. Die alte Dame unterdrückte ein Gähnen, und um nicht versehentlich in Anwesenheit der beiden jungen Frauen einfach einzuschlafen, beschloss sie jetzt zur Abwechslung mal ein etwas heikleres Thema anzuschneiden. Das würde sie sicherlich wunderbar wach halten!


    "Naja, einige Vorteile bringt deine sinnenfrohe Vorgeschichte ja schon mit sich," plauderte Laevina so beiläufig, als würde sie über das heutige Wetter sprechen, "sie wird immerhin dafür sorgen, dass dir zu Beginn deiner Ehe einige für die eine oder andere Frau doch sehr prägende Überraschungen erspart bleiben, meinst du nicht?"

    Wahlen....Das war nun endlich mal wieder ein Thema nach Laevinas Geschmack und Sedulus hatte nun ihre volle Aufmerksamkeit "Nun, meiner Meinung nach kann man eigentlich gar nicht bekannt genug sein. Und ein wenig negative Publicity ist immer noch besser als gar keine...Aber mit der richtigen Strategie könnte man sicher ein paar positive Schlagzeilen kreieren, das heißt, so lange du es schaffst, für eine Weile mal deine üblichen blöden Kommentare ein wenig einzuschränken..." sagte Laevina mit hochgezogener Augenbraue, schließlich hatte sie sich selbst schon den einen oder anderen entsprechenden Spruch ihres Großneffen eingefangen. Nun war sie selbst hart im Nehmen, aber bei so manchem Teilnehmer in der römischen Politik war das vielleicht nicht so.


    Die alte Germanica nahm einen Schluck aus ihrem Weinkelch, dann fiel ihr plötzlich etwas ein, dass sie ohnehin zur Sprache hatte bringen wollen weil es sie ein wenig beunruhigte. "Wo wir gerade dabei sind....: als ich in der Stadt unterwegs war, hat man an mich herangetragen dass unsere Gens in auffallend enger Verbindung zum Praefectus Urbi stehen soll. Ist das etwa wahr? Nach allem, was ich bislang mitbekommen habe, ist dieser Mann in weiten Kreisen der römischen Gesellschaft alles andere als populär. Das würde dann wohl kaum zu einer Bekanntheit im positiven Sinne beitragen..."

    Als Piso sich über seine unfähige Dienerschaft erregte, konnte Laevina ihm nur aus vollem Herzen zustimmen. "Oh, wie recht du doch hast. Wenn ich daheim in der Casa der Familie nicht ein wachsames Auge auf die Sklaven hätte, dann würde sich dieses unfähige Gewürm um nichts kümmern. Unfassbar, da verpflegt man sie schon, bietet ihnen Unterkunft und Kleidung und zum Dank machen sie es sich gemütlich und lassen alles vergammeln..." Laevina brauchte nur an den verstaubten Po des Diskuswerfers in der heimatlichen Casa zu denken, und schon stieg ihr wieder die Galle hoch. "Und was Quadrata betrifft: die habe ich mir in über 40 Jahren mühsam erzogen, wenn du also das Bedürfnis hast, irgendwann einmal über einen ähnlich nützlichen Sklaven zu verfügen, dann solltest du allmählich mit der entsprechenden Auslese und Ausbildung beginnen! Ansonsten bleibst du am Ramsch hängen, der heutzutage auf den Märkten verscherbelt wird. Da muss ich nur an das Monstrum von Leibsklavin denken, mit dem meine Enkelin durch die Stadt läuft. Die ist so groß wie ein Elefant und ungefähr so schlau wie dieser Schal hier. Aber immerhin bewahrt sie dem Kind ganz erfolgreich seine Tugend, deshalb will ich mich nicht beschweren..."


    Und was fragte er jetzt? Ob er sich vor einem Besuch bei ihr anmelden dürfe? Nur mit Mühe gelang es der alten Germanica, ein Kichern zu unterdrücken.Dass sie sich in ihrem Alter und beim Besuch eines Mannes, der schon fast ihr Enkel sein konnte, nicht mehr aufhübschen musste, verstand sich ja von selbst, auch wenn sie noch eitel genug war, um nicht wie eine alte verschrumpelte Dattel aussehen zu wollen. Dennoch würde sie sich nur ungern bei irgendwelchen liebgewonnenen Aktivitäten wie dem Kontrollieren und Bestrafen von Dienstboten oder der turnusmäßig durchgeführten Inspektion aller Räumlichkeiten der Casa (was selbstverständlich die Privaträume der übrigen Familienmitglieder miteinschloss) unterbrechen lassen.


    "Aber natürlich macht mir das nichts aus." flötete sie daher in verständnisvollem Tonfall und hoffte, dass Piso sich auch wirklich daran halten würde.
    Und ganz wider Erwarten tat sich jetzt plötzlich und unverhofft eine wirkliche Gemeinsamkeit zwischen dem jungen Flavier und der alten Germanica auf, und das Aufleuchten in Laevinas Gesicht war zum ersten Mal nicht gespielt.


    "Oh, Vespasian und Titus, da kann ich mich nur anschließen." erklärte sie mit echter Begeisterung in der Stimme. Die beiden ersten flavischen Kaiser waren Männern nach ihrem Geschmack gewesen, die sich selbst etwas erarbeitet und nicht nur ihren ererbten Purpur von A nach B getragen hatten.


    "Stell dir vor, ich hab sie gesehen, alle beide." erzählte sie eifrig und fühlte sich direkt wie durch Wunderhand um 34 Jahre verjüngt. "Ich war damals dabei, als Titus seinen Triumphzug für seine Erfolge im Jüdischen Krieg gefeiert hat. Kaiser Vespasian hab ich nur von weitem gesehen, aber Titus ist mit seinem Wagen direkt an mir vorbeigefahren und er hat mir sogar zugezwinkert." Laevina seufzte ein wenig wehmütig auf und wünschte sich nicht zum erstenmal, sie hätte damals nicht ihren kleinen Sohn auf dem Arm gehabt, um diesem einen besseren Blick auf den siegreichen Feldherrn zu ermöglichen. Wer weiß, was da noch alles möglich gewesen wäre, schließlich war sie damals noch jung und schön...


    Die alte Germanica war derart versunken in ihren nostalgischen Erinnerungen, dass Pisos Frage über Ovid erst mit einiger Verspätung zu ihr durchdrang.


    "Nun, damals hat er mir manch schöne Stunde beschert, aber das wird bei dir ja vermutlich nicht anders sein." sagte die dann mit einem feinen Lächeln. Mit sinkender Begeisterung für ihren zweiten Mann hatte auch Laevinas poetisches Engagement im Laufe der Jahre ziemlichen Schaden genommen, aber eine derartige Zermürbung über einen langen Zeitraum hinweg war dem schwärmerischen Piso bislang trotz seines Liebeskummers offensichtlich bislang erspart geblieben.

    Auch Laevina wunderte sich, dass sie nach wie vor nicht in Stimmung für einen erneuten Schlagabtausch mit Calvena war. Das lag zum größten Teil sicherlich an ihren Kopfschmerzen, aber auch die Tatsache, dass die beiden Frauen zum ersten mal offen und ohne irgendwelche Hintergedanken und Winkelzüge miteinander sprachen, trug einen großen Teil dazu bei, dass der zerbrechliche Waffenstillstand zwischen ihnen weiter anhielt.
    Calvenas nächste Anmerkung brachte die alte Germanica dann allerdings an ihre Grenzen, musste das Mädchen denn unbedingt wieder auf Serrana zu sprechen kommen?


    "Ach, tut sie das?" schnaubte Laevina, als Calvena ihr eröffnete, dass ihre Enkelin sie brauchte. "Wenn dem so ist, dann hab ich in den letzten Monaten sehr wenig davon gemerkt." In ihren wenigen selbstkritischen Momenten war ihr durchaus bewusst, dass ihre größte Wut über Serranas Flucht nach Rom längst verraucht war. Zum einen würde sich ein wohlhabender Schwachkopf wie Gnaeus Balbus auch in Rom irgendwie auftreiben lassen, und zum anderen rechnete Laevina es ihrer Enkelin durchaus an, dass diese sich bislang ganz erfolgreich durchgebissen und sich ihr gegenüber keinerlei Blöße gegeben hatte. Schließlich würde sie selbst nicht mehr ewig leben, da war es trötstlich zu wissen, dass die Kleine notfalls selbst auf sich aufpassen konnte...
    Sie hatte zwar nicht vor, plötzlich die verständnisvolle Großmutter heraushängen zu lassen (derartig heftige Kopfschmerzen gab es vermutlich gar nicht), aber ein kleines bisschen Entgegenkommen konnte ja nicht schaden, zumal sie dann vielleicht auch wieder ein wenig mehr Kontrolle über das Mädchen bekommen konnte.


    "Nun, da du sie ja ganz offensichtlich wesentlich häufiger als ich zu Gesicht bekommst, kannst du meiner Enkelin ausrichten, dass sie mich hier jederzeit besuchen kann." brummte sie dann, machte Quadrata ein Zeichen, ihr die Schläfen zu massieren und schloss wieder die Augen.


    Die Frage, ob sie ihrerseits Serrana brauchte, ließ Laevina lieber im Raum stehen, denn das war etwas, über das sie selbst nicht gern nachdachte. Einen anderen Menschen zu brauchen machte schließlich zum einen schwach und eventuelle Verluste, wie es sie im Leben häufig gab, um ein vielfaches schmerzhafter. Nein, Laevia zog es vor, niemanden zu brauchen. Das machte das Leben deutlich angenehmer...

    Laevina konnte sich kaum erinnern, jemals mit Calvena einer Meinung gewesen zu sein. Schließlich hatte sie sich schon so oft über das Mädchen geärgert, dass sie in ihrem Fall schon aus Prinzip auf Contra eingestellt war. Bei ihrer letzten Bemerkung musste sie ihr allerdings zustimmen, denn die traf in mancherlei Hinsicht auch auf Laevina selbst zu. Was hatte sie als junge Frau doch für Wünsche und Träume gehegt! Als sich die Hoffnung auf ein Eheleben mit einem aufstrebenden und erfolgreichen Mann gleich zweimal zerschlagen hatte, hatte sie das noch einigermaßen würdevoll abhaken können. Denn schließlich waren ihr ja noch ihre Kinder geblieben, die so viel vielversprechender gewesen waren als ihre jeweiligen Väter... Aber auch hier hatte Fortuna es nicht gut mit Laevina gemeint, denn zwei von ihnen waren auf tragische und sinnlose Weise aus dem Leben gerissen worden und das dritte war spurlos verschwunden. Und so blieb ihr wohl nichts anderes übrig als auch in ihrem gesetzten Alter unermüdlich weiterzuackern, um aus dem, was ihr noch geblieben war das Beste zu machen...


    "Da hast du allerdings recht." antwortete Laevina mit nur leicht unterdrückter Bitterkeit in der Stimme, ohne die Gründe für ihre Zustimmung näher zu erklären. "Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf...." mit diesen Worten sah sie ihrer Großnichte genau in die Augen "....nimm alles was in deiner Macht steht selbst in die Hand. Es gibt genügend Dinge im Leben, auf die wir keinen Einfluss haben, deshalb ist es ungemein wichtig bei allem anderen niemals freiwillig die Zügel aus der Hand zu geben."

    Laevina blickte erst wieder von ihrem Teller auf, als zwei ihrer Lieblingswörter erwähnt wurden.


    "Einfluss und Macht sind natürlich das A und O." stimmte sie Avarus bedenkenlos zu. "Doch meiner Meinung nach ist ein gesunder Ehrgeiz beinahe ebenso wichtig. Was nutzt einem Mann eine edle Abstammung oder ein großes Vermögen, wenn er nichts daraus macht? Ihr könnt mir glauben, ich habe in meinem langen Leben mehr als einen zielbewussten Mann an Konkurrenten vorbeiziehen sehen, die wesentlich wohlhabender waren, es aber vorgezogen haben ihr ererbtes Vermögen zu verhuren oder zu versaufen, statt es vernünftig zu bewahren und zu vermehren..." Bei diesem Thema hätte Laevina sich so richtig in Rage reden können, aber mit Rücksicht auf das anwesende Kind hielt sie sich dann doch zurück, auch wenn ihr der eine oder andere nicht ganz jugendfreie Ausdruck bereits entrutscht war. Ganz übel gekniffen war Frau natürlich, wenn man ihr einen Kerl aufs Auge drückte, der weder eigenes Vermögen noch Ehrgeiz besaß so wie ihr erster Mann seinerzeit...


    Nein, über dieses unselige Thema wollte sie lieber gar nicht länger nachdenken, abgesehen davon fiel in diesem Moment auch ein Name, der Laevina weit mehr interessierte als der ihres lang verstorbenen Gatten.


    "Was hat es mit diesem Salinator eigentlich auf sich?" fragte sie gespannt. "Der Name fällt in Rom dieser Tage ja sehr häufig." Dass sie selbst ihn zum ersten Mal aus dem Mund eines Flaviers gehört hatte, ließ Laevina vorerst unter den Tisch fallen. Solange Piso nicht wirklich zu einem Höflichkeitsbesuch antrat, gab es auch keinen besonderen Grund ihre Bekanntschaft mit ihm zu erwähnen.

    Einen wirklich begeisterten Eindruck machte Piso in Bezug auf ihre Einladung ja immer noch nicht. An ihrem eigenen Unterhaltungswert konnte das ja wohl mitnichten liegen, den schätzte Laevina selbstverständlich als überdurchschnittlich ein. Offenbar saß die beidseitige Animosität zwischen Germanicern und Flaviern doch tiefer, als sie zuerst vermutet hatte. So ein Ärger, da lernte sie endlich mal jemanden kennen, der mehr als zwei Sätze in Folge formulieren konnte, und dann so etwas....


    "Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass meine Leibsklavin Quadrata jederzeit einen ausgezeichneten Überblick über die ankommenden Gäste hat. Ich kann also durchaus Besuch empfangen, ohne dass das halbe Haus etwas davon mitbekommt." Laevina beschloss es mit dieser letzten Bemerkung gut sein zu lassen. Sie hatte es in den letzten 58 Jahren noch nie nötig gehabt, jemandem ihre Gesellschaft aufzudrängen, da würde sie ganz sicher nicht damit anfangen, wenn sie schon mit einem Fuß im Orcus stand.


    Dankenswerterweise wechselte der sprunghafte Piso nun wieder das Thema, und die doch eine eher schnörkellose Sprache bevorzugende Germanica zuckte bei dem Wort "Blümelchen" leicht zusammen. "Blümelchen", du liebes Bisschen....Hätte ihr Piso nicht eine geraume Weile von seiner unerfüllten Liebschaft mit einer Dame vorgeweint, dann hätte sie jetzt andere Rückschlüsse gezogen, zumal er mit derartigen Vorlieben in Roms höherer Gesellschaft sicherlich nicht allein dagestanden hätte.
    Dennoch....,das Thema der vergöttlichten Kaiser brachte Laevina auf eine Idee.


    "Nun, ein bisschen Pflege würde diesen Tempeln sicher gut tun, einige von ihnen sehen ja schon ziemlich verlottert aus. Und solltest du wirklich mal das entsprechende Amt ausüben, wovon ich übrigens felsenfest ausgehe, dann könntest du mir einen großen Gefallen. Es wäre nett, wenn du bei deiner Sorge um die vergöttlichten Kaiser auch ein Auge auf die Anlagen der Livia Augusta haben könntest, ich denke, dass hat diese sich durch ihre jahrzehntelangen Bemühungen zugunsten unseres Reiches verdient." referierte sie in leicht salbungsvollem Ton.
    Wie bereits erwähnt, war Laevina weder besonders religiös noch pietätvoll, aber Roms erste Kaiserin war schon von klein auf ihr besonderes Vorbild gewesen. Schließlich hatte die göttliche Livia ja mehr als deutlich gezeigt, was man als intelligente Frau alles schaffen konnte, wenn man nicht durch einen unfähigen Ehemann ausgebremst wurde!


    "Gibt es denn unter den vergöttlichten Kaisern einen, dem du gern eine besondere Zuwendung zukommen lassen würdest?


    Auf ihre Bemerkung über Vescularius Salinator ging Piso mit keinem weiteren Wort ein, und Laevinas Augenbraue stieg misstrauisch ein kleines Stückchen in die Höhe. Glaubte er ihr etwa nicht? Oder noch schlimmer ... hielt er sie etwa für eine harmlose Alte, der man zuhause nichts von Belang erzählte? Die alte Germanica grübelte einen Moment lang darüber nach, dann hätte sie sich vor Wut fast die Hand vor die Stirn geschlagen. Natürlich tat er das, schließlich spielte sie ihm ja schon seit etlichen Minuten die entsprechende Rolle vor! Da war sie dann wohl in die eigene Falle getappt...


    Natürlich hätte Laevina dem jungen Flavier an dieser Stelle erklären können, dass es völlig unerheblich war, was man ihr daheim in der Casa Germanica freiwillig erzählte, da es für einen erfindungsreichen Menschen mit guten Augen und Ohren genügend Mittel und Wege gab, um alles zu erfahren, was man erfahren wollte.
    Aber das hätte in sein aktuelles Bild von ihr wohl nicht so ganz perfekt hinein gepasst, daher verkniff sie sich die entsprechende Bemerkung lieber.


    Seine letzte Frage forderte ihr da schon deutlich weniger Konzentration ab.


    "Nun, ich persönlich kann leider nur indirekte Erfahrungen mit der Dichtkunst vorweisen. Mein zweiter Ehemann hatte eine große Schwäche für die "Amores" von Ovidius, daraus hat er mir zu Beginn unseren gemeinsamen Lebens gern und häufig vorgetragen. Das war allerdings lange vor deiner Zeit, damals war noch Kaiser Vespasian an der Macht."erzählte Laevina mit einem leicht wehmütigen Lächeln.
    Kaum zu glauben, aber sogar sie hatte vor rund 35 Jahren mal eine ziemlich romantische Phase durchlebt...